Dienstag, 3. Juni 2014

Tatsachen und Wahrnehmung - Norbert Lammert in der Konrad-Adenauer-Stiftung

"Nicht die Tatsachen bewegen die Welt, sondern deren Wahrnehmung". Mit diesem alten Zitat reagierte Bundestagspräsident Norbert Lammert auf den Impulsvortrag von Dr. Dr. h.c. Manfred Gentz, Vorsitzender der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, beim heutigen Podiumsgespräch in der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Bundestagspräsident Norbert Lammert Konrad-Adenauer-Stiftung
Nico Lange, Prof. Dr. André Habisch und Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert in der Konrad-Adenauer-Stiftung

Manfred Gentz hatte zunächst den tendenziösen und an Sachverstand mangelnden Journalismus in Deutschland kritisiert, ging dann auf eine neue "Compliance-Hysterie" in Unternehmen ein, welche ein sinnvolles gesellschaftliches Engagement verhindere und schloss mit einem Appell an die Medien, mehr auf Persönlichkeiten als auf Einschaltquoten zu achten. So manch ein Hidden Champion falle durch das mediale Raster, da sich die dahinter stehende Persönlichkeit eher bescheiden gibt und deshalb nicht wahrgenommen werde.

Firmen, Verbände und Kirchen strahlen nicht durch sich selbst, sondern durch deren Persönlichkeiten. Diese Persönlichkeiten strahlen eine Symbiose aus Kompetenz und Charakter aus.

Bundestagspräsident Norbert Lammert Konrad-Adenauer-Stiftung
Norbert Lammert in der Konrad-Adenauer-Stiftung
"Wahrnehmung" war dann auch das Stichwort für Norbert Lammert, der die Differenz zwischen Tatsachen und individueller Betrachtung insbesondere in Sicht auf die deutsche Wirtschaft und die Politik als besorgniserregend empfand. Interessant sei dabei, dass Menschen das Vertrauensverhältnis zu ihrer direkten Umgebung wie Arbeitgeber oder Regionalpolitik nicht auf bundesweite Vorgänge zu adaptieren vermögen.

Die Diskussion über Firmen wie Siemens, Springer, Grundig und andere, die zwar ihre Namen von deren Gründer-Persönlichkeit herleiten, nun aber in einer anonymisierten Kapitalgesellschaftsstruktur aufgegangen seien, schweifte dann etwas vom eigentlichen Thema des Abends "Verantwortung als Rendite - Vom Glanz und Elend der öffentlichen Rede" ab und ging in Richtung Regulierung der Kapitalmärkte.

Auch wenn man sich einig war: "Regulierung tötet Verantwortungsgefühl", so war man sich ebenfalls einig, dass ein gewisses Maß an Regulierung ein gutes Instrument zum Selbstschutz sei. Wenn alle Unternehmer nach den Prinzipien des ehrbaren Kaufmannes arbeiten würden, bräuchte man gar keine Regulierung.

Norbert Lammert wurde sehr emotional, als er die Diskrepanzen zwischen realer und virtueller Wirtschaft aufzeichnete. Vor zwanzig Jahren stand das Umsatzverhältnis der Realwirtschaft zum Kapitalmarkt noch bei 20:3. Inzwischen habe es sich auf ein Verhältnis 60:600 zugunsten der "virtuellen" Wirtschaft verschoben. Auf den Einwand, dass die Abgeltungssteuer ja nur eine verkappte Mehrwertsteuer sei, gab der Bundestagspräsident zu bedenken, dass für sämtliche "reale" Waren wie Auto, Waschmaschine, Brötchen die Mehrwertsteuer fällig sei. Warum dann nicht erst recht für virtuelle Mehrwerte?

Um den Bogen zu Ethik und Verantwortung zu schließen, warf Manfred Gentz das Thema Derivate ein. Diese seien per se durchaus sinnvoll. Allerdings dürfe man diese nicht so weit mit anderen Derivaten vermengen, dass am Ende nicht mehr klar sei, wer eigentlich haftet. Norbert Lammert ging sogar soweit, dass er sagte, dass einige Finanzprodukte so offenkundig unseriös seien, dass man diese verbieten müsse. Letzteres klang sehr entschlossen und fand breite Zustimmung im Publikum.

Konrad-Adenauer-Stiftung
Die Diskussion über Verantwortung und den "Glanz der öffentlichen Rede" ging etwa zwei Stunden und nicht jeder Zuhörer hatte die entsprechende Ausdauer, der ausgezeichneten Rhetorik des Bundestagspräsidenten zu folgen.

Ausdauer wurde jedoch belohnt. Beim anschließenden Networking diskutierten Norbert Lammert und die anderen Podiumsteilnehmer noch eine ganze Weile bei Brezeln und Wein. Auch Wirtschaftssenatorin Yzer trafen wir nach der Veranstaltung im Foyer.

Autor: Matthias Baumann