Freitag, 25. Februar 2022

Ukraine: Regierungspressekonferenz mit den Schwerpunkten Sanktionen, Flucht und Bundeswehr

Der russische Einmarsch in die Ukraine bestimmte die gesamte Regierungspressekonferenz. Damit war das wohl die erste Pressebegegnung mit der Bundesregierung seit zwei Jahren, in der das Wort "Corona" nicht ein einziges Mal vorkam. Die Dauermahner Wieler und Lauterbach hatten 20 Minuten zuvor den Saal verlassen.

Nur ein Thema: Ukraine

Nach Ankündigung einiger Termine des Kanzlers ging es sofort in den Fragenteil über. Die Presse interessierte sich für drei Schwerpunkte im Zusammenhang mit der Ukraine: Sanktionen gegen Russland, Umgang mit Geflüchteten aus der Ukraine und die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr.

Sanktionspaket mit Eskalationsstufen

Laut Regierungssprecher Steffen Hebestreit habe man schon länger ein breites Sanktionspaket in der Schublade. Dieses könne in verschiedenen Eskalationsstufen kurzfristig zum Einsatz gebracht werden. Allein beim Abschalten des russischen Zahlungsverkehrs tun sich Deutschland, Frankreich und andere EU-Staaten etwas schwer, da davon auch eigene Zahlungsflüsse betroffen seien. Hier seien die Zahlungsverpflichtungen für Energielieferungen genannt.

Flucht aus der Ukraine

Mehrere Fragen bezogen sich auf die Menschen, die gerade aus der Ukraine fliehen. Es gebe gesetzliche Möglichkeiten, deren Aufenthaltsstatus in Deutschland so zu gestalten, dass sie über einen längeren Zeitraum hier bleiben können. Die zuständigen Ministerien sprachen sich für eine gerechte Verteilung auf die EU-Staaten aus. Das hatte bisher nur bedingt funktioniert.

Bundeswehr

Der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, hatte sich nach der russischen Invasion zur völlig unzureichenden Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr geäußert. Der Bundeswehr fehlen insbesondere Luftabwehrfähigkeiten, wie es sie vor einigen Jahren noch mit dem Waffensystem Gepard gab. Bei Nachfragen zu dieser Fähigkeitslücke zucken Angehörige der Bundeswehr regelmäßig zusammen. Auf die Lücken in der Ausstattung des Heeres geht auch die aktuelle Military Balance des IISS ein: Deutschland müsse in Einsatzbereitschaft und Vollausstattung der Einheiten investieren, nachdem für mehrere Jahre mit "rotierender Ausrüstung" für Truppen in Training und Einsatz "experimentiert" worden sei.

Fairerweise muss erwähnt werden, dass das Verteidigungsbudget Deutschlands seit 2015 kontinuierlich gestiegen ist - und zwar um 30% beziehungsweise 10,7 Milliarden USD. Deutschland ist in der Lage, Waffensysteme für sämtliche Teilstreitkräfte selbst zu bauen. Unterstützt wird das durch Kooperationen mit Partnern in Europa. Das Stichwort Kooperation ist auch wichtig für die Frage der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands. Im Falle eines Angriffs wird vermutlich der Artikel 5 des NATO-Vertrages aktiviert, der alle 30 NATO-Staaten zur Mitwirkung verpflichtet. Das heißt, dass die 284 Kampfpanzer der Bundeswehr durch die 1.228 griechischen, die 797 polnischen und die 2.378 türkischen Kampfpanzer ergänzt werden können. Russland verfügt nur über 2.927 Kampfpanzer. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Deutschland 674 Schützenpanzer besitzt - davon 350 der modernen Puma.

Momentan geht vieles sehr schnell. Die Zeiträume zur Bereitstellung von Kampfeinheiten werden verkürzt, 13.000 Soldaten warten auf ihre Verlegung innerhalb der nächsten sieben bis 30 Tage. Einige Schiffe verlassen ihre Heimathäfen in Richtung Nordflanke der NATO. Ob und wann PATRIOT-Luftabwehrsysteme nach Osteuropa gebracht werden, ist derzeit noch in Klärung. Luftabwehr ist insofern wichtig, weil Russland seit mehreren Jahren sein Raketenarsenal ausbaut, die Raketen nahe seiner Westgrenze stationiert und über Systeme verfügt, die 2.000 und mehr Kilometer überwinden können. Putin könnte möglicherweise diese Langstreckenraketen gemeint haben, als er dem Westen mit direktem Blick in die Kamera ein Szenario androhte, das man bisher so noch nicht erlebt habe. Mit der Besetzung der Ukraine hat Russland die Reichweite seiner Raketen noch einmal deutlich erhöht.

