Freitag, 1. Juni 2018

Enrico Brissa, Parkett und Protokoll

"Wozu liest du ein Buch über Höflichkeit?", fragte meine Frau nach der Grillparty mit den Omas. Ich war nicht zur Begrüßung aufgestanden, als ein weiterer weiblicher Gast aufgetaucht war. Genervt hatte ich die Grillsauce durchgereicht und während der familiären Konversation das Buch "Auf dem Parkett" von Enrico Brissa gelesen.

Der Vorwurf meiner Frau war nicht ganz unbegründet. Schon beim Lesen des Buches liefen einige Szenen aus dem Alltag am inneren Auge vorbei. Das Schlimme daran: Ich war fast immer beteiligt. Sei es der Kaugummi beim Staatsbesuch im Kanzleramt, sei es das Papiertaschentuch bei der Botschafter-Akkreditierung, sei es die zum Gruß ausgestreckte Hand bei der Begegnung mit einem Minister oder sei es eine beim Dinner überreichte Visitenkarte - das Buch sensibilisiert für ein entspanntes, aber korrektes Verhalten auf dem Parkett.

Enrico Brissa Lesung Handbuch Auf dem Parkett
Stolz präsentiert Protokoll-Chef Enrico Brissa sein Buch "Auf dem Parkett" bei einer Lesung im Buchladen Bayerischer Platz
Neben den soeben erwähnten Manieren und Unaufmerksamkeiten können auf dem Parkett weitere Peinlichkeiten passieren. So zum Beispiel 2015 beim Neujahrsempfang des Diplomatischen Korps im Schloss Bellevue. Als ich mich im Langhanssaal nach der Defilee-Liste bückte, riss mit lauter akustischer Begleitung meine Hose. Ein Diplomat aus Österreich und einer der umstehenden BKA-Beamten versicherten, dass nichts zu sehen sei, da das Sakko die Stelle verdeckte. Es war jedoch sehr peinlich und soll auch schon anderen Personen in protokollarischen Zusammenhängen passiert sein.

Der Fauxpas (gesprochen: Fo-pah) ist nach Enrico Brissa ein auf dem Parkett begangener Fehltritt, eine protokollarische Havarie oder sonstige Entgleisung. Je nach Umfeld und Schwere kann ein Fauxpas übersehen, im Nachhinein angesprochen oder sofort geahndet werden. Sehr unpraktisch ist es, wenn der Verursacher kein Feedback zu seinem Fehlverhalten bekommt und zukünftig einfach vor verschlossenen Türen steht. Diese Türen sind wörtlich und als Metapher zu verstehen.

Enrico Brissa hat das gute Benehmen bereits mit der Muttermilch aufgesogen. Als Sohn eines Italieners musste er als Kind an Familienfeiern im romantischen Piemont teilnehmen und wurde dort auf Etikette getrimmt: Besteck, Handkuss, Umarmung, Aufstehen, Sitzen, Konversation und weitere Dinge, die anderen Kindern erspart bleiben. Allerdings werden die geschonten Kinder sicher nicht Protokoll-Chef im Schloss Bellevue oder im Bundestag.

Der Autor hatte die Bundespräsidenten Wulff und Gauck begleitet und ist nun für den Bundestag tätig. Mehrfach ist er uns durch das Video oder die Fotos gelaufen. Elegant, mit einer bestimmten Höflichkeit gegenüber den Staatsgästen und oft mit der wegweisenden Geste für die Beteiligten. Eine seiner Handbewegungen ist seit geraumer Zeit Bestandteil meiner Kindererziehung oder wortlosen Führung von Gästen geworden. Das Buch hat mir jedoch gezeigt, dass noch diverse Defizite existieren. Daran lohnt es sich zu arbeiten.

Heute Abend begegneten wir Enrico Brissa bei der Lesung seines Werkes im Buchladen Bayerischer Platz. In den nächsten Wochen ist er mit Lesungen gut beschäftigt und dafür im gesamten Bundesgebiet unterwegs.

Autor: Matthias Baumann