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Donnerstag, 25. Februar 2021

IISS stellt die #MilitaryBalance 2021 vor

Die Military Balance ist ein über 500 Seiten starkes Werk, das das IISS (International Institute for Strategic Studies) in jedem Frühjahr herausbringt. Es enthält zu über 170 Staaten sicherheitspolitisch relevante Eckdaten wie Bruttoinlandsprodukt, Verteidigungshaushalt, Bevölkerungsstruktur, militärisches Gerät, Anzahl der Soldaten und jede Menge Analysen zur regionalen Rüstungsindustrie, zu Innovationen, tatsächlichen Fähigkeiten, Absichten und Entwicklungen. Die in der Military Balance gelieferten Daten gelten als zuverlässig.

Normalerweise findet die Vorstellung des neuen Buches am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) statt. So wie die MSC versteht sich auch das IISS als Think Tank. Think Tank ist der neudeutsche Begriff für Denkfabrik. Es bündelt also verschiedene Kräfte aus verschiedenen Bereichen, die durch ihre facettenreiche Herangehensweise ein möglichst objektives und optimales Ergebnis erzeugen.

Während Medien, Mittelstand und Privatpersonen mit Corona beschäftigt sind, geht der Aufwärtstrend bei den Verteidigungsausgaben unvermindert weiter. Besonders signifikant war das im Berichtszeitraum in Europa und in China. Europa kämpft sich der 2%-Verpflichtung gegenüber der NATO entgegen und hat inzwischen schon den durchschnittlichen Wert von 1,64% erreicht. Das dürfte den reaktivierten Partner westlich des Atlantik freuen und zu einer umso engeren Zusammenarbeit bewegen.

IISS stellt die #MilitaryBalance 2021 vor
IISS stellt die #MilitaryBalance 2021 vor - Die 15 Länder mit den höchsten Verteidigungshaushalten - Grafik (C) IISS 2021

Die USA geben 738 Milliarden USD und stehen damit ungebrochen an Platz 1. Dieser Betrag entspricht 40,3% der weltweiten Verteidigungsausgaben. Es folgt China mit nahezu bescheiden anmutenden 193,3 Milliarden USD für seinen Haushalt. Nach einer weiteren großen Lücke schließen sich Indien mit 64,1 Milliarden USD, Großbritannien mit 61,5 Milliarden USD, Russland mit 60,6 Milliarden USD, Frankreich mit 55 Milliarden USD und Deutschland mit 51,3 Milliarden USD an. Deutschland ist damit Teil der Top 7. Erst danach kommen Japan, Saudi Arabien und Südkorea.

China arbeitet konsequent auf sein Ziel hin, bald wieder "Kriege gewinnen" zu können. So baut das Land weiter seine Präsenz im Südchinesischen Meer aus und agiert dort mit paramilitärischen Kräften. China schafft ein Schiff nach dem anderen an. Die Zahl der chinesischen Korvetten hat sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt. Verdoppelt haben sich auch die großen Anlandungsschiffe. Weitere Anlandungs- und Kampfschiffe sind bestellt. Damit diese Schiffe möglichst ungestört durch die Meere kreuzen können, hat China auch intensiv bezüglich der U-Boot-Bekämpfung aufgerüstet. Damit aber nicht genug: Auch der Flottensupport wurde seit 2015 nahezu verdoppelt und ebenso der schwere Lufttransport. Corona war ein willkommener Anlass, die logistischen Fähigkeiten der chinesischen Streitkräfte zu testen - und keiner hat es gemerkt - außer dem IISS.

Klar, dass die asiatischen Nachbarn unruhig werden und sich über Papiere wie die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung freuen. Großbritannien entsendet demnächst einen Flugzeugträger in die Region. Allerdings kann auch dieser nur in Kooperation mit multinationalen Partnern etwas ausrichten - und sei es die verzögernde Abschreckung. Ob und wann Deutschland die versprochene Fregatte entsendet, ist noch unklar. Ein Konflikt im Indischen Ozean würde Deutschland aufgrund seiner Handelsstärke sehr empfindlich treffen. Weichen müssen jetzt gestellt werden, da China nicht auf den einvernehmlichen Abschluss der Debatten um das G36 oder die Bewaffnung von Drohnen warten wird.

Auf einer Skala der weltweiten Bedrohungen steht China ganz oben. Es folgt Russland mit seinem stark modernisierten Raketenprogramm. Das größte Problem stellen die Überschallraketen dar, denen Europa und die NATO keine wirklichen Abwehrtechnologien entgegenzusetzen haben. Man kann dann nur hoffen, dass die Rakete nicht im eigenen Büro einschlägt. Zumindest verschafft es Russland eine nützliche Position zum Erstschlag. Deshalb muss die NATO eine glaubhafte Abschreckung mit Hinweis auf einen Zweitschlag aufbauen. So dreht sich die Eskalationsschraube weiter nach oben. Die USA hatten Russland bislang immer als Störer wahrgenommen und benannt. Barack Obama hatte mit seiner Äußerung, dass Russland nur noch eine Regionalmacht sei, wohl an der russischen Ehre gekratzt und deren Aggressivität herausgefordert. Laut Wolfgang Ischinger, dem Leiter der MSC, war es "nicht hilfreich, das öffentlich so zu formulieren." Russland agiert also wie das bockige Kind, das in seiner Wut überdimensionale Kräfte entwickelt, die es normalerweise gar nicht hat.

Als drittgrößte Bedrohung nach China und Russland wurde der Iran mit seinem Nuklearprogramm genannt. Hier tut sich aber gerade wieder etwas seit dem Präsidentenwechsel in den USA. Immer spannender wird das Gebiet der hybriden Bedrohungen. Der ganze Verteidigungshaushalt nützt nichts, wenn die Gesellschaften von innen demontiert werden, wenn Infrastruktur angegriffen wird oder in großem Stil Desinformationen eingespeist werden. Hier ist gesamtgesellschaftliche Resilienz gefordert. In Nordosteuropa ist man in dieser Hinsicht schon sehr weit. Auch die NATO und die EU in Brüssel beschäftigen sich damit. In Deutschland scheint das Thema nur in sicherheitspolitisch interessierten Kreisen angekommen zu sein und wird deshalb in der Praxis kaum angegangen.

Die heutige Vorstellung der Military Balance 2021 erfolgte in mehrfacher Hinsicht Corona-gerecht: Die Diskussionsteilnehmer saßen entweder in separaten Büros oder waren in ihrem Londoner Konferenzsaal durch Glasscheiben getrennt. Zur Stärkung gab es für sie Wasser, Muffins und Croissant. Wer per Zoom zugeschaltet war, konnte Fragen an die Experten des IISS stellen. Viele der Fragen kamen von britischen Zeitungen, aber auch aus Berlin.

Autor: Matthias Baumann

Samstag, 20. Februar 2021

#MSC2021 - Klimawandel beschäftigt jetzt auch alte weiße Männer

"Das sagt doch Greta Thunberg schon lange." - "Ja, nur wer hört auf ein kleines schwedisches Mädchen?" Die gestrige virtuelle Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) hat neben Corona und der stark verbesserten Qualität der transatlantischen Beziehungen einen spürbaren Fokus auf den Klimawandel gelegt. Vor zwei Jahren war das Thema bereits im Hauptsaal der MSC diskutiert worden - am Samstag, dem wichtigsten Tag der Konferenz. Eingeleitet wurde die Podiumsdiskussion damals durch einen Vortrag von Prof. Schellnhuber. Prof. Schellnhuber ist Direktor des Potsdam Institute for Climate Impact Research (Institut für Klima-Folgen-Forschung in Potsdam).

Seine Folien wurden leider nicht mitgefilmt und sind zurzeit auch nicht für die Veröffentlichung gedacht. Sie behandeln verschiedene Szenarien der Erderwärmung je nach konkretem Anstieg der Temperaturen. Sicher sei jedoch, dass einige Gebiete in Äquatornähe bald nicht mehr bewohnbar sein werden. Das betrifft große Teile Brasiliens und Länder wie Ghana, Nigeria und die Elfenbeinküste. Indonesien würde wie das sagenumwobene Atlantis in die Geschichte eingehen. Gefolgt von den Inseln der Karibik und den Malediven.

#MSC2021 Klimawandel Bill Gates
#MSC2021 - Bill Gates zur Bekämpfung der Pandemie und zum Umgang mit dem Klimawandel - Foto (C) MSC Special Edition 2021, Munich, 19/02/2021

Nur, was interessiert uns hier im Norden, was auf den Malediven passiert? NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach es gestern aus: Klima ist ein sicherheitspolitisches Thema. So wie die Pandemie nicht an Grenzen halt macht, so werden auch die Flüchtlinge aus den klimatisch unbewohnbaren Regionen in den Norden strömen. Ein großer Teil wird sich in den zumeist fragilen Staatsgebilden erst einmal gegenseitig töten. Ethnische Minderheiten werden davon besonders betroffen sein. Wer das überlebt, wird sich auf den langen Weg nach Norden machen.

Bill Gates, der eigentlich wegen der Corona-Bekämpfung dabei war, sprach davon, dass durch den Klimawandel und dessen Folgen wie Missernten fünf Mal mehr Menschen pro Jahr sterben werden als durch Pandemien. Dieses Statement wurde so nüchtern und abgeklärt vorgetragen, dass an dieser Aussage kaum Zweifel aufkommt. Ein Young Leader (MSC-Nachwuchs) aus Bangladesch sprach von bis zu 30 Millionen Menschen, die sich in Bewegung setzen würden, wenn sein Land im Golf von Bengalen versinkt. Der ehemalige US-Außenminister John Kerry ist unter Joe Biden für den Klimaschutz zuständig. Bei genauem Zuhören war festzustellen, dass der buchstäbliche Untergang vieler Inseln und Küstenregionen gar nicht mehr in Frage steht. Es geht jetzt vielmehr darum: Was passiert mit den vielen Leuten, die dort jetzt noch wohnen?

#MSC2021 Klimawandel John Kerry
#MSC2021 - John Kerry zum Klimawandel - Foto (C) MSC Special Edition 2021, Munich, 19/02/2021

Joe Biden, der übrigens seine allererste außenpolitische Rede hier auf der virtuellen #MSC2021 gehalten hat, war mit einer seiner ersten Amtshandlungen zum Pariser Klimaabkommen zurückgekehrt. Klimawandel betreffe uns alle. Sehr dankbar zeigte er sich über die "Führungsstärke Europas" in dieser Sache. Seine "gute Freundin Angela Merkel" sprach nach ihm und möchte "durch Taten überzeugen". Auch Emmanuel Macron erwähnte das Klima am Rande seiner sehr kurzen Ausführungen.

John Kerry hatte entsprechend seines Ressorts kein anderes Thema. Er plädiert für Null CO2 bis 2050 und setzt sich dafür ein, dass das bisherige Ziel für 2030 deutlich nachgebessert werde. Sei das Ökosystem erst einmal nachhaltig geschädigt, könne man es nicht wie nach einer Pandemie wiederherstellen. John Kerry ist ein großer Freund der CO2-Bepreisung. Private und staatliche Akteure sollten massiv zur Kasse gebeten werden, um die Situation noch in eine erträgliche Bahn zu lenken. Als 77-Jähriger könnte ihm das Klima eigentlich egal sein. Aber er sorgt sich um die nachrückenden Generationen. Um diesem altruistischen Ansatz weitere Geltung zu verschaffen, lädt er zu den Klimakonferenzen nicht nur die Industrienationen des Nordens ein, sondern auch Betroffene aus den Regionen, die bald nicht mehr bewohnbar sein werden.

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 16. Februar 2021

Gebirgsjägerregiment 231 und die herausfordernde Winter-Idylle

Während in Berlin die Homeoffice-Mama* mit dem Kleinkind den Kreuzberg hinabrodelt und der Hipster* im Landwehrkanal einbricht, stapfen die Gebirgsjäger aus Bad Reichenhall durch 80 cm Neuschnee. Auf der Reiteralpe führen die Reichenhaller Jager - mit A ohne Umlaut - eine Weiterbildung für ihr Führungspersonal durch. Dabei haben sie ganz andere Aspekte im Blick als der gemeine Wintertourist. Freut sich nämlich der Skifahrer über ausgefahrene Strecken, muss der Jager möglichst spurlos durch den Schnee kommen.

