Donnerstag, 29. März 2018

Botschafter von San Marino, Südsudan und Georgien beim Bundespräsidenten akkreditiert

Das Osterwochenende steht vor der Tür. Während die Berliner ihre Fahrzeuge Richtung Stadtrand bewegten, strebten drei Konvois der City entgegen. Schwarze Limousinen mit Standarten des Bundespräsidenten, eskortiert von mehreren Motorrädern. Heute sollten drei Botschafter im Schloss Bellevue akkreditiert werden: San Marino, Südsudan und Georgien.

Botschafter San Marino akkreditiert
Botschafter der Republik San Marino akkreditiert - Dario Galassi
San Marino kennen viele nur aus dem Briefmarkenalbum. Kleine Marken mit einer Burg drauf. Ähnlich klein ist das Land. Es hat etwa 33.000 Einwohner. Knapp 13.000 Staatsbürger von San Marino wohnen außerhalb des kleinen Landes. San Marino wurde am 3. September 301 gegründet und erlangte bereits 366 seine Unabhängigkeit - vom Römischen Reich. Briten, Franzosen und andere Kolonialmächte gab es zu der Zeit noch nicht. Wer die Staatsbürgerschaft erwerben möchte, muss einen Elternteil dazu bewegen, mit einem Bürger San Marinos anzubändeln. Entsteht daraus ein Kind, kann dieses Kind die Staatsbürgerschaft beantragen. Ansonsten: Keine Chance!

Botschafter San Marino akkreditiert
Botschafter der Republik San Marino akkreditiert - Dario Galassi (mitte)
Zwei der wenigen Bürger von San Marino erschienen heute im Schloss Bellevue: Dario Galassi und eine Damenbegleitung - vermutlich seine Gattin. San Marino ist auch für Google so klein, dass bei der Suche nach der Botschaft von San Marino in Berlin erstmal zwei Restaurants vorgeschlagen werden. Eine Tiefensuche ergibt, dass der Deutsche wohl nach Belgien fahren muss, um den Botschafter zu treffen. Solch eine Bündelung ist aus Kosteneffizienz sicher angebracht, zumal es wahrscheinlich kaum einen Grund gibt, die Botschaft von San Marino aufzusuchen.

Heute lief alles nach Zeitplan. Kaum war die dekorative Fahne in Blau-Weiß niedergeholt, rollte der Konvoi von Beatrice Khamisa Wani auf den Schlossplatz. Der Südsudan hat etwas mehr Einwohner als San Marino - etwa 13 Millionen.

Botschafterin Südsudan akkreditiert
Botschafterin der Republik Südsudan akkreditiert - Beatrice Khamisa Wani
Der Südsudan spaltete sich 2005 mit einem Friedensabkommen vom Sudan ab. Dieser Prozess dauerte jedoch mehrere Jahre und mündete 2013 in eine Art Bürgerkrieg innerhalb des Südsudans. Der Sudan im Norden ist islamisch geprägt. Der Südsudan bekennt sich mehrheitlich zum Christentum. Genug Zündstoff zur Einrichtung einer demilitarisierten Zone im Grenzgebiet unter Aufsicht der UNO (UNISFA).

Botschafterin Südsudan akkreditiert
Botschafterin der Republik Südsudan akkreditiert - Beatrice Khamisa Wani
Die Menschenrechte im Südsudan entsprechen nicht so ganz unseren Standards. In den regionalen Konflikten werden zudem Kindersoldaten eingesetzt. Wegen ihrer altersbedingten Unberechenbarkeit sind diese besonders gefährlich. Andererseits sind sie verletzlicher als Erwachsene und werden wohl mit lebenslangen Traumata zu kämpfen haben. Ein Mitglied der Delegation humpelte heute durch das Schloss. Welche Vergangenheit wird er mitgebracht haben?

Botschafter Georgien akkreditiert
Botschafter von Georgien akkreditiert - Elguja Khokrishvili und seine Delegation brauchten vier Fahrzeuge
Obwohl die Botschaft Georgiens in Fußnähe zum Schloss Bellevue liegt, wurde die sehr umfangreiche Delegation mit mehreren schwarzen Fahrzeugen ins Schloss chauffiert. Mit fünf roten Kreuzen in der weißen Flagge beschloss Georgien heute den Reigen der christlich dominierten Staaten. Georgien hat etwa so viele Einwohner wie Berlin und ist "strategischer Partner" der NATO, jedoch kein NATO-Mitglied. In Afghanistan übernehmen georgische Soldaten riskante Aufgaben an der Seite der Bundeswehr und anderer NATO-Streitkräfte. Das Land strebt eine Mitgliedschaft in der EU an.

Botschafter Georgien akkreditiert
Botschafter von Georgien akkreditiert - Elguja Khokrishvili
Vor zwei Jahren gab es Disharmonien in den bilateralen Beziehungen. Georgische Kriminelle hatten sich organisiert und waren in großem Umfang an Fahrzeug-Diebstählen in Deutschland beteiligt. Eine Situation, von der ich selbst mehrfach betroffen war. Ansonsten erinnere ich mich an unsere Au-pairs aus Georgien und das mitgebrachte Nationalgericht Chatschapuri.

Botschafter Georgien akkreditiert
Botschafter von Georgien akkreditiert - Elguja Khokrishvili
Endet ein Name auf "vili", kann man davon ausgehen, dass diese Person aus Georgien kommt. Der Botschafter heißt beispielsweise Elguja Khokrishvili. Der Präsident heißt Giorgi Mergwelaschvili und der Premierminister heißt Giorgi Kwirikaschvili.

Botschafter Dr. rer. pol. Elguja Khokrishvili hatte in Potsdam studiert und dort auch seinen Doktortitel erworben. Deshalb sprechen er und seine Familie fließend Deutsch. Nach einem kurzen Intermezzo als Minister für Infrastruktur (2014) diente er als Umweltminister (2014-2015) und wurde dann als 1. Botschaftsrat nach Berlin berufen. Im Mai feiert er seinen 45. Geburtstag. Heute hatte er neben der auffällig großen Delegation noch seine Gattin und seinen Sohn dabei.

Video:
Akkreditierung der Botschafter von San Marino, Südsudan und Georgien beim Bundespräsidenten im Schloss Bellevue

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 28. März 2018

Traditionserlass der Bundeswehr unterzeichnet und Kaserne umbenannt

Die heutige Unterzeichnung des überarbeiteten Traditionserlasses ging mit der Umbenennung einer Kaserne in Hannover einher. Die ehemalige Emmich-Cambrai-Kaserne bekam damit als erste Kaserne den Namen eines im Einsatz gefallenen Bundeswehr-Angehörigen: Hauptfeldwebel Lagenstein.

Hauptfeldwebel Tobias Lagenstein

Tobias Lagenstein war am 28. Mai 2011 als Personenschützer für Generalmajor Markus Kneip in Afghanistan eingesetzt. Am Nachmittag wurde durch einen afghanischen Innentäter eine Bombe zur Detonation gebracht. Es starben sieben Menschen, darunter Tobias Lagenstein. Markus Kneip wurde schwer verletzt, war aber nach zwei Monaten wieder einsatzfähig. Bis Anfang 2012 wirkte er weiter in Afghanistan. Zurzeit ist er als Chef des Stabes beim Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE) in Belgien eingesetzt.

Hauptfeldwebel Tobias Lagenstein Wald der Erinnerung
Hauptfeldwebel Tobias Lagenstein - Gedenktafel im Wald der Erinnerung
Tobias Lagenstein war Angehöriger der Schule für Feldjäger und Stabsdienst in Hannover. Damit schließt sich der tradierende Kreis zur Emmich-Cambrai-Kaserne.

Dass die Kaserne ausgerechnet in der Karwoche umbenannt wurde, ist interessant. War doch auch Jesus Christus stellvertretend für die Menschen gestorben, die ihn als ihren Personenschützer anerkennen.

Die Tradition der Bundeswehr

Der Traditionserlass heißt übrigens gar nicht Traditionserlass. Die offizielle Bezeichnung lautet: "Die Tradition der Bundeswehr - Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege". Intern wird das vermutlich abgekürzt in TradBwRiliTradvstTradPfl - um bei der Tradition von Bundeswehr-Abkürzungen zu bleiben. Für diese gibt es zwar eine umfangreiche Datenbank aber keine zementierten Richtlinien.

Grob zusammengefasst ist der Traditionserlass - bleiben wir bei dieser Formulierung - auf Werte und Ethik orientiert und läuft in den Bahnen der freiheitlich demokratischen Grundordnung (FDGO). Daraus ergeben sich zehn Seiten mit vier Hauptpunkten. Eine bemerkenswerte Leistung, das Thema so straff zusammenzufassen. Manch ein Militärhistoriker hätte sicher eine 300-seitige Doktorarbeit daraus machen können. Als ich Oberst Lange in den Workshops ganze Blöcke vollschreiben gesehen hatte, war ich auf ein entsprechendes Buch zur Neufassung vorbereitet. Aber zehn Seiten sind gut und schnell zu lesen und liefern dennoch die gewünschten Leitplanken.

