Am Akkreditierungszentrum herrschte Urlaubsstimmung. Zahllosen Bussen entstiegen Spanisch sprechende Medienvertreter: gekleidet und bepackt, als würden sie gleich im Hotel auf Mallorca einchecken wollen. 30 Grad Celsius, kaum Wolken am Himmel, Jounalisten mit Anzug ganz klar overdressed. Die Spanier stiegen in andere Busse um, die von jeweils zwei Motorrädern zur benachbarten Messe eskortiert wurden. Nur wer das passende Badge hatte, das dann auch noch mit dem Pass übereinstimmen musste, wurde in den Shuttle-Bus gelassen.
NATO-Gipfel vom 28. bis 30. Juni 2022 in Madrid - Beflaggung in der City von Madrid |
Das Messegelände neben dem Flughafen war abgesichert wie eine Festung. Es mussten mehrere Schleusen passiert werden. Polizeibusse mit Steinwurfschutz, multifunktionale Schützenpanzer Pegaso BMR mit blauer Polizeilackierung, Slaloms, wurfbereite Krähenfuß-Seile, Sturmgewehre und weitere Maßnahmen hätten einen unbefugten Zutritt schon an der Peripherie verhindert. Auch im Zentrum des Geschehens immer wieder sorgfältiges Prüfen der Badges. Die Messehalle 4 war durch andere Messehallen abgeschirmt, so dass auch die Fußwege vom Shuttle-Bus aus recht lang waren. Vorher ging es natürlich noch durch eine Durchleuchtungsanlage und die manuelle Prüfung von Kameras und Notebooks.
NATO-Gipfel vom 28. bis 30. Juni 2022 in Madrid - umfangreiches Sicherheitskonzept - hier: Absicherung des Königspalastes anlässlich des Gala-Dinners |
Das Sicherheitskonzept wirkte generalstabsmäßig organisiert und funktionierte auch bezüglich des Faktors Zeit sehr gut. Wer die NATO allerdings nur von der operativen Seite her kennt, wird erstaunt gewesen sein, so gut wie keine Uniformträger auf dem Gipfel gesehen bekommen zu haben. Wenige 3-Sterner oder 4-Sterner liefen in seltenen Fällen durch die Kameras. Aber auch die begleitenden Außenminister und Verteidigungsminister waren selten zu sehen. Dafür waren aber die Staats- und Regierungschefs deutlich präsenter. Je nachdem, wer im jeweiligen Land für das operative Tagesgeschäft zuständig ist, war in Madrid erschienen. Bei Frankreich, Litauen und den USA waren es die Präsidenten. Bei Estland, Deutschland oder Schweden waren es die Ministerpräsidenten oder Kanzler.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte Außenministerin Annalena Baerbock, Verteidigungsministerin Christine Lambrecht und seinen Berater Jens Plötner mitgebracht. Während Christine Lambrecht so gut wie gar nicht in Erscheinung trat, scheute Annalena Baerbock die Presse nicht. Zudem intensivierte sie den guten Draht zu ihren Kollegen. Annalena Bearbock hat schon aus privatem Hintergrund erhebliche Kompetenzen im Umgang mit Putin. In einem Buch über Kindererziehung hatte ein US-Diplomat berichtet, dass ihm die Erfahrungen mit seiner pubertierenden Tochter weit mehr beim Umgang mit russischen Verhandlungspartnern gebracht habe, als sämtliche diplomatische Lehreinheiten.
Der internationale Presseandrang war groß: im Medienzentrum waren 950 Arbeitsplätze mit Tisch, Steckdosen und LAN-Kabel eingerichtet. Hinzu kamen unzählige Video-Schnitt-Kabinen und Plätze für Interviews. Gefühlt waren vorrangig osteuropäische und spanische Medien vor Ort. Deutsch war nur selten zu hören. Wahrzunehmen waren in den drei Tagen nur die großen Medien wie ARD/Phoenix, dpa oder WELT.
Der 28. Juni 2022 als erster Tag des Gipfels bestand aus Vorgeplänkel: NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez machten einen Rundgang durch Messehalle 4. Anschließend eröffneten sie in kleiner Runde den Gipfel. Dann gesellte sich noch König Felipe VI. mit einer Rede hinzu und dann flogen die ersten Staatsgäste auf dem benachbarten Flughafen ein. US-Präsident Biden und der türkische Präsident Erdogan hatten ihre eigenen Fahrzeuge mitgebracht. Möglicherweise wussten sie, dass die VIPs in Madrid mit unauffälligen oder betagten Autos wie Audi A4, Ford Mondeo oder über 12 Jahre alten Oberklasselimousinen von BMW und Mercedes durch die Stadt chauffiert werden sollten. Am Abend gab es das erste große Zusammentreffen der Entscheidungsträger bei einem Gala-Dinner im Schloss des Königs.
NATO-Gipfel vom 28. bis 30. Juni 2022 in Madrid - Restaurant mit Blick auf den Königspalast, wo gleich das Gala-Dinner mit König Felipe VI. beginnen sollte. |
Der zweite Tag des Gipfels begann sehr früh. Wer noch Hoffnung auf eine der begehrten Pool-Karten für die Bildpositionen des Tages hatte, wollte spätestens um 7 Uhr auf dem Messegelände sein. Diese wurden jedoch nur an große Agenturen, große Sender und Spanier verteilt. Wer Spanisch sprach, war hier klar im Vorteil. Selbst große Teile des Servicepersonals sprachen nur Spanisch. Das war sehr unpraktisch, wollte man sich gegen die mehreren Hundert Kollegen durchsetzen. So mussten viele Bildjournalisten das Geschehen über die großen Videowände verfolgen: Es begann mit der etwa zweistündigen Vorfahrt der Staatsgäste und Delegationen. Es folgten Einzelfotos mit Staatsgast, Jens Stoltenberg und Pedro Sánchez. Den Abschluss bildete immer Joe Biden. Dann gab es das obligatorische Gruppenfoto und der eigentliche Gipfel konnte beginnen.
