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Sonntag, 16. Februar 2025

Münchner Sicherheitskonferenz 2025 #MSC2025

Vom 14. bis 16. Februar 2025 fand im Hotel Bayerischer Hof in München die Münchner Sicherheitskonferenz MSC 2025 statt.

Die MSC ist ein vielschichtiges, sicherheitspolitisches und diplomatisches Format mit prominenten Teilnehmern, bilateralen Gesprächen, Nebenschauplätzen und Diskussionsrunden. Wer bei den vielen parallel laufenden Panels und Veranstaltungen die beste Teilnahme-Entscheidung treffen möchte, sollte seine thematischen Schwerpunkte definiert haben. Unsere Schwerpunkte lagen diesmal auf dem Nahen Osten, dem transatlantischen Verhältnis und der Terrorbekämpfung. Die kurzfristige Bekanntgabe des Tagesprogramms fordert den Besucher in Sachen Flexibilität, Entscheidungsfreude und Priorisierung heraus.

Besondere Aufmerksamkeit hatte die Rede des US-Vizepräsidenten J.D. Vance erregt, weil er die Gefahr von Innen ansprach – insbesondere eine ideologisierte Medienlandschaft und Diskussionskultur, die Tabus aufbaue und Personen mit anderer Meinung diffamiere.

Interessant war, die einzelnen Akteure der neuen Trump-Regierung zu erleben, die unisono ihren Präsidenten für seine „Leadership“ lobten und bemüht waren, entweder gar nichts oder die noch frische, offizielle Argumentationslinie einzubringen. Es war ein Abtasten der Situation und ein Kennenlernen der internationalen gegenüber. Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius bestätigte, dass die Amerikaner wissbegierig seien und sogar nach seinem Rat gefragt hätten.

Etwas enttäuschend aber symptomatisch für die Ampel-regierung erwies sich ein Panel mit BMZ-Ministerin Svenja Schulze, in dem es um den Return On Investment (ROI) bei der UN-Entwicklungshilfe gehen sollte. Statt auf das Thema einzugehen, war das Panel geprägt von gegenseitigen Lobeshymnen und dem verbalen Klopfen auf die eigene Schulter. Der Erkenntnisgewinn bezüglich des Themas lag bei null.

Montag, 18. April 2022

The Power Atlas - Wie verteilen sich die globalen Machtverhältnisse?

Wer in den Literatur-Empfehlung der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) 2022 stöbert, wird auf den Power Atlas stoßen. Dieser wurde vom European Council on Foreign Relations und der Stiftung Mercator herausgegeben.

The Power Atlas, European Council on Foreign Relations, Stiftung Mercator
The Power Atlas vom European Council on Foreign Relations und Stiftung Mercator


Der Power Atlas umfasst etwa 170 Seiten mit Texten und Grafiken, die sieben Säulen der Macht analysieren. Wie der Begriff Atlas bereits andeutet, sind die jeweiligen Zusammenhänge auch auf Weltkarten dargestellt. Die sieben Themenbereiche sind Wirtschaft, Technologie, Klima, Bevölkerung, Militär, Gesundheit und Kultur mit ihren sehr unterschiedlichen Einflussfaktoren. In diesen Bereichen haben auch sehr unterschiedliche Staaten und Akteure ihre Nase vorn.

7 Machtbereiche und 7 Einflussfaktoren

Betrachtet werden auch taktische Faktoren wie Zentralisierung, Zugangskontrolle, Datenbesitz, Subversion, Infiltration, Regelbestimmung und die Suche nach Unabhängigkeit:

Bei der Zentralisierung versucht eine Kraft, eine Position zu erlangen, in der alle von einem abhängig sind, man selbst die anderen aber nicht wirklich braucht. Das führt dazu, dass die zentrale Macht die Regeln bestimmen kann. Ein Beispiel für Zugangskontrolle ist der amerikanische Einfluss auf den weltweiten Zahlungsverkehr. Derzeit werden 90% der weltweiten Wechselgeschäfte über den Dollar abgewickelt. Auch beim infrastrukturell bedingten Zugriff auf Daten steht Amerika an erster Stelle. Schwache Staaten wie Russland punkten mit Subversion. Sie versuchen, andere Staaten mit Falschmeldungen und subtiler Einflussnahme von innen heraus zu zersetzen. Dem vergleichbar ist die Infiltration, wie sie gerne von der Türkei praktiziert wird. Gezielt werden Personen in andere Staaten umgesiedelt mit dem Ziel, das Zielland mit den Ideologien des Herkunftslandes zu beeinflussen.

Die EU wird gerne wegen ihrer Regulierungen belächelt. Dennoch setzt sie damit einen weltweiten Trend und wird wegen ihrer strikten Qualitätssicherung geachtet. Die EU ist damit ein Bestimmer von Regeln. Quer durch den Power Atlas zieht sich das Bestreben nach Unabhängigkeit. Das betrifft fast alle Bereiche von Gesundheit bis Militär. Die Erkenntnisse der Corona-Pandemie haben gezeigt, wie schnell die globalen Lieferketten zusammenbrechen können, so dass eine lokale Versorgung lebenserhaltend sein kann.

Akteure der Macht

Im Wesentlichen verteilt sich die Macht auf drei Akteure: die USA, China und die EU. Russland kommt auch im Power Atlas eher die Rolle des lästigen Störers zu, der politisch und wirtschaftlich kaum etwas zu bieten hat und deshalb genüsslich die Schwachstellen Dritter zelebriert. China geht da wesentlich cleverer vor und überzeugt mit Leistung. Mit seiner Belt-Road-Initiative gibt sich China altruistisch und baut weltweit Häfen, Straßen und sonstige Infrastruktur. Damit bahnt es sich einen Weg zum "Sieg ohne Kampf", der höchsten "Kunst des Krieges", wie sie Sun Tsu vor 2.500 Jahren beschrieben hatte. China ist aber auch führend in modernen Technologien und stellt damit einen gefährlichen Wettbewerber gegenüber den USA dar. Der Power Atlas arbeitet heraus, dass die Übernahme von Taiwan ein wichtiges Element zur Stärkung der technologischen Herrschaft wäre, da 63% der globalen Chipherstellung in Taiwan stattfinden.

Der Power Atlas zeichnet aber nicht nur einen Ist-Zustand, sondern rechnet die absehbare Entwicklung auf die nächsten zehn bis dreißig Jahre hoch. Wer den Power Atlas studiert und die passenden Schlüsse aus den Zusammenhängen der Machbereiche herzustellen vermag, kann sicher weise Entscheidungen für die Zukunft treffen und - ausgestattet mit der entsprechenden Macht - neue Akzente setzen.

Autor: Matthias Baumann

Montag, 14. Februar 2022

#MSC2022 und die kultivierte Hilflosigkeit

Die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) versteht sich als ein Format, bei dem unterschiedliche Meinungen und Sichtweisen offen diskutiert werden können und sollen. So suchen die Veranstalter regelmäßig nach Überschriften, die einerseits den aktuellen Umgang mit Sicherheitspolitik auf den Punkt bringen und andererseits so provokativ sind, dass sie zu einem konstruktiven Diskurs anregen. Dabei kommen gelegentlich sogar Wortschöpfungen wie "Westlessness" (Ohne den Westen) heraus. "Westlessness" war vorgestern. Inzwischen sind wir bei "Helplessness" (Hilflosigkeit) gelandet.

Die Facetten der Hilflosigkeit

So fielen in der heutigen Pressekonferenz zur bevorstehenden MSC Wortgruppen wie "wachsende Hilflosigkeit", "kollektive Hilflosigkeit", "erlernte Hilflosigkeit", "Gefühl der Gestaltungsunfähigkeit" oder "gefühlter Kontrollverlust". Mit dem vollen Titel "Turning the Tide - Unlearning Helplessness" (Die Welle brechen - Hilflosigkeit verlernen) greift die MSC diesmal eine Redewendung aus der Psychologie auf. Denn auch in der Psychologie stehen Selbstwahrnehmung und Realität zuweilen in einem Missverhältnis. Die Hilflosigkeit zielt wohl auch auf die unklare Rolle Deutschlands, die bereits von IISS-Direktor Giegerich treffend beschrieben worden war und sich unter dem neuen Kanzler nicht zum Besseren gewandelt hat.

Russland und andere Themen

Fast alle Nachfragen drehten sich um Russland und die Situation an der Grenze zur Ukraine. Wolfgang Ischinger wollte nicht bestätigen, dass am kommenden Wochenende die Ostukraine bereits von Russland besetzt ist. Als Vollblutdiplomat sieht er nach wie vor diplomatische Möglichkeiten. Verschiedene russische Spitzenpolitiker wurden zur MSC eingeladen, halten sich aber mit Zusagen zurück. Auch hier spielt die Psychologie eine Rolle: Wer möchte schon allein in einem Kreis von Gegnern sitzen und über sicherheitspolitische Themen reden? Gemeint ist hier das, was der Journalist unter "grillen" versteht. Wolfgang Ischinger betonte jedoch, dass er sich keiner Seite verpflichtet fühle und als pensionierter Diplomat zu seiner aus Erfahrung gespeisten Meinung stehe. Er ist jedenfalls nicht "hilflos", sondern stellt sich bewusst den unterschiedlichen Ansichten.

Neben Russland, das erfolgreich seine Rolle als Störer auf die Tagesordnung katapultieren konnte, sollte erwähnt werden, dass es bei der MSC auch um andere virulente Themen gehen wird: JCPOE (Joint Comprehensive Plan of Action), China und das Südchinesische Meer, Nordafrika, die Sahelregion, die globale Gesundheit, Innovationen und das Klima.

Teilnehmer - Hygiene - Budget - Team

Wenig "hilflos" wirkt die Ausgestaltung der diesjährigen MSC: Es werden etwa 100 Minister, über 30 Staats- und Regierungschefs sowie die Leiter wichtiger Organisationen wie der WHO, der NATO oder der EU erwartet. Es wird bei einer Preisverleihung einen symbolischen Schulterschluss von EU und NATO geben.

