Donnerstag, 15. Oktober 2020

Berlin bekommt sein eigenes Landeskommando

Berlin macht mal wieder das Schlusslicht. So auch bei der Aufstellung der Landeskommandos. Während Bayern, Bremen, Brandenburg und alle anderen Bundesländer schon viele Jahre über Landeskommandos verfügen, wurde ein solches erst heute für Berlin aufgestellt. Die Landeskommandos sind dem Kommando Territoriale Aufgaben (KdoTA) unterstellt. Dieses wurde 2013 gegründet und sitzt seitdem in Berlin. Grund genug, sich das Landeskommando Berlin zu sparen. Dessen Aufgaben wurden einfach vom KdoTA miterledigt.

Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne
Aufstellungsappell für das Landeskommando Berlin in der Julius-Leber-Kaserne - v.r.n.l. Brigadegeneral Jürgen Karl Uchtmann (Kommandeur des Landeskommandos Berlin), Generalmajor Carsten Breuer (Kommandeur des Kommandos Territoriale Aufgaben), Brigadegeneral Andreas Henne (stellvertretender Kommandeur des Kommandos Territoriale Aufgaben)

Da wir gerade bei Hierarchien sind: Das KdoTA untersteht der Streitkräftebasis (SKB). Die Streitkräftebasis wurde 2012 ins Leben gerufen und sitzt in Bonn. Die SKB ist ein Sammelbecken für sämtliche Bereiche der Bundeswehr, die nicht eindeutig dem Heer, der Luftwaffe oder der Marine zugeordnet werden können. Das betrifft beispielsweise die Logistik, die Feldjäger, die Bildung, die zivil-militärische Vernetzung oder das Wachbataillon. Der Inspekteur der Streitkräftebasis ist gleichzeitig der Nationale Territoriale Befehlshaber in Deutschland. Wenn die NATO in Deutschland eine Übung wie US Defender Europe 2020 abhalten möchte, ist der Inspekteur SKB für eine gute Betreuung in der "Host Nation" (Gastgeberland) zuständig.

Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne
Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne - Rede von Generalmajor Carsten Breuer - im Hintergrund links Brigadegeneral Andreas Henne und rechts Oberst Christian von Blumröder

Corona hat gezeigt, wie Landeskommandos im nationalen Rahmen ausgelastet werden können. Zu deren Aufgaben gehören nämlich auch Amts- und Katastrophenhilfe. Hier ist nicht nur Personal gefragt, sondern auch taktisches Geschick bei der Koordination der Hilfsmaßnahmen. Landeskommandos übernehmen zudem Presse- und Informationsaufgaben und haben ein Auge auf den Umweltschutz bei militärischen Übungen in ihrem Bundesland. Ganz zu schweigen von der Eingliederung regionaler Reservisten. Um dieses Aufgabenpaket wurde nun das KdoTA für Berlin entlastet.

Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne
Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne - An Brigadegeneral Jürgen Karl Uchtmann wurde heute das Kommando des Landeskommandos Berlin übergeben

Neues Kommando, neue Personalien: Der bisherige General Standortaufgaben, Brigadegeneral Andreas Henne, wurde für 34 Minuten der erste Komandeur des Landeskommandos Berlin. Damit er sich jedoch aktiv als stellvertretender Kommandeur des Kommandos TA einbringen kann, wurde ein weiterer Brigadegeneral in die Bundeshauptstadt geholt: Jürgen Karl Uchtmann. Noch in demselben Appell wurde das Landeskommando Berlin an ihn übergeben. Jürgen Karl Uchtmann ist 60 Jahre alt und seit 41 Jahren bei der Bundeswehr. Er ist ausgebildeter Panzeraufklärer und verfügt über eine spannende Auslandskarriere an den Botschaften in London und Peking. Im Attachéstab einer dieser Staaten zu arbeiten, ist eine hohe Auszeichnung. Nur in fünf Auslandsvertretungen sind diese Dienststellen mit Brigadegeneralen besetzt: USA, Großbritannien, Frankreich, China und Russland. Jürgen Karl Uchtmann bringt also einschlägige Hauptstadt-Erfahrungen mit und kann sich auf dem diplomatischen Parkett bewegen.

Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne
Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne - Das Wappen des Landeskommandos Berlin bezieht sich auf das am 10. März 1813 gestiftete Eiserne Kreuz, das bis heute als Symbol der Bundeswehr dient. Es unterscheidet sich nur durch den mittig eingesetzten Berliner Bären vom Original. Im Hintergrund ist das Schild am Eingang des Landeskommandos Berlin zu sehen. Die Wappen im Vordergrund zieren einen Buddy-Bären.

Das Wappen des Landeskommandos Berlin referenziert auf das erste Eiserne Kreuz, welches am 10. März 1813 durch Friedrich Wilhelm III. gestiftet worden war. Friedrich Wilhelm III. ist der preußische König, dessen überdimensioniertes Reitergemälde das Treppenhaus von Schloss Bellevue ziert und der 1819 das Erste Garderegiment zu Fuß aufgestellt hatte. Dieses Garderegiment könnte als Urahne des heutigen Wachbataillons bezeichnet werden. 1813 war darüber hinaus als Start der Befreiungskriege gegen Napoleon von Bedeutung. Damals wurde die Bevölkerung aktiv in den Befreiungsprozess eingebunden, was sich deutlich auf deren Motivation auswirkte.

Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne
Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne - Regierende Bürgermeister sind möglicherweise immun gegen Corona. Deshalb war Michael Müller die einzige Person auf dem Areal ohne Mundschutz. Nach seiner Rede setzte er jedoch einen auf. Im Hintergrund Oberstleutnant Kai Beinke - Kommandeur des Wachbataillons.

Zivilgesellschaft und Bundeswehr wurden auch beim heutigen Aufstellungsappell kombiniert. Der Regierende Bürgermeister Berlins, Michael Müller, hielt eine Ansprache. Wegen Corona war der Aufstellungsappell kurzfristig von der Zitadelle Spandau in die Julius-Leber-Kaserne verlegt worden. Das reduzierte die Zuhörerschaft. Die Akteure waren also weitestgehend unter sich.

Autor: Matthias Baumann

Video: Appell zur Aufstellung und Übergabe des Landeskommandos Berlin in der Julius-Leber-Kaserne

Mittwoch, 14. Oktober 2020

26 Millionen Impfdosen für den Grippeschutz während #COVID19

Was es bedeutet, neben Corona auch noch weitere Probleme am Hals zu haben, erlebt gerade Großbritannien. Dessen wirtschaftlicher Schaden wegen Corona hat sich durch den nahenden Brexit verdoppelt. Wer in Deutschland neben der Gefahr einer Corona-Infektion nicht auch noch eine Grippe im Hals haben möchte, sollte sich unbedingt eine Grippeschutzimpfung holen.

Die Nordhalbkugel profitiert seit vielen Jahren von den Grippekranken der Südhalbkugel. Während nämlich im Norden die Sommerferien genossen werden, wütet im Süden schon die neue Grippe. Die Labore sammeln dann die Erreger aus Neuseeland, Australien, Südafrika und Südamerika ein und bauen daraus einen Impfstoff für den Norden zusammen. Bereits im Juni wusste ein Oberstarzt der Bundeswehr zu berichten, dass es in diesem Jahr schwierig werde mit den Grippepionieren aus dem Süden. Durch die AHA-Regeln und die Reisebeschränkungen könne sich die Grippe gar nicht im gewohnten Umfang ausbreiten. Dass er Recht hatte, wurde in der heutigen Pressekonferenz bestätigt.

26 Millionen Impfdosen zum Grippeschutz während #COVID19
26 Millionen Impfdosen zum Grippeschutz während #COVID19 - AHA ist gut. Impfen ist besser.

Einige Betroffene muss es dann aber trotzdem gegeben haben. Für die neue Grippe-Saison konnten deshalb 26 Millionen Impfdosen bereitgestellt werden. Die Krankenkassen rechnen mit Kosten von 300 Millionen Euro für den Impfstoff plus 200 weiteren Millionen Euro für die Dienstleistung der Ärzte. Rechnet man das auf die einzelne Impfung um, kostet die Ampulle 11,54 Euro und der Stich in den Oberarm 7,69 Euro. Sollte es irgendwann einen Impfstoff gegen Corona geben, wird sich dieser übrigens am Preisniveau der Grippeschutzimpfung orientieren. Wenn die 26 Millionen Impfdosen im Januar oder Februar schon aufgebraucht wären, "wäre ich ein sehr glücklicher Gesundheitsminister", sagte Jens Spahn in der Pressekonferenz.

Da die Impfdosen nach und nach in wöchentlichen Chargen an die Ärzte ausgeliefert werden, sollten zunächst die Risikopatienten zum Hausarzt gehen. Gemäß der saisonalen Sterberaten betrifft das Personen ab 45 Jahren. Für die Impfung sind normalerweise die Haus- und Betriebsärzte zuständig. Zusätzliche Impfzentren für Grippeschutz soll es nicht geben. Laut Minister Spahn seien die Abläufe so gut integriert, dass zusätzliche Kapazitäten nicht gebraucht werden. Dennoch gibt es Pilotversuche mit Apotheken, in denen man sich gegen Grippe impfen lassen kann.

Auf die Frage, ob es eine Impfpflicht in Deutschland geben wird, gab der Minister eine klare Antwort: Nein! Die Bundesregierung sorge zwar für ein Impfangebot, lehne aber eine Impfpflicht ab.

Autor: Matthias Baumann

Montag, 12. Oktober 2020

Viel Wind um das Sturmgewehr G36

2010 fand in Afghanistan das legendäre Karfreitagsgefecht statt. Damals waren deutsche Fallschirmjäger in einen Hinterhalt der Taliban geraten und mit einer Verkettung ungünstiger Umstände konfrontiert worden. Das Gefecht dauerte mehr als acht Stunden und kostete drei Soldaten das Leben. Im Laufe des Gefechtes wurden um die 25.000 Schuss abgegeben. Das entspricht 52 Schuss pro Minute. Neben wenigen Maschinengewehren (MG3) kamen hauptsächlich die Sturmgewehre G36 aus dem Hause Heckler & Koch zum Einsatz.

