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Samstag, 5. September 2020

Corona, Querdenker und fremde Mächte

Am letzten Samstag fanden in der City von Berlin wieder Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen statt. Organisiert wurde das maßgeblich von der Initiative "Querdenken 711" aus Stuttgart. Pressekollegen aus Berlin hatten den Anlass gemieden und den Samstag lieber auf der heimischen Terrasse, im Umland oder auf dem Balkon verbracht. Freunde und Bekannte wollten sich auch nicht in das Getümmel stürzen und verbrachten den Tag an der urbanen Peripherie.

Umso präsenter stellte sich die gesellschaftliche Peripherie in der City dar. Nach G20 in Hamburg war kaum noch etwas los in Deutschland. Endlich wieder Randale und das möglichst in einer Stadt, zu der man selbst keine Beziehung hat. Im Fahrwasser der schwäbischen Demo tummelte sich eine wahre "Melange" (Mischung) verfassungsrechtlich bedenklicher Akteure. Je nach inhaltlichem Schwerpunkt des Betrachters fielen diesem schwarz-weiß-rote Reichsfahnen, eine Fahne der Türkei oder zwei Fahnen der USA auf. An den Spitzen der Fahnen waren oftmals noch aufblasbare oder aus Pappe gebastelte Buchstaben "Q" zu sehen. Q wie Q-Anon oder Querdenken 711.

Verschwörungsgeschichten

Q-Anon ist nur eine von vielen Verschwörungsgeschichten, die derzeit unser Land überschwemmen. Demokratische Prozesse, Entscheidungsverantwortung und Meinungspluralität sind den Bürgern wohl zu anstrengend geworden, so dass diktatorische Zustände und in sich geschlossene Deutungssysteme wieder attraktiv erscheinen. Deren Anhänger zeigen bereits religiöse Anwandlungen und einen entsprechenden Fanatismus bei der Verteidigung ihrer elitären Erkenntnisse - und seien sie noch so abstrus.

Der Phantasie der Erfinder von Verschwörungstheorien sind keine Grenzen gesetzt. Hauptsache, die Story ist in sich schlüssig. Zielpublikum gibt es genug. Deshalb lassen sich Verschwörungsgeschichten auch gut als Geschäftsmodell aufziehen. Es muss lediglich auf vorhandene Missstände hingewiesen und dazu ein Schuldiger definiert werden. Ob der benannte Schuldige tatsächlich verantwortlich ist, spielt keine Rolle. Durch die Jagd auf diesen Einen wird von den ursprünglichen Problemen abgelenkt, ein gutes Gefühl des "Wir tun etwas" erzeugt und die initialen Missstände nicht gelöst. Wie simpel diese Theorien gestrickt sind, wird schon dadurch deutlich, dass bis heute "der Jude" den Platzhalter des Schuldigen ausfüllt. Die Dynamik entwickelt sich fast von selbst und am Ende will keiner die Verantwortung für die nicht erfolgte Lösung der Probleme und den Zusammenbruch des verqueren Denkgebildes tragen.

Ich sehe was, was du nicht siehst.

Während die Bundesregierung auf breiter Front erschüttert über die Fahnen des Deutschen Reiches war, relativierten das andere Beobachter mit den ein bis drei Fahnen der Türkei und der USA. Blind schienen jedoch die meisten gegenüber der überproportional hohen Anzahl russischer Fahnen zu sein: weiß-blau-rot als Fahne, weiß-blau-rot mit Adler, weiß-blau-rot am Rucksack, weiß-blau-rot kombiniert mit Querdenken-Fahne. Was haben so viele Russland-Fahnen auf einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen zu tun?

In sämtlichen sicherheitspolitischen Publikationen über den Cyber-Informationsraum (CIR) ist zu lesen, dass Russland hochentwickelte Fähigkeiten auf diesem Gebiet hat und diese auch konsequent und aggressiv einsetzt. Die baltischen Staaten arbeiten schon seit vielen Jahren an ihrer Resilienz gegenüber der Einflussnahme "fremder Mächte" in ihre Innenpolitik. Russland geht dabei sehr kreativ vor. Es beschäftigt behördliche und externe Kräfte mit der Beeinflussung von Diskussionen in sozialen Netzwerken sowie dem Verbreiten von Fake News und Halbwahrheiten. Russland unterfüttert medial und finanziell antidemokratische Kräfte in der EU und versucht damit den politischen Gegenpol an seiner Westflanke zu schwächen.

Die Frage nach der Zuständigkeit

Laut Aussage eines Sprechers des Innenministeriums habe man die Desinformationskampagnen zwar auf dem Radar, man solle sie aber nicht überbewerten. Die Bundesregierung sieht den Aufbau einer entsprechenden Resilienz in Deutschland als Querschnittsaufgabe. Wie bei Querschnittsaufgaben üblich, versanden diese, falls nicht jemand die Initiative zu deren Koordinierung ergreift. Dass in Deutschland tatsächlich kaum etwas in dieser Richtung getan wird, zeigen die Indizien und der jüngste Bericht der SWP (Stiftung Wissenschaft und Politik) über militärische Cyber-Operationen. Gerne wird auf die Geheimhaltung verwiesen. Dennoch entfalten auch geheime Aktionen zumeist sichtbare Wirkungen. Die Bundeswehr mit ihrem Kommando CIR darf in Bezug auf Desinformation gar nicht aktiv werden. Zuvor müssten die verfassungsrechtlichen und ethischen Grundlagen im Bundestag diskutiert werden. Kostbare Zeit, die angesichts der aktiven Einflussnahme russischer Akteure nicht zur Verfügung steht.

Apropos Verfassaung: Die wenigen Polizisten, die am Samstag den Eintritt der Demonstranten in den Bundestag verhindert haben, können von Glück reden, dass das eine unorganisierte und spontane Aktion war. Die beiden Polizisten mit ihren Stöcken hätten für trainierte Kampfsportler nur eine bedingte Hürde dargestellt. Jetzt werden sie als Helden gefeiert und durften am Montag sogar den Bundespräsidenten besuchen.

In Sicht auf die überforderte Bundespolizei kam die Frage auf, unter welchen Bedingungen das Wachbataillon zur Unterstützung am Reichstag eingesetzt werden könne. Immerhin ist der Schutz des Regierungssitzes Bestandteil von dessen Auftrag. Während des Corona-Lockdowns hatten Soldaten des Wachbataillons verschiedene Unterstützungsleistungen erbracht: Hilfsmitteltransporte, Objektschutz am Bundeswehrkrankenhaus und ähnliches. Warum dann nicht auch Präsenz zeigen am Reichstag? Es muss ja nicht gleich mit dem Transportpanzer Fuchs und auflafettierter Granatmaschinenwaffe vorgefahren werden. Dazu die Antwort eines Sprechers der Bundeswehr: "Eine Unterstützung durch das Wachbataillon für den Schutz des Regierungssitzes unter Inanspruchnahme hoheitlicher Zwangs- und Eingriffsbefugnisse müsste verfassungsrechtlich ausdrücklich zugelassen sein. Außerhalb eines Inneren Notstandes, des Spannungs- oder Verteidigungsfalles oder eines besonders schweren Unglücksfalles katastrophischen Ausmaßes ist dies nicht zulässig."

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 3. September 2020

Brexit und Corona verdoppeln die Rezession in Großbritannien

Der Termin war clever gelegt: Eine Stunde vor der Regierungspressekonferenz wollten gestern die BCCG (British Chamber of Commerce in Germany) und KPMG über die Auswirkungen der Corona-Krise und des Brexit auf Unternehmen mit Bezug zu Großbritannien informieren. Es sollten auch Forderungen gegenüber der Bundesregierung vorgetragen werden. Trotz der eleganten Terminkombination und mehrfacher Ankündigungen spiegelte die Zahl der anwesenden Journalisten, dass der Brexit inzwischen als ein ähnlich langweiliges Thema wie die ständig verschobene Eröffnung des BER gewertet wird.

Medialer Schwung kommt dann wohl erst wieder zum Jahresende auf. Dabei hat der bevorstehende Brexit bereits jetzt für eine Verdoppelung der Corona-Rezension in Großbritannien gesorgt. Während das BIP anderer EU-Staaten jeweils um etwa 10% eingebrochen ist, liegt das Minus von Großbritannien bei über 20%. Wie hart der Brexit wird, weiß vermutlich nicht einmal Boris Johnson. Bisher hatte er auf Zeit gespielt und kurz vor Ultimo seine Rosinenpicker-Forderungen gestellt. Darauf wird sich die EU wohl nicht mehr einlassen, zumal sie selbst mit Corona-Themen und sicherheitspolitischen Herausforderungen an der Ostflanke beschäftigt ist.

BCCG KPMG COVID19 Brexit
BCCG und KPMG informieren über die wirtschaftlichen Auswirkungen von Brexit und COVID19 auf Unternehmen mit Beziehungen zu Großbritannien. London in der Abendsonne - Brexit und der Niedergang eines Wirtschaftsstandortes.
Die EU hat wegen des Brexit eher wirtschaftliche Bedenken. Der britische Fokus hingegen liegt auf der gesellschaftlichen Komponente des Ausstiegs. Diese Sicht wird sich in vier Monaten rächen, wenn wichtige Lieferketten von und zur Insel unterbrochen oder zumindest empfindlich verzögert werden. Ab 2021 gilt Großbritannien als Drittstaat, mit dem nach allgemeinen WTO-Regeln gehandelt wird. Mehr als 20 Unternehmen aus dem Finanzsektor waren bereits vor zwei Jahren abgewandert und agieren nun von Frankfurt am Main aus. Industriebetriebe haben ihre Produktionsstätten auf das Festland der EU verlagert. Wer im Vereinigten Königreich bleibt, wird seine Waren mit einem gewissen Preisaufschlag anbieten müssen. Das betrifft auch die exportierende Automobilindustrie.

Die EU kann schon fast als Profiteur dieses wirtschaftlichen Niedergangs betrachtet werden. Sie gewinnt durch die Standortverlagerungen. Sie gewinnt durch britische Auslandsinvestitionen und sie gewinnt wertvolle Direktkontakte zu den USA, Japan und China. Bisher galt das United Kingdom nämlich als "Tor nach Europa". Aber nicht nur das BIP ist um über 20% eingebrochen. Zeitgleich stieg die Inflation um 10%. Wie Großbritannien unter diesen Umständen den Traum einer neuen Steueroase im Norden Europas träumen kann, ist schleierhaft.

Andreas Glunz von der KPMG ging auch auf die wirtschaftlichen Folgen von Corona ein. So sehen 50% befragter Unternehmen gar keine Auswirkungen. Die wenigsten Befragten befürchten eine Insolvenz. Es werde zwar signifikante Umsatzeinbußen geben, die jedoch mit längst überfälligen Maßnahmen zur Kostensenkung abgefangen werden. Das heißt in der Regel Mitarbeiterabbau und Digitalisierung. Letzteres kostet zwar Geld, lässt sich aber zurzeit gut über die Füllhörner des Konjunkturpaketes kompensieren.

So bezogen sich auch die Forderungen der BCCG an die Bundesregierung auf zwei wesentliche Punkte: Abbau von Bürokratie und Förderung der digitalen Infrastruktur. Oder wie es Günther Oettinger formulieren würde: "Lieber Schlaglöcher als Funklöcher".

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 27. August 2020

FDP-Fraktion reicht Verfassungsklage gegen den Solidaritätszuschlag ein

Am Montag reichte die FDP-Fraktion eine Klageschrift gegen den Soli beim Bundesverfassungsgericht ein. Nach Artikel 106 Absatz 1 Punkt 6 darf der Bund Ergänzungsabgaben zur Einkommenssteuer und der Körperschaftssteuer erheben. Einkommenssteuer zahlen etwa die Hälfte aller Bundesbürger und Körperschaftsteuer betrifft Kapitalgesellschaften wie GmbHs.

