Samstag, 17. März 2018

Dresscode Comic und die Leipziger Buchmesse 2018

Gut, dass wir über den Dresscode gesprochen hatten. Im letzten Moment konnte mich meine Frau vom geplanten Anzug abhalten: "Wir besuchen eine Buch-Messe". So definierten wir den neuen Dresscode Literature. Das bedeutete Hoodie, Jeans, Turnschuhe und Hornbrille. Die Familie zog optisch mit.

Je näher wir der sächsischen Metropole kamen, umso salziger wurde unser Auto. Am Straßenrand Schneeverwehungen. Zehn Kilometer vor Ziel nur noch stockender Verkehr. Alle Zufahrtsstraßen zur Messe waren dicht. "Leipzig liest", stand auf dem Programmheft. Die Verkehrssituation war ein Beweis dafür.

Leipziger Buchmesse 2018
Winterliche Fahrt zur Leipziger Buchmesse 2018
Nach vier Stunden Fahrzeit - davon 90 Minuten für die letzten Kilometer - betraten wir Halle 1. Die gesamte Halle war den Comics gewidmet. Phantasiegestalten, so weit das Auge blicken konnte - und alle Phantasiegestalten echt. Also echte Menschen in skurrilen Kostümen. Mit viel Liebe und Perfektion hergestellte Umhänge, Zauberstäbe, Helme, Masken, Kleider, Rüstungen, Waffen oder Einhörner. Hingucker wo man auch hinschaute. So manch ein adipöser Körper verschwand unter einem pastellfarbenen Märchenwald oder auffällig gefärbten Haaren. Ganz abgesehen von den unnatürlich geschminkten Gesichtern. Fließende Übergänge zwischen echten Tattoos und reversiblen Körperanbauten.

Leipziger Buchmesse 2018
Comic-Freunde und Otto Normalleser auf der Leipziger Buchmesse 2018
Diese bunte Menge wogte durch Halle 1, kaufte undefinierbare Plüschartikel und blätterte in asiatischen Comics. Da Comics nicht unser Thema waren, schwammen wir mit der Menge weiter zu Halle 3. Halle 3 stellte ein literarisches Kontrastprogramm zu Halle 1 dar. Die bunten Gestalten im Dresscode Comic vermischten sich hier mit Otto Normalleser - vorrangig aus Sachsen, wie der Umgangssprache zu entnehmen war. Libri, Ullstein, Die Zeit, ARD oder das Museum für Druckkunst Leipzig stellten hier aus.

In einer Ess-Ecke versorgten wir uns mit Frikadellen, Würstchen und Pommes. Dann ging es weiter durch Halle 3. "Ich mache hier mal ein Foto", waren meine letzten Worte. Danach war die Familie in der Menge verschwunden. Keine Chance: Mobilfunk-Versorgung war so gut wie nicht vorhanden. Hätte ich doch nur den roten statt des schwarzen Hoodies angezogen. Schwarzer Hoodie auf einer Buchmesse, wo jeder in Schwarz, Grau oder gedeckten Farben rumläuft - abgesehen von den Comic-Liebhabern.

Leipziger Buchmesse 2018
Halle und Menschen am Samstag auf der Leipziger Buchmesse 2018
Wir hatten ein Ziel: Musik-Café A401 in Halle 4. Dort sollte ab 15 Uhr Itay Dvori auftreten mit Themenschwerpunkt - nun ja, kommen wir später noch einmal darauf zurück. Jedenfalls liefen ständig SMS und Anrufe in Abwesenheit meiner Familie auf und ich erreichte niemanden von ihnen beim Rückruf. So entschloss ich mich zu einer individuellen Erkundung der nächsten Halle: Halle 5.

Neben dubiosen linken Blättern war hier eine Fülle von Selbstdruck-Verlagen anzutreffen. Wenn BoD nicht schon als Marke für Books on Demand belegt wäre, könnte man einen Großteil der Anbieter in Halle 5 mit dem Mehrwert Books on Demand zusammenfassen. Geht aber leider wegen der Markenrechte nicht. Mein Vater hatte sein Buch "Das letzte Schuljahr" auch on demand herausgebracht, also Druck bei Bestellung.

Wie ich später erfuhr, muss ich meine Familie immer um Haaresbreite verpasst haben. Das könnte am schwarzen Hoodie oder der Ablenkung durch die Comic-Besucher gelegen haben.