Gebirgsjägerbataillon 231 Führerweiterbildung auf der Reiteralpe - Reichenhaller Jager - Bad Reichenhall
Gebirgsjägerbataillon 231 - Reichenhaller Jager bei der Führerweiterbildung auf der Reiteralpe - Foto: Bundeswehr / Gebirgsjägerbataillon 231

Auch muss er Positionen im Gelände finden, von denen aus er alles gut im Blick hat, ohne selbst gesehen zu werden. Siedelt er sich zu tief an, sieht er zu wenig. Steigt er zu hoch, werden seine Spuren schneller entdeckt. Ganz abgesehen von der Gefahr, während der Bewegung durch die winterliche Idylle bemerkt zu werden. Dabei ist die weiß-schwarz gefleckte Tarnkleidung schon sehr hilfreich. Besonders pfiffige Soldaten kleben auch ihre Gewehre mit weißen Mustern ab.

Eine weise Auswahl der Position führt zu dem Ergebnis, dass der Jager erst einmal nicht gesehen wird und dennoch seinen Auftrag ausführen kann. Bei der aktuellen Übung geht es um die Verteidigung eines Gebietes. Hier kommen gleich die nächsten Herausforderungen ins Spiel: Welche Waffen verlieren in diesem Ambiente vielleicht ihre Wirkung? Die Granatmaschinenwaffe von Heckler & Koch oder ein Mörser müssen gar nicht mitgeschleppt werden. Durch den tiefen Schnee entfaltet deren Munition keine Wirkung. Gut für den Gegner und gut zu wissen. Es bleibt also eher bei den klassischen und leicht transportierbaren Waffen wie MG4, MG5 oder G36.

Gebirgsjägerbataillon 231 Führerweiterbildung auf der Reiteralpe - Reichenhaller Jager - Bad Reichenhall
Gebirgsjägerbataillon 231 - Reichenhaller Jager bei der Führerweiterbildung auf der Reiteralpe - Foto: Bundeswehr / Gebirgsjägerbataillon 231

Die Jager wurden in dieser Trainingseinheit auf das Gesamtgebilde des winterlichen Gebirgskampfes sensibilisiert: Welche Wege? Welcher nächste Standort? Welche Waffen? Das Wichtigste jedoch ist die Vermeidung unnötiger Bewegungen im Gelände - also kurze Wege und immer die nächste Deckung im Blick. Während die Homeoffice-Mama mit Kleinkind und Schlitten in Berlin dem warmen Kakao entgegenspaziert und der Hipster von der Feuerwehr aus dem Landwehrkanal gezogen wird, haben die Soldaten des Gebirgsjägerregimentes 231 die erste Etappe gemeistert. Für sie geht es weiter mit dem Bau von Stellungen und ergänzenden Lehreinheiten im Winterwunderland von Bad Reichenhall.

Autor: Matthias Baumann

* Homeoffice-Mama und Hipster sind fiktive Personen mit realistischem Bezug zur Zeitgeschichte


Mittwoch, 10. Februar 2021

Klare Worte im Positionspapier von AKK und Generalinspekteur zur Bundeswehr der Zukunft

Vor 2014 hätte sich solch ein Positionspapier wohl eher Gedanken über die "Zukunft der Bundeswehr" gemacht, als über die "Bundeswehr der Zukunft". Vor 2014 war noch alles gut. Es gab keine 2%-Verpflichtung und Russland galt als gemäßigter Nachbar, der seine innenpolitischen Themen bearbeitet. Inzwischen hat sich das Blatt gewendet und auch in Berlin gibt es ein leises Erwachen, dass nicht mehr alle Player nach den gewünschten Regeln spielen. Während sich noch weite Teile des Parlaments und der Parteienlandschaft in sicherheitspolitischer Schläfrigkeit rekeln, haben sich der Generalinspekteur (GI) und seine Chefin "Gedanken zur Bundeswehr der Zukunft" gemacht.

Positionspapier von AKK und Generalinspekteur zur Bundeswehr der Zukunft
Positionspapier von AKK und Generalinspekteur zur Bundeswehr der Zukunft - Archivfoto

Das gestern veröffentlichte Positionspapier ist ungewöhnlich klar und scharf formuliert. Es benennt die geostrategischen Herausforderungen und deren Akteure. Die seit Beginn gehegte Vermutung, dass die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung eine deutliche Antwort auf die Ambitionen Chinas darstellen, wollte das Auswärtige Amt nicht bestätigen. Das Positionspapier ist da offener: "Die Dynamiken im Indo-Pazifik weisen zunehmend in Richtung Machtrivalität und wachsender Konflikte. Das besorgt auch unsere Wertepartner in der Region." Dieser Wertepartner gibt es viele. Insbesondere die, deren Gebiete an das Südchinesische Meer grenzen. Die Liste ähnelt der, die der damalige US-Verteidigungsminister Mark T. Esper im Juli 2020 aufgezählt hatte.

Auch Russland wird gleich auf Seite 1 genannt: "Russland definiert sich als Gegenmacht zum Westen. ... Russland wendete in den vergangenen Jahren in seiner Nachbarschaft militärische Gewalt an und rüstet massiv konventionell und nuklear auf." Soweit für viele Entscheidungsträger noch kein Grund zur Beunruhigung. Wenn denn der Abschnitt nicht folgendermaßen weitergehen würde: "Aus dieser Lage ergeben sich sehr konkrete Bedrohungen für Deutschland und seine Bürgerinnen und Bürger, denen wir begegnen müssen." Beim Begegnen geht es nicht um ein Treffen mit den Bürgern, sondern die Behandlung der konkreten Bedrohungslage. Es folgt eine Aufzählung, die von Desinformationskampagnen bis zur regelmäßigen Verletzung des NATO-Luftraumes durch russische Flugzeuge ohne Transpondersignal reicht. Generalleutnant Jörg Vollmer hatte vor einem Jahr bereits bei der Übergabe des Kommandos über das Heer auf diese Lage hingewiesen.

Positionspapier von AKK und Generalinspekteur zur Bundeswehr der Zukunft
Positionspapier von AKK und Generalinspekteur zur Bundeswehr der Zukunft - Archivfoto

Der Ministerin und ihrem Generalinspekteur ist bewusst, dass die Landesverteidigung zukünftig nur gesamtgesellschaftlich zu bewerkstelligen ist. Viel zu eng sind Militär und Zivilgesellschaft in den Szenarien hybrider Konflikte miteinander verflochten. Was die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) seit einigen Monaten fordert, wurde nun auch von den Entscheidern im Bendlerblock aufgegriffen: Deutschland muss Verantwortung übernehmen und "mutig in Führung" gehen. Es gelte, eigene Interessen zu definieren und zu formulieren. Um eine "glaubwürdige militärische Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit" aufzubauen, bringe es nichts, die Bundeswehr einfach wieder personell aufzupumpen. Stattdessen müssen Kräfte, Fähigkeiten und Strukturen den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen angepasst werden. Dafür ist natürlich jede Menge Geld notwendig. Sinke das Budget unter ein bestimmtes Level ab, werde es für Fixkosten wie Besoldung, Betrieb und Liegenschaften aufgezehrt. Investitionen sind dann kaum möglich.

Das Positionspapier ist aber nicht als Bettelbrief formuliert, sondern enthält kurz und auf den Punkt gebracht viele nützliche Lösungsvorschläge. So soll der Bundessicherheitsrat (BSR) zu einem Nationalen Sicherheitsrat weiterentwickelt werden. Zudem soll es einen "Bundesbeirat Sicherheit" geben, der militärische und zivile Experten zusammenbringt und den hybriden Bedrohungen mit hybriden Denkmustern begegnet. Um den Bundestag an das Thema Sicherheitspolitik heranzuführen, soll eine Sicherheitswoche - ähnlich der Haushaltswoche - eingeführt werden. Das ist insofern wichtig, weil es einige Parteien gibt, die lieber heute als morgen mit einem Silbertablett und den Schlüsseln zur Bundesrepublik nach Moskau reisen würden.

AKK und der GI scheuen auch keinen tiefen Blick in die eigenen Strukturen. Hier müsse einiges geschehen: Die Schließung von Lücken in Ausstattung und Ausrüstung stehen ganz weit oben. Neue Technologien sollen eingeführt werden und am Markt verfügbare Systeme sollen teuren Neuentwicklungen vorgezogen werden. Die Stabslastigkeit soll reduziert und Verantwortung sinnvoll verteilt werden. Führungsprozesse sollen gestrafft werden. Man könnte das wie folgt zusammenfassen: Wachstum der Fähigkeiten bei gleichzeitiger Verschlankung der Strukturen, Effizienz bei der Beschaffung und Förderung praxisrelevanter Innovationen.

Bei so viel Offenheit und klarer Benennung der Bedrohungslage könnte man meinen, dass dieses Papier schnell unter die Leute gebracht werden soll. Weit gefehlt: Wie aus dem Ministerium zu erfahren war, ist die nächste Pressekonferenz mit der Ministerin erst in einigen Wochen geplant. Scheint also doch alles nicht so dringend zu sein. Oder steht sich die Behörde mal wieder selbst im Weg?

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 2. Februar 2021

Türkischer Verteidigungsminister Hulusi Akar in Berlin empfangen

Antrittsbesuche finden während Corona entweder virtuell statt oder in einer protokollarisch stark reduzierten Form. Bezüglich des türkischen Verteidigungsministers hatte sich AKK für die zweite Variante entschieden. Die Ehrenformation fehlte. Das rote Podest fehlte. Der obligatorische Kranz wurde im Schneeregen am Ehrenmal der Bundeswehr niedergelegt. Die Programmpunkte Hymnen und Begrüßung der Delegationen waren ins warme Gästekasino verlegt worden.

Diplomaten wissen, dass ein persönliches Treffen deutlich ergebnisreicher verläuft als eine Zoom-Konferenz. Deshalb hatte Heiko Maas nach dem ersten Lockdown wieder sehr schnell mit Präsenztreffen angefangen. AKK hatte einige "schwierige Themen" wie den Ägäis-Konflikt anzusprechen. "Ich sehe Deutschland hier in einer Mittlerrolle", gab sie zu Protokoll. Beide Seiten seien sich der geostrategischen Position der Türkei an der Südost-Flanke der NATO bewusst.

Türkischer Verteidigungsminister Hulusi Akar von #AKK in Berlin empfangen
Türkischer Verteidigungsminister Hulusi Akar von #AKK in Berlin empfangen - Foto: Bundeswehr / Kraatz

Verteidigungsminister Hulusi Akar ist ein Mann vom Fach. Vor fast 50 Jahren startete er seine Karriere beim türkischen Heer und arbeitete sich bis zum 4-Sterne-General hoch und hatte letztlich eine dem Generalinspekteur vergleichbare Stellung inne. Seit Juli 2018 ist er Verteidigungsminister der Türkei. In der Türkei gibt es einen Nationalen Sicherheitsrat. In Deutschland tut man sich mit dem BSR, dem Bundessicherheitsrat, noch etwas schwer. Sicherheitspolitische Thinktanks fordern diesen auch für Deutschland, weil er die Koordinationsfähigkeit zwischen den relevanten Ressorts verbessert und die Entscheidungsprozesse verkürzt.

Die Türkei hat über 80 Millionen Einwohner und über 350.000 Militärangehörige. Das Land besitzt nur unwesentlich weniger Kampfpanzer als Russland. Die NATO war nicht sehr erfreut darüber, dass die Türkei S-400-Raketenabwehrsysteme aus Russland eingekauft hat, statt die westlichen Patriot-Systeme zu bestellen. Im Gegenzug stoppten die USA das Liefer- und Ausbildungsprogramm für F-35-Kampfflugzeuge. Überhaupt hatten die türkischen Streitkräfte einen spürbaren Aderlass erfahren, weil im Rahmen des vermeintlichen Putsches 2016 viele gut ausgebildete und kompetente Offiziere entlassen worden waren. Inzwischen kontrolliert Präsident Erdogan auch die Rüstungsindustrie seines Landes.