Mit besonderer Konsequenz werde das umfangreiche Hygienekonzept umgesetzt, auf das auch das Land Bayern einen großen Einfluss hatte. Wer mit einem Impfstoff behandelt wurde, der in Deutschland nicht zugelassen ist, darf nicht in Präsenz teilnehmen. Das gilt zum Beispiel für Personen mit Sputnik-V-Impfung. Das Staatsbankett fällt aus, jeder Teilnehmer wird täglich einem PCR-Test unterzogen, die Teilnehmerzahl ist um mehr als die Hälfte reduziert und der gesamte Hygieneaufwand beläuft sich auf einen siebenstelligen Eurobetrag, was bei einem Jahresbudget von 10 Millionen Euro mehr als 10% entspricht. Wolfgang Ischinger dankte deshalb ausdrücklich allen Sponsoren, zu denen auch der deutsche Verteidigungshaushalt gehört. Er dankte auch seinem Team, das ihn so kompetent unterstützt. So sprach er sich am Ende der zeitlich weit überzogenen Pressekonferenz für eine "totale Transparenz" aus und erklärte, dass er im Prinzip mehr privates Geld in die MSC investiere, als dieses für sich aus der Veranstaltung herauszuholen.

Autor: Matthias Baumann

Freitag, 26. November 2021

Berlin Security Conference 2021 diskutiert Europas Verteidigungsfähigkeit

"War der Fotograf schon hier?", fragte ein Mitarbeiter der Berlin Security Conference (BSC), nachdem er die Szenerie im Saal oberhalb des Konferenzgeschehens betrachtet hatte: Alte weiße Männer saßen in Uniformen und dunklen Anzügen an separaten Tischen und rührten mit langen Stäbchen in ihren Nasen herum. Schnelltests zur Erfüllung der 2G+-Regel. Nachdem die Konferenz im letzten Jahr virtuell durchgeführt worden war, fand sie diesmal wieder in Präsenz statt. Allerdings unter verschärften Sicherheitsmaßnahmen - die Gesundheit betreffend. Das Plus war eigentlich ein Doppelplus. Denn zum tagesaktuellen Schnelltest gesellte sich noch die FFP2-Maske.

Das Thema der BSC lautete in diesem Jahr "Europe - Developing Capabilities for a credible Defence" oder auf Deutsch "Europa - Entwicklung von Fähigkeiten für eine glaubwürdige Verteidigung". Wegen des internationalen Fachpublikums wurden sämtliche Reden, Diskussionsrunden und Workshops auf Englisch abgehalten. Selbst dann, wenn fast nur Deutsche auf der Bühne saßen. Englisch ist eben Welt- und NATO-Sprache.

Berlin Security Conference 2021 #BSC2021 Letter of Intent Deutschland Niederlande
Berlin Security Conference 2021 #BSC2021 - Unterzeichnung eines Letter of Intent zwischen Deutschland und den Niederlanden zur Kooperation bei Luftlandeplattformen - v.l.n.r.: Vizeadmiral Carsten Stawitzki (Abteilungsleiter Ausrüstung im BMVg), Generalleutnant Alfons Mais (Inspekteur des Heeres), General Martin Wijnen (Commander of the Royal Netherlands Army), Admiral Arie Jan de Waard (Directeur Defensie Material Organisatie)

General Jörg Vollmer hatte sich bei seinem Abschied vom Kommando Heer kurz vor dem ersten Lockdown für eine glaubwürdige Verteidigungsfähigkeit Europas ausgesprochen. Das machte er auch auf dieser BSC 2021 deutlich. Der ehemalige Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels leitete eine hochkarätig besetzte Diskussionsrunde damit ein, dass Verteidigung immer noch das am wenigsten beachtete Thema europäischer Politik sei. Dabei könne Europa auf eine sehr komfortable Ausgangsposition blicken: Die Länder der EU haben eine sehr hohe Schnittmenge mit den Ländern der NATO. Man könne schon fast von EU ist gleich NATO sprechen. Apropos Komfort: Jörg Vollmer zeigte auf, dass Deutschland "von Freunden umgeben" sei. Es solle aber nicht vergessen, dass diese Freunde fast alle an gegnerische Länder grenzen. Diese fungieren für Deutschland als Pufferzonen von Norden, über Osten bis nach Südwesten.

Fasst man die Verteidigungsbudgets von Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien zusammen, übersteigt das den Betrag, den China aufwendet, um knapp vier Milliarden USD. Allein Großbritannien gibt eine Milliarde USD mehr aus als Russland. Europa hat also entsprechendes Potenzial. Jedoch steht sich Europa mit seinen Regularien oft selbst im Weg. So sprach Vizeadmiral Carsten Stawitzki in einem sehr emotionalen Statement von "toxischen Beschaffungsregeln" innerhalb der EU. Man müsse zum Kauf eines simplen Sturmgewehrs erst einmal jahrelange Wettbewerbsprozesse durchlaufen, um dann irgendwann ein neues Gewehr einzuführen. Bei den Amerikanern gehe das alles viel schneller und effizienter. Diese komplizierten Prozesse wirkten sich auch sehr negativ auf Interoperabilität und die flexible Reaktion auf neue Lagebilder aus. Der Admiral räumte auch mit dem Mythos der Beschaffung von der Stange auf. Militärisches Gerät lasse sich nicht im zivilen Supermarkt beschaffen, sondern habe spezielle Grundanforderungen zu erfüllen.

Die Vertreter der Industrie fielen bei der BSC eher durch Blässe auf. Sie nutzten ihre Diskussionsbeiträge prioritiv zur Eigenwerbung oder die ausführliche Reklamation ihrer kurzen Redezeit. Die Zuhörer quittierten das mit einem Gang zur Kaffeetheke. Denn gerade am Rande der Konferenz könnten neue Kontakte geknüpft oder bestehende Kontakte aufgefrischt werden. Letzteres wurde seitens der Teilnehmer immer wieder als einer der wichtigsten Teile einer solchen Konferenz bestätigt.

Bestätigt wurden auf der BSC - egal von welchem Protagonisten - zusammenfassend drei Punkte: Europa hat Verteidigungspotenzial, Europa muss dringend an seinen kontraproduktiven Regelwerken arbeiten und Europa braucht die eng verzahnte Kooperation mit den USA.

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 7. September 2021

IISS eröffnet sein Europa-Büro in Berlin

"Halten Sie den Gegenwind aus, der Ihnen schon bald entgegenwehen wird", waren die abschließenden Worte der Rede von Annegret Kramp-Karrenbauer im AXICA am Pariser Platz. Der Anlass war die offizelle Eröffnung des Büros des IISS Europe. IISS steht für International Institute for Strategic Studies. Das Institut hat fünf Niederlassungen: London, Washington D.C., Singapur, Bahrain und jetzt auch Berlin.

Das IISS-Büro in der Nummer 6 liegt gegenüber der imposanten Event-Location AXICA am Pariser Platz. AXICA trägt die Nummer 3 und gehörte bis zur Enteignung durch die DDR dem von Rohdich'schen Legatenfonds. Vor sechs Wochen befand sich das IISS-Büro noch im Einzugsmodus: leere Räume, Umzugskisten, einige provisorisch verkabelte Arbeitsplätze und viel Raum für die 19 Mitarbeiter am Standort Berlin. Das IISS sammelt immer wieder Experten für verschiedene Fachgebiete um sich und hat weltweit etwa 150 Mitarbeiter. Neben Recherchen in öffentlich zugänglichen Quellen führt das Institut auch Themen-Konferenzen durch und kooperiert mit der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC).

IISS Europe eröffnet sein Büro in Berlin, International Institute for Strategic Studies, Ben Schreer
IISS Europe in Berlin - Dr. Benjamin Schreer ist Executive Director des IISS-Europe

Das 1958 in London gegründete IISS versteht sich als unabhängige Einrichtung zur Analyse und Beratung in sicherheitspolitischen Themen. Der bei der Eröffnungsveranstaltung an die Wand geworfene Slogan "Fakten, Analysen, Einfluss" drückt wohl am besten aus, was das IISS macht und welche Ziele es verfolgt. Berlin wurde bewusst als Europa-Standort gewählt, weil Deutschland einen maßgeblichen Einfluss auf die sicherheitspolitische Agenda Europas hat. Flankiert wird das durch ein leidenschaftliches Buch des IISS-Direktors Bastian Giegerich, der Deutschland zu einem Wechsel der strategischen Kultur aufruft.

Veränderung und Vorankommen mahnte auch die Ministerin in ihrer Rede an. Auch ihr schlägt seit Amtsantritt der Gegenwind ins Gesicht. Dieser reicht von plumpen frauenfeindlichen Einlassungen bis zur Unterstellung von Alleingängen in ihrem Ressort. Viele Maßnahmen wie die Entsendung der Fregatte "Bayern" zur Erfüllung der Indo-Pazifik-Leitlinien oder ihr Einsatz für eine fortschreitende Erhöhung des Verteidigungsbudgets stoßen im Bundestag nicht auf Gegenliebe. Wer genauer hinschaut, wird feststellen, dass sie eine Macherin ist, die ihre Themen konsequent durchzieht und nebenbei noch einen sehr guten Draht zur Truppe aufbaut.

Sehr klar spricht sie immer wieder über ihre Ziele und das aktuelle Lagebild. So plädiert sie für ein stellvertretendes Vorangehen der Willigen und Fähigen nach Art. 44 des EU-Vertrages. Dabei solle flexibel und schnell auf neue Situationen reagiert werden und erst anschließend die Institutionalisierung erfolgen. Bisher wurde in der EU zuerst institutionalisiert und dann gehandelt. Deutlich benannte sie Russland als Aggressor im Osten und führte mit Blick auf die geopolitische Lage aus, dass die Bedrohungen real seien und man eine Truppe brauche, die aus dem Stand heraus einsatzfähig sei. Um Konflikte gar nicht erst in die heiße Phase gelangen zu lassen, favorisiert sie das Mittel der Abschreckung. Die atomare Teilhabe benannte sie als die kostengünstigste Antwort auf die Herausforderung der Entwicklung neuer konventioneller Waffensysteme.

