Freitag, 14. Februar 2020

#MSC2020 - Westlessness und Desinformation

"Ich habe es an Sergej geschickt", bemerkte ein Mann im Pressezelt. "Ja, wir müssen noch auf die Antwort aus Moskau warten", bestätigte sein Kollege auf Sächsisch. Besonders erheitert waren die beiden über das Thema der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz "Westlessness". Das werde wieder alles nur auf die übliche "Desinformation" hinauslaufen und das Gejammer über den "armen Westen". Missgelaunt richteten sie ihren Arbeitsplatz ein. In einem anderen Bereich des großen Zeltes bereitete sich der russische Sender RT auf die ersten Interviews und Kommentare vor.

Der speziell für die MSC entwickelte Begriff der Westlessness könnte mit "Westlosigkeit" oder "ohne den Westen" übersetzt werden. Ein deutscher Buchautor würde es eventuell so formulieren: "Der Westen schafft sich ab". Diese Entwicklung wird zwar aktiv von außen befeuert. Allerdings hat auch der Westen selbst erheblich dazu beigetragen.

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#MSC2020 Münchner Sicherheitskonferenz - Information, Desinformation, Halbinformation, Tendenzinformation: Wie demontieren wir eine Spitzenpolitikerin?
Beginnen wir mit dem Stichwort Arroganz: Die USA und ihre europäischen Partner waren es gewohnt, irgendwo aufzutauchen und die Regeln vorzugeben. Idealerweise sollten diese Regeln die westlichen Werte in die entsprechenden Regionen transportieren und dort etablieren. So war es auch mit der Aufnahme Chinas in die Welthandelsorganisation (WTO) geplant. China hat das Potenzial erkannt, die Chance genutzt, die Wirtschaft aufleben lassen und dann einfach die eigenen Regeln und Werte gefestigt. Einer der ersten Diskussionsteilnehmer auf der MSC-Bühne ergänzte dazu: "China versteht unsere Prinzipien gar nicht" - eine Erkenntnis, die in Europa Seltenheitswert hat.

Aber es tut sich etwas. Bei den jüngeren Verantwortungsträgern wie Sebastian Kurz oder Emmanuel Macron ist die Angst vor der fortschreitenden Westlessness angekommen. Die Westlessness muss als mehrschichtiges Thema betrachtet werden.

Auch hier bietet China eine gute Vorlage. Durch die Erstarkung Chinas in wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht fühlen sich die USA plötzlich einem ernst zu nehmenden Wettbewerber gegenüber. China und die USA haben ihre Militärausgaben im letzten Jahr noch einmal deutlich nach oben korrigiert, während Saudi Arabien und Russland auf den Plätzen 3 und 4 ihr Budget reduziert haben. China hat eine erhebliche Staatsverschuldung. das ist auch den USA bekannt. Deshalb versuchen sie mit Sanktionen das Land "auszutrocknen". Das "Austrocknen" ist eine amerikanische Taktik, die auch im Nahen und Mittleren Osten und sonstigen Gegnern zum Einsatz kommt. Irgendwann werde der fragile Staat schon zusammenbrechen und das gewünschte Vakuum entstehen.

Das geschaffene Vakuum ist den USA und ihren Partnern in letzter Zeit mehrfach auf die Füße gefallen. Der britische Chilcot-Report geht in 13 dicken Bänden auf die Fehleinschätzungen des Westens und deren Folgen ein. Er gibt aber auch Handlungsempfehlungen, um diese aus kultureller Arroganz entstandenen Fehler nicht noch einmal zu begehen. Das Wort "austrocknen" nahm auch der Iran auf der Konferenz in den Mund und stellte seine Entschlossenheit dar, sich das nicht gefallen zu lassen.

Die USA sehen derzeit in China ihre Herausforderung Nummer Eins. Russland und andere Länder spielen in ihrer momentanen Betrachtung kaum eine Rolle. Zu viel Energie muss gegen den roten Feind im Westen aufgewendet werden. Oder liegt China für die USA im Osten? Jedenfalls fokussiert sich die USA in Richtung Westen nach China und hat kaum noch einen Blick nach Osten zu seinen westlichen Verbündeten in Europa. Diese Partner hatten es sich bisher recht leicht gemacht. Die USA machen schon, wenn es ein Problem gibt. Die USA zahlen schon für unsere Sicherheit. Seit Donald Trump ist damit Schluss. Europa sieht sich plötzlich mit Eigenverantwortung konfrontiert. Europa ist nun auf Donald Trump so sauer wie ein Mittvierziger, der aus der elterlichen Wohnung ausziehen soll.

