Posts mit dem Label Bundesregierung werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Bundesregierung werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Montag, 5. Oktober 2020

Das Protokoll testet den BER

Bei bestem Fotowetter hatten sich heute sämtliche Akteure protokollarischer Anlässe in Schönefeld eingefunden. Der BER verfügt über ein eigenes Regierungsterminal, das in zwei Wochen den Bereich für Staatsempfänge in Tegel ablösen soll. Auf dem militärischen Teil des Flughafens Tegel werden dann nur noch einige Hubschrauber beheimatet sein, die per Sondergenehmigung von und nach Tegel fliegen dürfen. In Schönefeld werden in der Anfangsphase 60 Soldaten als Stammpersonal eingesetzt. Sobald der Regierungsbereich komplett ausgebaut ist, ziehen die Hubschrauber und die Flugzeuge der Flugbereitschaft BMVg nach Schönefeld um. Momentan werden die Flugzeuge in Köln/Bonn geparkt.

Heute jedenfalls waren das Protokoll des Auswärtigen Amtes, das Protokoll BMVg, Personenschützer des BKA, eine Motorradeskorte der Berliner Polizei und zwei Kompanien des Wachbataillons am BER und übten sämtliche Abläufe. Das protokollarische Drumherum beim Eintreffen und Abfliegen von Staatsgästen kann schon sehr komplex sein.

Protokoll Wachbataillon Test BER Regierungsterminal Flugbereitschaft BMVg
Die 4. Kompanie des Wachbataillons übt die Aufstellung des Ehrenspaliers am Regierungsterminal. - Foto: Bundeswehr / Zeichenstelle WachBtl BMVg

Deshalb gab es mehrere Start- und Landeszenarien mit einem simulierten Königspaar, der gedoubelten Kanzlerin sowie einer unechten Verteidigungsministerin. Bei Staatsbesuchen in der Vollversion - also den Anlässen, die mehrere Tage dauern und auch eine Kranzniederlegung an der Neuen Wache und ein Staatsbankett beinhalten - wird die Maschine des Gastes an der Staatsgrenze mit zwei Eurofightern eskortiert. Auch das wurde geübt - inklusive des lautstarken Überflugs nach der Landung.

Jede Landung ist eine Zitterpartie für den Teppichdienstleister. Wird die Tür des Flugzeugs genau an der Stelle stehen bleiben, wo der schwere Ballen mit dem roten Teppich liegt? Sobald die Maschine steht, wird der Teppich ausgerollt und die Treppe positioniert. Bei Erstbesuchen von Präsidenten und Monarchen ist noch ein Salutschießen vorgesehen. Traditionell werden 21 Schüsse abgefeuert. Das war früher in den Häfen auch so. Mit 20 Schüssen zeigte ein ankommendes Schiff, dass seine Bordkanonen leer sind und ein Schuss diente der Quittierung durch den Hafen. Diese 21 Schüsse absolvierte das Wachbataillon nun beim BER-Test. Dafür ist der Salutzug der 1. Kompanie zuständig.

Die 4. Kompanie des Wachbataillons ist die kleine, aber protokollarisch versierte Marinekompanie. Zur Feier des Tages hatte sie die Heeresuniform angezogen. Zum Aus- und Einsteigen sämtlicher Staatsgäste vom Monarchen bis zum Premierminister ist ein Ehrenspalier vorgesehen. Dieses besteht aus 2 x 13 Soldaten mit Karabiner und einem Kommandierenden. Es kann durchaus vorkommen, das Staatsgäste am Fahrzeug in längere Gespräche verwickelt werden und die Soldaten minutenlang im "Augen rechts" stehen müssen. "Rechts" bedeutet dabei, dass sie den Gast anschauen, egal ob er oben, unten, rechts oder links steht. Augen und Köpfe wandern mit. Das Anschauen des Gastes ist dabei wohl die geringere Herausforderung. Es geht eher um ein zitterfreies Halten des Gewehrs oder der Hand am Barett.

Protokoll Wachbataillon Test BER Regierungsterminal Flugbereitschaft BMVg
Die 4. Kompanie des Wachbataillons übt den Abmarsch des Ehrenspaliers am Regierungsterminal. - Foto: Bundeswehr / Zeichenstelle WachBtl BMVg

Die Motorräder der Landespolizei und der Konvoi mit den Fahrzeugen mussten die Wege von Ankunft und Abfahrt sowie die ideale Positionierung beim Halten trainieren. Auch da schleichen sich gerne mal Pannen ein. Ist der Gast Richtung City unterwegs oder hat sich die Tür des Flugzeugs hinter ihm geschlossen, marschiert das Ehrenspalier weg. Harte Arbeit für sämtliche Beteiligte stellen multilaterale Konferenzen dar. Es kommt dann vor, dass die eintreffenden Maschinen bewusst auf eine längere Anfahrtsstrecke auf dem Rollfeld geschickt werden. Das dient dazu, dass sich das Ehrenspalier und die Fahrzeug-Kolonnen neu positionieren können. Nicht selten muss das Ehrenspalier einen Sprint zum Wechsel einlegen. Das längere Rollen wird vom Gast aber eher in Kauf genommen, als ein zähes Warten am Haltepunkt.

Teilnehmer der heutigen Übung zeigten sich durchweg beeindruckt von den guten Ergebnissen. Vieles habe auf Anhieb geklappt. So könne man dem ersten scharfen Einsatz ruhigen Gewissens entgegensehen. Während deutsche Spitzenpolitiker bereits ab 21. Oktober 2020 von BER aus fliegen, wird der erste größere Staatsbesuch für Mitte November erwartet: Prinz Charles und Camilla. Ein würdiger Auftakt - diesmal mit einem echten Monarchen. Schade nur, dass die 5. Kompanie des Wachbataillons (Luftwaffe) beim Testlauf nicht dabei sein konnte. Sie trainieren gerade irgendwo im Grünen ihre infanteristischen Fähigkeiten.

Autor: Matthias Baumann

Samstag, 3. Oktober 2020

Missbrauch findet täglich, überall und mitten unter uns statt.

Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs - kurz UBSKM - hat sich gut auf die bevorstehende Debatte im Bundestag vorbereitet. Gestern präsentierte Johannes-Wilhelm Rörig ein achtseitiges Positionspapier mit jeder Menge Forderungen an das Parlament und die Gesellschaft. Wegen einiger spektakulärer Fälle sei der Fokus zurzeit auf ein höheres Strafmaß verengt. Diesen Blick wolle er bewusst weiten, da das Strafmaß nur einen Teil der Lösung des Problems darstelle.

Es gehe vielmehr um eine breit angelegte Aufklärungsarbeit. Bezugspersonen wie Lehrer, Eltern, Trainer, Mitschüler, Erzieher - möglichst Alle - sollen sensibilisiert werden für Signale, die missbrauchte Kinder an ihre Umwelt aussenden. Auf diesem Wege steige das Entdeckungsrisiko für die Täter. Die Täter setzen sich aus sämtlichen demografischen und sozialen Struktur zusammen. Ihnen ist aber gemein, dass sie ihre Befriedigung aus dem Gefühl der Macht über Schwächere ziehen. Wer solche Ambitionen hegt, will nicht erkannt werden. Öffentlichkeit ist für diese Person schlimmer als eine langjährige Haftstrafe. Das gilt übrigens auch für sämtliche andere Erscheinungsformen des Vertrauens- und Machtmissbrauchs.

Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) Johannes-Wilhelm Rörig stellt das Positionspapier 2020 in der Bundespressekonferenz vor
Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) Johannes-Wilhelm Rörig stellt das Positionspapier 2020 in der Bundespressekonferenz vor (Foto: Archiv 05/2020).

Die internationale Vernetzung von Ermittlern treibt Täter neuerdings stark in die Enge. Das amerikanische System NCMEC (National Center for Missing and Exploited Children) liefert IP-Adressen und andere strafrechtlich verwertbare Daten an Partnerbehörden. Dadurch ist die Aufklärungsrate in Deutschland sprunghaft angestiegen. Das Risiko, entdeckt zu werden, ist also inzwischen sehr hoch.

Die nachhaltigen Folgen des Missbrauchs liegen hauptsächlich im psychischen Bereich: "Viele Betroffene leiden ihr Leben lang unter den Folgen der traumatisierenden Erlebnisse." Das wiederum ziehe Depressionen, Beziehungsunfähigkeit, finanzielle Probleme und andere die Biografie bestimmende Faktoren nach sich. Dessen sind sich vermutlich viele Täter nicht bewusst oder sie ignorieren es einfach.

Als kleines Trostpflaster wurde das Soziale Entschädigungsrecht (SER) eingeführt. Das greife jedoch zu kurz. Deshalb solle das flankierende Ergänzende Hilfesystem (EHS) neu aufgesetzt werden. Wer diese Angebote in Anspruch nehme, sei bereits von komplexen Trauma-Folgestörungen betroffen. Um dem zu begegnen, müsse die psychotherapeutische Versorgung verbessert werden. Auch Trauma-Ambulanzen seien notwendig.

Beratungs- und Hilfsangebote werden bisher generell stiefmütterlich behandelt. Sie verfügen kaum über die finanziellen Mittel, in Kampagnen, Räume und Fachpersonal zu investieren. Dabei geht der UBSKM davon aus, dass den wenigen angezeigten Fällen eine viel größere Dunkelziffer gegenübersteht. Die medienwirksam als "Einzelfall" aufgerollten Vorkommnisse seien nur die Spitze des Eisberges. Der Missbrauch finde "täglich, überall und mitten unter uns" statt. Man müsse ihn nur eben mit einem sensibilisierten Blick erkennen.

Die Bekämpfung des Kindesmissbrauchs sei eine ressortübergreifende Aufgabe, die immer wieder ins Bewusstsein des Parlaments und der Gesellschafft gezerrt werden müsse. Ein passendes Instrument dafür könnte die Berichtspflicht darstellen. Bisher unterliegt der UBSKM keiner wirklichen Kontrolle. Hat er eine Berichtspflicht zu erfüllen, dient das der Selbstreflexion und - viel wichtiger noch - der ständigen Erinnerung der Abgeordneten an dieses virulente Thema.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 1. Oktober 2020

#MSC2021 "Zeitenwende | Wendezeiten" Munich Security Report in Berlin vorgestellt

Unter schweren Sicherheitsvorkehrungen fand heute die Präsentation des Munich Security Reports "Zeitenwende | Wendezeiten" statt. Die Sicherheitsvorkehrungen konzentrierten sich hauptsächlich auf die Anzahl der Teilnehmer, die Abstände der Sitzplätze und das liebevoll gestaltete Ambiente an den Plätzen. So war ein Aufstehen und Herumlaufen während der Veranstaltung nicht nötig: "Händewende | Wendehände" Desinfektion, ein Karton mit dem Lunch zum "Launch of the MSR Special Edition", Notizhefte, Kugelschreiber, Wasserflaschen, Kopfhörer und die Zettel mit Tischnummer und Adressfeld waren in greifbarer Nähe. Die MSC-Mitarbeiter liefen mit Gesichtsmasken und Handschuhen durch den Saal und desinfizierten regelmäßig die Mikrofone und das Rednerpult.

Das war die erste Präsenzveranstaltung der MSC (Münchner Sicherheitskonferenz) seit Corona. Wenige Wochen nach der #MSC2020 in München war der Lockdown durchgesetzt worden. Mitte Februar war in mäßig besuchten Side Events noch über das asiatische Problem Corona gesprochen worden. Kurz darauf hatten wir es selbst.

