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Mittwoch, 5. Juli 2023

Verteidigungshaushalt 2024 wächst um 1,7 Milliarden Euro und NATO-Quote wird erreicht

Pressemitteilung 30/2023 des BMVg vom 05.07.2023:

Das Bundeskabinett hat heute den Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2024 nebst Entwurf des Wirtschaftsplans 2024 des Sondervermögens Bundeswehr und den Finanzplan bis 2027 beschlossen. Der Verteidigungshaushalt steigt im kommenden Jahr um etwa 1,7 Mrd. Euro auf 51,8 Mrd. Euro.

Auch wenn der Bedarf der Bundeswehr über dem vorgesehenen Betrag liegt und gerade der laufende Betrieb künftig eine weitere Erhöhung des Etats erforderlich machen wird, spiegelt das Ergebnis die aktuellen finanzpolitischen Rahmenbedingungen wider. Im Vergleich zu dem bisherigen Finanzplan ist für den Verteidigungshaushalt in den Jahren 2024 bis 2027 nach jetzigem Stand eine Steigerung um insgesamt rund 7,3 Mrd. Euro vorgesehen.

Diese finanzielle Unterfütterung des Verteidigungshaushaltes ist angesichts der aktuellen sicherheitspolitischen Situation gut investiert – in unsere Sicherheit und Verteidigungsbereitschaft.

„Die vorgesehene Haushaltsplanung trägt den Aufgaben der Soldatinnen und Soldaten im Bereich der Landes- und Bündnisverteidigung Rechnung“, so Minister Pistorius. „Sie spiegelt gleichzeitig die angespannte Haushaltslage wider und wird einige Anstrengungen im Haushaltsvollzug erfordern. Es ist klar, dass wir hier nicht stehen bleiben können. Die Bundeswehr muss weiterhin modernisiert und vernünftig ausgestattet werden. Gemeinsam mit dem Finanzministerium werden wir dafür Sorge tragen, dass die dafür nötigen Mittel zur Verfügung stehen werden. Das Sondervermögen Bundeswehr gibt uns für die Ausrüstung unserer Streitkräfte zunächst den notwendigen Spielraum. So konnten wir im ersten Halbjahr mit einer hohen Anzahl an 25-Millionen-Euro-Vorlagen im Parlament die Voraussetzungen für eine zügige Umsetzung von Rüstungsprojekten sorgen. Nach der Ausschöpfung des Sondervermögens werden wir allerdings dringend einen deutlichen Sprung beim regulären Verteidigungshaushalt brauchen.“

Mit den Beschlüssen zum Verteidigungshaushalt wird zum einen dem Betrieb der Bundeswehr und zum anderen den Bereichen Fähigkeitserhalt und Fähigkeitsentwicklung Rechnung getragen. Ganz im Sinne der Zeitenwende können daneben aus dem im Sommer 2022 eingerichteten Sondervermögen Bundeswehr im Jahr 2024 rund 19,2 Mrd. Euro in Anspruch genommen werden. Die Mittel des Sondervermögens werden für die Finanzierung bedeutsamer Vorhaben, insbesondere komplexer überjähriger Maßnahmen, zur Verfügung stehen. Im kommenden Jahr sind zum Beispiel Ausgaben für den Schützenpanzer Puma, Flottendienstboote der Klasse 424, Fregatten der Klasse 126, Korvetten der Klasse 130, U-Boote der Klasse 212 Common Design, die Waffensysteme F-35 und Eurofighter, die bodengebundene Luftverteidigung mit IRIS-T SLM, den NATO-Hubschrauber 90, die Digitalisierung Landbasierter Operationen (D-LBO), Satellitenkommunikation, Bekleidung und persönliche Ausrüstung sowie für Munition berücksichtigt. Damit kann die Bundeswehr einen weiteren Schritt hin zu einem breiten und innovationsorientierten Fähigkeitsspektrum gehen.

Die Bundesregierung bekräftigt mit den heutigen Beschlüssen ihr Bekenntnis zu ihren internationalen Bündnisverpflichtungen in der NATO sowie innerhalb der EU. Mit dem Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt des Jahres 2024 und dem Finanzplan bis 2027 sowie dem Wirtschaftsplan 2024 des Sondervermögens Bundeswehr sollen ab dem kommenden Jahr 2% des Bruttoinlandsprodukts für NATO-Verteidigungsausgaben aufgewendet werden.

Das parlamentarische Verfahren soll unmittelbar nach der parlamentarischen Sommerpause im September 2023 mit der 1. Lesung des Haushaltsgesetzes 2024 beginnen.

Dienstag, 15. März 2022

Wehrbeauftragte Eva Högl stellt ihren Bericht 2021 in der Bundespressekonferenz vor

"Die Amtshilfe muss jetzt enden!", waren die klaren Worte von Eva Högl bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des 63. Jahresberichtes der Wehrbeauftragten des Bundestages. Bei allem Verständnis für die Belastung der Gesundheitsämter und anderer Einrichtungen durch die Corona-Pandemie fordert sie schon länger die zivile Verantwortung für zivile Angelegenheiten ein. Die Bundeswehr habe ihren Kernauftrag zu erfüllen. Überhaupt bietet Eva Högl auch Parteikollegen und der Verteidigungsministerin beherzt die Stirn: "Die Wehrbeauftragte ist unabhängig, und ich nehme das sehr ernst." Dabei betonte sie das "sehr".

In ihrer Vorrede, bei der Beantwortung von Fragen und im kleinen Kreise wurde deutlich, dass sie eine authentische "Freundin" der Bundeswehr ist. Das drückt auch der letzte Satz der Pressemitteilung aus: "Der Jahresbericht 2021 benennt nicht nur Versäumnisse, Mängel und Defizite. Die Truppe hat bewiesen, wie leistungsfähig, professionell und verlässlich sie ist. Dafür verdient sie unseren Respekt und unsere Anerkennung." Es gebe viele Dinge, auf die "wir" stolz sein können. Dass es einen kontroversen Diskurs gebe, begrüßte sie ausdrücklich: "Das schlimmste ist Desinteresse."

Wehrbeauftragte Eva Högl legt ihren Bericht 2021 in der Bundespressekonferenz #BPK vor
Wehrbeauftragte Eva Högl legt ihren Bericht 2021 in der Bundespressekonferenz vor.

So freute sie sich über die 100 Milliarden Euro Sondervermögen. Dieses bediene keine neu eingereichten Wunschlisten, sondern werde konsequent für die überfälligen Anschaffungen von Nachtsichtgeräten, Funktechnik, Kälteschutz, Nässeschutz, Helmen und anderen Dingen der Grundausstattung eingesetzt. Es könne nicht sein, dass ein Land wie Deutschland solche simplen Dinge nicht schnell beschaffen könne. Der Grund des Übels sei das hochkomplexe Vergaberecht, das andere EU-Staaten bereits etwas flexibler auslegen. Damit geht sie konform mit den Äußerungen des zuständigen Vizeadmirals, der das Beschaffungswesen als "toxisch" bezeichnet hatte. Aber auch die Ministerin ist inzwischen auf diesen Zug aufgesprungen.

Den jüngsten Einwurf von Generalleutnant Alfons Mais, dass die Bundeswehr "blank" dastehe, bezeichnete sie als "emotional" und konnte das aus ihrer Wahrnehmung nicht bestätigen. Bei 60 Truppenbesuchen in 2021 konnte sie sich von der Motivation und der Einsatzbereitschaft der Truppe überzeugen: "Unsere Soldaten sind gut vorbereitet und nehmen den Auftrag an." Allerdings begegnen ihr bei der Nachwuchsgewinnung ambivalente Überlegungen. Während die Bundeswehr bisher ein begehrter Arbeitgeber war, steht nun die Frage im Raum, ob Deutschland und dessen freiheitliche demokratische Grundordnung den Einsatz des eigenen Lebens wert ist. Andere fühlen sich durch die neuerliche Entwicklung in der Ukraine sogar beflügelt und möchten "auch etwas beitragen". So hat sich die Personaldecke der Bundeswehr im Gegensatz zu anderen Branchen während der Pandemie kaum verändert. Die 184.000 Bundeswehrangehörigen sollen mittelfristig noch auf 203.000 anwachsen. Eine Diskussion über die Reaktivierung der Wehrpflicht hält die Wehrbeauftragte zurzeit für wenig nützlich, obwohl sie anfänglich an der Befeuerung einer erneuten Diskussion darüber mitgewirkt hatte.

Eva Högl sieht sich als Anwältin der Soldaten und beleuchtet vom Kälteschutz über Baumaßnahmen, Arbeitszeitverordnung, Frauen, Auslandseinsätze, Mobbing, Schutzimpfungen bis zur Beschaffungsreform sämtliche Facetten des Lebens in der Bundeswehr. Der aktuelle Bericht umfasst 176 A4-Seiten. Der Bericht ist gut und flüssig geschrieben und enthält viele konkrete Beispiele. In 2021 hatte das Büro der Wehrbeauftragten 3.967 Fälle zu bearbeiten, von denen 2.606 persönliche Eingaben waren. Besonders wichtig scheint ihr das interne Klima und ein professionelles Führungsverhalten zu sein.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 27. Januar 2022

Neuregelung des § 217 StGB zur Suizid-Beihilfe

Fünf Vertreter verschiedener Parteien waren heute Mittag in der Bundespressekonferenz erschienen. Das zeugte von großem Konsens bei der Umgestaltung des Strafrechtsparagraphen 217. In § 217 StGB geht es um die Beihilfe zum Selbstmord. Ein Thema, das gerne in der Tabu-Zone belassen und nur ungerne öffentlich diskutiert wird. Entsprechend unprofessionell und unkontrollierbar sah bisher die Landschaft bei der Suizidhilfe aus.

Missbrauch verhindern

Der Laie denkt bei Suizid-Beihilfe wohl in erster Linie an eine Unterstützung bei der diskreten und schmerzlosen Durchführung. Die Gesetzesänderung soll aber genau das Gegenteil bewirken. Laut der fünf Parteienvertreter sei es gerade ein Mittel zur Suizid-Prävention. Die Hilfe zum Selbstmord sei demnach weiterhin strafbar, wenn die gesetzlichen Regelungen nicht eingehalten werden. Missbrauch solle verhindert werden. In der Neufassung sind zwei unabhängige ärztliche Gutachten zur Bestätigung der "Freiverantwortlichkeit" des Betroffenen vorgesehen. Ferner muss ein Beratungsprozess durchlaufen worden sein, in dem noch einmal die Gründe für den Selbstmord abgeklopft und idealerweise behandelt werden.

Der Schrei nach Beratung und Hilfe

Diskussionen mit Experten hätten ergeben, dass nur 10% der Suizidversuche tödlich enden. Wer seinen Suizid ankündige, verweise letztlich auf seine Ohnmacht, aus einer unerträglichen Lebenssituation aussteigen zu können. Es sei der Schrei nach einer Zäsur, die aber nicht zwangsläufig tödlich enden soll. Deshalb soll parallel das Beratungs- und Hilfsangebot ausgebaut werden, um gesunde Lebensperspektiven für die Zeit nach der Zäsur zu eröffnen. Wie das in der Praxis aussehen soll, ist noch unklar, da die relevanten Anlaufstellen während Corona weiter unter Druck geraten sind. Therapeutische Kapazitäten werden zurzeit wie Goldstaub gehandelt.

Hauptzielgruppe für Suizid sind Kinder und Jugendliche. Diese werden im Gesetzentwurf jedoch bewusst ausgeklammert. Für sie soll "assistierter Suizid" gar nicht gestattet sein, da ihnen die Zeitdimension des dann nicht mehr verfügbaren Lebens nicht vermittelbar sei. Auch hier gilt der Aufbau des Beratungsangebotes zur Klärung der unerträglichen Lebenssituationen - also ein klarer Ansatz von Suizid-Prävention.

Demnächst wird der Gesetzentwurf dem Bundestag vorgestellt. Es gilt als sicher, dass dieser eine entsprechende Zustimmung bekommt.

