Dienstag, 21. April 2020

#COVID19 und die Offline-Gottesdienste

Religionsgemeinschaften sind nicht immer die Schnellsten, wenn es um die Nutzung moderner Technologien geht. Es wird zunächst geprüft, ob deren Nutzung mit den Grundlagen der Schrift harmoniert. Wenn sich das nicht zweifelsfrei klären lässt, wird die Meinung der Führer der Religionsgemeinschaft als Maßstab gesetzt. So kam es immer wieder zur Ablehnung von Neuerungen wie der Eisenbahn, des Autos, des Telefons oder des Fernsehers. Die Gläubigen wussten oft nur, dass deren Nutzung Sünde sei. Nur, warum?

So stellt auch Corona die Religionsgemeinschaften vor Herausforderungen, für die es kein historisches Beispiel gibt - außer vielleicht im Mittelalter die Pest. Damals wurde den Juden die Schuld gegeben. Als die Pandemie wütete, erfreuten sie sich bester Gesundheit. Dabei hatten sie mit ihren rituellen Waschungen nur das getan, was uns während Corona gebetsmühlenartig antrainiert wird.

Es gibt einige christliche Gemeinden, die die Klaviatur der neuen Medien beherrschen. Das sind in der Regel evangelische Freikirchen, die vor 20 oder 30 Jahren gegründet wurden. Gottesdienste im Kinosaal, Großleinwände, Liedtexte per Beamer, Musik mit Band sowie Predigten, die auch nach einer halben Stunde nicht langweilen. Diese Gemeinden können Corona medial sehr gut abfangen. Band und Pastor nehmen unter der Woche den Gottesdienst auf und streamen diesen dann per YouTube-Premiere in die Wohnzimmer ihrer Mitglieder. Ist Corona irgendwann vorbei, gibt es wieder Präsenztreffen mit weit über 100 Teilnehmern. Nicht selten trifft man sich am Sonntag sogar in mehreren Schichten, weil der Platz sonst nicht reicht.

An vielen etablierten Kirchen ist der mediale Zug vorbeigefahren. Welche der 20 älteren Damen würde sich das auch ansehen? Mitte März 2020 wurden aber auch diese Gemeinden aktiv und meldeten auf die Schnelle YouTube-Accounts an und probierten sich mit hochgeladenen Predigten aus. Die Zuschauerzahlen gleichen jedoch den Zahlen der Offline-Zuhörer.

#COVID10 Bundespressekonferenz 20.04.2020
#COVID10 In der Bundespressekonferenz informierte das BMI am 20.04.2020 über Lockerungen für Versammlungen von Religionsgemeinschaften
Am 17. April 2020 trafen sich Vertreter verschiedener Religionsgemeinschaften mit Staatssekretär Kerber im Bundesinnenministerium. Es sollte um einen baldigen Wiederanlauf der Offline-Gottesdienste gehen. Neben den Vertretern der evangelischen und der katholischen Kirche waren auch Archimandrit Sfiatkos von den orthodoxen Christen sowie ein Vertreter des Zentralrates der Juden und ein Vertreter der Muslime dabei. Letzteren ist die Lockerung der Corona-Beschränkungen wegen des bevorstehenden Ramadans wichtig.

Diese Herren haben ad hoc ein Arbeitsgremium gebildet, das ein Konzept zur schrittweisen Lockerung der Versammlungsregeln erarbeitet. Diese Regeln sollen dann für alle Religionsgemeinschaften in der gleichen Weise gelten und entsprechende Hygienevorgaben beinhalten.

Nicht am Tisch saß die Deutsche Evangelische Allianz (DEA). Die DEA versteht sich als Dachorganisation von gut 1,3 Millionen Christen in Deutschland. Mitglied kann jeder werden, der sich als Christ bezeichnet. Unter dem Dach der DEA sammeln sich viele der oben erwähnten Freikirchen mit ihren mehreren Hundert Gottesdienstbesuchern. Die Vertretenen nehmen ihre Dachorganisation nur einmal im Januar wahr. Wenn nämlich die Programmhefte für die Allianz-Gebetswoche herumgeschickt werden. Regionale Allianz-Vertreter - nicht die von der gleichnamigen Versicherung - putzen dann die Klinken der Gemeinden und werben für die Gebetswoche.

Ansonsten ist die Evangelische Allianz eine Gut-Wetter-Organisation, die sich auf das harmonische Miteinander unterschiedlicher Christen und Freikirchen konzentriert. Sind Probleme wie Machtmissbrauch oder Sektierertum zu lösen, fühlt sich die Allianz nicht mehr zuständig. Sie verweist dann regelmäßig auf den losen Zusammenschluss der Christen unter ihrem Dach sowie die autonom agierenden Regional-Allianzen. Kein Wunder also, wenn die DEA weder von ihren Vertretenen noch von der Politik als relevanter Player wahrgenommen wird.

So spielt die Evangelische Allianz auch bei der Erarbeitung des Konzeptes zur Wiedereinführung der Präsenzgottesdienste keine Rolle. Wenn Obergrenzen für Teilnehmerzahlen diskutiert werden, besteht die Gefahr, der Sichtweise einer Pressekollegin zu folgen: "Warum lässt man Gottesdienste nicht einfach pauschal zu? Da sitzt doch ohnehin kaum jemand in der Kirche." Einige Gemeinden werden sich dann weiter online treffen. Andere werden sich - wie Mitte Februar 2020 im Elsass geschehen - offline begegnen, herzlich umarmen und die Reproduktionszahlen von Corona in Schwung halten.

Autor: Matthias Baumann