Donnerstag, 9. Juni 2022

Verfassungsschutzbericht 2021 und die Delegitimation des Staates

Pünktlich zur Urlaubszeit erschien auch in diesem Jahr wieder der jährliche Verfassungsschutzbericht. Die Lektüre der weit über 300 Seiten eignet sich hervorragend für laue Sommerabende, an denen die Kinder noch einmal über das Grundstück tollen und die Frau noch ein Bad zur Abkühlung im Pool nimmt. Der Verfassungsschutzbericht 2021 ist wieder gut, spannend und kurzweilig geschrieben und fesselt den Leser insbesondere beim Bereich Linksextremismus.

Verfassungsschutzbericht 2021 durch Innenministerin Faeser und Verfassungsschutz-Präsident Haldenwang in der Bundespressekonferenz vorgestellt
Verfassungsschutzbericht 2021 durch Innenministerin Nancy Faeser und Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang in der Bundespressekonferenz vorgestellt

Zwei wesentliche Unterschiede gibt es zu den Berichten der Vorjahre: Das Vorwort wurde nicht von Horst Seehofer geschrieben und der neue Bereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimation des Staates" kam hinzu. Analog der kürzlich veröffentlichten Statistik zur politisch motivierten Kriminalität (PMK) sieht sich auch der Verfassungsschutz mit einer Ablehnung der demokratischen Grundordnung konfrontiert, die sich heterogen durch die Bevölkerung zieht. Noch konnte kein klares Profil des Delegitimierers erstellt werden, so dass die PMK aktuell ihre Schublade "nicht zuordenbar" dafür aufgemacht hat. Der Verfassungsschutz analysiert in seinem Bericht die aktuelle Entwicklung und das Gefährdungspotenzial und kommt zu dem Schluss, dass aktuelle und zukünftige Krisen verstärkt zur Delegitimation des Staates genutzt werden. befeuert werde das durch Verschwörungstheorien und gezielt eingestreute Desinformationen. Die Delegitimation zeige ideologische Schnittmengen zum Rechtsextremismus, zum Linksextremismus, der Reichsbürgerszene und zu "geheimdienstlichen Aktivitäten" internationaler Akteure.

Hier bearbeitet Russland schon seit vielen Jahren sehr effektiv die Denkstrukturen der deutschen Bevölkerung. Das auf Deutsch publizierte russische Staatsfernsehen besetzt schon lange die politischen Tabuthemen, um sich als freies Informationsmedium zu etablieren. Die Taktik ist so simpel wie genial: Einfach dem Zuschauer das sagen, was er hören möchte - egal, ob es der Wahrheit entspricht oder ob es förderlich für das Gemeinwohl ist. Während vor einem Jahr noch Gelächter durch die Pressekonferenzen schallte, wenn Fragen zu Desinformation und Einflussnahme durch eine "fremde Macht" gestellt wurden, gibt es nun endlich eine eigene Rubrik im Verfassungsschutzbericht.

Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine haben auch die Cyberangriffe auf deutsche Computersysteme zugenommen. Bei Russland, China, Iran und der Türkei werden die höchsten Spionageaktivitäten beobachtet. Dabei geht es um die Ausspähung von Oppositionellen, die Beschaffung von Informationen zu geplanten Entscheidungen der Bundesregierung bis zur gezielten Einflussnahme auf die öffentliche Meinung.

Betrachtet man die Zahlen, stellt der Rechtsextremismus nach wie vor die höchste Bedrohungslage dar. Das relativiert sich allerdings bei einem Blick auf die Art der Vorkommnisse. Denn in der Gewaltbereitschaft steht der Linksextremismus seinen rechten Gegnern in nichts nach. Der Unterschied ist nur, dass auf der rechten Seite eine hohe Waffenaffinität vorherrscht und auf der linken Seite ein taktisch hochprofessionelles Vorgehen beim Begehen politisch motivierter Straftaten.

Um "Islamismus / islamistischen Terrorismus" und "auslandsbezogenen Extremismus" ist es während der Corona-Pandemie etwas ruhiger geworden. Das sollte jedoch nicht über das gleichbleibend hohe Gefährdungspotenzial hinwegtäuschen. Interessant sind die gut analysierten Freund-Feind-Szenarien beispielsweise im Verhältnis der Taliban zu anderen extremistischen Gruppierungen.

Wie schon bei der Vorstellung des Berichtes zur politisch motivierten Kriminalität zeigte sich Innenministerin Faeser auch in dieser Pressekonferenz entschlossen, "konsequent" vorzugehen. Dass das tatsächlich konsequent umgesetzt wird, zeigen die Ausführungen zu Gerichtsurteilen. Was die "verfassungsschutzrelevante Delegitimation des Staates" betrifft, müsse insbesondere die Desinformation als deren Treibstoff "neutralisiert" werden. Beim Wort "neutralisieren" zucken Bundeswehrangehörige zusammen. Es zeigt jedoch, wie ernst das inzwischen genommen wird.

Autor: Matthias Baumann