Autor: Matthias Baumann

Montag, 1. März 2021

Bericht der Wehrbeauftragten zur aktuellen Situation in den Streitkräften

Es ist schon beeindruckend, wenn Pressekollegen bereits während der Vorstellung eines Berichtes detaillierte Fragen zu dessen Inhalt stellen. Der Jahresbericht 2020 der Wehrbeauftragten, Eva Högl, umfasst 150 eng bedruckte A4-Seiten. Der Bericht ist keine einfache Lektüre, die man schnell mal nebenbei durchliest. Ein Selbsttest hat ergeben, dass bei begleitendem Tagesgeschäft gut eine Woche zum Lesen eingeplant werden sollte. Vermutlich hatten die schnellen Journalisten nach den Reizthemen gesucht und die betreffenden Passagen quergelesen.

Der Bericht ist sehr vielschichtig und enthält durchaus positive Aspekte. Er beschäftigt sich mit Corona, der Inneren Führung, der finanziellen Ausstattung, mit Personal und der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, mit Material, Infrastruktur, Digitalisierung, Einsätzen, Rechtsverstößen sowie der Fürsorge mit ihren reichhaltigen Facetten von Beschädigtenversorgung bis Militärseelsorge.

Bericht 2020 der Wehrbeauftragten Eva Högl zur aktuellen Situation in der Bundeswehr
Bericht 2020 der Wehrbeauftragten, Eva Högl, zur aktuellen Situation in der Bundeswehr - Vorstellung des Berichtes am 23. Februar 2021 in der Bundespressekonferenz

Die Wehrbeauftragte wird vom Bundestag für fünf Jahre gewählt. Damit überspannt sie den Zeitraum einer normalen Legislaturperiode. Das verschafft ihrem Sonderstatus eine entsprechende Geltung und fraktionspolitische Unabhängigkeit. Sie berichtet an den Verteidigungsausschuss des Bundestages, ist diesem aber administrativ nicht unterstellt. Der Bundestag und dessen Verteidigungsausschuss können der Wehrbeauftragten aber Weisungen erteilen. Darüber hinaus ist sie von Weisungen frei. Sie selbst darf Truppenbesuche ohne Voranmeldung durchführen. Dabei sind ihr alle gewünschten Unterlagen vorzulegen oder die entsprechenden Zugänge zu gewähren. Bei besonders geheimen Einrichtungen kann ihr nur durch Beschluss der Ministerin der Zugang verweigert werden. Das schafft ein Höchstmaß an Transparenz und Klärungsmöglichkeiten.

2020 wurden 3.907 Fälle bearbeitet, die sich entweder per Eingabe, durch meldepflichtige Ereignisse, bei Gesprächen am Rande von Truppenbesuchen oder durch Presseberichte ergeben hatten. Der größte Teil stammte aus persönlichen Eingaben, die vorrangig von Unteroffizieren und Mannschaftssoldaten eingereicht wurden. Es gab auch 35 anonyme Eingaben, die per Gesetz (WBeauftrG § 8) nicht bearbeitet, aber durchaus zur Kenntnis genommen werden. Gemäß Dienstvorschrift A-2600/2 dürfen Soldaten, die eine solche Eingabe machen, keine Benachteiligungen entstehen. Wer sich an die Wehrbeauftragte wendet, kann das direkt tun - ohne Einhaltung eines Dienstweges. Damit fungiert die Wehrbeauftragte als Petitionsausschuss für Soldaten. Ganz pfiffige Petenten richten ihr Anliegen zusätzlich an den Petitionsausschuss des Bundestages. Hier besteht aber ein reger Austausch, so dass die Vorgänge letztlich doch bei der Wehrbeauftragten landen und dort bearbeitet werden.

Wer den Bericht liest, wird immer wieder über dieselben Knackpunkte stolpern: Kommunikation, Bürokratie, widersprüchliche Rechtsgrundlagen und mangelnde Flexibilität. Wo Kummunikation und Flexibilität klappen, funktioniere es laut Eva Högl auch sehr gut mit der Teamarbeit, der Berufszufriedenheit und der bravourösen Erledigung von Aufträgen. Geldmangel ist inzwischen kein Thema mehr. Dafür aber die genannten Defizite in Struktur und Denkmustern. Gerade in den haarsträubenden Passagen zur Personalentwicklung, der Materialausstattung, der Digitalisierung und den Liegenschaften steht sich die Bundeswehr oft selbst im Weg oder wird durch Referenzbehörden der zuständigen Bundesländer blockiert.

Bericht 2020 der Wehrbeauftragten Eva Högl zur aktuellen Situation in der Bundeswehr
Bericht 2020 der Wehrbeauftragten Eva Högl zur aktuellen Situation in der Bundeswehr - Besonders traurig sieht es für Piloten und Fallschirmspringer aus. - Archivfoto 9/2020

Beispielsweise verlieren Piloten ihre Lizenzen oder Fallschirmspringer erleiden vermehrt Unfälle, weil keine Fluggeräte verfügbar sind oder kein Personal, das diese Geräte wartet oder bewegt. Damit fehlen die notwendigen Flugstunden oder Pflichtsprünge. Hinzu kommen ausgelaufene Wartungsverträge wegen Überalterung von Technik. Die Luftwaffe und luftmobilen Heereseinheiten befinden sich deshalb in einer sich technisch und personell gegenseitig befruchtenden Abwärtsspirale. Das sorgt für berechtigte Frustration bei hoch qualifiziertem Personal und Bereitschaftslücken bei der Landes- und Bündnisverteidigung.

Wenn es um qualifiziertes Personal geht, hat die Wirtschaft immer noch die Nase vorn: Wer sich nachhaltig in der freien Wirtschaft behauptet hat und nun mal etwas anderes machen möchte, wird durch Papierkrieg, elend lange Bearbeitungszeiten, praxisferne Einstellungstests, lustlose Kommunikation und unflexible Regeln für den Einstiegsdienstgrad und die Vergütung abgeschreckt. Gelingt solch ein Seiteneinstieg doch einmal, muss sich der neue Kamerad mit dem Neid der Bestandskameraden auseinandersetzen, die sich über Jahre hinweg hochgedient haben. Auch auf diese Befindlichkeiten geht der Bericht ein und zeigt damit, wie umfänglich die Themen betrachtet werden.

Überhaupt ist zwischen den Zeilen zu lesen, wie hoch die Wertschätzung der Wehrbeauftragten gegenüber den Soldaten und ihrem Dienst ist. Defizite werden nüchtern beim Namen genannt, Ursachen werden ermittelt und durchgeführte Maßnahmen lobend erwähnt. Es erfolgt keine parteipolitische Polemik über Sinn und Zweck der Bundeswehr, sondern eine professionelle Auseinandersetzung mit den oben genannten Themenkomplexen von Corona bis Fürsorge.

Eva Högls Vergangenheit als Juristin schwingt im gesamten Jahresbericht mit. Mehrfach geht sie auf juristische Widersprüche oder überholte Regeln ein, die dringend überarbeitet werden müssen. Ablesen lässt sich ferner die konstruktive Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsministerium. Bis auf wenige Meinungsverschiedenheiten scheint sie ein gutes Verhältnis zu den dortigen Entscheidungsträgern aufgebaut zu haben, ohne sich jedoch deren Einfluss zu unterwerfen. Sind wir also gespannt, wie viel von ihrem ehrlichen - und an vielen Stellen schonungslosen - Bericht in der näheren Zukunft umgesetzt wird. Immerhin liefert das Papier auch jede Menge Lösungsvorschläge.

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 23. Februar 2021

Wehrbeauftragte Eva Högl stellt ihren Bericht für 2020 vor

Die Art und Weise, wie Eva Högl im Mai 2020 in ihr Amt als Wehrbeauftragte gehievt wurde, hatte ihr keine gute Startposition verschafft. Ihr Vorgänger, Hans-Peter Bartels, galt als fachkundig und geschätzt bei der Truppe. Eva Högl war in Sachen Bundeswehr und Verteidigung ein unbeschriebenes Blatt. Vielleicht war das der Grund, warum der bekennende Pazifist und SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich gerade Eva Högl auf diesen Posten setzen wollte. Eva Högl hatte immer einen großen Respekt vor diesem Amt, aber nie darauf spekuliert. Ganz im Gegenteil, sie war im Mai 2020 gar nicht auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. Als Rolf Mützenich fragte, fühlte sie sich geehrt und sagte zu.

Wehrbeauftragte Eva Högl stellt ihren Bericht für 2020 in der Bundespressekonferenz #BPK vor
Wehrbeauftragte Eva Högl stellt ihren Bericht für 2020 in der Bundespressekonferenz vor.

Inzwischen liegen 30 Truppenbesuche unter Corona-Bedingungen hinter ihr und die Erstellung eines Berichtes mit knapp 150 Seiten. Erstmalig trat sie heute als Wehrbeauftragte vor die Presse und stellte den Jahresbericht 2020 vor. Es war eine beachtliche Zahl an Fotografen erschienen. Die Wortpresse konnte an zwei Händen abgezählt werden. Wer aber dabei war, konnte ihr unvorbereitet auf den Zahn fühlen. Das Ergebnis war beeindruckend:

Eva Högl beantwortete alle Fragen mit viel Sachverstand. Sie wirkte gut informiert und wich keiner Frage aus. Sie meisterte die Pressekonferenz völlig souverän und ohne eine verunsicherte Delegation an ihre anwesenden Mitarbeiter. Ein weiterer unerwarteter Pluspunkt war die Feststellung, dass Eva Högl von der Meinung ihrer Parteiführung abweicht und klar Partei für die Soldaten ergreift. So will sie den Soldaten Antworten zu Afghanistan liefern, setzt sich für bewaffnete Drohnen ein und hat in ihrem Bericht nicht nur Mängel aufgeführt, sondern auch Dinge benannt, die gut funktionieren. Sie zeigte sich beeindruckt von dem, was die Bundeswehr kann und leistet.

Die Amtshilfe während Corona sei ganz nett gewesen, aber es seien dadurch Themen wie die Auswahlkonferenz für Feldwebel auf der Strecke geblieben. Corona habe auch ihren Wirkungsradius eingeschränkt, so dass sie die Truppen im Auslandseinsatz erst nach dem Lockdown besuchen wird. Der Eindruck vor Ort und das persönliche Gespräch sind ihr sehr wichtig. Das klingt schon fast nach Militärbischof. Am Rande der Pressekonferenz war zu erleben, dass das keine Sprüche sind. Den Kollegen Thomas Wiegold von "Augen geradeaus!" begrüßte sie mit "Hallo Herr Wiegold, ... ich lese Sie öfter als ich Sie sehe."

Dass Eva Högl eine gute Arbeit leistet war auch schon aus der Truppe zu hören. Die heutige Pressekonferenz und das persönliche Erleben der neuen Wehrbeauftragten konnten das bestätigen.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 13. Januar 2021

Bürgerrat soll Lust an der Debatte fördern

Schirmherr Wolfgang Schäuble hatte sich bewusst ein kontroverses Thema für den aktuellen Bürgerrat ausgesucht: "Deutschlands Rolle in der Welt". Die noch geheime Vorsitzende des Bürgerrates, Marianne Birthler, ist gespannt auf die Ergebnisse der Diskussionsrunden. Diese werden derzeit online geführt und durch ein Team von 90 Personen vor- und nachbereitet. Hinzu kommen 30 Experten, die die beratenden Bürger beraten. Der eigentliche Bürgerrat besteht aus etwa 160 zufällig aus den Melderegistern ausgewählten Personen. Die Zusammensetzung sei in vielerlei Hinsicht heterogen.

Bürgerrat soll Lust an der Debatte fördern
Bürgerrat soll Lust an der Debatte fördern - Foto: Bürgerrat (Regionalkonferenz des Bürgerrates in Gütersloh im Sommer 2019 - also vor Corona)

Stellt sich die Frage, ob 160 Personen, die gerade einmal 0,0002 Prozent der Bevölkerung ausmachen, wirklich so repräsentativ für eine politische Meinungsbildung sind. Die Initiatoren des Bürgerrates werden ständig mit dieser Frage konfrontiert und antworten dann mit den Erfahrungen aus Irland und Frankreich. Dort werden nur 100 oder sogar weniger Personen per Zufallsprinzip in den Bürgerrat eingeladen.