Das G36 kann mit Einzelfeuer, Feuerstoß oder Dauerfeuer geschossen werden. Das übliche Magazin fasst 30 Patronen. Hollywood erweckt den Eindruck, ein Sturmgewehr werde immer im Dauerfeuer genutzt. Das ist nicht richtig. Wird ein G36 mit Dauerfeuer betrieben, müsste schon nach drei Sekunden das Magazin gewechselt werden. Das ist sehr lästig und hat auch mit "Feuerzucht" nichts zu tun. Feuerzucht ist der Begriff für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen - also den Patronen - insbesondere, wenn man in einem Hinterhalt nicht damit rechnen kann, Nachschub an Munition zu bekommen.

Deshalb wird Dauerfeuer nur kurzzeitig genutzt, beispielsweise um den Gegner während des eigenen Positionswechsels in dessen Deckung zu zwingen. Bevorzugt wird für diesen Zweck ein Maschinengewehr eingesetzt, so eines vorhanden ist. Maschinengewehre wie MG3, MG4 oder MG5 können gar nicht per Einzelfeuer geschossen werden. Die Alternative beim MG ist der Feuerstoß mit einer Folge von etwa drei Schüssen. Dadurch lassen sich konkrete Ziele bekämpfen, während das Dauerfeuer eher eine Streuung erzeugt, die ohne langes und präzises Zielen in Richtung Gegner abgesetzt wird. Feuerstöße und Dauerfeuer werden auch im Ortskampf eingesetzt, wenn beispielsweise ein Gebäude gestürmt wird oder wenn Personen aus dem Gebäude die nahende Übermacht der Angreifer aufhalten möchten.

G36 MG3 Dauerfeuer
Das MG3 (oben) ist für Dauerfeuer konzipiert und dient dem Niederhalten des Gegners. Das G36 (unten liegend) ist eher zur Bekämpfung präziser Ziele per Feuerstoß oder Einzelschuss vorgesehen. Foto: Archiv 03/2019

Der geübte G36-Nutzer kann aber auch im E-Modus (Einzelschuss) schnelle Schussfolgen abgeben, ohne insgesamt zu viel Munition zu verbrauchen. Wie Auswertungen der Helmkameras zeigen, wurde wohl am Karfreitag 2010 mit den G36 hauptsächlich Dauerfeuer geschossen. Dadurch kam es zu einer Überhitzung der Rohre. Das wirkte sich auf die Treffsicherheit aus. MGs haben trotz ihrer Konzeption für Dauerfeuer ebenfalls mit überhitzten Rohren zu tun. Dafür ist jedem MG ein Ersatzrohr beigelegt. Das wird beispielsweise nach 150 Schuss gewechselt. Nach den nächsten 150 Schuss ist das erste Rohr abgekühlt und kann wieder gewechselt werden. Beim G36 geht das nicht. Es ist nämlich gar nicht für solch eine Dauerbelastung konzipiert.

Letzteres war auch das Ergebnis des anschließenden Streites zwischen BMVg und Hersteller Heckler & Koch. Heckler & Koch konnte nachweisen, dass das G36 genau den Anforderungen der damaligen Bestellung entsprach. Mitte 1995 gab es den Zuschlag für die Lieferung und Ende 1997 waren die ersten Exemplare übergeben worden. Niemand ahnte zu der Zeit, dass sich nur vier Jahre später die Anforderungen dramatisch ändern würden. Man war - wenn überhaupt - von einem konventionellen Konflikt in heimischen Gefilden ausgegangen. Ein Einsatz bei über 40°C oder im Sandsturm bewegte sich fernab jeglicher Vorstellungskraft.

Viele Teile des G36 bestehen aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Dadurch wiegt es sogar mit Magazin weniger als vier Kilogramm. Die Hitze des Mittleren Ostens und Kunststoff vertragen sich nicht so gut. Kommt dann noch eine Dauerbelastung durch Deckungsfeuer hinzu, kann das Gewehr möglicherweise seinen Dienst quittieren. Das liegt aber nicht daran, dass das Gewehr fehlerhaft ist, sondern daran, dass dessen Konzeption der damaligen geopolitischen Lage angepasst war.

HK G36 versus Haenel MK556
Das G36 ist auch für ungeübte Schützen so leicht zu bedienen, dass diese auf 100 bis 250 Meter Trefferquoten von über 90% erzielen. Foto: Logistikschule der Bundeswehr / Reiter

In der Truppe wird das G36 bis heute geschätzt. Es ist leicht, treffsicher und einfach zu handhaben. Im Tragegriff ist ein Zielfernrohr mit Fadenkreuz integriert und darüber eine weitere Optik mit rotem Punkt. Diese erlaubt es, während des Zielens beide Augen offen zu halten. Der rote Punkt ist dann an der Stelle im Gelände sichtbar, wohin das Gewehr gerade zielt. Als "Kampfwertsteigerung" wünschen sich Soldaten ein Holosight Visier. Dieses würde den roten Punkt nicht nur im Auge des Schützen darstellen, sondern auch direkt auf dem Ziel. Bei aller Zufriedenheit sollte bemerkt werden, dass das G36 nun doch schon 25 Jahre alt ist. Zeit für einen Generationswechsel.

Der Medienrummel um das G36 konzentrierte sich auf die Schwächen beim Karfreitagsgefecht. Die taktischen Ursachen für diese Schwächen wurden kaum erwähnt. Hatte man doch endlich wieder eine Panne bei der Bundeswehr entdeckt, die man bei Bedarf aus der Schublade holen konnte. Neben Befragungen zum Einsatz von Beratern, Engpässen bei der Ausrüstung und der Dauerbaustelle Gorch Fock wollte man beim BMVg deshalb auch das leidige Thema G36 vom Tisch bekommen.

So wurden neue Anforderungen für das Sturmgewehr definiert und ein Vergabeverfahren eingeleitet. Am 15. September 2020 wurde der Sieger der Ausschreibung verkündet: die Firma C.G. Haenel GmbH aus Suhl. Es ist wohl eine Ironie des Schicksals, dass die Firma Haenel zur Merkel-Gruppe gehört und einen Geschäftsführer hat, der Olaf Sauer heißt. Der Nachfolger des G36 sollte das MK556 werden. Das MK556 hat bei weniger Kunststoff ein ähnliches Gewicht wie das G36.

Aber aus dem Deal wurde nichts: Am 30. September ging ein Nachprüfungsantrag von Heckler & Koch beim Bundeskartellamt ein. Demnach konnte "erstmalig nachprüfbar von einer möglichen Patentrechtsverletzung" gesprochen werden. Konkret geht es dabei um ein Patent für die Verschlusstechnik des G36. Diese ermöglicht eine Nutzung des Gewehrs auch nach dem Untertauchen im Wasser. Am 9. Oktober informierte das BMVg darüber, dass der Zuschlag an Haenel aufgehoben wurde. Nun müssen die vorliegenden Angebote neu gesichtet werden. Das Auftragsvolumen beläuft sich auf 120.000 Stück zu insgesamt 250 Millionen Euro. Ab einer Investitionssumme von 25 Millionen Euro muss der Bundestag gefragt werden. Liegt also irgendwann eine neue Entscheidung zum G36-Nachfolger vor, muss diese noch vom Parlament bestätigt werden.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 8. Oktober 2020

#MSC2021 Zeitenwende und Münchner Konsens

Was bitte ist nun schon wieder der "Münchner Konsens"? Der "Münchner Konsens" geht auf das Frühjahr 2014 zurück. Auf der damaligen Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) hatten der damalige Bundespräsident Joachim Gauck, der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier und die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen drei bemerkenswerte Reden gehalten. Diese Reden hatten einen gemeinsamen Nenner, der später als "Münchner Konsens" bezeichnet wurde:

Deutschland solle "früher, entschiedener und substanzieller" handeln.

Und das aus dem Munde des ehemaligen Pfarrers Joachim Gauck, des friedliebenden Frank-Walter Steinmeier und einer Verteidigungsministerin, die bis heute als "Ungediente" verspottet wird. Die drei haben sich in den letzten sechs Jahren weiterentwickelt: Joachim Gauck genießt jetzt den Ruhestand, Frank-Walter Steinmeier das Amt des Bundespräsidenten und Ursula von der Leyen ihren Spitzenposten bei der EU. Nur Deutschland zeigt sich als "eine Gestaltungsmacht im Wartestand".

#MSC2021 MSR Munich Security Report, Zeitenwende | Wendezeiten, Münchner Konsens
Munich Security Report MSR "Zeitenwende | Wendezeiten" und der "Münchner Konsens"

Dieser "Wartestand" gefällt unseren potenziellen Partnern gar nicht. Einige bezeichnen Deutschland bereits als "Drückeberger oder Trittbrettfahrer". Deutschland wolle von der internationalen Ordnung profitieren, sich jedoch "nicht selbst die Hände schmutzig" machen. Die Diplomaten des Auswärtigen Amtes sind in der Welt sehr geschätzt, aber deren Expertise im friedlichen Dialog sei zu wenig mit militärischer Stärke untermauert. Hier geht es mehr um Abschreckung, also ein "Show of Force" - ein Zeigen, dass man könnte, wenn man müsste. Als Schritt in die richtige Richtung wird deshalb die deutsche Führungsverantwortung in den diversen NATO-Projekten an der Ostflanke gewertet. In den letzten Jahren ist die Bundeswehr verschiedene europäische Kooperationen eingegangen und hat Verbände mit Soldaten aus Polen, den Niederlanden oder Frankreich gegründet. Kritiker sind dennoch der Meinung, dass Deutschland weit "hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt".