Da sie im politischen Berlin mit ihren Anliegen oft allein auf weiter Flur steht, begrüßt sie die Eröffnung des IISS-Büros sehr. Das Büro wird über die nächsten Jahre maßgeblich durch die Bundesregierung unterstützt. So freuen sich die Ministerin und IISS-Europa-Chef, Dr. Benjamin Schreer, auf das Befeuern der sicherheitspolitischen Debatte. Im divergent besetzten Verteidigungsausschuss herrsche mehr Konsens als im Plenarsaal des Bundestages. Man sei sich auch darüber einig, dass die finanzielle Unterstützung des neuen IISS-Büros gut investiertes Geld ist.

Autor: Matthias Baumann

Samstag, 31. Juli 2021

Active Measures - Desinformation und Einflussnahme durch fremde Mächte

"Und woher weißt du, dass dieses Buch keine Desinformation ist?", hinterfragte meine Frau die Begeisterung über das Buch "Active Measures" von Thomas Rid. Stimmt! Woher sollte ich das wissen? Immerhin geht das Buch selbst auf dicke Bücher ein, die während des Kalten Krieges geschrieben wurden, um die jeweilige Gegenseite bloßzustellen und sogar die körperliche Unversehrtheit genannter Personen zu gefährden.

In einem Seminar hatten wir gelernt, wie man Echtes von Falschem unterscheiden kann. Der Trick sei, dass man sich nicht mit den Facetten des Falschen beschäftigen müsse, sondern lediglich mit dem Echten. Wer mit dem Echten vertraut sei, erkenne jede Fälschung. Als Beispiel wurden Bankangestellte in Skandinavien genannt, die so lange echtes Geld durch ihre Hände gehen lassen, bis sie die Fälschungen bei der leisesten Berührung ausfiltern können. Ein weiterer Punkt, der das Buch vertrauenswürdig machte, war, dass es in der Liste der Literaturempfehlungen der MSC (Münchner Sicherheitskonferenz) aufgeführt war. Zudem wirkte der Inhalt plausibel und mit 54 Seiten für Quellenangaben und Fußnotenerklärungen als gut recherchiert.

Active Measures von Thomas Rid - Die lange Geschichte von Desinformation und Einflussnahme durch fremde Mächte
Active Measures von Thomas Rid zu Desinformation und Einflussnahme durch fremde Mächte

Es beginnt während der revolutionären Strömungen um 1920. Lenin konnte uralte Prinzipien der Desinformation auffrischen und an seine Gefolgsleute weitergeben. Dadurch wurden erhebliche Erfolge bei der Schwächung der "Konterrevolution" erzielt. Ein großer Teil widmet sich der Zeit des Kalten Krieges. Wobei zunächst westdeutsche Gruppen und die USA den Informationskrieg befeuerten. Russland, die Stasi, Tschechien und Bulgarien zogen aber schnell nach und perfektionierten im "brüderlichen" Verbund ihre Gegenmaßnahmen. Die Maßnahmen waren in sich geschlossene Projekte, deren Ausgang aber generell ungewiss war. Bis heute lassen sich Active Measures (aktive Maßnahmen) nicht wirklich messen. Eine Erfolgsgarantie kann nicht gegeben werden, da zu viele Akteure beteiligt sind, die größtenteils unwissentlich die Absichten der Auftraggeber ausführen. Je besser die Planung und die Kreativität der Initiatoren, umso sicherer der Erfolg. Das zeigt sich heute beispielsweise an der Trollfarm der Internet Research Agency (IRA) in St. Petersburg, wo die Mitarbeiter unter einem so hohen Leistungsdruck stehen, dass Qualität und Wirkung der "aktiven Maßnahmen" leiden.

Mit Gorbatschow und dem Ende des Kalten Krieges vor 30 Jahren gab es auch eine Pause bei den Desinformationsprojekten. Die USA und andere westliche Staaten waren schon deutlich früher aus den Aktivitäten ausgestiegen und mussten sich regelmäßig vor ihren Parlamenten verantworten. In autoritativ geführten Ländern leben Desinformation und Staat in einer engen Symbiose, so dass es bis zum Scheitern des sozialistischen Modells zu keinen parlamentarischen Nachfragen kam und munter weitergemacht werden konnte. Mit den Veränderungen in der russischen Innenpolitik wurden auch die Geheimdienste umstrukturiert und damit die Desinformationsexpertise reaktiviert. Inzwischen hatte sich auch die Computertechnik weiterentwickelt, so dass sich ganz neue Möglichkeiten der informationellen Einflussnahme boten. So endet das Buch nach etwa 430 Seiten in der Gegenwart und berichtet von generalstabsmäßig durchgeführten Desinformations- und Cyberangriffen, die in engem Zusammenhang mit begleitenden politischen Ereignissen in der Realwelt standen.

Desinformation verfolgt drei wesentliche Ziele: Erstens soll sie den Gegner schwächen, indem sie interne Unsicherheit und Unzufriedenheit schürt. Ferner soll durch Diskreditierung ein Keil zwischen den Gegner und dessen Partner getrieben werden, was in der Folge wieder zu einer Schwächung des Gegners führt. Ein weiteres Ziel kann die Vertuschung eigener Fehler sein. Dazu wird in der Regel das neudeutsche Instrument des Whataboutismus eingesetzt. "What about" stellt die ablenkende Frage nach dem "Und was ist mit dieser ganz anderen Sache?" Als drittes Ziel geht es darum, das eigene Image nachhaltig aufzupolieren. Letzteres wird aber eher als Beifang der erstgenannten Ziele mitgenommen.

Als Werkzeuge dienen frei erfundene Narrative (Erzählungen), die in sich schlüssig sind. Gerne genutzt werden auch Halbwahrheiten, die vorstellbar und theoretisch möglich sind. Oder es werden tatsächliche Wahrheiten verbreitet, die dem Gegner aber extrem peinlich sind und diesen diskreditieren. Die Initiatoren schauen sich die Schwachpunkte der Gegner an, schaffen Ängste, befeuern diese Ängste, ermitteln die Gegner der Gegner und spielen diese gegeneinander aus. Die Chinesen haben dafür einen passenden Spruch: "Mit dem Dolch eines Anderen morden."

Überhaupt wendet der Informationskrieg bewusst oder unbewusst die alte Strategie "Sieg ohne Kampf" an. Der chinesische General Sun Tsu bezeichnete vor 2.500 Jahren den Sieg ohne physischen Kampf als die höchste Kunst des Siegens. Genau das passiert im Krieg per Desinformation. Das Blutvergießen wird auf ein Minimum reduziert und die gegnerischen Gesellschaften in den Köpfen umprogrammiert. Als in der Regel unwissentlich Ausführende werden oppositionelle oder extremistische Gruppen sowie Multiplikatoren wie Wissenschafler, Berater oder Journalisten benutzt. Je nach Ansprache dienen diese als willige Überträger der feindlichen Botschaften. Teilweise simulieren die Auftraggeber auch selbst das typische Wirken oppositioneller oder extremistischer Gruppen. Dabei ist es egal, ob es der eigenen Ideologie widerspricht. Hauptsache, der Gegner wird geschwächt.

Was also tun? Es wird sich wohl kaum vermeiden lassen, am Gefühl für Wahrheit und Lüge zu arbeiten - so wie die skandinavischen Bankangestellten. Ermitteln vertrauenswürdiger Quellen, eigene Korrigierbarkeit, ein gesunder Abstand zu vorgefassten aber nicht bestätigten Meinungen, Achtsamkeit auf kleine Dinge wie Mikrogesten und ein Hören auf das Bauchgefühl können Bestandteile des Resilienzaufbaus sein.

Autor: Matthias Baumann

Freitag, 11. Juni 2021

MSC Report: das Dilemma von Wettbewerb und Kooperation

Ob Handy, Drohne, 5G-Netz, Marslandung, Quantencomputer oder Elektromobilität: China hat in wichtigen Technologiebereichen die Nase vorn. Wenn es so weitergeht, hat China bald den Westen überholt. Deutschland ist schon seit etwa zehn Jahren von der Entwicklung abgehängt. Und das, obwohl aus der Bundesregierung öfter mal der Begriff "Industrie 4.0" zu hören war. Während man in Deutschland über 4.0 redet, wird in China 4.0 gemacht.

Natürlich merkt auch China, welche Erfolge es einfährt und dass sich insbesondere Europa von der Volksrepublik abhängig gemacht hat. China wertet das als Sieg seines politischen Systems und wird damit auch zu einem politischen Trendsetter. Der Index demokratisch geführter Staaten ist inzwischen wieder auf das Niveau von 1990 gesunken. Wirtschaftsmacht und Demokratie sind also keine zementierte Einheit mehr. China redet offen über seine Interessen und geht deren Durchsetzung zielstrebig an. In sicherheitspolitischen Kreisen wird vermutet, dass nach Hong Kong als nächstes eine Eingemeindung von Taiwan auf der Agenda steht. Auch Japan zittert schon. Der Inselstaat nordöstlich von China rüstet massiv auf und stärkt seine internationalen Partnerschaften.

MSC Report: Between States of Matter - Competition and Cooperation
MSC Report: Between States of Matter - Competition and Cooperation (dji-Drohne aus chinesischer Produktion auf dem neuen MSC Report)

Allerdings sind die Gegengewichte zu China stark segmentiert. USA, Kanada und Japan stehen klar in militärischer und wirtschaftlicher Opposition zu China. Großbritannien, Indien, Deutschland, Frankreich und Italien sehen nur den militärischen Bereich als kritisch an. Sie wollen den großen Handelspartner nicht verlieren und dafür bei Bedarf das Südchinesische Meer mit maritimer Präsenz und möglicher Gewaltanwendung freihalten. Südafrika und Brasilien setzen auf Kooperation in beiden Bereichen: Wirtschaft und Militär. Hier zeigt sich das Dilemma: Einerseits ist China ein interessanter Handels- und Innovationspartner, andererseits verfolgt das Land eine aggressive Wettbewerbspolitik bei Handel, Rohstoffen, Ideologie und territorialer Ausdehnung.