Selbst bewerben kann sich ein Bürger also nicht. Das schütze den Bürgerrat auch vor einer "feindlichen Übernahme" durch Aktivisten, die ihre individuellen Ansichten als allgemeinen Willen des Volkes verstehen. Schließlich gebe es über den Bürgerrat hinaus die vielfältigen Möglichkeiten demokratischer Teilhabe in Parteien, Verbänden und Bürgerinitiativen. Der Bürgerrat soll bei den Beteiligten Lust auf diese weiterführenden Formate machen. Auch erlebe der beratende Bürger, wie herausfordernd die parlamentarische Debattenkultur sein könne, bei der am Ende idealerweise ein allseits akzeptierter Konsens stehe.  Die Erfahrung zeige, dass dieses Konzept aufgehe und sogar die Kontaktpersonen der 160 Bürger entsprechend für politisches Engagement begeistert werden.

Die Sitzungen des jeweiligen Bürgerrates belaufen sich auf insgesamt 42 Stunden. Die Teilnehmer werden dafür mit 450 Euro vergütet. Wer kein Internet hat, wird mit der entsprechenden Technik ausgestattet. Auch wenn Fahrt- und Hotelkosten derzeit wegfallen, ist die Aktion im virtuellen Raum nicht viel kostengünstiger. Das Budget des Bürgerrates mit seinem technischen Unterbau und den ergänzenden Kräften beläuft sich auf 1,8 Millionen Euro.

Der Bürgerrat ist ein sehr junges Element zur Beteiligung am politischen Diskurs. Einige Politiker fühlen sich von der Realität oder bestimmten Themen abgekoppelt. Deshalb erachten sie dieses Meinungsbild als wertvoll für die Entscheidungsfindung. Der Bürgerrat ist - wie der Name schon sagt - ein beratendes Instrument und trifft selbst keine Entscheidungen. Die Argumentation innerhalb des Bürgerrates und ein erzielter Konsens können allerdings finale Entscheidungen in der Bundespolitik beeinflussen.

Autor: Matthias Baumann

Montag, 21. Dezember 2020

Kirche setzt sich mit Rüstungsexporten auseinander

Es war eine dieser Pressekonferenzen, in der sich die Protagonisten darauf konzentrierten, einen Katalog von Forderungen vorzutragen. Die Prälaten Dutzmann und Jüsten waren persönlich erschienen und Dr. Simone Wisotzki war per Skype zugeschaltet. In der GKKE, der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung, sind evangelische und katholische Amtsträger zusammengeschlossen und versuchen, am sicherheitspolitischen Diskurs des Bundestages teilzunehmen. Als eine Art ethische Lobby und weitere Stimme in der Meinungsvielfalt des Parlaments.

Zum "Hinschauen, wo es weh tut" werden die Gläubigen regelmäßig von der Kanzel aus ermutigt. Langjährige Predigthörer wissen natürlich, in welche Richtung zu schauen ist, damit es möglichst nur bei anderen weh tut. Die GKKE hat sich für das Hinschauen den Prügelknaben der Nation ausgesucht: die Bundeswehr und im weiteren Sinne die Rüstungsindustrie. Akribisch wurden 100 Seiten mit statistischen Daten zu Rüstungsgenehmigungen und tatsächlichen Exporten zusammengestellt und mit entsprechenden Forderungstexten versehen. Hinzu kamen Klagelieder über die Differenz zwischen "politischer Rhetorik" und dem Handeln der Bundesregierung. Die GKKE selbst ist fein raus, da sie nur analysiert, beobachtet, kritisiert und fordert. Umsetzen muss sie nichts. Kein Wunder, dass das für Rüstung zuständige Wirtschaftsministerium seit 2018 den Dialog auf Eis gelegt hat.

GKKE Rüstungsexportbericht 2020
GKKE stellt ihren Rüstungsexportbericht 2020 vor - Das Archivfoto aus 3/2019 zeigt ein Maschinengewehr MG3 und dessen Munition. Kann der Nachschub an Munition gestoppt werden, endet bald auch der Konflikt.

Der 100-seitige Bericht und die Aussagen in der Pressekonferenz vermittelten den Eindruck, dass die Fachgruppe im Lagebild des Jahres 2000 lebt. Auf dieser Basis scheint sie die Zusammenhänge von Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik zu bewerten. Flankiert wird das mit der Definition eines ethischen Sollzustandes, der eine allseits praktizierte, regelbasierte Konfliktlösung voraussetzt. Das verschafft der GKKE eine Anschlussfähigkeit bei DIE LINKE und den Grünen. Terrorismus, Krim, Corona und Desinformation spielen als Bedrohungsszenarien eine untergeordnete Rolle. Über bewaffnete Drohnen fange man gerade an, sich eine Meinung zu bilden. Zumindest hat die GKKE das zeitlose Problemfeld der Kleinwaffen im Blick und weiß, dass ein Ende der Munitionslieferung auch ein Ende der Nutzung der Waffen bedeutet.

Während sich die praktizierende Christin Annegret Kramp-Karrenbauer über die Möglichkeiten des neuen Europäischen Verteidigungsfonds freut, wird dieser von der GKKE scharf kritisiert. Dass Deutschland und Europa seitens der USA zunehmend in die Eigenverantwortung entlassen werden, scheint außerhalb der Wahrnehmung dieser kirchlichen Fachgruppe zu liegen. Die Strategie der Hilfe zur Selbsthilfe ist ihnen wohl ebenfalls neu. So habe die Gruppe "wiederholt auf die Problematik der Ertüchtigung von Polizei und Sicherheitskräften in Drittstaaten hingewiesen". Nach allgemeinem Verständnis arbeiten Ausbilder von Polizei und Bundeswehr in fragilen Staaten, um ein gewisses Maß an Stabilität zu erreichen, bauen mit regionalen Kräften erste tragfähige Strukturen auf und haben das erklärte Ziel, entbehrlich zu werden. In einigen Ländern gelingt das und in anderen Ländern wie Mali stellt sich die Ausbildung regionaler Kräfte eher als Zeitverschwendung heraus. Hilfe zur Selbsthilfe stellt Hilfsbedürftige auf eigene Füße und entlastet damit die Helfenden.

Die GKKE heftet sich die Lorbeeren für eine Verbesserung der Transparenz bei Kriegswaffenausfuhren an und betont, dass sie Gerichtsverfahren gegen Heckler & Koch oder Sig Sauer beobachte. Diese sollen Kleinwaffen an problematische Empfänger geliefert haben. Sie schauen aber auch hin bei Waffenlieferungen an Staaten, die am Jemen-Konflikt beteiligt sind. Ein ganz schwieriges strategisches Thema, das die Außen- und Sicherheitspolitik von NATO-Partnern, Erdölabnehmern und Exportnationen in ein Dilemma führt. Als Lösung schlägt die GKKE ein Rüstungsexportkontrollgesetz vor. Auch möchte sie eine umfangreiche Kontrollinstanz für Rüstungsexporte und mögliche Weiterverkäufe von Waffen in deutschen Behörden etabliert sehen.

Politik in Deutschland wird mit Kompromissen gestaltet. Parteien, Ausschüsse, Arbeitskreise, Lobbyisten, Minister, Hinterbänkler und Journalisten bringen ihre Meinung ein. Dann wird debattiert. Einige Themen lösen sich zuweilen zwischenzeitlich von selbst. Und zum Schluss gibt es einen Konsens der stärksten Kräfte. In diesem Potpourri mischt auch die GKKE mit.

Autor: Matthias Baumann

Freitag, 27. November 2020

Haushaltsgesetz 2021 und die Frage nach dem einen Haushalt für 3 Ressorts im Umfang von 3% des BIP

Vier Stunden mit Maske in der Bundespressekonferenz zu sitzen, ist schon herausfordernd. Das ist aber gar nichts gegenüber dem, was die Vertreter der Bundestagsfraktionen geleistet haben: Mehr als 17 Stunden lang hatten sie von gestern 11:08 Uhr bis heute 4:37 Uhr um die finale Fassung des Haushaltsgesetzes 2021 gerungen. Nach einer kurzen Verschnaufpause saßen sie der Presse gegenüber. Dafür sahen die Damen und Herren aber noch erstaunlich frisch aus.

Corona ist wohl der größte Einflussfaktor für das Haushaltsgesetz 2021. Selbst die Opposition kommt zu dem Ergebnis, dass eine Aufstockung des Haushalts dafür richtig sei. Sie bemängelt lediglich die Art der Finanzierung und wirft Olaf Scholz vor, einen "Wahlkampfhaushalt" zusammengebaut zu haben. Und dann kommen auch schon die Differenzen innerhalb der Nichtregierungsparteien: Die Linke will die Schuldenbremse abschaffen und die FDP möchte diese strikter anwenden. Die Linke spricht sich für einen Lastenausgleich in Form von Sonderabgaben für Vermögende aus, während die FDP genau diese Personengruppe entlasten möchte, um ein gutes Investitionsklima zu schaffen. Die Grünen fordern ökologische Auflagen für bezuschusste Großunternehmen und die AfD möchte die Asylrücklagen zugunsten der Refinanzierung auflösen. AfD (459) und FDP (527) hatten mehr als die Hälfte der über 1.800 Änderungsanträge in die Bereinigungssitzung eingebracht.

#MSC #MSR Haushaltsgesetz 2021 und die Frage nach dem einen Haushalt für 3 Ressorts im Umfang von 3% des BIP
Haushaltsgesetz 2021 und die Frage nach dem einen Haushalt für drei Ressorts (Verteidigung, Diplomatie und Entwicklung) im Umfang von 3% des BIP

Nach der Opposition durften sich auch die Regierungsparteien zum Haushaltsgesetz 2021 äußern. Die CDU/CSU beklagte sich darüber, dass sich die Länder auf Kosten des Bundes ausruhten, obwohl diese nach aktuellen Erkenntnissen ähnliche Einnahmen wie 2019 hätten. Anders sehe das beim Bund aus. Die Union plädiert wie die AfD für die Auflösung von "Ausgaberesten". Es habe sich eine Mentalität des Ansparens etabliert, die vorhandene Gelder blockiere. Die SPD erläuterte die 35 Mrd. Euro für Corona: 15 Mrd. Euro seien verplant und 20 Mrd. Euro stehen als Reserve bereit, sind aber zu diesem Zweck vorerst gesperrt. Es war auch die SPD, die auf den weiter gewachsenen Verteidigungshaushalt in Höhe von 46,93 Mrd. Euro einging. In Relation zum gesunkenen BIP ist der Haushalt den 1,5% sehr nahe und steuert damit weiter auf die 2%-Verpflichtung gegenüber der NATO zu.

Da heute die haushaltspolitischen Sprecher sämtlicher Fraktionen zugegen waren, bot sich die Frage an, was sie denn vom jüngsten haushaltspolitischen Vorschlag der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) halten. Deren Vorsitzender, Wolfgang Ischinger, hatte vor wenigen Tagen in einer Videokonferenz noch einmal Folgendes bekräftigt: Das Ressort Verteidigung (BMVg), Diplomatie (Auswärtiges Amt) und Entwicklung (BMZ) sollten einen gemeinsamen Haushalt bekommen. Dieser solle einen Umfang von 3% des BIP haben. Das entspricht etwa 100 Mrd. Euro. Ziel sei es, die außen- und sicherheitspolitischen Aktivitäten der Bundesregierung optimal aufeinander abzustimmen und ressortübergreifende Konzepte umzusetzen. Komplexe geopolitische Entwicklungen erfordern ein konzertiertes Handeln.

Die AfD hatte von diesem Vorschlag noch nichts gehört. Es sei undenkbar, dass man so starke Ministerien unter einen Hut bringen könne. Überhaupt seien 3% des BIP viel zu hoch. Man bedenke zudem den bürokratischen Aufwand bei der Zusammenlegung der Ressorts.

Grüne und Linke haben eine sehr ähnliche Meinung zu diesem Thema: Militärisches und Ziviles müssten getrennt sein. Die 2%-Verpflichtung gegenüber der NATO sei völlig falsch. Die Grünen können sich allerdings eine inländische Krisenprävention in Zusammenarbeit mit Innenministerium (BMI) und BMVg vorstellen. Auf ihrer Delegiertenkonferenz hatten sich die Grünen vor wenigen Tagen auf ihre Linie bei der Außen- und Verteidigungspolitik festgelegt: Abrüstung, Rüstungskontrolle, Verbot von ABC-Waffen, Ende der nuklearen Teilhabe und eine Einbeziehung von China in die Abrüstungsbemühungen. Das würde funktionieren, wenn alle mitmachen. Das sieht "da draußen" aber seit mindestens sechs Jahren ganz anders aus.