Autor: Matthias Baumann

Montag, 1. Februar 2021

Eiskristall: Gebirgsjäger trainieren in Norwegen den Kampf unter arktischen Bedingungen

Gebirgsjäger, die in Norwegen nicht selbst zum Eiskristall werden möchten, sollten sich an einige Regeln halten: trockene Kleidung, keine Metalllöffel und Teamarbeit. Aktuell kommen noch Regeln dazu, wie Corona-Schnelltests, Kohortenbildung und Abstand zu anderen Übungsgruppen. Die etwa 200 Soldaten, die mehrere Wochen im hohen Norden Norwegens unterwegs sind, kommen vorrangig aus Mittenwald bei Schloss Neuschwanstein. Ergänzt werden sie durch die Gebirgspioniere aus Ingolstadt.

Eiskristall: Gebirgsjäger trainieren in Norwegen den Kampf unter arktischen Bedingungen
Ausbildungs- und Übungsreihe "Eiskristall": Gebirgsjäger trainieren in Norwegen den Kampf unter arktischen Bedingungen. Das Foto zeigt das Ausbildungslager in Overbygd/Ratavn. Foto: Bundeswehr / Oberstabsgefreiter Kevin Skramec

Ortskampf, Waldkampf und Winterkampf können die Gebirgsjäger schon. Jetzt kommt noch die Komponente der widrigen Wetterlage hinzu. Die Kälte in Norwegen ist trocken und der Wind ist schnell. Bei diesen Bedingungen fühlen sich minus 20 Grad wie minus 50 Grad an. Skandinavische Sauna und ein warmes Hotel sind nicht vorgesehen. Stattdessen tagelang Zelt oder freier Himmel. Wer seine Sachen nicht trocken hält, wird klug durch Erfahrung. Deshalb steht auch ein Eiswasser-Training auf dem Programm. Dazu wird ein Loch in die Eisdecke eines Sees gebohrt und die Übungsteilnehmer springen ins Wasser. Kälteschock und Herausklettern werden überwacht. Auch in diesem Fall keine Sauna, sondern das eigenhändige Entfachen eines Feuers und anschließende Trocknen der Kleidung.

Nach den Lehreinheiten gibt es noch eine dreitägige Übung. Hier kommen die Pioniere ins Spiel. Was in Deutschland nicht so gut zu simulieren ist, kann in Norwegen nach Herzenslust trainiert werden. Die Pioniere sollen das Gefecht verzögern und den Gegner zu einem großen Umweg zwingen. Dazu sprengen sie die Eisfläche eines Sees.

In Norwegen finden viele Übungen von NATO-Partnern statt. Die Logistik scheint hervorragend zu funktionieren. Wenn die Übenden eintreffen, sind Fahrzeuge und Gerätschaften in der Regel schon per Bahn vor Ort. Die Norweger zeigen sich äußerst kooperativ, stellen Grundstücke für ein realitätsnahes Training zur Verfügung oder geben Aufklärungstrupps Deckung in ihren Gehöften. Skandinavien nimmt die Aufrüstung an der Nordostflanke Europas sehr ernst und hat deshalb ein starkes Eigeninteresse daran, dass die NATO ihre Fähigkeiten im arktischen Raum perfektioniert.

Autor: Matthias Baumann

Samstag, 30. Januar 2021

Resilienz und die hybride Behandlung hybrider Herausforderungen

Wenn Regierungsvertreter in Pressekonferenzen nach dem Aufbau von Resilienz gefragt werden, erwecken sie den Eindruck, noch nie etwas von diesem Begriff gehört zu haben. Elegant gehen sie dann auf schmückende Worte der Frage ein und umschiffen so die eigentliche Antwort. Nur Innen- und Verteidigungsministerium wissen etwas mit dem Begriff anzufangen. Seit einiger Zeit betreiben sie die ressortübergreifende Arbeitsgruppe "hybride Bedrohungen".

Hybride Bedrohungen sind eine neue Spielart zum Austragen kleiner und großer Konflikte. Die Möglichkeiten für spürbare Effekte bei niedrigem Aufwand haben sich durch Globalisierung und Internet potenziert. Angreifer können faktisch in jedem Lebensbereich ansetzen: Energie, Gesundheit, Transport, Finanzen, Medien, Kommunikation, Wasser- und Lebensmittelversorgung, Chemie- und Nuklearindustrie, Forschung, Weltraum, Rechtssicherheit oder öffentliche Sicherheit. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Metis Studie "Resilienz denken" und die Wirkungsebenen von Resilienz
Resilienz ist ein gesamtgesellschaftliches Thema. Das Archivfoto zeigt das Eintreffen des Bundespräsidenten auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2020.

Resilienz ist eine Buttom-up-Eigenschaft, die tatsächlich beim Individuum beginnt. In der Psychologie beschreibt Resilienz die Fähigkeit, sich von einem traumatischen Ereignis zu erholen. Eine resiliente Person ist dann noch in der Lage, ihren Alltag zu meistern, einen früheren Zustand der Stabilität zurückzugewinnen oder sogar gestärkt aus dem Trauma hervorzugehen. Diese Wirkungsweise von Resilienz unterscheidet übrigens auch einen Betroffenen von einem Opfer. Opfer sind zwar auch Betroffene, aber nicht jeder Betroffene ist ein Opfer. Opfer können sich nicht mehr selbst aufrappeln und einen früheren gesunden Zustand erreichen. Das Opfer ist also die Steigerungsstufe eines Betroffenen ohne Resilienz.

Impfungen können Teil der Resilienz sein, aber nicht die Resilienz selbst. Impfungen wirken gegen ein klar definiertes Szenario - also Grippeschutz gegen Grippe oder Gelbfieberimpfung gegen Gelbfieber. Resilienz ist breiter angelegt und kann mit "multidimensionalen Herausforderungen" umgehen. Die Vierfachimpfung ist ein kleiner Ansatz in diese Richtung, aber weit davon entfernt, eine flächendeckende Resilienz für die Gesundheit aufzubauen. Resilienz muss so fundamental eingepflanzt sein, dass sie gegen eine Vielzahl von Bedrohungen und Verletzungen wirken kann. Als eine Art robustes Betriebssystem, das den Rest der darauf werkelnden Programme im Blick hat und bei Bedarf korrigierend eingreift.

Der chinesische Militärstratege Sun Tzu gab die dringende Empfehlung, nicht davon auszugehen, dass der Feind gar nicht kommt, sondern diesem - egal, ob und wann er kommt - vorbereitet entgegentreten zu können. Wer wachen Auges durch den Alltag geht, wird Risiken und Bedrohungen wahrnehmen und überlegen, wie diese minimiert oder abgewehrt werden können. Beim Kampfsport werden Reflexe antrainiert, die auch in Angriffsszenarien abrufbar sind, die vorher nicht geübt wurden. Diese Reflexe wirken dann universell und sind sogar auf andere Bereiche des täglichen Lebens übertragbar.

Sun Tzu gab ferner den Ratschlag, die Energie des Gegners zu nutzen. Das machte auch der Boxer Mohammed Ali. Seinen Durchbruch feierte er 1974 im Kampf gegen George Foreman. Dieser war lange Zeit ungeschlagen und war dem älteren Mohammed Ali konditionell überlegen. Allerdings bediente sich Mohammed Ali eines Tricks. Er ließ sich in die Seile drängen und kompensierte die Schläge seines Gegners über die Elastizität der Seile. Nachdem George Foreman sich dann ordentlich verausgabt hatte, schlug Mohammed Ali zurück und wurde Sieger.

Metis Studie "Resilienz denken" und die Wirkungsebenen von Resilienz
Resilienz kann mit mehrdimensionalen Herausforderungen umgehen und beschränkt sich nicht auf ein spzifisches Bedrohungsszenario. Resilienz reagiert in hybrider Form auf hybride Angriffe. (Archivfoto aus Juni 2020)

Während die EU über Resilienz zur nachträglichen Behandlung von Katastrophen im Zusammenhang mit Energie, Ernährung, Wasser, Umwelt oder Gesundheit diskutiert, beschäftigt sich die NATO mit der abschreckenden Wirkung von Resilienz. "Täter suchen Opfer - keine Gegner" lautet ein alter Polizeispruch. Deshalb sei ein "Show of Resilience" (Resilienz zeigen) schon fast mit "Show of Force" (Gewaltpotenzial zeigen) vergleichbar. Wenn ein Gegner beispielsweise mit seiner Desinformationskampagne nicht mehr landet, hat er sich umsonst angestrengt und muss andere Wege suchen. Der Gegner soll möglichst schon vor dem ersten Angriff davon überzeugt werden, dass das Unterfangen zwecklos ist und lediglich vermeidbare Kosten verursacht.

Privatpersonen können durch Horizonterweiterung, einen wachen Blick für die Umgebung, freundschaftliche Beziehungen, Flexibilität, Ausdauertrainings und gelegentliche Stresstests ihre Resilienz stärken. Auf der politischen Ebene läuft das ähnlich - nur in einem größeren Maßstab. Waren Individuum und Staat bisher oft voneinander abgekoppelt, macht der Aufbau effektiver Resilienz eine Verschmelzung von Bürger und Staat notwendig. Bei der Abwehr von Cyberangriffen und Desinformation klappt das in Ländern wie Finnland und Estland schon sehr gut. Wohl aus der akuten Bedrohungslage heraus. Diese Bedrohung empfinden in Deutschland bisher nur sicherheitspolitisch interessierte Personen.

So gibt es in Deutschland keine Standards zum Aufbau einer gesamtstaatlichen Resilienz. Nötig wäre eine Verbesserung des Informationsaustauschs zwischen Bürgern und Behörden, eine Harmonisierung der Monitoring- und Einsatzführungssysteme, eine permanente Beobachtung und Auswertung des Lagebildes und ein Ausbau der zivil-militärischen Zusammenarbeit. Letzteres passiert gerade in Form der Amtshilfe in Gesundheitsämtern und Impfzentren. Nicht zu vergessen seien Einrichtungen für die Frühwarnung. Das neu eingerichtete Kompetenzzentrum Krisenfrüherkennung sammelt Experten um sich und berechnet das mögliche Auftreten und den Verlauf von Krisen. Als Ergebnis werden Strategien zur Abwehr oder Behandlung der Krise erarbeitet. Diese stehen dann den Verantwortlichen in Berlin für die Entscheidungsfindung zur Verfügung. Unsere parlamentarische Demokratie bringt es mit sich, dass Entscheider zuweilen nach Bauchgefühl oder eigener Meinung entscheiden, so dass gesamtgesellschaftliche Resilienz letztlich mit demokratischen Entscheidungsprozessen steht oder fällt.

Autor: Matthias Baumann

P.S.: Die Anregung zu diesem Artikel kam von der Metis Studie Nummer 21 aus November 2020.

Montag, 21. Dezember 2020

Kirche setzt sich mit Rüstungsexporten auseinander

Es war eine dieser Pressekonferenzen, in der sich die Protagonisten darauf konzentrierten, einen Katalog von Forderungen vorzutragen. Die Prälaten Dutzmann und Jüsten waren persönlich erschienen und Dr. Simone Wisotzki war per Skype zugeschaltet. In der GKKE, der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung, sind evangelische und katholische Amtsträger zusammengeschlossen und versuchen, am sicherheitspolitischen Diskurs des Bundestages teilzunehmen. Als eine Art ethische Lobby und weitere Stimme in der Meinungsvielfalt des Parlaments.

