Dienstag, 13. Oktober 2015

Brexit und die vier Körbe

Verunsicherung macht sich breit, wenn es um den Brexit geht. Brexit ist die liebevolle Abkürzung des Ausstiegs der Briten aus der EU.

Wer immer Verwandte auf dem europäischen Festland habe, nutze zur Zeit die Option der doppelten Staatsbürgerschaft. Denn auch in Großbritannien steht man dem Brexit skeptisch gegenüber. Etwa die Hälfte der Deutschen würden gemäß einer forsa-Umfrage einen EU-Ausstieg der Briten bedauern.

Auch die Export-Wirtschaft ist verunsichert und fragt regelmäßig bei pwc nach: "Wie seht ihr denn das mit dem Brexit"? Die PricewaterhouseCoopers AG - kurz pwc - war deshalb auch der heutige Gastgeber des BCCG Political Events "Quo vadis EU". Minus Eins im Fahrstuhl bedeutet bei pwc am Kapelle-Ufer nicht etwa Tiefgarage oder "Absturz nach Brexit", sondern positiv "Spree-Ebene". Von hier aus gibt es einen atemberaubenden Weitwinkelblick auf die architektonische Linie des Bandes des Bundes und des Kanzleramtes.

Brexit BCCG pwc
Brexit - BCCG Political Event "Quo vadis EU" bei pwc
Ausgangspunkt war die oben erwähnte forsa-Umfrage. Bei Fragen nach Zuständigkeiten der EU versus regionaler Parlamente, gemeinsamer Entscheidungen innerhalb der EU, dem Bedauern über einen Brexit oder der Beibehaltung des Euro hielten sich die Ja- und Neinstimmen die Waage. Anders sah es bei Vetorechten gegenüber EU-Entscheidungen oder Volksentscheiden aus. Diese wollte eine deutliche Mehrheit der Befragten in nationaler Verantwortung sehen.

Interessant an den Volksentscheiden sei jedoch laut Prof. Manfred Güllner von forsa, dass Demokratie gar nicht genutzt werde. Er zitierte ein Beispiel aus Deutschland, wo ein Kandidat 62% der Stimmen auf sich vereinen konnte, jedoch nur ganze 14% der Wahlberechtigten an der Abstimmung teilgenommen hatten. Es gibt weitere Erfahrungen mit Volksentscheiden, die mit erheblichem Aufwand initiiert wurden und letztlich keine Ergebnisse bringen konnten. Sind Deutschland und die EU der Demokratie müde?

Als es um die Nutzungsrechte an Sozialleistungen in anderen EU-Staaten ging, entschieden sich über 2/3 für ein klares Nein. Es sei bereits jetzt ein Sozialleistungs-Tourismus zu verzeichnen, der die Sicherungssysteme einiger weniger Staaten belaste, da es keine EU-weiten Standards gebe.

Brexit BCCG pwc
Diskussionsrunde im Rahmen des BCCG Political Event "Quo vadis EU" zum Brexit bei pwc
Und genau dieses Thema fand sich in einem der Baskets (Körbe) von Philippa Saunders, EU-Sekretärin an der Britischen Botschaft, wieder. Die britische Regierung habe zur Zeit ein Themenpaket aus vier Baskets. Der wichtigste Punkt für die Briten sei der Umgang mit Sozialleistungen im Zusammenhang mit Migration. In den weiteren drei Körben liegen die Solidarität innerhalb der EU, die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit und das Verhältnis zu Staaten mit und ohne Euro.

Dass sich die Briten nicht mit Sprüchen abspeisen lassen, zeigt die gehaltvolle Formulierung, dass sich Premierminister Cameron für eine reformierte EU einsetze. Die Betonung liegt auf "reformiert". Der Brexit würde auch für die Briten nicht nur Pluspunkte bringen. Es kursieren bereits Bezeichnungen wie "Little England" oder "Singapore in the Channel". Das größte Interesse an einem Verbleib Großbritanniens in der EU sollten Deutschland und Irland haben. Bei einem Brexit würde zwischen Irland und UK plötzlich eine EU-Außengrenze verlaufen.

Es wird erwartet, dass das Referendum zum Brexit in jedem Fall stattfindet und bis Ende 2017 durch ist. Der Ausgang ist noch völlig unklar. Beeinflusst wird das Referendum in Zeitpunkt und Stimmung durch die jeweils aktuellen Krisen. Einmal wird Putin auffällig, dann kommen die Flüchtlinge und dann schwächeln die Griechen. Immer wieder ändern sich durch die jeweiligen Krisen bedingt die Koalitionen innerhalb der EU. Und immer wieder verschieben sich die Prioritäten zu Lasten des Referendums. Immerhin benötigt es mindestens sechs Monate Vorlaufzeit und hat auch anschließend gewisse Fristen einzuhalten.

Zum viel strapazierten Flüchtlingsthema wurde darauf verwiesen, dass die Maßnahmen der Briten viel früher ansetzen und massiv in den Ausbau der Flüchtlingslager in den eigentlichen Krisengebieten investiert werde.

Autor: Matthias Baumann