FDP-Fraktion reicht Verfassungsklage gegen den Solidaritätszuschlag ein - Dr. Florian Toncar
FDP-Fraktion reicht Verfassungsklage gegen den Solidaritätszuschlag ein - Dr. Florian Toncar in der Bundespressekonferenz
Auf diesen Absatz des Grundgesetzes stützte sich das Gesetz zur Erhebung des Solidaritätszuschlages - kurz und liebevoll "Soli" genannt. Der Zweck war damals der "Solidarpakt Ost". Inzwischen zeigt sich Strukturschwäche aber nicht mehr eindeutig an der Himmelsrichtung, sondern an Bedürftigkeiten quer durch die Bundesrepublik. Deshalb ist der Zweck nicht mehr gegeben. Zudem war das Gestz Ende 2019 ausgelaufen. Das interessierte die Große Koalition aber wenig, so dass ein entsprechendes Änderungsgesetz auf den Weg gebracht worden war, das erst ab 2021 eine Entlastung von 90% der Soli-Zahler vorsieht. Allerdings bringen die verbleibenden 10% trotzdem noch um die 50% des bisherigen Betrages auf. Das bedeutet, dass in diesem Jahr 20 Milliarden Euro erwartet werden und in 2021 immer noch 10 Milliarden Euro.

Wie zu erwarten war, wurde der Soli nicht 1:1 in den Aufbau Ost gesteckt. Er floss in den großen Topf des Bundeshaushaltes ein. Sicher kam auch ein Teil davon zweckgebunden an, aber nicht alles. Solch eine Ergänzungsabgabe ist attraktiv für den Bund. Kann doch aktuell damit die Corona-Krise gegenfinanziert werden. Eine Umwidmung ist formaljuristisch nicht möglich. Für Corona müsste eine separate Ergänzungsabgabe erhoben werden.

Bezüglich des Timings wollte sich Dr. Florian Toncar, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, nicht festlegen. Es dauere so lange, wie es eben beim Verfassungsgericht dauere. Man habe die Klageschrift am Montag eingereicht. Als nächstes werde es noch einige Schriftwechsel mit dem Gericht geben. Besonders erfreut wäre die FDP-Fraktion über eine persönliche Anhörung. Dass die Kläger ihr Anliegen wortgewandt vortragen können, haben sie heute in der Bundespressekonferenz bewiesen. Florian Toncar wurde unterstützt von Christian Dürr, dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der FDP.

FDP-Fraktion reicht Verfassungsklage gegen den Solidaritätszuschlag ein - Christian Dürr
FDP-Fraktion reicht Verfassungsklage gegen den Solidaritätszuschlag ein - Christian Dürr in der Bundespressekonferenz
Seitens der FDP erwartet man zwei mögliche Urteile: Das Wunschurteil wäre, dass das Änderungsgesetz ab Januar 2020 für Nichtig erklärt wird und der Bund den Soli rückwirkend zum 1. Januar an die Steuerzahler erstattet. Das zweite vorstellbare Ergebnis wäre, dass das Verfassungsgericht dem Bund eine Frist zur Nachbesserung setzt. Das wäre zumindest ein Teilerfolg. Mit einer Ablehnung sei nicht zu rechnen. Die FDP-Fraktion setzt mit dem Verfassungsgericht alles auf eine Karte: Wegen der Zuständigkeit für das Grundgesetz konnten sie sich gar nicht durch die Instanzen der Finanzgerichte klagen, sondern mussten sich direkt an Karlsruhe wenden. Sollte das Unterfangen wider Erwarten scheitern, erscheint eine Weitergabe an den Europäischen Gerichtshof wenig sinnvoll.

Es bleibt die Spannung, wann das Urteil vorliegt und wieviel Euro tatsächlich zurückerstattet werden. Die Finanzbehörden drücken bereits in den jährlichen Einkommensbescheiden ihre Zweifel an der "Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995" aus und deklarieren dessen Festsetzung "gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO" als "vorläufig".

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 26. August 2020

Lieber tot als vermisst: Schicksalsklärung Zweiter Weltkrieg des DRK-Suchdienstes bis 2025 verlängert

Am 1. Juni 2009 endete der Air-France-Flug 447 von Rio de Janeiro nach Paris im Atlantik. Alle 228 Insassen kamen dabei ums Leben. An ihrem Tod bestand kein Zweifel. Allerdings wusste zunächst niemand, wo genau der Absturz stattgefunden hatte. Die trauernden Angehörigen konnten den Tod an keinem Ort festmachen, so dass ihnen ein wichtiger Schritt im Trauerprozess verwehrt war.

Erst 6 Tage nach dem Absturz fand man die ersten Wrackteile und Leichen. Doch keine Spur vom Flugschreiber und dem Rest des Airbus A330-203. Nach knapp zwei Jahren - bei der inzwischen vierten Suchaktion - wurde auf 4.000 Metern Tiefe ein Trümmerfeld mit Teilen des Flugzeuges entdeckt. Es folgte eine weitere Aktion, bei der der Flugschreiber und dessen Speichermodul geborgen werden konnten. Am 3. Juni 2011 hatte das Warten der Angehörigen ein Ende. Die Ursache war geklärt und es gab einen konkreten Ort. Jetzt konnten sich Angehörige auf den Weg machen und am Ort des Absturzes Abschied von ihren Verwandten und Freunden nehmen.

Pressekonferenz DRK-Suchdienst Gerda Hasselfeldt
Pressekonferenz zum DRK-Suchdienst mit Gerda Hasselfeldt, Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes
Der Zweite Weltkrieg hat ein Vielfaches solcher Schicksale produziert. Bis 1950 wurden 14 Millionen Suchanfragen gestellt und knapp 9 Millionen davon geklärt. Das betraf nicht nur Soldaten, sondern auch Zivilisten. Die Suche nach Soldaten gestaltete sich etwas einfacher. Diese hatten Erkennungsmarken aus Metall, waren in ihren Einheiten registriert worden, wurden in den Karteien der Lazarette inklusive ihres Krankheitsbildes erfasst und mussten Eingangspapiere in Gefangenenlagern unterzeichnen. Deutsche Soldaten wurden in Russland akribisch katalogisiert, was jedoch nicht bedeutete, dass sie gut behandelt wurden. Viele Kriegsgefangene starben in russischen Lagern an Unterernährung.

Da es noch keine Computer gab, wurde die Registrierung auf Karteikarten vorgenommen. Wenn also jemand eine Suchanfrage an das DRK oder den Volksbund stellte, mussten diese analogen Daten erst einmal mühsam verknüpft werden. Hinzu kamen der "Eiserne Vorhang" und der "Kalte Krieg". Man habe dennoch sehr konstruktiv mit den Unterabteilungen des Roten Kreuzes zusammengearbeitet und konnte viele der Anfragen beantworten. Wichtig dabei war, dass sich Suchende und Gesuchte beim DRK meldeten. Alles noch analog per Brief.

Pressekonferenz DRK-Suchdienst BMI Staatssekretär Dr. Markus Kerber
Pressekonferenz zum DRK-Suchdienst mit Staatssekretär Dr. Markus Kerber, Bundesministerium des Innern
Mit der Auflösung der Sowjetunion wurden auch die Archive geöffnet und zum Vorschein kamen Berge von Karteikarten. Da diese jedoch in Russland verbleiben sollten, schreitet deren Digitalisierung nur langsam voran. Man ist auf die Zuarbeit der russischen Stellen angewiesen. In Deutschland arbeiten 98 Mitarbeiter für den DRK-Suchdienst. 25 Mitarbeiter davon sitzen in München und beschäftigen sich ausschließlich mit Suchanfragen zum Zweiten Weltkrieg: Zivilisten und Soldaten - ganz selten betrifft es Personen aus Skandinavien oder Russland.

Für 2020 erwartet das DRK 11.000 Anfragen zu Vermissten des Zweiten Weltkriegs. Die Erfolgsquote liegt bei 20%. Mit fortschreitender Digitalisierung kann diese Quote sicher noch gesteigert werden. Es lohnt sich also, nach einer gewissen Zeit wieder anzufragen, falls frühere Gesuche ins Leere gelaufen waren. Sinnvoll ist auch eine Anfrage bei anderen Organisationen wie dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Wenn nämlich die Datenpools noch nicht abgeglichen wurden, kann es sein, dass längst Informationen über das Schicksal des Angehörigen vorliegen, nur eben an einer anderen Stelle.

Pressekonferenz DRK-Suchdienst Prof. Dr. Magnus Brechtken Institut für Zeitgeschichte
Pressekonferenz zum DRK-Suchdienst mit Prof. Dr. Magnus Brechtken, Stellvertretendet Direktor Institut für Zeitgeschichte - Forschungsvorhaben "Suchende und Gesuchte des Zweiten Weltkriegs"
Bei der heutigen Pressekonferenz waren auch zwei Suchende zugegen, die Ende 2019 zu Findenden geworden waren. Sie hatten letztendlich dicke Briefumschläge mit sämtlichen Unterlagen zu den letzten Lebensmonaten ihrer Väter bekommen. Es brauchte einige Tage, bis sie die neuen Erkenntnisse verdaut hatten. Dann stellte sich aber innerer Frieden bei ihnen ein. Die Unterlagen enthielten neben Todesort und Ursache sogar Informationen zur Position der Grabstätte. Die beiden Angehörigen sind nun um die 80 Jahre alt. Wenn sie sich rüstig genug fühlen und Corona eine Verschnaufpause macht, könnten sie nach Russland reisen und direkt am Grab Abschied nehmen. Der Volksbund bietet sogar Umbettungen nach Deutschland an.

Per Bundestagsbeschluss von 1953 fördert das Bundesinnenministerium (BMI) die Arbeit des DRK-Suchdienstes. Die Rubrik Zweiter Weltkrieg sollte eigentlich 2023 geschlossen werden. Wegen des nach wie vor hohen Interesses am Verbleib von Verwandten, wurde dieser Zeitraum nun auf 2025 verlängert. Inzwischen fragen nämlich nicht nur Ehepartner und Kinder, sondern auch Enkel an. Nicht abgeschlossene Trauerprozesse können Familien und deren Folgegenerationen belasten. Deshalb fühlt sich das BMI als "Heimatministerium" der "psychischen Stabilität" in der Heimat verpflichtet.

Ergänzend sei erwähnt, dass der DRK-Suchdienst seine Aufgaben über das Thema Zweiter Weltkrieg hinaus sieht. In Zusammenarbeit mit weltweiten Rot-Kreuz- und Rot-Halbmond-Stellen findet es Personen aus aktuellen Krisenregionen, stellt per Internet oder Telefon Kontakte zwischen Suchenden und Gesuchten her und sieht seinen Auftrag erfüllt, wenn sich die Personen endlich wieder physisch in den Armen liegen. Diese Arbeit wird auch nach 2025 weitergehen.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 5. August 2020

Libanon: Die Explosion tangiert auch deutsche Staatsbürger und Immobilien

Heute um zehn nahm der Krisenstab der Bundesregierung zur Großexplosion im Libanon seine Arbeit auf. Es trafen sich Vertreter des BMI, des BMZ, des Auswärtigen Amtes und des BMVg. Die Lage ist noch sehr unübersichtlich.

Bekannt ist derzeit nur, dass das Gebäude der Botschaft und das Goethe-Institut stark beschädigt sind. Es gibt auch schon einige Meldungen zu verletzten Deutschen. Genaue Zahlen wollte das Auswärtige Amt gegen halb zwölf aber noch nicht herausgeben, weil die Daten erst einmal gesammelt und geordnet werden.

Insgesamt 250.000 Einwohner Beiruts sollen jetzt ohne Wohnraum dastehen. Darunter auch viele Deutsche, die für diverse Hilfsorganisationen arbeiten. Deutschland engagiert sich schon länger in dem krisengeschüttelten Land: Bildungsprojekte, Wirtschaftsförderung und nicht zuletzt bei UNIFIL.

