Freitag, 2. Oktober 2020

Die religiöse Komponente des US-Wahlkampfes

Lange ist es her, dass Wahlergebnisse in Deutschland durch Religionszugehörigkeiten bestimmt wurden. In protestantischen Regionen lag früher immer die SPD vorne und in katholischen Regionen die CDU/CSU. In den USA ist der Einfluss religiöser Gruppen auf das Wahlergebnis bis heute ungebrochen. Deshalb werden diese von Amtsinhaber Donald Trump und Herausforderer Joe Biden intensiv umworben.

Die unterschätzten Katholiken

Wer von amerikanischen Christen redet, fasst diese gerne als Evangelikale zusammen. Dabei sind 22% der Amerikaner katholisch. In englischsprachigen Büchern zu christlichen Themen werden diese gerne mit den Pharisäern des Neuen Testamentes gleichgesetzt und genießen keinen sehr guten Ruf. Dennoch besitzen sie etwas, das die Evangelikalen nicht vorzuweisen haben: Einheit. Die Katholiken stellen in der christlichen Szene der USA die größte zusammenhängende Gruppe dar.

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Die religiöse Komponente des US-Wahlkampfes: Welche Rolle spielen Katholiken, Evangelikale und Juden beim Wahlkampf zwischen Donald Trump und Joe Biden?

Deshalb bemühen sich sowohl Joe Biden als auch Donald Trump um diese Gruppe. Weil die amerikanischen Katholiken kein einheitliches Wahlverhalten haben, müssen die Präsidentschaftskandidaten Schnittmengen mit ihrer Person oder ihren Ansichten finden. Beide bieten diese Schnittmengen: Joe Biden hat irische Wurzeln und ist überzeugter Katholik. Diese Überzeugung manifestiert sich in seinem Lebensstil und dem Umgang mit Tiefschlägen in seinem Leben. Art und Lebensstil von Donald Trump passt zwar nicht so ganz in die Vorstellungen katholischer Wähler, aber er punktet mit seiner Einstellung zur Hetero-Ehe, der Hetero-Familie, der Ablehnung von Abtreibung sowie der jüngsten Ernennung einer katholischen Richterin für das Oberste Gericht. Sollte Joe Biden die Wahl gewinnen, wäre er nach John F. Kennedy der zweite katholische Präsident der USA. Wer sich fragt, wo die 22% Katholiken herkommen, sei auf die vielen Amerikaner mit hispanischen oder italienischen Wurzeln verwiesen.

Die demokratischen Juden

Eine andere einflussreiche Gruppe sind die amerikanischen Juden. Sie wohnen hauptsächlich in New York City und Kalifornien. Obwohl sie nur 2% der Bevölkerung ausmachen, also knapp 7 Millionen, sind sie doch politisch sehr aktiv und gestalten dadurch die Gesellschaft mit. Bis auf einige Orthodoxe wählen die Juden seit langer Zeit die Demokraten. Kein Wunder also, dass der antisemitistische Druck unter Donald Trump stark zugenommen hat. Weit über 60% der Juden fühlen sich in den USA nicht mehr sicher. Einige vergleichen das sogar mit den Entwicklungen in der späten Weimarer Republik.

Externen Beobachtern könnte hier ein Widerspruch zwischen inländischem Antisemitismus und Israel-freundlicher Außenpolitik auffallen. Verschwörungstheorien wie QAnon konstruieren üblicherweise ein vereinfachtes Feindbild. Dazu wird bis heute erfolgreich "der Jude" genutzt. Bei diesem Feindbild vereinen sich Rechtsextreme, Black-Power-Aktivisten, Black-Muslim-Aktivisten und sogar die Frauenbewegung. Würde die traditionelle Heimat im Nahen Osten höher auf der Agenda amerikanischer Juden stehen, würden diese vermutlich auswandern. Die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem hatte die US-Juden deutlich weniger tangiert als die Corona-Pandemie. Sie wollen bleiben und die Geschicke der USA mitgestalten.

Die konservativen Evangelikalen

Hier kommen die Evangelikalen ins Spiel. Die Unterstützung des Staates Israel hat nämlich weniger etwas mit Judenfreundlichkeit zu tun, sondern eher mit biblischen Prophetien über die Rolle des Staates Israel am Ende der Zeiten. Dass 81% der Evangelikalen Donald Trump wählen hat aber auch noch andere Gründe. Hetero-Ehe, Hetero-Familie und ein Abtreibungsverbot decken sich mit deren Grundüberzeugungen. Eines der Wahlversprechen Donald Trumps war die Verschiebung des Mehrheitsverhältnisses im Obersten Gericht. Wird die katholische Richterin Amy Coney Barrett für das Amt bestätigt, sitzen dort sechs zu drei Konservative und werden auf lange Zeit die Rechtsprechung beeinflussen.

Die Evangelikalen sind im Gegensatz zu den Katholiken stark zersplittert, treffen sich aber bei den genannten Themen. Ein weiterer Hebel, der gut funktioniert, ist der Verweis auf die Geschichte der USA. Die USA sind eine Nation aus zugewanderten "Sektierern", also Menschen, die wegen ihrer religiösen Überzeugungen in Europa verfolgt worden waren und in Nordamerika Freiheit und Sicherheit erleben konnten. Und das gilt es zu verteidigen! Schon hat sich Donald Trump als Patriot stilisiert, der als Widerstandskämpfer für den Erhalt "weißer und männlicher Privilegien" eintritt. Ein christlicher Widerständler, der sich selbst mit Bonhoeffer vergleicht und als Restaurator der legendären Mayflower-Bewegung gehandelt wird. Amerikanische Evangelikale blicken Hand in Hand mit QAnon, Verschwörungstheoretikern, dem Klu Klux Klan und rechtsextremistischen Gruppen auf die glorreiche Vergangenheit, das Unabhängigkeitsjahr 1776 und einen Donald Trump, der das - spätestens durch den schwarzen Barack Obama - angeschlagene Selbstbewusstsein von weiß, männlich und privilegiert wiederherstellt.

Die präsidialen Core Issues

So kann Donald Trump trotz seines unprofessionellen Auftretens auf eine breite Unterstützung der amerikanischen Bevölkerung zählen. Da seine "Core Issues" - die Grundeinstellungen zu den oben genannten Themen - mit dem Wählerwillen harmonieren, sehen viele über die charakterlichen Schwächen hinweg.

Autor: Matthias Baumann