Vom Weißbuch zur Chefsache

Der Traditionserlass tauchte mit stiefmütterlichen drei Seiten im Weißbuch 2016 auf. Durch Zwischenfälle mit Sympathisanten der Wehrmacht gelangte das Thema akut auf die Agenda der Ministerin und wurde dann mit vier Workshops und diversen weiteren internen Diskussionen in Angriff genommen.

Auch wenn Insider behaupten, der neue Traditionserlass habe längst fertig in der Schublade gelegen, so halte ich diese Ansicht für wenig wahrscheinlich. Die Begleitung von drei der vier Workshops zeichnete ein Bild von Offenheit und respektvoller Diskussion zwischen Experten aus Militär und Gesellschaft. Einige Formulierungen und Gedankenanstöße finden sich auch in der vorliegenden Fassung wieder. Es wäre ja auch schade gewesen, wenn Oberst Lange die ganzen Blätter aus Zeitvertreib vollgeschrieben hätte.

Identifizierung auf Regimentsebene

Nicht nur das Zentrum Innere Führung plädierte dafür, dass Tradition auf Regimentsebene gelebt werde. Auch im Punkt 1.2 ist zu lesen, dass Kopf und Verstand sowie Herz und Gemüt anzusprechen sind. Der einzelne Soldat solle sich mit der Tradition seines direkten Umfeldes identifizieren können. Übrigens ein initialer Gedankenanstoß aus England beim ersten Workshop in Hamburg.

Wehrmacht und NVA

Punkt 2 - Historische Grundlagen - stellt klar, welche Epochen der deutschen Militärgeschichte zur Tradierung genutzt werden können. Die "gesamte deutsche (Militär-)Geschichte" heißt es dort. Allerdings mit einem Dämpfungsfaktor, der jene Teile ausschließt, "die unvereinbar mit den Werten unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung sind".

Explizit wird auf die Wehrmacht und die NVA als Instrumente zur Stabilisierung problematischer Ideologien eingegangen. In den Punkten 3.4.1 und 3.4.2 werden diese beiden Armeen noch einmal aufgegriffen. Überschrift "3.4 Ausschlüsse". Durch "Einzelfallbetrachtung" und "sorgfältiges Abwägen" können jedoch Einzelpersonen oder deren Handlungen in die Tradition der Bundeswehr einbezogen werden.

Traditionserlass Wachbataillon Karabiner 98k
Traditionserlass 2018 - Wachbataillon bei einem Staatsbesuch im Schloss Bellevue mit Karabiner 98k
Preußische Geschichte

Damit kann Preußen zur Tradierung herangezogen werden. Davon ist insbesondere das Wachbataillon des BMVg betroffen, das seine Tradition auf das 1. Garderegiment zu Fuß zurückführt. Dieses war 1806 zusammengestellt worden und diente als Leibregiment der Könige Preußens. In dieser Tradition ist das Wachbataillon für den Schutz des Regierungssitzes und des Verteidigungsministeriums zuständig. Zudem erfüllt es protokollarische Aufgaben.

Der dabei genutzte Karabiner 98 gerät regelmäßig in die Kritik. War er doch eine Standardwaffe der Wehrmacht. Der Karabiner 98 war jedoch schon 1898 entwickelt worden. Das bei Staatsbesuchen gezeigte Gewehr hat einen verkürzten Lauf und nennt sich deshalb 98k - k wie kurz. Mit Karabiner 98 waren Stauffenberg und seine Mitstreiter am 20. Juli 1944 hingerichtet worden. Deshalb kann diese Waffe in die Tradition einbezogen werden.

Traditionsstiftendes Verhalten

Die Teilnehmer der vier Workshops zum Traditionserlass waren sich einig, dass es weniger um die Personen als um beispielhafte Taten und Eigenschaften von Personen gehen solle. Beispiel statt Vorbild hatte es Flottillenadmiral Schneider in Hamburg auf den Punkt gebracht. Punkt 3.3 zählt folgende "soldatische Tugenden" auf: "Tapferkeit, Ritterlichkeit, Anstand, Treue, Bescheidenheit, Kameradschaft, Wahrhaftigkeit, Entschlussfreude und gewissenhafte Pflichterfüllung". Darüber hinaus können auch militärische Exzellenz, herausragende Truppenführung und professionelles Können im Gefecht eine Grundlage zur Tradierung bieten.

Alles jedoch immer im Einklang mit dem Grundgesetz, da die Bundeswehr "freiheitlichen und demokratischen Zielsetzungen verpflichtet" ist.

Symbole, Zeremonielle und historische Exponate

Ab Punkt 4.6 wird definiert, welche Symbole, Zeichen und Zeremonielle für die Bundeswehr von Bedeutung sind:
  • schwarz-rot-goldene Nationalfarben
  • Nationalhymne
  • Adler des deutschen Bundeswappens
  • Eisernes Kreuz
  • Feierliches Gelöbnis und Diensteid
  • Ehrenkreuz der Bundeswehr
  • Großer Zapfenstreich
  • Lied vom guten Kameraden
  • Europahymne und Europafahne

Verboten sind nationalsozialistische Symbole und Zeichen wie das Hakenkreuz. Exponate aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 sowie der NVA sind deutlich als historisches Anschauungsmaterial zu kennzeichnen und klar vom erlaubten Traditionsgut zu trennen. Werde beispielsweise am Volkstrauertag der Toten des Zweiten Weltkriegs gedacht, geschehe das als allgemeines Totengedenken und sei "keine Tradition früherer Streitkräfte".

Noch Fragen?

Mit diesem Traditionserlass wird insbesondere dem Zentrum Innere Führung eine geeignete Richtlinie an die Hand gegeben, um die Fragen aus der Truppe kompetent beantworten zu können. Für Grauzonen der Traditionspflege wird mehrfach auf das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften (ZMSBw) in Potsdam verwiesen.

Autor: Matthias Baumann

Freitag, 23. März 2018

Pakistan feiert seinen National Day im Ritz-Carlton

Die Botschaft Pakistans übertrifft sich von Jahr zu Jahr selbst. Hatte man 2015 noch im Atrium der Deutschen Bank gestanden und folkloristischen Klängen gelauscht, fanden die nächsten National Days im Hotel Maritim in der Stauffenbergstraße statt. In diesem Jahr war das Ritz-Carlton am Potsdamer Platz gebucht worden.

Etwa 400 Gäste waren der edlen Einladung im A5-Format gefolgt. Die Stühle im Saal reichten nur für die Pünktlichen. So blieben wir am Rand stehen und sicherten uns damit eine gute Position für den Blick auf die Bühne und den späteren Weg zum Buffet. Im Publikum erkannte ich einen der drei Fotografen, die bei Botschafter-Akkreditierungen im Schloss Bellevue fast immer dabei sind. Es waren auch noch andere diplomatische Bekannte vor Ort, die ich hier aber nicht namentlich erwähne.

Laut Programmheft sollten nach der obligatorischen Rede des Botschafters drei kulturelle Beiträge folgen: YBQ Design Studios, Wahab Shah Dance Studios und Tsafira by Sana Nisar. Aus den vergangenen Jahren wusste ich, dass die Zeitspanne von 45 Minuten zwischen Rede und Reception (Empfang) sehr sportlich bemessen ist und oft weit überzogen wird.

National Day Pakistan 2018
Qureshi - Pakistan feiert seinen National Day 2018 im Ritz-Carlton
Heute Abend wurde die avisierte Zeit für das Programm verdoppelt. In der Mitte des Saals war eine Art Laufsteg eingerichtet. Dieser reichte von der Bühne bis zur gegenüberliegenden Wand. An dieser Wand waren zahlreiche Kameras aufgebaut. Überhaupt scheint der National Day Pakistans das meistgefilmte Ereignis im diplomatischen Alltag Berlins zu sein.

Besonders beeindruckend waren die Kultureinlagen von Qureshi (YBQ Design Studios). Hätte man ihn nur gehört, wäre er als Brite durchgegangen. Er spielte traditionelle Musik, rezitierte Gedichte und band sich in die Schmuckpräsentation ein. Qureshi war es auch, der erzählte, dass die Volksgruppen im Mittleren Osten unterschiedliche Hüte tragen. Diese Hüte seien aber nicht zur Abgrenzung gedacht, sondern zur Erkennung der eigenen Leute. Anschließend nahm er seinen Turban ab und band ihn fachgerecht dem Vertreter des Auswärtigen Amtes um.

