Montag, 29. Juni 2020

Präsidentin von Estland in Berlin empfangen

Kersti Kaljulaid hat ein für estnische Spitzenpolitiker ungewöhnliches Alter. Sie ist 50 und gehört damit zum älteren Drittel der Bevölkerung Ihres Landes. Die 1,2 Millionen Einwohner Estlands sind jung und medienaffin. Estland hat seine Verwaltung weitestgehend digitalisiert und wirbt mit Online-Anträgen für die estnische Staatsbürgerschaft. Das nennt sich E-Residency und ist eine virtuelle Aufenthaltsgenehmigung mit stark reduzierten Rechten. Sie dient hauptsächlich dazu, eine Firma mit Sitz in Europa, also Estland, gründen zu können.

Wegen des hohen Digitalisierungsgrades ist Estland auch ein interessantes Trainingsfeld für Russland. Cyber-Angriffe und Desinformationskampagnen werden regelmäßig an dem kleinen baltischen Staat ausprobiert und - erfolgreich abgewiesen. Nicht ohne Grund hat die NATO in Tallin ihr Cybersecurity Center of Excellence eingerichtet. Der Grad der Resilienz gegenüber Desinformation ist ähnlich hoch wie in Finnland. Sehr praktisch also, dass die Präsidentin neben Russisch, Französisch und Englisch auch Finnisch spricht.

Präsidentin von Estland, Kersti Kaljulaid, zum Abendessen bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue
Die Präsidentin von Estland, Kersti Kaljulaid, besucht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Abendessen im Schloss Bellevue. Das Foto zeigt den obligatorischen Eintrag ins Gästebuch.
Kersti Kaljulaid studierte eine ungewöhnliche Kombination: Biologie (Genetik) und Wirtschaftswissenschaften. Als stetig könnte man ihr anschließendes Berufsleben nicht bezeichnen. Sie wechselte mehrfach die Unternehmen von der Telekommunikation bis zur Finanzbranche und stieg 1999 als Beraterin bei der Regierung ein. Ab 2004 vertrat sie ihr Land beim Europäischen Rechnungshof und im Oktober 2016 wurde sie als erste Frau für das Amt des Präsidenten von Estland vereidigt.

Ihr heutiger Besuch führte sie zunächst in ihre Botschaft. Der Anlass war das 100-jährige Bestehen der Botschaft Estlands in Berlin. Das Haus liegt gegenüber des Hintereingangs zum Verteidigungsministerium. Die Bebauung des Areals um die Hildebrandstraße 5 fand bereits 1853 statt. Namensgeber Hildebrand war ein Schokoladenfabrikant, der diesen Standort am Landwehrkanal für neue Immobilien vorgesehen hatte. Wegen der historischen Umbrüche mussten viele der Häuser um 1920 verkauft werden. Da Estland nicht genügend Mittel auftreiben konnte, bezahlte Konsul Voldemar Puhk aus eigener Tasche und richtete im Haus Nummer 5 ein Konsulat ein.

Auch die folgenden Jahre waren turbulent. Zunächst fiel das Haus an die Sowjetunion, die Estland als Sowjetrepublik eingemeindet hatte. Mit Ende des 2. Weltkrieges lag das Haus plötzlich im britischen Sektor und konnte deshalb von seinen Besitzern nicht genutzt werden. Es kam unter Treuhandverwaltung und diente als Mietshaus. Mit der Wiedervereinigung und dem Zerfall der Sowjetunion fiel das Haus wieder an Estland zurück und dient bis heute als dessen Botschaft.

Video:
Präsidentin von Estland, Kersti Kaljulaid, besucht Bundespräsident Steinmeier im Schloss Bellevue

Autor: Matthias Baumann

Montag, 22. Juni 2020

Evangelischer Militärbischof Sigurd Rink verlässt nach 6 Jahren Amtszeit die Militärseelsorge

Es sollte ein Rückblick auf sechs Jahre Amtszeit als Militärbischof werden. Dazu waren wir in den Wald der Erinnerung beim Einsatzführungskommando in Schwielowsee gefahren. Das Stabsmusikkorps hatte einen Trompeter gestellt und auch das Wetter spielte mit.

