Zum Abschlussabend einer internationalen Konferenz in New York City sollten Vertreter der jeweiligen Delegationen die Fahne ihres Landes in den Saal tragen. Der deutschen Delegation hatte sich eine Frau aus Österreich angeschlossen. In einem langen Ständer warteten die Fahnen auf die Abholung. Die Deutschlandfahne war auf den ersten Blick zu erkennen. Die Frau aus Österreich machte ihrem Unmut Luft, dass man immer bei Deutschland mitlaufen müsse und nie als eigenständiges Land gewürdigt werde. Ich half ihr beim Suchen der Fahne und fand sie dann schließlich auch. Stolz stellten wir uns mit den Fahnen zusammen und verteidigten unsere Position gemeinsam gegen vordrängende Afrikaner und Asiaten.
Diese Situation ist wohl symptomatisch für die Wahrnehmung des Engagements Österreichs in der Welt. Als neutraler Staat ist es nur selten an "robusten" Einsätzen beteiligt und agiert daher eher in den Bereichen, die nicht so medienwirksam ausgeschlachtet werden können.
Bereits das kaiserliche und königliche (k.u.k.) Infanterie-Regiment Nr. 87 setzte sich ab 1883 für die Trennung von Konfliktparteien in Albanien und auf Zypern ein. Nach dem Ersten Weltkrieg 1918 löste sich das Regiment auf. Es gab dann verschiedene innenpolitische Umbrüche in Österreich, so dass die internationalen Aktivitäten erst 1960 wieder aufgenommen wurden. Bis heute sind österreichische Kräfte an unzähligen UN-Missionen beteiligt. Das sind Missionen, von denen man in Deutschland kaum etwas gehört hat: ONUC, UNYOM, UNFICYP, UNTSO, UNEF, UNTAG, UNOVEN und viele weitere. Das könnte auch daran liegen, dass man bis 1990 in Deutschland mit dem Kalten Krieg und anderen Themen beschäftigt war.
Wer das Buch "Going International in the Service of Peace" (ISBN 978-3-85333-329-7) von Erwin A. Schmidl, einem Militärhistoriker aus Wien, liest, bekommt einen Eindruck von der Menge der UN-Einsätze weltweit. Am roten Faden des österreichischen Engagements erfährt der Leser, wo das Eingreifen oder die bloße Anwesenheit der Staatengemeinschaft etwas Positives bewirken konnte, wo sie versagt hat und wo sie sich optimiert hat. Der größte Bremsklotz ist das Machtspiel der Vetomächte im Sicherheitsrat. Ansonsten könnte noch viel mehr geholfen und befriedet werden. Dennoch wurde viel mehr geleistet, als allgemein wahrgenommen.
Die Neutralität schafft dem österreichischen Personal eine besondere Stellung. So werden sie oft für Polizeiaufgaben, im Justizvollzug oder als Ausbilder nachgefragt. Auch Führungsaufgaben stehen ihnen offen. Selbst dann, wenn bisher gar keine Beteiligung ihres Landes an einer Mission stattgefunden hatte. Inklusive der neueren EU-Missionen wie EUTM (Mali), EUFOR Tchad oder EUAM Ukraine war und ist Österreich in 74 Auslandseinsätze involviert. Durch ein spezielles Entsendegesetz darf es auch Kampftruppen entsenden und hält dafür ein Bataillon mit einer Maximalstärke von 2.500 Soldaten bereit.
Da die Soldaten des Bundesheeres deutlich weniger Geld verdienen als ihre deutschen Kameraden, sind Auslandseinsätze wegen der finanziellen Zuschüsse interessant. In der Anfangszeit der Auslandseinsätze wurden die Mitreisenden noch händeringend gesucht, weil teilweise Urlaub dafür genommen werden musste und als Hauptmotivation die christliche Nächstenliebe galt. Zudem wurden die Freiwilligen als Erholungssuchende diffamiert. Das notorisch unterfinanzierte Bundesheer musste vor Ort nicht selten improvisieren, um beispielsweise ein funktionstüchtiges Zeltkrankenhaus betreiben zu können. Not macht bekanntlich erfinderisch, und so bauten die Österreicher eine bemerkenswerte Resilienz im Umgang mit widrigen Umständen vor Ort auf - ohne ihre professionelle Arbeitsweise darunter leiden zu lassen. Wegen der internationalen Mischung der Einsatzkontingente kam es sogar zu Situationen, in denen sich Österreicher mit Iren auf Suaheli unterhielten, weil das ihre ehemals gemeinsame Sprache beim Kongo-Einsatz gewesen war.
Bei der Betrachtung der Einsätze fällt auf, dass die UNO zwar weiterhin agiert, aber mehr und mehr durch EU- und NATO-Aktivitäten abgelöst wird. EU und NATO haben auch deutlich "robustere" Mandate und können dadurch schneller entsprechende Ergebnisse herbeiführen. Deutlich wird aber auch, dass sich in den letzten 70 Jahren - ausgehend von Afrika und dem Nahen Osten - die sicherheitspolitische Schlinge immer enger um Europa zusammenzieht. Den ersten Schreck gab es beim Zerfall Jugoslawiens und den damit verbundenen kriegerischen Auseinandersetzungen direkt an der Südostgrenze Österreichs. Österreich befindet sich zurzeit in einem Dilemma zwischen EU-Mitgliedschaft und militärischer Neutralität. Mit dem Status "Partnership for Peace" (Partnerschaft für den Frieden) hat das Land einen guten Kompromiss gefunden und war in diesem Konstrukt sogar bei KFOR im Kosovo und bei ISAF in Afghanistan eingesetzt.
Wer das oben erwähnte Buch mit dem festen Einband, den über 200 A4-Seiten und den weitestgehend unattraktiven, aber aussagekräftigen Pressefotos zuklappt, wird erstaunt sein über den Umfang dieses Themas. Auslandseinsätze werden in Deutschland gerne auf die jeweils aktuellen etwa 15 Einsätze reduziert. Mit "Going International" taucht der Leser in eine Geschichte humanitärer Hilfe, Befriedung und den Weg zu einer sinnvoll agierenden Weltgemeinschaft ein.
Autor: Matthias Baumann