Montag, 21. Juni 2021

Botschafter von Burundi, Litauen und Italien beim Bundespräsidenten akkreditiert

Eine Afrikanerin, zwei Europäer und eine Frauenquote von 33% waren die Eckdaten der heutigen Botschafter-Akkreditierung im Schloss Bellevue. Die Exzellenzen fuhren in folgender Reihenfolge vor:

Botschafterin der Republik Burundi, Appolonie Nibona
Botschafter der Republik Litauen, Ramūnas Misiulis
Botschafter der Italienischen Republik, Armando Varricchio

Botschafterin der Republik Burundi, Appolonie Nibona, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert
Botschafterin der Republik Burundi, Appolonie Nibona, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert

Burundi liegt im Herzen Afrikas, südlich des Äquators, an der Südgrenze Ruandas und hat selbst eine Herzform. Also die Form eines echten Herzens und nicht die des stilisierten. Im Westen grenzt das Land an die Republik Kongo und den riesigen Tanganyika See. Im Osten liegt Tansania. Burundi hat knapp 12 Millionen Einwohner und ein jährliches Pro-Kopf-Einkommen von 264 USD. Das ist sehr wenig. Immer wieder kommt es zu innenpolitischen Konflikten. Die Wahlen gelten nicht als frei und in den Grenzregionen gibt es regelmäßig Spannungen. Das Land hat in den letzten 60 Jahren mehrmals Zustände erlebt, die an Völkermord grenzen. Burundi kann sich nicht wirklich erholen, versucht sich aber mit kleiner Kraft in die internationale Gemeinschaft einzusortieren. So hat Burundi 4.000 Soldaten zur Bekämpfung der Piraterie nach Somalia entsandt und 753 zu MINUSCA in die Zentralafrikanische Republik. Zum Vergleich: Das Pro-Kopf-Einkommen in der Zentralafrikanischen Republik liegt bei 480 USD, in Ruanda bei 823 USD und in der Republik Kongo bei 2.128 USD.

Botschafterin der Republik Burundi, Appolonie Nibona, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert
Botschafterin der Republik Burundi, Appolonie Nibona, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert - Flagge von Burundi - Foto: Bundeswehr / Zeichenstelle WachBtl BMVg

Botschafterin Appolonie Nibona war seit 2018 als Direktorin im Ministerium für Finanzen, Steuern und Währungen in Burundi eingesetzt. Bereits am 21. Mai 2021 hatte sie sich mit dem Protokoll des Auswärtigen Amtes getroffen und die Formalitäten für den heutigen Tag beredet. Die Botschaft von Burundi ist in Wilmersdorf angesiedelt und liegt damit schon fast in Fußnähe zum Schloss Bellevue.

Botschafter der Republik Litauen, Ramūnas Misiulis, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert
Botschafter der Republik Litauen, Ramūnas Misiulis, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert

Eine halbe Stunde später erschien der neue Botschafter von Litauen: Ramūnas Misiulis. Er vertritt die 2,7 Millionen Einwohner seines Landes in Berlin. Er ist aktiv in den Sozialen Medien unterwegs und kommentiert dort fleißig die politischen Aktivitäten Russlands. Die Botschaft ist in einem eleganten Altbau zwischen Charité und Bundespressekonferenz untergebracht. Der Weg zum Schloss Bellevue wäre also auch mit einem ausgedehnten Spaziergang absolvierbar gewesen.

Botschafter der Republik Litauen, Ramūnas Misiulis, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert
Botschafter der Republik Litauen, Ramūnas Misiulis, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert - Flagge von Litauen

Das litauische Pro-Kopf-Einkommen liegt bei knapp 20.000 USD und damit beim 75-fachen von Burundi. Litauen ist ein regelmäßiges Ziel russischer Provokationen. Diese laufen recht simpel ab: Russische Aufklärungsflugzeuge schalten beim Überflug des Landes einfach ihr Transpondersignal ab und schauen mal, was passiert. Normalerweise werden diese Flugzeuge durch NATO-Kampfjets abgefangen und fotografiert. Die Fotos, die die deutschen Luftwaffe aufnimmt, sind bemerkenswert gut und erreichen auf Twitter einen großen Interessentenkreis. Wirklich verteidigen lässt sich das Baltikum nicht. Aber die NATO zeigt Präsenz und avisiert damit die Entschlossenheit zum Zweitschlag, falls Russland seinem historischen Verlangen nach Landvermehrung nachgeben sollte.