Bei der Sichtung des Videomaterials machten wir eine interessante Entdeckung: Der Bischof hatte sich selbst komplett zurückgenommen. Dabei sollte es doch um seine Amtszeit gehen. Zu Beginn nannte er seinen Namen und am Ende erwähnte er kurz, dass er in den Jahren 2014 bis 2020 an der Aufgabe gereift sei und viele wertvolle Impulse für sein eigenes Leben mitgenommen habe.

Evangelischer Militärbischof Sigurd Rink verlässt nach 6 Jahren Amtszeit die Militärseelsorge
Evangelischer Militärbischof Sigurd Rink verlässt am 15. Juli 2020 nach 6 Jahren Amtszeit die Militärseelsorge. Der Wald der Erinnerung verbindet Abschied, neues Leben und das Bewusstsein für einen wichtigen Dienst, der nur von wenigen geschätzt wird. Auf der Vorderseite des Kreuzes ist die Fußwaschung aus Johannes 13 abgebildet - ein Lebensprinzip des scheidenden Bischofs.
Letzteres wird eindrücklich in seinem Buch "Können Kriege gerecht sein?" dokumentiert. Als ehemaliger Friedensaktivist war er vor 26 Jahren ins Grübeln gekommen, als innerhalb von drei Monaten eine Million Menschen in Ruanda umgebracht wurden. Könnte ein Friedenserhalt durch bewaffnete Kräfte vielleicht doch in bestimmten Situationen sinnvoll sein?

Dann wurde er von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) als neuer Militärbischof angefragt. Da sich Sigurd Rink schon immer für Themen mit Konfliktpotenzial interessierte, willigte er ein und begann Mitte Juli 2014 seine Tätigkeit am ehrwürdigen Bischofssitz in der City West. Das Gebäude befindet sich in der Jebensstraße am Bahnhof Zoo - gegenüber der Bahnhofsmission. Hier hatte in den 1930ern bereits der umstrittene Reichsbischof Ludwig Müller residiert.

Im Büro hielt sich Sigurd Rink jedoch nur selten auf. Er war unentwegt auf Achse und besuchte die Standorte der Bundeswehr im In- und Ausland. Seine erste Reise - noch bevor er offiziell im Amt war - führte ihn in den Kosovo. Dort erlebte er hautnah die Bedrohungslage, das Leben im Feldlager, den direkten Schutz durch Feldjäger und Anschläge in der unmittelbaren Umgebung. So ging es weiter mit mehreren Besuchen in Afghanistan, in Mali oder dem weniger bekannten Einsatz am Horn von Afrika, wo die Bundeswehr bei der Piratenabwehr hilft.

Evangelischer Militärbischof Sigurd Rink verlässt nach 6 Jahren Amtszeit die Militärseelsorge
Evangelischer Militärbischof Sigurd Rink verlässt am 15. Juli 2020 nach 6 Jahren Amtszeit die Militärseelsorge. Die Soldaten im Auslandseinsatz hat er oft besucht. Eine gute seelsorgeliche Betreuung der Truppe in sämtlichen Lebenslagen war ihm sehr wichtig.
Die Reisen verliefen nach einem typischen Programm: Am ersten Abend traf er sich auf ein Bier mit den Soldaten vor Ort. In ungezwungener Atmosphäre konnten sich die Anwesenden kennenlernen und über die Freuden und Herausforderungen am Standort reden. Erst den Folgetag widmete er seinen Mitarbeitern - den Militärpfarrern, Seelsorgern und Pfarrhelfern. Diese werden in der Regel für vier Monate in die Auslandseinsätze entsendet und leben dort mitten in der Truppe. Sie sind nahbar, haben ein offenes Ohr und - was für viele Soldaten wichtig ist - dürfen von dem Gehörten nichts weitergeben. Sie unterliegen der Schweigepflicht und haben lediglich der Kirche Rechenschaft zu geben. Im Gegensatz zu den meisten anderen Staaten sind deutsche Militärseelsorger nicht in die Kommandostrukturen eingebunden. Sie tragen zwar das gleiche Flecktarn, haben aber keinen Dienstgrad und sind durch ein Kreuz auf der Schulter gekennzeichnet.