Die Soldaten der UNIFIL waren auf dem Meer unterwegs, so dass sie nur insofern betroffen sind, dass sie möglicherweise in den nächsten Tagen für Hilfeleistungen eingesetzt werden. Ein weiteres UNIFIL-Schiff ist von Zypern aus in die Region aufgebrochen. Die Luftwaffe hält ihre medizinisch nutzbare A400M-Flotte ebenfalls für einen Einsatz bereit. Diese wurde aber noch nicht angefordert. Das Innenministerium erklärte seine Bereitschaft zur Entsendung von Forensikern, falls diese erbeten werden.

Auf jeden Fall fliegen heute Abend 47 Experten des THW (Technisches Hilfswerk) in den Libanon. Das THW unterhält eine Spezialeinheit "Bergung Ausland". Das Team wird von einem Hochbaustatiker begleitet, der die statische Sicherheit des Botschaftsgebäudes prüfen soll. Da das Auswärtige Amt eine weitere Liegenschaft im Libanon unterhält, kann der Botschaftsbetrieb nach einer kurzen Umzugsphase am alternativen Standort weitergeführt werden.

Zur Ursache der Explosion liegen der Bundesregierung bislang keine Erkenntnisse vor.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 16. Juli 2020

400 Seiten Verfassungsschutzbericht 2019

Die fast 400 Seiten des Verfassungsschutzberichtes eignen sich gut als Urlaubslektüre. Neben einigen kürzeren Kapiteln dominieren die Themenbereiche Rechtsextremismus, Linksextremismus, Islamismus, extremistische Ausländer ohne Islamismus und Aktivitäten fremder Mächte. Letzteres bezieht sich auf Spionage, Sabotage, Cyberangriffe, politische Einflussnahme und Anwerbung deutscher Staatsbürger durch staatliche Akteure anderer Länder.

Rechtsextremismus

Das Bundesamt für Verfassungsschutz untersteht dem Bundesinnenministerium. Deshalb waren vor einer Woche auch Horst Seehofer und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang zur Vorstellung des Berichtes in der Bundespressekonferenz erschienen. Wie Horst Seehofer regelmäßig betont, stellt der Rechtsextremismus momentan die höchste Gefahr dar. Es gibt viele Anhänger mit einer erheblichen Gewaltbereitschaft. So wurden 2019 über 21.000 Straftaten in diesem Motivationssegment registriert.

Verfassungsschutzbericht 2019 Bundespressekonferenz Horst Seehofer Thomas Haldenwang
Verfassungsschutzbericht 2019 in der Bundespressekonferenz durch Innenminister Horst Seehofer vorgestellt
Eine hohe Konzentration rechter Aktivitäten ist in Sachsen und Thüringen zu verzeichnen, aber auch in Nordrhein-Westfalen und Berlin. Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften ergibt sich ein Personenpotenzial von 33.430 Rechtsextremisten in Deutschland. Davon gelten 13.000 als gewaltorientiert.

Interessant sind die Ausführungen über "Reichsbürger" und "Selbstverwalter". Nur bei 5% der "Reichsbürger" gibt es Überschneidungen mit dem Rechtsextremismus. Sie haben nämlich ihre sehr eigenen Vorstellungen, die oftmals auf Verschwörungstheorien basieren. Während sich "Reichsbürger" auf ein irgendwie geartetes Deutsches Reich berufen, nehmen "Selbstverwalter" eine UN-Resolution zur Grundlage ihrer Ansichten. Diese gebe ihnen das Recht auf den Eintritt in eine Selbstverwaltung ohne das administrative Drumherum der Bundesrepublik.

Linksextremismus

Linksextremismus verzeichnet in Deutschland signifikante Zuwachsraten. So halten sich zurzeit 33.500 bekannte Linksextreme mit den Rechtsextremen die Waage. 9.200 Linksextremisten gelten als gewaltorientiert. 2019 wurden etwa 9.849 Straftaten registriert.

Die Taktik der Szene hat sich geändert. Früher war es üblich, sich in Demonstrationen zu mischen und diese in ein gewalttätiges Chaos zu kippen. In Ermangelung von Großereignissen ist man dazu übergegangen, verdeckte und gezielte Aktionen durchzuführen. Beispielsweise werden "Hausbesuche" bei Personen abgestattet, die man als rechtsextrem deklariert hat. Die Definition einer rechtsextremen Zielperson folgt keiner objektiven Logik und erstreckt sich vom bekennenden Nazi über den AfD-Politiker bis zur Mitarbeiterin einer Immobilienfirma.

Die Wortwahl bei der Bezeichnung politischer Gegner ist nur bedingt diplomatisch, wird aber politisch korrekt gegendert: "Rassist*innen", "Rechte", "Reaktionäre", "Nazis", "Bullen" oder "Repressionsorgane". Die Themen sind durchweg "Anti": "antisoziale Strukturen", "Antigentrifizierung" und "Antifaschismus". Die Gentrifizierung ist besonders den Autonomen unter den Linken ein Dorn im Auge. Bedeutet es doch die Aufwertung eines Stadtteils durch Sanierungen und die damit verbundene Verteuerung der Mieten. Zur Gewinnung neuer Anhänger nutzt die Szene populäre Themen wie Umweltschutz oder die Wohnsituation. Ferner ist sie im Umfeld von Fußballspielen und Kampfsportvereinen aktiv, um dadurch die "revolutionäre" Schlagkraft zu erhöhen.

Verfassungsschutzbericht 2019 Bundespressekonferenz Horst Seehofer Thomas Haldenwang
Verfassungsschutzbericht 2019 in der Bundespressekonferenz durch Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang vorgestellt
Innerhalb des linken Spektrums gibt es Unterschiede. Ein bemerkenswerter Teil glaubt nach dem Scheitern sämtlicher sozialistischer Staaten immer noch an einen Sieg der Arbeiterklasse und die klassenlose Gesellschaft des Kommunismus. Viele nehmen dafür den Zwischenschritt über eine sozialistische Gesellschaft in Kauf. Eine friedliche Entwicklung ist dabei nicht vorgesehen.

Autonome zählen zwar auch zum Linksextremismus, möchten sich aber nicht von einer sozialistischen Zwangsbeglückung gängeln lassen. Sie möchten ihr eigenes Ding machen und einfach nur frei und ohne Verantwortung leben.

Die Partei DIE LINKE eignet sich hervorragend zur Unterwanderung mit extremistischem Gedankengut. Von daher ist es kein Wunder, dass gleich mehrere Untergruppierungen durch den Verfassungsschutz beobachtet werden. Dazu gehören die "Sozialistische Alternative" (SAV), die "Kommunistische Plattform" (KPF), die "Sozialistische Linke" (SL) oder die "Antikapitalistische Linke" (AKL).

Soweit zu den einheimischen Themen. Darüber hinaus gibt es noch den Islamismus, ausländischen Extremismus und andere Eingriffe fremder Staaten.

Islamismus

Auch wenn der Islamismus in letzter Zeit etwas aus den Schlagzeilen geraten ist, ist das kein Grund für eine Entwarnung. Sehr aufmerksam werden Organisationen wie der IS, die HAMAS, al-Qaida, Al-Shabab, die Hizb Allah und die Muslimbruderschaft beobachtet. Fernab der öffentlichen Wahrnehmung regt der Verfassungsschutz Maßnahmen der Polizei an, die entsprechende Anschläge in Deutschland verhindert.

Wenn die islamistische Organisation nicht gerade ein weltweites Kalifat zum Ziel hat, nutzt sie Deutschland zur Rekrutierung neuer Kräfte und als Rückzugsgebiet. Corona hatte zunächst für einen Stillstand islamistischer Aktivitäten gesorgt. Diese wurden aber bald nach der ersten Starre ins Internet verlagert: Kontaktanbahnung und Propaganda über Soziale Netzwerke.

Ausländischer Extremismus

Ausländische Extremisten ohne direkten Bezug zum Islamismus lassen sich weitestgehend auf den Konflikt zwischen Türken und Kurden reduzieren. Dreh- und Angelpunkt ist die seit 1993 verbotene "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und deren Sympathieorganisationen. Als aktiver türkischer Gegenpol wäre die Ülkücü-Bewegung mit ihren fünfstelligen Mitgliederzahlen zu nennen. Ülkücü strebt ein neues Osmanisches Großreich unter Herrschaft der türkischen Ethnie an. Das Zusammentreffen von Ülkücü-Anhängern und Kurden in deutschen Städten hat eine besondere Brisanz. Ülkücü wird aber auch deshalb vom Verfassungsschutz beobachtet, weil es synonym für eine "desintegrative Wirkung" und die "Bildung einer Parallelgesellschaft" steht.

Spionage und Einflussnahme fremder Mächte

Das letzte große Kapitel des Berichtes befasst sich mit "Spionage, Cyberangriffen und sonstigen sicherheitsgefährdenden ... Aktivitäten für eine fremde Macht". Hier werden vier besonders aktive Staaten genannt: Russland, China, Iran und Türkei.

Russland fällt in verschiedenen Bereichen auf: Mit seinen Medien RT Deutsch und Sputnik nimmt es aktiv Einfluss auf die öffentliche Meinung. Wenn jemand Desinformation beherrscht, dann Russland. Russland kann aber auch "Cyber" und setzt diese Fähigkeit konsequent zum Ausforschen verschiedener Ziele in Deutschland ein. Darunter befinden sich Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Behörden und Medienunternehmen. Russland ist darin so gut, dass die Angriffe oft gar nicht bemerkt werden und langfristig virtuelle Türen für die russischen Geheimdienste offen stehen.

Russische Geheimdienste haben noch einen anderen Trumpf: der hohe Anteil Spätaussiedler in Deutschland. In einem Bundeswehr-Seminar wurde vermittelt, dass Russland langfristig arbeitet: Eigene Leute werden eingeschleust, leben ein normales Alltagsleben, besetzen wichtige Posten und zum festgesetzten Zeitpunkt wird einfach der Schalter umgelegt.

China konzentriert sich nach Maßgabe seiner Belt Road Initiative (BRI) auf wirtschaftliche Einflussnahme und das Ausspähen strategisch verwertbarer Informationen. Selbst kooperative Unternehmen oder Behörden werden gnadenlos angezapft. Eine besonders niedrige Schwelle zur Preisgabe sensibler Daten bieten chinesische Bezahlsysteme oder Mobilitätsangebote. Hier sollte der deutsche Nutzer wissen, dass Unternehmen in China zur uneingeschränkten Zusammenarbeit mit dem Staat - also der einen Partei - verpflichtet sind. Datenschutz gilt dort nichts, so dass auf Wunsch alle sensiblen Daten bei staatlichen Stellen landen.

China ist schon längst kein Kopierland mehr. China hat sich - unter den Augen westlicher Hybris - eine Marktführerschaft in verschiedenen Hochtechnologiebereichen erarbeitet. Die Investitionen in Deutschland sind zwar nominell rückläufig. Dafür ist die Qualität der Aufkäufe deutscher Firmen alarmierend. So pickt sich China besonders innovative Firmen heraus und zieht auf diesem Wege ganz legal das Know-how ab. Auch Agenten werden nicht mehr nur aus eigenen Staatsbürgern rekrutiert, sondern gezielt aus anderen Nationen angeworben. Die Details dazu würden hier den Rahmen sprengen.

Dem Iran geht es vorrangig um die Verfolgung der im Ausland lebenden Opposition. Ferner sucht er nach Wegen, an nuklear verwertbare Technologien heranzukommen. Die Türkei forscht die PKK und oppositionelle Strömungen aus. Wie Russland profitiert auch die Türkei bei der Beschaffung von Informationen von der hohen Zahl türkischstämmiger Personen in Deutschland.