#MSC2021 - #MSR Munich Security Report "Zeitenwende | Wendezeiten" in Berlin vorgestellt
#MSC2021 - Munich Security Report MSR "Zeitenwende | Wendezeiten" im Deutschen Historischen Museum im Herzen Berlins vorgestellt. Auch wenn die Geschichte in den letzten sechs Jahren eine überhöhte Geschwindigkeit aufgenommen hat, referenzieren der Veranstaltungsort und der Titel des Reports auf 30 Jahre Deutsche Einheit.

Wie schnell sich weltpolitische Tatsachen ändern, zeigte dann auch das Eingangsstatement Wolfgang Ischingers. Er nahm die MSC im Februar 2014 als Markierung und skizzierte, was man damals noch nicht wusste: dass Russland die Krim annektiert, dass 2016 Donald Trump gewählt wird, dass Russland aktiv in Syrien eingreift, dass es den Brexit geben wird, dass Xi Jinping den chinesischen Kommunismus restauriert, dass 2015 die Flüchtlingskrise beginnt. 2014 ist gerade einmal sechs Jahre her. Die Weltpolitik entwickelt sich schneller, als so manch ein Staat inklusive Deutschland damit Schritt halten könnte.

Man müsse sich schnell und konsequent von den bisherigen "Lebenslügen" trennen. Davon, dass die USA schon auf uns aufpassen werden, dass die EU innenpolitisch die gleichen demokratischen Werte vertrete oder dass die westliche Kultur eine dauerhafte Leitkultur sei. Laut einer Umfrage habe es die Bevölkerung schon verstanden, dass wir uns in einem dramatischen Transformationsprozess befinden. Allein die Bundespolitik in Berlin sei noch in einem Stadium der Selbstverliebtheit gegenüber althergebrachten Arbeitsmethoden. Der Bericht "Zeitenwende | Wendezeiten" will die Politik aufrütteln und in eine Phase der Selbstreflexion schicken. Bisher leiste sich die Bundesregierung noch den Luxus eines "unsystematischen und unkoordinierten" Herangehens an globale Herausforderungen.

Diese Punkte wurden auch in der anschließenden Diskussionsrunde bestätigt. Im Zentrum stand weiterhin die Rolle Deutschlands in der Weltpolitik. Robin Niblett, Chef des Chatham House in London, lobte Deutschland für sein Engagement: Wenn Deutschland gebraucht werde, liefert es. Wenn Geld gebraucht werde, zahlt Deutschland. Auch wenn es Flüchtlingsströme zu bewältigen gebe, macht Deutschland einfach. Genau das sei "Leadership". Während Großbritannien durch den Brexit eher mit sich selbst beschäftigt ist, übernehme Deutschland als "Soft Power" Verantwortung.

Diese "Soft Power" gefällt Staaten aus dem Baltikum nur bedingt. So warf Kadri Liik aus Estland ein, dass softe Ansprache mit harter Power untermauert sein müsse. Der softe Umgang mit Russland spiele lediglich Putin in die Hände und mache die mögliche Stärke Europas unglaubwürdig. Estland datiert den Wendepunkt in der Russlandpolitik auf 2011 zurück. Damals war der Umbau auf eine Langzeitregierung Putins eingeleitet worden.

Auch Polen schaut auf Deutschland. Slowomir Debski vom Polnischen Institut für Internationale Angelegenheiten wirkte schon fast wie ein Kaninchen, das der Schlange begegnet, als er vom Abzug der amerikanische Truppen aus Europa redete. Polen braucht einen Ersatzpartner, der nach ihm schaut. Warum Polen dann immer wieder mit verschiedenen Sticheleien gegen Deutschland aufwartet und auch seine 800 neuen Panzer lieber in Südkorea als bei Krauss-Maffei Wegmann in München kaufen möchte, ist angesichts dieser Situation unklar.

Nathalie Tocci aus Rom forderte mehrfach zum Handeln auf. Deutschland übernehme zwar gerne die Kosten, scheue sich aber vor jeglicher Art des Risikos. Es werde über die wichtigen Themen nachgedacht, darüber geredet oder geschrieben. Aber es werde viel zu wenig getan. Deutschland müsse endlich aus seinem Schlaf erwachen. Ja, es gehe nach dem Aufrütteln durch "Zeitenwende | Wendezeiten" darum, dass Deutschland nicht wieder einschläft: "How to avoid falling back to sleep?"

Es ist nun an den etwa 70 Teilnehmern der heutigen Präsentation, diese Gedanken in ihren Netzwerken zu multiplizieren. Das Auswärtige Amt, Gesellschaften für Sicherheits- und Außenpolitik, Botschafter, Analysten, Greenpeace oder die Bundeswehr-Redaktion waren vor Ort und haben jede Menge Denkanstöße sowie Exemplare des 226-seitigen Munich Security Reportes mitgenommen.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 30. September 2020

Serenade zur Verabschiedung des ehemaligen Wehrbeauftragten Dr. Hans-Peter Bartels

Die Verabschiedung des Wehrbeauftragten Dr. Hans-Peter Bartels fand gestern Abend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dabei waren der Präsident des Bundestages, die Ministerin, sämtliche Staatssekretäre und die komplette militärische Führung zur Serenade im Bendlerblock erschienen. Während sich die Gäste auf dem Paradeplatz drängten, waren die Hauptstadtmedien mit Hinweis auf Corona und eine Feier im kleinen Kreise ausgeladen worden.

Serenade zur Verabschiedung des Wehrbeauftragten Bartels
Ellenbogen-Begrüßung zur Verabschiedung des Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels (links) - Foto: Bundeswehr / BMVg

So konnte die Presse nachempfinden, wie sich Hans-Peter Bartels gefühlt haben musste, als er von der eigenen Partei (SPD) gegen eine unerfahrene Frau ausgetauscht wurde. Der Volksmund redet von "abgesägt". Der ebenfalls durch eigene Leute der EKD "abgesägte" Militärbischof hatte Hans-Peter Bartels noch zu seinem Abschiedsgottesdienst in die Julius-Leber-Kaserne eingeladen. Dort bekam er von der Ministerin und den Anwesenden den Applaus, den ihm die eigene Partei verwehrt hatte. Hans-Peter Bartels war beliebt und geschätzt bei der Truppe und der Generalität. Er hatte Missstände in der Bundeswehr ungeschminkt und sachlich in seinen Berichten dargelegt.

Der Generalinspekteur schätzte diese Ehrlichkeit sehr, auch wenn sie gelegentlich geschmerzt hatte. Ehrlichkeit zeichnet ein realistisches Lagebild, welches mit geeigneten Maßnahmen "bereinigt" werden kann. So ermutigt der Generalinspekteur auch immer wieder Rekruten, Teilnehmer der Generalsstabslehrgänge und andere zu Authentizität und Ehrlichkeit. Es ist jedoch zu beobachten, dass je höher die Dienstgrade, umso vorsichtiger der Umgang mit der eigenen Meinung - auch wenn diese durch fachliche Expertise unterfüttert ist. 2018 war beispielsweise der Inspekteur der Luftwaffe, Karl Müllner, vorzeitig in den Ruhestand entlassen worden, weil er sich für den amerikanische F-35 statt für den Eurofighter eingesetzt hatte.

Serenade zur Verabschiedung des Wehrbeauftragten Bartels
Serenade zur Verabschiedung des ehemaligen Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels auf dem Paradeplatz des Bendlerblocks - Foto: Bundeswehr / BMVg

Hans-Peter Bartels ist 59 Jahre alt. Der gebürtige Düsseldorfer absolvierte sein Studium in Kiel und wurde ein Wahl-Schleswig-Holsteiner. Das gipfelte letztlich in einer Heirat der Kieler Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke. Kein Wunder also, dass als erstes Wunschstück der Serenade "Gruß an Kiel" von Friedrich Spohr auf dem Programm stand. Passend zum Ort seines Wirkens als Wehrbeauftragter wurde anschließend "Berliner Luft" von Paul Lincke gespielt. Er bleib geografisch, so dass als drittes Stück die Europahymne erklang.

Das Stabsmusikkorps war als Protokollaufstellung mit Spielmannszug erschienen. Dieser konnte die "Berliner Luft" mit einer "Locke" einleiten. Die Musiker hatten diesmal auch keine Notenpulte im Einsatz, sondern höchstens Marschgabeln, falls jemand die Stücke nicht auswendig spielen konnte. Flankiert wurde das Musikkorps durch 30 Fackelträger des Wachbataillons. Eine würdige Veranstaltung zum Abschied von einem kompetenten und ehrlichen Freund der Bundeswehr.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 23. September 2020

Olaf Scholz stellt den Bundeshaushalt 2021 vor

Zwei dünne A4-Blätter wurden den Anwesenden in die Hand gedrückt: eine Zusammenfassung des Bundeshaushalts für 2021. Der Haushalt beläuft sich auf 413,4 Milliarden Euro und umfasst in der vollständigen Textversion 3.295 Seiten. Darin geht es ans Eingemachte und so stark ins Detail, dass eine mundgerechte Kürzung auf zwei Seiten tatsächlich sinnvoll ist. Wer wissen will, welche Beträge für Dienstreisen, Büromaterial, Insolvenzausgleich Thomas Cook, selbst verschuldete Kfz-Schäden und so weiter vorgesehen sind, muss sich in die 3.295 Seiten vertiefen und idealerweise die Suchfunktion seiner PDF-Software nutzen.

Finanzminister Scholz stellte sich in der heutigen Pressekonferenz immer wieder als Kanzlerkandidat der SPD dar. Sämtliche Fragen beantwortete er mit einem ergänzenden Hinweis auf die Sozialpolitik seiner Partei. Die beste Formulierung präsentierte er auf die Frage, wer denn das alles bezahlen solle: Demnach werde sich ein SPD-geführtes Finanzressort dafür einsetzen, dass es "Mehreinnahmen durch die Bekämpfung von Steuervermeidungsstrategien" geben werde. Klarer wollte er es nicht ausdrücken.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz stellt den Bundeshaushalt 2021 in der Bundespressekonferenz vor
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (Dritter von links) stellt den Bundeshaushalt 2021 in der Bundespressekonferenz vor.

Das erinnert an das Gesetz zum Lastenausgleich von 1952. Damals wurden Personen mit besonders hohen Vermögenswerten wie Immobilien, Hypothekengewinnen oder Kapitalmarktgewinnen zur Abgabe von bis zu 50% ihres Vermögens verpflichtet. Damit "die Kuh, die man melkt, nicht gleich geschlachtet wird", wurden diese 50% in 120 Raten auf 30 Jahre verteilt. Wer also zum Stichtag (21.06.1948) beispielsweise ein Vermögen von 240 Millionen D-Mark besaß, musste ab 1952 jeweils eine Million im Vierteljahr ans Finanzamt überweisen. Nach 30 Jahren waren dann die 120 Millionen weg. Auf diese Weise kamen bis 1982 rund 115 Milliarden D-Mark zusammen. Das entspricht umgerechnet etwa 60 Milliarden Euro.