Am Nachmittag reisten ausgewählte Staats- und Regierungschefs aus Partner-Ländern und dem Indo-Pazifik an. Als Partner der NATO zählen Staaten, die keine Mitglieder sind, aber einen Partnerstatus haben. Österreich nahm zwar nicht am Gipfel teil, ist aber solch ein NATO-Partner. Auch die beiden Ministerpräsidentinnen von Finnland und Schweden reisten an. Bereits am Montag hatte man den türkischen Präsidenten Erdogan zu einer Billigung der NATO-Mitgliedschaft von Schweden und Finnland bewegen können. Finnland und Schweden waren als Nachbarn von Russland sehr an einer Mitgliedschaft interessiert. Dieser Neuaufnahme wurde dann tatsächlich noch an demselben Tag zugestimmt. Getreu dem Spruch: "Aus Russland kommt nichts Gutes, außer dem Wetter.", hat Finnland eine lange Tradition der Resilienz gegen russische Gebietsgelüste. Auch bei der Abwehr russischer Desinformation kann Deutschland noch viel von Finnland lernen. Laut Olaf Scholz passen Finnland und Schweden gut zum Bündnis und stellen eine Bereicherung für die NATO dar. Den Ausklang des Tages bildete ein "informelles transatlantisches Abendessen" im Prado-Museum.
NATO-Gipfel vom 28. bis 30. Juni 2022 in Madrid - NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg stellt das neue strategische Konzept der NATO vor. |
Der dritte und letzte Tag des NATO-Gipfel startete recht entspannt. Bis halb 10 Uhr trafen die Staatsgäste und deren Delegationen ein. Begleitet von Vogelgezwitscher schlenderten die nachgeordneten Delegierten zum Tagungsort. Während sich der Saal füllte, bewunderte der Ministerpräsident von Luxemburg, Xavier Bettel, die Frisur seiner Kollegin aus Estland, Kaja Kallas - ein wahrer Charmeur. Dann setzten sich die Entscheidungsträger und unterzeichneten den "NATO Innovation Fund Letter of Commitment" (Verpflichtungserklärung zum NATO-Innovationsfonds). In den folgenden drei Stunden tagten die NATO-Mitglieder weiter, während sich vor den verschlossenen Türen bereits ein reges Treiben zur Vorbereitung der Abschluss-Pressekonferenzen entfaltete. Den nationalen Staatschefs standen dafür separate Konferenzräume zur Verfügung. Den Auftakt im großen Pressekonferenzraum bildete NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Festgestellt und beschlossen wurde Folgendes:
- Lage hat sich massiv verändert.
- Schweden und Finnland treten der NATO bei.
- Ukraine wird langfristig unterstützt.
- Verabschiedung eines neuen strategischen Konzeptes der NATO
- Wichtigkeit des Klimaschutzes und Einrichtung eines Klimafonds
- Erhöhung der nationalen Verteidigungsausgaben
- Erhöhung des NATO-Budgets
- Stärkung der strategischen Partnerschaften - auch im Indo-Pazifik
- Herausforderungen im Mittleren Osten, Nordafrika und Sahel
- Diese Region hat Einfluss auf unsere Sicherheitslage - insbesondere durch Terrorismus
- Kampf gegen Terrorismus in all seinen Facetten
- Stärkung des Informationsaustauschs zwischen den Nachrichtendiensten
- Verhinderung der Rückkehr des IS im Irak
- Verteidigungspaket für Mauretanien (gegen illegale Migration und Terrorismus)
- Unterstützung für Tunesien und Jordanien
- Lösungsansätze zum Export von Getreide aus der Ukraine
- NATO-Gipfel 2023 in Vilnius, Litauen, geplant.
Kaum hatte Jens Stoltenberg die Bühne verlassen, wurden die spanische, sowie die NATO- und EU-Fahne aufgestellt und der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez stellte sich der Presse. Mit einem mehrfach und optisch nachdrücklich vorgetragenen "We have to clean the room!" (Wir müssen den Raum säubern!) wurde anschließend die gesamte Presse samt Taschen, Notebooks und sonstiger Ausrüstung aus dem Raum "getrieben". Dann wurden das markante Rednerpult und die Teleprompter des US-Präsidenten auf die Bühne geschafft und per Maßband auf dessen Redegepflogenheiten einjustiert. Das bekannte Wappen wurde aus einem gepolsterten Samtsäckchen geholt und am Pult eingehakt. An der Tür wartete bereits die White House Press mit überdimensionierten Pool-Karten um den Hals. Dahinter folgten die weniger privilegierte Restpresse, die eine rote Poolkarte für die Pressekonferenz mit Joe Biden hatte ergattern können.
14 Uhr: Hubschrauber über dem Areal, brütende Hitze, davoneilende Medienvertreter, Jute-Beutel mit Madrid-Werbung und Stau im Umkreis des Messegeländes. Ein als historisch eingestuftes Ereignis ging zu Ende.
Autor: Matthias Baumann
Video zu 3 Tagen NATO-Gipfel in Madrid