Leipziger Buchmesse 2018
BoD Books on Demand - Druck bei Kauf - Leipziger Buchmesse 2018
Gegen halb drei schwamm ich mit den Besuchern zu Halle 4 hinüber. Endlich gelang der Kontakt zur Familie. Sie warteten bereits am Musik-Café mit der Standnummer A401. das Wiedersehen feierten wir mit Kaffee für 2,90 Euro und Eis. Das Musik-Café war gerade mit einem Gitarristen besetzt. Nach unserer laienhaften Einschätzung beherrschte er sein Instrument. Hinter ihm stand ein schwarzer Flügel - schon wieder Schwarz, so wie mein Hoodie und das T-Shirt darunter und meine Turnschuhe.

Alle weißen Sessel waren besetzt mit gelangweilten Kindern, Omas, verliebten Comic-Fans und weiteren Personen, die sich als Musikliebhaber gerierten. Wir mussten stehen. Nach dem Gitarristen sollte endlich Itay Dvori auftreten. Den Pianisten und Komponisten aus Tel Aviv hatte ich im Dezember in der Residenz des israelischen Botschafters erlebt und war mit ihm in Kontakt geblieben. Ich vermutete ihn Back Stage und freute mich auf seinen Auftritt. Er intoniert - nun ja, kann man das nach dem Erlebnis von Halle 1 noch sagen? Er intoniert israelische Comics. Jetzt ist es raus.

Leipziger Buchmesse 2018 Itay Dvori
Warten auf Itay Dvori - Leipziger Buchmesse 2018
Überhaupt gab es in allen Hallen immer wieder Bereiche, in denen Lesungen und Vorträge abliefen. Einige Autoren signierten anschließend ihre Bücher und produzierten damit Warteschlangen, deren Länge sich wohl nach der Bekanntheit richtete. Soweit der Exkurs.

Dann war der Gitarrist fertig und einigen der Musikliebhaber muss eingefallen sein, dass die Uhr ihrer Messezeit tickt. Sie standen auf und wir stürzten uns auf die Sessel. Nach einigem Hin und Her hatten wir sogar vier weiße Sessel nebeneinander und blickten erwartungsvoll auf den schwarzen Flügel. Die Techniker - übrigens in Schwarz - holten sich Kaffee. Kein gutes Zeichen, wie meine Frau bemerkte. Egal, Itay wird wohl gleich auf die Bühne treten. Statt Itay erschien eine Frau, ergriff das Mikrophon und teilte uns mit, dass Itay Dvori auf dem Bahnhof von Halle festsitze. Deutsche Bahn eben im Zusammenspiel mit einem ungeplanten Wintereinbruch.

Leipziger Buchmesse 2018
Leipziger Buchmesse 2018 - Vielfalt, Kontraste und Druckkunst
Das war unser Moment - nicht etwa zur Übernahme des Comic-Programms, sondern zum Aufbruch Richtung Halle 2. So verließen wir Halle 4, in der sich einige Länder wie Portugal, Korea oder Israel präsentiert hatten. In Halle 2 trafen wir auf bekannte Schulbuch-Verlage, die Bundesbank oder den Bundestag. Bei Letzterem gab es sogar Sitzgelegenheiten in Bundestagsblau. Nach einem Streifzug über den Stand hatten wir zwei Jutebeutel, einen Kugelschreiber, ein Poster und ein Brillenputztuch mit Bundestagsadler in der Hand.

Leipziger Buchmesse 2018
Vielfalt und Kontraste auf der Leipziger Buchmesse 2018
Das Timing war gut: 16 Uhr. Wir schwammen mit der bunten Menschenmenge durch die Glashalle zurück zur Ausgangsposition Halle 1. Diesmal ging uns eine regelrechte Comic-Prozession voran. Eine bewaldete Frau mit ihren Jedi-Rittern oder sowas. Beinahe hätte ich ein grünes Männchen in Hulk-Look umgerannt. Uns kamen Comic-Fans mit massiven Augen-Verletzungen entgegen. Wir hofften, dass die nur geschminkt waren. Insgesamt aber echter wirkend als so manche Verletzungs-Attrappe bei Erste-Hilfe-Kursen.

