"Seitdem ich 70 bin, lasse ich mich gerne mit einem jungen Mann sehen. Zumindest auf dem Foto", sagte die Frau mit den kurzen grauen Haaren und posierte mit einem Jüngling im Anzug. Die 70 war ihr nicht anzusehen: schlank, sportlich, attraktiv. 70 ist eben die neue 60.
Ähnlich verhält es sich mit Israel: "Lieber junger Jubilar, liebes Israel!" Claudia Roth von den Grünen war so begeistert, dass sie am Rednerpult jegliche Etikette vergaß, wild mit den Armen fuchtelte und eine überaus leidenschaftliche Rede über die Staatsgründung Israels vor 70 Jahren und ihre persönliche Freundschaft zu diesem Land hielt.
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Festival 70 Jahre Israel der Deutsch-Israelischen Gesellschaft - Orangen am Beachplatz |
Die Staatsgründung habe den Menschen jüdischen Glaubens endlich wieder eine
Stimme verliehen, ja sogar eine eigene
Sprache. Tatsächlich hatte Ben Jehuda das
Althebräische als
Ivrith wiederbelebt. Begriffe wie Flugzeug, Auto und CD-Player werden kontinuierlich neu in die Sprache übertragen. Mit Claudia Roth von den Grünen hatte ich mich bisher kaum beschäftigt, obwohl ich ein 3-Liter-Auto fahre: Diesel, 3 Liter Hubraum. Gestern glänzte sie als glühende Rhetorikerin.
Neben Claudia Roth waren auch noch Yehiel Hilik Bar, Vizepräsident der Knesset, und der israelische Botschafter Jeremy Issacharoff anwesend. Michelle Müntefering vertrat das Auswärtige Amt und hielt ebenfalls eine glühende Rede. Darin postulierte sie, dass Deutschland für die Existenz und die Sicherheit Israels stehe. Letzteres zeigen auch die guten Beziehungen der Bundeswehr zu Israel. Stellt sich nur die Frage: Wer lernt von wem?
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Festival 70 Jahre Israel - KKL und die Aufforstung von Israel |
Yehiel Hilik Bar sprach Englisch. Offensichtlich verstanden das alle Anwesenden. Der Traum der Israelis sei simpel. Es sei der Traum, in einem eigenen Land zu leben. So simpel, wie sich der Traum formulieren lässt, ist auch die Frage, die der Vizepräsident seinen Gesprächspartnern im Nahen Osten stellt: "Do you want to live
next to us or do you want to live
instead of us?" ("Möchtet ihr
neben uns leben oder
anstelle von uns?").
Im Nahen Osten wird wohl kaum jemand mit "next to" antworten. Wer mit "next to" antwortet, könnte sich einer effizienten Kooperation sicher sein. "Instead of" bedeutet Konfrontation. Israel als die einzige Demokratie der Region kennt sich aus mit dem Adjektiv "wehrhaft".
Botschafter Issacharoff hat einschlägige Erfahrungen mit Sicherheits-Themen. In den letzten neun Monaten hat er schon viele Freundschaften geschlossen. Die Freundschaften ziehen sich durch ein breites politisches Spektrum und gehen von Rosa-Rot-Grün bis FDP-Gelb. Der FDP-Politiker Hellmut Königshaus ist Präsident der
Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Er war in die Kritik geraten, weil er den Umzug der US-Botschaft nach Jerusalem unterstützt hatte. Hellmut Königshaus war bis 2015 Wehrbeauftragter des Bundestages. Wehrbeauftragte werden immer zeitversetzt zur sonstigen Wahlperiode eingesetzt. Sein Nachfolger in diesem Amt ist
Hans-Peter Bartels.
Das
Festival 70 Jahre Israel findet seit gestern in der
Station am Gleisdreieck statt. Es geht bis Sonntag. Der Eintritt ist frei. Taschen müssen abgegeben werden. Es erfolgen die an Flughäfen üblichen Personenkontrollen. Für den Ernstfall halten sich Polizisten mit Maschinenpistolen bereit.
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Festival 70 Jahre Israel - Logo der Deutsch-Israelischen Gesellschaft |
Auf dem Programm stehen Workshops zur Aufforstung von Israel, zum Schreiben des eigenen Namens auf Hebräisch oder zur Zubereitung von Hummus. Auf dem Beachplatz kann typischen Strandspielen oder wilden Tanzaktionen nachgegangen werden. Heute ab 16:00 Uhr fliegen Gegner der Krav-Maga-Kampfsportler in den Sand. Und immer wieder Tanz und Beachparty.
In einer Kinderecke gibt es eine Hüpfburg, die gestern noch vom Personenschutz bewacht wurde. Es gibt eine Zaubershow, Ballon-Tiere und Buchlesungen für die Kleinen. Auf der großen und der kleinen Bühne gibt es Podiumsdiskussionen mit Politikern, Wissenschaftlern und Journalisten. Die Themen reichen von
witzig über
informativ bis
ernst.
Der Stand der israelischen Botschaft wartet mit reichlich Infomaterial auf. Dazu Aufkleber und Fähnchen. Neben den bekannten blau-weißen Israel-Fahnen stehen etwa 50% bunte Israel-Fahnen in den Eimern. Auf Nachfrage wurde mir mitgeteilt, dass diese Fahnen im Vorfeld des Christopher Street Days immer gut ankämen. Immerhin sei Israel für seine große Homo-Szene bekannt.
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Kontraste mit Davidstern - Festival 70 Jahre Israel der Deutsch-Israelischen Gesellschaft |
In unmittelbarer Nähe warteten zwei Männer vor einer Regenbogenfahne auf interessierte Besucher. Ich lief vorbei und widmete mich den Ständen mit Studienangeboten in Jerusalem und Israel-Bonds ab 100 Euro. Nachrichtenagenturen stellten ihre Konzepte "ehrlicher" Berichterstattung vor und Verlage präsentierten die neuesten Werke israelischer Schriftsteller.
Sammler von Kugelschreibern, Tassen und Jutebeuteln werden wohl kein großes Volumen nach Hause tragen. Es sei denn, sie nehmen den reichlich angebotenen Lesestoff mit. Während der Grußworte zur Eröffnung erfuhren wir, dass das Festival zum Teil vom Auswärtigen Amt sowie dem Ressort von Kulturstaatsministerin Monika Grütters finanziert wurde.
Nach meiner Einschätzung ist der angemietete Platz sehr großzügig bemessen. Bei der Eröffnung waren etwa 200 Personen anwesend. Diese saßen schon fast verloren vor der
großen Bühne. Es hätte Raum für deutlich mehr israelische Anbieter gegeben. Aber vielleicht ist dieser Freiraum nötig für die vielen Gäste, die heute und morgen noch in die Hallen der Station am Gleisdreieck strömen.
Autor: Matthias Baumann