Die FDP freute sich über die Frage und warf ein, dass sie ja diese Idee gehabt habe. Es gehe um die 3D: Defense, Diplomacy und Developement - also Verteidigung, Diplomatie und Entwicklung. Die FDP findet eine Kombination dieser Ressorts und damit den Vorschlag der MSC sehr sinnvoll.

Die CDU/CSU zuckte bei den 3% zusammen. Eckehardt Rehberg rechnete auf die Schnelle die Eurobeträge aus. Derzeit stehen für die 3D 64 Mrd. Euro zur Verfügung. 3% des BIP wären mit Dämpfungsfaktor Corona gut 100 Mrd. Euro. Nein, das sei "keine gute Idee". Es sei "nicht realistisch" und die mit einer Ressortkombination einhergehende "Bürokratie zu hoch".

Die SPD setzte auf der Argumentation von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer auf und bemerkte, dass das BIP zu variabel sei, als dass man es mit Prozentwerten auf den Haushalt adaptieren könne. SPD-Sprecher Dennis Rohde plädierte für einen Haushalt, der in einem sinnvollen Umfang die notwendigen Mittel für den Aufbau und den Erhalt der Fähigkeiten bereitstelle. Eine Kombination der Ressorts konnte er sich auch nicht vorstellen.

So bleibt festzuhalten, dass die FDP die höchste Zustimmung zu dem einen Haushalt für drei Ressorts mitbringt und offensichtlich den höheren Sinn hinter dieser Idee erkannt hat. Linke, Grüne und AfD stehen dem skeptisch und ablehnend gegenüber, während die beiden Regierungsparteien SPD und CDU/CSU weiter ihre Agenda durchziehen und erst einmal so langsam das 2%-Ziel der NATO anpeilen.

Autor: Matthias Baumann

Samstag, 3. Oktober 2020

Missbrauch findet täglich, überall und mitten unter uns statt.

Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs - kurz UBSKM - hat sich gut auf die bevorstehende Debatte im Bundestag vorbereitet. Gestern präsentierte Johannes-Wilhelm Rörig ein achtseitiges Positionspapier mit jeder Menge Forderungen an das Parlament und die Gesellschaft. Wegen einiger spektakulärer Fälle sei der Fokus zurzeit auf ein höheres Strafmaß verengt. Diesen Blick wolle er bewusst weiten, da das Strafmaß nur einen Teil der Lösung des Problems darstelle.

Es gehe vielmehr um eine breit angelegte Aufklärungsarbeit. Bezugspersonen wie Lehrer, Eltern, Trainer, Mitschüler, Erzieher - möglichst Alle - sollen sensibilisiert werden für Signale, die missbrauchte Kinder an ihre Umwelt aussenden. Auf diesem Wege steige das Entdeckungsrisiko für die Täter. Die Täter setzen sich aus sämtlichen demografischen und sozialen Struktur zusammen. Ihnen ist aber gemein, dass sie ihre Befriedigung aus dem Gefühl der Macht über Schwächere ziehen. Wer solche Ambitionen hegt, will nicht erkannt werden. Öffentlichkeit ist für diese Person schlimmer als eine langjährige Haftstrafe. Das gilt übrigens auch für sämtliche andere Erscheinungsformen des Vertrauens- und Machtmissbrauchs.

Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) Johannes-Wilhelm Rörig stellt das Positionspapier 2020 in der Bundespressekonferenz vor
Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) Johannes-Wilhelm Rörig stellt das Positionspapier 2020 in der Bundespressekonferenz vor (Foto: Archiv 05/2020).

Die internationale Vernetzung von Ermittlern treibt Täter neuerdings stark in die Enge. Das amerikanische System NCMEC (National Center for Missing and Exploited Children) liefert IP-Adressen und andere strafrechtlich verwertbare Daten an Partnerbehörden. Dadurch ist die Aufklärungsrate in Deutschland sprunghaft angestiegen. Das Risiko, entdeckt zu werden, ist also inzwischen sehr hoch.

Die nachhaltigen Folgen des Missbrauchs liegen hauptsächlich im psychischen Bereich: "Viele Betroffene leiden ihr Leben lang unter den Folgen der traumatisierenden Erlebnisse." Das wiederum ziehe Depressionen, Beziehungsunfähigkeit, finanzielle Probleme und andere die Biografie bestimmende Faktoren nach sich. Dessen sind sich vermutlich viele Täter nicht bewusst oder sie ignorieren es einfach.

Als kleines Trostpflaster wurde das Soziale Entschädigungsrecht (SER) eingeführt. Das greife jedoch zu kurz. Deshalb solle das flankierende Ergänzende Hilfesystem (EHS) neu aufgesetzt werden. Wer diese Angebote in Anspruch nehme, sei bereits von komplexen Trauma-Folgestörungen betroffen. Um dem zu begegnen, müsse die psychotherapeutische Versorgung verbessert werden. Auch Trauma-Ambulanzen seien notwendig.

Beratungs- und Hilfsangebote werden bisher generell stiefmütterlich behandelt. Sie verfügen kaum über die finanziellen Mittel, in Kampagnen, Räume und Fachpersonal zu investieren. Dabei geht der UBSKM davon aus, dass den wenigen angezeigten Fällen eine viel größere Dunkelziffer gegenübersteht. Die medienwirksam als "Einzelfall" aufgerollten Vorkommnisse seien nur die Spitze des Eisberges. Der Missbrauch finde "täglich, überall und mitten unter uns" statt. Man müsse ihn nur eben mit einem sensibilisierten Blick erkennen.

Die Bekämpfung des Kindesmissbrauchs sei eine ressortübergreifende Aufgabe, die immer wieder ins Bewusstsein des Parlaments und der Gesellschafft gezerrt werden müsse. Ein passendes Instrument dafür könnte die Berichtspflicht darstellen. Bisher unterliegt der UBSKM keiner wirklichen Kontrolle. Hat er eine Berichtspflicht zu erfüllen, dient das der Selbstreflexion und - viel wichtiger noch - der ständigen Erinnerung der Abgeordneten an dieses virulente Thema.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 30. September 2020

Serenade zur Verabschiedung des ehemaligen Wehrbeauftragten Dr. Hans-Peter Bartels

Die Verabschiedung des Wehrbeauftragten Dr. Hans-Peter Bartels fand gestern Abend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dabei waren der Präsident des Bundestages, die Ministerin, sämtliche Staatssekretäre und die komplette militärische Führung zur Serenade im Bendlerblock erschienen. Während sich die Gäste auf dem Paradeplatz drängten, waren die Hauptstadtmedien mit Hinweis auf Corona und eine Feier im kleinen Kreise ausgeladen worden.

Serenade zur Verabschiedung des Wehrbeauftragten Bartels
Ellenbogen-Begrüßung zur Verabschiedung des Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels (links) - Foto: Bundeswehr / BMVg

So konnte die Presse nachempfinden, wie sich Hans-Peter Bartels gefühlt haben musste, als er von der eigenen Partei (SPD) gegen eine unerfahrene Frau ausgetauscht wurde. Der Volksmund redet von "abgesägt". Der ebenfalls durch eigene Leute der EKD "abgesägte" Militärbischof hatte Hans-Peter Bartels noch zu seinem Abschiedsgottesdienst in die Julius-Leber-Kaserne eingeladen. Dort bekam er von der Ministerin und den Anwesenden den Applaus, den ihm die eigene Partei verwehrt hatte. Hans-Peter Bartels war beliebt und geschätzt bei der Truppe und der Generalität. Er hatte Missstände in der Bundeswehr ungeschminkt und sachlich in seinen Berichten dargelegt.

Der Generalinspekteur schätzte diese Ehrlichkeit sehr, auch wenn sie gelegentlich geschmerzt hatte. Ehrlichkeit zeichnet ein realistisches Lagebild, welches mit geeigneten Maßnahmen "bereinigt" werden kann. So ermutigt der Generalinspekteur auch immer wieder Rekruten, Teilnehmer der Generalsstabslehrgänge und andere zu Authentizität und Ehrlichkeit. Es ist jedoch zu beobachten, dass je höher die Dienstgrade, umso vorsichtiger der Umgang mit der eigenen Meinung - auch wenn diese durch fachliche Expertise unterfüttert ist. 2018 war beispielsweise der Inspekteur der Luftwaffe, Karl Müllner, vorzeitig in den Ruhestand entlassen worden, weil er sich für den amerikanische F-35 statt für den Eurofighter eingesetzt hatte.

Serenade zur Verabschiedung des Wehrbeauftragten Bartels
Serenade zur Verabschiedung des ehemaligen Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels auf dem Paradeplatz des Bendlerblocks - Foto: Bundeswehr / BMVg

Hans-Peter Bartels ist 59 Jahre alt. Der gebürtige Düsseldorfer absolvierte sein Studium in Kiel und wurde ein Wahl-Schleswig-Holsteiner. Das gipfelte letztlich in einer Heirat der Kieler Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke. Kein Wunder also, dass als erstes Wunschstück der Serenade "Gruß an Kiel" von Friedrich Spohr auf dem Programm stand. Passend zum Ort seines Wirkens als Wehrbeauftragter wurde anschließend "Berliner Luft" von Paul Lincke gespielt. Er bleib geografisch, so dass als drittes Stück die Europahymne erklang.

Das Stabsmusikkorps war als Protokollaufstellung mit Spielmannszug erschienen. Dieser konnte die "Berliner Luft" mit einer "Locke" einleiten. Die Musiker hatten diesmal auch keine Notenpulte im Einsatz, sondern höchstens Marschgabeln, falls jemand die Stücke nicht auswendig spielen konnte. Flankiert wurde das Musikkorps durch 30 Fackelträger des Wachbataillons. Eine würdige Veranstaltung zum Abschied von einem kompetenten und ehrlichen Freund der Bundeswehr.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 9. September 2020

Anwälte des Bürgers: Petitionsausschuss legt Bericht für 2019 vor

Die Mitglieder des Petitionsausschusses verstehen sich als Anwälte des Bürgers. Die Mitgliedschaft im Ausschuss geht quer durch die Parteienlandschaft: Schwarz, Grün, Gelb, Blau und verschiedene Rottöne sind in einer ausgewogenen Anzahl vertreten. Die Zusammenarbeit im Team kann als konstruktiv und engagiert beschrieben werden. Auch wenn sie vom Parlament eingesetzt sind, fühlen sie sich doch eher dem Bürger als den Kollegen verpflichtet.

Dass Anwälte nicht immer gern gesehen sind, zeigt sich schon darin, dass der Petitionsausschuss keinen eigenen Raum hat. Er muss sich immer vor neun Uhr in einem der Ausschussräume treffen - bevor die anderen Ausschüsse ihre stundenlangen Sitzungen abhalten. Davon lässt sich der Petitionsausschuss nicht entmutigen. Während des Lockdowns hat er lediglich eine Sitzung ausfallen lassen.

Petitionsausschuss des Bundestages legt Bericht für 2019 vor
Petitionsausschuss des Bundestages legt seinen Bericht für 2019 vor.
Das Arbeitspensum ist hoch: 2019 wurden 13.529 Petitionen eingereicht. Davon wurden 2.055 Petitionen (15%) aussortiert, weil sie keinen Absender enthielten, zur reinen Meinungsäußerung dienten oder beleidigend abgefasst waren. 4.304 Petitionen konnten auf kurzem Wege durch Beratung oder Weitergabe an regionale Stellen geklärt werden. Die übrigen Petitionen fanden ihren Weg in den Bundestag, das EU-Parlament oder andere zuständige Einrichtungen.

Im Zeitalter der Digitalisierung sollte man kaum glauben, dass ein Großteil der Anliegen per handgeschriebenem Brief übermittelt werden. Nur 36% wurden über das Online-Formular eingereicht. Mehr als die Hälfte der Themen war sehr persönlich: Stress mit dem Jobcenter, Familienzusammenführung, Visaangelegenheiten, Bearbeitungszeit von Anträgen und ähnliches. Spitzenreiter der Zuständigkeit waren das Innenministerium, das Ministerium für Arbeit und Soziales, das Gesundheitsministerium und das Justizministerium.2/3 der Antragsteller waren männlich. 25% waren Frauen und der Rest teilt sich auf Organisationen, Unternehmen, Parteien und sonstige Sammelpetitionen auf.