Zum "Hinschauen, wo es weh tut" werden die Gläubigen regelmäßig von der Kanzel aus ermutigt. Langjährige Predigthörer wissen natürlich, in welche Richtung zu schauen ist, damit es möglichst nur bei anderen weh tut. Die GKKE hat sich für das Hinschauen den Prügelknaben der Nation ausgesucht: die Bundeswehr und im weiteren Sinne die Rüstungsindustrie. Akribisch wurden 100 Seiten mit statistischen Daten zu Rüstungsgenehmigungen und tatsächlichen Exporten zusammengestellt und mit entsprechenden Forderungstexten versehen. Hinzu kamen Klagelieder über die Differenz zwischen "politischer Rhetorik" und dem Handeln der Bundesregierung. Die GKKE selbst ist fein raus, da sie nur analysiert, beobachtet, kritisiert und fordert. Umsetzen muss sie nichts. Kein Wunder, dass das für Rüstung zuständige Wirtschaftsministerium seit 2018 den Dialog auf Eis gelegt hat.

GKKE Rüstungsexportbericht 2020
GKKE stellt ihren Rüstungsexportbericht 2020 vor - Das Archivfoto aus 3/2019 zeigt ein Maschinengewehr MG3 und dessen Munition. Kann der Nachschub an Munition gestoppt werden, endet bald auch der Konflikt.

Der 100-seitige Bericht und die Aussagen in der Pressekonferenz vermittelten den Eindruck, dass die Fachgruppe im Lagebild des Jahres 2000 lebt. Auf dieser Basis scheint sie die Zusammenhänge von Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik zu bewerten. Flankiert wird das mit der Definition eines ethischen Sollzustandes, der eine allseits praktizierte, regelbasierte Konfliktlösung voraussetzt. Das verschafft der GKKE eine Anschlussfähigkeit bei DIE LINKE und den Grünen. Terrorismus, Krim, Corona und Desinformation spielen als Bedrohungsszenarien eine untergeordnete Rolle. Über bewaffnete Drohnen fange man gerade an, sich eine Meinung zu bilden. Zumindest hat die GKKE das zeitlose Problemfeld der Kleinwaffen im Blick und weiß, dass ein Ende der Munitionslieferung auch ein Ende der Nutzung der Waffen bedeutet.

Während sich die praktizierende Christin Annegret Kramp-Karrenbauer über die Möglichkeiten des neuen Europäischen Verteidigungsfonds freut, wird dieser von der GKKE scharf kritisiert. Dass Deutschland und Europa seitens der USA zunehmend in die Eigenverantwortung entlassen werden, scheint außerhalb der Wahrnehmung dieser kirchlichen Fachgruppe zu liegen. Die Strategie der Hilfe zur Selbsthilfe ist ihnen wohl ebenfalls neu. So habe die Gruppe "wiederholt auf die Problematik der Ertüchtigung von Polizei und Sicherheitskräften in Drittstaaten hingewiesen". Nach allgemeinem Verständnis arbeiten Ausbilder von Polizei und Bundeswehr in fragilen Staaten, um ein gewisses Maß an Stabilität zu erreichen, bauen mit regionalen Kräften erste tragfähige Strukturen auf und haben das erklärte Ziel, entbehrlich zu werden. In einigen Ländern gelingt das und in anderen Ländern wie Mali stellt sich die Ausbildung regionaler Kräfte eher als Zeitverschwendung heraus. Hilfe zur Selbsthilfe stellt Hilfsbedürftige auf eigene Füße und entlastet damit die Helfenden.

Die GKKE heftet sich die Lorbeeren für eine Verbesserung der Transparenz bei Kriegswaffenausfuhren an und betont, dass sie Gerichtsverfahren gegen Heckler & Koch oder Sig Sauer beobachte. Diese sollen Kleinwaffen an problematische Empfänger geliefert haben. Sie schauen aber auch hin bei Waffenlieferungen an Staaten, die am Jemen-Konflikt beteiligt sind. Ein ganz schwieriges strategisches Thema, das die Außen- und Sicherheitspolitik von NATO-Partnern, Erdölabnehmern und Exportnationen in ein Dilemma führt. Als Lösung schlägt die GKKE ein Rüstungsexportkontrollgesetz vor. Auch möchte sie eine umfangreiche Kontrollinstanz für Rüstungsexporte und mögliche Weiterverkäufe von Waffen in deutschen Behörden etabliert sehen.

Politik in Deutschland wird mit Kompromissen gestaltet. Parteien, Ausschüsse, Arbeitskreise, Lobbyisten, Minister, Hinterbänkler und Journalisten bringen ihre Meinung ein. Dann wird debattiert. Einige Themen lösen sich zuweilen zwischenzeitlich von selbst. Und zum Schluss gibt es einen Konsens der stärksten Kräfte. In diesem Potpourri mischt auch die GKKE mit.

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 15. Dezember 2020

Indo-Pazifik-Leitlinien: Japan als 3. Station der virtuellen Asienreise von AKK

Es gehe nicht darum, sich gegen jemanden zu positionieren, war eine der ersten Aussagen der Ministerin bei ihrem heutigen virtuellen Besuch in Japan. Man trete für Wohlstand und eine regelbasierte Ordnung ein. Nicht das Recht des Stärkeren solle dabei zur Geltung kommen, sondern friedliche, regelbasierte, diplomatische Lösungen. Was aber, wenn nicht alle bei diesen Spielregeln mitmachen? So sei inzwischen eine "Konkurrenz zu spüren".

Indo-Pazifik-Leitlinien: Japan als 3. Station der virtuellen Asienreise von AKK
Japan als 3. Station der virtuellen Asienreise von AKK zu den Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung - Japans Verteidigungsminister Nobuo Kishi hatte sein Büro mit einem stilechten Buddy-Bären dekoriert. Sein Staatssekretär hatte ein T-Shirt des FC Augsburg und ein Plakat zur "Sendung mit der Maus" im Hintergrund aufgehängt.

Auch Japan zeigte sich in der heutigen Videokonferenz sehr erfreut über die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung, setzt aber auch hohe Erwartungen in deren Umsetzung. Insbesondere die Ankündigung "maritimer Präsenz" weckt große Hoffnungen bei Japans Verteidigungsminister Nobuo Kishi. So begrüßte er die angekündigte Entsendung deutscher Marineschiffe in die Region. Welche Art Schiffe in welcher Anzahl das sein werden, ist allerdings noch offen. In der Videokonferenz mit Singapurs Verteidigungsminister war die Rede von einer Entsendung in 2021. Als Dämpfung der Euphorie könnte gewertet werden, dass AKK heute nur von Marineoffizieren redete, die bei Partnern in der Region mitfahren. Auch könne Deutschland nur ein "Zeichen der Verbundenheit" geben. Immerhin habe man noch verschiedene andere Verpflichtungen im Rahmen der NATO zu erfüllen.

Zurzeit schauen viele Regionen der Erde auf Europa und warten sehnsüchtig darauf, dass Deutschland endlich seine Führungsrolle übernimmt. Das "Zeichen der Verbundenheit" könnte wieder zur Enttäuschung für Partner werden. Deutschland wird zunehmend Unentschlossenheit und ein weites Zurückbleiben hinter seinem Potenzial attestiert. AKK sprach von dem Spagat, den Deutschland machen müsse, um mit China einerseits als strategischem Partner und andererseits als systemischem Rivalen umgehen zu müssen. Die bisherige Strategie deutscher Außen- und Sicherheitspolitik war eher von Harmoniebedürfnis geprägt - eine Strategie von "guter Bulle" und "schlechter Bulle". Mit robusten Aufgaben konnten sich die Briten, Franzosen oder Amerikaner unbeliebt machen, während Deutschland dann als Aufbauender mit viel Geld hinterherkam. Zur Entlastung sei gesagt, dass Briten, Franzosen und Amerikaner ganz andere Entscheidungswege haben: Wenn dort der Präsident oder Premierminister etwas entscheidet, wird es eben umgesetzt. In Deutschland muss es erst einmal durch den Bundestag und kommt letztlich als weichgespülte Kompromisslösung zur Anwendung.

Indo-Pazifik-Leitlinien: Japan als 3. Station der virtuellen Asienreise von AKK
Japan als 3. Station der virtuellen Asienreise von AKK zu den Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung - In Deutschland war die Videokonferenz um 9 Uhr gestartet. In Japan war es in demselben Moment bereits 17 Uhr. Diese Videokonferenzen haben den Vorteil, dass die Reisekosten entfallen und dass mehr Personen daran teilnehmen können.

Japan hatte auch sehr genau die NATO-Übung US Defender im Frühjahr 2020 beobachtet. Man wollte sehen, wie die Interaktion zwischen US-Streitkräften und Europäern funktioniert. US Defender hatte durch Corona ein jähes Ende erfahren. Das Manöver hatte jedoch so gut funktioniert, dass diverse Übungseinheiten komplett abgeschlossen werden konnten. Kürzlich hatte Japan sein eigenes multinationales Manöver - das Seemanöver Malabar unter Beteiligung von Indien, Australien, der USA und Japan. Indien ist mit seinen 1,45 Millionen Militärangehörigen ein wichtiger sicherheitspolitischer Player in der Region. Es verfügt über einen Flugzeugträger, 17 U-Boote, 13 Zerstörer, 13 Fregatten und 66.100 Marinesoldaten. Die Malabar-Übung fand weitestgehend außerhalb der Beachtung deutscher Medien statt. Die Berichterstattung wurde deshalb vom russischen Kreativjournalismus übernommen.

Damit wären wir auch schon bei den weiteren Schwerpunkten japanischer Sicherheitspolitik: Desinformation, Cyber, Radarstörungen und Weltraum. Bezüglich Desinformation wird auch China eine hohe Kompetenz nachgesagt. Allerdings kann es sich derzeit noch gut hinter Russland verstecken. In Sachen Radar, Cyber und Weltraum hat China die Nase vorn und ist schon jetzt ein ernst zu nehmender Wettbewerber des Westens. Das Zittern vor Chinas Quantentechnologie ist schon seit einiger Zeit zu spüren. Diese würde sämtliche bisherigen Verschlüsselungs- und Zugriffsmechanismen in die Historie der Informationstechnik katapultieren. Ein Problem, das sich bis zur Oma durchschleift, die während Corona gelernt hat, virtuell mit dem Enkel zu kommunizieren.

Weil Außen- und Sicherheitspolitik eng miteinander verknüpft sind, wurde am Ende der Videokonferenz vorgeschlagen, so bald wie möglich ein Präsenztreffen der Außen- und Verteidigungsminister zu veranstalten. Frau Kramp-Karrenbauer nahm diesen Vorschlag gerne an und wird das an ihren Kollegen vom Auswärtigen Amt weitergeben.

Autor: Matthias Baumann

Freitag, 4. Dezember 2020

IISS Manama Dialogue in Bahrain #IISSMD20

Heute begann in Bahrain der dreitägige Manama Dialog des IISS (International Institute for Strategic Studies). Das IISS mit seinem Hauptsitz in London ist ähnlich gut vernetzt wie die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) und bringt entsprechend wichtige Entscheidungsträger aufs Podium. Das IISS bringt seit vielen Jahren die Military Balance heraus, ein Buch mit inzwischen über 500 Seiten und detaillierten Informationen zur militärischen Stärke von über 170 Staaten der Welt. Die Zahlen im Buch gelten in Sicherheitskreisen als zuverlässig.

Der Manama Dialog ist der wichtigste sicherheitspolitische Gipfel im Nahen und Mittleren Osten. Deshalb sind neben dem britischen Generalstabschef und dem Generalsekretär des GCC (Gulf Cooperation Council) eine beachtliche Zahl von Außenministern persönlich nach Bahrain gereist. Die Eröffnungsrede hielt der noch amtierend Außenminister der USA, Mike Pompeo - virtuell. Virtuell waren auch die israelische Außenministerin Gabi Ashkenazi und der kanadische Verteidigungsminister Hajrit Sajjan dabei.