Das Dilemma geht aber noch weiter: Die globalen Themen Erderwärmung und Pandemiebekämpfung lassen sich nur gemeinsam lösen. Corona hatte zwar zwei Monate gebraucht, bis es in Europa angekommen war, aber es war angekommen und dann weiter über den Globus geschwappt. Der neue Report der MSC (Munich Security Conference) trägt deshalb den vielsagenden Titel "Between States of Matter - Competition and Cooperation" - zu Deutsch "Zwischen bedeutsamen Staaten - Wettbewerb und Zusammenarbeit". Der Report enthält diesmal auch die Ergebnisse von weltweit durchgeführten Umfragen zur allgemeinen sicherheitspolitischen Lage. Wer mag wen? Wer hat vor wem besonders starke Angst? Was halten Sie von China? Von Russland? Von der EU? Von Deutschland?

Die mit Abstand größten Phobiker sitzen in Südafrika. In Südafrika hat man Angst vor Rassismus, sozialer Ungleichheit, Hungersnot, Wasserknappheit, Klimawandel und weiteren Pandemien. China taucht auf Platz 13 auf. Russland, USA, Europa spielen in Südafrika kaum eine Rolle oder werden positiv wahrgenommen. Südafrika fühlt sich auch sehr schlecht auf die abgefragten Herausforderungen vorbereitet. Alle anderen großen Länder machen sich vorrangig um das Klima und weitere Pandemien Sorgen und unterscheiden sich nur in zwischenstaatlichen Befindlichkeiten. So stehen bei russischen Antwortgebern die USA und Desinformationen ganz weit oben. Die größte Sorge in der "lupenreinen Demokratie" Russlands gilt jedoch der sozialen Ungleichheit. Bei Indien, Japan und den USA steht China als Problemfall ganz weit oben. Im Gegenzug rangieren die USA bei chinesischen Befragten an erster Stelle. Fast wie im Buddelkasten, wenn sich die Kinder gegenseitig Schippe und Förmchen ausgeborgt haben. In Deutschland fliegen China und Russland weit unter dem Radar der kritischen Wahrnehmung. Hier hat man eher Angst vor islamistischem Terror. Islamistischer Terror steht in Frankreich sogar auf Platz Eins.

China, China, immer nur China. Aber was ist mit Russland? China hat Russland in dessen Bedeutung als Gegenpol zum Westen abgelöst. Russland und China stehen sich zwar irgendwie recht nah, passen aber nicht wirklich zueinander. Auch sind die Interessen unterschiedlich. Russland ist schon seit zaristischer Zeit auf den Zugewinn von Land eingestellt. Das hat sich bis heute nicht geändert. Das kollidiert aber mit den territorialen Interessen von China. Zudem will China den Kurs bestimmen. Russland will das auch. Russland ist allerdings zu schwach, um dort adäquat mithalten zu können. Deshalb nimmt es die Rolle des Störers ein. Russland provoziert zwar gerne, vermeidet zurzeit aber militärische Abenteuer. Das Land hat zwar seine Streitkräfte massiv modernisiert, weiß aber, dass es nur dann angreifen kann, wenn ein schneller Erfolg sicher ist. Lang anhaltende Operationen kann Russland nicht finanzieren.

Bezüglich der politischen Einflussnahme - auch Destabilisierung genannt - ergänzen sich China und Russland hervorragend. Beide Staaten setzen auf eine interne Zersetzung anderer Staaten. Sei es durch das Einkaufen wichtiger Unternehmen, die Finanzierung destruktiver Bewegungen oder die Verbreitung von Desinformationen. Letztere verfälschen Tatsachen, erfinden wirkmächtige Anekdoten oder stellen das Handeln von Russland und China besonders heldenhaft dar. Beispiele dafür sind die medial hoch angehängten Lieferungen von Impfstoffen oder Masken. Die Ausschussrate bei chinesischen Masken lag bei 20%. Interessant ist hier auch, dass die chinesische Seidenstraßenaktion mit einem Investitionsvolumen von 255 Milliarden USD weit hinter japanischen Infrastrukturinvestitionen liegt. Japan investiert 367 Milliarden USD. Nur redet Japan nicht so viel darüber.

Apropos Geld: Seit acht Jahren ist ein Abwärtstrend beim Rohölpreis zu verzeichnen. Durch die Umstellung auf alternative Energieformen bleiben die arabischen Staaten auf ihrem Öl sitzen. Der Preis ist inzwischen so stark gesunken, dass nur noch Katar mit einer kleinen Rendite arbeitet. Oman, Saudi Arabien und Algerien erreichen schon seit 2015 keine Kostendeckung mehr. Die sozialen Folgen könnten in näherer Zukunft auch in Europa spürbar werden. Dafür gibt es für die Machthaber in der Republik Kongo einen Aufschwung. Die Cobalt-Vorkommen in dieser Region sind wichtig für neue Energietechnologien. Das weiß auch China und hat dort schon einige Infrastrukturmaßnahmen durchgeführt.

Wo ist eigentlich Europa? Diese Frage stellen sich nicht nur die USA. Während die USA ein klares Gegengewicht zu China demonstriert, zeigt sich Europa mal wieder uneinig und unentschlossen. Deutschland und Frankreich stehen hier in besonderer Verantwortung. Um Deutschland in die Puschen zu helfen, wurde vor wenigen Tagen von Mitarbeitern des IISS (International Institute for Strategic Studies) ein Buch zur strategischen Verantwortung Deutschlands veröffentlicht. Wenn Deutschland also schon die technische Entwicklung verschlafen hat, sollte doch die Übernahme der geopolitischen Verantwortung nicht auch noch verschlafen werden. Vakuum wird immer gefüllt. Fragt sich nur, durch wen?

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 25. Februar 2021

IISS stellt die #MilitaryBalance 2021 vor

Die Military Balance ist ein über 500 Seiten starkes Werk, das das IISS (International Institute for Strategic Studies) in jedem Frühjahr herausbringt. Es enthält zu über 170 Staaten sicherheitspolitisch relevante Eckdaten wie Bruttoinlandsprodukt, Verteidigungshaushalt, Bevölkerungsstruktur, militärisches Gerät, Anzahl der Soldaten und jede Menge Analysen zur regionalen Rüstungsindustrie, zu Innovationen, tatsächlichen Fähigkeiten, Absichten und Entwicklungen. Die in der Military Balance gelieferten Daten gelten als zuverlässig.

Normalerweise findet die Vorstellung des neuen Buches am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) statt. So wie die MSC versteht sich auch das IISS als Think Tank. Think Tank ist der neudeutsche Begriff für Denkfabrik. Es bündelt also verschiedene Kräfte aus verschiedenen Bereichen, die durch ihre facettenreiche Herangehensweise ein möglichst objektives und optimales Ergebnis erzeugen.

Während Medien, Mittelstand und Privatpersonen mit Corona beschäftigt sind, geht der Aufwärtstrend bei den Verteidigungsausgaben unvermindert weiter. Besonders signifikant war das im Berichtszeitraum in Europa und in China. Europa kämpft sich der 2%-Verpflichtung gegenüber der NATO entgegen und hat inzwischen schon den durchschnittlichen Wert von 1,64% erreicht. Das dürfte den reaktivierten Partner westlich des Atlantik freuen und zu einer umso engeren Zusammenarbeit bewegen.

IISS stellt die #MilitaryBalance 2021 vor
IISS stellt die #MilitaryBalance 2021 vor - Die 15 Länder mit den höchsten Verteidigungshaushalten - Grafik (C) IISS 2021

Die USA geben 738 Milliarden USD und stehen damit ungebrochen an Platz 1. Dieser Betrag entspricht 40,3% der weltweiten Verteidigungsausgaben. Es folgt China mit nahezu bescheiden anmutenden 193,3 Milliarden USD für seinen Haushalt. Nach einer weiteren großen Lücke schließen sich Indien mit 64,1 Milliarden USD, Großbritannien mit 61,5 Milliarden USD, Russland mit 60,6 Milliarden USD, Frankreich mit 55 Milliarden USD und Deutschland mit 51,3 Milliarden USD an. Deutschland ist damit Teil der Top 7. Erst danach kommen Japan, Saudi Arabien und Südkorea.

China arbeitet konsequent auf sein Ziel hin, bald wieder "Kriege gewinnen" zu können. So baut das Land weiter seine Präsenz im Südchinesischen Meer aus und agiert dort mit paramilitärischen Kräften. China schafft ein Schiff nach dem anderen an. Die Zahl der chinesischen Korvetten hat sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt. Verdoppelt haben sich auch die großen Anlandungsschiffe. Weitere Anlandungs- und Kampfschiffe sind bestellt. Damit diese Schiffe möglichst ungestört durch die Meere kreuzen können, hat China auch intensiv bezüglich der U-Boot-Bekämpfung aufgerüstet. Damit aber nicht genug: Auch der Flottensupport wurde seit 2015 nahezu verdoppelt und ebenso der schwere Lufttransport. Corona war ein willkommener Anlass, die logistischen Fähigkeiten der chinesischen Streitkräfte zu testen - und keiner hat es gemerkt - außer dem IISS.

Klar, dass die asiatischen Nachbarn unruhig werden und sich über Papiere wie die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung freuen. Großbritannien entsendet demnächst einen Flugzeugträger in die Region. Allerdings kann auch dieser nur in Kooperation mit multinationalen Partnern etwas ausrichten - und sei es die verzögernde Abschreckung. Ob und wann Deutschland die versprochene Fregatte entsendet, ist noch unklar. Ein Konflikt im Indischen Ozean würde Deutschland aufgrund seiner Handelsstärke sehr empfindlich treffen. Weichen müssen jetzt gestellt werden, da China nicht auf den einvernehmlichen Abschluss der Debatten um das G36 oder die Bewaffnung von Drohnen warten wird.