Über den Pressebereich verließen wir die Messe. Die Ausfahrten waren noch relativ frei. So dauerte die Rückfahrt gerade mal zwei Stunden. Dafür war das Scheiben-Waschwasser fast leer.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 14. März 2018

Von der Zipfelmütze zum Barett - Besuch beim Wachbataillon des BMVg

Nieselregen, Baustellen, dichter Verkehr. Kurz vor zehn rollte ich auf das Gelände der Julius-Leber-Kaserne in Tegel. Eine große weiße Tafel wies den Weg zur 48 Alpha, dem Sitz des Wachbataillons - kurz WachBtl oder ganz korrekt abgekürzt WachBtl BMVg. Mein Gesprächspartner saß im Obergeschoss. Beinahe hätte ich ihn nicht erkannt. Keine graue Heeresuniform, kein Barett, sondern baren Hauptes in Camouflage. Die perfekte Tarnung gegenüber Zivilisten mit selektiver Wahrnehmung.

WachBtl Wachbataillon 1. Garde-Regiment zu Fuß Truppenfahne
Wachbataillon - Gemälde mit dem 1. Garde-Regiment zu Fuß - links davor erste Truppenfahne des Wachbataillons
Als Erstes gingen wir ins Nachbarbüro: Dienststube des Kommandeurs. Oberstleutnant Patrick Bernardy trug auch kein Barett und ebenfalls das kampfbereite Flecktarn. Ein Anblick, den ich aus dem Kanzleramt oder dem Schloss Bellevue nicht kannte. Es gab eine herzliche Begrüßung und Staunen über die gemütliche Stube. Überall Traditionsgegenstände aus 200 Jahren Militärgeschichte. Das Wetter tauchte den Raum in eine schummerige Atmosphäre. Der Oberstleutnant fragte, ob wir Licht einschalten sollten. Klick - für die Fotos reichte es.

Kaffee wurde herbeigebracht und so redeten wir über das 1. Garderegiment zu Fuß, protokollarische Abläufe und Zuständigkeiten. Das Garderegiment war hinter unserer Sitzecke in eine entscheidende Kampfhandlung verwickelt. Neben mir die erste Truppenfahne des Wachbataillons und vor uns Tassen mit dem typischen Fraktur-W und den Initialen FR für Fridericus Rex.

WachBtl Wachbataillon Grenadiersmütze
Grenadiers-Mütze: Bommel, Schild mit "Semper Talis", Adler, drei Granaten (Kugeln unter Adler) und FR-Initialen
Diese Initialen fanden sich auch auf der Grenadiers-Mütze wieder, die Patrick Bernardy aus dem Schrank holte. Die Grenadiere heißen so, weil sie zum Werfen von Granaten eingesetzt wurden. Beim Werfen störten jedoch die damals üblichen Dreiecks-Hüte. Deshalb wurden diese gegen Zipfelmützen ersetzt. Damit das dann nicht so verschlafen aussah, wurde noch ein Schild an der Frontseite angebracht. Oben am Schild wurde die Bommel befestigt. Interessante Details, die auf diesem Wege zu Tage traten.

Apropos Bommeln: Eine weitere Tradition des Wachbataillons ist die jährliche Mitnahme einer Kugel vom Weihnachtsbaum des Bundespräsidenten. Joachim Gauck hatte bei seinem Abschiedsbesuch vor einem Jahr die Kugel signiert, die ihm kurz vorher offiziell vom Baum abgenommen worden war. Dem Steuerzahler entsteht dadurch kein Schaden, da die Kugeln im Kreislauf der Behörden verbleiben.

WachBtl Wachbataillon
Wachbataillon - Traditionelle Kugeln vom Weihnachtsbaum des Bundespräsidenten
Viele Fragen, die in unserem YouTube-Kanal aufgekommen waren, wurden während des Gespräches beantwortet. So ist nun bekannt, dass die Karabiner 98 entmilitarisiert sind - bis auf 150 Stück, mit denen man noch Salut schießen könne. Die Pistolen der Zugführer sind alte Walther P1, von denen Schlitten und Lauf entfernt wurden. Ansonsten würden die nicht in die weißen Taschen passen. Das ist aber egal, da die Sicherung von Staatsbesuchen ausreichend durch Bundespolizei und Bundeskriminalamt gewährleistet ist. Bei Verteidigungsministern übernehmen Feldjäger diesen Part.