"Münchner Konsens" oder "Anhängsel Eurasiens"

Die Initiativen wurden weitestgehend vom Verteidigungsministerium vorangetrieben. Im Bundestag fehlt es an einer konstruktiven Auseinandersetzung mit der möglichen Abkehr der USA von Europa und der NATO. Es ist nämlich nicht nur die militärische Stärke, sondern auch die nachrichtendienstliche Kompetenz der USA, auf die man sich bisher verlassen hatte. Um einen Wegfall amerikanischer Fähigkeiten zu kompensieren, bräuchte Europa etwa 20 Jahre und sehr viel mehr Geld. Momentan sei Europa ohne die Amerikaner "blind, taub und stumm". Deshalb bleiben die "transatlantischen Beziehungen der Plan A" für Deutschland. Einen "realistischen Plan B" gibt es derzeit nicht. Dieser muss noch gemeinsam mit den europäischen Nachbarn entwickelt werden.

Wird der "Münchner Konsens" also weiterhin nur von wenigen Akteuren umgesetzt, könnte Deutschland sehr bald von der "Zeitenwende" überholt werden. Deutschland muss sich spätestens jetzt überlegen, ob es diese Zeitenwende als "enabling power" (Möglich-Macher-Macht) mitgestalten oder sich zukünftig als "Anhängsel Eurasiens" der Dominanz des Ostens unterordnen möchte. Die Durchsetzung dieser Dominanz erfolgt - entgegen dem "deutschen Mantra" allseits friedlicher Lösungen zum Trotz - bei Bedarf auch militärisch. Der amerikanische Verteidigungsexperte Eldridge Colby wird den Eindruck nicht los, dass viele Deutsche ein "instinktives Unbehagen" empfinden, sobald auch nur der "Beigeschmack von Realpolitik" auftrete.

Dabei haben Umfragen ergeben, dass sich weit mehr Bürger für Sicherheitspolitik interessieren, als landläufig angenommen. Es gebe sogar breite Zustimmung für Bundeswehreinsätze, die der Solidarität gegenüber Bündnispartnern dienen - Kameradschaft. Während CDU und CSU traditionell für militärische Lösungen aufgeschlossen sind, wechseln vermehrt auch Grüne auf diese Seite. Wähler des roten Parteienspektrums und der AfD lehnen einen konsequenten Umgang mit Staaten wie Russland ab.

Wirtschaftskraft und Führungskompetenz

Deutschland hat die wirtschaftliche Kraft und den Einfluss in der Welt. Es muss aber endlich das Selbstbewusstsein zum Ausleben des "Münchner Konsenses" aufbringen. Ausländische Diplomaten attestieren Deutschland einen sehr professionellen und honorigen Umgang mit der eigenen Geschichte. Kaum eine andere Nation kenne solch eine selbstkritische Auseinandersetzung. Das verleihe Deutschland eine ehrliche und reife Führungskompetenz. Wenn Staaten an der Peripherie der EU in nichtdemokratische Ambitionen abgleiten, kann das auch an der zögerlichen Wahrnehmung der Leitungsrolle Deutschlands liegen. Die Sehnsucht nach Führung treibt diese Staaten dann lieber in Richtung Russland oder China, wo es zumindest bezüglich der Leitung klare Verhältnisse gibt. Dass jemand, der seine Freiheit zugunsten von Sicherheit aufgibt, letztlich beides verliert, spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

Beim Zerbröckeln der EU wäre Deutschland der "größte Nettoverlierer". Wie kein anderer Mitgliedsstaat profitieren wir von Binnenmarkt, Zollunion, Schengen-Abkommen und dem Euro. Laut IfW (Institut für Weltwirtschaft) würde bei einem Zerfall der EU das deutsche BIP um 173 Milliarden Euro abstürzen. Irgendwann folgen Frankreich mit 87 und die Niederlande mit 85 Milliarden Euro. Visegrád-Staaten wie Polen, Ungarn oder Tschechien würden herbe Verluste bei Subventionen und eben auch dem Binnenmarkt einfahren. Deutschland ist also auf seine europäischen Partner angewiesen. Würde es selbstbewusster mit Russland umgehen, könnte es auch die Videgrád-Staaten gewinnen. Die ehemalige spanische Außenministerin Ana Palacio unterstreicht die Führungsqualitäten Deutschlands. Halte sich Deutschland aber irgendwo zurück, erzeuge das "eine ausgeprägte Richtungslosigkeit".

Die 3% und der Bundessicherheitsrat

Die Münchner Sicherheitskonferenz fordert neben der beherzten Umsetzung des "Münchner Konsenses" und dem Mut zur Führung zwei weitere kurzfristig umsetzbare Dinge: Da wäre erstens die Einführung des Bundessicherheitsrates (BSR). Der BSR solle ähnlich des aktuellen Corona-Kabinetts aufgestellt sein. Das Corona-Kabinett zeichnet sich durch seine personelle Schlankheit sowie die "flachen Hierarchien und schnellen Eskalationsstufen" aus. Der BSR sollte ressortübergreifend strukturiert sein, so dass die Wege zwischen Verteidigungsministerium (BMVg), Innenministerium (BMI), Auswärtigem Amt und Entwicklungsministerium (BMZ) sehr kurz gehalten werden. In Großbritannien wird das bereits erfolgreich praktiziert. Dort gibt es den Nationalen Sicherheitsrat (National Security Council - NSC), der sich wöchentlich unter rotierendem Vorsitz trifft. Der BSR soll dann auch als "strategischer Impulsgeber" für Bundestag und Bundesregierung fungieren.

Der zweite Punkt ist eine Zusammenfassung der Haushalte für Verteidigung, Diplomatie und Entwicklungshilfe. Dieser 3er-Haushalt soll 3% des BIP entsprechen. Um eine gut koordinierte geostrategische Arbeit leisten zu können, sollten zunächst 2% in die Verteidigung fließen, 0,3% ans Auswärtige Amt und 0,7% ans BMZ. Das wären jährlich über 100 Milliarden Euro für diesen Außen- und Sicherheitskomplex. Die 3% wären auch eine geeignete Argumentationshilfe gegenüber den USA und unseren regionalen Partnern.

Auf Nachfrage in der gestrigen Regierungspressekonferenz wurde bestätigt, dass der Munich Security Report "Zeitenwende | Wendezeiten" bereits auf dem Schreibtisch der Bundesregierung liege, aber noch nicht im Detail ausgewertet wurde. Auch das Auswärtige Amt hatte sich bis gestern noch keine offizielle Meinung dazu gebildet.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 7. Oktober 2020

Vergleichbare Zahlen zur Sterberate bei #COVID19

Endlich gibt es vergleichbare Zahlen zum Einfluss von Corona auf die übliche Sterberate. Das dänische Statens Serum Intitut betreibt das Portal EUROMOMO. Das Projekt wurde vor zwölf Jahren ins Leben gerufen und umfasst inzwischen über 20 Staaten und Regionen Europas. In differenziert auswertbaren Grafiken werden die Todesfälle seit Ende 2016 erfasst. Dadurch lassen sich ungewöhnliche Häufungen auf einen Blick feststellen. Mit einem Nachlauf von ein bis zwei Wochen können relativ aktuelle Zahlen abgerufen werden - momentan bis zur letzten Septemberwoche.

Die Altersgruppe bis 44 Jahre zeigt in der Statistik keine Auffälligkeiten. Todesfälle kommen über das ganze Jahr verteilt vor. Für Menschen ab 45 Jahren sind die Monate Januar und Februar besonders gefährlich. Flankiert wird die Sterberate in dieser Zeit durch Grippewellen. Die Situation beruhigt sich bis zum April, so dass im Wonnemonat Mai das Leben genossen werden kann. Ganz langsam steigt die Todesrate zum Dezember hin an und schlägt dann wieder im Januar brutal zu Buche.

EUROMOMO Vergleichbare Zahlen zur Sterberate während #COVID19
Das dänische Statens Serum Institut liefert mit EUROMOMO vergleichbare Zahlen zur Sterberate während #COVID19

2020 verlief die Kurve in Europa anders: Ende Februar war die jährliche Todesquote schon wieder im Abflachen, als plötzlich Corona in unseren Gefilden auftauchte. Ende Februar war die in dieser Zeit übliche Anzahl von 54.928 Personen gestorben und in der ersten Aprilwoche plötzlich 88.620 Personen - eine Steigerung von über 60% gegenüber den tödlichen Wintermonaten. Betrachtet man die Altersstruktur, so sind Menschen ab 45 Jahren über die Jahre hinweg immer gleichermaßen betroffen - auch bei Corona. Es tangiert also nicht nur 80-Jährige mit ihren diversen Begleiterkrankungen.

Anfang April sterben in Europa normalerweise um die 50.000 Menschen. Die knapp 90.000 Toten im Vergleichszeitraum 2020 entsprechen einer Steigerung um 80%. Bei Personen zwischen 15 und 44 Jahren waren 200 Tote mehr als sonst zu beklagen. An Kindern bis 14 Jahren war Corona nahezu spurlos vorbeigezogen. Das Auftreten einer zweiten Corona-Welle ist anhand der EUROMOMO-Statistik nicht wirklich zu erkennen. Nach den Spitzenwerten aus April und Mai 2020 hat sich die Kurve wieder normalisiert.

Interessant ist vielleicht noch die Betrachtung der Sterbefälle nach Ländern. Wer das 45. Lebensjahr erreicht hat, lebt während der Wintermonate in allen Ländern Europas sehr gefährlich, selbst in Italien, Spanien und Portugal. Die Differenzierung der Statistik nach Ländern zeigt aber sehr deutliche Unterschiede bei der ersten Corona-Welle. Während Norwegen, Ungarn, Griechenland und Deutschland keine nennenswerten Ausschläge auf der Skala zu verzeichnen haben, fällt bei Belgien, Frankreich, Italien, Niederlanden, Spanien, Schweden, Großbritannien und sogar der Schweiz eine deutlich erhöhte Sterblichkeit auf.

Übertragen auf die Corona-Maßnahmen in Deutschland könnte man gemäß dieser Auswertung argumentieren: Alles richtig gemacht! Es ist jedoch fraglich, wie ernst die Gefahr einer zweiten oder dritten Corona-Welle ist. Die Statistik des Statens Serum Instituts deutet eher auf ein Ende der Pandemie hin.

