Mittwoch, 1. Juli 2020

AKK zu KSK: Toxic Leadership und strukturelle Schwachpunkte

Im nächsten Jahr feiert das Kommando Spezialkräfte (KSK) sein 25-jähriges Bestehen. Die Eliteeinheit wurde nach dem Vorbild des Special Air Service (SAS) der britischen Armee und der Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9) zusammengestellt. Anlass war das Fehlen dieser Fähigkeiten zur Zeit des Völkermordes in Ruanda. Damals mussten belgische Spezialkräfte für die Rückführung deutscher Staatsbürger sorgen.

Inzwischen hat sich vieles im KSK verselbständigt. Anders als sonst in der Bundeswehr fand kaum eine Rotation der Führungskräfte statt. Die Ausbildung wurde intern geregelt und auch ein Inspizieren war wegen des hohen Geheimhaltungsgrades nicht möglich. So konnten sich Strukturen und Gepflogenheiten entwickeln, die sehr eigen waren und sich jeglicher externer Kontrolle entzogen.

Pressekonferenz AKK Kramp-Karrenbauer Generalinspekteur Eberhard Zorn Arbeitsgruppe KSK
Pressekonferenz von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer #AKK und dem Generalinspekteur Eberhard Zorn zur Arbeitsgruppe KSK
Das KSK ist ein Bataillon mit weit über 1.000 Soldaten. Diese sind in zehn Kompanien und einigen weiteren Bereichen organisiert. Bei den Ermittlungen zu den Vorwürfen des Extremismus wurde eine so genannte 20er-Liste abgearbeitet. 20 Soldaten wurden auf verschiedenen Ebenen betrachtet und gewisse Gemeinsamkeiten festgestellt. Die wichtigste Gemeinsamkeit war, dass sie zur 2. Kompanie gehörten.

Deshalb wurde analysiert, was das Besondere an der 2. Kompanie ist. Sie gehört zu den sechs Kommandokompanien, die die Spezialaufträge letztlich ausführen. Laut der Ministerin liegt eine der Ursachen für die Radikalisierung in dem enormen Druck, dem die Soldaten im Einsatz ausgesetzt sind, aber auch in den Vorstellungen, die die Soldaten selbst von ihren Aufgaben haben. Es gebe Differenzen bei der Bewertung parlamentarisch legitimierter Einsätze und dem, was man gerne selbst noch machen möchte. Druck als Begründung hinkt insofern, als dass es weitere Kompanien und Spezialkräfte wie die Kampftaucher gibt, bei denen bisher keine Radikalisierung aufgefallen ist. Es muss also noch andere Ursachen geben.

Pressekonferenz AKK Kramp-Karrenbauer Generalinspekteur Eberhard Zorn Arbeitsgruppe KSK
Pressekonferenz von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer #AKK und dem Generalinspekteur Eberhard Zorn zur Arbeitsgruppe KSK
Dazu fiel mehrfach der neudeutsche Begriff "Toxic Leadership". Toxic Leadership bedeutet "vergiftende Leitung" und wurde erstmals kurz nach dem Irak-Krieg von der US-Armee thematisiert. Damals hatte man die Selbstmorde amerikanischer Soldaten untersucht. In die Betrachtungen wurden dabei nicht nur die Familiensituation oder die psychische Verfassung des jeweiligen Soldaten einbezogen, sondern - das war neu - auch das Umfeld in der Truppe. Dabei fiel auf, dass inkompetente und unsichere Leitungspersonen oftmals ein Klima der Kontrolle und des Machtmissbrauchs erzeugen und Strukturen etablieren, die fähigen Kräften keine Luft zum Atmen lassen. Diese werden gedemütigt, diffamiert und weit unter Potenzial eingesetzt. Dem toxischen Leiter geht es damit in der Regel nur um die Kompensation eigener Defizite. Seine Organisation, sein Team und der größere Auftrag sind ihm egal.