Wegen unserer guten Position gelangten wir nach dem offiziellen Programm sehr schnell zum Buffet. Ich öffnete mehrere der Edelstahl-Behälter und es strömte orientalischer Duft heraus. Die Botschaft hatte exklusiv einen pakistanischen Caterer engagiert, der die Speisen mit entsprechenden Gewürzen zubereitet hatte. Von Herzhaft über scharf bis süß war für jeden Geschmack etwas dabei. Es wurden nur nichtalkoholische Getränke gereicht. Immerhin bezeichnet sich Pakistan selbst als Islamische Republik.

Der Staat Pakistan war am 14. August 1947 entstanden. Zuvor gab es Britisch-Indien. Innerhalb kurzer Zeit wollte Großbritannien das Gebiet in einen hinduistischen und einen islamischen Teil aufspalten. Das gelang nicht ganz, so dass es zu Unruhen mit beachtlichen Sterberaten kam. Die Commonwealth Dialogues der BCCG British Chamber of Commerce hatten übrigens auch die ersten Berührungspunkte zu Pakistan gebracht.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 22. März 2018

Fakt oder Fake? Informations-Hierarchien werden durch das Internet eingeebnet

Die klassischen Nachrichtenkanäle haben es schwer. Der Sterbeprozess der Print-Medien ist in vollem Gange. Axel Springer hatte den Trend frühzeitig erkannt und unter dem Motto "Füttere deinen Kannibalen" clevere Maßnahmen zur Sicherung der Existenz eingeleitet.

Nachrichtensender kämpfen gegen die Algorithmen von Suchmaschinen. Die bisherigen Zuschauer werden immer älter und der Zuschauer-Nachwuchs tummelt sich lieber in den Sozialen Netzwerken. Wer die Logik der Maschinen kennt, kann seine Meinung platzieren und viral verbreiten. Früher nannte man das Suchmaschinen-Optimierung - kurz SEO.

Ob das Gesagte nun wahr ist oder falsch, ob die Meinung als solche gekennzeichnet ist oder nicht. Willig wird geteilt, was den eigenen Ansichten entspricht - Wahrheitsgehalt sekundär. Je verworrener die Theorie, umso sicherer deren Akzeptanz. Sender wie VOX nehmen es bewusst in Kauf, dass Zuschauer nicht mehr zwischen Fakt und Meinung unterscheiden können, auch wenn es für Fakten und Meinungen jeweils bestimmte Zeitfenster gibt.

So verschiebt sich die Wahrnehmung der Realität. Es entstehen Denkstrukturen, die durch reine Fakten nicht mehr zusammenzubringen sind. Menschen denken und reden aneinender vorbei. Amerikaner kennen die Metapher der zwei Schiffe, die sich in der Nacht begegnen. Diese fahren ohne Blickkontakt aneinander vorbei.

Forum Bellevue zur Zukunft der Demokratie
Forum Bellevue zur Zukunft der Demokratie - Rede des Bundespräsidenten
Gefördert wird das durch Politiker wie Donald Trump. Vor Donald Trump stand der Begriff Fake News für Informationen, die schlichtweg falsch sind. Seit Donald Trump wird Fake News immer dann verwendet, wenn die Informationen zwar richtig sein können, aber nicht ins Konzept passen. Dabei sei laut Frank-Walter Steinmeier die "Demokratie die einzige Staatsform, die Fehler erlaubt, weil die Korrekturfähigkeit gleich mit eingebaut ist". Nur Kontrolle der politisch Verantwortlichen schaffe das notwendige Vertrauen.

Der Bundespräsident fand noch schärfere Worte und kritisierte "organisiertes öffentliches Lügen, das Manipulieren von Tatbeständen, um sich einen politischen Vorteil zu verschaffen". Das sei nichts Neues. Neu sei jedoch, dass sich diese Desinformationen wie eine Epidemie über das Internet verbreiten.

"Fakt oder Fake?" - darüber diskutierte der Bundespräsident gestern Vormittag mit vier Gästen und dem anwesenden Publikum. Vor einigen Monaten hatte er das Format "Forum Bellevue zur Zukunft der Demokratie" ins Leben gerufen. Das Forum Bellevue fand nun zum dritten Mal statt. Der große Saal im Obergeschoss des Schlosses war voll besetzt.

Nach seiner Rede stieg der Bundespräsident auf das Podium. Er moderierte selbst und ohne Zettel die Diskussionsrunde. Zu seiner Rechten saßen Julia Stein vom Netzwerk Recherche und Michael Butter, der als Experte für Verschwörungstheorien vorgestellt wurde. Zu seiner Linken saßen Jeff Mason von Reuters im Weißen Haus und Ulf Poschardt, Chefredakteur der Zeitung "Die Welt".

Forum Bellevue zur Zukunft der Demokratie
Forum Bellevue zur Zukunft der Demokratie - Platzierung auf dem Podium
Es zeigte sich sehr schnell, dass die klassischen Medien mit den Mechanismen des Internets überfordert sind. So mussten die Redaktionen in Amerika ihre Arbeitszeiten umstellen, da der Präsident gleich nach dem Aufstehen seinen ersten Tweet absetzt und die Presse in Zugzwang bringt. Twitter mit seiner stark eingeschränkten Zeichenanzahl sorgt gerne für Missverständnisse. Laut Jeff Mason habe Trump mit Twitter alles verändert und man hetze ihm nun hinterher.

Jeff Mason zeigte sich zudem erleichtert, dass es der Presse gelungen war, die Stammplätze in der Airforce One zu behalten. Immerhin wolle man dem Präsidenten weiterhin genau auf die Finger schauen und sofort berichten, wenn er etwas gesagt oder gemacht habe. Fakten statt Fake News. Das habe Donald Trump gar nicht gepasst, aber so funktioniert Demokratie: "It is our job to report on facts to hold leaders accountable" (Es ist unsere Aufgabe, über Fakten zu berichten, um Leiter in ihrer Verantwortung zu halten).

Julia Stein bemerkte, dass es durchaus "journalistenfreie Bereiche" gebe. Diese werden dann durch andere Informationsquellen besetzt. Eine große Herausforderung stelle darüber hinaus der Geschwindigkeitsdruck dar, der sich auf die Tiefe der Recherche auswirke.

Gerade große Redaktionen dürften sich keine Fehler leisten. Von daher seien Fake News generell ausgeschlossen. Sobald die Wahrheit ans Licht komme, sei das Image des Pressemediums nachhaltig zerstört. Sollten doch Fehler gemacht werden, erfordere das ein modernes Fehler-Management. Leser und Zuschauer wollen aktiv eingebunden werden und ändern gelegentlich auch ihre Meinung, wenn die Redaktion respektvoll mit Kritik und Hinweisen umgeht.

Der Bundespräsident zeigte sich irritiert über Aggressivität und Wortwahl der Kommentare auf seiner Facebook-Seite. Er schreibe dort, was er gerade für das Land tue und werde dann völlig unsachlich angepöbelt. Eine Praxis, die wir auch aus unserem Video-Kanal kennen.

Michael Butter hat ebenfalls Erfahrungen mit Pöbeleien gesammelt. Die breite Expertise bei Verschwörungstheorien ruft entsprechende Anhänger auf den Plan, die ihm böse E-Mails schreiben. So der Tatbestand der Beleidigung noch nicht erfüllt ist, antwortet er auf die Mails. In der Regel hat das sehr positive Effekte und bewirkt ab und zu einen Umdenkungsprozess. Michael Butter bemerkte jedoch, dass manche Leute die Fakten gar nicht glauben können, weil diese einfach nicht in ihr Weltbild passen.

Verschwörungstheorien seien etwas für Menschen, die komplexe Dinge nicht erfassen und akzeptieren können und sich dann ihre vereinfachte Logik zusammenbauen. Schuld seien in diesen Systemen generell die anderen und wenn die weg seien, werde alles gut. Ein typisches Opfer-Täter-Denken (Victima). Es sei jedoch kein Anstieg der Verschwörungstheorien zu verzeichnen, lediglich eine höhere Sichtbarkeit durch das Internet. Solche Theorien gebe es schon seit vielen Hundert Jahren und bereits im Wahlkampf zwischen Jefferson und Adams um 1800 seien bewusst Lügen lanciert worden. Damals ließen die sich zwar nicht so schnell verbreiten, aber auch die Korrektur brauchte viel mehr Zeit.

Bei dieser "Einebnung der Informationshierarchien" sei es umso wichtiger, in Bildung und Medienkompetenz zu investieren. Demokratie braucht mündige Bürger und "Inseln der Verlässlichkeit" bezüglich faktisch wahrer Informationen. Wegen der neuen Gegebenheiten sollten Medien einen öffentlichen Raum schaffen, wo kontroverse Meinungen respektvoll diskutiert werden können. Vom Frontalmedium zu Sozialen Netzwerk.

Chefredakteur Ulf Poschardt freute sich sogar über die digitalen Möglichkeiten: "Noch nie wurde man, wenn man gerne schreibt, so viel gelesen".