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 6. Oktober 2020

Kein strukturelles Problem: Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden

Bei Umfragen zur Vertrauenswürdigkeit von Berufsgruppen belegen Soldaten und Polizisten sehr gute Plätze - weit vor Journalisten, Geistlichen oder Politikern. Diese Vertrauenswürdigkeit wird in letzter Zeit stark hinterfragt, weil Soldaten oder Polizeibeamte durch Handlungsweisen aufgefallen sind, die als extremistisch bezeichnet werden könnten. Da in Deutschland seit vielen Jahren nur noch ein geringer Bezug zu sicherheitspolitischen Themen besteht, wird aus wenigen Fällen gleich ein strukturelles Problem gemacht.

Deshalb war es durchaus sinnvoll, schnell zu reagieren und eine erste Übersicht zu Verdachtsfällen anfertigen zu lassen. Die Federführung hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz. Abgefragt wurden die Fallzahlen beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), dem Militärischen Abschirmdienst (MAD), dem Bundeskriminalamt (BKA), dem Bundesnachrichtendienst (BND), der Bundespolizei, der Zollverwaltung und der Polizei beim Deutschen Bundestag. Darüber hinaus mussten die Landesbehörden des Verfassungsschutzes, die Landeskriminalämter und die Landespolizeibehörden ihre Zahlen liefern. Betrachtet wurde ein Zeitraum von Januar 2017 bis März 2020 - also mehr als drei Jahre.

Pressekonferenz Lagebericht zum Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden Haldenwang BfV Seehofer BMI Münch BKA Romann Bundespolizei
Pressekonferenz zum "Lagebericht - Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden" mit Innenminister Horst Seehofer

Schon beim flüchtigen Durchblättern des 100-seitigen Lageberichtes fallen die einstelligen und zweistelligen Verdachtszahlen auf. Gemessen an der Gesamtstärke der jeweiligen Behörden liegen die Vorkommnisse tief im Promillebereich. So hat beispielsweise die Bundespolizei 51.000 Kollegen, die in Deutschland und über 80 Staaten im Einsatz sind. Auf diese Kollegen entfallen 44 Verfahren wegen rechtsextremistischer Verdachtsfälle. Das entspricht 0,9 Promille. 31 dieser Fälle wurden intern angezeigt. Um Befangenheit wegen Korpsgeist auszuschließen, werden die Ermittlungen generell an Referenzbehörden wie die Landespolizei übergeben. BKA-Präsident Holger Münch bestätigte, dass auch das BKA keine internen Fälle ermittelt, sondern ebenfalls das LKA damit beauftragt. Interne Anzeigen seien kein Denunziantentum, so es um den Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) gehe. Die Bundespolizei sieht sich als "Familie" und hat eine Vertrauensstelle eingerichtet, bei der verschiedene Anliegen inklusive toxischer Leitung vorgetragen werden können. Wenn dort von Extremismus innerhalb der eigenen Reihen berichtet werde, lande das direkt auf dem Tisch des Bundespolizei-Präsidenten Dr. Dieter Romann.

Um das Thema ressortübergreifend bearbeiten zu können, wurde beim BfV eine zentrale Koordinierungsstelle eingerichtet. Dort laufen die Fäden zusammen. Diese Zentralstelle hat auch die Aufgabe, problematische Vernetzungen transparent zu machen. Die Sicherheitsüberprüfungen für Bewerber bei Polizei und Bundeswehr wurden intensiviert. Zudem wurden Schulungsformate entwickelt, die für eine Früherkennung extremistischer Denk- und Verhaltensmuster sensibilisieren.

Pressekonferenz Lagebericht zum Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden Haldenwang BfV Seehofer BMI Münch BKA Romann Bundespolizei
Pressekonferenz zum "Lagebericht - Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden" mit Verfassungsdienst-Chef Thomas Haldenwang

Das BfV arbeitet eng mit dem MAD zusammen. Der MAD ist für das Verteidigungsministerium und die Bundeswehr zuständig. Bei Reservisten wechseln je nach dessen Status die Zuständigkeiten zwischen BfV und MAD. Reservisten mit extremistischen Ambitionen geben der Statistik einen gravierenden Ausschlag. So hat der MAD im Auswertungszeitraum insgesamt 1.064 Verdachtsfälle ermittelt, von denen etwa 800 auf Reservisten entfallen.

Die Statistik zu den Landesbehörden wurde nach Bundesländern unterteilt. Hessen ist Spitzenreiter mit 59 Fällen, die 0,29% des Personals betreffen. Gemessen an der geringen Mitarbeiterzahl ist die Quote der Verdachtsfälle in Mecklenburg-Vorpommern mit 0,26% sehr hoch. Berlin folgt mit 53 Fällen, die 0,2% des Personals betreffen. Vorzeigebeispiel ist das Saarland mit null Fällen auf 3.200 Mitarbeiter. Im Saarland wird schon seit längerer Zeit die ergänzende Sicherheitsabfrage beim BfV vorgenommen. Bestandspersonal wird dort regelmäßig geschult und Negativerfahrungen im Dienstalltag möglichst professionell aufgearbeitet, damit sich daraus keine extremistischen Haltungen bei den Kollegen entwickeln.

Innenminister Horst Seehofer meinte in der heutigen Pressekonferenz zum "Lagebericht - Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden", dass er "null Komma null auf den Bericht Einfluss genommen" habe und "trotzdem ist er gut geworden". Verfassungsdienst-Chef Thomas Haldenwang freute dieses Lob. Durch die Abfragen in den einzelnen Behörden waren diese gezwungen, sich mit den eigenen Fallzahlen, Präventionsmaßnahmen, Detektionen (Erkennung) und Reaktionen zu beschäftigen. Der Lagebericht soll fortgeschrieben werden und durch Vergleichszahlen zukünftig entsprechende Trends aufzeigen.

Autor: Matthias Baumann

Montag, 5. Oktober 2020

Das Protokoll testet den BER

Bei bestem Fotowetter hatten sich heute sämtliche Akteure protokollarischer Anlässe in Schönefeld eingefunden. Der BER verfügt über ein eigenes Regierungsterminal, das in zwei Wochen den Bereich für Staatsempfänge in Tegel ablösen soll. Auf dem militärischen Teil des Flughafens Tegel werden dann nur noch einige Hubschrauber beheimatet sein, die per Sondergenehmigung von und nach Tegel fliegen dürfen. In Schönefeld werden in der Anfangsphase 60 Soldaten als Stammpersonal eingesetzt. Sobald der Regierungsbereich komplett ausgebaut ist, ziehen die Hubschrauber und die Flugzeuge der Flugbereitschaft BMVg nach Schönefeld um. Momentan werden die Flugzeuge in Köln/Bonn geparkt.

Heute jedenfalls waren das Protokoll des Auswärtigen Amtes, das Protokoll BMVg, Personenschützer des BKA, eine Motorradeskorte der Berliner Polizei und zwei Kompanien des Wachbataillons am BER und übten sämtliche Abläufe. Das protokollarische Drumherum beim Eintreffen und Abfliegen von Staatsgästen kann schon sehr komplex sein.

Protokoll Wachbataillon Test BER Regierungsterminal Flugbereitschaft BMVg
Die 4. Kompanie des Wachbataillons übt die Aufstellung des Ehrenspaliers am Regierungsterminal. - Foto: Bundeswehr / Zeichenstelle WachBtl BMVg

Deshalb gab es mehrere Start- und Landeszenarien mit einem simulierten Königspaar, der gedoubelten Kanzlerin sowie einer unechten Verteidigungsministerin. Bei Staatsbesuchen in der Vollversion - also den Anlässen, die mehrere Tage dauern und auch eine Kranzniederlegung an der Neuen Wache und ein Staatsbankett beinhalten - wird die Maschine des Gastes an der Staatsgrenze mit zwei Eurofightern eskortiert. Auch das wurde geübt - inklusive des lautstarken Überflugs nach der Landung.

Jede Landung ist eine Zitterpartie für den Teppichdienstleister. Wird die Tür des Flugzeugs genau an der Stelle stehen bleiben, wo der schwere Ballen mit dem roten Teppich liegt? Sobald die Maschine steht, wird der Teppich ausgerollt und die Treppe positioniert. Bei Erstbesuchen von Präsidenten und Monarchen ist noch ein Salutschießen vorgesehen. Traditionell werden 21 Schüsse abgefeuert. Das war früher in den Häfen auch so. Mit 20 Schüssen zeigte ein ankommendes Schiff, dass seine Bordkanonen leer sind und ein Schuss diente der Quittierung durch den Hafen. Diese 21 Schüsse absolvierte das Wachbataillon nun beim BER-Test. Dafür ist der Salutzug der 1. Kompanie zuständig.

Die 4. Kompanie des Wachbataillons ist die kleine, aber protokollarisch versierte Marinekompanie. Zur Feier des Tages hatte sie die Heeresuniform angezogen. Zum Aus- und Einsteigen sämtlicher Staatsgäste vom Monarchen bis zum Premierminister ist ein Ehrenspalier vorgesehen. Dieses besteht aus 2 x 13 Soldaten mit Karabiner und einem Kommandierenden. Es kann durchaus vorkommen, das Staatsgäste am Fahrzeug in längere Gespräche verwickelt werden und die Soldaten minutenlang im "Augen rechts" stehen müssen. "Rechts" bedeutet dabei, dass sie den Gast anschauen, egal ob er oben, unten, rechts oder links steht. Augen und Köpfe wandern mit. Das Anschauen des Gastes ist dabei wohl die geringere Herausforderung. Es geht eher um ein zitterfreies Halten des Gewehrs oder der Hand am Barett.