#IISSMD20 IISS Manama Dialogue in Bahrain
#IISSMD20 IISS Manama Dialogue in Bahrain - viele Außenminister vor Ort - hohe Hygienestandards wegen Corona - Liveübertragung für virtuelle Teilnehmer

Mike Pompeo hatte drei Hauptthemen auf seiner Agenda: Iran, China und Israel. Das größte Problem in der Region stelle nicht der israelisch-palästinensische Konflikt dar, sondern der Iran mit seinen vielfältigen Bedrohungsmustern. Das Atom-Programm sei nur ein Teil davon. Es gehe weiter mit konventionellen Raketen und der Vernetzung iranischer Kräfte im gesamten Nahen Osten. Letztere beeinflussen, untergraben und destabilisieren ganze Staaten der Region. Wenn die Staaten dann komplett am Boden liegen, überlassen sie deren Bevölkerung ihrem Schicksal. Bezüglich Israel referenzierte Mike Pompeo mehrfach auf die Bibel und führte die positive Entwicklung im Zusammenhang mit den Abraham Accords an. Das sind kürzlich abgeschlossene Friedensverträge zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie zwischen Israel und Bahrain. "Let's keep pressing Iran", war das, was er dem Nahen Osten zum Ende seiner Amtszeit noch mitgeben wollte. Auf Deutsch: "Lasst uns weiter Druck machen gegen den Iran."

In Blick auf China ging der Außenminister noch einmal auf die eigene Fehleinschätzung ein, dass eine Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation (WTO) automatisch zu einer Demokratisierung der Gesellschaft führe. Es gehe nicht um einen Konflikt zwischen USA und China, sondern um "Freiheit versus Tyrannei". Dann erläuterte er noch, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei Corona versagt habe und dass die USA gerne an einer weltweiten Pandemiebekämpfung teilnehmen würden - ohne das "politisierte" Instrument der WHO. Sehr deutliche Worte fand er auch bei "America's security first". Das mache jede Nation so. Ohne das im Detail auszuführen, war das eine starke Botschaft in Richtung NATO-Partner, die sich nach wie vor auf den Fähigkeiten der USA ausruhen - auch in der Golf-Region.

Am Samstag diskutieren unter anderem die Außenminister von Saudi Arabien, Südkorea, Oman, Bahrain, Jordanien und Irak in verschiedenen Panels über die Sicherheit im Nahen Osten im globalen Kontext, globale Führungsrollen im Angesicht von Corona und mögliche Lösungen für den Konflikt im Nahen Osten. Wer daran denkt, dass die Uhren in Bahrain schon zwei Stunden weiter sind als in Deutschland, kann online dabei sein. Die Zeitverschiebung trifft den kanadischen Verteidigungsminister Harjit Singh Sajjan besonders hart: Sein Statement steht zwischen 3 und 5 Uhr in der Nacht auf dem Programm.

Das Königreich Bahrain ist ein Inselstaat im Persischen Golf und wesentlich kleiner als Rügen. Eine etwa zehn Kilometer lange Brücke verbindet die Insel mit dem saudischen Festland. Bahrain wird "Bachrejn" ausgesprochen und die Hauptstadt heißt Manama. Bahrain hat 1,4 Millionen Einwohner und ein geostrategisches Problem. Es liegt nämlich zwischen den Kontrahenten Saudi-Arabien und Iran. Das Königreich wird von Saudi-Arabien und den USA unterstützt. Im Gegenzug beherbergt es das Hauptquartier der 5. U.S.-Flotte. Seit 2018 sind auch wieder britische Soldaten auf der Insel stationiert. Die Streitkräfte Bahrains umfassen nur 8.200 Berufssoldaten. Diese gelten aber als gut trainiert und haben ihre Kompetenz bereits in verschiedenen Kommandoaktionen und bei der Abwehr von Piraten unter Beweis gestellt. Diese Leistungsfähigkeit hat ihnen auch entsprechende Führungsrollen verschafft. Bahrain ist Mitglied des GCC.

Wegen des hohen Interesses an der Sicherheit in der Region arbeitet das Land schon seit vielen Jahren konstruktiv mit dem IISS zusammen. Die dreitägige IISS-Konferenz erfreut sich deshalb einer großzügigen Unterstützung des Königshauses. Da Sicherheit auch die persönliche Gesundheit betrifft, wurden umfangreiche Hygienemaßnahmen vor Ort ergriffen und virtuelle Räume für ferngebliebene Teilnehmer geschaffen.

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 17. November 2020

2. Grundsatzrede von AKK: Bekenntnis zu NATO, USA und Eigenverantwortung

Während sich die Bevölkerung in Deutschland uneins darüber ist, ob es Corona überhaupt gibt, verschiebt sich außerhalb des Schengen-Raums bereits das Machtgefüge. Diesem ist es egal, was hierzulande diskutiert und geglaubt wird. Es passiert einfach. Wenigstens hat die Verteidigungsministerin noch einen Blick für die "strategische Gesamtlage". Diesen Blick teilen im Bundestag nur wenige Kollegen mit ihr.

So bemerkte sie in ihrer heutigen zweiten Grundsatzrede, dass sich das Parlament wegen der Historie befangen fühle und deshalb so zaghaft auf die weltweit geforderte deutsche Führungsrolle blicke. Das wirke sich auch auf die Geschwindigkeit von Entscheidungsprozessen aus. Deutschland trete deshalb schnell als Unterstützer auf, scheue sich aber vor Robustheit. Robustheit bedeutet: Kampfeinsätze mit direktem Feindkontakt. Auch Soldaten beklagen, dass sie als Kämpfer in die Bundeswehr eingestiegen waren, in der Öffentlichkeit aber immer nur als Brunnenbohrer und Helfer im Gesundheitsamt wahrgenommen werden. Wenn es nach AKK ginge, würde sich das ändern. Das letzte Wort hat jedoch der demokratische Diskurs.

2. Grundsatzrede von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer #AKK vor Studenten der Universität der Bundeswehr in Hamburg
2. Grundsatzrede von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer #AKK vor Studenten der Universität der Bundeswehr in Hamburg - Die Rede wurde über den Twitter-Account des BMVg übertragen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was sie bis zur nächsten Wahl noch bewegen kann. Ihre 3-Punkte-Agenda bietet jede Menge Ansatzpunkte zur parlamentarischen Auseinandersetzung. Erstens möchte sie die Fähigkeiten bei der Verteidigung ausbauen und weitere Finanzen trotz Corona akquirieren. Zweitens bekennt sie sich klar zur NATO und den durch Deutschland unterzeichneten Verpflichtungen. Drittens sieht sie die EU an der Seite der USA, wenn es um die China-Politik geht. Gerade das ist eine Gratwanderung, weil sich Deutschland gegenüber China nicht so weit aus dem Fenster lehnen kann.

Taktisch setzt die Ministerin auf "Verteidigungsdiplomatie" und darauf, Flagge zu zeigen für unsere Werte, Interessen und Partner. Die Interessen sind relativ neu im Sprachgebrauch unserer Spitzenpolitiker, aber ein wichtiger Schritt in Richtung Führungsrolle. Da die USA offensichtlich nicht mehr führen wollen - auch unter Joe Biden nicht - möchte AKK die Eigenverantwortung stärken und vom "hilfsbedürftigen Schützling" der USA zu deren Partner werden. Sie sieht darin keinen Widerspruch zur herben Kritik des französischen Präsidenten Macron. Dieser hat schon eine starke europäische Armee vor Augen, während AKK die nüchterne Bilanz zieht, dass für einen Verzicht auf die USA einige Jahrzehnte und sehr viel mehr Geld investiert werden müssten. Hier scheidet sich wohl der Optimist Macron von der Realistin Kramp-Karrenbauer.

Zur Untermauerung zählte die Ministerin dann noch die Fähigkeiten der US-Streitkräfte auf, die wir bislang so selbstverständlich mitbenutzen: 70% der "strategic enabler" (strategische Möglichmacher) wie Aufklärung, Hubschrauber, Luftbetankung und Satellitenkommunikation. Sie stellen fast 100% der Abwehr gegenüber ballistischen Raketen sowie einen Großteil der nuklearen Abschreckung. Hinzu kommen 76.000 US-Soldaten in Europa und eine enorme Zahl von Reservekräften. Damit realisieren die USA etwa 75% der gesamten NATO-Fähigkeiten.

Was die Fähigkeiten der Bundeswehr betrifft, wird die Ministerin keine Großprojekte mehr genehmigen, wenn nicht gleichzeitig die Grundausstattung der Soldaten gesichert ist. Mit diesem Thema war schon ihre Vorgängerin bei Truppenbesuchen konfrontiert worden. AKK obliegt es nun, das auch umzusetzen.

Autor: Matthias Baumann

Freitag, 13. November 2020

AKK forciert die Umsetzung der Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung

Dass ein Politiker kaum in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, heißt nicht, dass er nichts tut. So war über die neue Wehrbeauftragte Eva Högl zu erfahren, dass bisher jeder ihrer Truppenbesuche seitens der Soldaten äußerst positiv aufgenommen wurde. Auch Annegret Kramp-Karrenbauer zieht konsequent ihre Agenda durch - in der häuslichen Quarantäne oder im Ministerinnenbüro. Der Teil-Lockdown verkürzt die Reisezeiten und ermöglicht eine Vergrößerung der Teilnehmerzahlen - per Webkonferenz.

Während die Sichtbarmachung der Bundeswehr durch mehr und größere Gelöbnisse, das Bahnfahren in Uniform und virale Werbekampagnen auf dem "Parallelgleis" durch das Land rauscht, betreibt AKK Multitasking und trifft sich virtuell mit ihren Kollegen aus dem Indo-Pazifik-Raum. Heute stand Dr. Ng Eng Hen aus Singapur in ihrem Terminkalender. Das Treffen war von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und der S. Rajaratnam School of International Studies (RSiS) organisiert worden.

Indo-Pazifik-Leitlinien Verteidigungsminister AKK Ng Eng Hen Singapur KAS RSiS
Singapurs Verteidigungsminister Ng Eng Hen (oben links) und seine Kollegin Annegret Kramp-Karrenbauer #AKK (oben rechts) diskutieren die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung in einer Webkonferenz der KAS und der RSiS

Der Berliner würde sagen: Singapur ist klein, aber Oho! Singapur hat nur sechs Millionen Einwohner und eine Grundfläche, die kleiner als Berlin ist. Singapur liegt aber an einer Stelle, die das Südchinesische Meer mit dem Indischen Ozean verbindet. Das macht diesen Stadtstaat seit vielen Jahren sehr reich. Pro Kopf erwirtschaftet Singapur etwa 64.000 USD pro Jahr und liegt damit fast auf dem Niveau von Katar.

Singapur gilt als das militärisch am besten ausgestattete Land der Region. Über 4% des BIP werden in die Verteidigung investiert. Besonderes Augenmerkt gilt der Luft- und Seeverteidigung. Singapur besitzt 4 U-Boote, 6 Fregatten, 11 Korvetten und 105 Kampfflugzeuge. Letztere zum Großteil aus amerikanischer Produktion. Die Anschaffung weiterer F-35-Maschinen ist geplant. Fragt sich, wo dieses ganze Gerät auf dem kleinen Territorium untergebracht wird?

So wie Deutschland ist auch Singapur an offenen Seewegen interessiert. Beim regelbasierten Welthandel decken sich ebenfalls die Interessen. Minister Ng Eng Hen besucht seit 2012 die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) und traf dort im Februar 2020 erstmalig seine Kollegin Kramp-Karrenbauer. Der Minister betonte mehrfach, dass Deutschland endlich eine sichtbare Verantwortung für den Erhalt der globalen Ordnung einnehmen solle. Deutschland und die EU sollten Gestalter der Weltordnung sein. Er drückte es in Neudeutsch mit "shapen the global order" aus. Denn nur wer mit am Tisch sitze, habe auch Einfluss auf die Speisekarte. Während innerhalb Deutschlands regelmäßig über die Regierung hergezogen wird, blicken viele Staaten von außen auf die Bundesrepublik und erwarten, dass sie endlich ihre Leitungsrolle wahrnimmt.

Wie Theorie in Praxis umgesetzt wird, zeigten die Antworten von AKK: Deutschland wolle nicht mehr reden, sondern praktische Präsenz zeigen. Zur "maritimen Präsenz" in den Indo-Pazifik-Leitlinien sagte die Ministerin, dass im nächsten Jahr Schiffe in die Region entsandt werden und sich deutsche Soldaten an Übungen und Einsätzen beteiligen werden. Sie klang entschlossen, den Bundestag für entsprechende Mandate zu gewinnen.