Es gibt Kinder, die ziehen rechtzeitig aus und können sich in der freien Wildbahn behaupten. Ein Mittvierziger kann sich nur noch schwer vom elterlichen Kühlschrank und seinem geliebten Kinderzimmer trennen. Deshalb wird der Prozess auch deutlich schmerzhafter verlaufen. Geschwächt vom Stress mit Mama und Papa ist der Mittvierziger eine leichte Beute für falsche Freunde. Hier kommt die weitere Schicht der Westlessness ins Spiel. Die vermeintlichen Freunde nähren den Hass auf die gemeinen Eltern und treiben einen Keil in die Familie. Diese Art des Trostes wird gerne angenommen. Russland, China und andere Staaten nutzen diesen Abstand zum Papa in Amerika geschickt aus, um ihre eigenen Akzente zu setzen.

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Auch Frank-Walter Steinmeier beschwerte sich in seiner Rede über den Abstand der USA, während seine Parteigenossen wichtige Maßnahmen der Eigenverantwortung im Bereich der Landesverteidigung blockieren. Das Westbündnis zwischen Europa und den USA hatte in der Vergangenheit mehrere Höhen und Tiefen erlebt. 1945 war es am Tiefpunkt, schwang sich bis 1960 in die Höhe und stürzte bis 1970 wieder ab. 1989 erreichten die Beziehungen einen neuen Höhepunkt und wurden danach wieder konsequent abgebaut.

Sebastian Kurz aus Österreich wandte sich gegen die vielen Kompromisse, die Europa schon bezüglich seiner Grundprinzipien gemacht hat. "Meinungsfreiheit, Medienfreiheit, Rechtstaatlichkeit sind nicht verhandelbar". Diese und weitere Werte des Westens gelte es zu verteidigen und zwar nicht nur militärisch. Laut Sebastian Kurz färbten die Gesellschaften auf andere Regionen der Welt ab, die erfolgreich seien. Solange der Westen wirtschaftlich erfolgreich ist, bewegten sich die Flüchtlingsströme Richtung Westen und andere Staaten versuchten das Erfolgsmodell zu kopieren. Erfolg muss aber ständig neu erarbeitet werden, so dass der Wettbewerb aus Fernost durchaus beachtet werden sollte.

Eine Chinesin fragte, ob denn der Westen im Zuge von Huawei und 5G Angst habe. Immerhin zeige doch 5G die technologische Überlegenheit der chinesischen Gesellschaftsordnung. In der Tat kann 5G über die Nachfrage am Markt einiges umkrempeln und den Westen bei der Steuerung seiner Datenströme empfindlich verletzlich machen. Dass technische Innovationen gleichzeitig auf die Attraktivität der chinesischen Gesellschaftsform zurückschließen lasse, wurde im Publikum bezweifelt. Ein Journalist der Deutschen Welle fragte, wann denn in China die Deutsche Welle, Twitter und andere Dienste erreichbar wären. Damit hatte sich dieser Diskussionspunkt erledigt.

Sebastian Kurz wandte sich gegen das Selbstmitleid. man habe viel in Europa erreicht und vieles laufe wirklich gut. Ein neues Selbstbewusstsein müsse her. Europa habe allen Grund dazu. In Europa läuft wohl vieles in der Metaebene ab. Das Denken, die Meinung, die Wahrnehmung, das Fühlen entscheiden die Stimmung und die nachgelagerten Handlungsweisen. Dankbarkeit für Erreichtes, Selbstbewusstsein und ein optimistisches Herangehen an die nächsten Herausforderungen täten Europa als Bestandteil des Westens gut.

Damit das Selbstbewusstsein nicht zu stark wird und gar nicht erst Mut zum konstruktiven Angehen der Herausforderungen aufkommt, gibt es noch das Stilmittel der Desinformation. Eine besondere Expertise auf diesem Gebiet wird den Nachbarn Estlands nachgesagt. Damit sind wohl nicht die Finnen gemeint. Diese estnischen Nachbarn hatten deshalb auch nicht am Personal gespart und viele ihrer Experten zur MSC entsandt. Bereits am ersten Abend gab es in der Palaishalle des Bayerischen Hofs eine Diskussionsrunde zur "Zukunft der Desinformation". Die Veranstaltung lief "Off the Record" und enthielt keine bahnbrechenden Neuigkeiten. Lediglich die Wahrnehmung, dass deutsche Zuständigkeiten das Thema Desinformation nicht als virulent ansehen.

Autor: Matthias Baumann