Das Kreuz auf der Schulter ist ein gute Metapher für die Last, die die Soldaten bisweilen bei den Seelsorgern abladen: Tod von Kameraden, eigene Verwundung, Konflikte mit der Familie im fernen Deutschland, Mobbing durch toxische Führungskräfte und andere Herausforderungen des Alltags. Die Seelsorger sind aber auch für Andachten und Gottesdienste zuständig. Dabei haben sie sehr viele inhaltliche Freiräume und können auch mal mit den liturgischen Elementen experimentieren. Ziel ist es, den Soldaten in ihrer speziellen Situation zu dienen. Realitätsferne Stilelemente haben dort keinen Platz.

Wer in die Militärseelsorge geht, muss Pioniergeist haben und die so genannte Gehkultur mögen. Die Gehkultur steht im Gegensatz zur Kommkultur. Ein Militärpfarrer geht zu seiner Gemeinde, während ein herkömmlicher Pfarrer darauf wartet, dass die Gemeinde zu ihm kommt.

Evangelischer Militärbischof Sigurd Rink verlässt nach 6 Jahren Amtszeit die Militärseelsorge
Evangelischer Militärbischof Sigurd Rink verlässt am 15. Juli 2020 nach 6 Jahren Amtszeit die Militärseelsorge. Auch als Persönlichkeit reißt er eine Lücke. Sein Nachfolger wird voraussichtlich im Oktober 2020 das Amt antreten.
Nach sechs Jahren verlässt Sigurd Rink am 15. Juli 2020 die Evangelische Militärseelsorge. Er hätte dieses Amt gerne noch weiter ausgeführt. Einen Tag länger und er hätte diese Stelle aus juristischer Sicht dauerhaft inne gehabt. Die EKD hatte jedoch andere Pläne. So wechselt er zur Diakonie. Die Diakonie ist ein Spezialthema von ihm. Seine Doktorarbeit hatte er über Heinrich Grüber geschrieben, der sich als Bevollmächtigter der Evangelischen Kirche in der DDR immer auch für die sozialen Belange eingesetzt hatte. Die Doktorarbeit ist sehr spannend geschrieben und enthält kaum Fremdwörter oder alltagsferne Redewendungen.

Wer die Bücher des Militärbischofs liest oder mit ihm redet, stellt fest, dass Selbstdarstellung ein Fremdwort für ihn ist. Er blickt immer auf sein Gegenüber, auf seine Aufgaben und auf seine Mitarbeiter. Das kam auch beim Drehtermin im Wald der Erinnerung zum Ausdruck. Im Mittelpunkt standen die Seelsorge, der Dienst am Soldaten, die Wertschätzung gegenüber den Menschen im Einsatz und die Hinweise auf die wichtige Arbeit seiner Militärpfarrer und Pfarrhelfer. Er selbst sieht sich als Lernenden, der seine Persönlichkeit entwickelt und an den Stellen seines Wirkens etwas Gutes hinterlässt.

Video:
Rückblick auf 6 Jahre Evangelische Militärseelsorge mit Militärbischof Sigurd Rink

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 17. Juni 2020

Olaf Scholz und das Wummspaket auf Abruf

Finanzminister Olaf Scholz zeigte sich begeistert: Nachtragshaushalt, Konjunkturpaket und seine Leistung. Heute stellte er den Nachtragshaushalt zur Umsetzung des Konjunkturpaketes vor. "Das ist ein Wummspaket, mit dem wir aus der Krise kommen können".

Die Neuverschuldung von 218,5 Milliarden Euro sei momentan sehr günstig zu bewerkstelligen. Die Zinsen liegen bei 3%. Zudem ist das Wummspaket ein Wummspaket auf Abruf. Olaf Scholz hofft auf einen regen Abruf, aber wenn der Abruf nicht erfolgt, gibt es auch keine Verschuldung und damit auch keine Zinsbelastung. Die 218,5 Milliarden Euro sind also eher als eine Kreditlinie zu werten, die man vom Disporahmen eines Girokontos kennt. Allerdings mit dem traumhaften Zinssatz von 3%.

Das Konjunkturpaket selbst schlägt nur mit 103 Milliarden Euro zu Buche. Der Rest der 218,5 Milliarden Euro soll zur Finanzierung von Mehrausgaben und Mindereinnahmen genutzt werden.

