Bei einer Bildungsreise der Bundeswehr nach London trafen wir hochkarätige Gesprächspartner: Angehörige des deutschen Militär-Attaché-Stabes, Presse-, Wirtschafts-, Rechts- und Kulturreferenten der deutschen Botschaft, Earl Howe (Staatsminister im House of Lords) und mehrere Briten aus dem Foreign & Commonwealth Office oder dem Ministry of Defense sowie einen Mix aus Kompetenzen des IISS (The International Institute for Strategic Studies).
Bei aller Divergenz der Funktionen, Positionen und Sichtweisen waren sich doch alle einig:
Großbritannien ist nicht auf den Brexit vorbereitet.
Brexit - Nur noch 9 Monate bis zum Verlassen der EU - Schild an der Ausfahrt des Parlaments |
Das leuchtete so manch einem Kreuzchen-Setzer beim Referendum ein. Da aber die Folgen eines Brexits nicht bedacht worden waren, werden diese 350 Millionen Pfund ab April 2019 nicht ins NHS fließen, sondern 1:1 in die Verwaltungskosten für das britische Zollwesen. Die europäische Zollunion geht dann nämlich nur noch bis ans Nordseeufer und an die 499 km lange Grenze zu Nordirland.
Die Iren haben schon angekündigt, dass sie keine Grenzstationen oder Zäune oder Kameras dulden werden: "We will blow them off". Und das ist nur die Spitze des Eisberges.
In London hatte man sich vorgestellt, die europäischen Verträge einfach zu kopieren, per Massenänderung die Begriffe Europäische Union durch Großbritannien zu ersetzen und dann in aller Welt zur Unterschrift vorzulegen. Warum das Korsett der EU beim weltweiten Handel tragen, wenn man auch selbst mit allen Staaten verhandeln könne?
Brexit - Nur noch 9 Monate bis zum Verlassen der EU - Auch die Tiere im Hyde Park entscheiden sich für unterschiedliche Richtungen. |
Das Volumen passt nicht und die Herkunft eines Endproduktes kann nicht mehr klar als britisch deklariert werden. Selbst ein traditionsreiches Fahrzeug wie der MINI wird nur noch zu 15% in Großbritannien bearbeitet. Der Rest kommt aus Europa.
Europäische Normen und europäische Verträge können Ende März 2019 den gesamten Waren- und Flugverkehr mit und über Großbritannien lahmlegen. Es gibt bisher keine Abkommen für Start, Landung und Überflug britischer Gesellschaften wie Iberia oder British Airways. Innerhalb der EU war das kein Problem, aber nach dem Brexit sind UK und dessen Fluggesellschaften raus. Britische Waren müssen dann erst einmal in Europa zugelassen werden. Durch Wartezeiten an den Grenzen werden Lieferketten unterbrochen. Bestimmte Güter können gar nicht mehr gehandelt werden, da sie bei längerer Zoll-Abfertigung verderben. Davon sind insbesondere Medikamente betroffen.
Das ließe sich fortsetzen bei den Motoren von Rolls Royce, bei Tragflächen von Airbus und bei Schutzlacken auf Fahrzeugen. Das simultane Austreten aus europäischen Rahmenverträgen zieht einen gigantischen Komplex von Neuverhandlungen, Neuverträgen und Nachnormierungen hinter sich her. Eine Aufgabe, die mit den eingesparten Mitgliedsbeiträgen niemals zu finanzieren ist.
Brexit - Nur noch 9 Monate bis zum Verlassen der EU - Banken und Versicherungen verlegen ihre Standorte weg von London. |
Sicherheitspolitisch ist der Brexit auch relevant. Erstens schwächt er die Einheit Europas. Zweitens müssen bestimmte inner-europäische Verteidigungskonstellationen nachverhandelt werden. Besonders bitter ist das getätigte Investment der Briten im Satelliten-System Galileo, das per Vertrag ein EU-Projekt ist. Viele Verträge laufen jedoch auf NATO-Ebene oder bilateral, so dass der Brexit dort nur eine bedingte Auswirkung hat. Der Brexit könnte jedoch zu einem straffen Sparkurs der Regierung bezüglich des Verteidigungshaushaltes führen.
Fazit: Separatismus ist unklug und sollte vorab gut durchkalkuliert werden. Aber wer beschäftigt sich schon so differenziert mit dem Thema?
Autor: Matthias Baumann