Die Einladung zum diesjährigen Schrippenfest war am 11. März eingetroffen. Einen Tag bevor der Dominoeffekt der Terminabsagen angestoßen wurde. Den Reigen der Absagen begann am Nachmittag des 12. März standesgemäß der Bundespräsident. Es folgte die Kanzlerin und wenige Tage später die ILA. Ein befreundetes Paar hatte das Schloss Friedrichsfelde für ihre Hochzeit im April gebucht und musste wegen Corona auf das schimmlige Standesamt Hohenschönhausen ausweichen. Die Flugreise zu unserer Silberhochzeit im Mai wurde ebenfalls storniert.
Heute hätte das Schrippenfest des Wachbataillons stattgefunden. Aber wegen Corona wurde es abgesagt. Ausgerechnet zum 200. Jubiläum.
1819 war in Potsdam ein Infanterie-Lehrbataillon gegründet worden, welches dem Ersten Garderegiment zu Fuß (EGRzF) unterstellt wurde. Das Infanterie-Lehrbataillon war Garde und Experimentiereinheit zugleich. Es sollte sich um den Schutz des Dienstherrn kümmern, aber auch neue Waffen und Taktiken ausprobieren. Was bei der Garde funktionierte, wurde dann flächendeckend in der preußischen Armee eingeführt.
Wegen der Aufgabenstellung des Lehrbataillons war die Anwesenheit des Königs wichtig. Wenn er keine Zeit hatte, fand das Schrippenfest nicht statt. Weil das gesamte Lehrbataillon feiern sollte, stellte das EGRzF die Bewachung der Communs, der Kaserne des Lehrbataillons. Das erste Schrippenfest fand am 2. Mai 1820 statt, dem Groß-Görschen-Tag. In den folgenden Jahren wurde es immer am ersten Pfingstwochenende gefeiert und entwickelte sich zu einem Potsdamer Volksfest.
Das Schrippenfest heißt Schrippenfest, weil neben 1 Quart Erbsensuppe, ¼ Pfund Speck, ¾ Quart dicken Milchreis, ½ Pfund
Schmorfleisch, 1 Quart Bier, 1/8 Schnaps und 1 Pfund Weißbrot in Form
einer Riesenschrippe von der Hof-Bäckerei Rabie gereicht wurde. Eine Schrippe ist das, was außerhalb Berlins als Brötchen bekannt ist.
In den folgenden 140 Jahren gab es einige historische Umbrüche mit Umgliederung, Umbenennung, Zerschlagung und Neuaufstellung dieser Spezialeinheit, so dass mit der Zeit auch das Schrippenfest in Vergessenheit geriet. Nach Aufstellung des Wachbataillons 1957 in Siegburg wurde ein Gartenfest eingeführt. Mit Umzug des Bataillons nach Berlin sollte das Gartenfest mitgenommen werden. Nur, dass es in der Julius-Leber-Kaserne eher Wald und Wiese, statt eines Gartens gibt. Zudem sollte das Gartenfest in Berlin auf einem Parkplatz stattfinden. Parkplatzfest? Wie langweilig! Ernst Schüßling, der heutige Geschäftsführer des von Rohdich'schen Legatenfonds, kramte auf Geheiß des damaligen Bataillons-Kommandeurs Peter Utsch in der Historie und stieß auf das Schrippenfest.
So wurde 2002 endlich wieder ein Schrippenfest in der wahren Heimat der Schrippe veranstaltet. Kommandeur Kai Beinke hat auch heute noch das Ziel, die Verbundenheit in der Truppe zu fördern und "nach 364 Tagen Strammstehen", auch mal einen Tag selbst mit den Soldaten zu feiern. Schrippenfeste sind ein geeigneter Anlass für Beförderungen oder Auszeichnungen. Unter den externen Gästen finden sich Regionalpolitiker, Unterstützer des Wachbataillons, Ehemalige sowie diplomatische und ministerielle Bezugspersonen.
Das heutige Wachbataillon ist keine Experimentiereinheit mehr, hat aber vergleichbare repräsentative und sichernde Aufgaben. Vier Kompanien kümmern sich vorrangig um die Durchführung der protokollarischen Aufgaben bei Staatsbesuchen, Anlässen des Diplomatischen Korps oder Gedenkfeiern. Die anderen Kompanien stehen für Sicherungsaufgaben bereit. Es ist allerdings so, dass alle Kompanien alles können müssen, insbesondere dann, wenn in der Urlaubszeit plötzlich ein Großer Zapfenstreich durchzuführen ist oder während Corona das Bundeswehrkrankenhaus gesichert werden soll.
Wer gerade ein Bier, eine Schrippe und ein Steak zur Hand hat, kann in der häuslichen Corona-Abgeschiedenheit des 200. Jahrestages des Schrippenfestes und der Soldaten des Wachbataillons gedenken, die 364 Tage im Jahr stramm stehen und heute eigentlich gefeiert hätten.
Video:
Zum 1. Schrippenfest 1820 in Potsdam
Autor: Matthias Baumann