Protokoll Wachbataillon Test BER Regierungsterminal Flugbereitschaft BMVg
Die 4. Kompanie des Wachbataillons übt den Abmarsch des Ehrenspaliers am Regierungsterminal. - Foto: Bundeswehr / Zeichenstelle WachBtl BMVg

Die Motorräder der Landespolizei und der Konvoi mit den Fahrzeugen mussten die Wege von Ankunft und Abfahrt sowie die ideale Positionierung beim Halten trainieren. Auch da schleichen sich gerne mal Pannen ein. Ist der Gast Richtung City unterwegs oder hat sich die Tür des Flugzeugs hinter ihm geschlossen, marschiert das Ehrenspalier weg. Harte Arbeit für sämtliche Beteiligte stellen multilaterale Konferenzen dar. Es kommt dann vor, dass die eintreffenden Maschinen bewusst auf eine längere Anfahrtsstrecke auf dem Rollfeld geschickt werden. Das dient dazu, dass sich das Ehrenspalier und die Fahrzeug-Kolonnen neu positionieren können. Nicht selten muss das Ehrenspalier einen Sprint zum Wechsel einlegen. Das längere Rollen wird vom Gast aber eher in Kauf genommen, als ein zähes Warten am Haltepunkt.

Teilnehmer der heutigen Übung zeigten sich durchweg beeindruckt von den guten Ergebnissen. Vieles habe auf Anhieb geklappt. So könne man dem ersten scharfen Einsatz ruhigen Gewissens entgegensehen. Während deutsche Spitzenpolitiker bereits ab 21. Oktober 2020 von BER aus fliegen, wird der erste größere Staatsbesuch für Mitte November erwartet: Prinz Charles und Camilla. Ein würdiger Auftakt - diesmal mit einem echten Monarchen. Schade nur, dass die 5. Kompanie des Wachbataillons (Luftwaffe) beim Testlauf nicht dabei sein konnte. Sie trainieren gerade irgendwo im Grünen ihre infanteristischen Fähigkeiten.

Autor: Matthias Baumann

Samstag, 3. Oktober 2020

Missbrauch findet täglich, überall und mitten unter uns statt.

Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs - kurz UBSKM - hat sich gut auf die bevorstehende Debatte im Bundestag vorbereitet. Gestern präsentierte Johannes-Wilhelm Rörig ein achtseitiges Positionspapier mit jeder Menge Forderungen an das Parlament und die Gesellschaft. Wegen einiger spektakulärer Fälle sei der Fokus zurzeit auf ein höheres Strafmaß verengt. Diesen Blick wolle er bewusst weiten, da das Strafmaß nur einen Teil der Lösung des Problems darstelle.

Es gehe vielmehr um eine breit angelegte Aufklärungsarbeit. Bezugspersonen wie Lehrer, Eltern, Trainer, Mitschüler, Erzieher - möglichst Alle - sollen sensibilisiert werden für Signale, die missbrauchte Kinder an ihre Umwelt aussenden. Auf diesem Wege steige das Entdeckungsrisiko für die Täter. Die Täter setzen sich aus sämtlichen demografischen und sozialen Struktur zusammen. Ihnen ist aber gemein, dass sie ihre Befriedigung aus dem Gefühl der Macht über Schwächere ziehen. Wer solche Ambitionen hegt, will nicht erkannt werden. Öffentlichkeit ist für diese Person schlimmer als eine langjährige Haftstrafe. Das gilt übrigens auch für sämtliche andere Erscheinungsformen des Vertrauens- und Machtmissbrauchs.

Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) Johannes-Wilhelm Rörig stellt das Positionspapier 2020 in der Bundespressekonferenz vor
Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) Johannes-Wilhelm Rörig stellt das Positionspapier 2020 in der Bundespressekonferenz vor (Foto: Archiv 05/2020).

Die internationale Vernetzung von Ermittlern treibt Täter neuerdings stark in die Enge. Das amerikanische System NCMEC (National Center for Missing and Exploited Children) liefert IP-Adressen und andere strafrechtlich verwertbare Daten an Partnerbehörden. Dadurch ist die Aufklärungsrate in Deutschland sprunghaft angestiegen. Das Risiko, entdeckt zu werden, ist also inzwischen sehr hoch.

Die nachhaltigen Folgen des Missbrauchs liegen hauptsächlich im psychischen Bereich: "Viele Betroffene leiden ihr Leben lang unter den Folgen der traumatisierenden Erlebnisse." Das wiederum ziehe Depressionen, Beziehungsunfähigkeit, finanzielle Probleme und andere die Biografie bestimmende Faktoren nach sich. Dessen sind sich vermutlich viele Täter nicht bewusst oder sie ignorieren es einfach.

Als kleines Trostpflaster wurde das Soziale Entschädigungsrecht (SER) eingeführt. Das greife jedoch zu kurz. Deshalb solle das flankierende Ergänzende Hilfesystem (EHS) neu aufgesetzt werden. Wer diese Angebote in Anspruch nehme, sei bereits von komplexen Trauma-Folgestörungen betroffen. Um dem zu begegnen, müsse die psychotherapeutische Versorgung verbessert werden. Auch Trauma-Ambulanzen seien notwendig.

Beratungs- und Hilfsangebote werden bisher generell stiefmütterlich behandelt. Sie verfügen kaum über die finanziellen Mittel, in Kampagnen, Räume und Fachpersonal zu investieren. Dabei geht der UBSKM davon aus, dass den wenigen angezeigten Fällen eine viel größere Dunkelziffer gegenübersteht. Die medienwirksam als "Einzelfall" aufgerollten Vorkommnisse seien nur die Spitze des Eisberges. Der Missbrauch finde "täglich, überall und mitten unter uns" statt. Man müsse ihn nur eben mit einem sensibilisierten Blick erkennen.

Die Bekämpfung des Kindesmissbrauchs sei eine ressortübergreifende Aufgabe, die immer wieder ins Bewusstsein des Parlaments und der Gesellschafft gezerrt werden müsse. Ein passendes Instrument dafür könnte die Berichtspflicht darstellen. Bisher unterliegt der UBSKM keiner wirklichen Kontrolle. Hat er eine Berichtspflicht zu erfüllen, dient das der Selbstreflexion und - viel wichtiger noch - der ständigen Erinnerung der Abgeordneten an dieses virulente Thema.

Autor: Matthias Baumann

Freitag, 2. Oktober 2020

Die religiöse Komponente des US-Wahlkampfes

Lange ist es her, dass Wahlergebnisse in Deutschland durch Religionszugehörigkeiten bestimmt wurden. In protestantischen Regionen lag früher immer die SPD vorne und in katholischen Regionen die CDU/CSU. In den USA ist der Einfluss religiöser Gruppen auf das Wahlergebnis bis heute ungebrochen. Deshalb werden diese von Amtsinhaber Donald Trump und Herausforderer Joe Biden intensiv umworben.

Die unterschätzten Katholiken

Wer von amerikanischen Christen redet, fasst diese gerne als Evangelikale zusammen. Dabei sind 22% der Amerikaner katholisch. In englischsprachigen Büchern zu christlichen Themen werden diese gerne mit den Pharisäern des Neuen Testamentes gleichgesetzt und genießen keinen sehr guten Ruf. Dennoch besitzen sie etwas, das die Evangelikalen nicht vorzuweisen haben: Einheit. Die Katholiken stellen in der christlichen Szene der USA die größte zusammenhängende Gruppe dar.

US-Wahlkampf Religion Katholiken Evangelikale Juden Donald Trump Joe Biden
Die religiöse Komponente des US-Wahlkampfes: Welche Rolle spielen Katholiken, Evangelikale und Juden beim Wahlkampf zwischen Donald Trump und Joe Biden?

Deshalb bemühen sich sowohl Joe Biden als auch Donald Trump um diese Gruppe. Weil die amerikanischen Katholiken kein einheitliches Wahlverhalten haben, müssen die Präsidentschaftskandidaten Schnittmengen mit ihrer Person oder ihren Ansichten finden. Beide bieten diese Schnittmengen: Joe Biden hat irische Wurzeln und ist überzeugter Katholik. Diese Überzeugung manifestiert sich in seinem Lebensstil und dem Umgang mit Tiefschlägen in seinem Leben. Art und Lebensstil von Donald Trump passt zwar nicht so ganz in die Vorstellungen katholischer Wähler, aber er punktet mit seiner Einstellung zur Hetero-Ehe, der Hetero-Familie, der Ablehnung von Abtreibung sowie der jüngsten Ernennung einer katholischen Richterin für das Oberste Gericht. Sollte Joe Biden die Wahl gewinnen, wäre er nach John F. Kennedy der zweite katholische Präsident der USA. Wer sich fragt, wo die 22% Katholiken herkommen, sei auf die vielen Amerikaner mit hispanischen oder italienischen Wurzeln verwiesen.

Die demokratischen Juden

Eine andere einflussreiche Gruppe sind die amerikanischen Juden. Sie wohnen hauptsächlich in New York City und Kalifornien. Obwohl sie nur 2% der Bevölkerung ausmachen, also knapp 7 Millionen, sind sie doch politisch sehr aktiv und gestalten dadurch die Gesellschaft mit. Bis auf einige Orthodoxe wählen die Juden seit langer Zeit die Demokraten. Kein Wunder also, dass der antisemitistische Druck unter Donald Trump stark zugenommen hat. Weit über 60% der Juden fühlen sich in den USA nicht mehr sicher. Einige vergleichen das sogar mit den Entwicklungen in der späten Weimarer Republik.

Externen Beobachtern könnte hier ein Widerspruch zwischen inländischem Antisemitismus und Israel-freundlicher Außenpolitik auffallen. Verschwörungstheorien wie QAnon konstruieren üblicherweise ein vereinfachtes Feindbild. Dazu wird bis heute erfolgreich "der Jude" genutzt. Bei diesem Feindbild vereinen sich Rechtsextreme, Black-Power-Aktivisten, Black-Muslim-Aktivisten und sogar die Frauenbewegung. Würde die traditionelle Heimat im Nahen Osten höher auf der Agenda amerikanischer Juden stehen, würden diese vermutlich auswandern. Die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem hatte die US-Juden deutlich weniger tangiert als die Corona-Pandemie. Sie wollen bleiben und die Geschicke der USA mitgestalten.