Dennoch müssen die Mitglieder des Wachbataillons alle üblichen Disziplinen des Heeressoldaten beherrschen. Je mehr Einsätze anstehen - Staatsbesuche, Ehrenspaliere, Ehrenzüge, Zapfenstreiche, Ehrenposten, Staatsbankette - umso höher ist die zeitliche Belastung für die Truppe. Mit der jüngst eingeführten Arbeitszeitregelung ist das kaum zu vereinbaren.

So hat das S3-Protokoll alle Hände voll zu tun, die Einsätze der Kompanien zu organisieren. S3 ist die Abteilung für die Ausbildungsplanung. Das S3-Protokoll stellt darin ein Spezialteam dar, das für die protokollarischen Aufgaben zuständig ist und relativ autonom agiert - vergleichbar mit dem Drill Sergeant der amerikanischen Streitkräfte. Sie sind letztlich nur dem Kommandeur unterstellt.

WachBtl Wachbataillon Kommandeur OTL Bernardy Truppenfahne
Wachbataillon - Kommandeur neben der Truppenfahne - im Hintergrund die Fahnenbänder
Einsatzbefehle können sehr kurzfristig eintreffen. Ehrenspaliere und Ehrenposten werden teilweise erst wenige Stunden vorher angefordert. Bei Salut in Tegel und für Staatsbesuche inklusive der Neuen Wache werden mehrere Tage Vorlauf benötigt. Premierminister im Kanzleramt sind ohne großen Aufwand sehr schnell und mit wenig Übungszeit zu bewerkstelligen. Bei komplexen Aktionen wie dem Großen Zapfenstreich wird länger geprobt. Am schwierigsten sind wohl Staatsbankette, da diese so selten stattfinden.

Nach den Einsätzen folgt die Vergabe von Noten. Auch dafür ist das S3-Protokoll zuständig. War der Kommandeur zugegen, hat er das letzte Wort. Mindestens vier Augen prüfen die Performance der eingesetzten Mannschaft. Lässt ein Soldat das Gewehr fallen, hat das eine 5 zur Folge. Dieser Soldat wird dann "nachgeprottet". Das heißt: Üben bis es klappt. Protter ist ein interner Begriff für Protokoll-Soldaten.

Freunde von NVA und Wehrmacht äußern immer wieder den Wunsch nach Stechschritt. Deshalb führte der Kommandeur sehr anschaulich vor, dass Stechschritt eher etwas für Anfänger ist. Stechschritt lässt sich deutlich einfacher ausführen. Das Knie muss dabei nämlich nicht bewegt werden und der Abstand innerhalb der Rotte ist besser zu halten.

Zur Truppenfahne: Spitzenpolitiker zeigen ihren Respekt gegenüber der Bundeswehr durch eine Verneigung vor der Truppenfahne. Sie unterliegt wegen ihrer regen Nutzung einem hohen Verschleiß. Die Anfertigung kostet inklusive Material etwa 3.500 Euro. Die Fahnenbänder zu den jeweiligen Staatsgästen werden in einer speziellen Zeremonie eingeweiht und dann bei jeder Gelegenheit an die Truppenfahne gehängt. Das erste Fahnenband wurde von der Queen gesponsert. Einige dieser Traditionen entwickeln sich situativ und ohne irgendwelche internationalen Vorgaben.

WachBtl Wachbataillon Fahnenbänder
Wachbataillon - Fahnenbänder in der Dienststube des Kommandeurs - ältestes Band von der Queen
Oft kommt die Frage auf, warum manchmal alle drei Teilstreitkräfte antreten und manchmal nur eine. Die Regel ist simpel: Erste im Staat und Monarchen haben einen Anspruch auf alle drei Teilstreitkräfte (TSK). Das ist dann ein Ehrenbataillon. Kommt nur ein Kanzler oder Ministerpräsident, reduziert sich der Anspruch auf eine TSK. Dann handelt es sich um eine Ehrenkompanie.

Das Protokoll des BMVg legt fest, welche TSK bei einem nachgeordneten Staatsgast antritt. Die etwa 1.000 Mitglieder des Wachbataillons haben alle drei Uniformen in ihrem Spind. Weltweit ist das Heer die stärkste TSK. Bei bekannten Seefahrernationen kann die Ehrenkompanie auch mal als Marineuniformträger (MUT) antreten. In Gedenken an die Luftschlacht 1940 mit England könnte beim Besuch von Theresa May durchaus eine Kompanie in Luftwaffen-Uniform eingesetzt werden.