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 21. März 2018

Serenade zur Verabschiedung der Staatssekretäre Brauksiepe und Grübel

Aus ranghohen Kreisen der Streitkräftebasis wurde mir eine wichtige Information zugespielt: Der Kaffee in der Wache des BMVg soll der Beste in ganz Berlin sein. Zum professionellen Handwerk des Journalisten gehört allerdings eine Prüfung anhand mehrerer Quellen. Deshalb fragte ich gestern Abend bei den Feldjägern nach. Die Reaktionen ergaben eine Bandbreite zwischen Skepsis und der Frage, wer denn diese Falschaussage verbreitet habe. Frischer Kaffee wurde aufgesetzt.

Die Anfangszeit der Serenade war kurzfristig verlegt worden. Schließlich musste es dazu richtig dunkel sein. Die Serenade ist ein Bestandteil des Großen Zapfenstreichs und kann bei Bedarf extrahiert werden. Das heißt, es gibt eine kleine Gruppe Soldaten mit Fackeln, das übliche Musikkorps, mehrere Wunschlieder, die finale Nationalhymne und die Abfahrt mit Blaulicht-Limousinen.

Serenade Staatssekretäre Brauksiepe und Grübel
Serenade zur Verabschiedung der Staatssekretäre Dr. Ralf Brauksiepe und Markus Grübel
Relativ unspektakulär marschierten die Fackelträger gestern Abend auf den Hof und verließen diesen ähnlich unauffällig. Es gab auch ein Ehrenspalier mit Fackeln, das der Ministerin und den geehrten Personen den Weg zum roten Podest wies. Dass das Podest rot war, konnte nur erahnt werden. Immerhin war es auf dem Ehrenhof des Bendlerblocks so finster, dass keine Taste mehr auf der Rückseite der Kamera zu erkennen war. Das Fackel-Spalier verließ noch vor dem ersten Musikstück das Areal. Gespielt wurden je zwei Wunschlieder für jeden der beiden Geehrten. Ein fünftes Stück hatten sich beide gemeinsam gewünscht: "Großer Gott, wir loben dich".

Es wurden zwei Staatssekretäre verabschiedet: Dr. Ralf Brauksiepe und Markus Grübel waren im Dezember 2013 als Parlamentarische Staatssekretäre ins Verteidigungsministerium berufen worden. Dr. Brauksiepe kümmerte sich um Planung, Führung Streitkräfte, Strategie, Einsatz, Haushalt und Controlling. Markus Grübel war für Ausrüstung, IT, Recht, Personal, Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen zuständig. Breite Arbeitsfelder, die in Zukunft von den CDU-Politikern Peter Tauber und Thomas Silberhorn bedient werden.

Peter Tauber ist Oberleutnant der Reserve und repräsentiert eine wichtige Schnittmenge aus Bundeswehr, Politik und Zivilgesellschaft. Thomas Silberhorn war die letzten vier Jahre im BMZ tätig und kennt sich von daher bestens mit den Herausforderungen und Möglichkeiten in den Einsatzländern der Bundeswehr aus. Was die neuen Herren im Bendlerblock tatsächlich bewegen, wird die Praxis zeigen.

Ein Praxistest war gestern Abend bestanden worden: Der frische Kaffee aus der Wache entsprach ganz meinem Geschmack. Mal abgesehen von der Wärmeentfaltung, die für die nächste Stunde am Gefrierpunkt hilfreich war.

Video:
Serenade zur Verabschiedung von Dr. Ralf Brauksiepe und Markus Grübel.

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 20. März 2018

Bilateral alles klar mit Irland - Antrittsbesuch von Leo Varadkar in Berlin

Die Pressekonferenz mit dem Ministerpräsidenten Irlands ließ keinen Zweifel: Bilateral ist alles klar zwischen den Ländern und auch sonst war man sich in vielen Punkten einig. Seien es Banken, der Handel, der Tourismus oder die Sicht auf den Brexit. So konnten sich Angela Merkel und ihr Gast eine Stunde lang der Vorbereitung des EU-Rates widmen.

Irland Ministerpräsident Leo Varadkar Berlin Angela Merkel
Irlands Ministerpräsident Leo Varadkar zum Antrittsbesuch bei Angela Merkel
Leo Varadkar hatte vor zwei Monaten seinen 39. Geburtstag gefeiert. 2011 war er als Verkehrsminister eingesetzt worden. 2014 wechselte er das Ressort und wurde Gesundheitsminister. Seit Juni 2017 ist er Ministerpräsident seines Landes. Angela Merkel hatte er schon vor diesem offiziellen Antrittsbesuch getroffen. Ausdrücklich lobte er ihre Erfahrung und Weisheit. Besonders beeindruckt war er von dem Respekt, den die Kanzlerin auch kleineren Mitgliedsstaaten der EU entgegen bringe. Sie habe immer ein offenes Ohr und unterstütze auch deren Themen.

Irland hat momentan zwei elementare Sorgen: Trump-Zölle und eine harte Grenze zu Großbritannien. Donald Trump gegenüber habe er seine Sorgen bereits zum Ausdruck gebracht und für gemeinsames Wachstum geworben. Der Härtegrad der Grenze ist derzeit noch unklar. Je dichter diese werde, umso stärker würde das die Wirtschaft Irlands belasten.

Irland Ministerpräsident Leo Varadkar Berlin Angela Merkel
Irlands Ministerpräsident Leo Varadkar zum Antrittsbesuch in Berlin
Die Journalisten bohrten beim Thema Datenschutz und Besteuerung von internationalen IT-Konzernen nach. Laut Leo Varadkar sei beim Datenschutz noch viel zu tun. Es gebe aber eine positive Tendenz.

Als es um die Besteuerung von Google & Co. ging, hielt er sich weitestgehend bedeckt und bemerkte, dass Unternehmen durchaus ihre Steuern am Standort ihres Wirkens zahlen sollten. Wer Google-AdWords oder Google-AdSense nutzt, kennt das Thema der Zahlungsflüsse zwischen Firmenkonto und Google Irland. Es werden dann so genannte Zusammenfassende Meldungen über innergemeinschaftliche Leistungen fällig, damit der Weg der Umsatzsteuer nachvollzogen werden kann. Die Kanzlerin forderte in diesem Zusammenhang ein "konsistentes Steuersystem".

Die nächsten Reiseziele der Kanzlerin sind gesichert: Wandern in Island und Besuch in Irland. Das könnte direkt verbunden werden. Leo Varadkar hat sie jedenfalls eingeladen.

Video:
Antrittsbesuch des Ministerpräsidenten Irlands bei Angela Merkel

Autor: Matthias Baumann

Montag, 19. März 2018

Island lädt zum Wandern ein

Bei eisigem Wind und klarem Himmel erschien Katrín Jakobsdóttir in Berlin. Die 42-Jährige ist seit November 2017 Premierministerin Islands. Diese Insel im Nordmeer ist in etwa so groß wie Irland und hat knapp 350.000 Einwohner - ein Zehntel Berlins.

Island Premierministerin Katrín Jakobsdóttir Berlin Angela Merkel
Islands Premierministerin Katrín Jakobsdóttir zum Antrittsbesuch bei Angela Merkel
Neben Sebastian Kurz war sie der dritte Staatsgast, der mit einem Mercedes-Maybach im Kanzleramt vorgefahren wurde. Katrín Jakobsdóttir gehört der Links-Grünen Bewegung an und machte auch optisch einen ökologisch orientierten Eindruck. Auffällig war, dass sie fast die ganze Zeit über ihre Hände hinter dem Rücken hielt. Während der Pressekonferenz holte sie diese nach vorne, so dass ihr Ehering sichtbar wurde. Sie ist verheiratet und hat drei Söhne.

Angela Merkel zeigte sich erstaunt über die vielen Berührungspunkte mit Island. So gebe es seit der Hanse-Zeit einen regen Handel zwischen den Nationen. Deutsche Frauen stellten die größte Einwanderungsgruppe in Island dar. Durch Schengen seien Deutsche die dritt-stärkste Touristengruppe in Katrín Jakobsdóttirs Heimat.

Angela Merkel gestand, dass sie sich bisher noch kein persönliches Bild von der Schönheit der Insel gemacht habe. Das griff die junge Isländerin auf und lud die Kanzlerin zum Wandern ein. Frau Jakobsdóttir würdigte die gute Zusammenarbeit auf vielen Gebieten. Die Länder seien Bündnispartner in der NATO, teilten die gleichen Herausforderungen mit EU und Flüchtlingen und hätten enge kulturelle und literarische Beziehungen. Letztere finden auch in Wagners Ring der Nibelungen ihren Ausdruck.