Konjunkturpaket Nachtragshaushalt Bundesfinanzminister Olaf Scholz BMF
Bundesfinanzminister Olaf Scholz stellt den Nachtragshaushalt zum Konjunkturpaket vor.
Das Konjunkturpaket mit der Arbeitsbezeichnung Wumms sieht eine Menge von Maßnahmen zum Ankurbeln der Wirtschaft nach Corona vor. Eine wahre Verzückung huschte über das Gesicht des Ministers, als er von der Absenkung der Umsatzsteuer sprach. Diese sei bewusst "kurzzeitig, kurzfristig angekündigt und hoch". Die Fernseh- und Radiowerbung bestätige die Maßnahme als Wirtschaftsmotor. Auf kritische Details wie Kontenrahmen der Steuerberater, Umstellung von Kassensystemen oder das Thema Vorsteuer ging er nicht ein. Auf Nachfrage bestätigte er aber, dass die Umsatzsteuersenkung "definitiv" nicht verlängert werde.

Weitere Maßnahmen sind unter anderem die einmalige Stabilisierung der Gesundheitsfonds, die dauerhafte Unterstützung der Kommunen beim Wohngeld, der Kapazitätsausbau von Kitas und Ganztagsschulen, die Förderung von regionalen Wirtschaftsstrukturen, die Senkung der EEG-Umlage und Liquiditätshilfen für die Bundesagentur für Arbeit.

Ein besonderes Augenmerk gilt kleinen und mittelständischen Unternehmen. Diese sollen mit Wumms auf Abruf ihre Umsatzausfälle kompensieren und damit ihre Existenz sichern können.

Die Mittel des Konjunkturpaketes müssen innerhalb der nächsten zwei Jahre abgerufen werden. Ansonsten werden weniger Schulden aufgenommen und die schwarze Null ist schneller wieder erreicht. 20 Jahre soll die Rückzahlung dauern. Das erscheint einigen Experten zu kurz. Olaf Scholz geht jedoch von einer raschen Erholung der Wirtschaft aus und ist auch in diesem Punkt guter Hoffnung.

Der immer wieder kritisch beäugte Verteidigungshaushalt soll durch das Konjunkturpaket und die Neuverschuldung nicht tangiert werden. Der Finanzminister zeigte sich überzeugt, dass die NATO-Vereinbarung von 2% in "altbewährter" Zielstrebigkeit angegangen werde. Momentan sei man diesem Ziel ohnehin sehr nah, weil ja das Bruttoinlandsprodukt (BIP) so stark abgesunken sei. Betrachtet man die geschätzten Steuereinnahmen für 2020, erkennt man einen Rückgang um 20%. Das ist sehr viel. Wenn das BIP um 20% absinkt, hätte Deutschland mit 55 Milliarden Euro tatsächlich bald die 2%-Marke erreicht. In 2019 lag der Verteidigungshaushalt bei 43,2 Milliarden Euro und entsprach 1,25% des BIP. In 2020 ist er auf 45,2 Milliarden Euro beziffert - also 1,64% des eingebrochenen Bruttoinlandsprodukts.

Olaf Scholz schob aber auch der Frage nach dem Verteidigungshaushalt einen Werbeblock in eigener Sache hinterher. Das BIP werde steigen, weil "altbewährte" Kräfte und Methoden eingesetzt werden. Alles wird gut. Alles ist bezahlbar. Wir gehen einer gesunden Zukunft entgegen - oder so.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 11. Juni 2020

Konjunkturpaket und Senkung der Umsatzsteuer für den Zeitraum Juli bis Dezember 2020

Vor wenigen Tagen hat sich die Bundesregierung auf ein Konjunkturpaket verständigt. Dieses soll die Wirtschaft ankurbeln und Kaufanreize für private Endkunden schaffen. Letzteres soll durch eine Absenkung der Umsatzsteuer von 19 auf 16 Prozent beziehungsweise von 7 auf 5 Prozent erreicht werden. Diese Maßnahme soll von Juli bis Dezember 2020 gelten.

Skepsis über die geplante Wirkung des Steuergeschenkes

Was erst einmal ganz nett klingt, birgt doch jede Menge Fallen. So herrschte in der Bundespressekonferenz Skepsis darüber, ob dieses Steuergeschenk wirklich beim Endkunden ankomme. Sprecher der zuständigen Ministerien hingegen zeigten sich hoffnungsvoll. Es gebe Studien, dass das in anderen Ländern gut geklappt habe. Diese Hoffnung konnte jedoch nur mäßig ins Auditorium übertragen werden.