Botschafter der Italienischen Republik, Armando Varricchio, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert
Botschafter der Italienischen Republik, Armando Varricchio, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert

Italien hat 62,4 Millionen Einwohner und verfügte im Jahr 2020 über ein Pro-Kopf-Einkommen von 30.657 USD. Italien beteiligt sich neben Deutschland aktiv an der NATO-Präsenz im Baltikum. Es verfügt über eine starke Luftwaffe mit knapp 40.000 Soldaten, 94 Eurofightern, 49 Tornados und einer wachsenden Zahl amerikanischer F-35. Italien ist besonders an seiner Südgrenze herausgefordert und baut deshalb kontinuierlich die maritimen Fähigkeiten aus. Es stellt aber auch Häfen für die Schiffe von NATO-Partnern zur Verfügung.

Botschafter der Italienischen Republik, Armando Varricchio, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert
Botschafter der Italienischen Republik, Armando Varricchio, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert - Flagge von Italien

Botschafter Armando Varricchio konnte vor einer Woche seinen 60. Geburtstag feiern. Bereits 1986 stieg er in den diplomatischen Dienst ein, beriet seine Regierung in außenpolitischen Fragen und vertrat sein Land in Serbien und in den USA. In die USA werden nur die Besten entsendet, so dass es kaum verwunderlich ist, dass er Träger des höchsten italienischen Ordens ist: Ritterorden des Großen Kreuzes. Armando Varricchio löst Luigi Mattiolo ab, der im Dezember 2018 akkreditiert worden war. Die Botschaft von Italien liegt in der Tiergartenstraße und wurde im Zuge der Germania-Pläne in den 1940er Jahren gebaut. Das klassizistische Gebäude ist auch im Innenbereich sehenswert. Gänge, Räume und Innenhof sind stilecht inszeniert und lassen den Besucher in italienisches Flair eintauchen.

Autor: Matthias Baumann

Sonntag, 20. Juni 2021

The Ambassadors - Robert Cooper über Menschen hinter den Kulissen von Machiavelli bis heute

Der Hinweis auf das Buch kam vom ehemaligen britischen Botschafter Simon McDonald: ein kurzer Tweet mit dem Cover von "THE AMBASSADORS". Reflexartig wurde ein neues Browserfenster geöffnet und das Buch bestellt. Weniger als 30 Euro für ein 500-seitiges Werk sind ein guter Preis und machen die Kaufentscheidung leicht. Leicht lässt sich dieses inhaltsschwere Buch auch lesen. Sind die ersten etwas holperigen 12 Seiten über Machiavelli überwunden, kann man das Buch kaum noch weglegen. Immer flüssiger und spannender werden die Berichte über die Männer im Hintergrund: Diplomaten und Außenpolitiker, die unbeachtet von der breiten Wahrnehmung ihre Spuren in der Geschichte hinterlassen haben.

The Ambassadors - Robert Cooper
The Ambassadors - Robert Cooper

Das Buch beginnt beim Ende des Dreißigjährigen Krieges und hangelt sich an den Ereignissen in Europa entlang. Dabei stehen die Ereignisse selbst nicht im Mittelpunkt, sondern die Menschen, die Kontakte hergestellt, Entscheidungsträger zusammengebracht und mit ihren strategischen Denkprozessen wichtige Entwicklungen in Gang gesetzt haben. Robert Cooper beschreibt Menschen, die im passenden Moment am richtigen Platz waren und richtige Entscheidungen getroffen haben. Oftmals waren es beherzte Entscheidungen von Einzelpersonen, die ihrem Instinkt folgend aus bürokratischen Linien ausgebrochen waren und ihr Handeln vom Gebot der Stunde statt staubiger Vorgaben haben bestimmen lassen.

Der Autor liefert einen detaillierten Einblick in politische Prozesse aus der Sicht der Diplomatie. Er zeigt zudem auf, dass es in der Diplomatie eher um Persönlichkeit und Talent geht, als um einen entsprechenden Studienabschluss. Ausstrahlung von Vertrauen, tragfähige Kontakte und ein Gespür für den richtigen Moment lassen sich in Studiengängen nur bedingt vermitteln. So zeichnet das Buch die Lebensgeschichten von Menschen nach, die ganz klein angefangen hatten, persönliche Krisen meistern mussten und letztlich unentbehrliche Berater von allseits bekannten Verantwortungsträgern wurden. Der in Deutschland negativ belegte Begriff der "grauen Eminenz" beschreibt in etwa den Einfluss dieser Personen. Der Autor konzentriert sich jedoch auf Botschafter (Ambassadors), die Großes und Gutes bewirkt hatten.