Island Premierministerin Katrín Jakobsdóttir Berlin Angela Merkel
Islands Premierministerin Katrín Jakobsdóttir zum Antrittsbesuch in Berlin
Besonders stolz war Katrín Jakobsdóttir über 100 Jahre Unabhängigkeit. Island war im 9. Jahrhundert besiedelt worden. Um 1.000 beschlossen die Isländer den Beitritt zum Christentum. Es wechselten sich zunächst verschiedene skandinavische Länder mit ihrer Vorherrschaft auf der Insel ab. 1380 gewannen die Dänen die Oberhand. Kurz nach Luthers Tod wurde in Island die Reformation durchgesetzt. Am 1. Dezember 1918 erklärte die Insel ihre Unabhängigkeit von Dänemark. Jedoch erst am 17. Juni 1944 wurde die Demokratische Republik Island ausgerufen.

Nach dem Gespräch mit Angela Merkel nahm Katrín Jakobsdóttir noch einen Termin im Haus der Nordischen Botschaften wahr.

Video:
Antrittsbesuch der Premierministerin Islands, Katrín Jakobsdóttir, in Berlin

Autor: Matthias Baumann

Samstag, 17. März 2018

Dresscode Comic und die Leipziger Buchmesse 2018

Gut, dass wir über den Dresscode gesprochen hatten. Im letzten Moment konnte mich meine Frau vom geplanten Anzug abhalten: "Wir besuchen eine Buch-Messe". So definierten wir den neuen Dresscode Literature. Das bedeutete Hoodie, Jeans, Turnschuhe und Hornbrille. Die Familie zog optisch mit.

Je näher wir der sächsischen Metropole kamen, umso salziger wurde unser Auto. Am Straßenrand Schneeverwehungen. Zehn Kilometer vor Ziel nur noch stockender Verkehr. Alle Zufahrtsstraßen zur Messe waren dicht. "Leipzig liest", stand auf dem Programmheft. Die Verkehrssituation war ein Beweis dafür.

Leipziger Buchmesse 2018
Winterliche Fahrt zur Leipziger Buchmesse 2018
Nach vier Stunden Fahrzeit - davon 90 Minuten für die letzten Kilometer - betraten wir Halle 1. Die gesamte Halle war den Comics gewidmet. Phantasiegestalten, so weit das Auge blicken konnte - und alle Phantasiegestalten echt. Also echte Menschen in skurrilen Kostümen. Mit viel Liebe und Perfektion hergestellte Umhänge, Zauberstäbe, Helme, Masken, Kleider, Rüstungen, Waffen oder Einhörner. Hingucker wo man auch hinschaute. So manch ein adipöser Körper verschwand unter einem pastellfarbenen Märchenwald oder auffällig gefärbten Haaren. Ganz abgesehen von den unnatürlich geschminkten Gesichtern. Fließende Übergänge zwischen echten Tattoos und reversiblen Körperanbauten.

Leipziger Buchmesse 2018
Comic-Freunde und Otto Normalleser auf der Leipziger Buchmesse 2018
Diese bunte Menge wogte durch Halle 1, kaufte undefinierbare Plüschartikel und blätterte in asiatischen Comics. Da Comics nicht unser Thema waren, schwammen wir mit der Menge weiter zu Halle 3. Halle 3 stellte ein literarisches Kontrastprogramm zu Halle 1 dar. Die bunten Gestalten im Dresscode Comic vermischten sich hier mit Otto Normalleser - vorrangig aus Sachsen, wie der Umgangssprache zu entnehmen war. Libri, Ullstein, Die Zeit, ARD oder das Museum für Druckkunst Leipzig stellten hier aus.

In einer Ess-Ecke versorgten wir uns mit Frikadellen, Würstchen und Pommes. Dann ging es weiter durch Halle 3. "Ich mache hier mal ein Foto", waren meine letzten Worte. Danach war die Familie in der Menge verschwunden. Keine Chance: Mobilfunk-Versorgung war so gut wie nicht vorhanden. Hätte ich doch nur den roten statt des schwarzen Hoodies angezogen. Schwarzer Hoodie auf einer Buchmesse, wo jeder in Schwarz, Grau oder gedeckten Farben rumläuft - abgesehen von den Comic-Liebhabern.

Leipziger Buchmesse 2018
Halle und Menschen am Samstag auf der Leipziger Buchmesse 2018
Wir hatten ein Ziel: Musik-Café A401 in Halle 4. Dort sollte ab 15 Uhr Itay Dvori auftreten mit Themenschwerpunkt - nun ja, kommen wir später noch einmal darauf zurück. Jedenfalls liefen ständig SMS und Anrufe in Abwesenheit meiner Familie auf und ich erreichte niemanden von ihnen beim Rückruf. So entschloss ich mich zu einer individuellen Erkundung der nächsten Halle: Halle 5.

Neben dubiosen linken Blättern war hier eine Fülle von Selbstdruck-Verlagen anzutreffen. Wenn BoD nicht schon als Marke für Books on Demand belegt wäre, könnte man einen Großteil der Anbieter in Halle 5 mit dem Mehrwert Books on Demand zusammenfassen. Geht aber leider wegen der Markenrechte nicht. Mein Vater hatte sein Buch "Das letzte Schuljahr" auch on demand herausgebracht, also Druck bei Bestellung.

Wie ich später erfuhr, muss ich meine Familie immer um Haaresbreite verpasst haben. Das könnte am schwarzen Hoodie oder der Ablenkung durch die Comic-Besucher gelegen haben.

Leipziger Buchmesse 2018
BoD Books on Demand - Druck bei Kauf - Leipziger Buchmesse 2018
Gegen halb drei schwamm ich mit den Besuchern zu Halle 4 hinüber. Endlich gelang der Kontakt zur Familie. Sie warteten bereits am Musik-Café mit der Standnummer A401. das Wiedersehen feierten wir mit Kaffee für 2,90 Euro und Eis. Das Musik-Café war gerade mit einem Gitarristen besetzt. Nach unserer laienhaften Einschätzung beherrschte er sein Instrument. Hinter ihm stand ein schwarzer Flügel - schon wieder Schwarz, so wie mein Hoodie und das T-Shirt darunter und meine Turnschuhe.

Alle weißen Sessel waren besetzt mit gelangweilten Kindern, Omas, verliebten Comic-Fans und weiteren Personen, die sich als Musikliebhaber gerierten. Wir mussten stehen. Nach dem Gitarristen sollte endlich Itay Dvori auftreten. Den Pianisten und Komponisten aus Tel Aviv hatte ich im Dezember in der Residenz des israelischen Botschafters erlebt und war mit ihm in Kontakt geblieben. Ich vermutete ihn Back Stage und freute mich auf seinen Auftritt. Er intoniert - nun ja, kann man das nach dem Erlebnis von Halle 1 noch sagen? Er intoniert israelische Comics. Jetzt ist es raus.

Leipziger Buchmesse 2018 Itay Dvori
Warten auf Itay Dvori - Leipziger Buchmesse 2018
Überhaupt gab es in allen Hallen immer wieder Bereiche, in denen Lesungen und Vorträge abliefen. Einige Autoren signierten anschließend ihre Bücher und produzierten damit Warteschlangen, deren Länge sich wohl nach der Bekanntheit richtete. Soweit der Exkurs.

Dann war der Gitarrist fertig und einigen der Musikliebhaber muss eingefallen sein, dass die Uhr ihrer Messezeit tickt. Sie standen auf und wir stürzten uns auf die Sessel. Nach einigem Hin und Her hatten wir sogar vier weiße Sessel nebeneinander und blickten erwartungsvoll auf den schwarzen Flügel. Die Techniker - übrigens in Schwarz - holten sich Kaffee. Kein gutes Zeichen, wie meine Frau bemerkte. Egal, Itay wird wohl gleich auf die Bühne treten. Statt Itay erschien eine Frau, ergriff das Mikrophon und teilte uns mit, dass Itay Dvori auf dem Bahnhof von Halle festsitze. Deutsche Bahn eben im Zusammenspiel mit einem ungeplanten Wintereinbruch.

Leipziger Buchmesse 2018
Leipziger Buchmesse 2018 - Vielfalt, Kontraste und Druckkunst
Das war unser Moment - nicht etwa zur Übernahme des Comic-Programms, sondern zum Aufbruch Richtung Halle 2. So verließen wir Halle 4, in der sich einige Länder wie Portugal, Korea oder Israel präsentiert hatten. In Halle 2 trafen wir auf bekannte Schulbuch-Verlage, die Bundesbank oder den Bundestag. Bei Letzterem gab es sogar Sitzgelegenheiten in Bundestagsblau. Nach einem Streifzug über den Stand hatten wir zwei Jutebeutel, einen Kugelschreiber, ein Poster und ein Brillenputztuch mit Bundestagsadler in der Hand.