Aus gutem Grund: Bedenkt man den kaufmännischen Leitspruch "Im Einkauf liegt der Gewinn", wird klar, dass insbesondere der Einzelhandel die Steuersenkung für eine Steigerung seiner Rendite (Gewinn) nutzen könnte. Die Rendite ist wichtiger als der eigentliche Umsatz. Die Rendite ist nämlich das, was letztlich in der Tasche des Unternehmens hängen bleibt.

Endlich mehr Rendite

Nehmen wir einmal das Beispiel eines schwedischen Einrichtungshauses, dem ein Kalkulationsfaktor - auch Multi genannt - von 2 nachgesagt wird. Dabei wird der Einkaufspreis des Artikels mit 2 multipliziert und schon hat man den Verkaufspreis im Laden. Wenn also der fiktive Bilderrahmen Smørrebrød 10 Euro im Einkauf kostet, wird er im Regal für 20 Euro angeboten. In den 20 Euro wären aktuell 10 Euro Einkaufspreis und 3,19 Euro Umsatzsteuer enthalten. Die Rendite beträgt demnach 6,81 Euro (20 minus 10 minus 3,19 gleich 6,81). Wenn sich nun die Umsatzsteuer auf 16 % reduziert, sind nur noch 2,76 Euro als Umsatzsteuer (Vorsteuer) an das Finanzamt abzuführen und die Rendite liegt bei satten 7,24 Euro. Das entspricht einer Renditesteigerung von mehr als 6 %. Warum sollte man die an den Endkunden weitergeben, nachdem man wochenlang den Laden wegen Corona geschlossen halten musste?

Hinzu kommt der organisatorische Aufwand: Es gibt nur wenige Märkte, in denen elektronische Etiketten verwendet werden. In der Regel stecken Pappetiketten mit Barcodes, Artikelinfos und Preisen an den Regalen. In leistungsfähigen Warenwirtschaftssystemen kann ein Prozentsatz eingegeben werden, der dann beispielsweise einen Sortimentsbaustein um 2,5 % verteuert - Pardon - in unserem Falle um 2,5 % reduziert. Ist ein optisches Preisschema für die Neukalkulation hinterlegt, wird aus 9,95 Euro ein Preis von 9,75 Euro. Manch ein Lieblingsartikel kostet jetzt 2,99 Euro. Dieser müsste auf 2,91 Euro geändert werden. Eine sinnfreie Preisoptik, die entweder auf 2,89 reduziert würde oder einfach - Genau! - auf 2,99 Euro belassen wird.

Aus Drei mach Zweikommafünf

Warum nur 2,5 Prozent, wenn die Umsatzsteuer doch um 3 Prozentpunkte reduziert wird? Das lässt sich einfach nachrechnen: 119 Euro entsprechen einem Nettowert von 100 Euro plus 19 Euro Umsatzsteuer. Ab Juli würde auf 100 Euro netto eine Umsatzsteuer von 16 % aufgeschlagen werden. Das ergibt 116 Euro. 116 Euro sind aber 97,4789 % von 119 Euro - also nur rund 2,5% weniger. Warum also den Aufwand betreiben und wegen 2,5 % Kaufanreiz sämtliche Sortimente neu kalkulieren, Preisoptik prüfen und den Mitarbeitern neue Etiketten für die Regale übergeben? Wäre das ein Dauerzustand, könnte man das den wenigen Mitarbeitern in den Einzelhandelsfilialen noch verkaufen. Aber: Im Januar 2021 muss alles wieder rückgängig gemacht werden.

Die Vorsteuerfalle

Bei Geschäften zwischen Unternehmen gibt es weitere Fallen. Dort ist die Umsatzteuer ein durchlaufender Posten, der je nach Zahlungsturnus für eine temporäre Liquiditätsverbesserung sorgt. Irgendwann muss das Geld aber ans Finanzamt überwiesen werden. Wer ab dem Leistungszeitraum Juli 2020 eine Rechnung mit 19 % an seinen gewerblichen Kunden stellt, muss diese 19 % auch ans Finanzamt weitergeben. Nach Rechtslage Juli bis Dezember 2020 darf der Kunde auf der anderen Seite jedoch nur die dann geltenden 16 % bei der Umsatzsteuervoranmeldung abziehen. Auch, wenn er seinem Lieferanten die 19 % gezahlt hat.