Die letzten 50 Seiten korrespondieren stark mit dem, was der aktuelle Munich Security Report thematisiert: die schwierige Balance von "Competition and Cooperation" (Wettbewerb und Zusammenarbeit) zwischen Staaten, die Einfluss auf die Weltpolitik haben. Das heißt, das Buch kommt am Ende in der Gegenwart an. Mit 500 Seiten wurden dem Leser auf spannende Art und Weise die Zusammenhänge in der Entwicklung Europas sowie die Kontinuitäten bei dessen Interaktionspartnern näher gebracht.

Autor: Matthias Baumann

Samstag, 12. Juni 2021

IISS: Deutschlands strategische Kultur und Verantwortung

Das IISS (International Institute for Strategic Studies) ist bekannt für sein umfangreiches Zahlenmaterial über die militärische Ausstattung von über 170 Staaten. Die Zahlen gelten in der sicherheitspolitischen Szene als zuverlässig. Deshalb wird auch viel Wert auf die Analysen und Zukunftsprognosen des Instituts gelegt. Einer der Direktoren des IISS, Dr. Bastian Giegerich, hat nun zusammen mit Professor Maximilian Terhalle vom King's College London ein Buch zur strategischen Verantwortung Deutschlands herausgebracht.

Schonungslos wird mit dem Sparkurs der männlichen Vorgänger von Annegret Kramp-Karrenbauer abgerechnet. Die Autoren bestätigen die Ausführungen der letzten Berichte der Wehrbeauftragten und wischen die rhetorische Kosmetik zur aktuellen Ausstattungslage weg. Ursula von der Leyen und AKK kommen im Buch noch sehr gut davon, da sie die Versäumnisse früherer Jahre ausbaden mussten.

IISS: Responsibility to Defend - Rethinking Germany's Strategic Culture
IISS: Responsibility to Defend - Rethinking Germany's Strategic Culture

Wenn Deutschland eine größer gefasste Verantwortung für die Landes- und Bündnisverteidigung übernehmen möchte, hat es einige Hürden zu meistern. Die erste Hürde ist die Übertragung von Lehren der Vergangenheit in die Gegenwart. Weil Deutschland im Auftrag einer Diktatur großen Schaden angerichtet hatte, will es jetzt möglichst gar keine Gewalt mehr anwenden. Das Buch stellt die Frage, ob die Diktaturerfahrung nicht eher ein Ausgangspunkt dafür sein könnte, an der Seite von Partnern aus EU und NATO zeitgenössische Diktaturen in ihre Schranken zu weisen.

Die Autoren sind das Analysieren und strukturierte Aufbereiten gewohnt. Deshalb bringen sie mehrere in sich verzahnte Themenbereiche zusammen, die für die Verantwortung Deutschlands eine Rolle spielen. Neben dem geschichtlichen Aspekt steht der Verantwortungsübernahme auch der universitäre Aspekt im Wege. Es gibt kaum Lehrstühle und Studiengänge, die etwas zu Sicherheitspolitik vermitteln. Entsprechend gering ist die Wahrnehmung des Themas bei den studierten Entscheidungsträgern. Entsprechend selten wird es auch durch die Presse an die Bevölkerung transportiert. Dass Sicherheitspolitik in Deutschland nicht wirklich ernst genommen wird, zeigt sich regelmäßig beim Wahlkampf. In anderen Staaten ist das Thema nicht verhandelbar und darf deshalb nicht in den Wahlkampf einbezogen werden.