Auch wenn der Ausschuss immer wieder entsprechende Experten, Staatssekretäre und Mitglieder des Bundestages an einen Tisch bekommt, gibt es noch Luft nach oben. So wurde in der heutigen Pressekonferenz beklagt, dass sich die Zusammenarbeit mit Ministerien zuweilen schwierig gestaltet. Es geht dabei um die üblichen Dämpfungsfaktoren: Zuständigkeit, Bearbeitungszeit und Desinteresse.

Es ist übrigens ein Irrtum, dass nur gut finanzierte und mit vielen Unterschriften versehene Petitionen den Weg in den Bundestag und die Gesetzgebung schaffen. Der Petitionsausschuss nimmt jedes eingereichte Anliegen ernst. Wie zum Beispiel den Wunsch, das Teamspiel "Lasertag" für Kinder und Jugendliche zu öffnen. "Lasertag" ist die schmerzlose Variante von "Paintball". Es gab aber auch wieder diverse Themen von allgemeinem Interesse, so wie den Dauerbrenner Tempo 130 auf Autobahnen, die Abschaffung der Zeitumstellung oder der Wunsch nach härterem Vorgehen gegen straffällige Migranten und kriminelle Clans.

Ein weiterer Mythos rankt sich um die Veröffentlichung von Petitionen. Dafür gibt es gewisse Regeln. Wenn also ein Anliegen bereits parlamentarisch beraten wird, der Datenschutz eine wichtige Rolle spielt oder eine gleiche Petition vorliegt, kann von einer Veröffentlichung abgesehen werden. Ob eine Veröffentlichung stattfindet oder nicht, spielt für die inhaltliche Bearbeitung und die Gleichbehandlung keine Rolle.

Der Ausschuss hält sich zudem an eine Regel, die schon vor 2.000 Jahren in der Bibel fixiert wurde (Matthäus 7, 7), dass nämlich Vielschreiber durch ihr Vielschreiben kein gesteigertes Gehör finden. Vielschreiber sind Personen, die regelmäßig seitenlange Ausführungen einreichen. Mit diesem Wust an Schreiben wird ganz einfach umgegangen: Er wird in eine Petition zusammengefasst.

Das Recht auf Petitionen ist im Artikel 17 des Grundgesetzes geregelt. Über eine Petition kann demnach jeder Bürger in direkten Kontakt mit der Regierung treten. Der Petitionsausschuss ist so begeistert von seiner Funktion, dass er das auch als "missionarischen" Auftrag zur Stärkung anderer Demokratien ansieht. Deshalb werden regelmäßig Reisen ins Ausland durchgeführt. 2019 standen Libanon, Türkei, Tunesien, Marokko, Äthiopien und Ruanda auf dem Programm. Durch solche Reisen konnte erreicht werden, dass auch Großbritannien und die Mongolei einen Petitionsausschuss eingerichtet haben. Sie dienen aber auch zum Erfahrungsaustausch und der Beratung mit internationalen Partnern. Einige Regierungen haben Angst vor Petitionen. Die Ausschussmitglieder helfen, diese Angst zu zerstreuen.

Mehrfach wurde in der Pressekonferenz der Wunsch geäußert, dass Bürger mutig und zahlreich Gebrauch von ihrem Recht auf Petition machen sollten. Am besten jedoch per Online-Formular, weil das die Bearbeitungsprozesse deutlich beschleunigt.

Autor: Matthias Baumann

Samstag, 5. September 2020

Corona, Querdenker und fremde Mächte

Am letzten Samstag fanden in der City von Berlin wieder Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen statt. Organisiert wurde das maßgeblich von der Initiative "Querdenken 711" aus Stuttgart. Pressekollegen aus Berlin hatten den Anlass gemieden und den Samstag lieber auf der heimischen Terrasse, im Umland oder auf dem Balkon verbracht. Freunde und Bekannte wollten sich auch nicht in das Getümmel stürzen und verbrachten den Tag an der urbanen Peripherie.

Umso präsenter stellte sich die gesellschaftliche Peripherie in der City dar. Nach G20 in Hamburg war kaum noch etwas los in Deutschland. Endlich wieder Randale und das möglichst in einer Stadt, zu der man selbst keine Beziehung hat. Im Fahrwasser der schwäbischen Demo tummelte sich eine wahre "Melange" (Mischung) verfassungsrechtlich bedenklicher Akteure. Je nach inhaltlichem Schwerpunkt des Betrachters fielen diesem schwarz-weiß-rote Reichsfahnen, eine Fahne der Türkei oder zwei Fahnen der USA auf. An den Spitzen der Fahnen waren oftmals noch aufblasbare oder aus Pappe gebastelte Buchstaben "Q" zu sehen. Q wie Q-Anon oder Querdenken 711.

Verschwörungsgeschichten

Q-Anon ist nur eine von vielen Verschwörungsgeschichten, die derzeit unser Land überschwemmen. Demokratische Prozesse, Entscheidungsverantwortung und Meinungspluralität sind den Bürgern wohl zu anstrengend geworden, so dass diktatorische Zustände und in sich geschlossene Deutungssysteme wieder attraktiv erscheinen. Deren Anhänger zeigen bereits religiöse Anwandlungen und einen entsprechenden Fanatismus bei der Verteidigung ihrer elitären Erkenntnisse - und seien sie noch so abstrus.

Der Phantasie der Erfinder von Verschwörungstheorien sind keine Grenzen gesetzt. Hauptsache, die Story ist in sich schlüssig. Zielpublikum gibt es genug. Deshalb lassen sich Verschwörungsgeschichten auch gut als Geschäftsmodell aufziehen. Es muss lediglich auf vorhandene Missstände hingewiesen und dazu ein Schuldiger definiert werden. Ob der benannte Schuldige tatsächlich verantwortlich ist, spielt keine Rolle. Durch die Jagd auf diesen Einen wird von den ursprünglichen Problemen abgelenkt, ein gutes Gefühl des "Wir tun etwas" erzeugt und die initialen Missstände nicht gelöst. Wie simpel diese Theorien gestrickt sind, wird schon dadurch deutlich, dass bis heute "der Jude" den Platzhalter des Schuldigen ausfüllt. Die Dynamik entwickelt sich fast von selbst und am Ende will keiner die Verantwortung für die nicht erfolgte Lösung der Probleme und den Zusammenbruch des verqueren Denkgebildes tragen.

Ich sehe was, was du nicht siehst.

Während die Bundesregierung auf breiter Front erschüttert über die Fahnen des Deutschen Reiches war, relativierten das andere Beobachter mit den ein bis drei Fahnen der Türkei und der USA. Blind schienen jedoch die meisten gegenüber der überproportional hohen Anzahl russischer Fahnen zu sein: weiß-blau-rot als Fahne, weiß-blau-rot mit Adler, weiß-blau-rot am Rucksack, weiß-blau-rot kombiniert mit Querdenken-Fahne. Was haben so viele Russland-Fahnen auf einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen zu tun?

In sämtlichen sicherheitspolitischen Publikationen über den Cyber-Informationsraum (CIR) ist zu lesen, dass Russland hochentwickelte Fähigkeiten auf diesem Gebiet hat und diese auch konsequent und aggressiv einsetzt. Die baltischen Staaten arbeiten schon seit vielen Jahren an ihrer Resilienz gegenüber der Einflussnahme "fremder Mächte" in ihre Innenpolitik. Russland geht dabei sehr kreativ vor. Es beschäftigt behördliche und externe Kräfte mit der Beeinflussung von Diskussionen in sozialen Netzwerken sowie dem Verbreiten von Fake News und Halbwahrheiten. Russland unterfüttert medial und finanziell antidemokratische Kräfte in der EU und versucht damit den politischen Gegenpol an seiner Westflanke zu schwächen.

Die Frage nach der Zuständigkeit

Laut Aussage eines Sprechers des Innenministeriums habe man die Desinformationskampagnen zwar auf dem Radar, man solle sie aber nicht überbewerten. Die Bundesregierung sieht den Aufbau einer entsprechenden Resilienz in Deutschland als Querschnittsaufgabe. Wie bei Querschnittsaufgaben üblich, versanden diese, falls nicht jemand die Initiative zu deren Koordinierung ergreift. Dass in Deutschland tatsächlich kaum etwas in dieser Richtung getan wird, zeigen die Indizien und der jüngste Bericht der SWP (Stiftung Wissenschaft und Politik) über militärische Cyber-Operationen. Gerne wird auf die Geheimhaltung verwiesen. Dennoch entfalten auch geheime Aktionen zumeist sichtbare Wirkungen. Die Bundeswehr mit ihrem Kommando CIR darf in Bezug auf Desinformation gar nicht aktiv werden. Zuvor müssten die verfassungsrechtlichen und ethischen Grundlagen im Bundestag diskutiert werden. Kostbare Zeit, die angesichts der aktiven Einflussnahme russischer Akteure nicht zur Verfügung steht.

Apropos Verfassaung: Die wenigen Polizisten, die am Samstag den Eintritt der Demonstranten in den Bundestag verhindert haben, können von Glück reden, dass das eine unorganisierte und spontane Aktion war. Die beiden Polizisten mit ihren Stöcken hätten für trainierte Kampfsportler nur eine bedingte Hürde dargestellt. Jetzt werden sie als Helden gefeiert und durften am Montag sogar den Bundespräsidenten besuchen.

In Sicht auf die überforderte Bundespolizei kam die Frage auf, unter welchen Bedingungen das Wachbataillon zur Unterstützung am Reichstag eingesetzt werden könne. Immerhin ist der Schutz des Regierungssitzes Bestandteil von dessen Auftrag. Während des Corona-Lockdowns hatten Soldaten des Wachbataillons verschiedene Unterstützungsleistungen erbracht: Hilfsmitteltransporte, Objektschutz am Bundeswehrkrankenhaus und ähnliches. Warum dann nicht auch Präsenz zeigen am Reichstag? Es muss ja nicht gleich mit dem Transportpanzer Fuchs und auflafettierter Granatmaschinenwaffe vorgefahren werden. Dazu die Antwort eines Sprechers der Bundeswehr: "Eine Unterstützung durch das Wachbataillon für den Schutz des Regierungssitzes unter Inanspruchnahme hoheitlicher Zwangs- und Eingriffsbefugnisse müsste verfassungsrechtlich ausdrücklich zugelassen sein. Außerhalb eines Inneren Notstandes, des Spannungs- oder Verteidigungsfalles oder eines besonders schweren Unglücksfalles katastrophischen Ausmaßes ist dies nicht zulässig."

Autor: Matthias Baumann

Sonntag, 5. Januar 2020

3 Gedenktafeln zum 75. Todestag von Julius Leber in der Julius-Leber-Kaserne enthüllt

Die Gäste hatten sich auf Outdoor eingestellt. Bei klirrender Kälte sollten am Tagungszentrum der Julius-Leber-Kaserne Gedenktafeln für Julius Leber enthüllt werden. Am 5. Januar 1945 lagen die Temperaturen in Berlin knapp unter dem Gefrierpunkt. Es war bewölkt. Kein Niederschlag. Das Wetter muss sich ähnlich angefühlt haben wie heute, als Julius Leber vor genau 75 Jahren zur Hinrichtung geführt wurde. Er starb im damaligen Gefängnis Berlin-Plötzensee.

3 Gedenktafeln zum 75. Todestag von Julius Leber in der Julius-Leber-Kaserne enthüllt
3 Gedenktafeln zum 75. Todestag von Julius Leber in der Julius-Leber-Kaserne mit einem Zitat von Julius Leber enthüllt: "Für eine gute und gerechte Sache ist der Einsatz des eigenen Lebens der angemessene Preis."
Plötzensee befindet sich nur etwa vier Kilometer entfernt von der Julius-Leber-Kaserne. Diese trägt seit 25 Jahren den Namen dieses mutigen Sozialdemokraten. Julius Leber nahm aktiv am Ersten Weltkrieg teil und wurde mehrfach verwundet. Er war Demokrat durch und durch. Seit 1924 saß er in der sozialdemokratischen Fraktion des Reichstags und befasste sich dort mit sicherheitspolitischen Themen. Er positionierte sich klar gegen den Kapp-Putsch. Kein Wunder also, dass er 1933 verhaftet und nach Sachsenhausen gebracht wurde. Überhaupt sehr clever, sämtliche Oppositionspolitiker zu verhaften und dann auf "demokratischem" Wege die Abstimmungen durchzuführen, die zur Abschaffung der Demokratie notwendig waren.