Die konservativen Evangelikalen

Hier kommen die Evangelikalen ins Spiel. Die Unterstützung des Staates Israel hat nämlich weniger etwas mit Judenfreundlichkeit zu tun, sondern eher mit biblischen Prophetien über die Rolle des Staates Israel am Ende der Zeiten. Dass 81% der Evangelikalen Donald Trump wählen hat aber auch noch andere Gründe. Hetero-Ehe, Hetero-Familie und ein Abtreibungsverbot decken sich mit deren Grundüberzeugungen. Eines der Wahlversprechen Donald Trumps war die Verschiebung des Mehrheitsverhältnisses im Obersten Gericht. Wird die katholische Richterin Amy Coney Barrett für das Amt bestätigt, sitzen dort sechs zu drei Konservative und werden auf lange Zeit die Rechtsprechung beeinflussen.

Die Evangelikalen sind im Gegensatz zu den Katholiken stark zersplittert, treffen sich aber bei den genannten Themen. Ein weiterer Hebel, der gut funktioniert, ist der Verweis auf die Geschichte der USA. Die USA sind eine Nation aus zugewanderten "Sektierern", also Menschen, die wegen ihrer religiösen Überzeugungen in Europa verfolgt worden waren und in Nordamerika Freiheit und Sicherheit erleben konnten. Und das gilt es zu verteidigen! Schon hat sich Donald Trump als Patriot stilisiert, der als Widerstandskämpfer für den Erhalt "weißer und männlicher Privilegien" eintritt. Ein christlicher Widerständler, der sich selbst mit Bonhoeffer vergleicht und als Restaurator der legendären Mayflower-Bewegung gehandelt wird. Amerikanische Evangelikale blicken Hand in Hand mit QAnon, Verschwörungstheoretikern, dem Klu Klux Klan und rechtsextremistischen Gruppen auf die glorreiche Vergangenheit, das Unabhängigkeitsjahr 1776 und einen Donald Trump, der das - spätestens durch den schwarzen Barack Obama - angeschlagene Selbstbewusstsein von weiß, männlich und privilegiert wiederherstellt.

Die präsidialen Core Issues

So kann Donald Trump trotz seines unprofessionellen Auftretens auf eine breite Unterstützung der amerikanischen Bevölkerung zählen. Da seine "Core Issues" - die Grundeinstellungen zu den oben genannten Themen - mit dem Wählerwillen harmonieren, sehen viele über die charakterlichen Schwächen hinweg.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 1. Oktober 2020

#MSC2021 "Zeitenwende | Wendezeiten" Munich Security Report in Berlin vorgestellt

Unter schweren Sicherheitsvorkehrungen fand heute die Präsentation des Munich Security Reports "Zeitenwende | Wendezeiten" statt. Die Sicherheitsvorkehrungen konzentrierten sich hauptsächlich auf die Anzahl der Teilnehmer, die Abstände der Sitzplätze und das liebevoll gestaltete Ambiente an den Plätzen. So war ein Aufstehen und Herumlaufen während der Veranstaltung nicht nötig: "Händewende | Wendehände" Desinfektion, ein Karton mit dem Lunch zum "Launch of the MSR Special Edition", Notizhefte, Kugelschreiber, Wasserflaschen, Kopfhörer und die Zettel mit Tischnummer und Adressfeld waren in greifbarer Nähe. Die MSC-Mitarbeiter liefen mit Gesichtsmasken und Handschuhen durch den Saal und desinfizierten regelmäßig die Mikrofone und das Rednerpult.

Das war die erste Präsenzveranstaltung der MSC (Münchner Sicherheitskonferenz) seit Corona. Wenige Wochen nach der #MSC2020 in München war der Lockdown durchgesetzt worden. Mitte Februar war in mäßig besuchten Side Events noch über das asiatische Problem Corona gesprochen worden. Kurz darauf hatten wir es selbst.

#MSC2021 - #MSR Munich Security Report "Zeitenwende | Wendezeiten" in Berlin vorgestellt
#MSC2021 - Munich Security Report MSR "Zeitenwende | Wendezeiten" im Deutschen Historischen Museum im Herzen Berlins vorgestellt. Auch wenn die Geschichte in den letzten sechs Jahren eine überhöhte Geschwindigkeit aufgenommen hat, referenzieren der Veranstaltungsort und der Titel des Reports auf 30 Jahre Deutsche Einheit.

Wie schnell sich weltpolitische Tatsachen ändern, zeigte dann auch das Eingangsstatement Wolfgang Ischingers. Er nahm die MSC im Februar 2014 als Markierung und skizzierte, was man damals noch nicht wusste: dass Russland die Krim annektiert, dass 2016 Donald Trump gewählt wird, dass Russland aktiv in Syrien eingreift, dass es den Brexit geben wird, dass Xi Jinping den chinesischen Kommunismus restauriert, dass 2015 die Flüchtlingskrise beginnt. 2014 ist gerade einmal sechs Jahre her. Die Weltpolitik entwickelt sich schneller, als so manch ein Staat inklusive Deutschland damit Schritt halten könnte.

Man müsse sich schnell und konsequent von den bisherigen "Lebenslügen" trennen. Davon, dass die USA schon auf uns aufpassen werden, dass die EU innenpolitisch die gleichen demokratischen Werte vertrete oder dass die westliche Kultur eine dauerhafte Leitkultur sei. Laut einer Umfrage habe es die Bevölkerung schon verstanden, dass wir uns in einem dramatischen Transformationsprozess befinden. Allein die Bundespolitik in Berlin sei noch in einem Stadium der Selbstverliebtheit gegenüber althergebrachten Arbeitsmethoden. Der Bericht "Zeitenwende | Wendezeiten" will die Politik aufrütteln und in eine Phase der Selbstreflexion schicken. Bisher leiste sich die Bundesregierung noch den Luxus eines "unsystematischen und unkoordinierten" Herangehens an globale Herausforderungen.

Diese Punkte wurden auch in der anschließenden Diskussionsrunde bestätigt. Im Zentrum stand weiterhin die Rolle Deutschlands in der Weltpolitik. Robin Niblett, Chef des Chatham House in London, lobte Deutschland für sein Engagement: Wenn Deutschland gebraucht werde, liefert es. Wenn Geld gebraucht werde, zahlt Deutschland. Auch wenn es Flüchtlingsströme zu bewältigen gebe, macht Deutschland einfach. Genau das sei "Leadership". Während Großbritannien durch den Brexit eher mit sich selbst beschäftigt ist, übernehme Deutschland als "Soft Power" Verantwortung.

Diese "Soft Power" gefällt Staaten aus dem Baltikum nur bedingt. So warf Kadri Liik aus Estland ein, dass softe Ansprache mit harter Power untermauert sein müsse. Der softe Umgang mit Russland spiele lediglich Putin in die Hände und mache die mögliche Stärke Europas unglaubwürdig. Estland datiert den Wendepunkt in der Russlandpolitik auf 2011 zurück. Damals war der Umbau auf eine Langzeitregierung Putins eingeleitet worden.

Auch Polen schaut auf Deutschland. Slowomir Debski vom Polnischen Institut für Internationale Angelegenheiten wirkte schon fast wie ein Kaninchen, das der Schlange begegnet, als er vom Abzug der amerikanische Truppen aus Europa redete. Polen braucht einen Ersatzpartner, der nach ihm schaut. Warum Polen dann immer wieder mit verschiedenen Sticheleien gegen Deutschland aufwartet und auch seine 800 neuen Panzer lieber in Südkorea als bei Krauss-Maffei Wegmann in München kaufen möchte, ist angesichts dieser Situation unklar.

Nathalie Tocci aus Rom forderte mehrfach zum Handeln auf. Deutschland übernehme zwar gerne die Kosten, scheue sich aber vor jeglicher Art des Risikos. Es werde über die wichtigen Themen nachgedacht, darüber geredet oder geschrieben. Aber es werde viel zu wenig getan. Deutschland müsse endlich aus seinem Schlaf erwachen. Ja, es gehe nach dem Aufrütteln durch "Zeitenwende | Wendezeiten" darum, dass Deutschland nicht wieder einschläft: "How to avoid falling back to sleep?"

Es ist nun an den etwa 70 Teilnehmern der heutigen Präsentation, diese Gedanken in ihren Netzwerken zu multiplizieren. Das Auswärtige Amt, Gesellschaften für Sicherheits- und Außenpolitik, Botschafter, Analysten, Greenpeace oder die Bundeswehr-Redaktion waren vor Ort und haben jede Menge Denkanstöße sowie Exemplare des 226-seitigen Munich Security Reportes mitgenommen.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 30. September 2020

Serenade zur Verabschiedung des ehemaligen Wehrbeauftragten Dr. Hans-Peter Bartels

Die Verabschiedung des Wehrbeauftragten Dr. Hans-Peter Bartels fand gestern Abend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dabei waren der Präsident des Bundestages, die Ministerin, sämtliche Staatssekretäre und die komplette militärische Führung zur Serenade im Bendlerblock erschienen. Während sich die Gäste auf dem Paradeplatz drängten, waren die Hauptstadtmedien mit Hinweis auf Corona und eine Feier im kleinen Kreise ausgeladen worden.

Serenade zur Verabschiedung des Wehrbeauftragten Bartels
Ellenbogen-Begrüßung zur Verabschiedung des Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels (links) - Foto: Bundeswehr / BMVg

So konnte die Presse nachempfinden, wie sich Hans-Peter Bartels gefühlt haben musste, als er von der eigenen Partei (SPD) gegen eine unerfahrene Frau ausgetauscht wurde. Der Volksmund redet von "abgesägt". Der ebenfalls durch eigene Leute der EKD "abgesägte" Militärbischof hatte Hans-Peter Bartels noch zu seinem Abschiedsgottesdienst in die Julius-Leber-Kaserne eingeladen. Dort bekam er von der Ministerin und den Anwesenden den Applaus, den ihm die eigene Partei verwehrt hatte. Hans-Peter Bartels war beliebt und geschätzt bei der Truppe und der Generalität. Er hatte Missstände in der Bundeswehr ungeschminkt und sachlich in seinen Berichten dargelegt.