Der Minister machte auch deutlich, dass die Füllhörner des Konjunkturpaketes nicht zum Ansparen und späteren Investieren gedacht seien, sondern zum sofortigen Ausgeben. Wer also längerfristig plant, dürfe sich nicht wundern, wenn er später nichts mehr bekommt. Das Konjunkturpaket soll einen schnellen aber nachhaltigen "Wumms" erzeugen. Eine leistungsfähige Volkswirtschaft mit einer leistungsfähigen Infrastruktur könnten die Belastung durch Corona schnell wieder ausgleichen. Der "Wumms" ist übrigens auch in den SPD-Wahlkampf eingeflossen. Nutzt man dieses Wort im Gespräch mit Bekannten und Verwandten, blickt man in fragende Gesichter: "Wumms? Noch nie gehört."

Die 413,4 Milliarden Euro des Bundeshaushalts sind auf die verschiedenen Ressorts aufgeteilt. Der Verteidigungshaushalt wurde wieder leicht angehoben und rangiert nun bei 45,6 Milliarden Euro. Olaf Scholz bezeichnete den Finanzplan als Untergrenze, die jedes Mal durch die Realitäten nach oben korrigiert würde. So ist jetzt schon von 1,2 Milliarden Euro aus dem Konjunkturprogramm und 3,7 Milliarden Euro für vorgezogene Investitionen die Rede. Auch stehe die Bundesregierung finanziell hinter den Auslandseinsätzen der Bundeswehr und den Verpflichtungen gegenüber der NATO. Man wolle die "verabredeten Fähigkeitsziele erreichen", die innereuropäische Rüstungskooperation stärken und neues Gerät anschaffen.

Der Haushalt stellt aber auch üppige Beträge für die nationale Wasserstoffstrategie, innovativen Fahrzeugbau, Kommunikationstechnologien als Gegenpart zu 5G, Künstliche Intelligenz, Quantentechnologie oder den Krankenhaus-Zukunftsfonds bereit. 19 Milliarden Euro gehen in internationale Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit und 5 Milliarden Euro in den Gesundheitsfonds unter der Überschrift "Stärkung des sozialen Zusammenhalts".

Zur Finanzierung des Haushaltes werden neben "Mehreinnahmen durch die Bekämpfung von Steuervermeidungsstrategien" auch andere altbewährte Einnahmequellen angezapft: Autofahrer und industrielle Verbraucher unterliegen ab 2021 einer erhöhten CO2-Bepreisung. Wie sich die steuerlichen Vorstellungen und Maßnahmen von Olaf Scholz in Wählerstimmen umsetzen lassen, wird der September 2021 zeigen.

Autor: Matthias Baumann

Alles positiv: die Entwicklung der Corona Warn App

"Wo haben Sie die denn her?", fragte Steffen Seibert einen Journalisten am Fuß der Treppe zum großen Saal der Bundespressekonferenz. Der Gefragte trug eine weiße Maske mit dem Logo der CWA (Corona Warn App). Er habe sie in einem Supermarkt für 14,95 Euro gekauft. Oben im Saal war es voll. Und nicht nur das - die Zeit wurde so stark überzogen, dass Ministeriumssprecher und Redakteure schon einmal ihre Fragen im bilateralen Geplauder klären konnten.

Im Saal saßen unter anderem Gesundheitsminister Jens Spahn, Digitalministerin Dorothee Bär, Tim Höttges von der Telekom und Jürgen Müller von SAP. Es waren wieder die Großen der IT-Branche, die mit der Entwicklung der CWA betraut worden waren. SAP als Softwarefirma und die Telekom als Infrastrukturgeber.

#COVID19 CWA Corona Warn App
#COVID19 - Statistiken zur CWA Corona Warn App in einer Pressekonferenz vorgestellt

Die Statistiken zeigen, dass es sich auf der ganzen Linie positiv entwickelt: die Downloads der App, die übermittelten Testergebnisse, die gemeldeten Corona-Fälle und die positiv Getesteten. Die App wurde über 18 Millionen Mal heruntergeladen. Damit nutzt zurzeit jeder vierte Bundesbürger die CAW. Seit Mitte August gibt es eine erhebliche Steigerung der gemeldeten Fälle. Das könnte einerseits an den Urlaubsheimkehrern liegen, aber auch an der breiten Akzeptanz und Nutzung der App.

90% der Labore haben sich aktiv in die Fütterung der Datenbank eingeklinkt: Von 6,6 Millionen Tests wurden schon eine Million Ergebnisse in die App eingespeist. Labore in die Datenerhebung einzubinden ist clever, immerhin sehen sie die Ergebnisse zuerst und können die Meldungen in ihre täglichen Arbeitsabläufe integrieren.

Die Weiterleitung der Testergebnisse erfolgt über QR-Codes oder TeleTANs. Dabei erfreuen sich die QR-Codes einer so geringen Beliebtheit, dass sie nur 29% Rücklauf erzeugen. Die TeleTAN jedoch motiviert zu einer Mitteilungsrate von 93%. Mehr als die Hälfte (57%) der positiv Getesteten teilen ihren Status mit der Community und lösen damit Warnungen aus.

Die Anzahl der Warnungen kann nicht ermittelt werden. Das liegt an der dezentralen Speicherung der Daten. Dass letztlich eine dezentrale Speicherung umgesetzt wurde, liegt wohl auch an den penetranten Nachfragen von Journalisten in der Regierungspressekonferenz.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 16. September 2020

Botschafter von Belgien, Kirgisistan, Panama und Malta bei Bundespräsident Steinmeier akkreditiert

Da diesem Punkt eine regelmäßige Wichtigkeit beigemessen wird, sei vorab erwähnt, dass die Frauenquote der heutigen Botschafter-Akkreditierung im Schloss Bellevue bei null Prozent lag. Umso diverser waren die Herkunftsländer der Exzellenzen über den Globus verteilt. Hier die Reihenfolge ihres Erscheinens:

Botschafter des Königreichs Belgien, Geert Muylle
Botschafter der Kirgisischen Republik, Erlan Bekeshovich Abdyldaev
Botschafter der Republik Panama, Enrique Alberto Thayer Hausz
Botschafter der Republik Malta, Giovanni Xuereb


Botschafter des Königreichs Belgien, Geert Muylle, akkreditiert
Botschafter des Königreichs Belgien, Geert Muylle, akkreditiert
Belgien hat über 11 Millionen Einwohner, knapp 95.000 Corona-Fälle und fast 10.000 Corona-Tote. Damit hat rein statistisch einer von hundert Corona-Toten in Belgien gelebt. Im Vergleich zu Deutschland ist das sehr viel. In Deutschland gibt es auf 80 Millionen Einwohner "nur" 9.400 Corona-Tote.

Botschafter des Königreichs Belgien, Geert Muylle, akkreditiert
Botschafter des Königreichs Belgien, Geert Muylle, akkreditiert - Flagge von Belgien
Der neune belgische Botschafter, Geert Muylle, tritt die Nachfolge von Willem Van de Voorde an. Dieser geht zurück in seine Heimat - nach Brüssel - und vertritt dort sein Land bei der EU. Geert Muylle hat ein bemerkenswertes Querschnittsstudium absolviert: Jura, Politik, Management und Diplomatie. Nach dem Studium arbeitete er als Rechtsanwalt und stieg anschließend in den Dienst für sein Außenministerium ein. Das brachte ihn in verschiedenen Funktionen nach Warschau, Lille, Genf und zu den Vereinten Nationen. Auch am Sitz der NATO und bei der EU war er für sein Land tätig. Diese Karriere prädestiniert ihn für die wichtige Aufgabe als Botschafter in Berlin. Geert Muylle ist Europäer durch und durch.

Botschafter der Kirgisischen Republik, Erlan Bekeshovich Abdyldaev, akkreditiert
Botschafter der Kirgisischen Republik, Erlan Bekeshovich Abdyldaev, akkreditiert
Kirgisistan hat knapp 6 Millionen Einwohner, 45.000 Corona-Fälle und etwa 1.000 Corona-Tote. Der Höchststand an Infektionen wurde Mitte Juli 2020 gemessen. Das Land liegt wie ein Sandwich zwischen Kasachstan und China. Es hat gewachsene Beziehungen zu Russland und hängt in vielerlei Hinsicht an dessen Tropf. Kirgisistan öffnet sich jedoch leicht in Richtung Westen und nimmt beispielsweise an internationalen Einsätzen der OSZE und der UNO teil. Das Land liebäugelt aber auch mit Indien, das ihm bei der Finanzierung seiner Rüstungsindustrie helfen möchte.

Botschafter der Kirgisischen Republik, Erlan Bekeshovich Abdyldaev, akkreditiert
Botschafter der Kirgisischen Republik, Erlan Bekeshovich Abdyldaev, akkreditiert - Flagge von Kirgisistan
Botschafter Erlan Bekeshovich Abdyldaev ist jetzt 54 Jahre alt und hat eine mustergültige sowjetische Karriere hinter sich. 1989 - also kurz vor der Auflösung der Sowjetunion - konnte er sein Studium am Institut für internationale Beziehungen in Moskau abschließen. Danach arbeitete er an den Botschaften in Moskau und Peking. Zeitweilig vertrat er sein Land auch gegenüber der Mongolei, Singapur und Thailand. Jetzt ist er in Berlin. Die Botschaft Kirgisistans befindet sich in der Nähe von Schloss Charlottenburg, also keine fünf Kilometer vom Schloss Bellevue entfernt.

Botschafter der Republik Panama, Enrique Alberto Thayer Hausz, akkreditiert
Botschafter der Republik Panama, Enrique Alberto Thayer Hausz, akkreditiert
Wer von Kirgisistan nach Panama reisen möchte, muss sich entscheiden, ob er Richtung Osten oder Richtung Westen um den Globus fliegt. Über Europa und den Atlantik sind es etwa 14.000 Kilometer. Panama ist insbesondere wegen seines Kanals zwischen Atlantik und Pazifik bekannt. Dieser wurde in den letzten Jahren deutlich erweitert, weil die Schiffe immer größer werden. Panama bangt um sein Kanalmonopol und hofft, dass China keinen Kanal in Nicaragua baut. Das hätte zur Folge, dass Schiffe auf der Nordhalbkugel etwa 1.000 Kilometer Seeweg sparen. Das wäre für die Nutzer schon sehr interessant.

Botschafter der Republik Panama, Enrique Alberto Thayer Hausz, akkreditiert
Botschafter der Republik Panama, Enrique Alberto Thayer Hausz, akkreditiert - Flagge von Panama
Botschafter Enrique Alberto Thayer Hausz vertritt mit Panama ein Land, das knapp vier Millionen Einwohner und über 2.000 Todesfälle durch Corona hat. In Panama stieg die Zahl der Infektionen Ende Mai 2020 stark an und rangiert in Relation zur Bevölkerungsanzahl auf einem gleichbleibend hohen Niveau.

Botschafter der Republik Malta, Giovanni Xuereb, akkreditiert
Botschafter der Republik Malta, Giovanni Xuereb, akkreditiert
Die Botschafterin von Malta, Marlene Bonnici, hatte es nur zwei Wochen in Berlin ausgehalten und war dann zur EU nach Brüssel gegangen. Deshalb wurde heute - drei Monate später - Giovanni Xuereb als Nachfolger akkreditiert. Giovanni Xuereb war zuvor als Botschafter in Spanien tätig. Die eineinhalb Kilometer zwischen Schloss Bellevue und der Botschaft hätte er theoretisch auch zu Fuß absolvieren können. Das Protokoll mag aber keine Abweichungen, so dass er sich zuerst zum Hotel Adlon am Pariser Platz begeben musste. Dort wurde er abgeholt, zum Schloss gefahren und anschließend wieder dort abgesetzt. Von dort sind es etwa drei Kilometer bis zur Botschaft. Diese befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft der CDU-Geschäftsstelle.