Die Indo-Pazifik-Leitlinien haben noch einen anderen Nutzen. Da sich die USA auch unter Joe Biden auf Asien fokussieren, könnte der Indo-Pazifik nun zur gemeinsamen Schnittmenge werden. Die Beziehung zu den USA wird dann also über die andere Himmelsrichtung aufgezogen: nicht mehr atlantisch, sondern indo-pazifisch.

Autor: Matthias Baumann

Montag, 9. November 2020

#NATO2030 Young Leaders Summit

Die NATO gibt sich jung und zukunftsorientiert. Jens Stoltenberg ohne Krawatte. Jens Stoltenberg am Videomischpult. Videos mit schnellen Schnitten und modernen Beats. Sicherheitspolitischer Nachwuchs ist gefragt bei der NATO. Dieser kommt aus sämtlichen Mitgliedsstaaten: Kanada, Estland, Deutschland, Spanien, Großbritannien, USA und weiteren. Was bewegt eine Generation, die im Jahr 2030 zu den Entscheidungsträgern gehören wird?

Um das zu erfahren, wurden in die heutige Webkonferenz mehrere Umfragen eingebaut. Die Ergebnisse waren durchaus interessant. So betrachten etwa die Hälfte der jungen Leiter (Young Leaders) die NATO als eine Gemeinschaft, deren Zweck der Erhalt demokratischer Werte und Strukturen sei. Die Mitgliedsstaaten umfassen etwa eine Milliarde Menschen. Die NATO will diese unter einen Hut bringen. Jens Stoltenberg stellte deshalb die Einheit heraus. Wenn es Meinungsverschiedenheiten gebe, könne man sich kraft dieser Einheit hinsetzen und die Themen ausdiskutieren, bis ein für alle faires Ergebnis erreicht sei. Ein Teilnehmer sagte, dass er die NATO weniger als Organisation sehe, sondern mehr als eine Community (Gemeinschaft). Eine Organisation versinke in ihrem administrativen Selbstzweck, während eine Community ein lebendiger Organismus sei, der tatsächlich etwas bewege.

Dass die NATO mehr als eine militärische Allianz ist, wurde mehrfach bestätigt: Werte, Demokratie, gemeinsame Verteidigung, Resilienz, gleiche Herausforderungen, Umgang mit der Pandemie und wirtschaftliche Beziehungen verflechten die NATO-Staaten miteinander. Das Netzt erstreckt sich von den USA über Europa bis nach Japan und Australien.

#NATO2030 Young Leaders Summit
#NATO2030 Young Leaders Summit - virtuelle Konferenz mit jungen Leitern aus verschiedenen NATO-Mitgliedsstaaten - oganisiert von NATO und der Münchner Sicherheitskonferenz #MSC2021

Ältere Leiter fokussieren sich derzeit auf China, Russland, den IS oder Corona. Die jungen Leiter von #NATO2030 sehen ganz andere Schwerpunkte. Sie betrachten weder die USA, noch China, noch Russland als fähig, im Jahr 2030 die Weltpolitik zu polarisieren. Sie gehen mehrheitlich davon aus, dass es Szenarien des Kalten Krieges geben wird. Ein kalter Krieg, der von sämtlichen Akteuren mit Desinformation und weiteren Cyber-Aktivitäten gestaltet wird.

Deshalb drehten sich viele der Wortbeiträge um den Cyber-Informationsraum. Hier müsse die NATO zwei primäre Aufgaben erfüllen: Erstens die Gesellschaften in der Resilienz gegenüber Desinformation trainieren. Zweitens mehr Sichtbarkeit und Einfluss in den Sozialen Netzwerken aufbauen. Bei der Resilienz ist Estland ganz weit vorne. Estland sah sich schon sehr früh mit medialer Einflussnahme durch einen seiner Nachbarn konfrontiert und betreibt nun das Cybersecurity Centre of Excellence der NATO. Es gebe zwar auch in anderen Mitgliedsstaaten Cyber-Security-Einheiten. Diese haben aber bisher kaum Mittel für Teams, die sich mit der Abwehr von Desinformation beschäftigen. Bevor die harte Abwehr einsetzt, wäre der Aufbau von Resilienz in der Bevölkerung sinnvoll. Dazu müsste diese für die zersetzende Gefahr von Desinformation sensibilisiert werden und Antennen zur Erkennung falscher Informationen entwickeln. Nutzer sollten im Bewusstsein für Wahrheit und Fake News geschult werden und darin, wie sie beispielsweise mit Trollen umgehen.

Die britische Firma Factmata hat schon vor einigen Jahren Programme entwickelt, die automatisch falsche Informationen aufspürt. Dabei werden Narrative (Erzählungen), Häufigkeit von Begriffen und Art der Verbreitung analysiert und anhand dessen Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt von Botschaften gezogen. Diese Firma setzt sich dafür ein, Gegen-Narrative zu entwickeln. Die Europäische Union hat die Kampagne EUvsDisinfo aufgesetzt und deckt schonungslos die Machenschaften eurasischer Medienakteure auf.

Neben Cyber wird 2030 aber auch der Space eine Rolle spielen, also nicht nur der Cyberspace, sondern der echte Space - auch als Weltraum bekannt. Angriffe auf Satelliten oder durch Satelliten werden dann zum Standard gehören. Satelliten sind zwar weit weg, aber in Bezug auf Fernsehen, Kommunikation oder Navigation kaum noch aus unserem Alltag wegzudenken. China hatte bereits 2007 erfolgreich die Zerstörung eines Satelliten mit einer umgebauten Mittelstreckenrakete getestet.

Die Erderwärmung ist zwar auch ein Thema, das junge Leiter tangiert. Allerdings können sie das noch nicht so recht mit der Sicherheitspolitik verknüpfen. Dabei würde das Überschreiten gewisser Grenzwerte zu einer Massenflucht aus der Äquatorgegend führen. Brasilien und die Sahel-Zone wären dann nämlich einfach nicht mehr bewohnbar. Ganz abgesehen von Inseln wie den Malediven, die dann bei Tauchexpeditionen erkundet werden können.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 5. November 2020

Australien zeigt sich begeistert über die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung

Bei Staatsbesuchen aus Afrika kommt zuweilen die Frage auf, warum der Gast noch seinen Pyjama trägt. Dem heutigen Gipfeltreffen zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer und ihrer Amtskollegin Linda Reynolds konnten Zuschauer dank Corona auch im Schlafanzug beiwohnen. Linda Reynolds saß in Canberra und freute sich wohl schon auf das Abendessen, während AKK vermutlich gerade erst gefrühstückt hatte. Zehn Stunden Zeitunterschied und 16.000 Kilometer Distanz liegen zwischen Deutschland und Australien.

Indo-Pazifik-Leitlinien Australien Verteidigungsministerinnen Linda Reynolds und #AKK Annegret Kramp-Karrenbauer
Videokonferenz der Verteidigungsministerinnen von Australien und Deutschland, Linda Reynolds (oben) und Annegret Kramp-Karrenbauer #AKK (unten rechts), über die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung

In den Gründungspapieren der Bundeswehr wurde festgeschrieben, dass Verteidigungsminister in der Hauptsache Politiker sein sollen. Ihre Aufgabe bestehe in der Verbindung zwischen Bundeswehr und dem Parlament. Für die militärische Expertise seien Staatssekretäre und der Generalinspekteur zuständig. Diese Kombination begegnet uns in vielen Ländern wie beispielsweise Indien, Norwegen oder Frankreich. Die Niederlande oder Australien bilden eine Ausnahme. Linda Reynolds blickt auf eine 30-jährige militärische Vergangenheit zurück und war die erste Frau Australiens, die zum Brigadegeneral befördert wurde. Sie ist seit Mai 2019 im Amt und traf ihre Kollegin erstmals im Februar 2020 auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Damals hatte Frau Kramp-Karrenbauer einen regelrechten Minister-Marathon in den Nebengelassen des Bayerischen Hofs hingelegt. Einen Monat später waren Treffen von Angesicht zu Angesicht wegen Corona nicht mehr möglich.

Auch das heutige Treffen hätte normalerweise persönlich stattfinden sollen. Annegret Kramp-Karrenbauer hält sich jedoch in präventiver Quarantäne zu Hause auf. Deshalb hatten das ASPI (Australian Strategic Policy Intitute) und die KAS (Konrad Adenauer Stiftung) ein virtuelles Treffen organisiert. Es sollte um die neuen Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung gehen. Mehrfach betonte Linda Reynolds, dass die Leitlinien von den Australiern "very much warmly welcomed" seien. Auf Deutsch heißt das, dass die Australier die Leitlinien überaus herzlich begrüßen. Es wirkte nicht wie die Floskel politischer Korrektheit.

Australien ist neben Neuseeland das Land in der Region, das am stärksten unsere Werte, Interessen und Regeln teilt. Aber es ist auch direkt von den rapiden Entwicklungen in Südostasien betroffen. Für die USA und für Europa stellt Australien die Südostflanke unserer westlichen Wertegemeinschaft dar. Mit Sorge betrachtet man die chinesischen Aktivitäten im Südchinesischen Meer. China baut dort Inseln aus und richtet Militärbasen ein - für Raketen, Schiffe, Truppen und Abhöreinrichtungen. Da China offen über seine Ziele redet, nämlich 2049 wieder Kriege gewinnen zu können, fühlen sich Vietnam, die Philippinen, Japan und andere Staaten direkt bedroht. Von Australien ist das zwar viele Kilometer entfernt, ein Abschneiden der Seewege durch das Südchinesische Meer würde jedoch die gesamte Weltwirtschaft treffen. Deshalb zeigen die USA dort Präsenz. Auch in den Indo-Pazifik-Leitlinien ist von "maritimer Präsenz" die Rede. Diese wird sich für Deutschland aber vermutlich auf ein paar Soldaten beschränken, die auf Schiffen der regionalen Partner mitfahren.

Indo-Pazifik-Leitlinien Australien Verteidigungsministerinnen Linda Reynolds und #AKK Annegret Kramp-Karrenbauer
Videokonferenz der Verteidigungsministerinnen von Australien und Deutschland, Linda Reynolds (unten rechts) und Annegret Kramp-Karrenbauer #AKK (oben), über die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung

Stellt sich also die Frage, ob die australische Euphorie über die Leitlinien begründet ist? Immerhin wurde auch das Weißbuch zur deutschen Sicherheitspolitik von 2016 im Ausland mit Begeisterung aufgenommen, während es im Inland eher als Makulatur betrachtet wird - vorausgesetzt, es wird überhaupt betrachtet.

Sicherheit und freie Seewege waren für Deutschland bisher immer billig zu haben: Amerika macht schon. Die Franzosen machen das schon. Die Briten machen das schon. Wir schauen erstmal, diskutieren das im Bundestag und helfen dann beim Aufbau. Die Zeit der billigen Sicherheit ist vorbei. Amerika lässt sich nicht mehr ausnutzen und hat seinen Fokus direkt auf China gelenkt - weg von Europa. Deutschland und Europa müssen nun selbst sehen, wie sie mit dem Problem in Südostasien umgehen. Ganz abgesehen von den europäischen Problemen an der Nord-, der Ost-, der Südost- und der Südflanke. Der deutschen Verteidigungsministerin ist bewusst, dass moderne Konflikte auf sämtlichen Ebenen von konventionell, über atomar bis hin zu hybrid ausgetragen werden. Man müsse daher die eigenen Fähigkeiten auf diese Bedrohungslage anpassen. Das geht aber nur, wenn sie ihre Parlamentskollegen davon überzeugen kann.