Die jeweilige Uniform hat zudem Einfluss auf die Märsche, die das Musikkorps spielt. Bei den seltenen Auftritten einer Ehrenkompanie in Marine-Uniform sollten also unbedingt alle Märsche mitgefilmt werden. Marine ist so selten, dass die Fehlentscheidung beim Video zu Neuseelands Premierminister bisher nicht korrigiert werden konnte.

Bei Botschaftern läuft es anders. Die jeweils beauftragte Kompanie tritt in der ihr eigenen Uniform an. Es besteht also keinerlei Zusammenhang zu den jeweils akkreditierten Botschaftern.

Beim Empfang von Staatsoberhäuptern auf dem Flughafen Tegel obliegt es dem S3-Protokoll, die TSK des dortigen Ehrenspaliers auszuwählen. Das Protokoll-Team entscheidet hierbei völlig frei. In Tegel wird gelegentlich auch Salut geschossen. Dabei kommen sechs Haubitzen zum Einsatz, von denen die sechste Haubitze einen Schuss mehr abgibt. Diese Tradition geht auf die Marine zurück. Kriegsschiffe hatten in der Regel 20 Kanonen. Beim Anlaufen eines Hafens gaben sie 20 Schüsse ab, um zu signalisieren, dass die Kanonen leer sind. Der Hafen antwortete darauf mit einem Schuss.

WachBtl Wachbataillon OTL Bernardy
Wachbataillon - Kommandeur Oberstleutnant Patrick Bernardy an seinem Schreibtisch
Das Wachbataillon ist neben den protokollarischen Aufgaben insbesondere für den Schutz des Sitzes der Bundesregierung und des Verteidigungsministeriums zuständig. Deshalb auch die reguläre Ausbildung mit Nachtschießen und ähnlichem.

Der Leitspruch des Wachbataillons ist "semper talis" (stets gleich). Kein Wunder also, dass der Traditionsverband der aktiven und ehemaligen Soldaten des Bataillons mit Semper talis Bund e.V. benannt wurde. Der Bundesvorsitzende ist immer der jeweilige Kommandeur - aktuell Patrick Bernardy. Als Vorsitzender trägt er den goldenen Ring mit der roten Grenadiers-Mütze auf blauem Grund.

Nach drei Stunden verließ ich die Julius-Leber-Kaserne. Voll mit Eindrücken und wertvollen Informationen zur Beantwortung der Fragen in unserem YouTube-Kanal. Es nieselte immer noch ein wenig.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 8. März 2018

Botschafter von Argentinien, Russland, Bahrain und Ecuador beim Bundespräsidenten akkreditiert

Der Regensensor hatte viel zu tun auf der Fahrt zum Schloss Bellevue. Sehr unregelmäßig war die Intensität des Niederschlags. Schirm mitnehmen? Eine nasse Kamera riskieren? Am Schloss fiel die Entscheidung: Risiko statt Schirm. Der Presseandrang war deutlich geringer als erwartet. Heute sollte unter anderem der russische Botschafter akkreditiert werden.

Botschafter Akkreditierung Schloss Bellevue Argentinien Russland Bahrain Ecuador
Botschafter-Akkreditierung im Schloss Bellevue
Das Protokoll hat jedoch andere Regeln. Weltpolitische Stärke oder Sympathie spielen nur eine untergeordnete Rolle. Wer zuerst kommt, gibt auch zuerst sein Beglaubigungsschreiben im Obergeschoss ab. Dadurch ergab sich heute folgende Reihenfolge:

10:00 Uhr Argentinische Republik mit Edgardo Mario Malaroda
10:30 Uhr Russische Föderation mit Sergej J. Netschajew
11:00 Uhr Königreich Bahrain mit Abdulla Abdullatif Abdulla
11:30 Uhr Manual Antonio Mejía Dalmau

Um zwölf waren dann Fotografen und Wachbataillon ausreichend durchnässt. Dennoch lief alles nach Plan. Der Argentinische Botschafter rollte pünktlich vor das Schloss. Schirme wurden herbeigetragen. Argentinien erlebt gerade seinen Spätsommer. Argentiniens Botschafter Malaroda erlebt die letzten Wintertage in Berlin.

