Freitag, 24. Juli 2020

Freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz startet im April 2021 an drei Ausbildungsstandorten

Das Sommerloch wird gerne von unbekannten Politikern zum Aufbau ihres Profils genutzt. So holte die neue Wehrbeauftragte Eva Högl das Thema Wehrpflicht hervor und heizte damit eine schwelende Debatte an. Gut informierte Kreise wissen, dass die Wehrpflicht zurzeit gar nicht in das Konzept der Bundeswehr passt. Die aktuellen Gegebenheiten bei Personal, Liegenschaften und Organisation könnten einen so hohen Anwuchs an schnell wechselndem Personal gar nicht verarbeiten. Hinzu kommen die neuen Anforderungen an hybride Bedrohungslagen und hochkomplexe Waffentechnik.

Bei der gestrigen Pressekonferenz stellte die Verteidigungsministerin deshalb keine Alternative zur Dienstpflicht oder gar einen verpflichtenden Wehrersatzdienst vor, sondern einen Baustein, der eine Lücke im Karrieregefüge der Bundeswehr schließt. Den Diskurs über die Wehrpflicht delegierte sie elegant an den Bundestag und ging gar nicht weiter darauf ein.

Freiwilliger Wehrdienst im Heimatschtz - Dein Jahr für Deutschland
Dein Jahr für Deutschland - Freiwilliger Wehrdienst im Heimatschtz (Logo mit freundlicher Genehmigung der Bundeswehr)
Der neue Baustein nennt sich "Freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz". Sofort kam die Frage auf, worin denn die Unterschiede zwischen dem bisherigen Freiwilligen Wehrdienst und dem Freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz bestehen?

Die gravierendsten Unterschiede liegen im Zeitbudget und der Verortung. Im Heimatschutz beträgt die militärische Ausbildung 7 Monate an einem Standort, der sich möglichst nah am Wohnort befindet. Auslandseinsätze sind  - wie der Name schon sagt - im Heimatschutz nicht vorgesehen. Auch die anschließenden 5 Monate Reserveeinsatz - in Summe also 12 Monate - sollen in Wohnnähe absolviert werden. Die Reserveeinsätze werden auf 6 Jahre verteilt.

Die Freiwilligen bekommen zunächst die allgemeine 3-monatige Grundausbildung und werden anschließend für infanteristische Aufgaben wie den Objektschutz ausgebildet. Im ersten Durchlauf wird das Modell mit 1.000 Soldaten getestet. Diese können sich ab September 2020 bewerben und beginnen frühestens im April 2021. Da es vorrangig um eine Stärkung der Reserve im Inland geht, können sich körperlich fitte Personen zwischen 17 und 65 Jahren bewerben. Die Möglichkeit, gänzlich ohne Wehrdienst in die Reserve aufgenommen zu werden, besteht weiterhin. Gute Erfahrungen wurden während Corona mit der Kampagne "Reserve hilft" gemacht.

Momentan sind drei Hauptstandorte für die Ausbildung der Freiwilligen vorgesehen: Berlin, Delmenhorst und Wildflecken in Bayern. Nach der Ausbildung stehen derzeit 30 Regionale Sicherungs- und Unterstützungskompanien (RSU) zur Verfügung. Die familiären und beruflichen Situationen werden beim späteren Reserveeinsatz berücksichtigt. Man könnte also fast schon von einem "Freiwilligen Wehrdienst light" sprechen.

Zuständig ist der stellvertretende Generalinspekteur, Generalleutnant Markus Laubenthal. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die 1.000 Soldaten im ersten Durchlauf nur der Anfang einer neuen Karrierelinie in der Bundeswehr sind. Die Idee zu diesem Freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz gab es schon länger und wurde nun von Sabine Grohmann eingebracht. Sabine Grohmann ist seit 2018 für das Personalmanagement der Bundeswehr verantwortlich.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 16. Juli 2020

400 Seiten Verfassungsschutzbericht 2019

Die fast 400 Seiten des Verfassungsschutzberichtes eignen sich gut als Urlaubslektüre. Neben einigen kürzeren Kapiteln dominieren die Themenbereiche Rechtsextremismus, Linksextremismus, Islamismus, extremistische Ausländer ohne Islamismus und Aktivitäten fremder Mächte. Letzteres bezieht sich auf Spionage, Sabotage, Cyberangriffe, politische Einflussnahme und Anwerbung deutscher Staatsbürger durch staatliche Akteure anderer Länder.