Der mutige Mann

Zum Ende der Pressekonferenz ging es um den Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj. Regierungssprecher Hebestreit bezeichnete ihn als "mutigen Mann", der unter Gefahr in Kiev lebe. In den Sozialen Medien wurde dieses Verhalten mit Begeisterung quittiert. Zumal es in Sicht auf andere Beispiele der jüngsten Vergangenheit nicht selbstverständlich ist.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 24. Februar 2022

BMVg löst nationale Alarmmaßnahmen aus

Presseerklärung 10/2022 des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) vom 24.02.2022, 15:25 Uhr, zur Auslösung der nationalen Alarmmaßnahmen - Zitat:

Angriff Russlands auf die Ukraine - Bundesministerium der Verteidigung löst nationale Alarmmaßnahmen aus

Angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Ukraine hat die Bundesministerin der Verteidigung Christine Lambrecht betont:
„Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist ein drastischer Bruch des Völkerrechts und mit nichts in der jüngeren Geschichte vergleichbar. Präsident Putin hat ohne jeden Grund einen Krieg mitten in Europa vom Zaun gebrochen, er allein ist verantwortlich für das furchtbare Leid, das damit verbunden ist. Er hat mit der Anerkennung der beiden sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk das Völkerrecht mit Füßen getreten. Er hat das Minsker Abkommen zertrümmert. Die Ukraine ist und bleibt ein souveräner und freier Staat. Das Völkerrecht ist nicht verhandelbar. Russland muss sich nun auf beispiellose und sehr sehr harte Sanktionen einstellen. Ich appelliere an Präsident Putin: ziehen sie sofort ihre Truppen zurück.“

Die NATO hat aufgrund der aktuellen Ereignisse die Mitgliedstaaten aufgefordert, weitere Krisenreaktionsmaßnahmen auszulösen, die sogenannten „Crisis Response Measures“, ein Maßnahmenkatalog der NATO für den Krisenfall. Deutschland steht fest an der Seite seiner Bündnispartner und hatte gemeinsam mit den Alliierten der zugrundeliegenden Vorgehensweise im NATO-Rat, dem höchsten Entscheidungsgremium der NATO, zugestimmt.

Das Bundesministerium der Verteidigung hat nunmehr, basierend auf der NATO-Entscheidung zur Auslösung der Krisenreaktionsmaßnahmen, sogenannte nationale Alarmmaßnahmen ausgelöst. Die Bundeswehr wird bis in die einzelne Dienststelle vorbereitende Maßnahmen für den Fall einer Verlegung der sogenannten NATO Response Force treffen.

Die Bundeswehr ist vorbereitet und erhöht derzeit weiter ihre Bereitschaft. Das bedeutet auch, dass die Bevölkerung gegebenenfalls in den nächsten Tagen mehr militärische Bewegungen im öffentlichen Raum wahrnehmen kann. Es kann auch zu Einschränkungen im Verkehrsbereich kommen, da Transportkapazitäten zu Lande, zu Wasser und in der Luft für militärische Zwecke vorgehalten werden müssen.

Zu der Entwicklung der Lage werden wir weiter berichten, auch auf unseren Webseiten: bmvg.de und bundeswehr.de

Samstag, 19. Februar 2022

Weißes Haus veröffentlicht die amerikanische Indo-Pazifik-Strategie

Vor wenigen Tagen veröffentlichte das Weiße Haus seine neue Indo-Pazifik-Strategie. Den USA liegt die Region schon lange am Herzen. In diesem Zusammenhang wird die Rhetorik gegenüber China, dem Gegenpol im Indio-Pazifik, von Jahr zu Jahr schärfer. Längst geht es nicht mehr um die Befindlichkeiten bezüglich der chinesischen Ausnutzung seines WTO-Status, sondern um einen gefährlichen Wettbewerber in Sachen Technologie, politischer Einfluss und militärische Stärke.