Julius Leber kam 1937 frei und machte in Berlin-Schöneberg einen Kohlehandel auf. Damit erwirtschaftete er seinen Lebensunterhalt und schuf eine geniale Tarnung für Treffen von Widerstandskämpfern. Julius Leber war der Überzeugung, dass die Diktatur nur durch Gewalt zu beseitigen sei. So war auch geplant, dass Julius Leber nach einem erfolgreichen Stauffenberg-Attentat als Reichskanzler oder Innenminister eingesetzt wird. Sein Eifer ließ ihn jedoch einen schwerwiegenden Fehler machen, dessen Wiederholung in der Sozialdemokratie wohl symptomatisch ist: Er ließ sich mit den Kommunisten ein. Diese waren mit Spitzeln durchsetzt, die eine Verhaftung von Julius Leber anregten. Stauffenberg sah sich dadurch zum Handeln gezwungen und ließ zwei Wochen später seine Aktentasche explodieren. Während Stauffenberg noch in derselben Nacht des 20. Juli 1944 erschossen wurde, machte man Julius Leber einen Schauprozess.

Am 5. Januar 1945 wurde Julius Leber hingerichtet. Die drei Gedenktafeln, die heute enthüllt wurden, sollen im Frühjahr auf dem Gelände der Kaserne einbetoniert werden. Momentan sei es zu kalt für solche Baumaßnahmen. In die dicken Stahlplatten ist ein Zitat von Julius Leber eingraviert: "Für eine gute und gerechte Sache ist der Einsatz des eigenen Lebens der angemessene Preis." Der Text ist so geschrieben, dass der Betrachter zunächst überlegt, ob er die getrennten Kolumnen oder die über die drei Tafeln verteilten Zeilen lesen soll. Die rechte Tafel zeigt die Schlüsselwörter: SACHE - LEBENS - PREIS und JULIUS LEBER.

Video:
Enthüllung von 3 Gedenktafeln zum 75. Jahrestag der Ermordung von Julius Leber

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 12. November 2019

Gelöbnis vor dem Reichstag zum 64. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr

Das hätte sich Annegret Kramp-Karrenbauer auch nicht träumen lassen, dass ihr vor knapp 100 Tagen geäußerter Wunsch nach mehr öffentlichen Gelöbnissen so schnell in Erfüllung geht. Dazu noch an einer so prominenten Stelle wie dem Reichstag. Der Große Zapfenstreich zu 60 Jahren Bundeswehr war ja bereits ein Politikum. Danach wurden solche Veranstaltungen eher im Stillen zelebriert.

Gelöbnis vor dem Reichstag zum 64. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr
Gelöbnis vor dem Reichstag zum 64. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr - Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (Mitte im Rollstuhl), Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, der stellvertretende Generalinspekteur, Vizeadmiral Joachim Rühle (links mit schwarzer Marineuniform), und der Kommandeur des Wachbataillons, Oberstleutnant Kai Beinke (ganz links mit grauer Heeresuniform), bekräftigen das Gelöbnis stellvertretend per Handschlag gegenüber der Rekrutenabordnung
AKK zerrt die Bundeswehr nun wieder in die öffentliche Wahrnehmung und setzt sich damit zwischen sämtliche politischen Stühle. Mit der Forderung, das 2014 in Wales unterschriebene Ziel von 2% BIP für den Verteidigungshaushalt zu erreichen, steht sie ähnlich ihrer Vorgängerin allein auf weiter parlamentarischer Flur. Aber sie kämpft und das honoriert inzwischen auch die Truppe. Auch ihre Wortwahl hat sich in der viermonatigen Amtszeit schon auf Bundeswehr-Deutsch eingeschossen. So lief sie heute mit festem Blick in die Augen der Rekruten an der Gelöbnisaufstellung vorbei.

Gelöbnis vor dem Reichstag zum 64. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr
Gelöbnis vor dem Reichstag zum 64. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr - Abschreiten der Gelöbnisaufstellung durch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer #AKK und Vizeadmiral Joachim Rühle
Wolfgang Schäuble war heute prominenter Gastredner beim Gelöbnis. Er würdigte den Dienst der Bundeswehr und betonte die lange Friedenszeit, die auch ein Verdienst der Bundeswehr sei. Er ging zudem auf die Freiwilligkeit des Dienstes in der Bundeswehr ein. Die jungen Leute auf dem Platz vor dem Reichstag hätten ja auch Stellen in der freien Wirtschaft annehmen können. Stattdessen haben sie sich dafür entschieden, "Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen".

Die Rekruten kamen aus fünf verschiedenen Verbänden:

Logistikbataillon 172 aus Beelitz - Schlachtruf: "Logistik - Hurra!"
Wachbataillon - Schlachtruf: "Semper Talis!"
Schule für Feldjäger und Stabsdienst - Schlachtruf "Horrido - Joho"
Logistikbataillon 171 aus Burg - Schlachtruf: "Ohne uns - läuft nix!"
Artilleriebataillon 295 aus Stetten - Schlachtruf: "Zu - Gleich!"

Gelöbnis vor dem Reichstag zum 64. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr
Gelöbnis vor dem Reichstag zum 64. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr - Ausmarsch der Ehrenformation
Die immer wieder wegen ihrer formaldienstlichen und sportlichen Kondition belächelten Kameraden von CIR fehlten diesmal. Auch Sanitäter waren nicht dabei - abgesehen von denen, die eventuelle Ohnmachtsfälle bearbeiten sollten. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt war das Risiko jedoch gering.

Das Areal um den Reichstag war weiträumig abgesperrt. Während an der Friedrichstraße das Verkehrschaos tobte, war es im Radius von 500 Metern um den Reichstag sehr ruhig. Es gab diesmal nur eine gemeinsame Tribüne für VIPs und Angehörige hinter dem Rednerpult und es wirkte auf den ersten Blick so, als wären gar keine Angehörigen zugegen.

Gelöbnis vor dem Reichstag zum 64. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr
Gelöbnis vor dem Reichstag zum 64. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr - Alles dicht! - Rekruten des Wachbataillons
Für frühe Gäste gab das Stabsmusikkorps ein Platzkonzert mit selten gespielten Märschen. Der Ablauf des Gelöbnisses folgte dann den bekannten Regeln: Einmarsch der Rekruten, Einmarsch der Ehrenformation, Meldung der Gelöbnisaufstellung, Abschreiten der Gelöbnisaufstellung, Ansprachen gemixt mit Musikstücken, Vortreten der Fahnenabordnung, Vortreten der Rekrutenabordnung, Altniederländisches Dankgebet, eigentliches Gelöbnis, Nationalhymne und weitere festgelegte Elemente bis zu den finalen Schlachtrufen der einzelnen Rekrutenverbände. Neuerdings stehen diese auch in den Programmheften, da kaum jemand versteht, was da gerufen wird - zumindest vom Wortlaut her.

Video:
Gelöbnis am Reichstag zum 64. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr

Autor: Matthias Baumann

Freitag, 3. August 2018

2 Jahre Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und der Zukunft der Bundeswehr

Seit zwei Jahren steht das Weißbuch 2016 im Regal. Wie wird mit einem Buch der Bundesregierung umgegangen, das im A4-Format vorliegt und 142 Seiten hat? Ja, es wird gelegentlich durchgeblättert, das eine oder andere Foto betrachtet und dann wieder weggestellt. Zu wertig erscheint der geprägte weiße Einband, um das nur punktuell gelesene Werk dem Recyclingprozess zuzuführen.

Dank der medialen Sommerflaute wurde nun das Weißbuch aus dem Regal geholt und durchgelesen. Das war eine gute Idee. Erklärt sich daraus doch Vieles, was die Bundesregierung zurzeit formuliert und tut.

11. Weißbuch der Bundesregierung

Am 13. Juli 2016 wurde das jüngste Weißbuch verabschiedet. Es ist bereits das 11. Weißbuch der Bundesregierung "zur Sicherheitspolitik und der Zukunft der Bundeswehr". Das erste Weißbuch wurde 1969 herausgegeben. Damals war Gerhard Schröder noch Verteidigungsminister. Während des Kalten Krieges gab es eine erhöhte Weißbuch-Frequenz, bis schließlich im Jahr 2006 das vorletzte Weißbuch gedruckt wurde. Zehn Jahre also bis zum aktuellen Exemplar.

Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und der Zukunft der Bundeswehr
Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und der Zukunft der Bundeswehr
In den zehn Jahren zwischen 2006 und 2016 hatte sich sicherheitspolitisch Einiges verschoben. Insbesondere war eine neue Form der Kriegsführung hinzugekommen, die mit dem Attribut hybrid auf den Punkt gebracht wird. Hybrid bedeutet, dass die Grenze zwischen Krieg und Frieden verwischt und die Mittel zur Kriegsführung nicht mehr nur auf die drei Dimensionen Land, Wasser und Luft reduziert sind. Es kamen die zwei Dimensionen Weltraum und Cyber-Informationsraum hinzu.

Zwei neue Dimensionen

Wenn also von einem Angriff aus der fünften Dimension geredet wird, ist eine technisch versierte Attacke auf die Software- und Netzwerkarchitektur gemeint: Cyber. Ein Angriff aus der fünften Dimension könnten auch viral verbreitete Fake News sein: Informationsraum. Gerade Letztere stellen noch keine heiße Kriegshandlung dar, sorgen aber für Unsicherheit und destabilisieren Gesellschaften und Staaten.

Hilfe zur Selbsthilfe

Sebastian Kurz aus Österreich hätte seine Freude an diesem Weißbuch. Immerhin tangiert es ständig seinen Lieblingsbegriff Subsidiarität. Subsidiarität wird zwar als Wort nicht verwendet, aber das Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe, also der Hilfe zur Übernahme von Eigenverantwortung wird mehrfach als Leitlinie deutschen Handelns festgeschrieben.

Deutschland setzt auf Ausbildung, Beratung und Ausrüstung, wobei materielle Hilfe nur zur Flankierung nachhaltiger Entwicklungsprozesse einzusetzen sei. Ganz wie es Entwicklungshilfe-Minister Gerd Müller kürzlich formulierte: "Weg von der Gießkanne ... Wir wollen Fortschritte sehen!"

Deutschland mit Führungsverantwortung und Gestaltungsanspruch

Mehrfach taucht auch der Begriff der Rahmennation auf. Eine Rahmennation übernimmt im internationalen Kontext Führungsverantwortung. Entgegen der an den Stammtischen kritisierten Duckmäuser-Politik sieht die Bundesregierung im Weißbuch 2016 einen klaren Führungs- und Gestaltungsanspruch Deutschlands vor. Allerdings in einer Qualität, die auf fairen Regeln basiert und auf eine Reduzierung von Konflikten ausgerichtet ist.

Dieser Führungsanspruch wird wohl einigen EU-Mitgliedern nicht passen. Insbesondere den Staaten, die sich gerne mit deutschem Geld sanieren, aber einer gemeinsamen Verantwortung reserviert gegenüber stehen. Rahmennationen müssen ihre Führungs- und Gestaltungskompetenz vorab unter Beweis gestellt haben. Es führt also nicht, wer gerade Lust auf Macht hat, sondern der, der führen kann.

Russland und weiteres Konfliktpotenzial

Das Weißbuch enthält keine Multi-Kulti-Floskeln. Es grenzt sehr deutlich die Werte-Partnerschaften EU und USA gegenüber anderen Kulturkreisen wie Fernost oder dem arabisch-afrikanischen Raum ab. Dialog sei zwar die erste Wahl, jedoch müsse parallel ein robustes Abschreckungspotenzial aufgebaut und notfalls eingesetzt werden - idealerweise mit einer Wirkungsüberlegenheit.

Mehrfach wird Russland herausgestellt, das seit 2008 seine Streitkräfte modernisiert und immer wieder an den Grenzen der EU- und NATO-Partner ein Kräftemessen provoziert. Russland ist für sein Wirken aus allen fünf Dimensionen bekannt.

Mit sogenannten Ad-hoc-Kooperationen sollen Regionen mithilfe von Partnern befriedet werden, mit denen es sonst keine Verflechtungen gibt. Ad-hoc-Kooperationen sind - wie der Name schon sagt - schnell etablierte und temporär angelegte Partnerschaften zur Lösung eines regionalen Problems, das perspektivisch auch in Europa oder Deutschland ankommen könnte.