Botschafter der Republik Malta, Giovanni Xuereb, akkreditiert
Botschafter der Republik Malta, Giovanni Xuereb, akkreditiert - Flagge von Malta
Malta hat 450.000 Einwohner und nur 16 Corona-Tote. Während Malta von der ersten Welle weitestgehend verschont geblieben war, zeichnet sich seit Ende Juli 2020 ein deutlicher Anstieg ab. Das könnte an der Urlaubssaison liegen.

Autor: Matthias Baumann

Videos:
Botschafter des Königreichs Belgien, Geert Muylle, akkreditiert
Botschafter der Kirgisischen Republik, Erlan Bekeshovich Abdyldaev, akkreditiert
Botschafter der Republik Panama, Enrique Alberto Thayer Hausz, akkreditiert
Botschafter der Republik Malta, Giovanni Xuereb, akkreditiert

Montag, 14. September 2020

EU-China-Gipfel und das neue europäische Selbstbewusstsein

Stimmlage und Wortwahl ließen darauf schließen, dass der heutige EU-China-Gipfel auf Augenhöhe verlaufen sein muss. Das mehrfach angemahnte Selbstbewusstsein Europas scheint nun auch von den Spitzenakteuren verinnerlicht worden zu sein. An dem seit 2018 vorbereiteten Treffen nahmen Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission, Bundeskanzlerin Angela Merkel und der chinesische Präsident Xi Jingping teil - virtuell natürlich, wegen Corona.

Die Agenda war lang und umfasste "das gesamte Spektrum" von Wirtschaft über Menschenrechte bis hin zum Klima. Iterativ - also wiederholt - habe man auf die Rechte von Minderheiten hingewiesen. Man habe über Tibet, Hongkong, Taiwan und die Situation im Südchinesischen Meer geredet und die eigene Sicht dargelegt. Xi Jingping habe seine Sicht dagegengehalten. Wahrnehmung, Bewertung und Argumentation seien sehr unterschiedlich und laufen so aneinander vorbei, wie es ein amerikanisches Sprichwort beschreibt: "Zwei Schiffe begegnen sich in der Nacht." Zumindest habe Xi Jingping angeboten, dass internationale Beobachter in bestimmte Konfliktregionen reisen dürfen.

EU-China-Gipfel 14. September 2020 Pressekonferenz
Pressekonferenz im Bundeskanzleramt zum virtuellen EU-China-Gipfel am 14. September 2020
Die beiden Frauen und Charles Michel machten Chinas Präsidenten klar, dass Beziehungen mit Europa nur auf Augenhöhe funktionieren. Es müsse fair gespielt werden. Die EU sei kein Spielfeld, sondern Mitspieler. China ist ein ernst zu nehmender Wettbewerber, der die EU jedoch zur Interaktion benötigt. So war in der Pressekonferenz mehrfach das Wort Reziprozität zu hören. Reziprozität könnte auch mit dem Neudeutschen Win-Win übersetzt werden oder mit einem auf Gegenseitigkeit beruhenden Geschäftsgebaren.

In der chinesischen Wirtschaft ist der Staat allgegenwärtig und will möglichst überall reinschauen und mitregieren. Das trifft auch internationale Unternehmen. Deshalb war ein zentraler Punkt der heutigen Verhandlungen das Voranbringen eines Abkommens für den Investitionsschutz. Politischer Wille sei auf beiden Seiten vorhanden, nur gestalten sich einzelne Abstimmungen sehr zäh. Während man bei Transparenz und anderen Themen gut vorangekommen sei, stocke es aktuell noch beim Marktzugang (market access). Mit einer gewissen Schärfe in der Stimme bemerkte Ursula von der Leyen: "China muss uns überzeugen, dass es eines Investitionsschutzabkommens wert ist." Die EU-Vertreter machten aber auch deutlich, dass es nicht um Geschwindigkeit, sondern um brauchbare Ergebnisse gehe.

Übrigens entfallen 50% des weltweiten Kohleverbrauchs auf China. Das Land erarbeitet gerade ein Emissionshandelssystem, das wohl auch für die EU von Interesse ist. Gemeinsam wolle man jedoch an einer Umstellung auf erneuerbare Energien und der Reduzierung der CO2-Belastung arbeiten.

Die Vertreter der EU zeigten sich zufrieden mit den Ergebnissen des heutigen Gipfels. Das Format soll fortgesetzt werden - dann aber hoffentlich als Präsenztreffen ohne Corona-Einschränkungen.

Autor: Matthias Baumann

Samstag, 12. September 2020

Indo-Pazifik-Leitlinien und die maritime Präsenz Deutschlands in Südostasien

Mitte Juli führte das IISS (International Institute for Strategic Studies) eine Webkonferenz mit dem amerikanischen Verteidigungsminister Mark T. Esper durch. Interessierte Teilnehmer konnten Fragen stellen und sich über die neuesten sicherheitspolitischen Vorhaben der USA im indo-pazifischen Raum informieren. Mark T. Esper und sein Kollege Pompeo (Außenminister) haben seit vielen Monaten ein zentrales Thema: China. Das Feindbild China treibt zuweilen so viel Adrenalin in die amerikanische Politik, dass der damit verbundene Tunnelblick regelmäßig alte Partner und andere Weltregionen ausblendet. Die Webkonferenz fand jedoch in einer entspannten Atmosphäre statt, so dass die gesamte Region des Indo-Pazifik wahrgenommen wurde. Der Minister skizzierte drei Säulen als Grundlage amerikanischer Indo-Pazifik-Politik:

  • Vorbereitet sein
  • Partnerschaften ausbauen
  • Partner miteinander vernetzen

Vorbereitet sind die USA bereits durch ein massives Aufkommen von Kriegsschiffen in der Nähe des Südchinesischen Meeres. Diese nehmen regelmäßig an Übungen teil und zeigen Präsenz. "Show of Force" (Gewalt zeigen) nennt sich solch eine Präsenz, die eher zur Abschreckung als zum eigentlichen Eingriff dienen soll. Die Aktivitäten Chinas im Südchinesischen Meer beunruhigen Staaten wie Vietnam, die Philippinen, Malaysia, Indonesien, Taiwan und auch Japan. China baut dort konsequent Inseln zu Militärstützpunkten aus. Damit erhöht es die Reichweite seiner Waffensysteme und die Präsenz in Gewässern, die auch von anderen Nationen zu Fischereizwecken genutzt werden.

Indo-Pazifik-Leitlinien und die maritime Präsenz Deutschlands in Südostasien
Indo-Pazifik-Leitlinien durch das Bundeskabinett verabschiedet - Es geht um offene Seewege, offene Märkte und Freihandel. Wer fängt wen im Indo-Pazifik?

China redet offen über seine Ziele. Man muss nur zuhören. So will China spätestens 2049 wieder Kriege gewinnen. Damit wird China zu einem Problem, das nicht nur die USA betrifft. Deshalb war die Liste der möglichen Partner Amerikas sehr lang. Mark T. Esper wurde gar nicht mehr fertig mit seiner Aufzählung, die von Japan bis Singapur reichte. Um bilaterale Beziehungen zwischen den USA und diesen Partnern auch als tragfähiges Netz zu etablieren, werden auch die Verflechtungen untereinander gefördert. Im Interesse gegenüber China verschwinden dabei Grenzen von Religionen und Wirtschaftssystemen. Plötzlich sitzen Buddhisten, Hinduisten, Moslems, Christen, Kommunisten, Sozialisten und westlich geprägte Demokratien in einem Boot.

Am 2. September 2020 - also eineinhalb Monate später - verabschiedete das Bundeskabinett seine eigenen Indo-Pazifik-Leitlinien. Diese ähneln den amerikanischen Anliegen durchaus. Mit China geht man allerding in der Formulierung etwas gemäßigter um. Dennoch zeigt sich die Bundesregierung besorgt über die Wahrung deutscher Interessen in der Region. Zu nennen wären hier: Frieden, Sicherheit, offene Seewege, offene Märkte, Freihandel und Umweltschutz. Diese Interessen sollen unter Beachtung folgender Regeln durchgesetzt werden: Handeln im Verbund der EU, Multilateralismus, regelbasierte Ordnung, Menschenrechte, Einbeziehung regionaler Akteure sowie Partnerschaft auf Augenhöhe.

Die regionalen Partner entsprechen in etwa der Aufzählung von Mark T. Esper. Dennoch wolle die Bundesregierung gemäß eines Sprechers des Auswärtigen Amtes mit allen Partnern gleichermaßen kooperieren. Das beziehe zwar die USA als Pazifikstaat ein, gewähre ihr jedoch keine bestimmende Rolle.

Indo-Pazifik-Leitlinien und die maritime Präsenz Deutschlands in Südostasien
Indo-Pazifik-Leitlinien durch das Bundeskabinett verabschiedet - Deutschlands Marine auf dem Weg nach Asien?

Interessant ist in den Indo-Pazifik-Leitlinien das mehrfache Vorkommen der "maritimen Präsenz". Die "maritime Präsenz" ist militärisch zu verstehen. Sie soll bei der Bekämpfung der Piraterie, beim Abschneiden von Bewegungsrouten des internationalen Terrorismus, zur Sicherung offener Seewege und für Seemanöver dienen. Dass der Indo-Pazifik für das Verteidigungsministerium ein ernstes Thema ist, zeigt sich daran, dass sich die Ministerin am Donnerstag mit Botschaftern der ASEAN-Staaten getroffen hat. Dabei betonte sie den maßgeblichen Einfluss ihres Ministeriums auf die Verfassung der Indo-Pazifik-Leitlinien.

Das sportliche Anbieten maritimer Präsenz veranlasste zur Nachfrage, bis wann denn die Marine in der Lage wäre, solch eine Aufgabe personell und materiell zu leisten. Die Marine ist mit ihren knapp 16.000 Soldaten immerhin die kleinste Teilstreitkraft in Deutschland. Die Marine verfügte 2019 über sechs U-Boote, sieben Fregatten und acht Zerstörer. Wenn Frankreich als Partner mitzieht, würden 35.000 Soldaten, neun U-Boote, ein Flugzeugträger, elf Zerstörer und elf Fregatten dazukommen. Das sind Zahlen, deren Vergleich mit China der Volksmund mit dem Attribut "nett" belegen könnte. China hat 250.000 Marinesoldaten, 59 U-Boote, einen Flugzeugträger, 28 Zerstörer und 52 Fregatten.

Man kann also gespannt sein, wie sich das gegenseitige "Show of Force" noch entwickelt. Dass deutsche Schiffe so bald ins Südchinesische Meer aufbrechen, sei laut Verteidigungsministerium nicht zu erwarten. Bis dahin könne man in Ruhe die notwendigen Fähigkeiten aufbauen. Letztlich müsse die Mandatierung eines solchen Einsatzes trotz der verabschiedeten Leitlinien noch durch die parlamentarischen Instanzen laufen.

