In unserem heutigen Interview mit Generalstabsarzt Dr. med. Johannes Backus ging es um die fünf Phasen der Landes- und Bündnisverteidigung und wie der Sanitätsdienst darauf vorbereitet ist.
Die Phase null ist der sichere Frieden. Hier bereitet sich der Sanitätsdienst mit regelmäßigen Übungen auf die Landesverteidigung (Phase 4) vor. Auch werden in den fünf Bundeswehrkrankenhäusern bis zu 80 Prozent zivile Patienten behandelt, um die medizinische Expertise anzuwenden und weiterzuentwickeln.
In der Phase 1 sieht man sich hybriden Angriffen ausgesetzt. Diese bewegen sich in einer Grauzone zwischen Frieden und Krieg und können sehr vielschichtig gestaltet sein. Da gibt es den Angriff auf die IT-Infrastruktur. Es gibt Desinformationskampagnen. Es gibt Angriffe auf Kritische Infrastruktur, bei denen beispielsweise Stromnetze lahmgelegt, Brücken gerammt, Bahnverbindungen gestört oder Tiere mit Seuchen infiziert werden. Hier bereitet der Sanitätsdienst seine Mitarbeiter mit Sensibilisierung und Vernetzung vor. Zudem werden Systeme weiter gehärtet oder Redundanzen geschaffen. Die Phase 1 kann entweder durch einen Rückfall auf Phase null beendet werden oder sie geht in Phase 2 über.
In Phase 2 wird es ernst: Der Gegner mareschiert an der NATO-Außengrenze auf und testet unsere Verteidigungsszenarien aus. Ein wirksames Mittel ist hier die Abschreckung – Neudeutsch „Deterrence“. Der Sanitätsdienst selbst schreckt zwar niemanden ab, kann jedoch zeigen, dass er die abschreckenden Kräfte medizinisch unterstützt. Die Reserven an Blut und Material werden hochgefahren. Zudem werden die Sanitätskräfte auf die neue Situation geschult. Auch die Frequenz der realitätsnahen Übungen wird gesteigert. Der Angreifer soll erkennen, dass er von einem vorbereiteten Gegner erwartet wird.
In Phase 3 erfolgt ein Angriff auf NATO-Territorium. Der Einsatzraum der Bundeswehr wird in diesem Falle im ausländischen Einsatzraum sein. Ein klassischer Fall von Bündnisverteidigung nach Artikel 5 des NATO-Vertrages. Da der Sanitätsdienst im Ausland gebunden ist, kommt nun die zivil-militärische Zusammenarbeit zum Tragen. Der Sanitätsdienst arbeitet nach einem klaren Konzept und wird Soldaten der Bundeswehr und der Partnernationen in die Rettungskette aufnehmen und im Idealfall bis zur finalen Versorgung in Deutschland und der eventuellen Rehabilitationsmaßnahme betreuen.
Konnte der Angreifer nicht aufgehalten werden, steht er möglicherweise auf deutschem Territorium. In diesem schlimmsten anzunehmenden Fall reden wir von Landesverteidigung - Phase 4. Bei der Patientenversorgung werden alle zivilen und militärischen Sanitätsressourcen genutzt. Behandelt werden dann zivile und militärische Patienten gleichermaßen.
Auf politischer Ebene sind noch einige Rahmenbedingungen zu schaffen. Dazu gehören die Gesundheitsvorsorge und -sicherstellung, Weiterentwicklung des ambulanten und des Krankenhausversorgungssystems. Zudem wäre eine gesamtgesellschaftliche Sensibilisierung auf Krise und Krieg - ähnlich der schwedischen Gesamtverteidigung – sinnvoll. So dass im Ernstfall keine Kopflosigkeit herrscht und jeder weiß, wo sein Platz ist.
Autor: Matthias Baumann