Toxic Leadership ist ein weit verbreitetes Problem. Es zieht sich durch sämtliche Gesellschaftsbereiche. Deshalb gibt es in den USA inzwischen Trainer und Unternehmensberater, die genau dieses Thema aufgreifen und Handlungsempfehlungen für Betroffene und übergeordnete Führungskräfte anbieten. In Deutschland wird dieses Thema erst seit 2017 wahrgenommen. Mit einem Aufsatz hatte Oberst Jahnke vom Zentrum Innere Führung der Bundeswehr den Stein ins Rollen gebracht. Erst wenige Unternehmensberater haben das hierzulande für die Wirtschaft aufgegriffen. Üblicherweise wird mit rüden Methoden gegen Stimmen vorgegangen, die toxische Leitung in den eigenen Reihen ansprechen. Kontaktverbote und die "Mauer des Schweigens" sind äußerlich erkennbare Zeichen für diese problematischen Konstrukte. Mit einer Mauer des Schweigens sieht sich die Bundeswehr auch bei der 2. Kompanie des KSK konfrontiert. Das Schweigen resultiert aus Angst oder einer mehr oder weniger berechtigten Loyalität.

Wie wichtig es ist, dass die übergeordneten Instanzen bei Toxic Leadership eingreifen, zeigt das Beispiel KSK. Die Ministerin und der Generalinspekteur haben die Lagebereinigung zur Chefsache erklärt und stellten sich deshalb heute auch den unkalkulierbaren Fragen der Presse. Den Verantwortungsträgern der Bundeswehr ist bewusst, dass ein Verschweigen oder Vertuschen von kleinen Konfliktherden wie beim KSK zu einem flächendeckenden Problem führen können.

Pressekonferenz AKK Kramp-Karrenbauer Generalinspekteur Eberhard Zorn Arbeitsgruppe KSK
Pressekonferenz von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer #AKK und dem Generalinspekteur Eberhard Zorn zur Arbeitsgruppe KSK

Das KSK hat es nun selbst in der Hand, wie seine Zukunft aussieht. Dabei setzt die Arbeitsgruppe KSK auf eine Reformation von innen. Diese wird jedoch von oben beobachtet und als Chance statt Strafe gesehen. "Wer Teil des Problems sein will", muss die Bundeswehr verlassen oder wird versetzt. Wer sich kooperativ bei der Aufarbeitung zeigt, kann seine geplante Laufbahn fortsetzen. Fest steht, dass die 2. Kompanie aufgelöst wird, dass die übliche Rotation der Führungskräfte auch im KSK Einzug hält und dass die Sicherheitsüberprüfung auf Stufe 4 angehoben wird. Auch Reservisten werden in Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz vor der Beorderung stärker unter die Lupe genommen.

Die Arbeitsgruppe KSK - bestehend aus Generalinspekteur, Staatsekretär Tauber, Staatssekretär Hoofe, Heeresinspekteur Mais, KSK-Kommandeur Kreitmayr und der Wehrbeauftragten Högl - hat eine Frist gesetzt. Bis Ende Oktober sollen greifbare Ergebnisse vorliegen. Ansonsten werde man nach "neuen Möglichkeiten suchen". Denn die Fähigkeiten des KSK werden in jedem Fall gebraucht.

Unter die Lupe genommen wurden auch die extrem hohen Fehlbestände an Munition und Sprengstoff. So ist der Verbleib von 37.000 plus 48.000 Patronen für verschiedene Handwaffen ungeklärt. Besondere Sorge bereitet dem Generalinspekteur allerdings das Verschwinden von 62 kg Sprengstoff. Schon 1% davon machen ein Auto zu einem gefährlichen Flugobjekt. In diesem Zusammenhang fiel auf, dass die Bundeswehr zu viele analoge Bestandserfassungen vornimmt. Es gibt faktisch keine zentrale Übersicht zu Lager- und Fehlbeständen bei Munition, die per Knopfdruck abrufbar wäre. Ministerin und General zuckten heute mit den Schultern und verwiesen auf die Generalinventur, die bereits angeordnet sei. Stichtag für die Vorlage der Zahlen ist der 31. Dezember 2020.

Abschließend hier noch ein Zitat von Annegret Kramp-Karrenbauer: "Wenn ich 'eisernen Besen' sage, meine ich das nicht martialisch, aber ernst."

Edit: Hier eine interessante Zusatzlektüre aus dem KSK vom 25. Juli 2020.

Autor: Matthias Baumann