Leipziger Buchmesse 2018
Vielfalt und Kontraste auf der Leipziger Buchmesse 2018
Das Timing war gut: 16 Uhr. Wir schwammen mit der bunten Menschenmenge durch die Glashalle zurück zur Ausgangsposition Halle 1. Diesmal ging uns eine regelrechte Comic-Prozession voran. Eine bewaldete Frau mit ihren Jedi-Rittern oder sowas. Beinahe hätte ich ein grünes Männchen in Hulk-Look umgerannt. Uns kamen Comic-Fans mit massiven Augen-Verletzungen entgegen. Wir hofften, dass die nur geschminkt waren. Insgesamt aber echter wirkend als so manche Verletzungs-Attrappe bei Erste-Hilfe-Kursen.

Über den Pressebereich verließen wir die Messe. Die Ausfahrten waren noch relativ frei. So dauerte die Rückfahrt gerade mal zwei Stunden. Dafür war das Scheiben-Waschwasser fast leer.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 14. März 2018

Von der Zipfelmütze zum Barett - Besuch beim Wachbataillon des BMVg

Nieselregen, Baustellen, dichter Verkehr. Kurz vor zehn rollte ich auf das Gelände der Julius-Leber-Kaserne in Tegel. Eine große weiße Tafel wies den Weg zur 48 Alpha, dem Sitz des Wachbataillons - kurz WachBtl oder ganz korrekt abgekürzt WachBtl BMVg. Mein Gesprächspartner saß im Obergeschoss. Beinahe hätte ich ihn nicht erkannt. Keine graue Heeresuniform, kein Barett, sondern baren Hauptes in Camouflage. Die perfekte Tarnung gegenüber Zivilisten mit selektiver Wahrnehmung.

WachBtl Wachbataillon 1. Garde-Regiment zu Fuß Truppenfahne
Wachbataillon - Gemälde mit dem 1. Garde-Regiment zu Fuß - links davor erste Truppenfahne des Wachbataillons
Als Erstes gingen wir ins Nachbarbüro: Dienststube des Kommandeurs. Oberstleutnant Patrick Bernardy trug auch kein Barett und ebenfalls das kampfbereite Flecktarn. Ein Anblick, den ich aus dem Kanzleramt oder dem Schloss Bellevue nicht kannte. Es gab eine herzliche Begrüßung und Staunen über die gemütliche Stube. Überall Traditionsgegenstände aus 200 Jahren Militärgeschichte. Das Wetter tauchte den Raum in eine schummerige Atmosphäre. Der Oberstleutnant fragte, ob wir Licht einschalten sollten. Klick - für die Fotos reichte es.

Kaffee wurde herbeigebracht und so redeten wir über das 1. Garderegiment zu Fuß, protokollarische Abläufe und Zuständigkeiten. Das Garderegiment war hinter unserer Sitzecke in eine entscheidende Kampfhandlung verwickelt. Neben mir die erste Truppenfahne des Wachbataillons und vor uns Tassen mit dem typischen Fraktur-W und den Initialen FR für Fridericus Rex.

WachBtl Wachbataillon Grenadiersmütze
Grenadiers-Mütze: Bommel, Schild mit "Semper Talis", Adler, drei Granaten (Kugeln unter Adler) und FR-Initialen
Diese Initialen fanden sich auch auf der Grenadiers-Mütze wieder, die Patrick Bernardy aus dem Schrank holte. Die Grenadiere heißen so, weil sie zum Werfen von Granaten eingesetzt wurden. Beim Werfen störten jedoch die damals üblichen Dreiecks-Hüte. Deshalb wurden diese gegen Zipfelmützen ersetzt. Damit das dann nicht so verschlafen aussah, wurde noch ein Schild an der Frontseite angebracht. Oben am Schild wurde die Bommel befestigt. Interessante Details, die auf diesem Wege zu Tage traten.

Apropos Bommeln: Eine weitere Tradition des Wachbataillons ist die jährliche Mitnahme einer Kugel vom Weihnachtsbaum des Bundespräsidenten. Joachim Gauck hatte bei seinem Abschiedsbesuch vor einem Jahr die Kugel signiert, die ihm kurz vorher offiziell vom Baum abgenommen worden war. Dem Steuerzahler entsteht dadurch kein Schaden, da die Kugeln im Kreislauf der Behörden verbleiben.

WachBtl Wachbataillon
Wachbataillon - Traditionelle Kugeln vom Weihnachtsbaum des Bundespräsidenten
Viele Fragen, die in unserem YouTube-Kanal aufgekommen waren, wurden während des Gespräches beantwortet. So ist nun bekannt, dass die Karabiner 98 entmilitarisiert sind - bis auf 150 Stück, mit denen man noch Salut schießen könne. Die Pistolen der Zugführer sind alte Walther P1, von denen Schlitten und Lauf entfernt wurden. Ansonsten würden die nicht in die weißen Taschen passen. Das ist aber egal, da die Sicherung von Staatsbesuchen ausreichend durch Bundespolizei und Bundeskriminalamt gewährleistet ist. Bei Verteidigungsministern übernehmen Feldjäger diesen Part.

Dennoch müssen die Mitglieder des Wachbataillons alle üblichen Disziplinen des Heeressoldaten beherrschen. Je mehr Einsätze anstehen - Staatsbesuche, Ehrenspaliere, Ehrenzüge, Zapfenstreiche, Ehrenposten, Staatsbankette - umso höher ist die zeitliche Belastung für die Truppe. Mit der jüngst eingeführten Arbeitszeitregelung ist das kaum zu vereinbaren.

So hat das S3-Protokoll alle Hände voll zu tun, die Einsätze der Kompanien zu organisieren. S3 ist die Abteilung für die Ausbildungsplanung. Das S3-Protokoll stellt darin ein Spezialteam dar, das für die protokollarischen Aufgaben zuständig ist und relativ autonom agiert - vergleichbar mit dem Drill Sergeant der amerikanischen Streitkräfte. Sie sind letztlich nur dem Kommandeur unterstellt.

WachBtl Wachbataillon Kommandeur OTL Bernardy Truppenfahne
Wachbataillon - Kommandeur neben der Truppenfahne - im Hintergrund die Fahnenbänder
Einsatzbefehle können sehr kurzfristig eintreffen. Ehrenspaliere und Ehrenposten werden teilweise erst wenige Stunden vorher angefordert. Bei Salut in Tegel und für Staatsbesuche inklusive der Neuen Wache werden mehrere Tage Vorlauf benötigt. Premierminister im Kanzleramt sind ohne großen Aufwand sehr schnell und mit wenig Übungszeit zu bewerkstelligen. Bei komplexen Aktionen wie dem Großen Zapfenstreich wird länger geprobt. Am schwierigsten sind wohl Staatsbankette, da diese so selten stattfinden.

Nach den Einsätzen folgt die Vergabe von Noten. Auch dafür ist das S3-Protokoll zuständig. War der Kommandeur zugegen, hat er das letzte Wort. Mindestens vier Augen prüfen die Performance der eingesetzten Mannschaft. Lässt ein Soldat das Gewehr fallen, hat das eine 5 zur Folge. Dieser Soldat wird dann "nachgeprottet". Das heißt: Üben bis es klappt. Protter ist ein interner Begriff für Protokoll-Soldaten.

Freunde von NVA und Wehrmacht äußern immer wieder den Wunsch nach Stechschritt. Deshalb führte der Kommandeur sehr anschaulich vor, dass Stechschritt eher etwas für Anfänger ist. Stechschritt lässt sich deutlich einfacher ausführen. Das Knie muss dabei nämlich nicht bewegt werden und der Abstand innerhalb der Rotte ist besser zu halten.

Zur Truppenfahne: Spitzenpolitiker zeigen ihren Respekt gegenüber der Bundeswehr durch eine Verneigung vor der Truppenfahne. Sie unterliegt wegen ihrer regen Nutzung einem hohen Verschleiß. Die Anfertigung kostet inklusive Material etwa 3.500 Euro. Die Fahnenbänder zu den jeweiligen Staatsgästen werden in einer speziellen Zeremonie eingeweiht und dann bei jeder Gelegenheit an die Truppenfahne gehängt. Das erste Fahnenband wurde von der Queen gesponsert. Einige dieser Traditionen entwickeln sich situativ und ohne irgendwelche internationalen Vorgaben.

WachBtl Wachbataillon Fahnenbänder
Wachbataillon - Fahnenbänder in der Dienststube des Kommandeurs - ältestes Band von der Queen
Oft kommt die Frage auf, warum manchmal alle drei Teilstreitkräfte antreten und manchmal nur eine. Die Regel ist simpel: Erste im Staat und Monarchen haben einen Anspruch auf alle drei Teilstreitkräfte (TSK). Das ist dann ein Ehrenbataillon. Kommt nur ein Kanzler oder Ministerpräsident, reduziert sich der Anspruch auf eine TSK. Dann handelt es sich um eine Ehrenkompanie.