Autor: Matthias Baumann

Freitag, 11. September 2020

Kroatiens Präsident Zoran Milanović zu Gesprächen im Schloss Bellevue empfangen

Vor zwei Wochen war der slowenische Präsident Borut Pahor zu Besuch im Schloss Bellevue. Der südliche Nachbar von Slowenien ist Kroatien. Durch seine sehr spezielle Ausdehnung in südlicher Richtung trennt Kroatien das große Bosnien-Herzegowina fast vollständig von der Adria. Deshalb machen Touristen aus Deutschland eher Urlaub in Kroatien als in Bosnien-Herzegowina.

Kroatiens Präsident Zoran Milanović Schloss Bellevue Bundespräsident Steinmeier militärische Ehren
Kroatiens Präsident Zoran Milanović wird mit einem neuen Maybach zum Schloss Bellevue gefahren.
Kroatien hat 4 Millionen Einwohner und eine Wirtschaftsleistung von etwa 15.000 USD pro Kopf. Das Land ist seit 2009 Mitglied der NATO und bringt sich dort nach Maßgabe seiner Möglichkeiten ein. Es hat allerdings erheblichen Modernisierungsbedarf und ist mit regionalen Sicherungsthemen beschäftigt. Mitglied der EU ist Kroatien seit 2013. Es gehört jedoch nicht zu den Euro-Staaten. Ein Währungswechsel auf Euro wird nach aktuellen Prognosen für 2023 erwartet.

Der heutige Gast aus Kroatien heißt Zoran Milanović. Er hat Jura studiert und wird demnächst 54 Jahre alt. Seine politische Richtung passt zu Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: Sozialdemokrat. Von 2011 bis 2016 war er Premierminister seines Landes. Die Tätigkeit als Präsident nahm er am 18. Februar 2020 auf.

Kroatiens Präsident Zoran Milanović Schloss Bellevue Bundespräsident Steinmeier militärische Ehren
Erste militärische Ehren seit sieben Monaten unter Beachtung der Corona-Auflagen anlässlich des Besuchs von Kroatiens Präsident Zoran Milanović im Schloss Bellevue - Das standesgerechte Ehrenbataillon wurde aus Stabsmusikkorps und der 5. Kompanie (Luftwaffe) des Wachbataillons zusammengestellt.
Das Datum seiner Amtsübernahme ist insofern interessant, weil einen Tag später die letzten militärischen Ehren seitens des Wachbataillons durchgeführt wurden. Dann folgte der Lockdown und die sämtlichen Hygiene-Regelungen. Inzwischen sind sieben Monate vergangen. Heute wurden die ersten militärischen Ehren seit Corona für einen Staatsgast durchgeführt.

Das Wachbataillon hatte entsprechend der Position des Gastes ein Ehrenbataillon darzustellen. Das wurde diesmal in Kombination von 5. Kompanie (Luftwaffe) und dem Stabsmusikkorps bewerkstelligt. Dabei trugen 18 Soldaten ihre eigenen Luftwaffenuniformen, weitere 18 Soldaten trugen Marineuniform und das Stabsmusikkorps stellte das Heer dar.

70 Minuten vor Erscheinen des Gastes marschierte die Ehrenformation mit Tromelschlag auf das Gelände des Präsidialamtes. Mit Trommelschlag positionierten sich die Soldaten kurz vor zehn am roten Teppich - aufgefächert mit jeweils zwei Metern Abstand zueinander. Musik mit weiteren Instrumenten durfte wegen der Corona-Regeln erst in Anwesenheit des Gastes erklingen: Nationalhymne Kroatien, Nationalhymne Deutschland und Preußischer Präsentiermarsch.

Kroatiens Präsident Zoran Milanović Schloss Bellevue Bundespräsident Steinmeier militärische Ehren
Erste militärische Ehren seit sieben Monaten unter Beachtung der Corona-Auflagen anlässlich des Besuchs von Kroatiens Präsident Zoran Milanović im Schloss Bellevue - Foto: Bundeswehr / Zeichenstelle WachBtl BMVg
Der rote Teppich hatte einen entsprechenden Abstand zu den Soldaten und die beiden Präsidenten setzten zum Abschreiten der Formation ihre Gesichtsmasken auf. Der Kommandeur, der schon aus akustischen Gründen ohne Maske die Kommandos geben musste, folgte dem Beispiel der Präsidenten und schritt mit Maske hinter ihnen her. Anschließend zeigte sich der Kommandeur, Oberstleutnant Kai Beinke, sehr zufrieden über den ersten Einsatz dieser Art nach der langen Pause. Auch der Ausmarsch klappte sehr gut. Dort gab es die Herausforderung, die aufgefächerten Soldaten wieder in die notwendige Marschposition zu bringen.

Video:
Militärische Ehren für Kroatiens Präsident Zoran Milanović

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 9. September 2020

Anwälte des Bürgers: Petitionsausschuss legt Bericht für 2019 vor

Die Mitglieder des Petitionsausschusses verstehen sich als Anwälte des Bürgers. Die Mitgliedschaft im Ausschuss geht quer durch die Parteienlandschaft: Schwarz, Grün, Gelb, Blau und verschiedene Rottöne sind in einer ausgewogenen Anzahl vertreten. Die Zusammenarbeit im Team kann als konstruktiv und engagiert beschrieben werden. Auch wenn sie vom Parlament eingesetzt sind, fühlen sie sich doch eher dem Bürger als den Kollegen verpflichtet.

Dass Anwälte nicht immer gern gesehen sind, zeigt sich schon darin, dass der Petitionsausschuss keinen eigenen Raum hat. Er muss sich immer vor neun Uhr in einem der Ausschussräume treffen - bevor die anderen Ausschüsse ihre stundenlangen Sitzungen abhalten. Davon lässt sich der Petitionsausschuss nicht entmutigen. Während des Lockdowns hat er lediglich eine Sitzung ausfallen lassen.

Petitionsausschuss des Bundestages legt Bericht für 2019 vor
Petitionsausschuss des Bundestages legt seinen Bericht für 2019 vor.
Das Arbeitspensum ist hoch: 2019 wurden 13.529 Petitionen eingereicht. Davon wurden 2.055 Petitionen (15%) aussortiert, weil sie keinen Absender enthielten, zur reinen Meinungsäußerung dienten oder beleidigend abgefasst waren. 4.304 Petitionen konnten auf kurzem Wege durch Beratung oder Weitergabe an regionale Stellen geklärt werden. Die übrigen Petitionen fanden ihren Weg in den Bundestag, das EU-Parlament oder andere zuständige Einrichtungen.

Im Zeitalter der Digitalisierung sollte man kaum glauben, dass ein Großteil der Anliegen per handgeschriebenem Brief übermittelt werden. Nur 36% wurden über das Online-Formular eingereicht. Mehr als die Hälfte der Themen war sehr persönlich: Stress mit dem Jobcenter, Familienzusammenführung, Visaangelegenheiten, Bearbeitungszeit von Anträgen und ähnliches. Spitzenreiter der Zuständigkeit waren das Innenministerium, das Ministerium für Arbeit und Soziales, das Gesundheitsministerium und das Justizministerium.2/3 der Antragsteller waren männlich. 25% waren Frauen und der Rest teilt sich auf Organisationen, Unternehmen, Parteien und sonstige Sammelpetitionen auf.

Auch wenn der Ausschuss immer wieder entsprechende Experten, Staatssekretäre und Mitglieder des Bundestages an einen Tisch bekommt, gibt es noch Luft nach oben. So wurde in der heutigen Pressekonferenz beklagt, dass sich die Zusammenarbeit mit Ministerien zuweilen schwierig gestaltet. Es geht dabei um die üblichen Dämpfungsfaktoren: Zuständigkeit, Bearbeitungszeit und Desinteresse.

Es ist übrigens ein Irrtum, dass nur gut finanzierte und mit vielen Unterschriften versehene Petitionen den Weg in den Bundestag und die Gesetzgebung schaffen. Der Petitionsausschuss nimmt jedes eingereichte Anliegen ernst. Wie zum Beispiel den Wunsch, das Teamspiel "Lasertag" für Kinder und Jugendliche zu öffnen. "Lasertag" ist die schmerzlose Variante von "Paintball". Es gab aber auch wieder diverse Themen von allgemeinem Interesse, so wie den Dauerbrenner Tempo 130 auf Autobahnen, die Abschaffung der Zeitumstellung oder der Wunsch nach härterem Vorgehen gegen straffällige Migranten und kriminelle Clans.

Ein weiterer Mythos rankt sich um die Veröffentlichung von Petitionen. Dafür gibt es gewisse Regeln. Wenn also ein Anliegen bereits parlamentarisch beraten wird, der Datenschutz eine wichtige Rolle spielt oder eine gleiche Petition vorliegt, kann von einer Veröffentlichung abgesehen werden. Ob eine Veröffentlichung stattfindet oder nicht, spielt für die inhaltliche Bearbeitung und die Gleichbehandlung keine Rolle.

Der Ausschuss hält sich zudem an eine Regel, die schon vor 2.000 Jahren in der Bibel fixiert wurde (Matthäus 7, 7), dass nämlich Vielschreiber durch ihr Vielschreiben kein gesteigertes Gehör finden. Vielschreiber sind Personen, die regelmäßig seitenlange Ausführungen einreichen. Mit diesem Wust an Schreiben wird ganz einfach umgegangen: Er wird in eine Petition zusammengefasst.

Das Recht auf Petitionen ist im Artikel 17 des Grundgesetzes geregelt. Über eine Petition kann demnach jeder Bürger in direkten Kontakt mit der Regierung treten. Der Petitionsausschuss ist so begeistert von seiner Funktion, dass er das auch als "missionarischen" Auftrag zur Stärkung anderer Demokratien ansieht. Deshalb werden regelmäßig Reisen ins Ausland durchgeführt. 2019 standen Libanon, Türkei, Tunesien, Marokko, Äthiopien und Ruanda auf dem Programm. Durch solche Reisen konnte erreicht werden, dass auch Großbritannien und die Mongolei einen Petitionsausschuss eingerichtet haben. Sie dienen aber auch zum Erfahrungsaustausch und der Beratung mit internationalen Partnern. Einige Regierungen haben Angst vor Petitionen. Die Ausschussmitglieder helfen, diese Angst zu zerstreuen.

Mehrfach wurde in der Pressekonferenz der Wunsch geäußert, dass Bürger mutig und zahlreich Gebrauch von ihrem Recht auf Petition machen sollten. Am besten jedoch per Online-Formular, weil das die Bearbeitungsprozesse deutlich beschleunigt.

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 8. September 2020

Neue Weltordnung? Neue Partner? Partner-Atlas der Konrad-Adenauer-Stiftung veröffentlicht

Der Begriff der Neuen Weltordnung ist längst nicht mehr exklusiv für Verschwörungstheoretiker gepachtet. Die Neue Weltordnung kommt langsam aber sicher auf uns zu. So waren sich die Panelisten heute in der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) einig darüber, dass wir uns momentan in einer Zwischenphase befinden: der Übergang von der alten regelbasierten und vom Westen dominierten Weltordnung in eine Neue Weltordnung mit schemenhaft erkennbaren Strukturen diktatorischer Systeme.