Der Generalinspekteur schätzte diese Ehrlichkeit sehr, auch wenn sie gelegentlich geschmerzt hatte. Ehrlichkeit zeichnet ein realistisches Lagebild, welches mit geeigneten Maßnahmen "bereinigt" werden kann. So ermutigt der Generalinspekteur auch immer wieder Rekruten, Teilnehmer der Generalsstabslehrgänge und andere zu Authentizität und Ehrlichkeit. Es ist jedoch zu beobachten, dass je höher die Dienstgrade, umso vorsichtiger der Umgang mit der eigenen Meinung - auch wenn diese durch fachliche Expertise unterfüttert ist. 2018 war beispielsweise der Inspekteur der Luftwaffe, Karl Müllner, vorzeitig in den Ruhestand entlassen worden, weil er sich für den amerikanische F-35 statt für den Eurofighter eingesetzt hatte.

Serenade zur Verabschiedung des Wehrbeauftragten Bartels
Serenade zur Verabschiedung des ehemaligen Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels auf dem Paradeplatz des Bendlerblocks - Foto: Bundeswehr / BMVg

Hans-Peter Bartels ist 59 Jahre alt. Der gebürtige Düsseldorfer absolvierte sein Studium in Kiel und wurde ein Wahl-Schleswig-Holsteiner. Das gipfelte letztlich in einer Heirat der Kieler Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke. Kein Wunder also, dass als erstes Wunschstück der Serenade "Gruß an Kiel" von Friedrich Spohr auf dem Programm stand. Passend zum Ort seines Wirkens als Wehrbeauftragter wurde anschließend "Berliner Luft" von Paul Lincke gespielt. Er bleib geografisch, so dass als drittes Stück die Europahymne erklang.

Das Stabsmusikkorps war als Protokollaufstellung mit Spielmannszug erschienen. Dieser konnte die "Berliner Luft" mit einer "Locke" einleiten. Die Musiker hatten diesmal auch keine Notenpulte im Einsatz, sondern höchstens Marschgabeln, falls jemand die Stücke nicht auswendig spielen konnte. Flankiert wurde das Musikkorps durch 30 Fackelträger des Wachbataillons. Eine würdige Veranstaltung zum Abschied von einem kompetenten und ehrlichen Freund der Bundeswehr.

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 29. September 2020

BER: Es gibt keine Party. Wir machen einfach auf.

Normalerweise benötigt Satire eine kurze Geschichte, die einen  Spannungsbogen aufbaut, mit einer unerwarteten Wendung endet und damit einen humoristischen Effekt erzielt. Der neue Flughafen für Berlin und Brandenburg braucht das nicht mehr. Die gleiche Wirkung wird durch drei Buchstaben erzeugt: B_E_R. Erst jüngst bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung ging es um lachende Chinesen beim Anflug auf Berlin. Bei der anschließenden Nennung der drei Buchstaben BER lachte auch der Saal.

So war es den Fotografen nicht zu verdenken, dass sie seit dem Betreten der Bundespressekonferenz um die lustigsten Sprüche zum BER wetteiferten. Dass BER zu einer "Lachnummer" geworden ist, griff auch Engelbert Lütke Daldrup in seinem Eingangsstatement auf. Engelbert Lütke Daldrup ist Professor, Doktor und Vorsitzender der Geschäftsführung der Flughafen Berlin-Brandenburg GmbH (FBB). Lütke Daldrup wird zudem ohne Bindestrich geschrieben und das lang gesprochene A bei Daldrup nicht mit einem H ergänzt. Welche Initialen er nutzt, war nicht Gegenstand der heutigen Pressekonferenz. Diese könnten aber ELD lauten.

Prof. Dr. Engelbert Lütke Daldrup Bundespressekonferenz Eröffnung BER 31. Oktober 2020
Prof. Dr. Engelbert Lütke Daldrup - Pressekonferenz zur Eröffnung des BER am 31. Oktober 2020

Der BER langweilt die Presse offensichtlich mit gleicher Intensität wie das inhaltliche Siechtum um den Brexit. So hatten sich nur ganze vier Wortjournalisten aus den Federn gequält, um zu hören, ob BER tatsächlich am 31. Oktober eröffnet. Da im Vorfeld mehrfach die Frage aufkam, um welches Jahr es sich dabei handele, legte ELD in seiner Einführung eine Kunstpause mit anschließender Betonung ein: "31. Oktober - Pause - 2020!"

Der BER besteht aus drei Terminals, von denen Terminal 1 das Herzstück bildet. Unter Terminal 1 befindet sich ein Bahnhof mit sechs Gleisen. Dieser sei an sämtliche Regionalbahnen und die S-Bahn angebunden. Die Infrastruktur gäbe auch eine Verbindung zum ICE her. Allerdings müsse die Bahn ihren ICE-Fahrplan entsprechend auf den BER anpassen. Lütke Daldrup rechnet damit, dass zwei Drittel der Passagiere die Bahn nutzen werden. Für alle anderen wurden insgesamt 13.000 Stellplätze für Privatfahrzeuge, Taxis und Busse bereitgestellt. Der BER-Chef bezeichnete den BER als "Flughafen der kurzen Wege".

"Der Weg zur Eröffnung, meine Damen und Herren, war kein leichter." Neben der regelmäßigen Verschiebung des Eröffnungstermins hatten sich auch die Kosten mehr als verdoppelt. Geplant waren 2,7 Milliarden Euro, die sich inzwischen auf 5,96 Milliarden Euro hochgeschaukelt haben. Davon entfallen 770 Millionen Euro auf durchgeführte und geplante Lärmschutzmaßnahmen für die Anwohner. Etwa 200 Millionen Euro müssen für das Regierungsterminal abgezogen werden. Dieses werde über Subventionen gegenfinanziert. Bleiben also noch 5 Milliarden Euro, von denen 3,5 Milliarden durch Kredite abgedeckt werden. Das Geld ist zudem in 40 Gebäude, Start-Landebahnen sowie den unterirdischen Bahnhof geflossen.

Prof. Dr. Engelbert Lütke Daldrup Bundespressekonferenz Eröffnung BER 31. Oktober 2020
Prof. Dr. Engelbert Lütke Daldrup - Pressekonferenz zur Eröffnung des BER am 31. Oktober 2020 - Berlin nimmt mit #DankeTXL Abschied von Tegel

BER ist skalierbar. Das heißt, er kann nach Süden erweitert und bei Bedarf auf eine Kapazität von 55 Millionen Fluggästen pro Jahr ausgebaut werden. Derzeit kann er 35 Millionen Passagiere verkraften. Vorausgesetzt, Corona ist irgendwann vorbei. Während Corona beläuft sich die Zahl auf etwa 10 Millionen Personen. Berlin ist nicht sonderlich gut an das Langstreckenflugnetz angebunden. Nur sieben Direktlinien gibt es bisher. Besonders schwach sind die Verbindungen nach Asien. Chinesen fliegen deshalb beispielsweise nach Prag und fahren von dort aus mit dem Bus nach Berlin und Potsdam. Dabei will jeder vierte ausländische Tourist nach Berlin oder Potsdam.

Um internationale Landerechte zu bekommen, müssen bilaterale Verhandlungen geführt werden. Man kann dafür auch Mandate an die EU vergeben. Die Erfahrungen zeigen jedoch, dass die Mandate wegen Untätigkeit in Brüssel irgendwann wieder an Deutschland zurückfallen und dann vom Verkehrsministerium verhandelt werden müssen. Sollte es am 31. Oktober 2020 tatsächlich zur Eröffnung des BER kommen, wäre Minister Scheuer für die Steigerung der internationalen Attraktivität des BER zuständig.

Die Äußerung "Es gibt keine Party. Wir machen einfach auf." täuscht ein wenig über die doch recht zahlreichen Begleitverantaltungen zum Wechsel der Flughäfen Tegel (TXL) zu BER hinweg. Ab dem 3. Oktober 2020 wird die Besucherterrasse in TXL für verschiedene Aktionen geöffnet. Mitte Oktober wird der Bahnhof unter Terminal 1 in Betrieb genommen. Am 31. Oktober 2020 werden gegen 14 Uhr Maschinen von Easyjet und der Lufthansa in Schönefeld landen. Am 1. November wird Easyjet mit bisher unbekanntem Ziel vom BER aus starten. Am 8. November 2020 startet um 15 Uhr der letzte Flug von Tegel. Passend zu seiner damaligen Einweihung 1960 wird das eine Maschine der Air France sein.

Am 31. Oktober wird es einen Empfang des Gewerbevereins Schönefeld geben. Endlich können die Sektkorken der Gewerbetreibenden knallen, so sie denn Corona und die lange Wartezeit auf die Eröffnung überlebt haben. Die Gemeinde Schönefeld wird bald eine der reichsten Gemeinden Brandenburgs sein. Fließen doch Gewerbesteuer und Umsatzsteuer in die Region.

Prof. Dr. Engelbert Lütke Daldrup Bundespressekonferenz Eröffnung BER 31. Oktober 2020
Prof. Dr. Engelbert Lütke Daldrup - Pressekonferenz zur Eröffnung des BER am 31. Oktober 2020 - Auch das Terminal der Bundesregierung zieht nach Schönefeld um.

Etwas bitter wird es wohl für die Bundesregierung. Das Wachbataillon konnte bisher fast zu Fuß zum militärischen Teil des Flughafens Tegel gelangen. Jetzt muss es einmal diametral durch Berlin reisen. Der Weg zwischen TXL und Regierungsviertel hatte nur 20 bis 30 Minuten gedauert. Von Schönefeld aus geht das nicht so schnell. Zudem gibt es auf der Strecke einige sicherheitsrelevante Fallen wie Autobahntunnel. VIP-Konvois umfahren diese normalerweise. Das Regierungsterminal wurde bereits 2018 nach 18-monatiger Bauzeit fertiggestellt. Am 21. Oktober 2020 soll es in Betrieb gehen mit allem Drum und Dran. Auf dem militärischen Teil von TXL sollen dann nur noch ein paar Hubschrauber stationiert bleiben - wenn überhaupt. Die neue "Ramp 1" in Schönefeld bietet jedenfalls Platz für fünf große Maschinen. Das wird insbesondere den türkischen Präsidenten Erdogan freuen, der immer mit mehreren Flugzeugen anreist.