Das Protokoll des BMVg legt fest, welche TSK bei einem nachgeordneten Staatsgast antritt. Die etwa 1.000 Mitglieder des Wachbataillons haben alle drei Uniformen in ihrem Spind. Weltweit ist das Heer die stärkste TSK. Bei bekannten Seefahrernationen kann die Ehrenkompanie auch mal als Marineuniformträger (MUT) antreten. In Gedenken an die Luftschlacht 1940 mit England könnte beim Besuch von Theresa May durchaus eine Kompanie in Luftwaffen-Uniform eingesetzt werden.

Die jeweilige Uniform hat zudem Einfluss auf die Märsche, die das Musikkorps spielt. Bei den seltenen Auftritten einer Ehrenkompanie in Marine-Uniform sollten also unbedingt alle Märsche mitgefilmt werden. Marine ist so selten, dass die Fehlentscheidung beim Video zu Neuseelands Premierminister bisher nicht korrigiert werden konnte.

Bei Botschaftern läuft es anders. Die jeweils beauftragte Kompanie tritt in der ihr eigenen Uniform an. Es besteht also keinerlei Zusammenhang zu den jeweils akkreditierten Botschaftern.

Beim Empfang von Staatsoberhäuptern auf dem Flughafen Tegel obliegt es dem S3-Protokoll, die TSK des dortigen Ehrenspaliers auszuwählen. Das Protokoll-Team entscheidet hierbei völlig frei. In Tegel wird gelegentlich auch Salut geschossen. Dabei kommen sechs Haubitzen zum Einsatz, von denen die sechste Haubitze einen Schuss mehr abgibt. Diese Tradition geht auf die Marine zurück. Kriegsschiffe hatten in der Regel 20 Kanonen. Beim Anlaufen eines Hafens gaben sie 20 Schüsse ab, um zu signalisieren, dass die Kanonen leer sind. Der Hafen antwortete darauf mit einem Schuss.

WachBtl Wachbataillon OTL Bernardy
Wachbataillon - Kommandeur Oberstleutnant Patrick Bernardy an seinem Schreibtisch
Das Wachbataillon ist neben den protokollarischen Aufgaben insbesondere für den Schutz des Sitzes der Bundesregierung und des Verteidigungsministeriums zuständig. Deshalb auch die reguläre Ausbildung mit Nachtschießen und ähnlichem.

Der Leitspruch des Wachbataillons ist "semper talis" (stets gleich). Kein Wunder also, dass der Traditionsverband der aktiven und ehemaligen Soldaten des Bataillons mit Semper talis Bund e.V. benannt wurde. Der Bundesvorsitzende ist immer der jeweilige Kommandeur - aktuell Patrick Bernardy. Als Vorsitzender trägt er den goldenen Ring mit der roten Grenadiers-Mütze auf blauem Grund.

Nach drei Stunden verließ ich die Julius-Leber-Kaserne. Voll mit Eindrücken und wertvollen Informationen zur Beantwortung der Fragen in unserem YouTube-Kanal. Es nieselte immer noch ein wenig.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 8. März 2018

Botschafter von Argentinien, Russland, Bahrain und Ecuador beim Bundespräsidenten akkreditiert

Der Regensensor hatte viel zu tun auf der Fahrt zum Schloss Bellevue. Sehr unregelmäßig war die Intensität des Niederschlags. Schirm mitnehmen? Eine nasse Kamera riskieren? Am Schloss fiel die Entscheidung: Risiko statt Schirm. Der Presseandrang war deutlich geringer als erwartet. Heute sollte unter anderem der russische Botschafter akkreditiert werden.

Botschafter Akkreditierung Schloss Bellevue Argentinien Russland Bahrain Ecuador
Botschafter-Akkreditierung im Schloss Bellevue
Das Protokoll hat jedoch andere Regeln. Weltpolitische Stärke oder Sympathie spielen nur eine untergeordnete Rolle. Wer zuerst kommt, gibt auch zuerst sein Beglaubigungsschreiben im Obergeschoss ab. Dadurch ergab sich heute folgende Reihenfolge:

10:00 Uhr Argentinische Republik mit Edgardo Mario Malaroda
10:30 Uhr Russische Föderation mit Sergej J. Netschajew
11:00 Uhr Königreich Bahrain mit Abdulla Abdullatif Abdulla
11:30 Uhr Manual Antonio Mejía Dalmau

Um zwölf waren dann Fotografen und Wachbataillon ausreichend durchnässt. Dennoch lief alles nach Plan. Der Argentinische Botschafter rollte pünktlich vor das Schloss. Schirme wurden herbeigetragen. Argentinien erlebt gerade seinen Spätsommer. Argentiniens Botschafter Malaroda erlebt die letzten Wintertage in Berlin.

Botschafter Argentinien akkreditiert Edgardo Mario Malaroda
Botschafter Argentiniens akkreditiert - Edgardo Mario Malaroda
Die Exzellenz von der Südhalbkugel hatte sich etwas ganz Besonderes ausgedacht. Zur allgemeinen Verwunderung schrieb er etwa drei Minuten lang einen Text in das Gästebuch des Schlosses. Normalerweise setzen die Gäste nur kurz ihre Unterschrift unter die gedruckte Einleitung und stellen sich nach zehn Sekunden zum Foto zwischen den beiden Holztüren auf.

Botschafter Argentinien akkreditiert Edgardo Mario Malaroda
Botschafter Argentiniens akkreditiert - Edgardo Mario Malaroda und der liebevolle Gästebucheintrag
Edgardo Mario Malaroda hat sich viel vorgenommen. Er möchte eine "Botschaft mit offenen Türen schaffen". Die Herzlichkeit, die er in seinem Gästebuch-Eintrag zum Ausdruck bringt, soll Türen für Export und Import öffnen sowie die Beziehungen mit Argentinien auf sämtlichen Ebenen intensivieren.

So wurde es recht knapp mit dem nächsten Termin. Sergej J. Netschajew fuhr acht Minuten später als geplant vor. Immerhin musste ja noch die argentinische Flagge eingeholt und nach einem festen Ritual ins Trockene gebracht werden. Passend zum beschaulichen Medieninteresse erschien Seine Exzellenz aus der Russischen Föderation nur mit drei Fahrzeugen und einer sehr kleinen Delegation. Dafür trug er einen uniformähnlichen Anzug. Recherchen haben ergeben, dass es sich dabei wohl nicht um eine militärische Uniform handelt, sondern um ein Zeichen des Diplomatischen Korps Russlands.

Botschafter Russland akkreditiert Sergej J. Netschajew
Botschafter der Russischen Föderation akkreditiert - Sergej J. Netschajew
Der Botschafter hatte in Moskau Germanistik studiert, spricht fließend Deutsch und ist seit 1977 im diplomatischen Dienst. Außer eines kurzen Exkurses in die Mongolei war er fast nur in deutschsprachigen Ländern wie der DDR, der Bundesrepublik (Bonn) und Österreich tätig. Er ist also ein Kenner der deutschen Gesellschaft und Mentalität.

Botschafter Russland akkreditiert Sergej J. Netschajew
Botschafter der Russischen Föderation akkreditiert - Sergej J. Netschajew
Der Botschafter des Königreichs Bahrain Abdulla Abdullatif Abdulla folgte um 11:12 Uhr. Bahrain liegt im Persischen Golf nördlich von Katar und hat eine sehr ähnliche Flagge: Rot und Weiß mit einem zackigen Übergang. Wobei das Rot von Bahrain heller ist, als das von Katar. Bahrain hat auch weniger Zacken in der Fahne und mit 1,4 Millionen auch nur halb so viele Einwohnen wie Katar.

Botschafter Bahrain akkreditiert Abdualla Abdullatif Abdulla
Botschafter Bahrains akkreditiert
Auch für Abdulla muss das Wetter in Berlin ein gravierendes Erlebnis gewesen sein. Nach der Unterschrift im Gästebuch hatte er sich jedoch akklimatisiert und lächelte breit in die Kameras.

Bahrain ist eine konstitutionelle Monarchie. Der Islam ist Staatsreligion. Laut Verfassung dient die Sharia als Rechtsgrundlage. Für Hindus und Christen gilt jedoch eine modifizierte britische Rechtsprechung. Verletzungen der Menschenrechte betreffen vorrangig Frauen und Kinder. Auch die Presse ist extrem eingeschränkt.

Botschafter Bahrain akkreditiert Abdualla Abdullatif Abdulla
Botschafter Bahrains akkreditiert - Abdualla Abdullatif Abdulla
Öl und Aluminium sind die aktuellen Zugpferde der Wirtschaft. Wegen der geografischen Lage der 30 Inseln Bahrains stellt das Land seit Jahrtausenden einen wichtigen Knotenpunkt für den Handel zwischen Asien, Afrika und Europa dar. Wegen des gelockerten Alkoholausschanks zieht Bahrain viele Touristen aus der arabischen Welt an. Die Zahl der Touristen pro Jahr übersteigt die Einwohnerzahl um das Vierfache.