Man könnte meinen, das sei nicht so dramatisch und sicher nur in Einzelfällen relevant. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Umsatzsteuer über viele Jahre stabil war und neuere Faktura- und Kassensysteme möglicherweise auf 19 % hartcodiert sind. Ganz zu schweigen von epochalen Projektzeiträumen für simple Umstellungen innerhalb namhafter Standardsoftware.

Die Gastronomie trifft es besonders hart. Diese muss in ihren Kassensystemen neuerdings nicht nur die Umsatzsteuer auf Artikelebene pflegen. Sie muss bis Ende Juni mit 19 % rechnen, ab Juli auf 5 % umstellen, ab Januar 2021 auf 7 % anheben und ab Juli 2021 wieder auf 19 %.

Und da wären noch Mietverträge oder Leasingverträge. Hier ist das jeweilige Ablaufdatum maßgebend. Wenn also die Zahlung zum 15. des Monats fällig ist, gilt der Steuersatz zum Enddatum dieses Turnus. Miete, die am 15. Juni für die kommenden 31 Tage zu zahlen wäre, müsste demnach schon mit 16 % abgerechnet werden, weil das Ende des Turnus im Juli liegt.

In eine Falle tappt auch, wer beispielsweise im September 2020 seinen Traumwagen sieht und dafür einen Leasingvertrag mit Sonderzahlung abschließt: Leasingverträge enden normalerweise nach zwei bis vier Jahren. Dann gilt aber wieder der Steuersatz von 19 %. Bei einer Sonderzahlung von 10.000 Euro netto würde die unterschiedliche Besteuerung 300 Euro ausmachen. Wer allerdings einen Leasingvertrag hat, der zwischen Juli und Dezember 2020 endet, kann sich bei seinem Autohaus unbeliebt machen, indem er die damalige Rechnung für die Leasingsonderzahlung auf 16% umschreiben und sich das Geld auszahlen lässt. Denn zum Leasingende gelten ja plötzlich 16% Umsatzsteuer. Das Autohaus muss die Rechnungskorrektur vornehmen und kann dann sehr umständlich den Ausgleich des Steuerbetrages beim Finanzamt beantragen.

Arbeit auf Hochtouren

Das Bundesfinanzministerium versicherte in den jüngsten Pressekonferenzen, dass es "auf Hochtouren" an den Details zur Behandlung dieser Umsatzsteuerkonstellationen arbeite. Man wolle "zeitnah" die Ergebnisse präsentieren  - voraussichtlich als Rundschreiben. Steuerberater warten händeringend auf entsprechende Sonderregelungen. Schon allein deshalb, weil auch deren Beratungssoftware nicht so kurzfristig auf die neuen Gegebenheiten angepasst werden kann.

Viele Unternehmen und Vermieter haben vermutlich bis heute noch nicht mitbekommen, dass es ab Juli eine Veränderung bei der Umsatzsteuer gibt.

Autor: Matthias Baumann

Weitere Infos zum Thema in der Stellungnahme des Deutschen Steuerberater-Verbandes

Montag, 8. Juni 2020

Botschafter von VAE, Georgien, Pakistan und Malta beim Bundespräsidenten akkreditiert

Fast vier Monate ist es her, dass Botschafter im Schloss Bellevue akkreditiert wurden. An jenem Tag gab es eine Terminüberschneidung mit dem letzten Präsenzbesuch einer Ministerpräsidentin im Bundeskanzleramt. Der nächste Staatsbesuch wurde wegen der beginnenden Corona-Maßnahmen abgesagt. Seitdem gab es häusliche Quarantäne und Webkonferenzen. Als Zeichen der Normalisierung flog Heiko Maas am Donnerstag nach Den Haag und traf dort seinen Amtskollegen Stef Blok - persönlich.