Auf einer Skala der weltweiten Bedrohungen steht China ganz oben. Es folgt Russland mit seinem stark modernisierten Raketenprogramm. Das größte Problem stellen die Überschallraketen dar, denen Europa und die NATO keine wirklichen Abwehrtechnologien entgegenzusetzen haben. Man kann dann nur hoffen, dass die Rakete nicht im eigenen Büro einschlägt. Zumindest verschafft es Russland eine nützliche Position zum Erstschlag. Deshalb muss die NATO eine glaubhafte Abschreckung mit Hinweis auf einen Zweitschlag aufbauen. So dreht sich die Eskalationsschraube weiter nach oben. Die USA hatten Russland bislang immer als Störer wahrgenommen und benannt. Barack Obama hatte mit seiner Äußerung, dass Russland nur noch eine Regionalmacht sei, wohl an der russischen Ehre gekratzt und deren Aggressivität herausgefordert. Laut Wolfgang Ischinger, dem Leiter der MSC, war es "nicht hilfreich, das öffentlich so zu formulieren." Russland agiert also wie das bockige Kind, das in seiner Wut überdimensionale Kräfte entwickelt, die es normalerweise gar nicht hat.

Als drittgrößte Bedrohung nach China und Russland wurde der Iran mit seinem Nuklearprogramm genannt. Hier tut sich aber gerade wieder etwas seit dem Präsidentenwechsel in den USA. Immer spannender wird das Gebiet der hybriden Bedrohungen. Der ganze Verteidigungshaushalt nützt nichts, wenn die Gesellschaften von innen demontiert werden, wenn Infrastruktur angegriffen wird oder in großem Stil Desinformationen eingespeist werden. Hier ist gesamtgesellschaftliche Resilienz gefordert. In Nordosteuropa ist man in dieser Hinsicht schon sehr weit. Auch die NATO und die EU in Brüssel beschäftigen sich damit. In Deutschland scheint das Thema nur in sicherheitspolitisch interessierten Kreisen angekommen zu sein und wird deshalb in der Praxis kaum angegangen.

Die heutige Vorstellung der Military Balance 2021 erfolgte in mehrfacher Hinsicht Corona-gerecht: Die Diskussionsteilnehmer saßen entweder in separaten Büros oder waren in ihrem Londoner Konferenzsaal durch Glasscheiben getrennt. Zur Stärkung gab es für sie Wasser, Muffins und Croissant. Wer per Zoom zugeschaltet war, konnte Fragen an die Experten des IISS stellen. Viele der Fragen kamen von britischen Zeitungen, aber auch aus Berlin.

Autor: Matthias Baumann

Samstag, 20. Februar 2021

#MSC2021 - Klimawandel beschäftigt jetzt auch alte weiße Männer

"Das sagt doch Greta Thunberg schon lange." - "Ja, nur wer hört auf ein kleines schwedisches Mädchen?" Die gestrige virtuelle Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) hat neben Corona und der stark verbesserten Qualität der transatlantischen Beziehungen einen spürbaren Fokus auf den Klimawandel gelegt. Vor zwei Jahren war das Thema bereits im Hauptsaal der MSC diskutiert worden - am Samstag, dem wichtigsten Tag der Konferenz. Eingeleitet wurde die Podiumsdiskussion damals durch einen Vortrag von Prof. Schellnhuber. Prof. Schellnhuber ist Direktor des Potsdam Institute for Climate Impact Research (Institut für Klima-Folgen-Forschung in Potsdam).

Seine Folien wurden leider nicht mitgefilmt und sind zurzeit auch nicht für die Veröffentlichung gedacht. Sie behandeln verschiedene Szenarien der Erderwärmung je nach konkretem Anstieg der Temperaturen. Sicher sei jedoch, dass einige Gebiete in Äquatornähe bald nicht mehr bewohnbar sein werden. Das betrifft große Teile Brasiliens und Länder wie Ghana, Nigeria und die Elfenbeinküste. Indonesien würde wie das sagenumwobene Atlantis in die Geschichte eingehen. Gefolgt von den Inseln der Karibik und den Malediven.

#MSC2021 Klimawandel Bill Gates
#MSC2021 - Bill Gates zur Bekämpfung der Pandemie und zum Umgang mit dem Klimawandel - Foto (C) MSC Special Edition 2021, Munich, 19/02/2021

Nur, was interessiert uns hier im Norden, was auf den Malediven passiert? NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach es gestern aus: Klima ist ein sicherheitspolitisches Thema. So wie die Pandemie nicht an Grenzen halt macht, so werden auch die Flüchtlinge aus den klimatisch unbewohnbaren Regionen in den Norden strömen. Ein großer Teil wird sich in den zumeist fragilen Staatsgebilden erst einmal gegenseitig töten. Ethnische Minderheiten werden davon besonders betroffen sein. Wer das überlebt, wird sich auf den langen Weg nach Norden machen.

Bill Gates, der eigentlich wegen der Corona-Bekämpfung dabei war, sprach davon, dass durch den Klimawandel und dessen Folgen wie Missernten fünf Mal mehr Menschen pro Jahr sterben werden als durch Pandemien. Dieses Statement wurde so nüchtern und abgeklärt vorgetragen, dass an dieser Aussage kaum Zweifel aufkommt. Ein Young Leader (MSC-Nachwuchs) aus Bangladesch sprach von bis zu 30 Millionen Menschen, die sich in Bewegung setzen würden, wenn sein Land im Golf von Bengalen versinkt. Der ehemalige US-Außenminister John Kerry ist unter Joe Biden für den Klimaschutz zuständig. Bei genauem Zuhören war festzustellen, dass der buchstäbliche Untergang vieler Inseln und Küstenregionen gar nicht mehr in Frage steht. Es geht jetzt vielmehr darum: Was passiert mit den vielen Leuten, die dort jetzt noch wohnen?

#MSC2021 Klimawandel John Kerry
#MSC2021 - John Kerry zum Klimawandel - Foto (C) MSC Special Edition 2021, Munich, 19/02/2021

Joe Biden, der übrigens seine allererste außenpolitische Rede hier auf der virtuellen #MSC2021 gehalten hat, war mit einer seiner ersten Amtshandlungen zum Pariser Klimaabkommen zurückgekehrt. Klimawandel betreffe uns alle. Sehr dankbar zeigte er sich über die "Führungsstärke Europas" in dieser Sache. Seine "gute Freundin Angela Merkel" sprach nach ihm und möchte "durch Taten überzeugen". Auch Emmanuel Macron erwähnte das Klima am Rande seiner sehr kurzen Ausführungen.

John Kerry hatte entsprechend seines Ressorts kein anderes Thema. Er plädiert für Null CO2 bis 2050 und setzt sich dafür ein, dass das bisherige Ziel für 2030 deutlich nachgebessert werde. Sei das Ökosystem erst einmal nachhaltig geschädigt, könne man es nicht wie nach einer Pandemie wiederherstellen. John Kerry ist ein großer Freund der CO2-Bepreisung. Private und staatliche Akteure sollten massiv zur Kasse gebeten werden, um die Situation noch in eine erträgliche Bahn zu lenken. Als 77-Jähriger könnte ihm das Klima eigentlich egal sein. Aber er sorgt sich um die nachrückenden Generationen. Um diesem altruistischen Ansatz weitere Geltung zu verschaffen, lädt er zu den Klimakonferenzen nicht nur die Industrienationen des Nordens ein, sondern auch Betroffene aus den Regionen, die bald nicht mehr bewohnbar sein werden.

Autor: Matthias Baumann

Samstag, 19. Dezember 2020

Die Spanische Grippe von 1918 und die verblüffenden Parallelen zu #COVID19

Parallel zur Spanischen Grippe tobte der Erste Weltkrieg. Es wurden rund 80.000 Bücher über diesen Krieg verfasst und nur etwa 400 Bücher über die Spanische Grippe. Dabei hat die Spanische Grippe mehr Todesopfer gefordert, als der Erste und der Zweite Weltkrieg zusammen. Im Ersten starben etwa 17 Millionen Menschen und im Zweiten etwa 60 Millionen. Nach heutigen Erkenntnissen ist davon auszugehen, dass die Spanische Grippe bis zu 100 Millionen Menschen dahingerafft hat. Dass das so schnell in Vergessenheit geraten war, liegt wohl auch daran, dass es bei einer Pandemie keine Sieger gibt und sich die Tragödien auf einer sehr privaten Ebene abspielen.

Die Zeiten ändern sich: Damals hatte der Krieg die Pandemie überdeckt. Heute überdeckt die Pandemie den Krieg. Afrika hat während Corona eine Verdoppelung der Einzelkonflikte auf über 150 erlebt. Die Kämpfer nutzten die allgemeine Ablenkung und fragile Strukturen. Wie verletzlich soziale und staatliche Systeme sind, brachte das Virus schonungslos zu Tage. Deshalb spricht die MSC (Münchner Sicherheitskonferenz) auch von einer Polypandemie.

Die Spanische Grippe von 1918 und die verblüffenden Parallelen zu #COVID19 - Pale Rider by Laura Spinney
Die Spanische Grippe von 1918 - Pale Rider von Laura Spinney

Wäre die Spanische Grippe stärker im Bewusstsein der Historiker gewesen, hätte man daraus viel für Corona lernen können. Aber wer rechnet schon damit, dass es nach 100 Jahren mal wieder eine globale Virusinfektion gibt. 1918 gab es übrigens drei Wellen. Die erste war ähnlich schwach wie Corona in Deutschland. Die zweite Welle war verheerend und machte auch vor berühmten Personen und deren Angehörigen nicht Halt. So ist davon auszugehen, dass nicht alle literarischen Werke oder Malereien der Nachkriegszeit auf den Krieg zu beziehen sind, sondern dem geistigen Zustand der eigenen Virusinfektion entspringen oder der Aufarbeitung des Verlustes der Familie durch diese Krankheit dienen. Die Intensität der dritten Welle bewegte sich zwischen den vorherigen Wellen. Der erste Fall war am 4. März 1918 registriert worden und der letzte Fall im März 1920. Die Pandemie lief also weltweit um die zwei Jahre.