Rechtsextremismus

Das Bundesamt für Verfassungsschutz untersteht dem Bundesinnenministerium. Deshalb waren vor einer Woche auch Horst Seehofer und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang zur Vorstellung des Berichtes in der Bundespressekonferenz erschienen. Wie Horst Seehofer regelmäßig betont, stellt der Rechtsextremismus momentan die höchste Gefahr dar. Es gibt viele Anhänger mit einer erheblichen Gewaltbereitschaft. So wurden 2019 über 21.000 Straftaten in diesem Motivationssegment registriert.

Verfassungsschutzbericht 2019 Bundespressekonferenz Horst Seehofer Thomas Haldenwang
Verfassungsschutzbericht 2019 in der Bundespressekonferenz durch Innenminister Horst Seehofer vorgestellt
Eine hohe Konzentration rechter Aktivitäten ist in Sachsen und Thüringen zu verzeichnen, aber auch in Nordrhein-Westfalen und Berlin. Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften ergibt sich ein Personenpotenzial von 33.430 Rechtsextremisten in Deutschland. Davon gelten 13.000 als gewaltorientiert.

Interessant sind die Ausführungen über "Reichsbürger" und "Selbstverwalter". Nur bei 5% der "Reichsbürger" gibt es Überschneidungen mit dem Rechtsextremismus. Sie haben nämlich ihre sehr eigenen Vorstellungen, die oftmals auf Verschwörungstheorien basieren. Während sich "Reichsbürger" auf ein irgendwie geartetes Deutsches Reich berufen, nehmen "Selbstverwalter" eine UN-Resolution zur Grundlage ihrer Ansichten. Diese gebe ihnen das Recht auf den Eintritt in eine Selbstverwaltung ohne das administrative Drumherum der Bundesrepublik.

Linksextremismus

Linksextremismus verzeichnet in Deutschland signifikante Zuwachsraten. So halten sich zurzeit 33.500 bekannte Linksextreme mit den Rechtsextremen die Waage. 9.200 Linksextremisten gelten als gewaltorientiert. 2019 wurden etwa 9.849 Straftaten registriert.

Die Taktik der Szene hat sich geändert. Früher war es üblich, sich in Demonstrationen zu mischen und diese in ein gewalttätiges Chaos zu kippen. In Ermangelung von Großereignissen ist man dazu übergegangen, verdeckte und gezielte Aktionen durchzuführen. Beispielsweise werden "Hausbesuche" bei Personen abgestattet, die man als rechtsextrem deklariert hat. Die Definition einer rechtsextremen Zielperson folgt keiner objektiven Logik und erstreckt sich vom bekennenden Nazi über den AfD-Politiker bis zur Mitarbeiterin einer Immobilienfirma.

Die Wortwahl bei der Bezeichnung politischer Gegner ist nur bedingt diplomatisch, wird aber politisch korrekt gegendert: "Rassist*innen", "Rechte", "Reaktionäre", "Nazis", "Bullen" oder "Repressionsorgane". Die Themen sind durchweg "Anti": "antisoziale Strukturen", "Antigentrifizierung" und "Antifaschismus". Die Gentrifizierung ist besonders den Autonomen unter den Linken ein Dorn im Auge. Bedeutet es doch die Aufwertung eines Stadtteils durch Sanierungen und die damit verbundene Verteuerung der Mieten. Zur Gewinnung neuer Anhänger nutzt die Szene populäre Themen wie Umweltschutz oder die Wohnsituation. Ferner ist sie im Umfeld von Fußballspielen und Kampfsportvereinen aktiv, um dadurch die "revolutionäre" Schlagkraft zu erhöhen.