Botschafter Argentinien akkreditiert Edgardo Mario Malaroda
Botschafter Argentiniens akkreditiert - Edgardo Mario Malaroda
Die Exzellenz von der Südhalbkugel hatte sich etwas ganz Besonderes ausgedacht. Zur allgemeinen Verwunderung schrieb er etwa drei Minuten lang einen Text in das Gästebuch des Schlosses. Normalerweise setzen die Gäste nur kurz ihre Unterschrift unter die gedruckte Einleitung und stellen sich nach zehn Sekunden zum Foto zwischen den beiden Holztüren auf.

Botschafter Argentinien akkreditiert Edgardo Mario Malaroda
Botschafter Argentiniens akkreditiert - Edgardo Mario Malaroda und der liebevolle Gästebucheintrag
Edgardo Mario Malaroda hat sich viel vorgenommen. Er möchte eine "Botschaft mit offenen Türen schaffen". Die Herzlichkeit, die er in seinem Gästebuch-Eintrag zum Ausdruck bringt, soll Türen für Export und Import öffnen sowie die Beziehungen mit Argentinien auf sämtlichen Ebenen intensivieren.

So wurde es recht knapp mit dem nächsten Termin. Sergej J. Netschajew fuhr acht Minuten später als geplant vor. Immerhin musste ja noch die argentinische Flagge eingeholt und nach einem festen Ritual ins Trockene gebracht werden. Passend zum beschaulichen Medieninteresse erschien Seine Exzellenz aus der Russischen Föderation nur mit drei Fahrzeugen und einer sehr kleinen Delegation. Dafür trug er einen uniformähnlichen Anzug. Recherchen haben ergeben, dass es sich dabei wohl nicht um eine militärische Uniform handelt, sondern um ein Zeichen des Diplomatischen Korps Russlands.

Botschafter Russland akkreditiert Sergej J. Netschajew
Botschafter der Russischen Föderation akkreditiert - Sergej J. Netschajew
Der Botschafter hatte in Moskau Germanistik studiert, spricht fließend Deutsch und ist seit 1977 im diplomatischen Dienst. Außer eines kurzen Exkurses in die Mongolei war er fast nur in deutschsprachigen Ländern wie der DDR, der Bundesrepublik (Bonn) und Österreich tätig. Er ist also ein Kenner der deutschen Gesellschaft und Mentalität.

Botschafter Russland akkreditiert Sergej J. Netschajew
Botschafter der Russischen Föderation akkreditiert - Sergej J. Netschajew
Der Botschafter des Königreichs Bahrain Abdulla Abdullatif Abdulla folgte um 11:12 Uhr. Bahrain liegt im Persischen Golf nördlich von Katar und hat eine sehr ähnliche Flagge: Rot und Weiß mit einem zackigen Übergang. Wobei das Rot von Bahrain heller ist, als das von Katar. Bahrain hat auch weniger Zacken in der Fahne und mit 1,4 Millionen auch nur halb so viele Einwohnen wie Katar.

Botschafter Bahrain akkreditiert Abdualla Abdullatif Abdulla
Botschafter Bahrains akkreditiert
Auch für Abdulla muss das Wetter in Berlin ein gravierendes Erlebnis gewesen sein. Nach der Unterschrift im Gästebuch hatte er sich jedoch akklimatisiert und lächelte breit in die Kameras.

Bahrain ist eine konstitutionelle Monarchie. Der Islam ist Staatsreligion. Laut Verfassung dient die Sharia als Rechtsgrundlage. Für Hindus und Christen gilt jedoch eine modifizierte britische Rechtsprechung. Verletzungen der Menschenrechte betreffen vorrangig Frauen und Kinder. Auch die Presse ist extrem eingeschränkt.

Botschafter Bahrain akkreditiert Abdualla Abdullatif Abdulla
Botschafter Bahrains akkreditiert - Abdualla Abdullatif Abdulla
Öl und Aluminium sind die aktuellen Zugpferde der Wirtschaft. Wegen der geografischen Lage der 30 Inseln Bahrains stellt das Land seit Jahrtausenden einen wichtigen Knotenpunkt für den Handel zwischen Asien, Afrika und Europa dar. Wegen des gelockerten Alkoholausschanks zieht Bahrain viele Touristen aus der arabischen Welt an. Die Zahl der Touristen pro Jahr übersteigt die Einwohnerzahl um das Vierfache.