Eine normale Grippe zeichnet sich demografisch durch ein U aus: Links stehen die ganz kleinen Kinder und rechts die Senioren. Die Spanische Grippe kam mit einer W-Kurve daher. Besonders waren schwangere Frauen, deren Kinder, Senioren sowie Menschen mittleren Alters betroffen. Das Durchschnittsalter lag bei 29 Jahren. Viele Infizierte waren zunächst symptomfrei und kippten dann teilweise von einem zum anderen Moment um. Auch die "rechte Hand" Lenins, Jakow Swerdlow, fiel der Grippe zum Opfer und war nach nur einer Woche tot. Über diesen Weg wurden diverse geopolitische Weichen gestellt. Der nach Amerika ausgewanderte Frederick Trump starb im Mai 1918 an der Spanischen Grippe und hinterließ ein Vermögen, das seine Kinder in Immobilien anlegten. Sein Enkel heißt Donald.

1918 konnte man Viren noch nicht sehen. Diese sind um das 20-fache kleiner als Bakterien. Deshalb unterzogen sich die Ärzte riskanten Selbsttests mit dem Blut infizierter Personen und tasteten sich an die Erkenntnis heran, dass es einen unsichtbaren Erreger geben müsse, den man lediglich an seiner Wirkung erkennen könne. 1943 wurden unter einem neu entwickelten Elektronenmikroskop erstmals Viren entdeckt. Inzwischen kennt man deren RNA (Ribonukleinsäure) und damit deren Erbfolge. RNA sind deutlich kürzer als unsere DNA (Desoxyribonukleinsäure). Tückisch an der RNA ist, dass sich diese während der Pandemie ändern kann. Das hat Auswirkungen auf die Gegenmaßnahmen und auf die möglichen Überträger: vorzugsweise Menschen, Schweine und Vögel. Vögel sind Hauptträger von Viren, werden von diesen aber in Ruhe gelassen.

Es ist sehr schwer, den Ausgangspunkt zu ermitteln. Bei Corona lässt sich das für die ersten zwei Monate präzise nach China verorten. Bei der Spanischen Grippe könnte es China, Kansas in den USA oder Étaples in Frankreich gewesen sein. Dass sich die Pandemie nun als Spanische Grippe etabliert hat, liegt am bekannten Thema Desinformation. Sämtliche Kriegsparteien hatten 1918 ihre Presse zensiert. Deshalb durfte diese nichts über die Grippe schreiben. Spanien war neutral. Deshalb durfte die Presse dort frei über die Grippe informieren.

Desinformation ist nicht die einzige Parallele zur aktuellen Corona-Pandemie. Es gab Impfgegner, gewalttätige Proteste, fehlende Akzeptanz gegenüber Quarantäne, Priorisierung nach politischen Interessen, Argwohn gegenüber weniger infizierten Personengruppen und eine Intensivierung religiöser Handlungen. Wer sich in der Bibel auskannte, verglich das mit dem 6. Kapitel der Offenbarung. Im achten Vers erscheint der vierte der apokalyptischen Reiter auf einem fahlen Pferd - der Tod. Überhaupt wird in der Offenbarung - dem letzten Buch der Bibel - viel über Kriege, Seuchen und Naturkatastrophen berichtet, die als Mahnung und Gericht über die Erde ziehen.

Ein aufstrebender Bischof in Spanien lud deshalb die ganze Stadt zu Gottesdiensten ein. Es wurde Mundkommunion (Oblate aus der Hand des Priesters in den Mund des Gläubigen) und reichliches Küssen der Heiligenstatuen praktiziert. Als plötzlich viele Gläubige und eigenes Personal erkrankten, wurde das als Gericht und Prüfung Gottes interpretiert. Den Totenprozessionen folgten die noch gesunden Einwohner. Nach dem Küssen der Leichen wurden sie dann auch krank.

Einige Hafenstädte kamen recht gut durch die Pandemie, weil sie ausgereifte Quarantänekonzepte hatten. Schon damals war klar, dass nur eine Kontaktunterbrechung wirkungsvoll die Ausbreitung des Virus stoppen kann. Island blockierte einfach die eine Straße in den Norden und schützte so einen Teil des Landes. Der Hafen im Süden wurde durch Quarantäne geschützt. In Alaska war man nicht so gut vorbereitet. Dort starben 40% der Bevölkerung. In Südafrika starben etwa 10% der Bevölkerung und in Indien über 6%. Australien kam wegen seiner Quarantäne-Regeln gut durch die Spanische Grippe. Neuseeland und die Philippinen erwischte es hart, weil dort keine Maßnahmen ergriffen wurden.

Zeitverzögerte Symptome und milde Verläufe hatten 1918 vielen Kontaktpersonen das Leben gekostet. Auch damals wusste man nicht, wen es als nächstes erwischt und welche Langzeitfolgen es hat. Angst und Verzweiflung gingen um. Die Spanische Grippe hat wohl einen ähnlich hohen Einfluss auf die geopolitische Entwicklung gehabt, wie es sich nun bei Corona abzeichnet.

Autor: Matthias Baumann

Freitag, 27. November 2020

Haushaltsgesetz 2021 und die Frage nach dem einen Haushalt für 3 Ressorts im Umfang von 3% des BIP

Vier Stunden mit Maske in der Bundespressekonferenz zu sitzen, ist schon herausfordernd. Das ist aber gar nichts gegenüber dem, was die Vertreter der Bundestagsfraktionen geleistet haben: Mehr als 17 Stunden lang hatten sie von gestern 11:08 Uhr bis heute 4:37 Uhr um die finale Fassung des Haushaltsgesetzes 2021 gerungen. Nach einer kurzen Verschnaufpause saßen sie der Presse gegenüber. Dafür sahen die Damen und Herren aber noch erstaunlich frisch aus.

Corona ist wohl der größte Einflussfaktor für das Haushaltsgesetz 2021. Selbst die Opposition kommt zu dem Ergebnis, dass eine Aufstockung des Haushalts dafür richtig sei. Sie bemängelt lediglich die Art der Finanzierung und wirft Olaf Scholz vor, einen "Wahlkampfhaushalt" zusammengebaut zu haben. Und dann kommen auch schon die Differenzen innerhalb der Nichtregierungsparteien: Die Linke will die Schuldenbremse abschaffen und die FDP möchte diese strikter anwenden. Die Linke spricht sich für einen Lastenausgleich in Form von Sonderabgaben für Vermögende aus, während die FDP genau diese Personengruppe entlasten möchte, um ein gutes Investitionsklima zu schaffen. Die Grünen fordern ökologische Auflagen für bezuschusste Großunternehmen und die AfD möchte die Asylrücklagen zugunsten der Refinanzierung auflösen. AfD (459) und FDP (527) hatten mehr als die Hälfte der über 1.800 Änderungsanträge in die Bereinigungssitzung eingebracht.

#MSC #MSR Haushaltsgesetz 2021 und die Frage nach dem einen Haushalt für 3 Ressorts im Umfang von 3% des BIP
Haushaltsgesetz 2021 und die Frage nach dem einen Haushalt für drei Ressorts (Verteidigung, Diplomatie und Entwicklung) im Umfang von 3% des BIP

Nach der Opposition durften sich auch die Regierungsparteien zum Haushaltsgesetz 2021 äußern. Die CDU/CSU beklagte sich darüber, dass sich die Länder auf Kosten des Bundes ausruhten, obwohl diese nach aktuellen Erkenntnissen ähnliche Einnahmen wie 2019 hätten. Anders sehe das beim Bund aus. Die Union plädiert wie die AfD für die Auflösung von "Ausgaberesten". Es habe sich eine Mentalität des Ansparens etabliert, die vorhandene Gelder blockiere. Die SPD erläuterte die 35 Mrd. Euro für Corona: 15 Mrd. Euro seien verplant und 20 Mrd. Euro stehen als Reserve bereit, sind aber zu diesem Zweck vorerst gesperrt. Es war auch die SPD, die auf den weiter gewachsenen Verteidigungshaushalt in Höhe von 46,93 Mrd. Euro einging. In Relation zum gesunkenen BIP ist der Haushalt den 1,5% sehr nahe und steuert damit weiter auf die 2%-Verpflichtung gegenüber der NATO zu.

Da heute die haushaltspolitischen Sprecher sämtlicher Fraktionen zugegen waren, bot sich die Frage an, was sie denn vom jüngsten haushaltspolitischen Vorschlag der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) halten. Deren Vorsitzender, Wolfgang Ischinger, hatte vor wenigen Tagen in einer Videokonferenz noch einmal Folgendes bekräftigt: Das Ressort Verteidigung (BMVg), Diplomatie (Auswärtiges Amt) und Entwicklung (BMZ) sollten einen gemeinsamen Haushalt bekommen. Dieser solle einen Umfang von 3% des BIP haben. Das entspricht etwa 100 Mrd. Euro. Ziel sei es, die außen- und sicherheitspolitischen Aktivitäten der Bundesregierung optimal aufeinander abzustimmen und ressortübergreifende Konzepte umzusetzen. Komplexe geopolitische Entwicklungen erfordern ein konzertiertes Handeln.

Die AfD hatte von diesem Vorschlag noch nichts gehört. Es sei undenkbar, dass man so starke Ministerien unter einen Hut bringen könne. Überhaupt seien 3% des BIP viel zu hoch. Man bedenke zudem den bürokratischen Aufwand bei der Zusammenlegung der Ressorts.

Grüne und Linke haben eine sehr ähnliche Meinung zu diesem Thema: Militärisches und Ziviles müssten getrennt sein. Die 2%-Verpflichtung gegenüber der NATO sei völlig falsch. Die Grünen können sich allerdings eine inländische Krisenprävention in Zusammenarbeit mit Innenministerium (BMI) und BMVg vorstellen. Auf ihrer Delegiertenkonferenz hatten sich die Grünen vor wenigen Tagen auf ihre Linie bei der Außen- und Verteidigungspolitik festgelegt: Abrüstung, Rüstungskontrolle, Verbot von ABC-Waffen, Ende der nuklearen Teilhabe und eine Einbeziehung von China in die Abrüstungsbemühungen. Das würde funktionieren, wenn alle mitmachen. Das sieht "da draußen" aber seit mindestens sechs Jahren ganz anders aus.