Verfassungsschutzbericht 2019 Bundespressekonferenz Horst Seehofer Thomas Haldenwang
Verfassungsschutzbericht 2019 in der Bundespressekonferenz durch Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang vorgestellt
Innerhalb des linken Spektrums gibt es Unterschiede. Ein bemerkenswerter Teil glaubt nach dem Scheitern sämtlicher sozialistischer Staaten immer noch an einen Sieg der Arbeiterklasse und die klassenlose Gesellschaft des Kommunismus. Viele nehmen dafür den Zwischenschritt über eine sozialistische Gesellschaft in Kauf. Eine friedliche Entwicklung ist dabei nicht vorgesehen.

Autonome zählen zwar auch zum Linksextremismus, möchten sich aber nicht von einer sozialistischen Zwangsbeglückung gängeln lassen. Sie möchten ihr eigenes Ding machen und einfach nur frei und ohne Verantwortung leben.

Die Partei DIE LINKE eignet sich hervorragend zur Unterwanderung mit extremistischem Gedankengut. Von daher ist es kein Wunder, dass gleich mehrere Untergruppierungen durch den Verfassungsschutz beobachtet werden. Dazu gehören die "Sozialistische Alternative" (SAV), die "Kommunistische Plattform" (KPF), die "Sozialistische Linke" (SL) oder die "Antikapitalistische Linke" (AKL).

Soweit zu den einheimischen Themen. Darüber hinaus gibt es noch den Islamismus, ausländischen Extremismus und andere Eingriffe fremder Staaten.

Islamismus

Auch wenn der Islamismus in letzter Zeit etwas aus den Schlagzeilen geraten ist, ist das kein Grund für eine Entwarnung. Sehr aufmerksam werden Organisationen wie der IS, die HAMAS, al-Qaida, Al-Shabab, die Hizb Allah und die Muslimbruderschaft beobachtet. Fernab der öffentlichen Wahrnehmung regt der Verfassungsschutz Maßnahmen der Polizei an, die entsprechende Anschläge in Deutschland verhindert.

Wenn die islamistische Organisation nicht gerade ein weltweites Kalifat zum Ziel hat, nutzt sie Deutschland zur Rekrutierung neuer Kräfte und als Rückzugsgebiet. Corona hatte zunächst für einen Stillstand islamistischer Aktivitäten gesorgt. Diese wurden aber bald nach der ersten Starre ins Internet verlagert: Kontaktanbahnung und Propaganda über Soziale Netzwerke.

Ausländischer Extremismus

Ausländische Extremisten ohne direkten Bezug zum Islamismus lassen sich weitestgehend auf den Konflikt zwischen Türken und Kurden reduzieren. Dreh- und Angelpunkt ist die seit 1993 verbotene "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und deren Sympathieorganisationen. Als aktiver türkischer Gegenpol wäre die Ülkücü-Bewegung mit ihren fünfstelligen Mitgliederzahlen zu nennen. Ülkücü strebt ein neues Osmanisches Großreich unter Herrschaft der türkischen Ethnie an. Das Zusammentreffen von Ülkücü-Anhängern und Kurden in deutschen Städten hat eine besondere Brisanz. Ülkücü wird aber auch deshalb vom Verfassungsschutz beobachtet, weil es synonym für eine "desintegrative Wirkung" und die "Bildung einer Parallelgesellschaft" steht.

Spionage und Einflussnahme fremder Mächte

Das letzte große Kapitel des Berichtes befasst sich mit "Spionage, Cyberangriffen und sonstigen sicherheitsgefährdenden ... Aktivitäten für eine fremde Macht". Hier werden vier besonders aktive Staaten genannt: Russland, China, Iran und Türkei.