Bezüglich China steckt Deutschland in einem Dilemma: Einerseits gibt es starke wirtschaftliche Abhängigkeiten. Andererseits stellt China eine "systemische Herausforderung" dar. Die USA hatten China damals in die WTO (Welthandelsorganisation) verholfen, weil man davon ausgegangen war, dass westliche Werte durch eine Integration in die WTO automatisch auf China übergreifen werden. Diese Rechnung ging nicht auf. China hat die Vorteile der WTO optimal ausgereizt und dabei seine Machtposition aufgebaut. China nimmt keine Rücksicht auf anerkannte Spielregeln oder Dritte. Die USA fühlen sich durch die Chinesen ausgenutzt und reagieren wohl deshalb so empfindlich. Inzwischen ist China so stark und technologisch innovativ, dass es die Weltpolitik mitbestimmen kann. Etwas praxisfern wirkte deshalb, als AKK in der Webkonferenz davon sprach, dass Firmen, die in 5G involviert sind, entsprechende Sicherheitsstandards und Regeln einhalten sollen. Um gegen chinesisches Mitlesen resistent zu sein, entwickeln einige Nationen bereits Alternativen zu 5G.

Der Idealfall wäre eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit China. Diese müsse aber regelbasiert sein und einen fairen Wettbewerb ermöglichen. Australien hält an dieser Sicht fest. Deutschland auch. China akzeptiert diese Sicht, macht aber klar, dass es nach eigenen Regeln agiert. Ein Konsens ist also nicht zu erwarten. Deshalb sehen sich Deutschland und Australien in einer Partnerschaft der "geteilten Herausforderungen". Man müsse Lieferketten verkürzen - so sich das bei 16.000 Kilometern machen lässt - und man müsse Resilienz aufbauen. Resilienz und Sustainability waren dann auch die zusammenfassenden Schlagworte des virtuellen Treffens. Sustainability bedeutet Nachhaltigkeit - also eine Partnerschaft, die Werte von Bestand schafft und für das Überleben westlicher Werte sorgt. Resilienz ist die Fähigkeit der natürlichen Abwehr destruktiver Einflüsse und des souveränen Bestehens in kritischen Situationen.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 29. Oktober 2020

Kommandowechsel an der Logistikschule der Bundeswehr in Garlstedt

Mit einer Kutsche verließ Brigadegeneral André Denk den Paradeplatz der Logistikschule in Garlstedt. Die Mitarbeiter der Schule denken sich zum Abschied immer etwas Besonderes aus. Diesmal betraf es das Hobby der Familie Denk: Pferde. Da starke Männer oft auch eine starke Frau hinter sich haben, wurde nicht etwa nur ein Pferd herbeigeschafft, sondern eine Kutsche, in der für das Ehepaar Platz war. Schon fast aristokratisch wirkte das anschließende Abfahren der Paradeaufstellung. Mit der Hand am Barett drückte der scheidende Schulkommandeur noch einmal seine Wertschätzung gegenüber den Menschen aus, die ihn in den letzten 22 Monaten begleitet hatten.

#LogSBw Kommandowechsel an der Logistikschule der Bundeswehr in Garlstedt von Brigadegeneral André Denk zu Brigadegeneral Boris Nannt
Kommandowechsel an der Logistikschule der Bundeswehr in Garlstedt von Brigadegeneral André Denk zu Brigadegeneral Boris Nannt - Ehepaar Denk wird mit einer Kutsche vom Paradeplatz gefahren.

Wertschätzung war das Attribut, das die Reden und den gesamten Übergabeappell bestimmt hat. Bemerkenswert war die Abschiedsrede von General Denk. In der Regel werden die Zuhörer zu Beginn so lange mit Gästeaufzählungen ermüdet, dass sie den eigentlichen Inhalt nur noch peripher wahrnehmen. André Denk wählte ein anderes Stilmittel. Er bettete die zu erwähnenden Personen Segment für Segment in seine Rede ein, wechselte auf Englisch und dann wieder auf Deutsch. Für jede der erwähnten Personen hatte er ein persönliches Wort der Anerkennung und Erinnerung.

Obwohl er nur 22 Monate, nämlich vom 10. Januar 2019 bis 29. Oktober 2020, an der Logistikschule gewirkt hatte, war in dieser Zeit viel passiert: Besuch des Bundespräsidenten, mehrere Besuche des Generalinspekteurs, 2.000 US-Soldaten während US Defender Europe und vieles mehr. Allein unser Redaktionsteam war seit Januar 2019 sechs Mal in Garlstedt. Bei seinen Mitarbeitern war André Denk sehr beliebt. Er konnte sich auf ein motiviertes Team verlassen. Vor seinem Büro hing ein großes Foto mit seinen engsten Stabsmitarbeitern. Modernes Führen durch Freisetzen, Fördern, Wertschätzung und Nahbarkeit.

Wenn André Denk nun als Director Logistics an den EU-Militärstab in Brüssel geht, nimmt er diese entspannte und professionelle Art mit. Auch Ursula von der Leyen wollte ihn schon in ihr Team einbinden. Das harmonierte aber nicht mit den beruflichen Vorstellungen des Brigadegenerals. Durch die geänderten Prioritäten der USA wird die EU-eigene Verteidigung immer wichtiger. Deshalb ist es gut, wenn fähige Kräfte entscheidende Positionen besetzen. Er soll Konzepte erstellen, logistische Einsätze planen, den Militärstab um General Claudio Graziano unterstützen und für das Personalwesen verantwortlich zeichnen. Sein bisheriger Chef, Generalmajor Thomas, ist überzeugt davon, dass die Stelle in Brüssel passend besetzt wird.

#LogSBw Kommandowechsel an der Logistikschule der Bundeswehr in Garlstedt von Brigadegeneral André Denk zu Brigadegeneral Boris Nannt
Kommandowechsel an der Logistikschule der Bundeswehr in Garlstedt von Brigadegeneral André Denk (links) zu Brigadegeneral Boris Nannt (rechts) - mittig mit Fahne: Generalmajor Thomas, Kommandeur des Logistikkommandos

Sein Nachfolger an der Logistikschule wurde Brigadegeneral Boris Nannt. Boris Nannt hat jede Menge Schulerfahrung. Seit 2017 war er Direktor an der Führungsakademie in Hamburg. Davor hatte er dort seinen Generalstabslehrgang absolviert und drei Jahre lang im Fachbereich Führungslehre gearbeitet. Laut seinem neuen Chef, Generalmajor Thomas, liegt ihm das "moderne Führen". Er hat auch einschlägige Presseerfahrung: Als Teil des Presse- und Infostabes am BMVg musste er sich mehrere Jahre den kritischen Fragen der Hauptstadtpresse stellen. Ein undankbarer Job, bei dem ein unbedachtes Wort oder eine mehrdeutige Geste ungewollte Wellen gegen die Bundeswehr schlagen kann.

Nun stand er hier auf dem Paradeplatz und übernahm mit fester Befehlsstimme das Kommando über die Logistikschule. General Thomas überreichte ihm die Truppenfahne, die inzwischen reich mit Fahnenbändern dekoriert ist. Es könnten während seiner Zeit noch weitere Fahnenbänder hinzukommen. Beispielsweise während der Austragung des NATO-Manövers "Steadfast Jupiter Jackal". Es wird also nicht langweilig in Garlstedt - trotz Corona.

Ach ja, Corona: Bis zum letzten Tag war nicht mit Sicherheit zu sagen, wie denn der Übergabeappell stattfinden werde. Letztlich musste auf Elemente wie den Einmarsch der Paradeaufstellung und der Ehrenformation verzichtet werden. Alle trugen eine Maske. Bei der Nationalhymne durfte nicht mitgesungen werden. Die Gästezahl war stark reduziert und es gab auch keinen Empfang. So konnte General Denk gleich von der Kutsche aus ins Auto umsteigen und nach Hause fahren. Ab Montag geht es für ihn bereits in Brüssel los.

Autor: Matthias Baumann

Montag, 12. Oktober 2020

Viel Wind um das Sturmgewehr G36

2010 fand in Afghanistan das legendäre Karfreitagsgefecht statt. Damals waren deutsche Fallschirmjäger in einen Hinterhalt der Taliban geraten und mit einer Verkettung ungünstiger Umstände konfrontiert worden. Das Gefecht dauerte mehr als acht Stunden und kostete drei Soldaten das Leben. Im Laufe des Gefechtes wurden um die 25.000 Schuss abgegeben. Das entspricht 52 Schuss pro Minute. Neben wenigen Maschinengewehren (MG3) kamen hauptsächlich die Sturmgewehre G36 aus dem Hause Heckler & Koch zum Einsatz.

Das G36 kann mit Einzelfeuer, Feuerstoß oder Dauerfeuer geschossen werden. Das übliche Magazin fasst 30 Patronen. Hollywood erweckt den Eindruck, ein Sturmgewehr werde immer im Dauerfeuer genutzt. Das ist nicht richtig. Wird ein G36 mit Dauerfeuer betrieben, müsste schon nach drei Sekunden das Magazin gewechselt werden. Das ist sehr lästig und hat auch mit "Feuerzucht" nichts zu tun. Feuerzucht ist der Begriff für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen - also den Patronen - insbesondere, wenn man in einem Hinterhalt nicht damit rechnen kann, Nachschub an Munition zu bekommen.

Deshalb wird Dauerfeuer nur kurzzeitig genutzt, beispielsweise um den Gegner während des eigenen Positionswechsels in dessen Deckung zu zwingen. Bevorzugt wird für diesen Zweck ein Maschinengewehr eingesetzt, so eines vorhanden ist. Maschinengewehre wie MG3, MG4 oder MG5 können gar nicht per Einzelfeuer geschossen werden. Die Alternative beim MG ist der Feuerstoß mit einer Folge von etwa drei Schüssen. Dadurch lassen sich konkrete Ziele bekämpfen, während das Dauerfeuer eher eine Streuung erzeugt, die ohne langes und präzises Zielen in Richtung Gegner abgesetzt wird. Feuerstöße und Dauerfeuer werden auch im Ortskampf eingesetzt, wenn beispielsweise ein Gebäude gestürmt wird oder wenn Personen aus dem Gebäude die nahende Übermacht der Angreifer aufhalten möchten.

G36 MG3 Dauerfeuer
Das MG3 (oben) ist für Dauerfeuer konzipiert und dient dem Niederhalten des Gegners. Das G36 (unten liegend) ist eher zur Bekämpfung präziser Ziele per Feuerstoß oder Einzelschuss vorgesehen. Foto: Archiv 03/2019

Der geübte G36-Nutzer kann aber auch im E-Modus (Einzelschuss) schnelle Schussfolgen abgeben, ohne insgesamt zu viel Munition zu verbrauchen. Wie Auswertungen der Helmkameras zeigen, wurde wohl am Karfreitag 2010 mit den G36 hauptsächlich Dauerfeuer geschossen. Dadurch kam es zu einer Überhitzung der Rohre. Das wirkte sich auf die Treffsicherheit aus. MGs haben trotz ihrer Konzeption für Dauerfeuer ebenfalls mit überhitzten Rohren zu tun. Dafür ist jedem MG ein Ersatzrohr beigelegt. Das wird beispielsweise nach 150 Schuss gewechselt. Nach den nächsten 150 Schuss ist das erste Rohr abgekühlt und kann wieder gewechselt werden. Beim G36 geht das nicht. Es ist nämlich gar nicht für solch eine Dauerbelastung konzipiert.

Letzteres war auch das Ergebnis des anschließenden Streites zwischen BMVg und Hersteller Heckler & Koch. Heckler & Koch konnte nachweisen, dass das G36 genau den Anforderungen der damaligen Bestellung entsprach. Mitte 1995 gab es den Zuschlag für die Lieferung und Ende 1997 waren die ersten Exemplare übergeben worden. Niemand ahnte zu der Zeit, dass sich nur vier Jahre später die Anforderungen dramatisch ändern würden. Man war - wenn überhaupt - von einem konventionellen Konflikt in heimischen Gefilden ausgegangen. Ein Einsatz bei über 40°C oder im Sandsturm bewegte sich fernab jeglicher Vorstellungskraft.

Viele Teile des G36 bestehen aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Dadurch wiegt es sogar mit Magazin weniger als vier Kilogramm. Die Hitze des Mittleren Ostens und Kunststoff vertragen sich nicht so gut. Kommt dann noch eine Dauerbelastung durch Deckungsfeuer hinzu, kann das Gewehr möglicherweise seinen Dienst quittieren. Das liegt aber nicht daran, dass das Gewehr fehlerhaft ist, sondern daran, dass dessen Konzeption der damaligen geopolitischen Lage angepasst war.