Dabei ähnelt die Wahl der Mittel zur Herbeiführung dieser Ordnung eher den Gepflogenheiten des 19. Jahrhunderts. Damals wurden neue Machtverhältnisse auf militärischem Wege durchgesetzt. Heute werden die neuen Positionen unter Nutzung aller zur Verfügung stehenden Mittel ausgefochten - inklusive der modernen Informationstechnologien. Die Art und Weise der Mittelverwendung ist zudem sehr uneuropäisch. Von daher wird auch die Neue Weltordnung mit bisherigen Weltordnungen nicht vergleichbar sein. Bezog sich das Ringen früher um territoriale Macht, kämpft man heute zusätzlich um Flüsse: Warenflüsse, Informationsflüsse, Geldflüsse, Datenströme, Migrationsströme und Trinkwasser.

Partner-Atlas der Konrad-Adenauer-Stiftung KAS veröffentlicht
Partner-Atlas der Konrad-Adenauer-Stiftung veröffentlicht - Diese 300-seitige Momentaufnmahme wird online unter www.Partner-Atlas.com fortgeschrieben.
Die USA machen schon seit einigen Jahren deutlich, dass sie nicht mehr an der internationalen Führerschaft interessiert sind. Damit machen sie sich zum vergleichbaren Wettbewerber gegenüber China, Indien, Russland und der Türkei. Europa hatte sich bisher im Schatten des großen Partners USA entspannt. Jetzt muss es die Komfortzone verlassen und selbst Verantwortung übernehmen. Es gibt sogar die Anfrage, eine wertebasierte Führungsrolle zu übernehmen. Deutschland kann das nicht alleine leisten. Frankreich auch nicht. Die Visegrád-Staaten erst recht nicht. Im Idealfall bilden Deutschland und Frankreich den Kern einer europäischen Koalition. Dieser ausgewogene Kern zweier sehr unterschiedlicher Nationen bietet vielen EU-Staaten eine Anschlussfähigkeit.

Deutschland und Frankreich könnten verschiedene Dinge voneinander lernen - beispielsweise das Denken in machtpolitischen Kategorien. Wenn dieses Denken konsolidiert ist, geht es darum, eine einheitliche machtpolitische Sprache zu sprechen. Wenn das gegeben ist, wird die EU zu einem weiteren Pol der Neuen Weltordnung. Die introvertierte Sicht der USA wirkt sich aber auch auf andere alte Partner aus: Australien fühlt sich zunehmend allein gelassen und sucht Hilfe in Europa. Das demokratische Zentral- und Südamerika ist ebenfalls sehr offen für Partner aus Europa.

Es ist also noch nicht alles entschieden - Zwischenphase eben. China redet offen darüber, was es will. Russland und die Türkei demonstrieren, was sie wollen. Die größten Unsicherheitsfaktoren für eine finale Prognose stellen derzeit die USA und die EU dar.

Der vorgestellte Partner-Atlas der KAS umfasst 300 Seiten und geht exemplarisch auf 25 Staaten in fünf Regionen der Welt ein. Das Buch ist eine Momentaufnahme, bei dessen Druck noch keine Wahlen in Belarus stattgefunden hatten und auch noch kein Fall Nawalny vorgekommen war. Der Atlas beschäftigt sich mit der Passgenauigkeit bestimmter Länder zu den fünf Hauptinteressen Deutschlands: regelbasierte Weltordnung, Wohlstand und freier Handel, Sicherheit und Stabilität, Ressourcen und Klimaschutz sowie die Regulierung globaler Migrationsströme.

Bisher war man immer davon ausgegangen, dass Partnerschaften von Regierung zu Regierung eingegangen werden. Umso erstaunlicher ist es, dass im Atlas auch Staaten genannt sind, deren Regierungen nicht mit unserem Demokratieverständnis harmonieren. Dazu wurde ausgeführt, dass es hier durchaus um langfristige Beziehungen geht, die Wahlperioden überspannen und einen ebenso großen Fokus auf die Zivilgesellschaft der potenziellen Partner haben. Ein Beispiel dafür ist Belarus. Belarus bedient das deutsche Interesse Sicherheit an der Ostflanke der EU. Belarus ist zwar im gewissen Sinne abhängig von Russland, wehrt sich aber regelmäßig gegen Einflussversuche aus Moskau.

Bei der internationalen Partnersuche kann Deutschland von seinem guten Ruf profitieren. Deutschland wird als ein vertrauenswürdiger Akteur wahrgenommen, der keine hidden agenda (verdeckte Ziele) verfolgt und selbstlos hilft. Je nach Mentalität wird das zuweilen auch ausgenutzt. In Afrika beispielsweise werden deutsche Hilfen gerne gegen chinesische Investitionen ausgespielt. Hier ist wohl eine machtpolitische Emanzipation nach dem Vorbild Frankreichs notwendig.

NATO- und EU-Staaten kommen im Partner-Atlas gar nicht vor. Das liegt daran, dass man diese Partnerschaften als gegeben ansieht. Wie fragil diese Sichtweise ist, zeigt das Beispiel USA.

Autor: Matthias Baumann

Montag, 7. September 2020

Bundesregierung hält einen Deal zum Brexit noch für möglich

Heute gehen die Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien über die Modalitäten des Brexit in eine neue Runde. Boris Johnson lässt keinen Zweifel daran, dass ihm ein No-Deal-Brexit sehr gelegen käme. Würde er doch damit ein Feindbild inszenieren können, dass ihm bei der Erklärung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Niedergangs seines Landes hilft. Neben einer lautstarken Bewerbung des No Deal setzte er der EU für Mitte Oktober ein Ultimatum. Länger wolle er nicht verhandeln.

Bundesregierung hält einen Deal zum #Brexit noch für möglich
Bundesregierung hält einen Deal zum Brexit noch für möglich
In der heutigen Regierungspressekonferenz zeigte sich Steffen Seibert, Sprecher der Bundesregierung, überzeugt davon, dass man trotz der kurzen Zeit noch ein sinnvolles Verhandlungsergebnis erzielen könne. Die Bundesregierung messe diesen Verhandlungen eine hohe Priorität bei. Auch wenn die EU von einem Ausstieg Großbritanniens profitieren könnte, ist man doch daran interessiert, nicht zu viel Porzellan zu zerschlagen. Es komme aber auf die Kooperation der Briten an. Wenn sich diese weiterhin quer stellen, wird es zum No-Deal-Brexit kommen.

Autor: Matthias Baumann

Samstag, 5. September 2020

Corona, Querdenker und fremde Mächte

Am letzten Samstag fanden in der City von Berlin wieder Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen statt. Organisiert wurde das maßgeblich von der Initiative "Querdenken 711" aus Stuttgart. Pressekollegen aus Berlin hatten den Anlass gemieden und den Samstag lieber auf der heimischen Terrasse, im Umland oder auf dem Balkon verbracht. Freunde und Bekannte wollten sich auch nicht in das Getümmel stürzen und verbrachten den Tag an der urbanen Peripherie.

Umso präsenter stellte sich die gesellschaftliche Peripherie in der City dar. Nach G20 in Hamburg war kaum noch etwas los in Deutschland. Endlich wieder Randale und das möglichst in einer Stadt, zu der man selbst keine Beziehung hat. Im Fahrwasser der schwäbischen Demo tummelte sich eine wahre "Melange" (Mischung) verfassungsrechtlich bedenklicher Akteure. Je nach inhaltlichem Schwerpunkt des Betrachters fielen diesem schwarz-weiß-rote Reichsfahnen, eine Fahne der Türkei oder zwei Fahnen der USA auf. An den Spitzen der Fahnen waren oftmals noch aufblasbare oder aus Pappe gebastelte Buchstaben "Q" zu sehen. Q wie Q-Anon oder Querdenken 711.

Verschwörungsgeschichten

Q-Anon ist nur eine von vielen Verschwörungsgeschichten, die derzeit unser Land überschwemmen. Demokratische Prozesse, Entscheidungsverantwortung und Meinungspluralität sind den Bürgern wohl zu anstrengend geworden, so dass diktatorische Zustände und in sich geschlossene Deutungssysteme wieder attraktiv erscheinen. Deren Anhänger zeigen bereits religiöse Anwandlungen und einen entsprechenden Fanatismus bei der Verteidigung ihrer elitären Erkenntnisse - und seien sie noch so abstrus.

Der Phantasie der Erfinder von Verschwörungstheorien sind keine Grenzen gesetzt. Hauptsache, die Story ist in sich schlüssig. Zielpublikum gibt es genug. Deshalb lassen sich Verschwörungsgeschichten auch gut als Geschäftsmodell aufziehen. Es muss lediglich auf vorhandene Missstände hingewiesen und dazu ein Schuldiger definiert werden. Ob der benannte Schuldige tatsächlich verantwortlich ist, spielt keine Rolle. Durch die Jagd auf diesen Einen wird von den ursprünglichen Problemen abgelenkt, ein gutes Gefühl des "Wir tun etwas" erzeugt und die initialen Missstände nicht gelöst. Wie simpel diese Theorien gestrickt sind, wird schon dadurch deutlich, dass bis heute "der Jude" den Platzhalter des Schuldigen ausfüllt. Die Dynamik entwickelt sich fast von selbst und am Ende will keiner die Verantwortung für die nicht erfolgte Lösung der Probleme und den Zusammenbruch des verqueren Denkgebildes tragen.

Ich sehe was, was du nicht siehst.

Während die Bundesregierung auf breiter Front erschüttert über die Fahnen des Deutschen Reiches war, relativierten das andere Beobachter mit den ein bis drei Fahnen der Türkei und der USA. Blind schienen jedoch die meisten gegenüber der überproportional hohen Anzahl russischer Fahnen zu sein: weiß-blau-rot als Fahne, weiß-blau-rot mit Adler, weiß-blau-rot am Rucksack, weiß-blau-rot kombiniert mit Querdenken-Fahne. Was haben so viele Russland-Fahnen auf einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen zu tun?

In sämtlichen sicherheitspolitischen Publikationen über den Cyber-Informationsraum (CIR) ist zu lesen, dass Russland hochentwickelte Fähigkeiten auf diesem Gebiet hat und diese auch konsequent und aggressiv einsetzt. Die baltischen Staaten arbeiten schon seit vielen Jahren an ihrer Resilienz gegenüber der Einflussnahme "fremder Mächte" in ihre Innenpolitik. Russland geht dabei sehr kreativ vor. Es beschäftigt behördliche und externe Kräfte mit der Beeinflussung von Diskussionen in sozialen Netzwerken sowie dem Verbreiten von Fake News und Halbwahrheiten. Russland unterfüttert medial und finanziell antidemokratische Kräfte in der EU und versucht damit den politischen Gegenpol an seiner Westflanke zu schwächen.

Die Frage nach der Zuständigkeit

Laut Aussage eines Sprechers des Innenministeriums habe man die Desinformationskampagnen zwar auf dem Radar, man solle sie aber nicht überbewerten. Die Bundesregierung sieht den Aufbau einer entsprechenden Resilienz in Deutschland als Querschnittsaufgabe. Wie bei Querschnittsaufgaben üblich, versanden diese, falls nicht jemand die Initiative zu deren Koordinierung ergreift. Dass in Deutschland tatsächlich kaum etwas in dieser Richtung getan wird, zeigen die Indizien und der jüngste Bericht der SWP (Stiftung Wissenschaft und Politik) über militärische Cyber-Operationen. Gerne wird auf die Geheimhaltung verwiesen. Dennoch entfalten auch geheime Aktionen zumeist sichtbare Wirkungen. Die Bundeswehr mit ihrem Kommando CIR darf in Bezug auf Desinformation gar nicht aktiv werden. Zuvor müssten die verfassungsrechtlichen und ethischen Grundlagen im Bundestag diskutiert werden. Kostbare Zeit, die angesichts der aktiven Einflussnahme russischer Akteure nicht zur Verfügung steht.