Russland fällt in verschiedenen Bereichen auf: Mit seinen Medien RT Deutsch und Sputnik nimmt es aktiv Einfluss auf die öffentliche Meinung. Wenn jemand Desinformation beherrscht, dann Russland. Russland kann aber auch "Cyber" und setzt diese Fähigkeit konsequent zum Ausforschen verschiedener Ziele in Deutschland ein. Darunter befinden sich Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Behörden und Medienunternehmen. Russland ist darin so gut, dass die Angriffe oft gar nicht bemerkt werden und langfristig virtuelle Türen für die russischen Geheimdienste offen stehen.

Russische Geheimdienste haben noch einen anderen Trumpf: der hohe Anteil Spätaussiedler in Deutschland. In einem Bundeswehr-Seminar wurde vermittelt, dass Russland langfristig arbeitet: Eigene Leute werden eingeschleust, leben ein normales Alltagsleben, besetzen wichtige Posten und zum festgesetzten Zeitpunkt wird einfach der Schalter umgelegt.

China konzentriert sich nach Maßgabe seiner Belt Road Initiative (BRI) auf wirtschaftliche Einflussnahme und das Ausspähen strategisch verwertbarer Informationen. Selbst kooperative Unternehmen oder Behörden werden gnadenlos angezapft. Eine besonders niedrige Schwelle zur Preisgabe sensibler Daten bieten chinesische Bezahlsysteme oder Mobilitätsangebote. Hier sollte der deutsche Nutzer wissen, dass Unternehmen in China zur uneingeschränkten Zusammenarbeit mit dem Staat - also der einen Partei - verpflichtet sind. Datenschutz gilt dort nichts, so dass auf Wunsch alle sensiblen Daten bei staatlichen Stellen landen.

China ist schon längst kein Kopierland mehr. China hat sich - unter den Augen westlicher Hybris - eine Marktführerschaft in verschiedenen Hochtechnologiebereichen erarbeitet. Die Investitionen in Deutschland sind zwar nominell rückläufig. Dafür ist die Qualität der Aufkäufe deutscher Firmen alarmierend. So pickt sich China besonders innovative Firmen heraus und zieht auf diesem Wege ganz legal das Know-how ab. Auch Agenten werden nicht mehr nur aus eigenen Staatsbürgern rekrutiert, sondern gezielt aus anderen Nationen angeworben. Die Details dazu würden hier den Rahmen sprengen.

Dem Iran geht es vorrangig um die Verfolgung der im Ausland lebenden Opposition. Ferner sucht er nach Wegen, an nuklear verwertbare Technologien heranzukommen. Die Türkei forscht die PKK und oppositionelle Strömungen aus. Wie Russland profitiert auch die Türkei bei der Beschaffung von Informationen von der hohen Zahl türkischstämmiger Personen in Deutschland.

Geistige Brandstifter und Täter

Thomas Haldenwang betonte in der Pressekonferenz, dass es nicht nur um die finalen Täter gehe, sondern auch um die "geistigen Brandstifter". Man habe in den letzten Jahren gelernt, dass immer eine "geistige Brandstiftung" der Radikalisierung und anschließenden Tat vorausgehe. Deshalb messe der Innenminister dem Thema Desinformation eine hohe Bedeutung bei. Das Thema werde durch die "Einheit hybride Bedrohungen" bearbeitet. Auch stimme man sich intensiv mit dem Verteidigungsministerium und dem Kanzleramt ab.

Zum Luxus einer Demokratie gehört es, dass ausführende und gesetzgebende Instanzen die nüchternen Erkenntnisse eines solchen Berichtes ignorieren. So kommt es regelmäßig zu Unstimmigkeiten zwischen dem Verfassungsschutz und wichtigen Entscheidungsträgern. Praktisch, wenn wenigstens der Innenminister seinem nachgeordneten Bundesamt den Rücken stärkt.