HK G36 versus Haenel MK556
Das G36 ist auch für ungeübte Schützen so leicht zu bedienen, dass diese auf 100 bis 250 Meter Trefferquoten von über 90% erzielen. Foto: Logistikschule der Bundeswehr / Reiter

In der Truppe wird das G36 bis heute geschätzt. Es ist leicht, treffsicher und einfach zu handhaben. Im Tragegriff ist ein Zielfernrohr mit Fadenkreuz integriert und darüber eine weitere Optik mit rotem Punkt. Diese erlaubt es, während des Zielens beide Augen offen zu halten. Der rote Punkt ist dann an der Stelle im Gelände sichtbar, wohin das Gewehr gerade zielt. Als "Kampfwertsteigerung" wünschen sich Soldaten ein Holosight Visier. Dieses würde den roten Punkt nicht nur im Auge des Schützen darstellen, sondern auch direkt auf dem Ziel. Bei aller Zufriedenheit sollte bemerkt werden, dass das G36 nun doch schon 25 Jahre alt ist. Zeit für einen Generationswechsel.

Der Medienrummel um das G36 konzentrierte sich auf die Schwächen beim Karfreitagsgefecht. Die taktischen Ursachen für diese Schwächen wurden kaum erwähnt. Hatte man doch endlich wieder eine Panne bei der Bundeswehr entdeckt, die man bei Bedarf aus der Schublade holen konnte. Neben Befragungen zum Einsatz von Beratern, Engpässen bei der Ausrüstung und der Dauerbaustelle Gorch Fock wollte man beim BMVg deshalb auch das leidige Thema G36 vom Tisch bekommen.

So wurden neue Anforderungen für das Sturmgewehr definiert und ein Vergabeverfahren eingeleitet. Am 15. September 2020 wurde der Sieger der Ausschreibung verkündet: die Firma C.G. Haenel GmbH aus Suhl. Es ist wohl eine Ironie des Schicksals, dass die Firma Haenel zur Merkel-Gruppe gehört und einen Geschäftsführer hat, der Olaf Sauer heißt. Der Nachfolger des G36 sollte das MK556 werden. Das MK556 hat bei weniger Kunststoff ein ähnliches Gewicht wie das G36.

Aber aus dem Deal wurde nichts: Am 30. September ging ein Nachprüfungsantrag von Heckler & Koch beim Bundeskartellamt ein. Demnach konnte "erstmalig nachprüfbar von einer möglichen Patentrechtsverletzung" gesprochen werden. Konkret geht es dabei um ein Patent für die Verschlusstechnik des G36. Diese ermöglicht eine Nutzung des Gewehrs auch nach dem Untertauchen im Wasser. Am 9. Oktober informierte das BMVg darüber, dass der Zuschlag an Haenel aufgehoben wurde. Nun müssen die vorliegenden Angebote neu gesichtet werden. Das Auftragsvolumen beläuft sich auf 120.000 Stück zu insgesamt 250 Millionen Euro. Ab einer Investitionssumme von 25 Millionen Euro muss der Bundestag gefragt werden. Liegt also irgendwann eine neue Entscheidung zum G36-Nachfolger vor, muss diese noch vom Parlament bestätigt werden.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 8. Oktober 2020

#MSC2021 Zeitenwende und Münchner Konsens

Was bitte ist nun schon wieder der "Münchner Konsens"? Der "Münchner Konsens" geht auf das Frühjahr 2014 zurück. Auf der damaligen Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) hatten der damalige Bundespräsident Joachim Gauck, der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier und die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen drei bemerkenswerte Reden gehalten. Diese Reden hatten einen gemeinsamen Nenner, der später als "Münchner Konsens" bezeichnet wurde:

Deutschland solle "früher, entschiedener und substanzieller" handeln.

Und das aus dem Munde des ehemaligen Pfarrers Joachim Gauck, des friedliebenden Frank-Walter Steinmeier und einer Verteidigungsministerin, die bis heute als "Ungediente" verspottet wird. Die drei haben sich in den letzten sechs Jahren weiterentwickelt: Joachim Gauck genießt jetzt den Ruhestand, Frank-Walter Steinmeier das Amt des Bundespräsidenten und Ursula von der Leyen ihren Spitzenposten bei der EU. Nur Deutschland zeigt sich als "eine Gestaltungsmacht im Wartestand".

#MSC2021 MSR Munich Security Report, Zeitenwende | Wendezeiten, Münchner Konsens
Munich Security Report MSR "Zeitenwende | Wendezeiten" und der "Münchner Konsens"

Dieser "Wartestand" gefällt unseren potenziellen Partnern gar nicht. Einige bezeichnen Deutschland bereits als "Drückeberger oder Trittbrettfahrer". Deutschland wolle von der internationalen Ordnung profitieren, sich jedoch "nicht selbst die Hände schmutzig" machen. Die Diplomaten des Auswärtigen Amtes sind in der Welt sehr geschätzt, aber deren Expertise im friedlichen Dialog sei zu wenig mit militärischer Stärke untermauert. Hier geht es mehr um Abschreckung, also ein "Show of Force" - ein Zeigen, dass man könnte, wenn man müsste. Als Schritt in die richtige Richtung wird deshalb die deutsche Führungsverantwortung in den diversen NATO-Projekten an der Ostflanke gewertet. In den letzten Jahren ist die Bundeswehr verschiedene europäische Kooperationen eingegangen und hat Verbände mit Soldaten aus Polen, den Niederlanden oder Frankreich gegründet. Kritiker sind dennoch der Meinung, dass Deutschland weit "hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt".

"Münchner Konsens" oder "Anhängsel Eurasiens"

Die Initiativen wurden weitestgehend vom Verteidigungsministerium vorangetrieben. Im Bundestag fehlt es an einer konstruktiven Auseinandersetzung mit der möglichen Abkehr der USA von Europa und der NATO. Es ist nämlich nicht nur die militärische Stärke, sondern auch die nachrichtendienstliche Kompetenz der USA, auf die man sich bisher verlassen hatte. Um einen Wegfall amerikanischer Fähigkeiten zu kompensieren, bräuchte Europa etwa 20 Jahre und sehr viel mehr Geld. Momentan sei Europa ohne die Amerikaner "blind, taub und stumm". Deshalb bleiben die "transatlantischen Beziehungen der Plan A" für Deutschland. Einen "realistischen Plan B" gibt es derzeit nicht. Dieser muss noch gemeinsam mit den europäischen Nachbarn entwickelt werden.

Wird der "Münchner Konsens" also weiterhin nur von wenigen Akteuren umgesetzt, könnte Deutschland sehr bald von der "Zeitenwende" überholt werden. Deutschland muss sich spätestens jetzt überlegen, ob es diese Zeitenwende als "enabling power" (Möglich-Macher-Macht) mitgestalten oder sich zukünftig als "Anhängsel Eurasiens" der Dominanz des Ostens unterordnen möchte. Die Durchsetzung dieser Dominanz erfolgt - entgegen dem "deutschen Mantra" allseits friedlicher Lösungen zum Trotz - bei Bedarf auch militärisch. Der amerikanische Verteidigungsexperte Eldridge Colby wird den Eindruck nicht los, dass viele Deutsche ein "instinktives Unbehagen" empfinden, sobald auch nur der "Beigeschmack von Realpolitik" auftrete.

Dabei haben Umfragen ergeben, dass sich weit mehr Bürger für Sicherheitspolitik interessieren, als landläufig angenommen. Es gebe sogar breite Zustimmung für Bundeswehreinsätze, die der Solidarität gegenüber Bündnispartnern dienen - Kameradschaft. Während CDU und CSU traditionell für militärische Lösungen aufgeschlossen sind, wechseln vermehrt auch Grüne auf diese Seite. Wähler des roten Parteienspektrums und der AfD lehnen einen konsequenten Umgang mit Staaten wie Russland ab.

Wirtschaftskraft und Führungskompetenz

Deutschland hat die wirtschaftliche Kraft und den Einfluss in der Welt. Es muss aber endlich das Selbstbewusstsein zum Ausleben des "Münchner Konsenses" aufbringen. Ausländische Diplomaten attestieren Deutschland einen sehr professionellen und honorigen Umgang mit der eigenen Geschichte. Kaum eine andere Nation kenne solch eine selbstkritische Auseinandersetzung. Das verleihe Deutschland eine ehrliche und reife Führungskompetenz. Wenn Staaten an der Peripherie der EU in nichtdemokratische Ambitionen abgleiten, kann das auch an der zögerlichen Wahrnehmung der Leitungsrolle Deutschlands liegen. Die Sehnsucht nach Führung treibt diese Staaten dann lieber in Richtung Russland oder China, wo es zumindest bezüglich der Leitung klare Verhältnisse gibt. Dass jemand, der seine Freiheit zugunsten von Sicherheit aufgibt, letztlich beides verliert, spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

Beim Zerbröckeln der EU wäre Deutschland der "größte Nettoverlierer". Wie kein anderer Mitgliedsstaat profitieren wir von Binnenmarkt, Zollunion, Schengen-Abkommen und dem Euro. Laut IfW (Institut für Weltwirtschaft) würde bei einem Zerfall der EU das deutsche BIP um 173 Milliarden Euro abstürzen. Irgendwann folgen Frankreich mit 87 und die Niederlande mit 85 Milliarden Euro. Visegrád-Staaten wie Polen, Ungarn oder Tschechien würden herbe Verluste bei Subventionen und eben auch dem Binnenmarkt einfahren. Deutschland ist also auf seine europäischen Partner angewiesen. Würde es selbstbewusster mit Russland umgehen, könnte es auch die Videgrád-Staaten gewinnen. Die ehemalige spanische Außenministerin Ana Palacio unterstreicht die Führungsqualitäten Deutschlands. Halte sich Deutschland aber irgendwo zurück, erzeuge das "eine ausgeprägte Richtungslosigkeit".

Die 3% und der Bundessicherheitsrat

Die Münchner Sicherheitskonferenz fordert neben der beherzten Umsetzung des "Münchner Konsenses" und dem Mut zur Führung zwei weitere kurzfristig umsetzbare Dinge: Da wäre erstens die Einführung des Bundessicherheitsrates (BSR). Der BSR solle ähnlich des aktuellen Corona-Kabinetts aufgestellt sein. Das Corona-Kabinett zeichnet sich durch seine personelle Schlankheit sowie die "flachen Hierarchien und schnellen Eskalationsstufen" aus. Der BSR sollte ressortübergreifend strukturiert sein, so dass die Wege zwischen Verteidigungsministerium (BMVg), Innenministerium (BMI), Auswärtigem Amt und Entwicklungsministerium (BMZ) sehr kurz gehalten werden. In Großbritannien wird das bereits erfolgreich praktiziert. Dort gibt es den Nationalen Sicherheitsrat (National Security Council - NSC), der sich wöchentlich unter rotierendem Vorsitz trifft. Der BSR soll dann auch als "strategischer Impulsgeber" für Bundestag und Bundesregierung fungieren.

Der zweite Punkt ist eine Zusammenfassung der Haushalte für Verteidigung, Diplomatie und Entwicklungshilfe. Dieser 3er-Haushalt soll 3% des BIP entsprechen. Um eine gut koordinierte geostrategische Arbeit leisten zu können, sollten zunächst 2% in die Verteidigung fließen, 0,3% ans Auswärtige Amt und 0,7% ans BMZ. Das wären jährlich über 100 Milliarden Euro für diesen Außen- und Sicherheitskomplex. Die 3% wären auch eine geeignete Argumentationshilfe gegenüber den USA und unseren regionalen Partnern.

Auf Nachfrage in der gestrigen Regierungspressekonferenz wurde bestätigt, dass der Munich Security Report "Zeitenwende | Wendezeiten" bereits auf dem Schreibtisch der Bundesregierung liege, aber noch nicht im Detail ausgewertet wurde. Auch das Auswärtige Amt hatte sich bis gestern noch keine offizielle Meinung dazu gebildet.

Autor: Matthias Baumann