Die FDP freute sich über die Frage und warf ein, dass sie ja diese Idee gehabt habe. Es gehe um die 3D: Defense, Diplomacy und Developement - also Verteidigung, Diplomatie und Entwicklung. Die FDP findet eine Kombination dieser Ressorts und damit den Vorschlag der MSC sehr sinnvoll.

Die CDU/CSU zuckte bei den 3% zusammen. Eckehardt Rehberg rechnete auf die Schnelle die Eurobeträge aus. Derzeit stehen für die 3D 64 Mrd. Euro zur Verfügung. 3% des BIP wären mit Dämpfungsfaktor Corona gut 100 Mrd. Euro. Nein, das sei "keine gute Idee". Es sei "nicht realistisch" und die mit einer Ressortkombination einhergehende "Bürokratie zu hoch".

Die SPD setzte auf der Argumentation von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer auf und bemerkte, dass das BIP zu variabel sei, als dass man es mit Prozentwerten auf den Haushalt adaptieren könne. SPD-Sprecher Dennis Rohde plädierte für einen Haushalt, der in einem sinnvollen Umfang die notwendigen Mittel für den Aufbau und den Erhalt der Fähigkeiten bereitstelle. Eine Kombination der Ressorts konnte er sich auch nicht vorstellen.

So bleibt festzuhalten, dass die FDP die höchste Zustimmung zu dem einen Haushalt für drei Ressorts mitbringt und offensichtlich den höheren Sinn hinter dieser Idee erkannt hat. Linke, Grüne und AfD stehen dem skeptisch und ablehnend gegenüber, während die beiden Regierungsparteien SPD und CDU/CSU weiter ihre Agenda durchziehen und erst einmal so langsam das 2%-Ziel der NATO anpeilen.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 19. November 2020

Poly-Pandemie: MSC analysiert die Folgeerscheinungen von Corona

Mit globaler Gesundheit unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten beschäftigt sich die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) schon seit 2017. Bis März 2020 wurde das weder wahr- noch ernstgenommen. Im Februar fanden zwar einige Side-Events zu Corona und Gesundheit statt, diese wurden aber nur von wenigen Teilnehmern besucht. Das Problem hatte Asien noch nicht verlassen.

Auch wenn mit Corona zahlreiche Anbieter für vereinfachte Weltmodelle auf den Plan getreten sind, hat doch die Pandemie ein komplexes Lagebild produziert. Dieses Lagebild zeige "schonungslos die Versäumnisse der Vergangenheit" auf. Man könne schon fast von einem "multilateralen Organversagen" mit "Langzeitschäden" reden - so die Hauptautorin des Reports, Sophie Eisentraut. Deshalb redet die MSC auch von einer Poly-Pandemie, die mehrschichtig abläuft und fünf Hauptbereiche tangiert:

#MSC MSR Special Edition Polypandemic
#MSC Münchner Sicherheitskonferenz Report #MSR Special Edition Polypandemic - Foto: MSC / Kuhlmann

1) Hunger und Unterernährung wurden mindestens verdoppelt. Hochrechnungen haben ergeben, dass Ende 2020 bis zu 828 Millionen Menschen davon betroffen sein könnten. Das entspricht dem 10-fachen der Einwohnerzahl Deutschlands.

2) Die Schere der Ungleichheit geht weiter auf. Das beginnt bei den Corona-Tests, geht über die Ärzte je Einwohner und endet bei der Todesrate im Vergleich von farbigen zu weißen Bürgern insbesondere in den USA. Das Verhältnis liegt dort bei 30% zu 9%.

3) Seit 30 Jahren hat sich weltweit erstmals wieder die Armut erhöht. So wurden knapp 500 Millionen Vollzeitstellen gestrichen und das durchschnittliche Einkommen sank um 20%.

4) Der Autoritarismus erlebt eine Renaissance: staatliche Restriktionen, Einschränkung der Pressefreiheit und brutales Vorgehen gegen demokratische Kräfte. Der Ruf nach dem einen starken Führer wird lauter. Verschwörungstheorien demontieren bestehende Regierungskonzepte.

5) Der Migrationsdruck wächst. Gescheiterte Staaten brechen vollends zusammen und versinken im Chaos. Die Radikalisierung steigt. 21.000 Menschen kamen während der ersten Pandemie-Monate in bewaffneten Konflikten ums Leben. Terroristische Aktivitäten nahmen um 21% zu.

Hinzu kommen noch die Auswirkungen auf globale Entscheidungsprozesse. Bei Ebola wurde innerhalb eines Tages reagiert. Bei Corona nimmt man sich 3 Monate Zeit. 91% aller Schüler und Studenten weltweit sind von Schließungen ihrer Lehreinrichtungen betroffen. 1,6 Milliarden Kinder mussten im April 2020 zu Hause bleiben. Die MSC beziffert zwei Millionen Tote, die nicht an Corona gestorben sind, aber ohne das Freihalten der Kapazitäten hätten intensivmedizinisch behandelt werden können.

Afrika spürt bisher hauptsächlich die globalen Folgen der Pandemie: Hunger, Armut, Ungleichheit, Radikalisierung und Flucht. Mit Corona selbst können die Afrikaner nach Ebola sehr gut umgehen. Während Ebola wurden Hygienekonzepte entwickelt und Behandlungseinrichtungen geschaffen. Diese wurden jetzt einfach reaktiviert.

Corona bietet aber auch diplomatische Chancen. So sieht MSC-Chef Wolfgang Ischinger hier eine der wenigen Schnittmengen, wieder mit Russland konstruktiv ins Gespräch zu kommen. Ähnliches gilt für China. Sein Traum ist es, Russland, China und die USA bei der MSC im Februar 2021 zusammen auf die Bühne zu holen. Ob dieser Traum Wirklichkeit wird, entscheidet unter anderem die Pandemie.

Autor: Matthias Baumann

Montag, 9. November 2020

#NATO2030 Young Leaders Summit

Die NATO gibt sich jung und zukunftsorientiert. Jens Stoltenberg ohne Krawatte. Jens Stoltenberg am Videomischpult. Videos mit schnellen Schnitten und modernen Beats. Sicherheitspolitischer Nachwuchs ist gefragt bei der NATO. Dieser kommt aus sämtlichen Mitgliedsstaaten: Kanada, Estland, Deutschland, Spanien, Großbritannien, USA und weiteren. Was bewegt eine Generation, die im Jahr 2030 zu den Entscheidungsträgern gehören wird?

Um das zu erfahren, wurden in die heutige Webkonferenz mehrere Umfragen eingebaut. Die Ergebnisse waren durchaus interessant. So betrachten etwa die Hälfte der jungen Leiter (Young Leaders) die NATO als eine Gemeinschaft, deren Zweck der Erhalt demokratischer Werte und Strukturen sei. Die Mitgliedsstaaten umfassen etwa eine Milliarde Menschen. Die NATO will diese unter einen Hut bringen. Jens Stoltenberg stellte deshalb die Einheit heraus. Wenn es Meinungsverschiedenheiten gebe, könne man sich kraft dieser Einheit hinsetzen und die Themen ausdiskutieren, bis ein für alle faires Ergebnis erreicht sei. Ein Teilnehmer sagte, dass er die NATO weniger als Organisation sehe, sondern mehr als eine Community (Gemeinschaft). Eine Organisation versinke in ihrem administrativen Selbstzweck, während eine Community ein lebendiger Organismus sei, der tatsächlich etwas bewege.

Dass die NATO mehr als eine militärische Allianz ist, wurde mehrfach bestätigt: Werte, Demokratie, gemeinsame Verteidigung, Resilienz, gleiche Herausforderungen, Umgang mit der Pandemie und wirtschaftliche Beziehungen verflechten die NATO-Staaten miteinander. Das Netzt erstreckt sich von den USA über Europa bis nach Japan und Australien.

#NATO2030 Young Leaders Summit
#NATO2030 Young Leaders Summit - virtuelle Konferenz mit jungen Leitern aus verschiedenen NATO-Mitgliedsstaaten - oganisiert von NATO und der Münchner Sicherheitskonferenz #MSC2021

Ältere Leiter fokussieren sich derzeit auf China, Russland, den IS oder Corona. Die jungen Leiter von #NATO2030 sehen ganz andere Schwerpunkte. Sie betrachten weder die USA, noch China, noch Russland als fähig, im Jahr 2030 die Weltpolitik zu polarisieren. Sie gehen mehrheitlich davon aus, dass es Szenarien des Kalten Krieges geben wird. Ein kalter Krieg, der von sämtlichen Akteuren mit Desinformation und weiteren Cyber-Aktivitäten gestaltet wird.

Deshalb drehten sich viele der Wortbeiträge um den Cyber-Informationsraum. Hier müsse die NATO zwei primäre Aufgaben erfüllen: Erstens die Gesellschaften in der Resilienz gegenüber Desinformation trainieren. Zweitens mehr Sichtbarkeit und Einfluss in den Sozialen Netzwerken aufbauen. Bei der Resilienz ist Estland ganz weit vorne. Estland sah sich schon sehr früh mit medialer Einflussnahme durch einen seiner Nachbarn konfrontiert und betreibt nun das Cybersecurity Centre of Excellence der NATO. Es gebe zwar auch in anderen Mitgliedsstaaten Cyber-Security-Einheiten. Diese haben aber bisher kaum Mittel für Teams, die sich mit der Abwehr von Desinformation beschäftigen. Bevor die harte Abwehr einsetzt, wäre der Aufbau von Resilienz in der Bevölkerung sinnvoll. Dazu müsste diese für die zersetzende Gefahr von Desinformation sensibilisiert werden und Antennen zur Erkennung falscher Informationen entwickeln. Nutzer sollten im Bewusstsein für Wahrheit und Fake News geschult werden und darin, wie sie beispielsweise mit Trollen umgehen.

Die britische Firma Factmata hat schon vor einigen Jahren Programme entwickelt, die automatisch falsche Informationen aufspürt. Dabei werden Narrative (Erzählungen), Häufigkeit von Begriffen und Art der Verbreitung analysiert und anhand dessen Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt von Botschaften gezogen. Diese Firma setzt sich dafür ein, Gegen-Narrative zu entwickeln. Die Europäische Union hat die Kampagne EUvsDisinfo aufgesetzt und deckt schonungslos die Machenschaften eurasischer Medienakteure auf.