Breiter Diskurs und die Praxis

Das vorliegende Weißbuch wurde erstmalig in einem offenen Diskurs unterschiedlicher Experten entwickelt. Soldaten, Politiker, Wissenschaftler, Wirtschaftsvertreter und internationale Experten diskutierten über die Richtlinien zur Sicherheitspolitik und der Zukunft der Bundeswehr. Diese Art des Dialogs wurde konsequent bei den Workshops zum neuen Traditionserlass fortgesetzt. Das Traditionsverständnis wird auf drei Seiten unter Punkt 8.4 im weißen Buch behandelt.

Vergleicht man die Texte im Weißbuch mit dem, was Gerd Müller (BMZ) mit seinem Marshallplan mit Afrika initiiert hat, wie die Kanzlerin mit den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas verhandelt und wie die Verteidigungsministerin um ihren Haushalt kämpft, so stellt man ein fokussiertes Handeln auf Grundlage des Weißbuches fest.

Was ist nun mit den 2%?

"Aufgabenspektrum und Ressourcenausstattung der Bundeswehr wieder in Einklang zu bringen", taucht mehrfach im Text auf und legt die Bundesregierung klar auf das Ziel von 2% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Verteidigungsausgaben fest. Davon sollen 20% in Rüstungsinvestitionen fließen. So hatte es der NATO-Gipfel von Wales bereits 2014 beschlossen.

Momentan stehen nur 13% des Budgets für die Beschaffung zur Verfügung. Es gibt also noch einiges nachzujustieren, aber die Trendwende ist eingeleitet.

Für 2018 wurden der Bundeswehr bereits 38,5 Milliarden Euro bewilligt. Hinzu kommen 430 Millionen Euro für Tarifsteigerungen. 2019 kommen weitere 4 Milliarden Euro hinzu, so dass sich eine nominelle Steigerung von 10% auf 42,9 Milliarden Euro ergibt.

Bei der Diskussion um die 2% muss immer auch der Eurowert betrachtet werden. So ergibt sich bei 2% aus dem deutschen BIP beispielsweise der 25-fache Eurobetrag gegenüber 2% aus dem ungarischen BIP.

Autor: Matthias Baumann

Freitag, 1. Juni 2018

Enrico Brissa, Parkett und Protokoll

"Wozu liest du ein Buch über Höflichkeit?", fragte meine Frau nach der Grillparty mit den Omas. Ich war nicht zur Begrüßung aufgestanden, als ein weiterer weiblicher Gast aufgetaucht war. Genervt hatte ich die Grillsauce durchgereicht und während der familiären Konversation das Buch "Auf dem Parkett" von Enrico Brissa gelesen.

Der Vorwurf meiner Frau war nicht ganz unbegründet. Schon beim Lesen des Buches liefen einige Szenen aus dem Alltag am inneren Auge vorbei. Das Schlimme daran: Ich war fast immer beteiligt. Sei es der Kaugummi beim Staatsbesuch im Kanzleramt, sei es das Papiertaschentuch bei der Botschafter-Akkreditierung, sei es die zum Gruß ausgestreckte Hand bei der Begegnung mit einem Minister oder sei es eine beim Dinner überreichte Visitenkarte - das Buch sensibilisiert für ein entspanntes, aber korrektes Verhalten auf dem Parkett.

Enrico Brissa Lesung Handbuch Auf dem Parkett
Stolz präsentiert Protokoll-Chef Enrico Brissa sein Buch "Auf dem Parkett" bei einer Lesung im Buchladen Bayerischer Platz
Neben den soeben erwähnten Manieren und Unaufmerksamkeiten können auf dem Parkett weitere Peinlichkeiten passieren. So zum Beispiel 2015 beim Neujahrsempfang des Diplomatischen Korps im Schloss Bellevue. Als ich mich im Langhanssaal nach der Defilee-Liste bückte, riss mit lauter akustischer Begleitung meine Hose. Ein Diplomat aus Österreich und einer der umstehenden BKA-Beamten versicherten, dass nichts zu sehen sei, da das Sakko die Stelle verdeckte. Es war jedoch sehr peinlich und soll auch schon anderen Personen in protokollarischen Zusammenhängen passiert sein.

Der Fauxpas (gesprochen: Fo-pah) ist nach Enrico Brissa ein auf dem Parkett begangener Fehltritt, eine protokollarische Havarie oder sonstige Entgleisung. Je nach Umfeld und Schwere kann ein Fauxpas übersehen, im Nachhinein angesprochen oder sofort geahndet werden. Sehr unpraktisch ist es, wenn der Verursacher kein Feedback zu seinem Fehlverhalten bekommt und zukünftig einfach vor verschlossenen Türen steht. Diese Türen sind wörtlich und als Metapher zu verstehen.

Enrico Brissa hat das gute Benehmen bereits mit der Muttermilch aufgesogen. Als Sohn eines Italieners musste er als Kind an Familienfeiern im romantischen Piemont teilnehmen und wurde dort auf Etikette getrimmt: Besteck, Handkuss, Umarmung, Aufstehen, Sitzen, Konversation und weitere Dinge, die anderen Kindern erspart bleiben. Allerdings werden die geschonten Kinder sicher nicht Protokoll-Chef im Schloss Bellevue oder im Bundestag.

Der Autor hatte die Bundespräsidenten Wulff und Gauck begleitet und ist nun für den Bundestag tätig. Mehrfach ist er uns durch das Video oder die Fotos gelaufen. Elegant, mit einer bestimmten Höflichkeit gegenüber den Staatsgästen und oft mit der wegweisenden Geste für die Beteiligten. Eine seiner Handbewegungen ist seit geraumer Zeit Bestandteil meiner Kindererziehung oder wortlosen Führung von Gästen geworden. Das Buch hat mir jedoch gezeigt, dass noch diverse Defizite existieren. Daran lohnt es sich zu arbeiten.

Heute Abend begegneten wir Enrico Brissa bei der Lesung seines Werkes im Buchladen Bayerischer Platz. In den nächsten Wochen ist er mit Lesungen gut beschäftigt und dafür im gesamten Bundesgebiet unterwegs.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 30. Juni 2016

MHWK - Bustour durch das Regierungsviertel

"Hier ist der Wurm drin", war wohl das Schlagwort des Tages. Die seit zwei Monaten geplante und sofort ausgebuchte Stadtrundfahrt des MHWK Marzahn-Hellersdorfer Wirtschaftskreises wurde inhaltlich und terminlich mehrfach geändert. Am S-Bahnhof Biesdorf fiel dann erstmalig der zitierte Satz, als mitgeteilt wurde, dass der Bus nun doch erst gegen acht Uhr eintreffen werde. Im morgendlichen Berufsverkehr stellte das eine gewisse Herausforderung für die Absolvierung der final geplanten Tour dar.

MHWK im Reichstag


Am Reichstag trafen wir jedoch vor den üblichen Besucherströmen ein und mussten zunächst den passenden Eingang suchen. Besuchereingang oder Eingang Süd? Pontius und Pilatus konnten sich nicht einigen und schleusten uns letztlich durch den Käfer-Eingang. Inzwischen hatte ich das Zitat mindestens weitere zweimal gehört. Nach der Sicherheitskontrolle fuhren wir mit einem Fahrstuhl auf die Dachterrasse. Im Fahrstuhl konnte man die Wirkungsweise einer Endlosspiegelung auf die menschliche Psyche testen.

MHWK Marzahn-Hellersdorf Monika Grütters
MHWK Stadtrundfahrt - Endlosspiegelung im Fahrstuhl des Reichstages
Auf der Dachterrasse gab es ein offizielles Gruppenfoto für die Kulturstaatsministerin und die Möglichkeit zum Ersteigen der Kuppel. Im Dachrestaurant Käfer tagte der CDU-Wirtschaftsrat. Die Aussicht war beeindruckend. Asiaten schossen Selfies mit Skyline oder Kuppelkonstruktion. Die Kuppel war geöffnet und unten im Plenarsaal war kein Stuhl besetzt. Dennoch wurden wir zur Eile angetrieben, da der Besucherbetrieb gegen 9:30 Uhr wieder eingestellt werde.

MHWK auf dem Gendarmenmarkt


Der nächste geplante Punkt war das Kanzleramt. Obwohl es nur wenige Schritte vom Reichstag entfernt ist, hatten wir noch etwa eineinhalb Stunden Zeit. Diese wurden zu einem spontanen Besuch des Gendarmenmarktes verwendet. Durch die Absperrungen in der Innenstadt konnte dieses Zeitfenster sehr gut mit der Fahrtzeit des Busses überbrückt werden, so dass wir letztlich nur eine halbe Stunde über den Platz schlendern mussten. Kaffee, WC, Fotos, Glockenspiel und vorbei waren die dreißig Minuten.

MHWK Marzahn-Hellersdorf Monika Grütters
MHWK Stadtrundfahrt - Gemeinschaftsveranstaltung mit der Bundesregierung - Bus am Gendarmenmarkt
Bei der Fahrt zum Kanzleramt war wieder Gelegenheit für das eingangs erwähnte Zitat. Ein Motorrad mit Blaulicht stand quer zur Fahrbahn und die langen roten Teppiche im Ehrenhof wurden ausgerollt und abgefegt. "Da kommt gleich ein Staatsgast. Die Fahne kenne ich aber gar nicht", sagte ich zu der Dame vor mir. "Das werden wir heute Abend in der Aktuellen Kamera sehen", entgegnete sie.

Monika Grütters und ihr Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf


Der Bus hielt vor dem Eingang, die Gruppe sammelte sich und der nächste Sicherheits-Check erfolgte. Diesmal wurden auch Gürtel, Uhren und Schuhe abgelegt und geprüft. Wie sich herausstellte, wurden drei Herrschaften aus Bosnien-Herzegowina erwartet. Unsere Gruppe wurde in einen Konferenzraum geleitet und konnte dort eine Stunde lang Fragen an einen wissenschaftlichen Mitarbeiter von Kulturstaatsministerin Grütters stellen. Der Wahlkreis von Monika Grütters ist Marzahn-Hellersdorf. Nach einem Film über das Kanzleramt wurden die Aufgaben von Frau Grütters erläutert und Fragen zu Kulturbauten und internationaler Kulturpolitik gestellt. Alle Themen wurden kompetent beantwortet.

MHWK Marzahn-Hellersdorf Monika Grütters
MHWK Stadtrundfahrt - Empfangsbereich des Bundeskanzleramtes
Monika Grütters lade oft Delegationen nach Marzahn ein und zeige ihnen die sanierten Platten, die Gärten der Welt, die Einfamilienhaussiedlungen, das UKB Unfallkrankenhaus Berlin und weitere attraktive Plätze des Stadtbezirkes. Auch Zeitungsredakteure seien bereits auf diese Weise in der Berichterstattung transformiert worden. Botschafter und Spitzenpolitiker seien vorab immer skeptisch und letztlich doch überrascht über den grünen und völlig verkannten Bezirk im fernen Osten Berlins.

Von draußen waren die Klänge des Wachbataillons zu hören. Anhand der Musikstücke war genau zu terminieren, auf welchem Teil des roten Teppichs sich die Kanzlerin mit den drei Männern aus dem Balkan gerade befindet. Einige Damen nutzten einen WC-Gang, um den militärischen Ehren auch visuell beiwohnen zu können. Während sich die Presse auf die spätere Erklärung einrichtete, durfte sich unsere Gruppe das Erdgeschoss, den Ehrenhof und die Kanzlergalerie ansehen.

MHWK Marzahn-Hellersdorf Monika Grütters
MHWK Stadtrundfahrt - Ehrenhof des Bundeskanzleramtes
Danach ging es zum Restaurant Auster im Haus der Kulturen der Welt. Da es sich um eine Gemeinschaftsveranstaltung des MHWK und der Bundesregierung handelte, bekamen wir hier einen Teil unserer Steuerzahlungen in Form von Gulasch und Knödeln erstattet. Etwas Leerlaufzeit ergab sich nach dem Essen durch einen weiteren Staatsbesuch, der das Eintreffen des Busses behinderte. Unsere Tourbegleitung empfahl jedoch dringend, den nächsten Punkt Auswärtiges Amt mitzumachen. Das Wurm-Zitat erklang und wir warteten, um dann durch die dicht befahrene Innenstadt zum Auswärtigen Amt zu gelangen.