Dennoch lässt die Bundesregierung weiterhin Vorsicht walten. Termine der Kanzlerin oder des Bundespräsidenten werden stark kontingentiert, so dass eine Akkreditierung zu jedem Anlass notwendig ist. Auch die Botschafter werden nicht mit dem üblichen Konvoi aus schwarzen Limousinen vor das Schloss gefahren. Sie üben Social Distancing in einem Kleinbus. Auf die Delegation des Botschafters wird verzichtet. Ein Familienmitglied darf dabei sein. Selbst die Flagge wird von Mitarbeitern des Bundespräsidialamtes gehisst. Es gibt keinen Ehrenzug des Wachbataillons. Allein der Ehrenposten an der Tür darf zum Einsatz kommen. Besser als gar nichts.

Botschafter im Schloss Bellevue akkreditiert, Protokoll mit Ehrenposten und Bus
Botschafter im Schloss Bellevue akkreditiert: #COVID19 reduziert den Protokolleinsatz auf Ehrenposten und Kleinbus.
Mit dem Kleinbus trafen heute folgende Exzellenzen ein:

Vereinigte Arabische Emirate, Hafsa Abdulla Mohamed Sharif Alulama
Georgien, Levan Izoria
Islamische Republik Pakistan, Mohammad Faisal
Republik Malta, Marlene Bonnici

Botschafterin Hafsa Abdulla Mohamed Sharif Alulama kennt sich auf dem diplomatischen Parkett aus. Sie hat die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) bereits gegenüber Brasilien, Montenegro, Kosovo und Guyana vertreten.

Botschafterin der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) akkreditiert: Hafsa Abdulla Mohamed Sharif Alulama
Botschafterin der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) akkreditiert: Hafsa Abdulla Mohamed Sharif Alulama
Die VAE haben etwa 10 Millionen Einwohner, von denen nur 24% echte VAE-Bürger sind. Es gibt eine sehr starke Gruppe von Indern mit 30% und Pakistanis mit 20%. Der Rest teilt sich in Araber und Asiaten auf. Die VAE gehören zu den westlich orientierten Staaten der Region und kämpfen in einigen Konfliktherden an der Seite Saudi Arabiens. Sie mischen auch im Jemen mit und gelten dort als "successfull military player" (erfolgreicher militärischer Spieler). Wegen seiner westlichen Ausrichtung ist das Land auch Ziel asymmetrischer Angriffe von iranischer Seite.

Botschafterin der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) akkreditiert: Hafsa Abdulla Mohamed Sharif Alulama
Botschafterin der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) akkreditiert: Hafsa Abdulla Mohamed Sharif Alulama - Niederholen der Flogge der VAE unter Corona-Bedingungen
Der Fußweg von der Botschaft Georgiens zum Schloss Bellevue ist deutlich kürzer als der Weg vom Hotel Adlon zum Schloss. Aber, was nimmt man nicht alles auf sich, um protokollarische Gepflogenheiten zu bedienen? Botschafter-Akkreditierungen beginnen und enden grundsätzlich am Adlon. Das vereinfacht die Organisation. Zudem gibt es genug Platz für die Motorradeskorte und die Begleitfahrzeuge. Wobei es heute keine Mororradeskorte gab.

Botschafter von Georgien akkreditiert: Levan Izoria
Botschafter von Georgien akkreditiert: Levan Izoria
Georgien hat 5 Millionen Einwohner. Das Land leidet an einem unentwegt schwelenden Konflikt mit Russland, das die Abspaltung der Gebiete Abchasien und Südossetien aktiv unterstützt. Beide Gebiete grenzen an Russland und destabilisieren die Gesamtlage in der Region. Abchasien und Südossetien sind nur von wenigen Staaten wie Russland, Venezuela oder Syrien diplomatisch anerkannt. Wegen dieser Schwachstellen engagiert sich Georgien stark in der NATO, beteiligt sich als Partner an deren Missionen und strebt eine Mitgliedschaft an.

Botschafter von Georgien akkreditiert: Levan Izoria
Botschafter von Georgien akkreditiert: Levan Izoria - Flagge Georgiens
Botschafter Levan Izoria ist 46 Jahre alt, hat in Göttingen Jura studiert und später auch für die Konrad-Adenauer-Stiftung gearbeitet. Bis 2016 durchlief er einige akademische Posten an diversen westlichen Universitäten. In den letzten acht Jahren fungierte er als stellvertretender Innenminister, als Verteidigungsminister und zuletzt als Geheimdienstchef. Stellt sich die Frage, wie die Entsendung als Botschafter nach Deutschland bezüglich der Karriereentwicklung zu bewerten ist?

