Die Ministerin war schon zum ersten Block erschienen und hatte mit regem Interesse zugehört. Auch der Generalinspekteur saß in der ersten Reihe des Auditoriums. Gruppenarbeiten wie in Hamburg waren diesmal nicht vorgesehen. Dafür gab es jeweils einen Impulsvortrag und geplante Kommentare, die auch als Vortrag hätten durchgehen können, so sie nicht aktiv auf den Vorredner eingegangen wären.
3. Workshop zum Traditionserlass - Kommentator Dr. Christian Hartmann vom Institut für Zeitgeschichte München |
Wehrmacht lebt subcutan weiter
So sei insbesondere bei Panzergrenadieren eine tiefe Verbundenheit mit der Wehrmacht zu verzeichnen. Das ist auch der Ministerin bewusst. Auf Befehl lasse sich das zwar in den Untergrund verlegen, schwinge aber im Bewusstsein der Soldaten weiterhin mit. Da wir uns auf intellektuell hohem Niveau bewegten, fiel das Wort subcutan (unter der Haut).
Der Argumentation des ersten Workshops in Hamburg folgend wurde das deutsche Wort Opfer in die lateinischen Begriffe victima und sacrificium zerlegt. Der Deutsche gehe immer noch als Victima (passives Opfer wie z.B. bei einem Unfall) mit der Geschichte um und verliere dadurch den Blick auf das wertvolle Sacrificium (bewusstes Opfer für ein höheres Ziel). Brigadegeneral Sollfrank vom Kommando Spezialkräfte in Calw stellte deshalb - durchaus provokant - handwerklich gelungene Einsätze der Wehrmacht vor. Zuvor hatte Prof. Wolffsohn die Betrachtung der Wehrmacht in Ethik und Funktion gesplittet. Demnach sei die Ethik der Wehrmacht abzulehnen. Ihre funktionale Professionalität sei jedoch noch heute Teil der militärischen Lehrpläne.
Vorbilder und ethische Grundsätze
Durch die bekannte Victima-Blockade erlebe die Truppe ein traditionelles Vakuum, das ausgeglichen werden müsse. Werde kein passendes Beispiel geliefert, komme es oft zur Befüllung mit falschen Vorbildern.
Brigadegeneral Sollfrank nannte einige Grundsätze, die in seiner Einheit gelten:
- Ehre
- Mut
- Loyalität
- Integrität
- Entschlossenheit
- Tapferkeit
Was sagt die Bibel?
Interessant waren auch die mehrfach einfließenden Grundlagen aus der Bibel. Das Tötungsverbot aus den 10 Geboten (2. Mose 20, 13) beziehe sich auf das Morden aus niederen Beweggründen. Aus dem ethischen Kontext des Alten Testamentes gehe jedoch hervor, dass zwischen Morden und Töten differenziert werde. Gekrönt wurden die Ausführungen mit dem Hinweis, dass Jesus als Sohn Davids bezeichnet wurde. David sei zunächst Räuberhauptmann, dann Kämpfer und später sogar Mörder gewesen (2. Samuel 11, 14-27). Ethisch konnte er das jedoch gerade biegen, da er den Mord an Uria bereut und um Vergebung gebeten habe.
Der darauf folgende Kommentator untermauerte das mit einer weiteren Bibelstelle aus 1. Samuel 15. Darin geht es um den ersten israelischen König Saul, der die Amalekiter vernichten soll. Er tötet allerdings nur die Männer und das minderwertige Vieh. Die Frauen, den König und die Wertsachen verschont er. Hier entstehe der Eindruck einer humanitären Maßnahme. Tatsächlich sei das aber ein Akt der Habsucht Sauls gewesen. Kurz darauf wird Saul durch den oben erwähnten David ersetzt.
Islam in der Bundeswehr
Der Traditionserlass muss in diesem Zusammenhang noch eine weitere Kennziffer berücksichtigen: 1/6 der Bundeswehr sei inzwischen durch Menschen mit Migrationshintergrund besetzt. Diese bringen unter anderem auch islamische Denkstrukturen mit. Hier sei ein Verweis auf die Trennung von Politik und Religion angebracht.
3. Workshop zum Traditionserlass am ZMSBw in Potsdam |
Im Saal fehlte die Zielgruppe. Dienststellen mit ständigen Anfragen zum richtigen Verhalten versuchten Antworten aus den Diskussionen zu extrahieren. Wie kommt es zur Verbindung des separaten Stranges Ethik mit dem separaten Strang Handwerk? Wie interagieren diese Stränge und wie können sie in den Köpfen und Handlungsmustern der Soldaten miteinander verzahnt werden? Wird der neue Traditionserlass überhaupt praxistauglich sein?
Fragen über Fragen und ein Ringen um nutzbare Ergebnisse. Als Außenstehender war ich davon beeindruckt, mit welcher Wertschätzung auch sehr unterschiedliche Standpunkte diskutiert werden konnten. Ich war davon beeindruckt, dass hochrangige Offiziere ein glaubhaftes Interesse am Dialog mit der Truppe haben und die Umsetzung des neuen Traditionserlasses gerne bis in die untersten Hierarchie-Ebenen verwirklicht sehen möchten. Nicht per Befehl, sondern als verinnerlichte ethische Grundlage zur Ausübung des Handwerks.
Autor: Matthias Baumann