Bei Auslandseinsätzen agiert Deutschland eher ad hoc und scheint keinen strategischen Plan zu haben. Darüber machen sich bereits die Partner lustig. Dafür kann aber die Bundeswehr nichts. Ein Grund liegt in der Kommunikation: Mainstream-Medien betrachten Sicherheitspolitik als wenig relevant und lassen ihre Kamerateams deshalb in der Regel für das Archiv produzieren. Auch im Bundestag will man davon nichts hören, wie schon das Beispiel des Weißbuches von 2016 zeigt. Dieses war im Ausland mit Freude aufgenommen worden, während sich in Berlin kaum jemand dafür interessierte. Die Ministerin nimmt nach Corona ihre Parlamentskollegen mit zu Truppenbesuchen, um diesen die Belange der Bundeswehr näher zu bringen. Zarte Versuche der Begeisterung von Multiplikatoren über hochwertige Bundeswehrseminare oder Action-Wochen wie der InfoDVag sind geeignete Mittel zur Kommunikation, aber letztlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Wie soll also Deutschland zu mehr Verantwortung finden? Eine klare Antwort darauf gibt das Buch nicht. Es fordert aber eine bessere Kommunikation und einen Strukturwandel bei Bildungsstätten und Bürokratie. Auf letztere zielt das jüngst veröffentlichte Eckpunktepapier. Intern tut sich also etwas bei der Bundeswehr.

Ein Punkt, der von der Hauptstadtpresse immer sehr kritisch hinterfragt wird, ist die deutsche Rüstungsindustrie und deren Exporte. Deutschland lebt hier konsequent seine Werte und stoppt bei Bedarf sämtliche Lieferungen. Das klingt erst einmal ganz gut, kann aber strategisch kontraproduktiv sein. Erstens bindet die Industrie ihre Abnehmerstaaten an das Produkt. Wer diese Verbindung nicht hat, verspielt eine Chance der Einflussnahme. Zweitens kommt Deutschland bei seinen Partnern immer mehr in den Verruf, ein unzuverlässiger Lieferant zu sein. Das geht sogar so weit, dass kaum noch jemand deutsche Komponenten in seine Rüstungserzeugnisse verbauen möchte, da bei einer deutschen Sanktion das ganze Produkt nicht fertiggebaut und ausgeliefert werden kann. Um dieses Problem zu umgehen, werden gemeinsame Rüstungsprojekte auf ein Minimum reduziert. Alternativ dazu lagern deutsche Rüstungsfirmen ihre Produktion in Drittstaaten aus und liefern dann eben von dort aus. Im Endeffekt tangiert das deutsche Arbeitsplätze und wird damit zu einem sozialen Problem.

Apropos Problem: Das Buch geht auch auf die Bedrohung durch Russland und China ein. China ist militärisch zunächst ein Problem für die USA. Sollte es um Taiwan zu einem bewaffneten Konflikt unter Beteiligung der USA kommen, sind die USA dort kräftemäßig gebunden. Damit stünden sie kaum für eine Verteidigung Europas zur Verfügung. Strategisch wäre es also für Europa klug, den Abstand zwischen Russland und China zu fördern. Die beiden Länder verfolgen ohnehin ihre eigene Agenda und sollten sich mit ein wenig diplomatischem Geschick auseinandertreiben lassen. Hier kommt es auf eine gute Dosierung an. Während Napoleon um 1800 war Russland ein nützlicher Verbündeter, der jedoch oft sein eigenes Ding durchzog. Im Zweiten Weltkrieg wurde seitens des Westens wieder auf russische Hilfe zurückgegriffen. Mit Vertrauen hielt man sich aber stark zurück. Das Land artikulierte deutlich seine eigenen Interessen und war dabei zu interessanten Koalitionen und Vereinnahmungen bereit. Nord Stream 2 könnte die nötige lauwarme Bindung an Europa herstellen. Zu nah sollte das Land im Osten aber nicht an den geografischen Kern der EU herangelassen werden. Das IISS geht davon aus, dass Russland möglicherweise das Baltikum eingemeinden möchte. Für eine breite Übernahme Europas oder einen langfristigen Konflikt fehlen jedoch die Mittel.

Nach einer Menge interessanter Denkanstöße fragt sich der Leser allerdings, warum das Buch nicht auf Deutsch verfasst wurde. Immerhin soll doch den Entscheidungsträgern in Berlin die Wichtigkeit deutscher Verantwortung kommuniziert werden. Diese Frage ist bereits an die Autoren weitergegeben. Die Antwort wird mit Spannung erwartet.

Autor: Matthias Baumann

Freitag, 11. Juni 2021

MSC Report: das Dilemma von Wettbewerb und Kooperation

Ob Handy, Drohne, 5G-Netz, Marslandung, Quantencomputer oder Elektromobilität: China hat in wichtigen Technologiebereichen die Nase vorn. Wenn es so weitergeht, hat China bald den Westen überholt. Deutschland ist schon seit etwa zehn Jahren von der Entwicklung abgehängt. Und das, obwohl aus der Bundesregierung öfter mal der Begriff "Industrie 4.0" zu hören war. Während man in Deutschland über 4.0 redet, wird in China 4.0 gemacht.