MHWK im Auswärtigen Amt


Nach der dritten Sicherheitskontrolle des Tages versammelten wir uns in einem holzgetäfelten Raum und sahen zunächst einen Film. Ein pensionierter Botschafter mit Adelstitel stellte sich kurz vor und wartete auf unsere Fragen. Diplomatisch wich er Fragen aus, die seine Person betrafen. Das war sehr schade, da ältere Diplomaten normalerweise viel von ihren Lebenserfahrungen und Episoden mit Personen der Zeitgeschichte an kommende Generationen weiterzugeben haben.

Bei der Rücktour war ich erstaunt über den guten Verkehrsfluss auf der B1. In Biesdorf verteilten sich die Gäste des MHWK und fuhren in ihre Firmen in Mahlsdorf, Hellersdorf, Kaulsdorf, Biesdorf und Marzahn zurück.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 8. Juni 2016

ZIA Tag der Immobilienwirtschaft 2016 #TdI16

"Schlipsträger verschwinden in der geschmacklosen Schlosskopie", lesen wir bei Twitter unter #stattschloss. Gemeint ist der Ausklang des ZIA Tages der Immobilienwirtschaft 2016 im Humboldt Forum am Schlossplatz 1.

ZIA Tag der Immobilienwirtschaft 2016 #TdI16
ZIA Tag der Immobilienwirtschaft 2016 #TdI16 - Alexander Dobrindt (mitte) im Stadtschloss
Bei 27,5°C war der Schlips im Schrank geblieben. Als ich gegen halb fünf an der Hauptstadtrepräsentanz der Telekom eintreffe, herrscht dort eine entspannte Atmosphäre. Schlipsträger und Schlipslose stehen vor der Tür und rauchen oder trinken Apfelsaft. Im Foyer stehen kleine Gruppen und fachsimpeln über neue Immobiliengesetze. Es gibt Kaffee und Kuchen und einen relativ leeren Saal, in dem gleich der Bundestagspräsident Norbert Lammert reden soll. ZIA-Präsident Andreas Mattner trifft noch die letzten Absprachen vor dem nächsten Programmpunkt. Er trägt eine Krawatte in ZIA-Gelb. Ich setze mich in die Nähe des Rednerpultes. Ein Gong ertönt und auf dem breiten Screen über der Bühne wird ein Countdown eingeblendet: 59, 58, 57, 56. Weitere ZIA-Protagonisten laufen emsig durch den Saal. Man erkennt sie am markanten Schlips in Kombination mit weißem Hemd und schwarzem Anzug - gelebte Corporate Identity. Als der Countdown die Null erreicht, sind viele der weißen Stühle besetzt.

ZIA Tag der Immobilienwirtschaft 2016 #TdI16
ZIA Tag der Immobilienwirtschaft 2016 #TdI16 - Bundestagspräsident Norbert Lammert
Norbert Lammert trägt heute eine blaue Krawatte mit weißem Muster. Tanja Samrotzki, die als Moderatorin durch den Tag der Immobilienwirtschaft führt, interessiert sich für die Methoden, die der ZIA für die Gewinnung eines so hochkarätigen Redners angewendet habe. Die Beziehungen reichen bis in die frühe Jugend von Andreas Mattner zurück. Bereits mit sechzehn hatte er Norbert Lammert kennengelernt. Beide kommen aus dem Ruhrpott. Damals hatte der Bundestagspräsident noch die Berufswünsche Musiker oder Fußballer. Gelandet ist er in der Politik. Die spitzfindig gestellte Frage, ob er sich denn noch einen anderen Berufswunsch erfüllen wolle, zu dem man ein gewisses Alter erreicht haben müsse, kommentiert er ebenso verklausuliert, so dass die Anwesenden daraus schließen können, er werde nicht für die Nachfolge von Joachim Gauck kandidieren.

Norbert Lammert, zu dessen Anmoderation erst einmal mehrere YouTube-Videos gezeigt werden, beginnt seine Rede wieder bei einem historischen Ereignis, das genau 201 Jahre zurückliegt. Die Deutsche Bundesakte war eine geschichtliche Weichenstellung für Europa. Er redet über Europa und gebraucht dabei Vergleiche aus der Immobilienbranche. Der exzellente Redner zieht die Zuhörer mit intelligentem Humor und Scharfsinn in seine Gedankenwelt hinein. Europa sei eine ernste und Besorgnis erregende Sache. Wenn man begeisterte Europäer suche, müsse man in Staaten gehen, die gar nicht in der EU sind. Diese Staaten seien frustriert darüber, dass sie nicht dem "Club der Frustrierten" angehören. Norbert Lammert zitiert einen ehrlichen, aber harten Zeitungsartikel unter der Überschrift "Die E(u)rosion" und resümiert: "Der Befund ist unerfreulich, aber zutreffend". EU-Staaten sollten sich auch endlich einmal wie Staaten benehmen. Er beobachte bei einigen "Staatslenkern", dass sie "sich als Opfer der von ihnen selbst herbeigefügten Beschlüsse fühlen". Abschließend zitiert er Imre Kertész, der Europa an seine Grundwerte erinnert. Grundwerte sind das Fundament eines überlebensfähigen Europas. Mit "Fundament" war der Bogen zum Tag der Immobilienwirtschaft geschlossen. Applaus. Standing Ovations. Applaus mindestens drei Minuten, anhaltend, kräftig und auch nicht durch die Bescheidenheitsgesten auf der Bühne zu beenden.

ZIA Tag der Immobilienwirtschaft 2016 #TdI16
ZIA Tag der Immobilienwirtschaft 2016 #TdI16 - Konferenzsaal vor der Rede Norbert Lammerts
Nach einem kurzen Interview verlässt der Bundestagspräsident den Saal. Viele Schlipsträger und ihre begleitenden Damen verlassen ebenfalls den Saal. Es beginnt eine Talkrunde, die sich mit Zuwanderung und den damit verbundenen Herausforderungen der Immobilienwirtschaft beschäftigt. Eine sehr interessante Diskussion zwischen Politik und Wirtschaft, deren Fazit eine gut gesteuerte Durchmischung von Wohngegenden mit Einheimischen und Zugezogenen ist. Das fange bereits im Hausaufgang an. Die vielfachen Nachlässigkeiten der Vergangenheit hätten Ghettoisierung und teilweise Totalentwertung von Gebäudekomplexen zur Folge gehabt. Hier seien Wohnungsbaugesellschaften und Quartiersmanagement gleichermaßen gefragt.

Anschließend gehen weitere Schlipsträger, die sich offensichtlich einen guten Platz im Schloss sichern oder im nahe gelegenen Hotel die Krawatte wechseln möchten. Das sind allerdings nur Spekulationen. Es werden nun zwei Gruppen nominierter Preisträger für "Köpfe 2016" auf die Bühne gebeten. Insgesamt erhalten die beiden Unternehmer Marion Schmitz-Stadtfeld und Prof. Jörg Friedrich sowie Bürgermeister Hans-Josef Vogel ein farbinvertiertes Bild. Ihre Projekte befassen sich allesamt mit der Integration von Geflüchteten. Dabei geht es um praktischen und bezahlbaren Wohnraum sowie die soziale Integration in die regionale Gesellschaft. Genau der Ansatz, der auch in der vorausgegangenen Paneldiskussion verfolgt wurde.

ZIA Tag der Immobilienwirtschaft 2016 #TdI16
ZIA Tag der Immobilienwirtschaft 2016 #TdI16 - Demonstration zum Thema #stattschloss
Als wir zusammen mit den Preisträgern den Saal verlassen, ist das Foyer überfüllt mit den vorab gegangenen Teilnehmern. Es war also tatsächlich reine Spekulation, dass sie ihre Krawatten wechseln oder ins Schloss gehen würden. Deshalb ist auch an der Scheibe neben der Eingangstür klar zu lesen: "Spekulant". Daneben noch einige rote Hände mit präsentiertem Mittelfinger. Vor der Tür mehrere Polizeibusse und Polizisten in Einsatzkleidung. Über Lautsprecher erfahren wir, dass soeben eine unangemeldete Demonstration aufgelöst wurde und man wegen der Eskortierung zum Schloss mit der Polizei in Kontakt stehe. Die Demonstration habe sich bereits zum Haupteingang des Schlosses verlagert. Mittelfinger, Plakate und Konfetti waren wohl während der letzten Programmpunkte im Eingangsbereich des Telekom-Hauses verteilt worden. Wie in diesem Video zu sehen ist, wurde eine Vielzahl der verspäteten Gäste nicht zur letzten Paneldiskussion über integratives Wohnen eingelassen. Laut Flickr mussten wohl einige Schlipsträger nach der Demonstration ihre eingefärbte Kleidung wechseln.

ZIA Tag der Immobilienwirtschaft 2016 #TdI16
ZIA Tag der Immobilienwirtschaft 2016 #TdI16 - Polizeieskorte zum Stadtschloss
Nach etwa einer Stunde im "goldenen Käfig" der Telekom werden die Anzugträger mit und ohne Krawatte sowie die Powerfrauen aus der Immobilienbranche über Nebenwege zum Humboldt Forum eskortiert. Eine spannende Situation, die ein wenig an die Zeit vor dem Umbruch im Filmklassiker "Doktor Schiwago" erinnert. Strahlender Sonnenschein, bestes Wetter für Baustellenfotos. Während die Demonstranten mit Möbeln vor dem Südeingang des Schlosses warten, passieren wir die Holzpforte an der Nordseite. Unsere Namensschilder werden gescannt. Dann geht es an den Sanitärcontainern vorbei. Im Hauptportal wird Sekt gereicht. Vor uns steht eine lange Tafel mit abgedeckten Speisen, eine große Bühne mit den schweren Holzbuchstaben "ZIA" und noch eine übersichtliche Schar an Gästen.

ZIA Tag der Immobilienwirtschaft 2016 #TdI16
ZIA Tag der Immobilienwirtschaft 2016 #TdI16 - Party im Innenhof des Stadtschlosses
Langsam füllt sich der Innenhof des Schlosses. Das zweite Glas Sekt, Gespräch mit Bekannten und dort Alexander Dobrindt. Wie aus dem Nichts steht er plötzlich neben uns im Innenhof und ist umringt von den ZIA-Vorständen. Gleich wird es eine Rede geben und das Buffet eröffnet. Es gibt vorwiegend deftige Kost von Lachs bis Schweinshaxe und Pilzen. Dazu Kartoffelsalat, Eis und Getränke für jeden Geschmack.

ZIA Tag der Immobilienwirtschaft 2016 #TdI16
ZIA Tag der Immobilienwirtschaft 2016 #TdI16 - Blick in die VIP-Lounge
Im Westflügel befindet sich die VIP-Lounge mit stilecht gekleideten Einlassern und Ledersesseln. Umbaut von unzähligen Gerüsten und zwei Hebebühnen. Die Innenarchitektur des Schlosses ist rot illuminiert und bietet viele spannende Sichtachsen. Fotos über Fotos entstehen. Gut, dass kein Film mehr gewechselt werden muss.

ZIA Tag der Immobilienwirtschaft 2016 #TdI16
ZIA Tag der Immobilienwirtschaft 2016 #TdI16 - Ausblick vom Dach des Schlosses
ZIA Tag der Immobilienwirtschaft 2016 #TdI16
ZIA Tag der Immobilienwirtschaft 2016 #TdI16 - Blick in die Kuppel des Schlosses
Über eine Treppe gelangen wir in die erste Etage. Von dort aus führt eine weitere Treppe auf das Dach des Schlosses. Was für ein Blick über das abendliche Berlin. Über Bretter und Stiegen geht es zur Kuppel. Von hier aus hat man die beste Rundumsicht. Auch ohne Krawatte ist mir ein weiterer Aufstieg in die Spitze zu riskant. Die aufgerissene Hose beim Botschafterempfang im Schloss Bellevue ist immer noch zu präsent. Das sollte hier nicht passieren. Beim Abstieg in das offizielle Geschehen nutzen wir andere Wege und haben beim Eintauchen in die Party eine dicke Schicht von Baustaub auf den Schuhen. Nach Eis und Mineralwasser bedanken wir uns noch einmal für die gute Moderation bei Tanja Samrotzki und verlassen mit einem Goody Bag das Schloss. Es ist Nacht und die Französische Straße ist wieder für den Fahrzeugverkehr freigegeben.

Autor: Matthias Baumann