Video:
Mitschnitt der Pressekonferenz auf Phoenix

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 8. Juli 2020

Altmunition in Ostsee und Nordsee

Im Schatten der EU-Ratspräsidentschaft hat Deutschland nun auch den Vorsitz der HELCOM übernommen. Das HEL bezieht sich auf die Helsinki-Konvention von 1974. Mitglieder sind die Anrainerstaaten der Ostsee. Grund zu einer Nachfrage, wie es um die Altmunition in Ostsee und Nordsee steht.

Altmunition in Ostsee und Nordsee - Deutschland übernimmt den Vorsitz der HELCOM
Altmunition in Ostsee und Nordsee: Wie lange noch ist unbeschwerter Urlaub an Ostsee und Nordsee möglich?
Seit über zehn Jahren freuen sich Urlauber über üppige Bernsteinfunde am Strand. Wenn sie diese in die Hosentasche stecken, trocknet der vermeintliche Bernstein. Kurz darauf entzündet er sich und fügt dem Finder erhebliche Verbrennungen zu. Der Erholungssuchende hat den Bernstein mit weißem Phosphor verwechselt. Dieser stammt aus verrottenden Bomben und Minen tief unter der Wasseroberfläche. Die Altmunition in der salzigen See ist eine Zeitbombe.

Laut einer 2011 angefertigten Studie ist von 1,6 Millionen Tonnen - also 1.600.000 Tonnen - konventioneller Munition in deutschen Gewässern auszugehen. Davon liegen 1,3 Millionen in der Nordsee. Das ist noch nicht alles. Hinzu kommen 170.000 Tonnen chemischer Kampfstoffmunition in der Nordsee und bis zu 65.000 Tonnen in der Ostsee. Die 90 Tonnen, die allein vor Helgoland lagern, klingen dann schon fast nach einer homöopathischen Menge. Als nördliche Militärbasis hat Helgoland prägende Erfahrungen mit Munition gesammelt. Ein Viertel der Insel war 1947 durch die Briten weggesprengt worden: Bunker und Munitionslager. Die Detonation habe man sogar noch im weit entfernten Cuxhaven wahrgenommen.

Altmunition in Ostsee und Nordsee - Deutschland übernimmt den Vorsitz der HELCOM
Altmunition in Ostsee und Nordsee: 1947 wurde ein großer Teil von Helgoland weggesprengt.
Eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern kam 2018 zu der Feststellung: "Derzeit ist nicht erkennbar, dass eine großräumige Gefährdung der marinen Umwelt über den lokalen Bereich der munitionsbelasteten Flächen hinaus vorhanden oder zukünftig zu erwarten ist. Eine Gefährdung besteht jedoch punktuell für Personengruppen, die im marinen Bereich der Nord- und Ostsee mit Grundberührung tätig sind."

Für die Altmunition ist nicht etwa die Bundeswehr oder die NATO zuständig, sondern das Umweltministerium. Geht es hier doch um eine Gefährdung der Umwelt. So wurde festgestellt, dass Muscheln oder Plattfische in unmittelbarer Umgebung von Sprengkörpern auch deren Schadstoffe aufnehmen. Eine großflächige Verbreitung ist jedoch bis heute nicht erwiesen.

Eine umfangreiche Bergung oder Zerstörung der Altmunition ist ein Generationenwerk. Während Ankertauminen in wenigen Jahren zu beseitigen wären, kann das bei Grundminen oder Fliegerbomben bis zu 20 Jahren dauern. Voraussetzung ist natürlich, dass man mit der Beräumung beginnt. Momentan wird mit den Anrainerstaaten ein Konzept dazu entwickelt. Das Umweltministerium hat das als eines der zentralen Themen auf die Agenda des HELCOM-Vorsitzes gesetzt und hofft auf eine gute Kooperation innerhalb der Kommission.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 1. Juli 2020

AKK zu KSK: Toxic Leadership und strukturelle Schwachpunkte

Im nächsten Jahr feiert das Kommando Spezialkräfte (KSK) sein 25-jähriges Bestehen. Die Eliteeinheit wurde nach dem Vorbild des Special Air Service (SAS) der britischen Armee und der Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9) zusammengestellt. Anlass war das Fehlen dieser Fähigkeiten zur Zeit des Völkermordes in Ruanda. Damals mussten belgische Spezialkräfte für die Rückführung deutscher Staatsbürger sorgen.