Offene Seewege - Vernetzung - Wohlstand

Die Indo-Pazifik-Strategie enthält keine wirklich neuen Erkenntnisse. Ziel ist ein Offenhalten der Seewege für freien und fairen Handel. Immerhin wohnen dort 58% der Weltbevölkerung. 60% des globalen Bruttoinlandsproduktes werden dort erzeugt und es ist ein erhebliches wirtschaftliches Wachstum zu verzeichnen. Um sich einen Teil des "Kuchens" zu sichern, streben die USA eine starke Vernetzung mit gleichgesinnten Staaten an. So gibt es bereits viele Querverbindungen über Wirtschaftsverbände wie ASEAN (Association of Southeast Asian Nations), APEC (Asia-Pacific Economic Cooperation), PIF (Pacific Leaders Forum) oder YSEALI (Young Southeast Asian Leaders Initiative). Flankiert wird das durch Kooperationsangebote seitens der NATO, der EU und der G7.

Australien, Indien, Japan, Südkorea und andere Staaten sehen sich durch China insbesondere militärisch bedroht. Deshalb nehmen sie jedes Kooperationsangebot des Westens gerne an. Es wird sie freuen, dass die USA auf sämtlichen Gebieten ihr Engagement zu intensivieren planen: Investitionen, Expertise, Partnerprogramme, Militärübungen. Erfahrungen aus der Geschichte zeigen, dass wachsender Wohlstand die Gesellschaften den westlichen Wertesystemen zuführt. Bei China hatte das zwar gar nicht geklappt, aber warum gleich aufgeben? Das Indo-Pazifik-Papier stellt einen so engen Schulterschluss (shoulder-to-shoulder) mit den regionalen Partnern in Aussicht, dass der "systemische Rivale" China auch bei 5G und anderen Themen überrannt werden kann. Das betrifft die ersten drei Punkte des Papiers.

Sicherheit und Resilienz

In Punkt 4 geht es um den Ausbau der Sicherheitsstruktur im Indo-Pazifik. Das Weiße Haus spricht dabei von "asymmetrischer Stärke". Die asymmetrischen Konflikte der letzten 12 Jahre haben wohl auch ein Umdenken staatlicher Akteure bewirkt, die Asymmetrie nun in den eigenen Werkzeugkasten aufnehmen. Es sollen Partner gestärkt, ausgebildet und zur Selbstverteidigung befähigt werden. Reiserouten von Terroristen sollen unterbrochen, Cybersicherheit gewährleistet, Naturkatastrophen abgewendet, Pandemien behandelt, Korruption ausgerottet (root out corruption) und gesamtgesellschaftliche Resilienz aufgebaut werden. So beschäftigt sich der fünfte und letzte Punkt mit Resilienz gegenüber einer bunten Palette von Bedrohungen. Dazu wolle man mit sämtlichen relevanten Kräften zusammenarbeiten: Regierungen, Organisationen, Journalisten und Aktivisten der Zivilgesellschaft.

Die USA finden klare Worte, wenn sie in der Zusammenfassung des Papiers sagen, dass sie die eigenen und die Interessen ihrer Partner verteidigen werden - auch die von Taiwan. Die Entschlossenheit zur "Abwehr von militärischer Aggression" ist unmissverständlich formuliert. Dazu dienen eine Wahrnehmung der Leitungsrolle, der Ausbau verschiedener Infrastrukturen und die maritime Präsenz in der Region.

Deutschland und die maritime Präsenz

Maritime Präsenz hatte auch Deutschland in den vergangenen sechseinhalb Monaten im Indo-Pazifik gezeigt. Im Sommer 2020 waren die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung veröffentlicht worden. Federführend war das Auswärtige Amt. Aufgegriffen wurden die Leitlinien jedoch nur von der damaligen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK), die recht zügig in die Umsetzung gegangen war. Wegen Corona nahm sie zunächst per Videokonferenz Kontakt zu ihren Amtskollegen in Australien, Singapur, Japan und anderen Staaten des Indo-Pazifik auf. Die Gesprächspartner freuten sich sehr darüber, dass Deutschland mit der Entsendung einer Fregatte seine maritime Präsenz zeigen wolle. Im August 2021 wurde die Fregatte "Bayern" mit einem großen Medienaufkommen durch AKK in Wilhelmshaven verabschiedet. Gestern lief sie weitestgehend unbeachtet wieder in ihrem Heimathafen ein. Die neue Ministerin, Christine Lambrecht, weilte währenddessen bei der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC). Überhaupt überlagert das Problem Russland derzeit das zarte deutsche Engagement im Indo-Pazifik und spielt damit China in die Hände.