Geistige Brandstifter und Täter

Thomas Haldenwang betonte in der Pressekonferenz, dass es nicht nur um die finalen Täter gehe, sondern auch um die "geistigen Brandstifter". Man habe in den letzten Jahren gelernt, dass immer eine "geistige Brandstiftung" der Radikalisierung und anschließenden Tat vorausgehe. Deshalb messe der Innenminister dem Thema Desinformation eine hohe Bedeutung bei. Das Thema werde durch die "Einheit hybride Bedrohungen" bearbeitet. Auch stimme man sich intensiv mit dem Verteidigungsministerium und dem Kanzleramt ab.

Zum Luxus einer Demokratie gehört es, dass ausführende und gesetzgebende Instanzen die nüchternen Erkenntnisse eines solchen Berichtes ignorieren. So kommt es regelmäßig zu Unstimmigkeiten zwischen dem Verfassungsschutz und wichtigen Entscheidungsträgern. Praktisch, wenn wenigstens der Innenminister seinem nachgeordneten Bundesamt den Rücken stärkt.

Video:
Mitschnitt der Pressekonferenz auf Phoenix

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 8. Juli 2020

Altmunition in Ostsee und Nordsee

Im Schatten der EU-Ratspräsidentschaft hat Deutschland nun auch den Vorsitz der HELCOM übernommen. Das HEL bezieht sich auf die Helsinki-Konvention von 1974. Mitglieder sind die Anrainerstaaten der Ostsee. Grund zu einer Nachfrage, wie es um die Altmunition in Ostsee und Nordsee steht.

Altmunition in Ostsee und Nordsee - Deutschland übernimmt den Vorsitz der HELCOM
Altmunition in Ostsee und Nordsee: Wie lange noch ist unbeschwerter Urlaub an Ostsee und Nordsee möglich?
Seit über zehn Jahren freuen sich Urlauber über üppige Bernsteinfunde am Strand. Wenn sie diese in die Hosentasche stecken, trocknet der vermeintliche Bernstein. Kurz darauf entzündet er sich und fügt dem Finder erhebliche Verbrennungen zu. Der Erholungssuchende hat den Bernstein mit weißem Phosphor verwechselt. Dieser stammt aus verrottenden Bomben und Minen tief unter der Wasseroberfläche. Die Altmunition in der salzigen See ist eine Zeitbombe.

Laut einer 2011 angefertigten Studie ist von 1,6 Millionen Tonnen - also 1.600.000 Tonnen - konventioneller Munition in deutschen Gewässern auszugehen. Davon liegen 1,3 Millionen in der Nordsee. Das ist noch nicht alles. Hinzu kommen 170.000 Tonnen chemischer Kampfstoffmunition in der Nordsee und bis zu 65.000 Tonnen in der Ostsee. Die 90 Tonnen, die allein vor Helgoland lagern, klingen dann schon fast nach einer homöopathischen Menge. Als nördliche Militärbasis hat Helgoland prägende Erfahrungen mit Munition gesammelt. Ein Viertel der Insel war 1947 durch die Briten weggesprengt worden: Bunker und Munitionslager. Die Detonation habe man sogar noch im weit entfernten Cuxhaven wahrgenommen.

Altmunition in Ostsee und Nordsee - Deutschland übernimmt den Vorsitz der HELCOM
Altmunition in Ostsee und Nordsee: 1947 wurde ein großer Teil von Helgoland weggesprengt.
Eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern kam 2018 zu der Feststellung: "Derzeit ist nicht erkennbar, dass eine großräumige Gefährdung der marinen Umwelt über den lokalen Bereich der munitionsbelasteten Flächen hinaus vorhanden oder zukünftig zu erwarten ist. Eine Gefährdung besteht jedoch punktuell für Personengruppen, die im marinen Bereich der Nord- und Ostsee mit Grundberührung tätig sind."

Für die Altmunition ist nicht etwa die Bundeswehr oder die NATO zuständig, sondern das Umweltministerium. Geht es hier doch um eine Gefährdung der Umwelt. So wurde festgestellt, dass Muscheln oder Plattfische in unmittelbarer Umgebung von Sprengkörpern auch deren Schadstoffe aufnehmen. Eine großflächige Verbreitung ist jedoch bis heute nicht erwiesen.

Eine umfangreiche Bergung oder Zerstörung der Altmunition ist ein Generationenwerk. Während Ankertauminen in wenigen Jahren zu beseitigen wären, kann das bei Grundminen oder Fliegerbomben bis zu 20 Jahren dauern. Voraussetzung ist natürlich, dass man mit der Beräumung beginnt. Momentan wird mit den Anrainerstaaten ein Konzept dazu entwickelt. Das Umweltministerium hat das als eines der zentralen Themen auf die Agenda des HELCOM-Vorsitzes gesetzt und hofft auf eine gute Kooperation innerhalb der Kommission.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 1. Juli 2020

AKK zu KSK: Toxic Leadership und strukturelle Schwachpunkte

Im nächsten Jahr feiert das Kommando Spezialkräfte (KSK) sein 25-jähriges Bestehen. Die Eliteeinheit wurde nach dem Vorbild des Special Air Service (SAS) der britischen Armee und der Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9) zusammengestellt. Anlass war das Fehlen dieser Fähigkeiten zur Zeit des Völkermordes in Ruanda. Damals mussten belgische Spezialkräfte für die Rückführung deutscher Staatsbürger sorgen.

Inzwischen hat sich vieles im KSK verselbständigt. Anders als sonst in der Bundeswehr fand kaum eine Rotation der Führungskräfte statt. Die Ausbildung wurde intern geregelt und auch ein Inspizieren war wegen des hohen Geheimhaltungsgrades nicht möglich. So konnten sich Strukturen und Gepflogenheiten entwickeln, die sehr eigen waren und sich jeglicher externer Kontrolle entzogen.

Pressekonferenz AKK Kramp-Karrenbauer Generalinspekteur Eberhard Zorn Arbeitsgruppe KSK
Pressekonferenz von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer #AKK und dem Generalinspekteur Eberhard Zorn zur Arbeitsgruppe KSK
Das KSK ist ein Bataillon mit weit über 1.000 Soldaten. Diese sind in zehn Kompanien und einigen weiteren Bereichen organisiert. Bei den Ermittlungen zu den Vorwürfen des Extremismus wurde eine so genannte 20er-Liste abgearbeitet. 20 Soldaten wurden auf verschiedenen Ebenen betrachtet und gewisse Gemeinsamkeiten festgestellt. Die wichtigste Gemeinsamkeit war, dass sie zur 2. Kompanie gehörten.

Deshalb wurde analysiert, was das Besondere an der 2. Kompanie ist. Sie gehört zu den sechs Kommandokompanien, die die Spezialaufträge letztlich ausführen. Laut der Ministerin liegt eine der Ursachen für die Radikalisierung in dem enormen Druck, dem die Soldaten im Einsatz ausgesetzt sind, aber auch in den Vorstellungen, die die Soldaten selbst von ihren Aufgaben haben. Es gebe Differenzen bei der Bewertung parlamentarisch legitimierter Einsätze und dem, was man gerne selbst noch machen möchte. Druck als Begründung hinkt insofern, als dass es weitere Kompanien und Spezialkräfte wie die Kampftaucher gibt, bei denen bisher keine Radikalisierung aufgefallen ist. Es muss also noch andere Ursachen geben.

Pressekonferenz AKK Kramp-Karrenbauer Generalinspekteur Eberhard Zorn Arbeitsgruppe KSK
Pressekonferenz von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer #AKK und dem Generalinspekteur Eberhard Zorn zur Arbeitsgruppe KSK
Dazu fiel mehrfach der neudeutsche Begriff "Toxic Leadership". Toxic Leadership bedeutet "vergiftende Leitung" und wurde erstmals kurz nach dem Irak-Krieg von der US-Armee thematisiert. Damals hatte man die Selbstmorde amerikanischer Soldaten untersucht. In die Betrachtungen wurden dabei nicht nur die Familiensituation oder die psychische Verfassung des jeweiligen Soldaten einbezogen, sondern - das war neu - auch das Umfeld in der Truppe. Dabei fiel auf, dass inkompetente und unsichere Leitungspersonen oftmals ein Klima der Kontrolle und des Machtmissbrauchs erzeugen und Strukturen etablieren, die fähigen Kräften keine Luft zum Atmen lassen. Diese werden gedemütigt, diffamiert und weit unter Potenzial eingesetzt. Dem toxischen Leiter geht es damit in der Regel nur um die Kompensation eigener Defizite. Seine Organisation, sein Team und der größere Auftrag sind ihm egal.

Toxic Leadership ist ein weit verbreitetes Problem. Es zieht sich durch sämtliche Gesellschaftsbereiche. Deshalb gibt es in den USA inzwischen Trainer und Unternehmensberater, die genau dieses Thema aufgreifen und Handlungsempfehlungen für Betroffene und übergeordnete Führungskräfte anbieten. In Deutschland wird dieses Thema erst seit 2017 wahrgenommen. Mit einem Aufsatz hatte Oberst Jahnke vom Zentrum Innere Führung der Bundeswehr den Stein ins Rollen gebracht. Erst wenige Unternehmensberater haben das hierzulande für die Wirtschaft aufgegriffen. Üblicherweise wird mit rüden Methoden gegen Stimmen vorgegangen, die toxische Leitung in den eigenen Reihen ansprechen. Kontaktverbote und die "Mauer des Schweigens" sind äußerlich erkennbare Zeichen für diese problematischen Konstrukte. Mit einer Mauer des Schweigens sieht sich die Bundeswehr auch bei der 2. Kompanie des KSK konfrontiert. Das Schweigen resultiert aus Angst oder einer mehr oder weniger berechtigten Loyalität.

Wie wichtig es ist, dass die übergeordneten Instanzen bei Toxic Leadership eingreifen, zeigt das Beispiel KSK. Die Ministerin und der Generalinspekteur haben die Lagebereinigung zur Chefsache erklärt und stellten sich deshalb heute auch den unkalkulierbaren Fragen der Presse. Den Verantwortungsträgern der Bundeswehr ist bewusst, dass ein Verschweigen oder Vertuschen von kleinen Konfliktherden wie beim KSK zu einem flächendeckenden Problem führen können.

Pressekonferenz AKK Kramp-Karrenbauer Generalinspekteur Eberhard Zorn Arbeitsgruppe KSK
Pressekonferenz von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer #AKK und dem Generalinspekteur Eberhard Zorn zur Arbeitsgruppe KSK

Das KSK hat es nun selbst in der Hand, wie seine Zukunft aussieht. Dabei setzt die Arbeitsgruppe KSK auf eine Reformation von innen. Diese wird jedoch von oben beobachtet und als Chance statt Strafe gesehen. "Wer Teil des Problems sein will", muss die Bundeswehr verlassen oder wird versetzt. Wer sich kooperativ bei der Aufarbeitung zeigt, kann seine geplante Laufbahn fortsetzen. Fest steht, dass die 2. Kompanie aufgelöst wird, dass die übliche Rotation der Führungskräfte auch im KSK Einzug hält und dass die Sicherheitsüberprüfung auf Stufe 4 angehoben wird. Auch Reservisten werden in Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz vor der Beorderung stärker unter die Lupe genommen.

Die Arbeitsgruppe KSK - bestehend aus Generalinspekteur, Staatsekretär Tauber, Staatssekretär Hoofe, Heeresinspekteur Mais, KSK-Kommandeur Kreitmayr und der Wehrbeauftragten Högl - hat eine Frist gesetzt. Bis Ende Oktober sollen greifbare Ergebnisse vorliegen. Ansonsten werde man nach "neuen Möglichkeiten suchen". Denn die Fähigkeiten des KSK werden in jedem Fall gebraucht.

