Weniger als sechs Monate sind es noch bis zum Brexit. Sechs Monate, in denen über hart oder weich debattiert wird und vermutlich am Ende immer noch unklar ist, wie sich der Brexit nun gestalten soll. Fakt ist: Die Zeit verrinnt, der Brexit naht und die wenigsten sind darauf vorbereitet.
Vor drei Monaten erfuhren wir in London, welche Bereiche der Brexit tangiert und dass die Ersparnisse durch Wegfall der Mitgliedsbeiträge direkt in die Finanzierung der notwendigen Zollbürokratie fließt. Worst case wäre, dass ab Ende März 2019 keine Flugzeuge mehr fliegen, keine Medikamente mehr nach Großbritannien geliefert werden, Tragflächen von Airbus nicht mehr das europäische Festland erreichen und die Iren den alten Kampf gegen das verhasste Königreich wiederbeleben.
EU-Ratspräsidentschaft Österreichs und der Brexit - Diskussionsrunde in der österreichischen Botschaft mit dem Schwerpunkt Finanzpolitik |
Regeln schaffen immerhin Vertrauen, auch wenn es seitens anderer EU-Staaten wie Italien oder Frankreich die Tendenzen gibt, Regeln einfach mal etwas lockerer zu handhaben.
Die Experten waren sich einig, dass die Wahrnehmung der EU deutlich schlechter ist, als es der Realität angemessen wäre. So vergesse man schnell die bestehenden Vorteile und schaue immer nur nach weiteren und neuen Vorteilen. Bleiben diese aus, wird kritisiert. Dieser Kurzsicht war wohl auch Großbritannien erlegen, als es sich für den Brexit entschieden hatte. Die Herren auf dem Podium verglichen die EU mit einem Fahrrad. Bleibe ein Fahrrad stehen, falle es um. Der Brexit habe dem Fahrrad nun sogar einen Rückwärtsgang verliehen. Der Brexit mache das Vereinigte Königreich ab April 2019 zu einem Drittland. Raus ist eben raus - oder wie Theresa May sagte: "Brexit means Brexit".
90 Minuten waren über der Diskussion verflossen. 90 Minuten ohne Ergebnis für den Brexit. Das Vorkommen des Wortes Brexit konnte an einer Hand abgezählt werden. Wer sich für eine Lösung der finanziellen Folgen des Brexits interessiert hatte, war auf das anschließende Networking angewiesen. Bei deftigem Schwarzbrot mit Schinken und weiteren Leckereien aus Österreich versammelten sich die Zuhörer aus der Finanzbranche an den Stehtischen und diskutierten über ihre Sicht der Dinge. Insider befürchten, dass der Brexit einen Domino-Effekt analog zu Lehman Brothers auslöst. Nur dass dieser Effekt jetzt die europäische Bankenlandschaft in einem unkalkulierbaren Maß durchrütteln könnte.
Über den Gästen hing ein Fahrrad. Das spitzfindige Symbol der EU-Rads-Präsidentschaft. Darunter der im Quadrat angeordnete Schriftzug eu2018.at. Deutschland und Österreich bewegen sich in der Regel per Tandem vorwärts. In vielen Punkten herrscht Einheit - pardon Interessenskonkordanz. So radelt Österreich nun schon seit drei Monaten durch die Präsidentschaft und hat jetzt die Halbzeit erreicht. Wenn Österreich das Zepter der EU in drei Monaten an Rumänien abgibt, hat Großbritannien keine 100 Tage mehr bis zum Brexit. Ob diese Zeit für einen geordneten Exit genutzt wird, ist fraglich.
Autor: Matthias Baumann