Apropos Vier: Der vierte Botschafter traf um 11:40 Uhr ein. Manuel Antonio Mejía Dalmau repräsentiert die Republik Ecuador. Auch wenn Ecuador am Äquator liegt, hat es doch ein sehr diversifiziertes Klima: heiß, kalt, trocken, nass. Ecuador hat eine schon fast dramatische Bevölkerungsentwicklung. Innerhalb von 70 Jahren ist die Bevölkerung um das Fünffache gewachsen. Über 70% der knapp 17 Millionen Menschen sind Mestizen. Mestizen sind aus der Verbindung von Europäern und Indianern hervorgegangen. Etwa 70% der Ecuadorianer gehören der römisch-katholischen Kirche an.

Botschafter Ecuador akkreditiert Manuel Antonio Mejía Dalmau
Botschafter Ecuadors akkreditiert - Manuel Antonio Mejía Dalmau
Der Bundespräsident modifiziert gerne die protokollarischen Gepflogenheiten. So hatte er damit begonnen, die Angehörigen der Botschafter für ein Gruppenfoto vor seine Plüschfahne zu holen. Bei Manuel Antonio Mejía Dalmau forderten das die Fotografen ein und es entstanden gut verwertbare Bilder (siehe Video). Nur zum Gespräch mit Frank-Walter Steinmeier durfte die Familie nicht mitkommen. Kurz nach zwölf rollten sie aber wieder gemeinsam vom Hof des Schlosses.

Botschafter Akkreditierung Schloss Bellevue
Botschafter Akkreditierung im Regen - 7 Schirme trocknen anschließend im Schloss
Der BMW 740 eDrive des Auswärtigen Amtes folgte. Der Ehrenzug marschierte vom Platz. Der Ehrenposten verließ seinen Standort vor der Tür und die Musiker verstauten ihre Trommeln im Bus des Stabsmusikkorps. Ich wischte das Objektiv trocken und verließ das Gelände des Präsidialamtes.

Video:
Akkreditierung von Botschaftern (Argentinien, Russland, Bahrain, Ecuador) bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 1. März 2018

Moving Rwanda - Ausbildung, Software und Mobilität für Ruanda

Nach einer kurzen Vorglüh-Phase sprang der Motor an. Minus neun Grad in Berlin. Der Diesel war noch nicht ausgeflockt, so konnte die Fahrt in die City beginnen. Auto, Bahn und Bus sind für uns eine Selbstverständlichkeit. Die Verkehrswege sind gut ausgebaut und selbst Amerikaner und Briten sprechen mit leuchtenden Augen das Wort "Autobahn" aus. Die Fahrzeug-Sättigung in Deutschland liegt bei 68%.

Nicht so in Afrika: 4% der Afrikaner besitzen ein Auto. Während in Deutschland jeder Bandscheibenvorfall oder 60. Geburtstag als Rechtfertigung zum Kauf eines SUV genutzt wird, sind Es-Ju-Wies oder Pick-up-Trucks in Afrika zwingend notwendig. Der deutsche Rentner muss lange suchen, bis er eine Offroad-Piste gefunden hat. In Afrika sind Pisten der Standard.

Moving Rwanda Mobilität Digitalisierung Ausbildung Ruanda BMZ
Moving Rwanda - Gespräch im BMZ - Minister Müller umrahmt von Volkswagen (links) und SAP (rechts)
Bei der gestrigen Gesprächsrunde im BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) wurde deutlich, wie wichtig funktionierende Verkehrssysteme für die Volkswirtschaft sind. Es beginnt beim Weg zur Schule, geht über den Weg zum Arzt, betrifft den Weg zur Arbeitsstelle und tangiert den Transport von Nahrungsmitteln und Waren. Sind diese Wege zu Fuß zurückzulegen, minimiert das die Chancen auf eine nachhaltig gute Entwicklung.

Über die Pisten von Afrika brausen zwar viele Pick-up-Trucks. Auf denen sitzen jedoch zumeist Islamisten mit Maschinengewehren, die mit ihren unbeweglichen Opfern eine leichte Beute haben. Pick-ups werden aber auch als Bus verwendet. Die Menschen stapeln sich dann regelrecht auf den Ladeflächen. Die nicht seltenen Unfälle haben entsprechend viele Tote zur Folge. Hier schließt sich der Kreis zum Transport ins Krankenhaus.