Neben Cyber wird 2030 aber auch der Space eine Rolle spielen, also nicht nur der Cyberspace, sondern der echte Space - auch als Weltraum bekannt. Angriffe auf Satelliten oder durch Satelliten werden dann zum Standard gehören. Satelliten sind zwar weit weg, aber in Bezug auf Fernsehen, Kommunikation oder Navigation kaum noch aus unserem Alltag wegzudenken. China hatte bereits 2007 erfolgreich die Zerstörung eines Satelliten mit einer umgebauten Mittelstreckenrakete getestet.

Die Erderwärmung ist zwar auch ein Thema, das junge Leiter tangiert. Allerdings können sie das noch nicht so recht mit der Sicherheitspolitik verknüpfen. Dabei würde das Überschreiten gewisser Grenzwerte zu einer Massenflucht aus der Äquatorgegend führen. Brasilien und die Sahel-Zone wären dann nämlich einfach nicht mehr bewohnbar. Ganz abgesehen von Inseln wie den Malediven, die dann bei Tauchexpeditionen erkundet werden können.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 8. Oktober 2020

#MSC2021 Zeitenwende und Münchner Konsens

Was bitte ist nun schon wieder der "Münchner Konsens"? Der "Münchner Konsens" geht auf das Frühjahr 2014 zurück. Auf der damaligen Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) hatten der damalige Bundespräsident Joachim Gauck, der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier und die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen drei bemerkenswerte Reden gehalten. Diese Reden hatten einen gemeinsamen Nenner, der später als "Münchner Konsens" bezeichnet wurde:

Deutschland solle "früher, entschiedener und substanzieller" handeln.

Und das aus dem Munde des ehemaligen Pfarrers Joachim Gauck, des friedliebenden Frank-Walter Steinmeier und einer Verteidigungsministerin, die bis heute als "Ungediente" verspottet wird. Die drei haben sich in den letzten sechs Jahren weiterentwickelt: Joachim Gauck genießt jetzt den Ruhestand, Frank-Walter Steinmeier das Amt des Bundespräsidenten und Ursula von der Leyen ihren Spitzenposten bei der EU. Nur Deutschland zeigt sich als "eine Gestaltungsmacht im Wartestand".

#MSC2021 MSR Munich Security Report, Zeitenwende | Wendezeiten, Münchner Konsens
Munich Security Report MSR "Zeitenwende | Wendezeiten" und der "Münchner Konsens"

Dieser "Wartestand" gefällt unseren potenziellen Partnern gar nicht. Einige bezeichnen Deutschland bereits als "Drückeberger oder Trittbrettfahrer". Deutschland wolle von der internationalen Ordnung profitieren, sich jedoch "nicht selbst die Hände schmutzig" machen. Die Diplomaten des Auswärtigen Amtes sind in der Welt sehr geschätzt, aber deren Expertise im friedlichen Dialog sei zu wenig mit militärischer Stärke untermauert. Hier geht es mehr um Abschreckung, also ein "Show of Force" - ein Zeigen, dass man könnte, wenn man müsste. Als Schritt in die richtige Richtung wird deshalb die deutsche Führungsverantwortung in den diversen NATO-Projekten an der Ostflanke gewertet. In den letzten Jahren ist die Bundeswehr verschiedene europäische Kooperationen eingegangen und hat Verbände mit Soldaten aus Polen, den Niederlanden oder Frankreich gegründet. Kritiker sind dennoch der Meinung, dass Deutschland weit "hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt".

"Münchner Konsens" oder "Anhängsel Eurasiens"

Die Initiativen wurden weitestgehend vom Verteidigungsministerium vorangetrieben. Im Bundestag fehlt es an einer konstruktiven Auseinandersetzung mit der möglichen Abkehr der USA von Europa und der NATO. Es ist nämlich nicht nur die militärische Stärke, sondern auch die nachrichtendienstliche Kompetenz der USA, auf die man sich bisher verlassen hatte. Um einen Wegfall amerikanischer Fähigkeiten zu kompensieren, bräuchte Europa etwa 20 Jahre und sehr viel mehr Geld. Momentan sei Europa ohne die Amerikaner "blind, taub und stumm". Deshalb bleiben die "transatlantischen Beziehungen der Plan A" für Deutschland. Einen "realistischen Plan B" gibt es derzeit nicht. Dieser muss noch gemeinsam mit den europäischen Nachbarn entwickelt werden.

Wird der "Münchner Konsens" also weiterhin nur von wenigen Akteuren umgesetzt, könnte Deutschland sehr bald von der "Zeitenwende" überholt werden. Deutschland muss sich spätestens jetzt überlegen, ob es diese Zeitenwende als "enabling power" (Möglich-Macher-Macht) mitgestalten oder sich zukünftig als "Anhängsel Eurasiens" der Dominanz des Ostens unterordnen möchte. Die Durchsetzung dieser Dominanz erfolgt - entgegen dem "deutschen Mantra" allseits friedlicher Lösungen zum Trotz - bei Bedarf auch militärisch. Der amerikanische Verteidigungsexperte Eldridge Colby wird den Eindruck nicht los, dass viele Deutsche ein "instinktives Unbehagen" empfinden, sobald auch nur der "Beigeschmack von Realpolitik" auftrete.

Dabei haben Umfragen ergeben, dass sich weit mehr Bürger für Sicherheitspolitik interessieren, als landläufig angenommen. Es gebe sogar breite Zustimmung für Bundeswehreinsätze, die der Solidarität gegenüber Bündnispartnern dienen - Kameradschaft. Während CDU und CSU traditionell für militärische Lösungen aufgeschlossen sind, wechseln vermehrt auch Grüne auf diese Seite. Wähler des roten Parteienspektrums und der AfD lehnen einen konsequenten Umgang mit Staaten wie Russland ab.

Wirtschaftskraft und Führungskompetenz

Deutschland hat die wirtschaftliche Kraft und den Einfluss in der Welt. Es muss aber endlich das Selbstbewusstsein zum Ausleben des "Münchner Konsenses" aufbringen. Ausländische Diplomaten attestieren Deutschland einen sehr professionellen und honorigen Umgang mit der eigenen Geschichte. Kaum eine andere Nation kenne solch eine selbstkritische Auseinandersetzung. Das verleihe Deutschland eine ehrliche und reife Führungskompetenz. Wenn Staaten an der Peripherie der EU in nichtdemokratische Ambitionen abgleiten, kann das auch an der zögerlichen Wahrnehmung der Leitungsrolle Deutschlands liegen. Die Sehnsucht nach Führung treibt diese Staaten dann lieber in Richtung Russland oder China, wo es zumindest bezüglich der Leitung klare Verhältnisse gibt. Dass jemand, der seine Freiheit zugunsten von Sicherheit aufgibt, letztlich beides verliert, spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

Beim Zerbröckeln der EU wäre Deutschland der "größte Nettoverlierer". Wie kein anderer Mitgliedsstaat profitieren wir von Binnenmarkt, Zollunion, Schengen-Abkommen und dem Euro. Laut IfW (Institut für Weltwirtschaft) würde bei einem Zerfall der EU das deutsche BIP um 173 Milliarden Euro abstürzen. Irgendwann folgen Frankreich mit 87 und die Niederlande mit 85 Milliarden Euro. Visegrád-Staaten wie Polen, Ungarn oder Tschechien würden herbe Verluste bei Subventionen und eben auch dem Binnenmarkt einfahren. Deutschland ist also auf seine europäischen Partner angewiesen. Würde es selbstbewusster mit Russland umgehen, könnte es auch die Videgrád-Staaten gewinnen. Die ehemalige spanische Außenministerin Ana Palacio unterstreicht die Führungsqualitäten Deutschlands. Halte sich Deutschland aber irgendwo zurück, erzeuge das "eine ausgeprägte Richtungslosigkeit".

Die 3% und der Bundessicherheitsrat

Die Münchner Sicherheitskonferenz fordert neben der beherzten Umsetzung des "Münchner Konsenses" und dem Mut zur Führung zwei weitere kurzfristig umsetzbare Dinge: Da wäre erstens die Einführung des Bundessicherheitsrates (BSR). Der BSR solle ähnlich des aktuellen Corona-Kabinetts aufgestellt sein. Das Corona-Kabinett zeichnet sich durch seine personelle Schlankheit sowie die "flachen Hierarchien und schnellen Eskalationsstufen" aus. Der BSR sollte ressortübergreifend strukturiert sein, so dass die Wege zwischen Verteidigungsministerium (BMVg), Innenministerium (BMI), Auswärtigem Amt und Entwicklungsministerium (BMZ) sehr kurz gehalten werden. In Großbritannien wird das bereits erfolgreich praktiziert. Dort gibt es den Nationalen Sicherheitsrat (National Security Council - NSC), der sich wöchentlich unter rotierendem Vorsitz trifft. Der BSR soll dann auch als "strategischer Impulsgeber" für Bundestag und Bundesregierung fungieren.

Der zweite Punkt ist eine Zusammenfassung der Haushalte für Verteidigung, Diplomatie und Entwicklungshilfe. Dieser 3er-Haushalt soll 3% des BIP entsprechen. Um eine gut koordinierte geostrategische Arbeit leisten zu können, sollten zunächst 2% in die Verteidigung fließen, 0,3% ans Auswärtige Amt und 0,7% ans BMZ. Das wären jährlich über 100 Milliarden Euro für diesen Außen- und Sicherheitskomplex. Die 3% wären auch eine geeignete Argumentationshilfe gegenüber den USA und unseren regionalen Partnern.

Auf Nachfrage in der gestrigen Regierungspressekonferenz wurde bestätigt, dass der Munich Security Report "Zeitenwende | Wendezeiten" bereits auf dem Schreibtisch der Bundesregierung liege, aber noch nicht im Detail ausgewertet wurde. Auch das Auswärtige Amt hatte sich bis gestern noch keine offizielle Meinung dazu gebildet.

Autor: Matthias Baumann