Freitag, 13. Dezember 2019

Disunited Kingdom nach der Wahl - Political Breakfast der British Chamber of Commerce

7:45 Uhr ist schon eine sehr herausfordernde Uhrzeit für den gemeinen Schreibtischtäter. Sogar die Straßen waren um diese Zeit gut passierbar. Auch in der Tiefgarage des Towers von Ernst & Young an der Friedrichstraße war noch reichlich Platz. So langsam kam Berlin in die Gänge. Mit müdem Blick wurde zur Kenntnis genommen, dass Boris Johnson gerade die Wahl in Großbritannien gewonnen hat. Wie jetzt? Boris Johnson? Mit deutlicher Mehrheit?

Disunited Kingdom nach der Wahl - Political Breakfast der BCCG
Disunited Kingdom nach der Wahl - Political Breakfast der BCCG bei Ernst & Young - Berlin erwacht nach dem Wahlsieg von Boris Johnson - Blick aus dem Tagungsbereich der 9. Etage des Ernst & Young Towers an der Friedrichstraße
Einmal mehr befeuern die Briten das "Kinderspiel mit Unterhaltungswert" - Zitat David Marsh beim ersten Austrittstermin Ende März 2019. Nachdem nun auch der Oktobertermin verstrichen ist, steht nun eine Verschiebung des Termins Ende Januar 2020 zur Debatte. Bei so wichtigen Themen können die sonst so trägen Mühlen der EU oder des britischen Parlaments auch mal innerhalb weniger Minuten vor dem Brexit flexibel reagieren und kreative Entscheidungen treffen.

Darüber waren sich die Panelisten des heutigen Political Breakfast der BCCG einig. Hoch über den Dächern Berlins - in der 9. Etage bei Ernst & Young - diskutierten Juristen, Politikwissenschaftler und Manager über die Folgen der vergangenen Nacht. Die kompetente Runde wurde durch einen Vortrag von Alexander Graf Lambsdorff MdB gewürzt. Der FDP-Politiker ist Kenner der Materie und eröffnete den Blick auf die Facetten innereuropäischer Pokerspiele und die verschiedenen Player im "Disunited Kingdom".

Disunited Kingdom nach der Wahl - Political Breakfast der BCCG Alexander Graf Lambsdorff FDP
Disunited Kingdom nach der Wahl - Political Breakfast der BCCG bei Ernst & Young - Alexander Graf Lambsdorff MdB
Besonders hart trifft der Brexit die britische Diplomatie. So richtig wollte UK - pardon das DK - nie so richtig Teil der EU werden, fürchtete aber den Verlust des Einflusses auf den Kontinent. Um britische Akzente setzen zu können, musste Großbritannien also zwangsläufig Mitglied werden. Wann immer es etwas Wichtiges zu entscheiden gab, traten die Briten als Bremse auf. Andererseits stellten sie bei allzu sozialistischen Forderungen der Franzosen einen nützlichen Unterstützer für Deutschland dar. Mit dem drohenden Brexit musste auch die EU ihre Karten neu mischen. So wird es als cleverer Schachzug gewertet, dass Ursula von der Leyen auf den Präsidentenposten verschoben wurde. Das war jedoch teuer erkauft mit der Besetzung des Wirtschaftsressorts durch einen Franzosen. Die Zukunft wird zeigen, wer die Oberhand behält.

Die Bevölkerung Großbritanniens hat sich bei aller in den letzten Monaten gezeigten Europaliebe letztlich doch für ihre Liebe zur Demokratie entschieden. Eine Demokratie, die autonom zu handeln in der Lage ist und sich zu demokratischen Entscheidungen wie dem Brexit stellt. Hinzu kam das in seiner Dynamik nicht zu unterschätzende Gefühl von Demütigung: Boris Johnson war von den Regierungschefs kleiner Staaten wie Luxembourg oder gar Irland öffentlich heruntergeputzt worden. Das trifft das nationale Gefühl. Boris Johnson war plötzlich zum stellvertretenden Prügelknaben des British Empires geworden.

 "Get Brexit Done" sollte nun endlich möglich sein. Nach dem Wahlsieg stiegen sofort die Aktienkurse. Nicht etwa wegen eines sofortigen  Aufschwungs in Großbritannien, sondern wegen der lange ersehnten Klarheit, ob der Brexit nun kommt. Ja, der Brexit wird kommen! Die Frage nach den Empfehlungen für Unternehmen wurde mit einem allgemeinen Achselzucken beantwortet. Dann Stille und ratloses Umherschweifen der Blicke. Nachdem sich die Starre im Panel gelöst hatte, wurde empfohlen, die eigenen Zuständigkeitsbereiche auf Brexit-Relevanz zu prüfen und vorbereitende Maßnahmen zu ergreifen. Besonders intensiv werden wohl Logistikunternehmen, der Handel und die Mitarbeiter internationaler Unternehmen betroffen sein. Für alle anderen gelte der Spruch "Keep calm and wait" - "Entspann' dich und warte ab".

Autor: Matthias Baumann