Autor: Matthias Baumann

Montag, 14. Februar 2022

#MSC2022 und die kultivierte Hilflosigkeit

Die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) versteht sich als ein Format, bei dem unterschiedliche Meinungen und Sichtweisen offen diskutiert werden können und sollen. So suchen die Veranstalter regelmäßig nach Überschriften, die einerseits den aktuellen Umgang mit Sicherheitspolitik auf den Punkt bringen und andererseits so provokativ sind, dass sie zu einem konstruktiven Diskurs anregen. Dabei kommen gelegentlich sogar Wortschöpfungen wie "Westlessness" (Ohne den Westen) heraus. "Westlessness" war vorgestern. Inzwischen sind wir bei "Helplessness" (Hilflosigkeit) gelandet.

Die Facetten der Hilflosigkeit

So fielen in der heutigen Pressekonferenz zur bevorstehenden MSC Wortgruppen wie "wachsende Hilflosigkeit", "kollektive Hilflosigkeit", "erlernte Hilflosigkeit", "Gefühl der Gestaltungsunfähigkeit" oder "gefühlter Kontrollverlust". Mit dem vollen Titel "Turning the Tide - Unlearning Helplessness" (Die Welle brechen - Hilflosigkeit verlernen) greift die MSC diesmal eine Redewendung aus der Psychologie auf. Denn auch in der Psychologie stehen Selbstwahrnehmung und Realität zuweilen in einem Missverhältnis. Die Hilflosigkeit zielt wohl auch auf die unklare Rolle Deutschlands, die bereits von IISS-Direktor Giegerich treffend beschrieben worden war und sich unter dem neuen Kanzler nicht zum Besseren gewandelt hat.

Russland und andere Themen

Fast alle Nachfragen drehten sich um Russland und die Situation an der Grenze zur Ukraine. Wolfgang Ischinger wollte nicht bestätigen, dass am kommenden Wochenende die Ostukraine bereits von Russland besetzt ist. Als Vollblutdiplomat sieht er nach wie vor diplomatische Möglichkeiten. Verschiedene russische Spitzenpolitiker wurden zur MSC eingeladen, halten sich aber mit Zusagen zurück. Auch hier spielt die Psychologie eine Rolle: Wer möchte schon allein in einem Kreis von Gegnern sitzen und über sicherheitspolitische Themen reden? Gemeint ist hier das, was der Journalist unter "grillen" versteht. Wolfgang Ischinger betonte jedoch, dass er sich keiner Seite verpflichtet fühle und als pensionierter Diplomat zu seiner aus Erfahrung gespeisten Meinung stehe. Er ist jedenfalls nicht "hilflos", sondern stellt sich bewusst den unterschiedlichen Ansichten.

Neben Russland, das erfolgreich seine Rolle als Störer auf die Tagesordnung katapultieren konnte, sollte erwähnt werden, dass es bei der MSC auch um andere virulente Themen gehen wird: JCPOE (Joint Comprehensive Plan of Action), China und das Südchinesische Meer, Nordafrika, die Sahelregion, die globale Gesundheit, Innovationen und das Klima.

Teilnehmer - Hygiene - Budget - Team

Wenig "hilflos" wirkt die Ausgestaltung der diesjährigen MSC: Es werden etwa 100 Minister, über 30 Staats- und Regierungschefs sowie die Leiter wichtiger Organisationen wie der WHO, der NATO oder der EU erwartet. Es wird bei einer Preisverleihung einen symbolischen Schulterschluss von EU und NATO geben.

Mit besonderer Konsequenz werde das umfangreiche Hygienekonzept umgesetzt, auf das auch das Land Bayern einen großen Einfluss hatte. Wer mit einem Impfstoff behandelt wurde, der in Deutschland nicht zugelassen ist, darf nicht in Präsenz teilnehmen. Das gilt zum Beispiel für Personen mit Sputnik-V-Impfung. Das Staatsbankett fällt aus, jeder Teilnehmer wird täglich einem PCR-Test unterzogen, die Teilnehmerzahl ist um mehr als die Hälfte reduziert und der gesamte Hygieneaufwand beläuft sich auf einen siebenstelligen Eurobetrag, was bei einem Jahresbudget von 10 Millionen Euro mehr als 10% entspricht. Wolfgang Ischinger dankte deshalb ausdrücklich allen Sponsoren, zu denen auch der deutsche Verteidigungshaushalt gehört. Er dankte auch seinem Team, das ihn so kompetent unterstützt. So sprach er sich am Ende der zeitlich weit überzogenen Pressekonferenz für eine "totale Transparenz" aus und erklärte, dass er im Prinzip mehr privates Geld in die MSC investiere, als dieses für sich aus der Veranstaltung herauszuholen.

Autor: Matthias Baumann