Apropos Verfassaung: Die wenigen Polizisten, die am Samstag den Eintritt der Demonstranten in den Bundestag verhindert haben, können von Glück reden, dass das eine unorganisierte und spontane Aktion war. Die beiden Polizisten mit ihren Stöcken hätten für trainierte Kampfsportler nur eine bedingte Hürde dargestellt. Jetzt werden sie als Helden gefeiert und durften am Montag sogar den Bundespräsidenten besuchen.

In Sicht auf die überforderte Bundespolizei kam die Frage auf, unter welchen Bedingungen das Wachbataillon zur Unterstützung am Reichstag eingesetzt werden könne. Immerhin ist der Schutz des Regierungssitzes Bestandteil von dessen Auftrag. Während des Corona-Lockdowns hatten Soldaten des Wachbataillons verschiedene Unterstützungsleistungen erbracht: Hilfsmitteltransporte, Objektschutz am Bundeswehrkrankenhaus und ähnliches. Warum dann nicht auch Präsenz zeigen am Reichstag? Es muss ja nicht gleich mit dem Transportpanzer Fuchs und auflafettierter Granatmaschinenwaffe vorgefahren werden. Dazu die Antwort eines Sprechers der Bundeswehr: "Eine Unterstützung durch das Wachbataillon für den Schutz des Regierungssitzes unter Inanspruchnahme hoheitlicher Zwangs- und Eingriffsbefugnisse müsste verfassungsrechtlich ausdrücklich zugelassen sein. Außerhalb eines Inneren Notstandes, des Spannungs- oder Verteidigungsfalles oder eines besonders schweren Unglücksfalles katastrophischen Ausmaßes ist dies nicht zulässig."

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 27. August 2020

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei Bundeskanzlerin Angela Merkel

Die Kanzlerin hatte heute ein stilechtes Jäckchen an: Dunkelgrün. Die Farbe der NATO ist zwar Blau, aber Grün passt zum Umfeld, in dem die Soldaten trainieren. Am Vormittag traf sich NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg mit Angela Merkel zu Gesprächen. Diese waren vollgepackt mit aktuellen Themen. Themen, die erschreckend nah an das Gebiet der EU herangerückt sind und sogar als Konflikt zwischen NATO-Partnern ausgetragen werden. Es ging um das östliche Mittelmeer, Belarus und die Verteidigungsfähigkeit Europas.

Letztere ist insofern wichtig, weil die Gefahr einer zweiten Amtszeit amerikanischer Unberechenbarkeit besteht. Der NATO-Generalsekretär sprach sich deshalb noch einmal für die Stärkung der transatlantischen Beziehungen aus und machte klar, dass auch die Sicherheitsinteressen der USA auf dem Spiel stehen. Alliierte sollten wieder eng zusammenarbeiten. Wie fragil die Zusammenarbeit in der NATO ist, zeigt der momentane Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei Bundeskanzlerin Angela Merkel - FNC Framework Nations Concept
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei Bundeskanzlerin Angela Merkel am Rande des 7. Treffens des FNC Framework Nations Concept
Jens Stoltenberg war ohnehin in Berlin. Im Hotel InterContinental treffen sich derzeit 20 Verteidigungsminister, in deren Runde der NATO-Chef natürlich nicht fehlen darf. Das Format nennt sich FNC - Framework Nations Concept. Seit 2014 hat Deutschland als "Lead Nation" die Leitung des FNC inne. Schirmherrinm ist die NATO. Nach der ersten Corona-Welle wurde die Gelegenheit genutzt und das insgesamt siebte Treffen anberaumt - unter strengen Corona-Auflagen und mit eingeschränkter journalistischer Begleitung.

16 der 20 Staaten gehören sowohl der EU als auch der NATO an. Es sei der 4. Fortschrittsbericht erarbeitet worden, der laut Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer auf breite Zustimmung stoße. Im Kern gehe es um ein Lagebild und die daraus abzuleitende Stärkung europäischer Fähigkeiten der Selbstverteidigung. Der Tenor folgt ihrer Amtsvorgängerin, die die europäische Verteidigungsfähigkeit stärken wollte, sich aber klar zur NATO inklusive der USA bekannte.

Jens Stoltenberg hütete sich vor Drohungen gegenüber Belarus und stellte lediglich fest, dass dort demokratische Zustände eingehalten werden sollten. Unklarheit herrscht zurzeit noch über den Fortgang des Afghanistan-Einsatzes: "Wie geht es weiter?", fragte die Kanzlerin. Auch das sollte Gegenstand des Gespräches sein.

Autor: Matthias Baumann

FDP-Fraktion reicht Verfassungsklage gegen den Solidaritätszuschlag ein

Am Montag reichte die FDP-Fraktion eine Klageschrift gegen den Soli beim Bundesverfassungsgericht ein. Nach Artikel 106 Absatz 1 Punkt 6 darf der Bund Ergänzungsabgaben zur Einkommenssteuer und der Körperschaftssteuer erheben. Einkommenssteuer zahlen etwa die Hälfte aller Bundesbürger und Körperschaftsteuer betrifft Kapitalgesellschaften wie GmbHs.

FDP-Fraktion reicht Verfassungsklage gegen den Solidaritätszuschlag ein - Dr. Florian Toncar
FDP-Fraktion reicht Verfassungsklage gegen den Solidaritätszuschlag ein - Dr. Florian Toncar in der Bundespressekonferenz
Auf diesen Absatz des Grundgesetzes stützte sich das Gesetz zur Erhebung des Solidaritätszuschlages - kurz und liebevoll "Soli" genannt. Der Zweck war damals der "Solidarpakt Ost". Inzwischen zeigt sich Strukturschwäche aber nicht mehr eindeutig an der Himmelsrichtung, sondern an Bedürftigkeiten quer durch die Bundesrepublik. Deshalb ist der Zweck nicht mehr gegeben. Zudem war das Gestz Ende 2019 ausgelaufen. Das interessierte die Große Koalition aber wenig, so dass ein entsprechendes Änderungsgesetz auf den Weg gebracht worden war, das erst ab 2021 eine Entlastung von 90% der Soli-Zahler vorsieht. Allerdings bringen die verbleibenden 10% trotzdem noch um die 50% des bisherigen Betrages auf. Das bedeutet, dass in diesem Jahr 20 Milliarden Euro erwartet werden und in 2021 immer noch 10 Milliarden Euro.

Wie zu erwarten war, wurde der Soli nicht 1:1 in den Aufbau Ost gesteckt. Er floss in den großen Topf des Bundeshaushaltes ein. Sicher kam auch ein Teil davon zweckgebunden an, aber nicht alles. Solch eine Ergänzungsabgabe ist attraktiv für den Bund. Kann doch aktuell damit die Corona-Krise gegenfinanziert werden. Eine Umwidmung ist formaljuristisch nicht möglich. Für Corona müsste eine separate Ergänzungsabgabe erhoben werden.

Bezüglich des Timings wollte sich Dr. Florian Toncar, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, nicht festlegen. Es dauere so lange, wie es eben beim Verfassungsgericht dauere. Man habe die Klageschrift am Montag eingereicht. Als nächstes werde es noch einige Schriftwechsel mit dem Gericht geben. Besonders erfreut wäre die FDP-Fraktion über eine persönliche Anhörung. Dass die Kläger ihr Anliegen wortgewandt vortragen können, haben sie heute in der Bundespressekonferenz bewiesen. Florian Toncar wurde unterstützt von Christian Dürr, dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der FDP.

FDP-Fraktion reicht Verfassungsklage gegen den Solidaritätszuschlag ein - Christian Dürr
FDP-Fraktion reicht Verfassungsklage gegen den Solidaritätszuschlag ein - Christian Dürr in der Bundespressekonferenz
Seitens der FDP erwartet man zwei mögliche Urteile: Das Wunschurteil wäre, dass das Änderungsgesetz ab Januar 2020 für Nichtig erklärt wird und der Bund den Soli rückwirkend zum 1. Januar an die Steuerzahler erstattet. Das zweite vorstellbare Ergebnis wäre, dass das Verfassungsgericht dem Bund eine Frist zur Nachbesserung setzt. Das wäre zumindest ein Teilerfolg. Mit einer Ablehnung sei nicht zu rechnen. Die FDP-Fraktion setzt mit dem Verfassungsgericht alles auf eine Karte: Wegen der Zuständigkeit für das Grundgesetz konnten sie sich gar nicht durch die Instanzen der Finanzgerichte klagen, sondern mussten sich direkt an Karlsruhe wenden. Sollte das Unterfangen wider Erwarten scheitern, erscheint eine Weitergabe an den Europäischen Gerichtshof wenig sinnvoll.

Es bleibt die Spannung, wann das Urteil vorliegt und wieviel Euro tatsächlich zurückerstattet werden. Die Finanzbehörden drücken bereits in den jährlichen Einkommensbescheiden ihre Zweifel an der "Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995" aus und deklarieren dessen Festsetzung "gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO" als "vorläufig".

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 26. August 2020

Sloweniens Präsident Borut Pahor im Schloss Bellevue empfangen

Bundespräsident Steinmeier und sein Gast, der slowenische Präsident Borut Pahor, hielten sich an die Corona-Regeln. Foto mit Maske, Foto ohne Maske, aber dafür mit entsprechendem Abstand. Während Borut Pahor jedes Mal elegant seine Maske im Sakko verschwinden ließ, behielt der Bundespräsident seine Maske in der Hand. Trotz des Abstandes war die morgendliche Begrüßung sehr herzlich.

Sloweniens Präsident Borut Pahor von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue empfangen
Sloweniens Präsident Borut Pahor (links) von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue empfangen - Staatsbesuch unter Corona-Bedingungen
Borut Pahor wurde vor 56 Jahren im ehemaligen Jugoslawien geboren. 1990 startete der diplomierte Politikwissenschaftler seine Karriere im slowenischen Parlament. Das war in der heißen Phase der Abkoppelung von Jugoslawien. Borut Pahor ist Sozialdemokrat - wie sein heute besuchter Amtskollege. Zeitgleich mit der Aufnahme seines Landes in die EU zog er 2004 ins Europäische Parlament ein. 2008 wurde er zum Ministerpräsidenten Sloweniens gewählt und legte deshalb sein Mandat in Brüssel nieder. 2011 musste er zurücktreten, nachdem einige Parlamentskollegen wegen Korruption aufgeflogen waren. Die Regierung verzeichnete damals in der Bevölkerung eine Unzufriedenheitsquote von über 80%.

Wenngleich die Sozialisten nach den anschließenden Neuwahlen nicht mehr die Regierungspartei stellten, wurde Borut Pahor ein Jahr später doch zum Präsidenten ernannt. 2017 wurde er in diesem Amt bestätigt. In Slowenien scheint die Demokratie also gut zu funktionieren.