Unter die Lupe genommen wurden auch die extrem hohen Fehlbestände an Munition und Sprengstoff. So ist der Verbleib von 37.000 plus 48.000 Patronen für verschiedene Handwaffen ungeklärt. Besondere Sorge bereitet dem Generalinspekteur allerdings das Verschwinden von 62 kg Sprengstoff. Schon 1% davon machen ein Auto zu einem gefährlichen Flugobjekt. In diesem Zusammenhang fiel auf, dass die Bundeswehr zu viele analoge Bestandserfassungen vornimmt. Es gibt faktisch keine zentrale Übersicht zu Lager- und Fehlbeständen bei Munition, die per Knopfdruck abrufbar wäre. Ministerin und General zuckten heute mit den Schultern und verwiesen auf die Generalinventur, die bereits angeordnet sei. Stichtag für die Vorlage der Zahlen ist der 31. Dezember 2020.

Abschließend hier noch ein Zitat von Annegret Kramp-Karrenbauer: "Wenn ich 'eisernen Besen' sage, meine ich das nicht martialisch, aber ernst."

Edit: Hier eine interessante Zusatzlektüre aus dem KSK vom 25. Juli 2020.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 17. Juni 2020

Olaf Scholz und das Wummspaket auf Abruf

Finanzminister Olaf Scholz zeigte sich begeistert: Nachtragshaushalt, Konjunkturpaket und seine Leistung. Heute stellte er den Nachtragshaushalt zur Umsetzung des Konjunkturpaketes vor. "Das ist ein Wummspaket, mit dem wir aus der Krise kommen können".

Die Neuverschuldung von 218,5 Milliarden Euro sei momentan sehr günstig zu bewerkstelligen. Die Zinsen liegen bei 3%. Zudem ist das Wummspaket ein Wummspaket auf Abruf. Olaf Scholz hofft auf einen regen Abruf, aber wenn der Abruf nicht erfolgt, gibt es auch keine Verschuldung und damit auch keine Zinsbelastung. Die 218,5 Milliarden Euro sind also eher als eine Kreditlinie zu werten, die man vom Disporahmen eines Girokontos kennt. Allerdings mit dem traumhaften Zinssatz von 3%.

Das Konjunkturpaket selbst schlägt nur mit 103 Milliarden Euro zu Buche. Der Rest der 218,5 Milliarden Euro soll zur Finanzierung von Mehrausgaben und Mindereinnahmen genutzt werden.

Konjunkturpaket Nachtragshaushalt Bundesfinanzminister Olaf Scholz BMF
Bundesfinanzminister Olaf Scholz stellt den Nachtragshaushalt zum Konjunkturpaket vor.
Das Konjunkturpaket mit der Arbeitsbezeichnung Wumms sieht eine Menge von Maßnahmen zum Ankurbeln der Wirtschaft nach Corona vor. Eine wahre Verzückung huschte über das Gesicht des Ministers, als er von der Absenkung der Umsatzsteuer sprach. Diese sei bewusst "kurzzeitig, kurzfristig angekündigt und hoch". Die Fernseh- und Radiowerbung bestätige die Maßnahme als Wirtschaftsmotor. Auf kritische Details wie Kontenrahmen der Steuerberater, Umstellung von Kassensystemen oder das Thema Vorsteuer ging er nicht ein. Auf Nachfrage bestätigte er aber, dass die Umsatzsteuersenkung "definitiv" nicht verlängert werde.

Weitere Maßnahmen sind unter anderem die einmalige Stabilisierung der Gesundheitsfonds, die dauerhafte Unterstützung der Kommunen beim Wohngeld, der Kapazitätsausbau von Kitas und Ganztagsschulen, die Förderung von regionalen Wirtschaftsstrukturen, die Senkung der EEG-Umlage und Liquiditätshilfen für die Bundesagentur für Arbeit.

Ein besonderes Augenmerk gilt kleinen und mittelständischen Unternehmen. Diese sollen mit Wumms auf Abruf ihre Umsatzausfälle kompensieren und damit ihre Existenz sichern können.

Die Mittel des Konjunkturpaketes müssen innerhalb der nächsten zwei Jahre abgerufen werden. Ansonsten werden weniger Schulden aufgenommen und die schwarze Null ist schneller wieder erreicht. 20 Jahre soll die Rückzahlung dauern. Das erscheint einigen Experten zu kurz. Olaf Scholz geht jedoch von einer raschen Erholung der Wirtschaft aus und ist auch in diesem Punkt guter Hoffnung.

Der immer wieder kritisch beäugte Verteidigungshaushalt soll durch das Konjunkturpaket und die Neuverschuldung nicht tangiert werden. Der Finanzminister zeigte sich überzeugt, dass die NATO-Vereinbarung von 2% in "altbewährter" Zielstrebigkeit angegangen werde. Momentan sei man diesem Ziel ohnehin sehr nah, weil ja das Bruttoinlandsprodukt (BIP) so stark abgesunken sei. Betrachtet man die geschätzten Steuereinnahmen für 2020, erkennt man einen Rückgang um 20%. Das ist sehr viel. Wenn das BIP um 20% absinkt, hätte Deutschland mit 55 Milliarden Euro tatsächlich bald die 2%-Marke erreicht. In 2019 lag der Verteidigungshaushalt bei 43,2 Milliarden Euro und entsprach 1,25% des BIP. In 2020 ist er auf 45,2 Milliarden Euro beziffert - also 1,64% des eingebrochenen Bruttoinlandsprodukts.

Olaf Scholz schob aber auch der Frage nach dem Verteidigungshaushalt einen Werbeblock in eigener Sache hinterher. Das BIP werde steigen, weil "altbewährte" Kräfte und Methoden eingesetzt werden. Alles wird gut. Alles ist bezahlbar. Wir gehen einer gesunden Zukunft entgegen - oder so.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 11. Juni 2020

Konjunkturpaket und Senkung der Umsatzsteuer für den Zeitraum Juli bis Dezember 2020

Vor wenigen Tagen hat sich die Bundesregierung auf ein Konjunkturpaket verständigt. Dieses soll die Wirtschaft ankurbeln und Kaufanreize für private Endkunden schaffen. Letzteres soll durch eine Absenkung der Umsatzsteuer von 19 auf 16 Prozent beziehungsweise von 7 auf 5 Prozent erreicht werden. Diese Maßnahme soll von Juli bis Dezember 2020 gelten.

Skepsis über die geplante Wirkung des Steuergeschenkes

Was erst einmal ganz nett klingt, birgt doch jede Menge Fallen. So herrschte in der Bundespressekonferenz Skepsis darüber, ob dieses Steuergeschenk wirklich beim Endkunden ankomme. Sprecher der zuständigen Ministerien hingegen zeigten sich hoffnungsvoll. Es gebe Studien, dass das in anderen Ländern gut geklappt habe. Diese Hoffnung konnte jedoch nur mäßig ins Auditorium übertragen werden.

Aus gutem Grund: Bedenkt man den kaufmännischen Leitspruch "Im Einkauf liegt der Gewinn", wird klar, dass insbesondere der Einzelhandel die Steuersenkung für eine Steigerung seiner Rendite (Gewinn) nutzen könnte. Die Rendite ist wichtiger als der eigentliche Umsatz. Die Rendite ist nämlich das, was letztlich in der Tasche des Unternehmens hängen bleibt.

Endlich mehr Rendite

Nehmen wir einmal das Beispiel eines schwedischen Einrichtungshauses, dem ein Kalkulationsfaktor - auch Multi genannt - von 2 nachgesagt wird. Dabei wird der Einkaufspreis des Artikels mit 2 multipliziert und schon hat man den Verkaufspreis im Laden. Wenn also der fiktive Bilderrahmen Smørrebrød 10 Euro im Einkauf kostet, wird er im Regal für 20 Euro angeboten. In den 20 Euro wären aktuell 10 Euro Einkaufspreis und 3,19 Euro Umsatzsteuer enthalten. Die Rendite beträgt demnach 6,81 Euro (20 minus 10 minus 3,19 gleich 6,81). Wenn sich nun die Umsatzsteuer auf 16 % reduziert, sind nur noch 2,76 Euro als Umsatzsteuer (Vorsteuer) an das Finanzamt abzuführen und die Rendite liegt bei satten 7,24 Euro. Das entspricht einer Renditesteigerung von mehr als 6 %. Warum sollte man die an den Endkunden weitergeben, nachdem man wochenlang den Laden wegen Corona geschlossen halten musste?

Hinzu kommt der organisatorische Aufwand: Es gibt nur wenige Märkte, in denen elektronische Etiketten verwendet werden. In der Regel stecken Pappetiketten mit Barcodes, Artikelinfos und Preisen an den Regalen. In leistungsfähigen Warenwirtschaftssystemen kann ein Prozentsatz eingegeben werden, der dann beispielsweise einen Sortimentsbaustein um 2,5 % verteuert - Pardon - in unserem Falle um 2,5 % reduziert. Ist ein optisches Preisschema für die Neukalkulation hinterlegt, wird aus 9,95 Euro ein Preis von 9,75 Euro. Manch ein Lieblingsartikel kostet jetzt 2,99 Euro. Dieser müsste auf 2,91 Euro geändert werden. Eine sinnfreie Preisoptik, die entweder auf 2,89 reduziert würde oder einfach - Genau! - auf 2,99 Euro belassen wird.

Aus Drei mach Zweikommafünf

Warum nur 2,5 Prozent, wenn die Umsatzsteuer doch um 3 Prozentpunkte reduziert wird? Das lässt sich einfach nachrechnen: 119 Euro entsprechen einem Nettowert von 100 Euro plus 19 Euro Umsatzsteuer. Ab Juli würde auf 100 Euro netto eine Umsatzsteuer von 16 % aufgeschlagen werden. Das ergibt 116 Euro. 116 Euro sind aber 97,4789 % von 119 Euro - also nur rund 2,5% weniger. Warum also den Aufwand betreiben und wegen 2,5 % Kaufanreiz sämtliche Sortimente neu kalkulieren, Preisoptik prüfen und den Mitarbeitern neue Etiketten für die Regale übergeben? Wäre das ein Dauerzustand, könnte man das den wenigen Mitarbeitern in den Einzelhandelsfilialen noch verkaufen. Aber: Im Januar 2021 muss alles wieder rückgängig gemacht werden.

Die Vorsteuerfalle

Bei Geschäften zwischen Unternehmen gibt es weitere Fallen. Dort ist die Umsatzteuer ein durchlaufender Posten, der je nach Zahlungsturnus für eine temporäre Liquiditätsverbesserung sorgt. Irgendwann muss das Geld aber ans Finanzamt überwiesen werden. Wer ab dem Leistungszeitraum Juli 2020 eine Rechnung mit 19 % an seinen gewerblichen Kunden stellt, muss diese 19 % auch ans Finanzamt weitergeben. Nach Rechtslage Juli bis Dezember 2020 darf der Kunde auf der anderen Seite jedoch nur die dann geltenden 16 % bei der Umsatzsteuervoranmeldung abziehen. Auch, wenn er seinem Lieferanten die 19 % gezahlt hat.

Man könnte meinen, das sei nicht so dramatisch und sicher nur in Einzelfällen relevant. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Umsatzsteuer über viele Jahre stabil war und neuere Faktura- und Kassensysteme möglicherweise auf 19 % hartcodiert sind. Ganz zu schweigen von epochalen Projektzeiträumen für simple Umstellungen innerhalb namhafter Standardsoftware.

Die Gastronomie trifft es besonders hart. Diese muss in ihren Kassensystemen neuerdings nicht nur die Umsatzsteuer auf Artikelebene pflegen. Sie muss bis Ende Juni mit 19 % rechnen, ab Juli auf 5 % umstellen, ab Januar 2021 auf 7 % anheben und ab Juli 2021 wieder auf 19 %.

Und da wären noch Mietverträge oder Leasingverträge. Hier ist das jeweilige Ablaufdatum maßgebend. Wenn also die Zahlung zum 15. des Monats fällig ist, gilt der Steuersatz zum Enddatum dieses Turnus. Miete, die am 15. Juni für die kommenden 31 Tage zu zahlen wäre, müsste demnach schon mit 16 % abgerechnet werden, weil das Ende des Turnus im Juli liegt.

