Das Einsatztagebuch des ehemaligen Hauptfeldwebels Markus Götz "Hier ist Krieg!" gilt in Fachkreisen als eines der wichtigsten Zeitzeugnisse des Afghanistan-Einsatzes. Markus Götz hatte mehrere Oktavhefte vollgeschrieben und wurde von seinen Kameraden immer wieder ermutigt, die Aufzeichnungen als Buch herauszubringen. Er sträubte sich zunächst dagegen, reagierte dann aber auf eine kleine Annonce des ZMSBw, das Tagebücher zu Forschungszwecken auswerten wollte. Er reichte es ein und es landete in der Schublade. Hervorgeholt wurde es schließlich von Dr. Christian Hartmann.
Auf der gestrigen Veranstaltung des ZMSBw in der Kaiserin-Friedrich-Stiftung erklärte Dr. Hartmann, dass ihn das Tagebuch in einen regelrechten Sog gezogen hatte. Nach Dienstschluss nahm er es zur Hand und bearbeitete es oft bis nachts um zwei. Das Ergebnis ist ein dickes Buch mit editierten Tagebucheinträgen und einer mundgerechten Einordnung in den größeren sicherheitspolitischen Kontext. Die Editierung war insbesondere wegen der allgegenwärtigen Abkürzungen und der zivil oft ganz anders belegten Bundeswehrsprache. Der stolze Preis des Buches macht es zu einem geeigneten Weihnachtswunsch.
Auch Sönke Neitzel, einer der wenigen Professoren für Sicherheitspolitik, hat dieses Buch schon zweimal gelesen und nutzt es als Grundlage seiner Forschungen zum Afghanistan-Einsatz. Sönke Neitzel und auch die Wehrbeauftragte, Dr. Eva Högl, setzen sich schon lange für eine "schonungslose Aufarbeitung" des Einsatzes ein. Zwischenzeitlich wurde ein Untersuchungsausschuss und eine Enquete-Kommission im Bundestag eingesetzt, die mit unterschiedlichen Befugnissen und unterschiedlichen Zielsetzungen die Afghanistan-Thematik analysieren.
Laut dem ehemaligen Regierenden Bürgermeister, Michael Müller, stehe man mit der Enquete-Kommission noch sehr am Anfang. Man sei noch in der Kennenlernphase, so dass er erste konkrete Ergebnisse im Laufe des nächsten Jahres erwarte. Er könne jedoch schon so viel sagen, dass sich gewisse Trends abzeichnen, wie zum Beispiel der nicht vorhandene "vernetzte Ansatz" zwischen den Ministerien. Das bedeutet: Die Kommunikation war nicht schlecht, sondern gar nicht vorhanden. Michael Müller zeigte sich jedoch erfreut darüber, dass die Beschäftigung mit dem Thema dazu diene, dass Parlamentarier erstmalig ein Problembewusstsein für diese Auslandseinsätze entwickeln. Die Kommission sei aus militärischen, wissenschaftlichen, politischen und diplomatischen Experten zusammengesetzt, die ihre jeweilige Blickrichtung einbringen und entsprechende Schnittmengen erarbeiten.
Tagebuchschreiber Markus Götz, der inzwischen Stabsfeldwebel ist, kam auch zu Wort. Er ist ein Mann der Truppe, und zwar der Panzergrenadier-Truppe. Um das Revier abzustecken, machte er deutlich, dass Panzergrenadiere die Elite der Bundeswehr seien, noch vor Fallschirmjägern, Gebirgsjägern, Aufklärern und anderen. In der nachfolgenden Diskussionsrunde mussten sich die Luftwaffenoffiziere erst einmal in die Elite-Ordnung einsortieren, bevor sie ihre Frage stellten. Markus Götz stellte klar, dass er in Afghanistan sehr gut mit den Fallschirmjägern zusammengearbeitet habe und bis heute von den gegenseitig abgeschauten Taktiken profitiere. Auf die Frage, was er sich von einem militärischen Führer wünsche, sagte er ohne zu überlegen: Entscheidungen! Dabei sei es zweitrangig, ob die Entscheidung so gut ist. Hauptsache, der Führer entscheide und er könne seine Aufgabe gemäß der festgelegten, trainierten und bewährten Abläufe ausführen.
Das Argument des Brunnenbau-Soldaten wischte er vom Tisch, indem er meinte: "Wenn jemand einen Brunnen haben will, schicke ich das THW. Ich als Grenadier kann das nicht. Ich kann höchstens mit einer Sprengung helfen." Auch Oberst André Wüstner vom BundeswehrVerband ging auf die Entscheidungen im Einsatz ein: Egal, was entschieden werde, es habe Auswirkungen auf Menschen. Damit appellierte er an militärische Führer, verantwortungsbewusst mit ihren Soldaten umzugehen. Dr. Hartmann bescheinigte der Bundeswehr in diesem Punkt eine hohe Kompetenz: Eine zunehmende und allgemeine Verrohung wie bei amerikanischen oder russischen Soldaten sei bei Bundeswehrangehörigen nicht zu beobachten. Oberst Wüstner gab zu bedenken, dass der Einsatz im normalen Tagesgeschäft kaum in Frage gestellt wurde. Fragen zur Sinnhaftigkeit tauchten erst bei Tod und Verwundung auf: "Was sage ich den Angehörigen auf der Trauerfeier? War es das wert?"
Das Thema des Abends "Auftrag erfüllt, aber Mission gescheitert?" wurde gestern nicht beantwortet. Dennoch war es eine interessante Veranstaltung mit kompetenten Gästen und einem voll besetztem Auditorium.
Autor: Matthias Baumann