Freitag, 5. Dezember 2014

Dem Frühling folgt der Winter - Herausforderungen für Journalisten in Nahost

Die anfänglich als "Arabischer Frühling" gehandelte Jahreszeit hatte sich im Laufe der Entwicklungen bald in einen "Arabischen Winter" verwandelt. Die westlichen Hoffnungen auf eine Demokratisierung der Region wurden allesamt eines Anderen belehrt. Diktatur gewohnte Völker wünschten sich eine neue Besetzung des Machtvakuums und besannen sich auf längst vergangene Tage ruhmreicher Kalifate.

Für Journalisten wird ein Aufenthalt in den Gebieten des Nahen Ostens immer gefährlicher, zumal eine meinungsfreie Berichterstattung nicht immer im Interesse der Konfliktparteien liegt. Diese verbreiten ihre Propaganda lieber selbst über Kanäle wie Twitter.

Journalisten Presse NahostDer DJV Deutscher Journalisten Verband ging gestern der Frage nach "Arabischer Winter - Nahost-Berichterstattung im Spannungsfeld zwischen politischem Chaos und Propaganda, Rechercherisiken für Journalisten und die Erwartung des Publikums". Als Insider war ein Nahost-Korrespondent der ARD eingeladen.

Er selbst hatte in seinen über 3.000 Hörfunksendungen der letzten vier Jahre nicht ein einziges Mal den Begriff "Arabischer Frühling" verwendet. Er würde die Geschehnisse eher als Revolution bezeichnen. In Ägypten seien das 18 Tage gewesen, an denen endlich einmal die "schweigende Mehrheit" zu Tage getreten sei und danach leider durch die radikalen Akteure abgelöst wurde. Es seien 18 Tage des Aufatmens gewesen. "Now we are free", hatte ein Straßenjunge damals breit lächelnd dem Reporter zugerufen.

Das ägyptische Sissi-Regime setze nicht auf eine Regierungspartei wie es sonst für Diktaturen üblich sei. Das Novum sei die "Umdeutung" der Geschehnisse in den benötigten Kontext mithilfe der beherrschten Sendekanäle. Ein Vergleich mit George Orwells "1984" liege nahe. Die Aktivisten, Helden und weltweit anerkannten Preisträger der "Revolution" seien inzwischen zu Verrätern "umgedeutet" worden, deren langjährige Haftstrafen mit Verschwörungstheorien begründet werden.

Die "Deutungshoheit" hat eine so nachhaltige Uminterpretation der Ereignisse etabliert, dass selbst Intellektuelle und bisher selbstständig denkende Chefredakteure der regionalen Medien freiwillig auf kritische Berichterstattung über das Regime verzichtet haben. Zu groß ist die Furcht vor einer "Vernichtung Ägyptens". Die billigen Methoden eines Versicherungsvertreters, erst Angst machen, dann Versicherung abschließen, scheinen im kurzzeitigen Machtvakuum hervorragend zu funktionieren. Alte Strukturen können reaktiviert werden und der kurzzeitig im Stand-by befindliche Polizeistaat wird optimiert.

Während der Westen durch den Islamismus abgelenkt ist, stabilisieren sich alte antidemokratische Strukturen aus korrupten Politikern und Militärs, die durch ihre Medienhoheit einen nicht zu unterschätzenden Einflussradius haben.

Dem ausländischen Journalisten bleibt nur noch die Recherche als Einzelkämpfer ohne mundgerechten Quellenzugang. Er hat der regionalen Manipulation nur seine Redlichkeit entgegen zu setzen. Jedenfalls war sich unser heutiger Gastredner treu geblieben und kann rückblickend sagen, dass er die Situation bisher weitestgehend korrekt eingeschätzt hatte und auch seine Prognosen durch die Praxis bestätigt wurden.

Autor: Matthias Baumann