In eine Falle tappt auch, wer beispielsweise im September 2020 seinen Traumwagen sieht und dafür einen Leasingvertrag mit Sonderzahlung abschließt: Leasingverträge enden normalerweise nach zwei bis vier Jahren. Dann gilt aber wieder der Steuersatz von 19 %. Bei einer Sonderzahlung von 10.000 Euro netto würde die unterschiedliche Besteuerung 300 Euro ausmachen. Wer allerdings einen Leasingvertrag hat, der zwischen Juli und Dezember 2020 endet, kann sich bei seinem Autohaus unbeliebt machen, indem er die damalige Rechnung für die Leasingsonderzahlung auf 16% umschreiben und sich das Geld auszahlen lässt. Denn zum Leasingende gelten ja plötzlich 16% Umsatzsteuer. Das Autohaus muss die Rechnungskorrektur vornehmen und kann dann sehr umständlich den Ausgleich des Steuerbetrages beim Finanzamt beantragen.

Arbeit auf Hochtouren

Das Bundesfinanzministerium versicherte in den jüngsten Pressekonferenzen, dass es "auf Hochtouren" an den Details zur Behandlung dieser Umsatzsteuerkonstellationen arbeite. Man wolle "zeitnah" die Ergebnisse präsentieren  - voraussichtlich als Rundschreiben. Steuerberater warten händeringend auf entsprechende Sonderregelungen. Schon allein deshalb, weil auch deren Beratungssoftware nicht so kurzfristig auf die neuen Gegebenheiten angepasst werden kann.

Viele Unternehmen und Vermieter haben vermutlich bis heute noch nicht mitbekommen, dass es ab Juli eine Veränderung bei der Umsatzsteuer gibt.

Autor: Matthias Baumann

Weitere Infos zum Thema in der Stellungnahme des Deutschen Steuerberater-Verbandes

Donnerstag, 28. Mai 2020

Null Toleranz und starker Staat - Kriminalstatistiken für 2019 vorgestellt

Toleranz wird in Deutschland großgeschrieben. Das wissen auch Kriminelle sämtlicher Spektren und nutzen das seit vielen Jahren aus. Im Ausland macht man darüber bereits Witze und stilisiert Deutschland als Eldorado für Menschen, die unautorisiert und unbehelligt in den reich gefüllten Topf der mitteleuropäischen Wohlstandsgesellschaft greifen möchten.

Damit soll nun Schluss sein. Auf der gestrigen Pressekonferenz zur Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik 2019 (PKS) und der Statistik zur Politisch motivierten Kriminalität 2019 (PKM) fand Innenminister Horst Seehofer klare Worte. Er sprach sich mehrfach für einen starken Staat und eine Null-Toleranz-Strategie gegenüber Straftätern aus. Letztere habe bereits gute Wirkungen bei der Behandlung von Clankriminalität gezeigt. Deshalb soll sie auch für einen anderen Schwerpunkt eingesetzt werden: die PMK von rechts.

Die Politisch motivierte Kriminalität wird derzeit in fünf Bereiche gesplittet: rechts, links, nicht zuordenbar, ausländische Ideologien und religiöse Ideologien. Als "nicht zuordenbar" werden Taten erfasst, deren Urheber sich nicht eindeutig aus den hinterlassenen Beweismitteln oder der Rolle des Opfers erschließen lassen - beispielsweise die Zerstörung von Wahlplakaten von Parteien der bürgerlichen Mitte.

Bundespressekonferenz BPK Kriminalstatistik Bundesinnenminister Horst Seehofer
Bundespressekonferenz am 27.05.2020 zur Polizeilichen Kriminalstatistik 2019 und Statistik zur Politisch motivierten Kriminalität 2019 - Bundesinnenminister Horst Seehofer
Die religiös motivierten Taten machen inzwischen nur noch 1% der gesamten PMK aus. Diese haben derzeit ausschließlich islamistischen Hintergrund, insbesondere in Verbindung mit terroristischen Vereinigungen wie den Taliban, Lashkar-e-Taiba, dem so genannten Islamischer Staat und Al-Shabab. Statistisch gesehen übt diese Tätergruppe ein Gewaltdelikt pro Woche aus.

Die Straftaten aus der Kategorie der ausländischen Ideologien drehen sich in der Hauptsache um den Konflikt zwischen der Türkei und der PKK. Sie gingen zwar gegenüber 2018 um ein Viertel zurück, zeigen jedoch mit vier Vorfällen pro Tag einen weiteren Handlungsbedarf für die Polizei auf. Generell sind die Zahlen der ausländischen und islamistischen PMK stark rückläufig, was auf die neuen Methoden im Umgang mit Clans und die Abnahme der Zuwanderung zurückzuführen sei. In der Gesamtstatistik der PKS ist der Anteil von Tatverdächtigen ohne deutsche Staatsangehörigkeit jedoch gleichbleibend hoch. Er liegt bei einem Drittel.

Dem CSU-geführten Innenressort wird gerne eine "Blindheit auf dem rechten Auge" unterstellt. Die Zahlen zeigen, dass die CSU keineswegs blind ist. Über 22.000 Fälle von rechter PMK wurden 2019 registriert. Das ist mehr als doppelt so hoch wie die linke PMK. Das relativiert sich bei der Betrachtung der Steigerungsraten zum Vorjahr: Rechts liegt bei knapp 10% und links bei über 23%. Zwei Drittel der Fälle auf rechter Seite sind Propagandadelikte (§§ 86, 86a StGB). In den Unterkategorien Antisemitismus und Islamfeindlichkeit sind rechte Motivationen zu über 90% vertreten.

Zum Jahresbeginn 2019 wurde übrigens auch die Kategorie "Deutschlandfeindlich" eingeführt. Hier waren 132 Straftaten inklusive 22 Gewaltdelikte zu verzeichnen. Das ist jedoch kaum vergleichbar mit der Kategorie "Ausländerfeindlich" mit ihren insgesamt 3.703 Straftaten inklusive 506 Gewaltdelikten - darunter 492 von rechts.

Interessant ist der Bereich der "politischen Konfrontation": In der Auseinandersetzung zwischen rechts und links haben Linke über 5.000 Straftaten und über 300 Gewaltdelikte begangen, während Rechte nur etwa 1.000 Straftaten und 100 Gewaltdelikte zu verzeichnen haben. Ähnlich sieht es bei den immer brutaler werdenden Angriffen auf die Polizei aus. Links verzeichnet über 500 Gewaltdelikte bei knapp 1.500 Taten und rechts etwa 100 Gewaltdelikte bei knapp 1.200 Taten. Daraus lässt sich ableiten, dass links in erster Linie gegen rechts und die Polizei vorgeht, während sich rechts in der Hauptsache auf Ausländer und deren Ideologien konzentriert.

Die hohe Zahl der Propagandadelikte zeigt, dass ein Wettbewerb um den höchst möglichen Einfluss auf die Weltbilder der Bevölkerung im Gange ist. Längst muss ein Gefährder nicht mehr in fanatisierte Gruppen gehen. Er kann sich im heimischen Wohnzimmer radikalisieren und irgendwann als Einzeltäter zuschlagen. Deshalb beobachten Bundeskriminalamt (BKA) und Verfassungsschutz (BfV) verstärkt die Aktivitäten in Sozialen Netzwerken. Bezüglich Kinderpornografie arbeiten die deutschen Behörden sehr gut mit dem amerikanischen NCMEC zusammen. Im Fahrwasser dieser Ermittlungen werden auch andere Delikte verfolgt. Dadurch kam es 2019 zu einem hohen statistischen Anstieg der Straftaten, weil einfach mehr Licht in die Dunkelziffern gebracht wurde.

Skurrile Weltbilder werden seit einigen Jahren auch von Experten aus dem Ausland geformt und genährt. Sie erfinden je Zielgruppe die passenden Narrative. Diese Narrative sind falsche oder halbwahre Erzählungen, die in sich schlüssig sind und von Sinnsuchenden gerne aufgenommen werden. Während Finnland und die baltischen Staaten eine gewisse Resilienz gegenüber Fake News, Desinformationen und Verschwörungstheorien aufgebaut haben, gibt es erst seit Corona in Deutschland ein zartes Erwachen. Für die Abwehr scheint das Innenministerium mit seinen Unterbehörden wie dem BfV und dem Bundesnachrichtendienst (BND) zuständig zu sein. In der Bundespressekonferenz kam es diesbezüglich am 11. Mai 2020 zu einem Schlagabtausch zwischen BILD und RT Deutsch.

Auch wenn die Trefferquote im Internet deutlich steigt, ist die allgemeine Aufklärungsrate mit 57,5% nicht so beeindruckend. Bayern liegt bei über 60% und Berlin bei etwa 40%. Warum das so ist, erlebt der Berliner, wenn er mal als Betroffener einen Fall zur Anzeige bringt. An Horst Seehofer liegt das jedenfalls nicht. Er steht zur Polizei und fordert auch seine Kollegen aus der Politik dazu auf, der Polizei zu zeigen, "dass die Politik hinter ihnen steht". Wie eingangs erwähnt, arbeitet der Innenminister an einem starken Staat, der die Bürger auf Grundlage der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) schützt und mit Null Toleranz gegen Straftäter vorgeht.

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 12. Mai 2020

Kriminalstatistik 2019 zur sexuellen Gewalt an Kindern vorgestellt

Die Täter stammen aus allen sozialen Schichten und sind zu 85% männlich. Es gibt also auch weibliche Täter. Allerdings ist deren Profil wenig erforscht, weil man Frauen solche Handlungen bislang nicht zugetraut hatte. Sie können die Taten elegant als mütterliche Fürsorge verschleiern. Täter sind ledig, verheiratet, heterosexuell oder LGBTQ-zugehörig. Es gibt kein geeignetes Raster, nach dem man eine Präventivfahndung durchführen könnte. Eines haben jedoch alle gemein: "Den Wunsch, Macht auszuüben und durch die Tat das Gefühl von Überlegenheit zu erleben."

Bundespressekonferenz: Kriminalstatistik 2019 zur sexuellen Gewalt an Kindern
Bundespressekonferenz: Kriminalstatistik 2019 zur sexuellen Gewalt an Kindern vorgestellt - Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA)
25% der Gewalt an Kindern findet im direkten familiären Umfeld statt. Weitere 50% erfolgen im sozialen Nahbereich: Verwandte, Nachbarn, Bekannte, Jugendeinrichtungen, Sportvereine, Schule. Somit entfallen 75% der Taten auf Personen, die ein Vertrauensverhältnis zu den Kindern hatten. Vorschussvertrauen oder erschlichenes Vertrauen werden von engsten Bezugspersonen zum Missbrauch benutzt. Dadurch erleiden Betroffene in der Regel einen lebenslangen Schaden in Bezug auf soziale Nähe und das Vertrauen in andere Menschen. In der gestrigen Pressekonferenz wurde explizit darauf hingewiesen, dass Fremdtäter eine Ausnahme darstellen.

Das Internet stellt dem Missbrauch neue Aktionsräume zur Verfügung. Die Tatgelegenheiten steigen, die Verbreitung visueller Tatbestände geht deutlich schneller und die Kontrollmöglichkeiten im sozialen Umfeld sinken. Zunehmend werden Chats in Online-Spielen zur Kontaktanbahnung mit Kindern genutzt. Durch die übliche Du-Ansprache wird der Unbekannte aus dem Netz schnell zum Freund. Täter und Opfer wähnen sich anonym.