Sloweniens Präsident Borut Pahor von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue empfangen
Sloweniens Präsident Borut Pahor (links) von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue empfangen - Frank-Walter Steinmeier hält Abstand und seine Maske in der Hand. Im Hintergrund der Ehrenposten des Wachbataillons. Mehr militärische Ehre wurde wegen Corona nicht zugelassen - keine Hymnen und kein Abschreiten der Ehrenformation.
Slowenien grenzt an Österreich, Ungarn und Kroatien. Das Land hat 2,1 Millionen Einwohner, was in etwa der Bevölkerungsanzahl von Hamburg entspricht. Die Wirtschaftskraft lag 2019 bei 26.000 Euro pro Kopf. Das Verteidigungsbudget beträgt beschauliche 1,16% des BIP.

Seit 16 Jahren ist Slowenien auch Mitglied der NATO und sollte schon deutlich weiter entwickelt sein. Auswertungen haben Bürokratie und deren Nebenschauplätze als kontraproduktiv erkannt. Dabei bedarf es in Slowenien wichtiger Modernisierungsmaßnahmen. Deren Durchführung wird jedoch seitens der EU und der NATO nach wie vor als "Herausforderungen" angesehen. So gibt es insbesondere bei der Sicherung des Luftraumes erhebliche Defizite. Ungarn und Italien müssen in diesem Bereich aushelfen.

Video:
Sloweniens Präsident Borut Pahor im Schloss Bellevue empfangen

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 20. August 2020

Botschafter von Sri Lanka, Kambodscha, Brunei und Tschechien beim Bundespräsidenten akkreditiert

Die Frauenquote lag heute bei 75%: drei Botschafterinnen und ein Botschafter durften nach Maßgabe der Corona-Regelungen ihr Beglaubigungsschreiben beim Bundespräsidenten abgeben. Damit alles möglichst berührungslos ablaufen konnte, wurde ein stilechter Tisch vor die samtige Dienstfahne gestellt. Über diesen Tisch wurde dann das Schreiben transferiert. Hier die Reihenfolge des Erscheinens der Exzellenzen:

Botschafterin der Demokratischen Sozialistischen Republik Sri Lanka, Manori Premila Unambuwe
Botschafterin des Königreichs Kambodscha, Phen Savny
Botschafterin von Brunei Darussalam, Pengiran Hajah Krtini Pengiran Haji Tahir
Botschafter der Tschechischen Republik, Tomáš Kafka

Botschafterin der Demokratischen Sozialistischen Republik Sri Lanka, Manori Premila Unambuwe, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier akkreditiert
Botschafterin der Demokratischen Sozialistischen Republik Sri Lanka, Manori Premila Unambuwe, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier akkreditiert - Foto: Bundeswehr/Zeichenstelle WachBtl BMVg
Sri Lanka ist ein Inselstaat am Südzipfel von Indien. Der großflächig auf der Flagge dargestellte Löwe ist in unseren Breitengraden durch die Etikettierung der verschiedenen Ceylon-Tees bekannt. Das heutige Sri Lanka befand sich mehrfach unter Kolonialherrschaft. Als Martin Luther in Deutschland für die Reformation unterwegs war, machten sich Portugal und die Niederlande über die Insel her. Etwa 300 Jahre lang wechselten deren Einflussbereiche. Als um 1800 Napoleon in Europa sein Unwesen trieb, kamen die Briten nach Ceylon und übernahmen die Insel als Kronkolonie. Zunächst wurde in großem Stil Kaffee angebaut. 1860 wurden diese Anbauflächen jedoch in Tee-Plantagen umfunktioniert.

1948 wurde Sri Lanka unabhängig, ist aber Teil des Commonwealth. Damit übt Großbritannien weiterhin seinen Einfluss auf das Land aus. Sri Lanka hat 22 Millionen Einwohnen und hatte vor Corona eine jährliche Wirtschaftsleistung von knapp 4.000 USD pro Kopf.

Botschafterin der Demokratischen Sozialistischen Republik Sri Lanka, Manori Premila Unambuwe, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier akkreditiert
Botschafterin der Demokratischen Sozialistischen Republik Sri Lanka, Manori Premila Unambuwe, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier akkreditiert - Flagge von Sri Lanka - Foto: Bundeswehr/Zeichenstelle WachBtl BMVg
Botschafterin Manori Premila Unambuwe ist seit dem 6. Juli 2020 in der Botschaft und hat sich dort zunächst mit ihren neuen Mitarbeitern vertraut gemacht. Es wurde dabei sogar ein religiöses Zeremoniell für sie veranstaltet. Sie freut sich sehr auf die Arbeit in Deutschland. Ihre Schwerpunkte sind der Handel, die Gewinnung von Investoren und der Ausbau touristischer Beziehungen. Frau Manori Premila Unambuwe könnte als Computer-Expertin bezeichnet werden. Bevor sie Botschafterin wurde, hatte sie Spitzenpositionen bei SAP, Oracle, IBM und weiteren IT-Firmen inne. Studiert hatte sie in Australien und ist Master of Business Administration.

Etwas weiter östlich liegt Kambodscha. Kambodscha hat 16 Millionen Einwohner und im Jahr 2019 eine jährliche Wirtschaftsleistung von 1.600 USD pro Person. Die Besiedlung dieses Landes am Unterlauf des Mekong hat vor 2.500 Jahren begonnen. Damals herrschten dort die Khmer. Im 19. Jahrhundert gab es diverse Streitigkeiten zwischen den Nachbarn (Thailand und Vietnam), so dass Frankreich auf den Plan trat und für etwa 80 Jahre die Vorherrschaft auf diesem Gebiet ausübte. Es folgten weitere wirre Machtkämpfe, die 1975 durch die Roten Khmer beendet wurden.

Botschafterin des Königreichs Kambodscha, Phen Savny, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier akkreditiert
Botschafterin des Königreichs Kambodscha, Phen Savny, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier akkreditiert - Foto: Bundeswehr/Zeichenstelle WachBtl BMVg
Die kommunistischen Roten Khmer kannten nur einen Feind: das eigene Volk. Man geht inzwischen von 2 Millionen Ermordeten innerhalb von drei Jahren aus. Da 1978 auch viele in Kambodscha lebende Vietnamesen umgebracht wurden, griff Vietnam ein und konnte den Schrecken relativ schnell beenden. Erst 1991 wurde Kambodscha zaghaft in eine Art Unabhängigkeit unter der Aufsicht der UNO überführt. Die Roten Khmer existierten allerdings noch bis 1998 weiter und verschafften sich immer wieder durch Guerillaaktionen Gehör. 1998 starb auch deren Führer Pol Pot und wurde in Würdigung seiner Taten unter einem Haufen Müll verbrannt.

Botschafterin des Königreichs Kambodscha, Phen Savny, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier akkreditiert
Botschafterin des Königreichs Kambodscha, Phen Savny, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier akkreditiert - Flagge von Kambodscha - Foto: Bundeswehr/Zeichenstelle WachBtl BMVg
Die Diktatur wird Kambodscha wohl so schnell nicht los. Seit über 20 Jahren herrscht dort Premierminister Hun Sen mit den üblichen Werkzeugen Korruption, Wahlfälschung, Einschüchterung, Verschwinden lassen und so weiter. Die neue Botschafterin Phen Savny vertritt Kambodscha nicht nur gegenüber Deutschland, sondern auch gegenüber Tschechien, Ungarn, Slowakei, Kroatien und Slowenien. Wenn also ein Kroate ein Visum benötigt, muss er nach Berlin reisen. Die Botschaft befindet sich in der Nähe des S-Bahnhofs Berlin-Pankow.


Botschafterin von Brunei Darussalam, Pengiran Hajah Krtini Pengiran Haji Tahir, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier akkreditiert
Botschafterin von Brunei Darussalam, Pengiran Hajah Krtini Pengiran Haji Tahir, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier akkreditiert - Foto: Bundeswehr/Zeichenstelle WachBtl BMVg
Noch östlicher liegt Brunei Darussalam. Das Land verzahnt sich in die Nordküste Malaysias und hat eine recht ungewöhnliche Flagge: gelb mit einem weiß-schwarzen Querstrich. In Brunei Darussalam leben 450.000 Menschen in einer Erbmonarchie. Die jährliche Produktivität der Landes mit fast 28.000 USD pro Kopf ist recht hoch. Das liegt wohl hauptsächlich an den Erdöl- und Erdgasvorkommen. Bemerkenswert hoch ist auch der Verteidigungshaushalt. Dieser liegt bei 3,48% des BIP. Brunei Darussalam ist auf militärischem Gebiet westlich orientiert, nimmt an UNIFIL im Libanon teil und hat in den letzten Jahren erheblich seine Fähigkeiten bei der Abwehr von Cyber-Angriffen verbessert.

Botschafterin von Brunei Darussalam, Pengiran Hajah Krtini Pengiran Haji Tahir, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier akkreditiert
Botschafterin von Brunei Darussalam, Pengiran Hajah Krtini Pengiran Haji Tahir, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier akkreditiert - Foto: Bundeswehr/Zeichenstelle WachBtl BMVg
Sucht man nach dem Lebenslauf von Botschafterin Pengiran Hajah Krtini Pengiran Haji Tahir, findet man eine großzügig auf den ersten Google-Ergebnisseiten platzierte Darstellung seiner Majestät, Sultan Haji Hassanal Bolkiah Mu’izzaddin Waddaulah ibni Al-Marhum Sultan Haji Omar ‘Ali Saifuddien Sa’adul Khairi Waddien, Sultan und Yang Di-Pertuan von Brunei Darussalam. Irgendwann taucht eine Information aus 2016 auf, wonach die neue Botschafterin als Generalkonsulin touristische Abkommen mit China angebahnt hatte.


Botschafter der Tschechischen Republik, Tomáš Kafka, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier akkreditiert
Botschafter der Tschechischen Republik, Tomáš Kafka, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier akkreditiert - Foto: Bundeswehr/Zeichenstelle WachBtl BMVg
Tomáš Kafka war heute der einzige männliche Botschafter. Er vertritt die Tschechische Republik und damit das einzige nichtasiatische Land im heutigen Akkreditierungsreigen. Tschechien hat 10 Millionen Einwohner und eine Wirtschaftsleistung von 23.000 USD pro Kopf. Tschechien ist Teil des Visegrád-Verbundes. Die Visegrád-Staaten haben zwei wichtige Gemeinsamkeiten: Sie liegen an der Ostflanke Europas und sind ausschließlich Nettoempfänger der EU. Besonders viel Geld fließt an die Visegrád-Staaten Polen und Ungarn.

Botschafter der Tschechischen Republik, Tomáš Kafka, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier akkreditiert
Botschafter der Tschechischen Republik, Tomáš Kafka, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier akkreditiert - Flagge von Tschechien - Foto: Bundeswehr/Zeichenstelle WachBtl BMVg
Botschafter Tomáš Kafka war bereits Anfang der 1990er Jahre als Kulturattaché in Deutschland. Anschließend war er Botschafter in Irland und für den deutsch-tschechischen Zukunftsfonds zuständig. Zudem hat er deutschsprachige Bücher übersetzt. Darunter auch von Franz Kafka. Nach eigenen Angaben ist er mit diesem jedoch nicht verwandt oder verschwägert. Tomáš Kafka betrachtet Berlin als das "Tor der Tschechen nach Europa". In Sicht auf Visegrád ist ihm wichtig, dass kein Ausverkauf der Ideale Europas geschieht. Deshalb war wohl intern so lange um die Besetzung des Botschafterpostens in Berlin gerungen worden. Der Vorgänger Tomáš Kafkas hatte schon im Januar den Platz geräumt.

Autor: Matthias Baumann