Natürlich merkt auch China, welche Erfolge es einfährt und dass sich insbesondere Europa von der Volksrepublik abhängig gemacht hat. China wertet das als Sieg seines politischen Systems und wird damit auch zu einem politischen Trendsetter. Der Index demokratisch geführter Staaten ist inzwischen wieder auf das Niveau von 1990 gesunken. Wirtschaftsmacht und Demokratie sind also keine zementierte Einheit mehr. China redet offen über seine Interessen und geht deren Durchsetzung zielstrebig an. In sicherheitspolitischen Kreisen wird vermutet, dass nach Hong Kong als nächstes eine Eingemeindung von Taiwan auf der Agenda steht. Auch Japan zittert schon. Der Inselstaat nordöstlich von China rüstet massiv auf und stärkt seine internationalen Partnerschaften.

MSC Report: Between States of Matter - Competition and Cooperation
MSC Report: Between States of Matter - Competition and Cooperation (dji-Drohne aus chinesischer Produktion auf dem neuen MSC Report)

Allerdings sind die Gegengewichte zu China stark segmentiert. USA, Kanada und Japan stehen klar in militärischer und wirtschaftlicher Opposition zu China. Großbritannien, Indien, Deutschland, Frankreich und Italien sehen nur den militärischen Bereich als kritisch an. Sie wollen den großen Handelspartner nicht verlieren und dafür bei Bedarf das Südchinesische Meer mit maritimer Präsenz und möglicher Gewaltanwendung freihalten. Südafrika und Brasilien setzen auf Kooperation in beiden Bereichen: Wirtschaft und Militär. Hier zeigt sich das Dilemma: Einerseits ist China ein interessanter Handels- und Innovationspartner, andererseits verfolgt das Land eine aggressive Wettbewerbspolitik bei Handel, Rohstoffen, Ideologie und territorialer Ausdehnung.

Das Dilemma geht aber noch weiter: Die globalen Themen Erderwärmung und Pandemiebekämpfung lassen sich nur gemeinsam lösen. Corona hatte zwar zwei Monate gebraucht, bis es in Europa angekommen war, aber es war angekommen und dann weiter über den Globus geschwappt. Der neue Report der MSC (Munich Security Conference) trägt deshalb den vielsagenden Titel "Between States of Matter - Competition and Cooperation" - zu Deutsch "Zwischen bedeutsamen Staaten - Wettbewerb und Zusammenarbeit". Der Report enthält diesmal auch die Ergebnisse von weltweit durchgeführten Umfragen zur allgemeinen sicherheitspolitischen Lage. Wer mag wen? Wer hat vor wem besonders starke Angst? Was halten Sie von China? Von Russland? Von der EU? Von Deutschland?

Die mit Abstand größten Phobiker sitzen in Südafrika. In Südafrika hat man Angst vor Rassismus, sozialer Ungleichheit, Hungersnot, Wasserknappheit, Klimawandel und weiteren Pandemien. China taucht auf Platz 13 auf. Russland, USA, Europa spielen in Südafrika kaum eine Rolle oder werden positiv wahrgenommen. Südafrika fühlt sich auch sehr schlecht auf die abgefragten Herausforderungen vorbereitet. Alle anderen großen Länder machen sich vorrangig um das Klima und weitere Pandemien Sorgen und unterscheiden sich nur in zwischenstaatlichen Befindlichkeiten. So stehen bei russischen Antwortgebern die USA und Desinformationen ganz weit oben. Die größte Sorge in der "lupenreinen Demokratie" Russlands gilt jedoch der sozialen Ungleichheit. Bei Indien, Japan und den USA steht China als Problemfall ganz weit oben. Im Gegenzug rangieren die USA bei chinesischen Befragten an erster Stelle. Fast wie im Buddelkasten, wenn sich die Kinder gegenseitig Schippe und Förmchen ausgeborgt haben. In Deutschland fliegen China und Russland weit unter dem Radar der kritischen Wahrnehmung. Hier hat man eher Angst vor islamistischem Terror. Islamistischer Terror steht in Frankreich sogar auf Platz Eins.