Bundespressekonferenz: Kriminalstatistik 2019 zur sexuellen Gewalt an Kindern
Bundespressekonferenz: Kriminalstatistik 2019 zur sexuellen Gewalt an Kindern vorgestellt - Johannes-Wilhelm Rörig, Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs
Die Anonymität hat jedoch Grenzen. Der amerikanische Dienst NCMEC (National Center for Missing and Exploited Children) arbeitet eng mit dem Bundeskriminalamt (BKA) zusammen. 2019 gingen beim BKA 62.000 Hinweise mit Deutschlandbezug ein. BKA-Präsident Münch machte in der Pressekonferenz deutlich, dass die Verfolgung von Kindesmissbrauch Priorität habe: "Wir nehmen das Thema sehr ernst." So sei die Reaktionszeit auf Meldungen des NCMEC extrem kurz. Innerhalb weniger Stunden werde die angezeigte IP nachverfolgt und zeitnah an der Wohnungstür des mutmaßlichen Täters geklingelt.

Momentan stellen die Speicherzeiten von Verbindungsdaten eine gewisse Hürde dar. Jeder Provider habe seine eigenen Vorstellungen, wie lange die temporäre IP seiner Kunden nachvollziehbar sein solle. Wozu Verbindungsdaten speichern, wenn es nur noch Flatrates gibt? Ein weiteres Argument ist die vor zwei Jahren eingeführte DSGVO. Deshalb ist Gefahr im Verzug und das BKA muss schnell handeln. Die aktuellen Aufbewahrungszeiten liegen zwischen 24 Stunden und 7 Tagen. Deshalb können etwa 10% der auffällig gewordenen IPs nicht mehr bis zum Endpunkt verfolgt werden. Nach einem ersten Verdachtsfall können die Provider jedoch dazu verpflichtet werden, die Verbindungsdaten bis zu 10 Wochen aufzubewahren. Diese Zeit ist für die Ermittlungen ausreichend.

Bundespressekonferenz: Kriminalstatistik 2019 zur sexuellen Gewalt an Kindern
Bundespressekonferenz: Kriminalstatistik 2019 zur sexuellen Gewalt an Kindern vorgestellt - Rainer Becker, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe - Die ständige Kindervertretung e.V.
Durch die Ermittlungserfolge in Zusammenarbeit mit dem NCMEC wurde die Fallzahl deutlich nach oben korrigiert. Das sieht zwar in der Statistik nicht so gut aus, ist aber Ausdruck dessen, dass damit ein erheblicher Teil der Dunkelziffer ins Licht gezerrt wurde. Gerade wegen des vertrauensvollen Rahmens der Tatorte, der Peinlichkeit des Geschehens und der demografischen Ohnmacht der Opfer bleibt vieles im Dunkeln und wird aktiv von Eltern, Verwandten und Aufsichtspflichtigen vertuscht.

Wenn die Eltern Täter sind, wechseln sie häufig die Ärzte. Das nennt sich Doctor-Hopping. Dadurch wird die Historie des Missbrauchs verschleiert. Deshalb fordern die Ärzte des RISKID e.V. Gesetzesänderungen, die einen Austausch der Ärzte über eine zentrale Missbrauchsdatenbank ermöglicht. Man könne dort verdächtige Diagnosen hinterlegen, die einem neuen Kollegen ebenfalls zur Verfügung stehen. Daraus ließe sich dann trotz häufiger Arztwechsel eine Linie der Gewalt im häuslichen Umfeld nachweisen.

Bundespressekonferenz: Kriminalstatistik 2019 zur sexuellen Gewalt an Kindern
Bundespressekonferenz: Kriminalstatistik 2019 zur sexuellen Gewalt an Kindern vorgestellt - Dr. Ralf Kownatzki, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Vorsitzender des RISKID e.V.
Es kam die Frage nach der Wirkung von Corona auf. Dazu gebe es bisher keine aussagekräftigen Zahlen. Corona wirke ambivalent auf das Thema: Einerseits schaffe die räumliche Nähe neue Tatgelegenheiten. Andererseits reden Kinder nun häufiger mit ihren Eltern und teilen ihnen ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung in der Schule oder dem Sportverein mit.

Auch wenn eine erschreckend hohe Zahl behinderter Kinder betroffen ist, gibt es keinen pauschalen Opfertyp. Je nach sozialer Konstellation kann es jeden treffen. Deshalb ist eine frühzeitige Prävention notwendig. Bereits im Kindergarten sollten die Kinder auf gesunde Grenzen trainiert werden. Das betrifft die eigenen Grenzen und die Akzeptanz der Grenzen anderer. Ergänzend sind die Schulen gefordert, mit Medienpädagogik bei den Kindern eine solide Medienkompetenz zu entwickeln. Dazu gehören auch Grundsatzfragen der Ethik. Letztlich stehen aber auch die Eltern in der Verantwortung. Sie sollen "Kein Kind alleine lassen", wie der Slogan einer aktuellen Initiative des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs lautet.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 6. Mai 2020

Deutschland prüft die Qualität von Maskenlieferungen aus China

Vor einer Woche hatte die Bundeswehr etwa 25 Millionen Schutzmasken aus China einfliegen lassen. In den Sozialen Netzwerken gingen daraufhin die Wogen hoch. Über den Fauxpas, dass die Ministerin als Primärvorbild selbst keine Maske trug, war man schnell wieder hinweg. Das ist der Vorteil eines Shitstorms: Er wirkt wie ein Platzregen, der plötzlich auftritt und schnell wieder vorbei ist. Profiteur eines Shitstorms ist in jedem Fall der Betreiber des betreffenden Kanals. Effizienter kann die Relevanz eines Mediums kaum gesteigert werden.

Nachhaltiger waren die ausländischen Kommentatoren: Russen und Ukrainer streiten sich bis heute darüber, ob die einzigartige Antonov 225 nun ein Ausdruck ukrainischer oder russischer Ingenieurskunst sei. Immerhin habe Kiew damals in der Sowjetunion gelegen. Teile der Tragfläche waren im heutigen Usbekistan hergestellt worden - auch eine ehemalige Sowjetrepublik.

#COVID19 Lieferung Schutzmasken aus China mit Antonov 225
#COVID19 - Medienwirksame Anlieferung von 10 Millionen Schutzmasken aus China mit Antonov 225 am 27.04.2020 auf dem Flughafen Leipzig/Halle
Ein weiterer internationaler Diskussionspunkt ist die qualitative Bewertung der Ware aus China. China kämpft mit dem Makel der Urheberschaft des Corona-Virus und zieht alle medienstrategischen Register. Es wälzt die Schuld auf Dritte ab und gibt sich als der Helfer in Not. Dazu werden Tonnen von Schutzausrüstungen um den Globus gesendet. Das mediale Ziel wurde zunächst erreicht. Allerdings stellte sich heraus, dass die Hilfsgüter nur bedingt den westlichen Standards entsprechen.

Das gab Anlass zu einer Nachfrage in der heutigen Regierungspressekonferenz:

Das Gesundheitsministerium bestätigte, dass Deutschland Qualitätsprüfungen angeordnet habe, die nach entsprechenden Checklisten abgearbeitet werden. Die Prüfung erfolge in China und zusätzlich auch in Deutschland. Dadurch konnte eine Ausschussquote von 20% ermittelt werden. Mangelhafte Ware wird konsequent aussortiert und auch nicht bezahlt.

Bei Schutzausrüstungen für medizinisches Personal gebe es weitere Prüfungen, so dass möglichst keine Qualitätslücken entstehen.

Autor: Matthias Baumann

Freitag, 1. Mai 2020

Robert Koch-Institut und das Konzept zum Wiederanlauf von Gottesdiensten

Die Bundesregierung und die Länderchefs haben sich bei ihrem gestrigen Online-Meeting lobend über die gute Zusammenarbeit mit den Religionsgemeinschaften geäußert. Es waren Konzepte vorgelegt worden, die inzwischen auch vom Robert Koch-Institut kommentiert wurden.

Die Arbeitsgruppe aus Vertretern der evangelischen, katholischen und orthodoxen Kirche sowie jüdischer und muslimischer Dachverbände hat einen nachhaltig guten Eindruck bei der Bundesregierung hinterlassen. Auch die Presse hatte unentwegt nachgefragt, wann und in welcher Form es wieder mit Gottesdiensten losgehe. Allein dieses Segment der Corona-Bewältigung zeigt, dass die Bundesregierung nicht abgehoben agiert, sondern diverse Schnittmengen zur Einflussnahme durch die Gesellschaft vorhanden sind.

#COVID19 RKI Gottesdienste
#COVID19 - Gottesdienste können unter bestimmten Regeln wieder stattfinden. das Robert Koch-Institut (RKI) hat das gemeinsame Konzept der Religionsgemeinschaften entsprechend kommentiert. Die finale Umsetzung erfolgt gemäß der Selbstverpflichtung der Religionsgemeinschaften und der Auflagen der Bundesländer. (Archivfoto, 22.02.2019)
Um die Ausbreitung der Pandemie gezielt behindern zu können, sei eine Nachverfolgung der Infektionsketten notwendig. Dazu soll es demnächst eine App geben. Aber auch der Abstand zwischen Personen, die nicht in einem Haushalt leben, soll möglichst groß sein, damit keine Lücken in der Nachvollziehbarkeit der Verbreitung des Erregers entstehen.

Maßnahmen des Gesundheits- und Infektionsschutzes bei der Durchführung von Gottesdiensten und religiösen Handlungen sind zwar kein offizieller Bestandteil der Beschlüsse vom 30. April 2020, wurden aber als einzige Anlage dem Ergebnispapier beigefügt. Die oben genannten Glaubensgemeinschaften sind jedoch eine Selbstverpflichtung eingegangen, diese Maßnahmen einzuhalten.

Begrenzung der Teilnehmerzahl

Die Teilnehmerzahl soll sich an der Größe des Raumes orientieren. Auf keinen Fall darf es zu Menschenansammlungen kommen. Es soll auch nur das unbedingt notwendige liturgische Personal anwesend sein. Taufen, Beschneidungen, Trauungen und andere religiöse Feste sind im kleinen Kreise von Familienangehörigen und wenigen unverzichtbaren Personen durchzuführen. Auf Großveranstaltungen wie Konferenzen, Wallfahrten oder Prozessionen ist zu verzichten.

Abstand

Die allgemeinen Abstandsregeln von 1,5 bis 2 Metern gelten auch für Gottesdienste. So soll auch das Personal in diesem Abstand das Gebäude betreten und verlassen. Auch während der liturgischen Handlung ist dieser Abstand einzuhalten. Laufwege und mögliche Sitzplätze sind zu markieren. Nur Familien aus einem Haushalt dürfen zusammensitzen. Für größere Räume werden Ordner empfohlen. Ohnehin werden große Räume favorisiert, weil sich darin mehr Leute mit mehr Abstand aufhalten können. Auch bei der Seelsorge in Krankenhäusern, Pfarrbüros oder Privatwohnungen sind die entsprechenden Abstände einzuhalten.

Das Robert Koch-Institut verweist explizit auf Online-Gottesdienste. Diese haben mehrere Vorteile: kein Infektionsrisiko, Risikogruppen wie Senioren und Kranke können teilnehmen und die Reichweite ist größer.

Hygiene

Personen mit Krankheitssymptomen haben generell keinen Zutritt. Für die Durchsetzung dieser Regel sind Veranstalter und Ordner zuständig. Idealerweise tragen die Besucher eine Gesichtsmaske, die Mund und Nase bedeckt. Hier kann es zu länderspezifischen Abweichungen kommen. Körperkontakte wie Hände schütteln, küssen oder umarmen sind Tabu. Das gilt auch für liturgische Elemente mit Körperkontakt wie Handauflegung oder Abendmahl. Beichtstühle bleiben wegen ihrer räumlichen Beschaffenheit geschlossen. Für die Beichte müssen also kreative neue Formen mit Abstandswahrung geschaffen werden.