Botschafter der Islamischen Republik Pakistan akkreditiert: Mohammad Faisal
Botschafter der Islamischen Republik Pakistan akkreditiert: Mohammad Faisal (Mitte) mit seiner Gattin (links)
Pakistan hat 210 Millionen Einwohner. Da fällt es kaum auf, wenn zwei Millionen Pakistanis in den VAE leben. Pakistan bemüht sich seit vielen Jahren um gute Kontakte zur deutschen Wirtschaft. Die Botschafter gestalten Commonwealth-Treffen in Berlin oder laden Firmenvertreter in die Residenz des Botschafters ein. Gelegentlich kocht sogar dessen Gattin.

Botschafter der Islamischen Republik Pakistan akkreditiert: Mohammad Faisal - Flagge Pakistans
Immer größer werden von Jahr zu Jahr die Empfänge zum Nationalfeiertag Pakistans mit Modenschau, orientalischer Musik, Buffet und Gästen sämtlicher diplomatischer Couleur. Botschafter Mohammad Faisal hat Medizin und Jura studiert und war in den letzten Jahren Sprecher des Außenministeriums. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Bei der heutigen Akkreditierung war seine Frau dabei. Frank-Walter Steinmeier hatte nach seiner Amtsübernahme das Gruppenfoto mit Botschafter und dessen Familie als Element der Akkreditierungszeremonie eingeführt.

Die Frauenquote lag heute bei 50%. Eine Botschafterin zum Auftakt und eine zum Abschluss: Marlene Bonnici aus Malta. Marlene Bonnici hat in Oxford und Paris Diplomatie studiert. Eine Frau vom Fach also. Sie lehrte zunächst Deutsch im Bildungsministerium, war dann Botschafterin in Bonn und Brüssel, wirkte in ihrem Außenministerium und arbeitete als Büroleiterin des Premierministers. Ihr diplomatisches Spezialgebiet sind die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Malta und der EU.

Botschafterin der Republik Malta akkreditiert: Marlene Bonnici
Botschafterin der Republik Malta akkreditiert: Marlene Bonnici
Nur gut, dass der Botschafter des Malteser Ritterordens in der Defilee-Reihenfolge weit vor ihr läuft. Den Rittern auf Malta war 1798 eine Selbstverpflichtung auf die gepanzerten Füße gefallen. Sie durften nicht gegen christliche Nationen kämpfen. Deshalb übergaben sie die Inselgruppe kampflos an Napoleon. Das gefiel den verbliebenen Maltesern gar nicht, so dass sie die Briten um Hilfe baten. Bereits zwei Jahre später - also 1800 - übernahmen sie die Insel per Blockade von den Franzosen. Zur Sicherheit stationierten sie dort gleich ein Regiment und konnten Malta 1814 als britische Kronkolonie etablieren.

Botschafterin der Republik Malta akkreditiert: Marlene Bonnici
Botschafterin der Republik Malta akkreditiert: Marlene Bonnici - Flagge von Malta
Malta hat knapp 450.000 Einwohner, die maltesisch und englisch sprechen. Obwohl sich Malta als neutral deklariert, ist es doch sehr stark mit der westlichen Welt verbandelt. In der NATO wirkt Malta als Partner mit und nimmt aktiv an Übungen und Auslandseinsätzen wie UNIFIL im Libanon teil. Durch die jüngsten Entwicklungen im Mittelmeerraum haben sich auch die Beziehungen zu Italien intensiviert. Italien hilft beispielsweise bei der Luftraumüberwachung.

Nachdem der Kleinbus mit Marlene Bonnici vom Hof gerollt war, wurde die Flagge Maltas niedergeholt und die erste Botschafter-Akkreditierung unter Corona-Bedingungen war beendet.

Videos:
Akkreditierung Botschafterin der VAE, Hafsa Abdulla Mohamed Sharif Alulama
Akkreditierung Botschafter von Georgien, Levan Izoria
Akkreditierung Botschafter von Pakistan, Mohammad Faisal
Akkreditierung Botschafterin von Malta, Marlene Bonnici

Autor: Matthias Baumann