Endlich liegen belastbare Zahlen vor. In der Bundespressekonferenz wurde heute die Studie "Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland - Flucht, Ankunft und Leben" vorgestellt. Diese basiert auf einer Befragung von 11.225 Ukrainern im Alter zwischen 18 und 74 Jahren. Das entspricht mehr als 1% der ab dem 24. Februar 2022 nach Deutschland geflüchteten Ukrainer. Durch die Anzahl der Teilnehmer und verschiedene Plausibilitätsprüfungen ist die Qualität der Befragung sehr hoch und entsprechend repräsentativ. Um das Vorhaben niederschwellig zu gestalten, wurden die Fragen auf Ukrainisch oder Russisch gestellt. 93% der Teilnehmer möchten auch an der nächsten Befragung teilnehmen.
Die Studie beleuchtet die verschiedenen Aspekte des Ankommens und Lebens in Deutschland. Um das möglichst kompetent abbilden zu können, haben sich das DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung), das IAB (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung), das BAMF-FZ (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) sowie das BiB (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung) zusammengetan.
Das Fluchtmotiv ist eindeutig der Krieg in der Ukraine. Zwei Drittel stammen aus den unmittelbaren Kriegsgebieten. Geflohen sind hauptsächlich Frauen mit Kindern. Das Durchschnittsalter liegt bei 28 Jahren. Die wenigen Männer sind entweder Senioren, sind direkt nach Kriegsbeginn ausgereist oder wurden aus sozialen Erwägungen von der Einberufung freigestellt.
Die befragten Ukrainer verfügen über ein außergewöhnlich hohes Bildungsniveau, das jedoch nur teilweise mit deutschen Bildungswegen vergleichbar ist - insbesondere, was das duale Ausbildungssystem betrifft. Intelligenz und Motivation machen sich jedoch durch schnelles Erlernen der deutschen Sprache bemerkbar. Sprachkompetenz ist ein entscheidender Schlüssel für den Einstieg am Arbeitsmarkt. Der Fachdeutsche spricht von "Wertsteigerung des Humankapitals". Auf Nachfrage wurde bestätigt, dass es durch ukrainische Fachkräfte keine Verdrängungsmechanismen gäbe. Ganz im Gegenteil: Damit Deutschland seinen Fachkräftebedarf halte, sei ein jährlicher Nachschub von 400.000 Kräften notwendig. Die aktuell zugezogenen Ukrainer decken gerade einmal 300.000 ab. Viele davon möchten ohnehin wieder zurück in ihre Heimat. Je nach Zukunftsplanung lernen sie dann schneller Deutsch und integrieren ihre Kinder im Bildungssystem. Viele der Kinder gehen in deutsche Schulen und absolvieren zusätzlich ukrainischen Online-Unterricht.
Wer Deutschland als Fluchtort wählt, hat hier bereits Verwandte oder Bekannte. Die persönliche Beziehung spielt eine sehr große Rolle. Das ist wohl auch der Grund, warum nur 9% in Massenunterkünften leben und 74% in privaten Wohnungen. Dass eine Vielzahl der Ukrainer ihren Wohnsitz selbst wählt, zeugt von einer hohen Resilienz gegenüber der Situation und dient gleichzeitig der schnellen Integration in die deutsche Gesellschaft und den Arbeitsmarkt. Laut IAB haben Marktanalysen ergeben, dass auch die Fluchtbewegungen von 2015 die Beschäftigung in Deutschland belebt hätten.
Die Experten machten jedoch klar, dass es in erster Linie um den humanitären Aspekt gehe und das Thema Fachkräfte erst an zweiter Stelle stehe. So sei das Trauma des Krieges mit Flucht, Trennung, Verwundung und Tod aktiv zu bearbeiten. Zudem sei auf die eingeschränkten Möglichkeiten alleinerziehender Mütter einzugehen. Um die Zahlen der Studie zusammenzufassen: Die Ukrainer stellen eine Bereicherung für die deutsche Gesellschaft und die deutsche Wirtschaft dar. Sie sind gebildet, bringen Berufserfahrung mit, sind jung, nehmen Unterstützung gerne an und bemühen sich um eine schnelle Integration.
Autor: Matthias Baumann