Mittwoch, 14. März 2018

Von der Zipfelmütze zum Barett - Besuch beim Wachbataillon des BMVg

Nieselregen, Baustellen, dichter Verkehr. Kurz vor zehn rollte ich auf das Gelände der Julius-Leber-Kaserne in Tegel. Eine große weiße Tafel wies den Weg zur 48 Alpha, dem Sitz des Wachbataillons - kurz WachBtl oder ganz korrekt abgekürzt WachBtl BMVg. Mein Gesprächspartner saß im Obergeschoss. Beinahe hätte ich ihn nicht erkannt. Keine graue Heeresuniform, kein Barett, sondern baren Hauptes in Camouflage. Die perfekte Tarnung gegenüber Zivilisten mit selektiver Wahrnehmung.

WachBtl Wachbataillon 1. Garde-Regiment zu Fuß Truppenfahne
Wachbataillon - Gemälde mit dem 1. Garde-Regiment zu Fuß - links davor erste Truppenfahne des Wachbataillons
Als Erstes gingen wir ins Nachbarbüro: Dienststube des Kommandeurs. Oberstleutnant Patrick Bernardy trug auch kein Barett und ebenfalls das kampfbereite Flecktarn. Ein Anblick, den ich aus dem Kanzleramt oder dem Schloss Bellevue nicht kannte. Es gab eine herzliche Begrüßung und Staunen über die gemütliche Stube. Überall Traditionsgegenstände aus 200 Jahren Militärgeschichte. Das Wetter tauchte den Raum in eine schummerige Atmosphäre. Der Oberstleutnant fragte, ob wir Licht einschalten sollten. Klick - für die Fotos reichte es.

Kaffee wurde herbeigebracht und so redeten wir über das 1. Garderegiment zu Fuß, protokollarische Abläufe und Zuständigkeiten. Das Garderegiment war hinter unserer Sitzecke in eine entscheidende Kampfhandlung verwickelt. Neben mir die erste Truppenfahne des Wachbataillons und vor uns Tassen mit dem typischen Fraktur-W und den Initialen FR für Fridericus Rex.

WachBtl Wachbataillon Grenadiersmütze
Grenadiers-Mütze: Bommel, Schild mit "Semper Talis", Adler, drei Granaten (Kugeln unter Adler) und FR-Initialen
Diese Initialen fanden sich auch auf der Grenadiers-Mütze wieder, die Patrick Bernardy aus dem Schrank holte. Die Grenadiere heißen so, weil sie zum Werfen von Granaten eingesetzt wurden. Beim Werfen störten jedoch die damals üblichen Dreiecks-Hüte. Deshalb wurden diese gegen Zipfelmützen ersetzt. Damit das dann nicht so verschlafen aussah, wurde noch ein Schild an der Frontseite angebracht. Oben am Schild wurde die Bommel befestigt. Interessante Details, die auf diesem Wege zu Tage traten.

Apropos Bommeln: Eine weitere Tradition des Wachbataillons ist die jährliche Mitnahme einer Kugel vom Weihnachtsbaum des Bundespräsidenten. Joachim Gauck hatte bei seinem Abschiedsbesuch vor einem Jahr die Kugel signiert, die ihm kurz vorher offiziell vom Baum abgenommen worden war. Dem Steuerzahler entsteht dadurch kein Schaden, da die Kugeln im Kreislauf der Behörden verbleiben.

WachBtl Wachbataillon
Wachbataillon - Traditionelle Kugeln vom Weihnachtsbaum des Bundespräsidenten
Viele Fragen, die in unserem YouTube-Kanal aufgekommen waren, wurden während des Gespräches beantwortet. So ist nun bekannt, dass die Karabiner 98 entmilitarisiert sind - bis auf 150 Stück, mit denen man noch Salut schießen könne. Die Pistolen der Zugführer sind alte Walther P1, von denen Schlitten und Lauf entfernt wurden. Ansonsten würden die nicht in die weißen Taschen passen. Das ist aber egal, da die Sicherung von Staatsbesuchen ausreichend durch Bundespolizei und Bundeskriminalamt gewährleistet ist. Bei Verteidigungsministern übernehmen Feldjäger diesen Part.

Dennoch müssen die Mitglieder des Wachbataillons alle üblichen Disziplinen des Heeressoldaten beherrschen. Je mehr Einsätze anstehen - Staatsbesuche, Ehrenspaliere, Ehrenzüge, Zapfenstreiche, Ehrenposten, Staatsbankette - umso höher ist die zeitliche Belastung für die Truppe. Mit der jüngst eingeführten Arbeitszeitregelung ist das kaum zu vereinbaren.

So hat das S3-Protokoll alle Hände voll zu tun, die Einsätze der Kompanien zu organisieren. S3 ist die Abteilung für die Ausbildungsplanung. Das S3-Protokoll stellt darin ein Spezialteam dar, das für die protokollarischen Aufgaben zuständig ist und relativ autonom agiert - vergleichbar mit dem Drill Sergeant der amerikanischen Streitkräfte. Sie sind letztlich nur dem Kommandeur unterstellt.

WachBtl Wachbataillon Kommandeur OTL Bernardy Truppenfahne
Wachbataillon - Kommandeur neben der Truppenfahne - im Hintergrund die Fahnenbänder
Einsatzbefehle können sehr kurzfristig eintreffen. Ehrenspaliere und Ehrenposten werden teilweise erst wenige Stunden vorher angefordert. Bei Salut in Tegel und für Staatsbesuche inklusive der Neuen Wache werden mehrere Tage Vorlauf benötigt. Premierminister im Kanzleramt sind ohne großen Aufwand sehr schnell und mit wenig Übungszeit zu bewerkstelligen. Bei komplexen Aktionen wie dem Großen Zapfenstreich wird länger geprobt. Am schwierigsten sind wohl Staatsbankette, da diese so selten stattfinden.