China, China, immer nur China. Aber was ist mit Russland? China hat Russland in dessen Bedeutung als Gegenpol zum Westen abgelöst. Russland und China stehen sich zwar irgendwie recht nah, passen aber nicht wirklich zueinander. Auch sind die Interessen unterschiedlich. Russland ist schon seit zaristischer Zeit auf den Zugewinn von Land eingestellt. Das hat sich bis heute nicht geändert. Das kollidiert aber mit den territorialen Interessen von China. Zudem will China den Kurs bestimmen. Russland will das auch. Russland ist allerdings zu schwach, um dort adäquat mithalten zu können. Deshalb nimmt es die Rolle des Störers ein. Russland provoziert zwar gerne, vermeidet zurzeit aber militärische Abenteuer. Das Land hat zwar seine Streitkräfte massiv modernisiert, weiß aber, dass es nur dann angreifen kann, wenn ein schneller Erfolg sicher ist. Lang anhaltende Operationen kann Russland nicht finanzieren.

Bezüglich der politischen Einflussnahme - auch Destabilisierung genannt - ergänzen sich China und Russland hervorragend. Beide Staaten setzen auf eine interne Zersetzung anderer Staaten. Sei es durch das Einkaufen wichtiger Unternehmen, die Finanzierung destruktiver Bewegungen oder die Verbreitung von Desinformationen. Letztere verfälschen Tatsachen, erfinden wirkmächtige Anekdoten oder stellen das Handeln von Russland und China besonders heldenhaft dar. Beispiele dafür sind die medial hoch angehängten Lieferungen von Impfstoffen oder Masken. Die Ausschussrate bei chinesischen Masken lag bei 20%. Interessant ist hier auch, dass die chinesische Seidenstraßenaktion mit einem Investitionsvolumen von 255 Milliarden USD weit hinter japanischen Infrastrukturinvestitionen liegt. Japan investiert 367 Milliarden USD. Nur redet Japan nicht so viel darüber.

Apropos Geld: Seit acht Jahren ist ein Abwärtstrend beim Rohölpreis zu verzeichnen. Durch die Umstellung auf alternative Energieformen bleiben die arabischen Staaten auf ihrem Öl sitzen. Der Preis ist inzwischen so stark gesunken, dass nur noch Katar mit einer kleinen Rendite arbeitet. Oman, Saudi Arabien und Algerien erreichen schon seit 2015 keine Kostendeckung mehr. Die sozialen Folgen könnten in näherer Zukunft auch in Europa spürbar werden. Dafür gibt es für die Machthaber in der Republik Kongo einen Aufschwung. Die Cobalt-Vorkommen in dieser Region sind wichtig für neue Energietechnologien. Das weiß auch China und hat dort schon einige Infrastrukturmaßnahmen durchgeführt.

Wo ist eigentlich Europa? Diese Frage stellen sich nicht nur die USA. Während die USA ein klares Gegengewicht zu China demonstriert, zeigt sich Europa mal wieder uneinig und unentschlossen. Deutschland und Frankreich stehen hier in besonderer Verantwortung. Um Deutschland in die Puschen zu helfen, wurde vor wenigen Tagen von Mitarbeitern des IISS (International Institute for Strategic Studies) ein Buch zur strategischen Verantwortung Deutschlands veröffentlicht. Wenn Deutschland also schon die technische Entwicklung verschlafen hat, sollte doch die Übernahme der geopolitischen Verantwortung nicht auch noch verschlafen werden. Vakuum wird immer gefüllt. Fragt sich nur, durch wen?

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 3. Juni 2021

AKK und ihr Wumms-Paket aus Munster

Während der Bundesfinanzminister mit seinem "Wumms"-Paket" auf Stimmenfang für die nächste Wahl geht, brachte die Verteidigungsministerin gestern ein ganz anderes "Wumms"-Paket zum Einsatz. Mit viel Wumms, sattem Motorsound und quietschenden Ketten ließ sie sich die Ausrüstung und Fähigkeiten der Panzertruppe vorführen. Sie hatte auch einige Abgeordnete mitgebracht, die sich ebenfalls in die reichlich vorhandenen Staubschwaden hüllen konnten. Wohl dem, der den Hinweis auf die zweckmäßige Kleidung gelesen hatte. Ohrenschützer bekamen alle Besucher vor Ort gestellt.