Moving Rwanda Mobilität Digitalisierung Ausbildung Ruanda BMZ
Moving Rwanda - Gespräch und Unterzeichnung der Vereinbarung im BMZ (rechts: Dr. Carl-Christian von Weyhe, SAP)
Der Fokus der einstündigen Gesprächsrunde lag auf Ruanda. Ruanda hatte vor 24 Jahren einen Genozid erlebt, der innerhalb von drei Monaten etwa eine Million Menschenleben gekostet hatte. Das Land war verwüstet. Überall Waisenkinder. Ende oder Chance zum Neuanfang?

Runda ist nicht in der Depression stecken geblieben. Es läuft ein nationaler Versöhnungsprozess. Ruanda gilt als das Land Afrikas mit der höchsten wirtschaftlichen Wachstumsrate. Ruandas Präsident, Paul Kagame, spricht sogar schon von einem "Singapur Afrikas". Genau das ist der Ansatzpunkt für die deutsche Wirtschaft. So saßen also Vertreter von VW, Siemens, SAP und dem Ingenieurbüro Inros Lackner mit Bundesminister Gerd Müller am Tisch. Kugelschreiber lagen vor ihnen.

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Moving Rwanda - Moving der unterzeichneten Vereinbarungen im BMZ (rechts: Dr. Klaus Richter, Inros Lackner)
Gerd Müller machte deutlich, dass sein Ministerium nicht mehr das Entwicklungshilfe-Ministerium sei. Man sei inzwischen "weg von der Gießkanne" gekommen und investiere in "Reform-Partnerschaften". "Wir wollen Fortschritte sehen", postulierte der Minister während seiner kurzweiligen aber fundierten Ausführungen. Entsprechend gut war die Stimmung im Raum.

Der Vertreter von Volkswagen führte mehrere Punkte an, warum sich ein Investment in Ruanda lohne:

  • straffer Rückenwind für wirtschaftlichen Fortschritt
  • niedrigste Kriminalität in Afrika
  • wenig Korruption
  • Bedingungen "passen wie ein Handschuh" auf die deutsche Unterstützung

Eines der konkreten Projekte ist eine Produktionsstätte von Volkswagen in Ruanda. Einheimische sollen die aus Südafrika gelieferten Teile zusammensetzen und zunächst Polo, Passat und einen Pick-up für den ruandischen Markt fertigen. Dadurch entstehen mehrere Tausend Arbeitsplätze. Ein weltpolitischer Hintergedanke dabei ist, den Menschen in ihrer Heimat Perspektive zu geben und die Migration in den Norden aufzuhalten. Dadurch wird #MovingRwanda eher zu einem #FixingRwanda.

Moving Rwanda Mobilität Digitalisierung Ausbildung Ruanda BMZ
Moving Rwanda - Unterzeichnung der Vereinbarung im BMZ (im Hintergrund der Botschafter Igor Cesar)
75% aller Ruander haben ein Handy. Das Netz ist teilweise besser ausgebaut als in Deutschland. Dennoch braucht das Land Geschäftsmodelle, die auch in Afrika funktionieren. Der flächendeckende Besitz von Autos ist momentan noch Utopie. Deshalb geht der Trend in Richtung Car Sharing. 75% der Einwohner könnten sich die eine App herunterladen und damit am Car Sharing teilnehmen. Die leicht zu handhabende App wurde von einem ruandischen Start-up entwickelt. Dort werkeln 12 Mitarbeiter an der Software.

Software ist übrigens auch das Stichwort für ein weiteres Projekt. In Kigali soll ein Digitalisierungszentrum entstehen, in dem 200 Jugendliche zu Programmierern ausgebildet werden. High Tech made in Afrika. Interessant ist auch der vom BMZ aufgesetzte "Marshallplan mit Afrika". Man beachte das "mit" statt "für" in der Formulierung.

Moving Rwanda Mobilität Digitalisierung Ausbildung Ruanda BMZ
Moving Rwanda - klare Sicht aus der 11. Etage des BMZ bei -9°C
Zum Ende des Gesprächs, das eigentlich nur aus den drei Wortbeiträgen des Ministers, des Volkswagen-Vertreters und des Botschafters bestand, wurden sechs blaue Mappen mit der Vereinbarung durchgereicht. Diese wurden von den Unternehmen und Gerd Müller unterzeichnet.

Es folgte ein gestelltes Gruppenfoto vor der blauen Wand. Dann war noch Zeit zum Networking bei Kaffee, Tee und Kuchen. Von der 11. Etage aus konnten wir die klare Sicht über Berlin genießen.

Autor: Matthias Baumann