Nach den Einsätzen folgt die Vergabe von Noten. Auch dafür ist das S3-Protokoll zuständig. War der Kommandeur zugegen, hat er das letzte Wort. Mindestens vier Augen prüfen die Performance der eingesetzten Mannschaft. Lässt ein Soldat das Gewehr fallen, hat das eine 5 zur Folge. Dieser Soldat wird dann "nachgeprottet". Das heißt: Üben bis es klappt. Protter ist ein interner Begriff für Protokoll-Soldaten.

Freunde von NVA und Wehrmacht äußern immer wieder den Wunsch nach Stechschritt. Deshalb führte der Kommandeur sehr anschaulich vor, dass Stechschritt eher etwas für Anfänger ist. Stechschritt lässt sich deutlich einfacher ausführen. Das Knie muss dabei nämlich nicht bewegt werden und der Abstand innerhalb der Rotte ist besser zu halten.

Zur Truppenfahne: Spitzenpolitiker zeigen ihren Respekt gegenüber der Bundeswehr durch eine Verneigung vor der Truppenfahne. Sie unterliegt wegen ihrer regen Nutzung einem hohen Verschleiß. Die Anfertigung kostet inklusive Material etwa 3.500 Euro. Die Fahnenbänder zu den jeweiligen Staatsgästen werden in einer speziellen Zeremonie eingeweiht und dann bei jeder Gelegenheit an die Truppenfahne gehängt. Das erste Fahnenband wurde von der Queen gesponsert. Einige dieser Traditionen entwickeln sich situativ und ohne irgendwelche internationalen Vorgaben.

WachBtl Wachbataillon Fahnenbänder
Wachbataillon - Fahnenbänder in der Dienststube des Kommandeurs - ältestes Band von der Queen
Oft kommt die Frage auf, warum manchmal alle drei Teilstreitkräfte antreten und manchmal nur eine. Die Regel ist simpel: Erste im Staat und Monarchen haben einen Anspruch auf alle drei Teilstreitkräfte (TSK). Das ist dann ein Ehrenbataillon. Kommt nur ein Kanzler oder Ministerpräsident, reduziert sich der Anspruch auf eine TSK. Dann handelt es sich um eine Ehrenkompanie.

Das Protokoll des BMVg legt fest, welche TSK bei einem nachgeordneten Staatsgast antritt. Die etwa 1.000 Mitglieder des Wachbataillons haben alle drei Uniformen in ihrem Spind. Weltweit ist das Heer die stärkste TSK. Bei bekannten Seefahrernationen kann die Ehrenkompanie auch mal als Marineuniformträger (MUT) antreten. In Gedenken an die Luftschlacht 1940 mit England könnte beim Besuch von Theresa May durchaus eine Kompanie in Luftwaffen-Uniform eingesetzt werden.

Die jeweilige Uniform hat zudem Einfluss auf die Märsche, die das Musikkorps spielt. Bei den seltenen Auftritten einer Ehrenkompanie in Marine-Uniform sollten also unbedingt alle Märsche mitgefilmt werden. Marine ist so selten, dass die Fehlentscheidung beim Video zu Neuseelands Premierminister bisher nicht korrigiert werden konnte.

Bei Botschaftern läuft es anders. Die jeweils beauftragte Kompanie tritt in der ihr eigenen Uniform an. Es besteht also keinerlei Zusammenhang zu den jeweils akkreditierten Botschaftern.

Beim Empfang von Staatsoberhäuptern auf dem Flughafen Tegel obliegt es dem S3-Protokoll, die TSK des dortigen Ehrenspaliers auszuwählen. Das Protokoll-Team entscheidet hierbei völlig frei. In Tegel wird gelegentlich auch Salut geschossen. Dabei kommen sechs Haubitzen zum Einsatz, von denen die sechste Haubitze einen Schuss mehr abgibt. Diese Tradition geht auf die Marine zurück. Kriegsschiffe hatten in der Regel 20 Kanonen. Beim Anlaufen eines Hafens gaben sie 20 Schüsse ab, um zu signalisieren, dass die Kanonen leer sind. Der Hafen antwortete darauf mit einem Schuss.

WachBtl Wachbataillon OTL Bernardy
Wachbataillon - Kommandeur Oberstleutnant Patrick Bernardy an seinem Schreibtisch
Das Wachbataillon ist neben den protokollarischen Aufgaben insbesondere für den Schutz des Sitzes der Bundesregierung und des Verteidigungsministeriums zuständig. Deshalb auch die reguläre Ausbildung mit Nachtschießen und ähnlichem.

Der Leitspruch des Wachbataillons ist "semper talis" (stets gleich). Kein Wunder also, dass der Traditionsverband der aktiven und ehemaligen Soldaten des Bataillons mit Semper talis Bund e.V. benannt wurde. Der Bundesvorsitzende ist immer der jeweilige Kommandeur - aktuell Patrick Bernardy. Als Vorsitzender trägt er den goldenen Ring mit der roten Grenadiers-Mütze auf blauem Grund.

Nach drei Stunden verließ ich die Julius-Leber-Kaserne. Voll mit Eindrücken und wertvollen Informationen zur Beantwortung der Fragen in unserem YouTube-Kanal. Es nieselte immer noch ein wenig.

Autor: Matthias Baumann