Apropos Vier: Der vierte Botschafter traf um 11:40 Uhr ein. Manuel Antonio Mejía Dalmau repräsentiert die Republik Ecuador. Auch wenn Ecuador am Äquator liegt, hat es doch ein sehr diversifiziertes Klima: heiß, kalt, trocken, nass. Ecuador hat eine schon fast dramatische Bevölkerungsentwicklung. Innerhalb von 70 Jahren ist die Bevölkerung um das Fünffache gewachsen. Über 70% der knapp 17 Millionen Menschen sind Mestizen. Mestizen sind aus der Verbindung von Europäern und Indianern hervorgegangen. Etwa 70% der Ecuadorianer gehören der römisch-katholischen Kirche an.

Botschafter Ecuador akkreditiert Manuel Antonio Mejía Dalmau
Botschafter Ecuadors akkreditiert - Manuel Antonio Mejía Dalmau
Der Bundespräsident modifiziert gerne die protokollarischen Gepflogenheiten. So hatte er damit begonnen, die Angehörigen der Botschafter für ein Gruppenfoto vor seine Plüschfahne zu holen. Bei Manuel Antonio Mejía Dalmau forderten das die Fotografen ein und es entstanden gut verwertbare Bilder (siehe Video). Nur zum Gespräch mit Frank-Walter Steinmeier durfte die Familie nicht mitkommen. Kurz nach zwölf rollten sie aber wieder gemeinsam vom Hof des Schlosses.

Botschafter Akkreditierung Schloss Bellevue
Botschafter Akkreditierung im Regen - 7 Schirme trocknen anschließend im Schloss
Der BMW 740 eDrive des Auswärtigen Amtes folgte. Der Ehrenzug marschierte vom Platz. Der Ehrenposten verließ seinen Standort vor der Tür und die Musiker verstauten ihre Trommeln im Bus des Stabsmusikkorps. Ich wischte das Objektiv trocken und verließ das Gelände des Präsidialamtes.

Video:
Akkreditierung von Botschaftern (Argentinien, Russland, Bahrain, Ecuador) bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 1. März 2018

Moving Rwanda - Ausbildung, Software und Mobilität für Ruanda

Nach einer kurzen Vorglüh-Phase sprang der Motor an. Minus neun Grad in Berlin. Der Diesel war noch nicht ausgeflockt, so konnte die Fahrt in die City beginnen. Auto, Bahn und Bus sind für uns eine Selbstverständlichkeit. Die Verkehrswege sind gut ausgebaut und selbst Amerikaner und Briten sprechen mit leuchtenden Augen das Wort "Autobahn" aus. Die Fahrzeug-Sättigung in Deutschland liegt bei 68%.

Nicht so in Afrika: 4% der Afrikaner besitzen ein Auto. Während in Deutschland jeder Bandscheibenvorfall oder 60. Geburtstag als Rechtfertigung zum Kauf eines SUV genutzt wird, sind Es-Ju-Wies oder Pick-up-Trucks in Afrika zwingend notwendig. Der deutsche Rentner muss lange suchen, bis er eine Offroad-Piste gefunden hat. In Afrika sind Pisten der Standard.

Moving Rwanda Mobilität Digitalisierung Ausbildung Ruanda BMZ
Moving Rwanda - Gespräch im BMZ - Minister Müller umrahmt von Volkswagen (links) und SAP (rechts)
Bei der gestrigen Gesprächsrunde im BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) wurde deutlich, wie wichtig funktionierende Verkehrssysteme für die Volkswirtschaft sind. Es beginnt beim Weg zur Schule, geht über den Weg zum Arzt, betrifft den Weg zur Arbeitsstelle und tangiert den Transport von Nahrungsmitteln und Waren. Sind diese Wege zu Fuß zurückzulegen, minimiert das die Chancen auf eine nachhaltig gute Entwicklung.

Über die Pisten von Afrika brausen zwar viele Pick-up-Trucks. Auf denen sitzen jedoch zumeist Islamisten mit Maschinengewehren, die mit ihren unbeweglichen Opfern eine leichte Beute haben. Pick-ups werden aber auch als Bus verwendet. Die Menschen stapeln sich dann regelrecht auf den Ladeflächen. Die nicht seltenen Unfälle haben entsprechend viele Tote zur Folge. Hier schließt sich der Kreis zum Transport ins Krankenhaus.

Moving Rwanda Mobilität Digitalisierung Ausbildung Ruanda BMZ
Moving Rwanda - Gespräch und Unterzeichnung der Vereinbarung im BMZ (rechts: Dr. Carl-Christian von Weyhe, SAP)
Der Fokus der einstündigen Gesprächsrunde lag auf Ruanda. Ruanda hatte vor 24 Jahren einen Genozid erlebt, der innerhalb von drei Monaten etwa eine Million Menschenleben gekostet hatte. Das Land war verwüstet. Überall Waisenkinder. Ende oder Chance zum Neuanfang?

Runda ist nicht in der Depression stecken geblieben. Es läuft ein nationaler Versöhnungsprozess. Ruanda gilt als das Land Afrikas mit der höchsten wirtschaftlichen Wachstumsrate. Ruandas Präsident, Paul Kagame, spricht sogar schon von einem "Singapur Afrikas". Genau das ist der Ansatzpunkt für die deutsche Wirtschaft. So saßen also Vertreter von VW, Siemens, SAP und dem Ingenieurbüro Inros Lackner mit Bundesminister Gerd Müller am Tisch. Kugelschreiber lagen vor ihnen.

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Moving Rwanda - Moving der unterzeichneten Vereinbarungen im BMZ (rechts: Dr. Klaus Richter, Inros Lackner)
Gerd Müller machte deutlich, dass sein Ministerium nicht mehr das Entwicklungshilfe-Ministerium sei. Man sei inzwischen "weg von der Gießkanne" gekommen und investiere in "Reform-Partnerschaften". "Wir wollen Fortschritte sehen", postulierte der Minister während seiner kurzweiligen aber fundierten Ausführungen. Entsprechend gut war die Stimmung im Raum.

Der Vertreter von Volkswagen führte mehrere Punkte an, warum sich ein Investment in Ruanda lohne:

  • straffer Rückenwind für wirtschaftlichen Fortschritt
  • niedrigste Kriminalität in Afrika
  • wenig Korruption
  • Bedingungen "passen wie ein Handschuh" auf die deutsche Unterstützung

Eines der konkreten Projekte ist eine Produktionsstätte von Volkswagen in Ruanda. Einheimische sollen die aus Südafrika gelieferten Teile zusammensetzen und zunächst Polo, Passat und einen Pick-up für den ruandischen Markt fertigen. Dadurch entstehen mehrere Tausend Arbeitsplätze. Ein weltpolitischer Hintergedanke dabei ist, den Menschen in ihrer Heimat Perspektive zu geben und die Migration in den Norden aufzuhalten. Dadurch wird #MovingRwanda eher zu einem #FixingRwanda.

Moving Rwanda Mobilität Digitalisierung Ausbildung Ruanda BMZ
Moving Rwanda - Unterzeichnung der Vereinbarung im BMZ (im Hintergrund der Botschafter Igor Cesar)
75% aller Ruander haben ein Handy. Das Netz ist teilweise besser ausgebaut als in Deutschland. Dennoch braucht das Land Geschäftsmodelle, die auch in Afrika funktionieren. Der flächendeckende Besitz von Autos ist momentan noch Utopie. Deshalb geht der Trend in Richtung Car Sharing. 75% der Einwohner könnten sich die eine App herunterladen und damit am Car Sharing teilnehmen. Die leicht zu handhabende App wurde von einem ruandischen Start-up entwickelt. Dort werkeln 12 Mitarbeiter an der Software.

Software ist übrigens auch das Stichwort für ein weiteres Projekt. In Kigali soll ein Digitalisierungszentrum entstehen, in dem 200 Jugendliche zu Programmierern ausgebildet werden. High Tech made in Afrika. Interessant ist auch der vom BMZ aufgesetzte "Marshallplan mit Afrika". Man beachte das "mit" statt "für" in der Formulierung.

Moving Rwanda Mobilität Digitalisierung Ausbildung Ruanda BMZ
Moving Rwanda - klare Sicht aus der 11. Etage des BMZ bei -9°C
Zum Ende des Gesprächs, das eigentlich nur aus den drei Wortbeiträgen des Ministers, des Volkswagen-Vertreters und des Botschafters bestand, wurden sechs blaue Mappen mit der Vereinbarung durchgereicht. Diese wurden von den Unternehmen und Gerd Müller unterzeichnet.

Es folgte ein gestelltes Gruppenfoto vor der blauen Wand. Dann war noch Zeit zum Networking bei Kaffee, Tee und Kuchen. Von der 11. Etage aus konnten wir die klare Sicht über Berlin genießen.

Autor: Matthias Baumann