AKK in Munster bei der Panzerlehrbrigade 9 - Puma, Leopard 2, Panzergrenadiere
AKK in Munster bei der Panzerlehrbrigade 9 - Das Bild zeigt einen aus zwei Soldaten bestehenden Scharfschützentrupp (links), zwei Schützenpanzer Puma und deren Besatzung, bestehend aus jeweils sechs Panzergrenadieren.

Annegret Kramp-Karrenbauer hat keine Berührungsängste, weder mit der Truppe, noch mit dem schweren Gerät. Nach dem ersten großen Programmpunkt hielt ein Puma direkt vor der Tribüne und nahm die Ministerin und den Kommandeur der Panzerlehrbrigade 9 auf. Der Kommandeur, Brigadegeneral Dr. Freuding, war selbst viele Jahre in Berlin tätig gewesen und hatte unter anderem als Adjutant für Ursula von der Leyen gedient. Das Leben bei der Panzertruppe bringt vermutlich weniger Stress mit sich. Insider vergleichen von der Leyens Arbeitspensum bis heute mit dem eines Duracell-Hasen.

AKK in Munster bei der Panzerlehrbrigade 9 - Puma, Leopard 2, Panzergrenadiere
AKK in Munster bei der Panzerlehrbrigade 9 - Puma aus der ersten Generation - "erstes Los"

Die Nähe zur Truppe wird nicht nur durch solche Details wie der Mitfahrt im Puma deutlich. Die Ministerin formuliert diese Priorität regelmäßig in ihren Statements und lebt es vor Ort entsprechend aus. Dabei spielen Zeit und Protokoll eine untergeordnete Rolle. In ihrer Funktion sitzt sie oft zwischen den Stühlen. Sie muss den Kollegen im Parlament vermitteln, dass die Bundeswehr entsprechend viele Mittel benötigt und andererseits wird ihr als Ungediente immer wieder Mangel an Fachkompetenz unterstellt. In den Gründungspapieren der Bundeswehr wurde klar geregelt, dass der Minister ein Zivilist sein solle. Erfahrungen mit gedienten Ministern zeigen, dass diese die Vorliebe zu ihrer ehemaligen Truppengattung nicht ablegen können und im schlimmsten Falle sogar ehemalige Kameraden ins Ministerium holen. Diese verfügen aber in der Regel nicht über die benötigten Kontakte und haben selten ein Gefühl dafür, wie sie sich am effektivsten auf dem politischen Parkett bewegen. Wohl dem, der dann keine herausfordernden Situationen zu meistern hat.

AKK in Munster bei der Panzerlehrbrigade 9 - Puma, Leopard 2, Panzergrenadiere
AKK in Munster bei der Panzerlehrbrigade 9 - Um das Höchstmögliche für die Truppe zu erreichen, muss die Ministerin ihre Parlametskollegen überzeugen.

Das Mitbringen der Abgeordneten kann als clever gewertet werden. Die gestrige Inszenierung der Panzertruppe im Verbund mit anderen Kräften war bildstark und anfassbar. Die Pumas auf dem Gelände gehörten allerdings noch zur ersten Generation, dem sogenannten "ersten Los". Die neue VJTF-Konfiguration wurde durch ein Panzergrenadierbataillon in Niederbayern getestet und für einsatztauglich befunden. VJTF bedeutet Very High Readiness Joint Task Force - auf Deutsch: Schnelle Eingreiftruppe.

AKK in Munster bei der Panzerlehrbrigade 9 - Puma, Leopard 2, Panzergrenadiere
AKK in Munster bei der Panzerlehrbrigade 9 - Ministerin ohne Berührungsängste: hier mitten in der Ortskampf-Vorführung.

Nach einer Ortskampf-Vorführung, bei der die Ministerin natürlich auch mittendrin war, gab sie ihr obligatorisches Pressestatement. Darin fand sie deutliche Worte zur Bedrohungslage, dass die Bundeswehr nicht kämpfen wolle, bei Bedarf jedoch kämpfen könne. Ohne Umschweife ging die Ministerin auf aktuelle Fähigkeitslücken wie die Abwehr von Drohnen und anderen Flugobjekten im Nahbereich ein. Wenige Tage vorher war aus dem Verteidigungsministerium zu erfahren, dass man sich dieser Thematik bewusst sei und aktiv an Lösungen arbeite. Das Gespräch mit den Soldaten war diesmal ans Ende des Truppenbesuchs verlagert worden, so dass Frau Kramp-Karrenbauer noch mehr Zeit für die Anliegen der Soldaten hatte.

Autor: Matthias Baumann