Montag, 16. März 2015

Dschihad und die Rekrutierung über spätpubertäre Identitätskrisen

Vor gut zwei Monaten sagte Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung zum Terrorismus: "Jeder Terrorist, der eine Explosion auslöst oder der Schüsse abgibt, weiß, dass er Menschen trifft, die er in der Regel nicht einmal kennt, die ihm nichts getan haben, die ihm nichts schuldig sind. Jeder Terrorist trifft daher eine eigene persönliche Entscheidung, für die er die Verantwortung übernehmen muss. Sie kann mit einer misslungenen Kindheit nicht gerechtfertigt werden".

Ob das die willigen Neudschihadisten im Alter von 16 bis 26 Jahren auch so sehen?

CDU/CSU-Fraktion
Fachgespräch "Auf dem Weg in den Dschihad" im Sitzungssaal der CDU/CSU-Fraktion
Als Quintessenz des heutigen Fachgespräches "Auf dem Weg in den Dschihad" bei der CDU/CSU-Fraktion des Bundestages setze die Akquise auf spätpubertären Lebensituationen auf. So habe der Verfassungsschutz etwa zwei Drittel der 650 Dschihadisten aus Deutschland analysiert und als einzige Gemeinsamkeit festgestellt, dass es "Brüche im Leben" gab.

Ansonsten seien die Bildungsstände, Wohnorte, Nationalitäten und Herkunftsfamilien sehr divergent.

Heute ging es in der Hauptsache um Frauen, die sich für den Dschihad begeistern ließen. Der Anteil liege bei 10% und werde vornehmlich über die Sozialen Netzwerke rekrutiert, wo über Sinn und Identität sowie die persönlichen Lebenskrisen und oben genannte Brüche geredet werden könne. Allgemein sei das Internet aber nur bedingtes Instrument für die finale Entscheidung. Wichtig sei der persönliche Kontakt zum Imam oder dem salafistischen Sozialarbeiter, der die Not des Menschen verstehe und ihn so auf seine Seite bekomme. Aus Mitleid und Rache über einen gefallenen Dschihadisten lasse sich so manch ein Mädchen motivieren, in den Kampf zu ziehen und auch mal einen Selbstmord-Anschlag zu verüben. Frauen hätten ansonsten eher logistische Aufgaben wie Versorgungsleistungen und perspektivisch angelegte Nachwuchsbeschaffung.

Schwarz gegen Weiß oder Gut gegen Schlecht seien klare Ansagen im Dschungel pluralistischer Gesellschaften. Überhaupt befänden sich laut Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor viele Muslime in einer Identitätskrise. Sie sehen sich selbst als Opfer, während sie von Deutschen vornehmlich als Täter angesehen werden. Die Identität, die sie selbst wahrnehmen, passe nicht zur Identität, die ihnen von Außen reflektiert wird.

Lamya Kaddor hatte die Initiative "Muslim 3.0" in "Extrem Out" umbenannt und kommuniziert auf der sozialpsychologischen Ebene mit ihren Schülern. Sie wünschte sich noch mehr islamische Bildung, so dass die Kinder religiös mündig werden, sich von selbst gezimmerten Islamvorstellungen des Elternhauses lösen und ihre eigene Richtung finden könnten. Fünf ihrer Schüler hatten die eigene Richtung im Dschihad gefunden und einer davon sogar im Selbstmord-Attentat.

CDU/CSU-Fraktion
Fachgespräch "Auf dem Weg in den Dschihad" im Sitzungssaal der CDU/CSU-Fraktion
Erwartungsgemäß wurde auch nach deutschem Rechtsextremismus gefragt. Seitens der anwesenden Fachleute des Verfassungsschutzes wurde dieser als Wechselwirkung bezeichnet. Es gebe inzwischen eine Gewaltspirale, die von mehreren Seiten genährt werde. Die mehrfach bemühte Islamfeindlichkeit sei aber definitiv keine Ursache für islamistischen Terrorismus.

Es wurde festgestellt, dass gerade in pubertären Lebensphasen eine erhöhte Empfänglichkeit für Extremismus vorliege. Extremismus sei Kult. Welcher Jugendliche möchte nicht gerne Teil einer attraktiven Jugendbewegung sein? Und dabei spiele es vornehmlich keine Rolle, welchen politischen oder religiösen Überbau der jeweilige Kult habe.

Entscheidend sei, die Eltern mit einem Höchstmaß an Provokation zu konfrontieren.

Dabei kann der Sohn des Linkenfunktionärs schon einmal zum Skinhead werden, der Sohn des Bankvorstandes zum Anarchisten oder die Tochter aus streng christlichem Elterhaus eine Dschihadistin. Ähnliche Phänomene sind bereits aus den Lebensgeschichten der amerikanischen Wild-West-Banditen wie Jesse James und anderen bekannt.

CDU/CSU-Fraktion Bundestag Plenum
CDU/CSU-Fraktion - Blick von der Fraktionsebene ins Bundestags-Plenum
Die Bundesregierung setze laut Karin Maag MdB zur Zeit 40 Mio. Euro für Initiativen zur Prävention und Bekämpfung von Islamismus, Salafismus und Antisemitismus ein. Daneben bedürfe es laut Stephan Mayer MdB jedoch weiterer Anstrengungen bei der Deradikalisierung in Justizvollzugsanstalten. Bei gesteigerter Aufmerksamkeit und konsequentem Entgegenwirken mache man Fortschritte und es gebe Gesetzesänderungen in Bezug auf das Personalausweisrecht und den vereinfachten Entzug der Staatsbürgerschaft während des Aufenthaltes in Krisengebieten.

Nach diversen Koreferaten, die sehr charmant von Moderatorin Tanja Samrotzki behandelt wurden, ging die Veranstaltung mit einem Schlusswort von Nina Warken MdB, Obfrau des NSA-Untersuchungsausschusses, zu Ende.

Autor: Matthias Baumann