Die heutige Pressekonferenz gestaltete sich also mehr informativ als lustig. Sollte es bei der Eröffnung am 31. Oktober 2020 keine Panne geben, enden auch die BER-Witze. Deshalb hier eine Alternative: "Geht ein Cowboy zum Friseur. Kommt er raus: Ist sein Pony weg."

Autor: Matthias Baumann

Montag, 28. September 2020

Polizeiliche Kriminalprävention: Vorstellung des Digitalbarometers 2020

Das BSI (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik) und die ProPK (Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes) haben eine repräsentative Menge an Internetnutzern zwischen 14 und 65 Jahren befragt. Der Schwerpunkt lag auf der Betroffenheit durch kriminelle Vorgänge wie Cyberstalking, Cybermobbing, Datendiebstahl, Account-Übernahme, Betrug beim Online-Shopping und so weiter.

Der mit Abstand höchste Prozentsatz (44%) entfällt auf Betrug beim Online-Shopping. So gab jeder dritte Befragte an, finanziellen Schaden erlitten zu haben. Das BSI wundert sich, dass die jeweiligen Beträge relativ gering waren. Es gab nur einen Ausreißer mit 50.000 Euro. Das BSI ist auch erstaunt darüber, dass es während Corona keine signifikante Steigerung der kriminellen Cybervorfälle gab. Man hatte mit deutlich mehr gerechnet. So wie Offline-Diebstähle sorgen auch Cyberdiebstähle für emotionalen Schaden. 25% der Befragten fühlen sich nach dem Shoppingbetrug oder dem Knacken von Accounts stark verunsichert. Unbefugtes Eindringen in die Privatsphäre wirkt fast immer emotional nach.

Polizeiliche Kriminalprävention: Vorstellung des Digitalbarometers 2020
Polizeiliche Kriminalprävention: Vorstellung des Digitalbarometers 2020 - Die meistgenutzten Passwörter sind immer noch "12345", "123456" oder "qwertz".

Die Umfrage zeigt auch, dass es noch eine erhebliche Lücke zwischen "Wissen zum Handeln" gibt. So setzen zwei Drittel ein aktuelles Antivirenprogramm ein. Das ist gut, aber noch zu wenig. Etwa die Hälfte der Befragten nutzen bereits sichere Passwörter. Hier könnte eine leistungsfähige Passwortverwaltungssoftware zum Einsatz gebracht werden. Andernfalls machen sich lange Passwörter sehr gut. Hier kann beispielsweise ein Satz aus dem Lieblingsbuch zitiert und die Leerzeichen mit Sonderzeichen ersetzt werden. Erschreckend fand das BSI die Antworten zu automatischen Updates. Viele Nutzer stoßen immer noch ihre Updates manuell an, so sie denn daran denken.

Da IT-Experten teuer und selten sind, setzen BSI und Polizei auf Selbsthilfe der Internetnutzer. Sie unterstützen das mit verschiedenen Aufklärungskampagnen an Schulen, in Firmen oder in Behörden. In der heutigen Pressekonferenz wurde auch deutlich, dass die Polizei gerne öfter kontaktiert werden würde, wenn es um problematische Inhalte wie Kinderpornografie geht. Durch internationale Zusammenarbeit und Systeme wie NCMEC hat sich die Aufklärungsrate inklusive Nachverfolgung von IP-Adressen bis zum finalen Täter signifikant verbessert. Zwischen Bundeskriminalamt (BKA) und den Landeskriminalämtern (LKA) findet dazu ein reger Datenaustausch statt.

Wer in Berlin eine Polizeidirektion betritt, muss schon sehr viel Phantasie aufbringen, um der Landespolizei technische Fähigkeiten zuzugestehen: Dicke vergilbte Bildschirme stehen auf den Schreibtischen. Gelegentlich wird der Bürger Zeuge eines Internetausfalls, der die Erfassung der Anzeige verhindert. Beamte notieren Aussagen auf Schmierzetteln, die irgendwo in einer Plastikablage landen. Dass an solche Dienststellen keine Cyberkriminalität gemeldet wird, versteht sich von selbst. Baden-Württemberg tut etwas gegen dieses Image: Die Polizei dort hat ein 3-Jahres-Leasing für Computertechnik eingeführt. Dadurch wird die Technik alle drei Jahre durch neueste Geräte ersetzt. Der Abstand zum Vorsprung des Täters wird also geringer.

Ein Thema hatte das Digitalbarometer jedoch nicht auf dem Radar: Konfrontation und Umgang mit Desinformation. Das BSI will das in die nächste Umfrage aufnehmen.

Autor: Matthias Baumann

Weiterführende Links: [BSI-Tipps zur Infektionsbeseitigung] [Entschlüsselung nach Ransom-Angriff] [Anzeige aufgeben] [BSI-Infos zu Schadprogrammen] [Polizei-Beratung zu Cyberkriminalität]

Sonntag, 27. September 2020

Mögliche Auswirkungen eines Nuklearkrieges zwischen Indien und Pakistan im Jahr 2025

Die Befindlichkeiten zwischen Indien und Pakistan sind ethnischer und religiöser Natur. Nach dem zweiten Weltkrieg haben sich die Briten aus dem Mittleren Osten zurückgezogen und ihr Kolonialgebiet in zwei Staaten geteilt: Indien im Osten und Pakistan im Westen. Die Teilung wurde 1947 gemäß der Religionszugehörigkeit der Einwohner vorgenommen. Das führte zu schweren Auseinandersetzungen und Fluchtbewegungen, bei denen etwa eine Million Hindus und Moslems ums Leben kamen. Der Konflikt wird heute noch besonders intensiv in Kaschmir ausgetragen. Kaschmir liegt an der Nordgrenze beider Staaten.

Die Weltgemeinschaft würde das vermutlich gar nicht so stark tangieren, wenn Indien und Pakistan in ihrer hitzigen Mentalität nicht so unberechenbar wären. In Kombination mit dem beiderseitigen Besitz von Nuklearwaffen macht sie das gemeingefährlich. So gab es seit den 1970er Jahren immer wieder internationale Abkommen zur Eindämmung der nuklearen Gefahr. Die Münchner Sicherheitskonferenz fordert deshalb eine Erweiterung des 2010 unterzeichneten START (Strategic Arms Reduction Treaty - Abkommen zur Reduzierung strategischer Waffensysteme). Selbst Wladimir Putin hat sich jüngst für eine Erweiterung des START ausgesprochen. Wenn es nicht gelingt, gibt es keine Restriktionen mehr für die Nuklearmächte Indien und Pakistan.

#MSC #NewSTART Mögliche Auswirkungen eines Nuklearkrieges zwischen Indien und Pakistan im Jahr 2025
Münchner Sicherheitskonferenz MSC skizziert mögliche Auswirkungen eines Nuklearkrieges zwischen Indien und Pakistan im Jahr 2025, wenn es nicht zu einer Erweiterung des START kommt
Für diesen Fall war bereits im Munich Security Report aus Februar 2020 eine Grafik mit den möglichen Folgen eines regionalen Nuklearkonfliktes zwischen Indien und Pakistan abgebildet. Diese liest sich wie eine Beschreibung aus der Apokalypse. Es wird davon ausgegangen, dass beide Länder bis 2025 dazu in der Lage sein werden, mit beispielsweise 250 Sprengköpfen gegen die Großstädte des jeweiligen Nachbarlandes vorzugehen. Die Folgen würden in etwa so aussehen:

1) 50 bis 125 Millionen Menschen würden sofort sterben. Zum Vergleich: Deutschland hat 80 Millionen Einwohner.

2) 16 bis 36 Millionen Tonnen schwarzer Kohlenstoff würden freigesetzt werden und damit bis zu einem Drittel das Sonnenlichtes verdunkeln.

3) Damit würde bis zu einem Drittel der landwirtschaftlichen Produktivität beeinträchtigt werden und bis zu einem Sechstel die des Meeres.

4) Der Niederschlag würde um bis zu einem Drittel verringert werden und das globale Klima würde sich um 2 bis 5° C abkühlen.

Letzteres sollte nicht zu laut gesagt werden. Spitzenpolitiker mit einer Tendenz zu einfachen Lösungen für komplexe Probleme könnten möglicherweise auf suboptimale Gedanken kommen.

Interessant ist, dass schon in der vor 2.000 Jahren verfassten Apokalypse des Johannes im achten und neunten Kapitel mehrfach von einem Drittel geredet und die oben genannten Wirkungen erwähnt werden.

Spätestens Corona hat demonstriert, wie ein winziger Virus die gesamte Weltwirtschaft lahm legen kann. Die Folgeschäden von Lockdown und Todesfällen sind bisher nur grob zu beziffern. Die Volkswirtschaften in Europa sind nach derzeitigem Stand um etwa 10% eingebrochen. Großbritannien hat sich durch den Brexit ein weiteres Problem geschaffen und damit seinen Corona-Verlust verdoppelt.

Wenn 125 Millionen Menschen sofort sterben, sind sicher auch international gefragte Fachkräfte dabei. Die schwarzen Wolken werden den Flugverkehr verhindern und sich auf die Nutzbarkeit von Satelliten auswirken. Es kommt weltweit zu Missernten, Hungersnöten und Fluchtbewegungen. Überlebende werden an Krebs erkranken und gesundheitliche Schädigungen vererben. Die Folgen lassen sich nicht auf Indien und Pakistan eingrenzen. Die Folgen sind nicht wirklich kalkulierbar und treffen auf irgendeine Weise auch Personen, die auf der ganz anderen Seite des Globus leben - beispielsweise in Brasilien oder Argentinien.

Autor: Matthias Baumann