Gesangsbücher, Gebetsschals und Bibeln müssen Gottesdienstbesucher selbst mitbringen, da die Erreger eine bemerkenswert hohe Überlebensdauer auf sämtlichen Oberflächen aufweisen. Blasorchester, Chöre und Bands sind untersagt. Musik darf nur durch Einzelpersonen vorgetragen werden. Hier schlägt die Stunde des Mikrofons: Lautes Sprechen oder gemeinsames Singen sind wegen der exzessiven Verbreitung von Tröpfchen nicht erwünscht. Blasinstrumente sind ein absolutes No Go.

Weihwasserbecken bleiben leer, Handdesinfektion ist bereitzustellen, Kontaktflächen, Türen, Mikrofone, liturgische Geräte sind regelmäßig zu desinfizieren. Es ist für eine gute und natürliche Belüftung zu sorgen. Nach den Veranstaltungen sind die Kirchen und Gemeinderäume zu schließen.

Normalität

Eine Rückkehr zur Normalität wird noch eine Weile auf sich warten lassen. 14-tägig werden die Infektionszahlen und die Fortschritte der Forschung ausgewertet. Aufgrund dessen werden politische Entscheidungen getroffen. Bis mindestens Ende August sind Großveranstaltungen wie Volksfeste, Konzerte, Festivals, Sportevents untersagt. Auch ist noch nicht bekannt, wann und in welcher Intensität die erwartete zweite und dritte Welle der Pandemie über das Land zieht. Deshalb sei hier an zwei Worte erinnert, die die Kanzlerin in der gestrigen Pressekonferenz mehrfach in Zusammenhang gebracht hatte: Geduld und Verantwortung.

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 21. April 2020

#COVID19 und die Offline-Gottesdienste

Religionsgemeinschaften sind nicht immer die Schnellsten, wenn es um die Nutzung moderner Technologien geht. Es wird zunächst geprüft, ob deren Nutzung mit den Grundlagen der Schrift harmoniert. Wenn sich das nicht zweifelsfrei klären lässt, wird die Meinung der Führer der Religionsgemeinschaft als Maßstab gesetzt. So kam es immer wieder zur Ablehnung von Neuerungen wie der Eisenbahn, des Autos, des Telefons oder des Fernsehers. Die Gläubigen wussten oft nur, dass deren Nutzung Sünde sei. Nur, warum?

So stellt auch Corona die Religionsgemeinschaften vor Herausforderungen, für die es kein historisches Beispiel gibt - außer vielleicht im Mittelalter die Pest. Damals wurde den Juden die Schuld gegeben. Als die Pandemie wütete, erfreuten sie sich bester Gesundheit. Dabei hatten sie mit ihren rituellen Waschungen nur das getan, was uns während Corona gebetsmühlenartig antrainiert wird.

Es gibt einige christliche Gemeinden, die die Klaviatur der neuen Medien beherrschen. Das sind in der Regel evangelische Freikirchen, die vor 20 oder 30 Jahren gegründet wurden. Gottesdienste im Kinosaal, Großleinwände, Liedtexte per Beamer, Musik mit Band sowie Predigten, die auch nach einer halben Stunde nicht langweilen. Diese Gemeinden können Corona medial sehr gut abfangen. Band und Pastor nehmen unter der Woche den Gottesdienst auf und streamen diesen dann per YouTube-Premiere in die Wohnzimmer ihrer Mitglieder. Ist Corona irgendwann vorbei, gibt es wieder Präsenztreffen mit weit über 100 Teilnehmern. Nicht selten trifft man sich am Sonntag sogar in mehreren Schichten, weil der Platz sonst nicht reicht.

An vielen etablierten Kirchen ist der mediale Zug vorbeigefahren. Welche der 20 älteren Damen würde sich das auch ansehen? Mitte März 2020 wurden aber auch diese Gemeinden aktiv und meldeten auf die Schnelle YouTube-Accounts an und probierten sich mit hochgeladenen Predigten aus. Die Zuschauerzahlen gleichen jedoch den Zahlen der Offline-Zuhörer.

#COVID10 Bundespressekonferenz 20.04.2020
#COVID10 In der Bundespressekonferenz informierte das BMI am 20.04.2020 über Lockerungen für Versammlungen von Religionsgemeinschaften
Am 17. April 2020 trafen sich Vertreter verschiedener Religionsgemeinschaften mit Staatssekretär Kerber im Bundesinnenministerium. Es sollte um einen baldigen Wiederanlauf der Offline-Gottesdienste gehen. Neben den Vertretern der evangelischen und der katholischen Kirche waren auch Archimandrit Sfiatkos von den orthodoxen Christen sowie ein Vertreter des Zentralrates der Juden und ein Vertreter der Muslime dabei. Letzteren ist die Lockerung der Corona-Beschränkungen wegen des bevorstehenden Ramadans wichtig.

Diese Herren haben ad hoc ein Arbeitsgremium gebildet, das ein Konzept zur schrittweisen Lockerung der Versammlungsregeln erarbeitet. Diese Regeln sollen dann für alle Religionsgemeinschaften in der gleichen Weise gelten und entsprechende Hygienevorgaben beinhalten.

Nicht am Tisch saß die Deutsche Evangelische Allianz (DEA). Die DEA versteht sich als Dachorganisation von gut 1,3 Millionen Christen in Deutschland. Mitglied kann jeder werden, der sich als Christ bezeichnet. Unter dem Dach der DEA sammeln sich viele der oben erwähnten Freikirchen mit ihren mehreren Hundert Gottesdienstbesuchern. Die Vertretenen nehmen ihre Dachorganisation nur einmal im Januar wahr. Wenn nämlich die Programmhefte für die Allianz-Gebetswoche herumgeschickt werden. Regionale Allianz-Vertreter - nicht die von der gleichnamigen Versicherung - putzen dann die Klinken der Gemeinden und werben für die Gebetswoche.

Ansonsten ist die Evangelische Allianz eine Gut-Wetter-Organisation, die sich auf das harmonische Miteinander unterschiedlicher Christen und Freikirchen konzentriert. Sind Probleme wie Machtmissbrauch oder Sektierertum zu lösen, fühlt sich die Allianz nicht mehr zuständig. Sie verweist dann regelmäßig auf den losen Zusammenschluss der Christen unter ihrem Dach sowie die autonom agierenden Regional-Allianzen. Kein Wunder also, wenn die DEA weder von ihren Vertretenen noch von der Politik als relevanter Player wahrgenommen wird.

So spielt die Evangelische Allianz auch bei der Erarbeitung des Konzeptes zur Wiedereinführung der Präsenzgottesdienste keine Rolle. Wenn Obergrenzen für Teilnehmerzahlen diskutiert werden, besteht die Gefahr, der Sichtweise einer Pressekollegin zu folgen: "Warum lässt man Gottesdienste nicht einfach pauschal zu? Da sitzt doch ohnehin kaum jemand in der Kirche." Einige Gemeinden werden sich dann weiter online treffen. Andere werden sich - wie Mitte Februar 2020 im Elsass geschehen - offline begegnen, herzlich umarmen und die Reproduktionszahlen von Corona in Schwung halten.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 15. April 2020

#COVID19 und die dosierte Lockerung

Während einer Pressekonferenz lernt man viel über die cleveren Exit-Strategien von Pressesprechern: "Das haben wir letzte Woche schon ausführlich thematisiert." - "Dazu gibt es aktuell nicht mehr zu sagen." - "Unser Standpunkt dazu ist unverändert." - "Dem Meeting will ich hier nicht vorgreifen." - "Die gewünschten Infos reiche ich nach."

Die ersten Schritte eines Exit hatte heute die Bundesregierung in einer Videokonferenz diskutiert. Das Social Distancing ließ nur die Präsenz von Angela Merkel, Olaf Scholz, Markus Söder und Hamburgs Oberbürgermeister Peter Tschentscher zu. Es war hart und kontrovers diskutiert worden. Die Kanzlerin äußerte sich anschließend erfreut über "das hohe Gut der Verschiedenartigkeit", durch das letztlich "gute Kompromisse gefunden" worden seien. Am stärksten musste dabei wohl der ambitionierte Kanzlerinnennachfolger Laschet zurückrudern. Markus Söder zeigte sich positiv überrascht, über die konstruktive Zusammenarbeit mit dem SPD-geführten Finanzministerium.

#COVID19 Bundespressekonferenz 15.04.2020
#COVID19 Bundespressekonferenz am 15.04.2020 - Wie ist der aktuelle Stand und wann erfolgt der Exit?
Weil das Lagebild in 14-tägigen Abständen wissenschaftlich fundiert dargelegt werde, werden auch die Entscheidungszyklen an diesen Zeitrahmen angepasst. Am 30. April 2020 findet das nächste Treffen dazu statt und tangiert dann die Maßnahmen ab 3. Mai 2020.

Das Land Berlin hat bereits eine detaillierte Liste mit Gewerben veröffentlicht, die mit und ohne Auflagen ihren Betrieb aufnehmen können. Sogar Hotels dürfen Gäste beherbergen, wenn diese einen wichtigen dienstlichen Grund nachweisen könne. Sportvereine, Religionsgemeinschaften und sonstige gruppenorientierte Einrichtungen dürfen weiterhin keine Veranstaltungen anbieten. Der Trend zu Gottesdiensten mit wenigen Besuchern in fortgeschrittenem Alter kann zwar nicht geleugnet werden. Allerdings trifft das nicht für alle Glaubensgemeinschaften zu. In der Frauenkirche Dresden oder den diversen evangelischen Freikirchen treffen sich Sonntag für Sonntag oft mehrere Hundert Personen. Ganz abgesehen von der oft herzlichen Atmosphäre, die eine Ausbreitung von Infektionen begünstigt. Am Freitag wird es im Bundesinnenministerium ein Treffen mit Religionsvertretern zu diesem Thema geben.

Laut Markus Söder sind Großveranstaltungen noch bis Ende August untersagt. Denn gerade dabei seien erhebliche Ansteckungen erfolgt. Wenn man zu leichtsinnig sei, könne die Kurve wieder nach oben gehen. Momentan bewege sich die Reproduktionsrate um den Faktor Eins. Die Zahlen bewegen sich derzeit zwischen 0,8 und 1,2 und die Dunkelziffer belaufe sich laut Gesundheitsministerium auf 1% der Gesamtbevölkerung. Das entspricht etwa 800.000 Personen.

Um die Maßnahmen weiter lockern zu können, arbeite man an der Tracking-App. Diese befinde sich gerade in der Testphase und man kläre noch deren Datenschutzaspekte. Die Nutzung solle freiwillig sein. Auch wenn sich Google und Apple ins Gespräch gebracht haben, bleibt die App doch ein eigenständiges EU-Produkt unter Mitwirkung des Robert Koch-Instituts und anderer offizieller Stellen.

Viele Eltern leiden unter der Last der geschlossenen Kitas und Schulen. Auch dieser Zustand soll erst ab Mai 2020 schrittweise geändert werden. Bei Schulen obliegt die letzte Entscheidung den Bundesländern. Ähnlich verhält es sich mit den Außengrenzen. Diese sollen noch bis 4. Mai 2020 geschlossen bleiben. Ausnahmen sind Belgien und die Niederlande mit ihrer Nähe zu den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass das Auswärtige Amt bisher rund 230.000 Bundesbürger aus 62 Ländern inklusive kleiner Karibikstaaten nach Deutschland zurückgeholt hat.

Im Schatten von Corona arbeiten aber auch geostrategische Gefährder ihre Agenda ab: Russland verlegt Söldner von Syrien nach Libyen und destabilisiert damit die Lage in Nordafrika. Dschihadisten planen Anschläge in Europa. Nordkorea testet Langstreckenraketen und Diktaturen interpretieren Corona zur Pflege ihres Feindbildes. Während Gesundheitsexperten in Deutschland von einer "vorsichtig positiven Tendenz" bei Corona reden, heißt es aus Sicherheitskreisen, dass die allgemeine "Gefährdungslage abstrakt hoch" sei.

Autor: Matthias Baumann