Inzwischen hat sich vieles im KSK verselbständigt. Anders als sonst in der Bundeswehr fand kaum eine Rotation der Führungskräfte statt. Die Ausbildung wurde intern geregelt und auch ein Inspizieren war wegen des hohen Geheimhaltungsgrades nicht möglich. So konnten sich Strukturen und Gepflogenheiten entwickeln, die sehr eigen waren und sich jeglicher externer Kontrolle entzogen.

Pressekonferenz AKK Kramp-Karrenbauer Generalinspekteur Eberhard Zorn Arbeitsgruppe KSK
Pressekonferenz von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer #AKK und dem Generalinspekteur Eberhard Zorn zur Arbeitsgruppe KSK
Das KSK ist ein Bataillon mit weit über 1.000 Soldaten. Diese sind in zehn Kompanien und einigen weiteren Bereichen organisiert. Bei den Ermittlungen zu den Vorwürfen des Extremismus wurde eine so genannte 20er-Liste abgearbeitet. 20 Soldaten wurden auf verschiedenen Ebenen betrachtet und gewisse Gemeinsamkeiten festgestellt. Die wichtigste Gemeinsamkeit war, dass sie zur 2. Kompanie gehörten.

Deshalb wurde analysiert, was das Besondere an der 2. Kompanie ist. Sie gehört zu den sechs Kommandokompanien, die die Spezialaufträge letztlich ausführen. Laut der Ministerin liegt eine der Ursachen für die Radikalisierung in dem enormen Druck, dem die Soldaten im Einsatz ausgesetzt sind, aber auch in den Vorstellungen, die die Soldaten selbst von ihren Aufgaben haben. Es gebe Differenzen bei der Bewertung parlamentarisch legitimierter Einsätze und dem, was man gerne selbst noch machen möchte. Druck als Begründung hinkt insofern, als dass es weitere Kompanien und Spezialkräfte wie die Kampftaucher gibt, bei denen bisher keine Radikalisierung aufgefallen ist. Es muss also noch andere Ursachen geben.

Pressekonferenz AKK Kramp-Karrenbauer Generalinspekteur Eberhard Zorn Arbeitsgruppe KSK
Pressekonferenz von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer #AKK und dem Generalinspekteur Eberhard Zorn zur Arbeitsgruppe KSK
Dazu fiel mehrfach der neudeutsche Begriff "Toxic Leadership". Toxic Leadership bedeutet "vergiftende Leitung" und wurde erstmals kurz nach dem Irak-Krieg von der US-Armee thematisiert. Damals hatte man die Selbstmorde amerikanischer Soldaten untersucht. In die Betrachtungen wurden dabei nicht nur die Familiensituation oder die psychische Verfassung des jeweiligen Soldaten einbezogen, sondern - das war neu - auch das Umfeld in der Truppe. Dabei fiel auf, dass inkompetente und unsichere Leitungspersonen oftmals ein Klima der Kontrolle und des Machtmissbrauchs erzeugen und Strukturen etablieren, die fähigen Kräften keine Luft zum Atmen lassen. Diese werden gedemütigt, diffamiert und weit unter Potenzial eingesetzt. Dem toxischen Leiter geht es damit in der Regel nur um die Kompensation eigener Defizite. Seine Organisation, sein Team und der größere Auftrag sind ihm egal.

