"War der Fotograf schon hier?", fragte ein Mitarbeiter der Berlin Security Conference (BSC), nachdem er die Szenerie im Saal oberhalb des Konferenzgeschehens betrachtet hatte: Alte weiße Männer saßen in Uniformen und dunklen Anzügen an separaten Tischen und rührten mit langen Stäbchen in ihren Nasen herum. Schnelltests zur Erfüllung der 2G+-Regel. Nachdem die Konferenz im letzten Jahr virtuell durchgeführt worden war, fand sie diesmal wieder in Präsenz statt. Allerdings unter verschärften Sicherheitsmaßnahmen - die Gesundheit betreffend. Das Plus war eigentlich ein Doppelplus. Denn zum tagesaktuellen Schnelltest gesellte sich noch die FFP2-Maske.
Das Thema der BSC lautete in diesem Jahr "Europe - Developing Capabilities for a credible Defence" oder auf Deutsch "Europa - Entwicklung von Fähigkeiten für eine glaubwürdige Verteidigung". Wegen des internationalen Fachpublikums wurden sämtliche Reden, Diskussionsrunden und Workshops auf Englisch abgehalten. Selbst dann, wenn fast nur Deutsche auf der Bühne saßen. Englisch ist eben Welt- und NATO-Sprache.
General Jörg Vollmer hatte sich bei seinem Abschied vom Kommando Heer kurz vor dem ersten Lockdown für eine glaubwürdige Verteidigungsfähigkeit Europas ausgesprochen. Das machte er auch auf dieser BSC 2021 deutlich. Der ehemalige Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels leitete eine hochkarätig besetzte Diskussionsrunde damit ein, dass Verteidigung immer noch das am wenigsten beachtete Thema europäischer Politik sei. Dabei könne Europa auf eine sehr komfortable Ausgangsposition blicken: Die Länder der EU haben eine sehr hohe Schnittmenge mit den Ländern der NATO. Man könne schon fast von EU ist gleich NATO sprechen. Apropos Komfort: Jörg Vollmer zeigte auf, dass Deutschland "von Freunden umgeben" sei. Es solle aber nicht vergessen, dass diese Freunde fast alle an gegnerische Länder grenzen. Diese fungieren für Deutschland als Pufferzonen von Norden, über Osten bis nach Südwesten.
Fasst man die Verteidigungsbudgets von Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien zusammen, übersteigt das den Betrag, den China aufwendet, um knapp vier Milliarden USD. Allein Großbritannien gibt eine Milliarde USD mehr aus als Russland. Europa hat also entsprechendes Potenzial. Jedoch steht sich Europa mit seinen Regularien oft selbst im Weg. So sprach Vizeadmiral Carsten Stawitzki in einem sehr emotionalen Statement von "toxischen Beschaffungsregeln" innerhalb der EU. Man müsse zum Kauf eines simplen Sturmgewehrs erst einmal jahrelange Wettbewerbsprozesse durchlaufen, um dann irgendwann ein neues Gewehr einzuführen. Bei den Amerikanern gehe das alles viel schneller und effizienter. Diese komplizierten Prozesse wirkten sich auch sehr negativ auf Interoperabilität und die flexible Reaktion auf neue Lagebilder aus. Der Admiral räumte auch mit dem Mythos der Beschaffung von der Stange auf. Militärisches Gerät lasse sich nicht im zivilen Supermarkt beschaffen, sondern habe spezielle Grundanforderungen zu erfüllen.
Die Vertreter der Industrie fielen bei der BSC eher durch Blässe auf. Sie nutzten ihre Diskussionsbeiträge prioritiv zur Eigenwerbung oder die ausführliche Reklamation ihrer kurzen Redezeit. Die Zuhörer quittierten das mit einem Gang zur Kaffeetheke. Denn gerade am Rande der Konferenz könnten neue Kontakte geknüpft oder bestehende Kontakte aufgefrischt werden. Letzteres wurde seitens der Teilnehmer immer wieder als einer der wichtigsten Teile einer solchen Konferenz bestätigt.
Bestätigt wurden auf der BSC - egal von welchem Protagonisten - zusammenfassend drei Punkte: Europa hat Verteidigungspotenzial, Europa muss dringend an seinen kontraproduktiven Regelwerken arbeiten und Europa braucht die eng verzahnte Kooperation mit den USA.
Autor: Matthias Baumann