Toxic Leadership ist ein weit verbreitetes Problem. Es zieht sich durch sämtliche Gesellschaftsbereiche. Deshalb gibt es in den USA inzwischen Trainer und Unternehmensberater, die genau dieses Thema aufgreifen und Handlungsempfehlungen für Betroffene und übergeordnete Führungskräfte anbieten. In Deutschland wird dieses Thema erst seit 2017 wahrgenommen. Mit einem Aufsatz hatte Oberst Jahnke vom Zentrum Innere Führung der Bundeswehr den Stein ins Rollen gebracht. Erst wenige Unternehmensberater haben das hierzulande für die Wirtschaft aufgegriffen. Üblicherweise wird mit rüden Methoden gegen Stimmen vorgegangen, die toxische Leitung in den eigenen Reihen ansprechen. Kontaktverbote und die "Mauer des Schweigens" sind äußerlich erkennbare Zeichen für diese problematischen Konstrukte. Mit einer Mauer des Schweigens sieht sich die Bundeswehr auch bei der 2. Kompanie des KSK konfrontiert. Das Schweigen resultiert aus Angst oder einer mehr oder weniger berechtigten Loyalität.

Wie wichtig es ist, dass die übergeordneten Instanzen bei Toxic Leadership eingreifen, zeigt das Beispiel KSK. Die Ministerin und der Generalinspekteur haben die Lagebereinigung zur Chefsache erklärt und stellten sich deshalb heute auch den unkalkulierbaren Fragen der Presse. Den Verantwortungsträgern der Bundeswehr ist bewusst, dass ein Verschweigen oder Vertuschen von kleinen Konfliktherden wie beim KSK zu einem flächendeckenden Problem führen können.

Pressekonferenz AKK Kramp-Karrenbauer Generalinspekteur Eberhard Zorn Arbeitsgruppe KSK
Pressekonferenz von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer #AKK und dem Generalinspekteur Eberhard Zorn zur Arbeitsgruppe KSK

Das KSK hat es nun selbst in der Hand, wie seine Zukunft aussieht. Dabei setzt die Arbeitsgruppe KSK auf eine Reformation von innen. Diese wird jedoch von oben beobachtet und als Chance statt Strafe gesehen. "Wer Teil des Problems sein will", muss die Bundeswehr verlassen oder wird versetzt. Wer sich kooperativ bei der Aufarbeitung zeigt, kann seine geplante Laufbahn fortsetzen. Fest steht, dass die 2. Kompanie aufgelöst wird, dass die übliche Rotation der Führungskräfte auch im KSK Einzug hält und dass die Sicherheitsüberprüfung auf Stufe 4 angehoben wird. Auch Reservisten werden in Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz vor der Beorderung stärker unter die Lupe genommen.

Die Arbeitsgruppe KSK - bestehend aus Generalinspekteur, Staatsekretär Tauber, Staatssekretär Hoofe, Heeresinspekteur Mais, KSK-Kommandeur Kreitmayr und der Wehrbeauftragten Högl - hat eine Frist gesetzt. Bis Ende Oktober sollen greifbare Ergebnisse vorliegen. Ansonsten werde man nach "neuen Möglichkeiten suchen". Denn die Fähigkeiten des KSK werden in jedem Fall gebraucht.

Unter die Lupe genommen wurden auch die extrem hohen Fehlbestände an Munition und Sprengstoff. So ist der Verbleib von 37.000 plus 48.000 Patronen für verschiedene Handwaffen ungeklärt. Besondere Sorge bereitet dem Generalinspekteur allerdings das Verschwinden von 62 kg Sprengstoff. Schon 1% davon machen ein Auto zu einem gefährlichen Flugobjekt. In diesem Zusammenhang fiel auf, dass die Bundeswehr zu viele analoge Bestandserfassungen vornimmt. Es gibt faktisch keine zentrale Übersicht zu Lager- und Fehlbeständen bei Munition, die per Knopfdruck abrufbar wäre. Ministerin und General zuckten heute mit den Schultern und verwiesen auf die Generalinventur, die bereits angeordnet sei. Stichtag für die Vorlage der Zahlen ist der 31. Dezember 2020.

Abschließend hier noch ein Zitat von Annegret Kramp-Karrenbauer: "Wenn ich 'eisernen Besen' sage, meine ich das nicht martialisch, aber ernst."

Edit: Hier eine interessante Zusatzlektüre aus dem KSK vom 25. Juli 2020.

Autor: Matthias Baumann