Donnerstag, 22. März 2018

Fakt oder Fake? Informations-Hierarchien werden durch das Internet eingeebnet

Die klassischen Nachrichtenkanäle haben es schwer. Der Sterbeprozess der Print-Medien ist in vollem Gange. Axel Springer hatte den Trend frühzeitig erkannt und unter dem Motto "Füttere deinen Kannibalen" clevere Maßnahmen zur Sicherung der Existenz eingeleitet.

Nachrichtensender kämpfen gegen die Algorithmen von Suchmaschinen. Die bisherigen Zuschauer werden immer älter und der Zuschauer-Nachwuchs tummelt sich lieber in den Sozialen Netzwerken. Wer die Logik der Maschinen kennt, kann seine Meinung platzieren und viral verbreiten. Früher nannte man das Suchmaschinen-Optimierung - kurz SEO.

Ob das Gesagte nun wahr ist oder falsch, ob die Meinung als solche gekennzeichnet ist oder nicht. Willig wird geteilt, was den eigenen Ansichten entspricht - Wahrheitsgehalt sekundär. Je verworrener die Theorie, umso sicherer deren Akzeptanz. Sender wie VOX nehmen es bewusst in Kauf, dass Zuschauer nicht mehr zwischen Fakt und Meinung unterscheiden können, auch wenn es für Fakten und Meinungen jeweils bestimmte Zeitfenster gibt.

So verschiebt sich die Wahrnehmung der Realität. Es entstehen Denkstrukturen, die durch reine Fakten nicht mehr zusammenzubringen sind. Menschen denken und reden aneinender vorbei. Amerikaner kennen die Metapher der zwei Schiffe, die sich in der Nacht begegnen. Diese fahren ohne Blickkontakt aneinander vorbei.

Forum Bellevue zur Zukunft der Demokratie
Forum Bellevue zur Zukunft der Demokratie - Rede des Bundespräsidenten
Gefördert wird das durch Politiker wie Donald Trump. Vor Donald Trump stand der Begriff Fake News für Informationen, die schlichtweg falsch sind. Seit Donald Trump wird Fake News immer dann verwendet, wenn die Informationen zwar richtig sein können, aber nicht ins Konzept passen. Dabei sei laut Frank-Walter Steinmeier die "Demokratie die einzige Staatsform, die Fehler erlaubt, weil die Korrekturfähigkeit gleich mit eingebaut ist". Nur Kontrolle der politisch Verantwortlichen schaffe das notwendige Vertrauen.

Der Bundespräsident fand noch schärfere Worte und kritisierte "organisiertes öffentliches Lügen, das Manipulieren von Tatbeständen, um sich einen politischen Vorteil zu verschaffen". Das sei nichts Neues. Neu sei jedoch, dass sich diese Desinformationen wie eine Epidemie über das Internet verbreiten.

"Fakt oder Fake?" - darüber diskutierte der Bundespräsident gestern Vormittag mit vier Gästen und dem anwesenden Publikum. Vor einigen Monaten hatte er das Format "Forum Bellevue zur Zukunft der Demokratie" ins Leben gerufen. Das Forum Bellevue fand nun zum dritten Mal statt. Der große Saal im Obergeschoss des Schlosses war voll besetzt.

Nach seiner Rede stieg der Bundespräsident auf das Podium. Er moderierte selbst und ohne Zettel die Diskussionsrunde. Zu seiner Rechten saßen Julia Stein vom Netzwerk Recherche und Michael Butter, der als Experte für Verschwörungstheorien vorgestellt wurde. Zu seiner Linken saßen Jeff Mason von Reuters im Weißen Haus und Ulf Poschardt, Chefredakteur der Zeitung "Die Welt".

Forum Bellevue zur Zukunft der Demokratie
Forum Bellevue zur Zukunft der Demokratie - Platzierung auf dem Podium
Es zeigte sich sehr schnell, dass die klassischen Medien mit den Mechanismen des Internets überfordert sind. So mussten die Redaktionen in Amerika ihre Arbeitszeiten umstellen, da der Präsident gleich nach dem Aufstehen seinen ersten Tweet absetzt und die Presse in Zugzwang bringt. Twitter mit seiner stark eingeschränkten Zeichenanzahl sorgt gerne für Missverständnisse. Laut Jeff Mason habe Trump mit Twitter alles verändert und man hetze ihm nun hinterher.

Jeff Mason zeigte sich zudem erleichtert, dass es der Presse gelungen war, die Stammplätze in der Airforce One zu behalten. Immerhin wolle man dem Präsidenten weiterhin genau auf die Finger schauen und sofort berichten, wenn er etwas gesagt oder gemacht habe. Fakten statt Fake News. Das habe Donald Trump gar nicht gepasst, aber so funktioniert Demokratie: "It is our job to report on facts to hold leaders accountable" (Es ist unsere Aufgabe, über Fakten zu berichten, um Leiter in ihrer Verantwortung zu halten).

Julia Stein bemerkte, dass es durchaus "journalistenfreie Bereiche" gebe. Diese werden dann durch andere Informationsquellen besetzt. Eine große Herausforderung stelle darüber hinaus der Geschwindigkeitsdruck dar, der sich auf die Tiefe der Recherche auswirke.

Gerade große Redaktionen dürften sich keine Fehler leisten. Von daher seien Fake News generell ausgeschlossen. Sobald die Wahrheit ans Licht komme, sei das Image des Pressemediums nachhaltig zerstört. Sollten doch Fehler gemacht werden, erfordere das ein modernes Fehler-Management. Leser und Zuschauer wollen aktiv eingebunden werden und ändern gelegentlich auch ihre Meinung, wenn die Redaktion respektvoll mit Kritik und Hinweisen umgeht.

Der Bundespräsident zeigte sich irritiert über Aggressivität und Wortwahl der Kommentare auf seiner Facebook-Seite. Er schreibe dort, was er gerade für das Land tue und werde dann völlig unsachlich angepöbelt. Eine Praxis, die wir auch aus unserem Video-Kanal kennen.

Michael Butter hat ebenfalls Erfahrungen mit Pöbeleien gesammelt. Die breite Expertise bei Verschwörungstheorien ruft entsprechende Anhänger auf den Plan, die ihm böse E-Mails schreiben. So der Tatbestand der Beleidigung noch nicht erfüllt ist, antwortet er auf die Mails. In der Regel hat das sehr positive Effekte und bewirkt ab und zu einen Umdenkungsprozess. Michael Butter bemerkte jedoch, dass manche Leute die Fakten gar nicht glauben können, weil diese einfach nicht in ihr Weltbild passen.

Verschwörungstheorien seien etwas für Menschen, die komplexe Dinge nicht erfassen und akzeptieren können und sich dann ihre vereinfachte Logik zusammenbauen. Schuld seien in diesen Systemen generell die anderen und wenn die weg seien, werde alles gut. Ein typisches Opfer-Täter-Denken (Victima). Es sei jedoch kein Anstieg der Verschwörungstheorien zu verzeichnen, lediglich eine höhere Sichtbarkeit durch das Internet. Solche Theorien gebe es schon seit vielen Hundert Jahren und bereits im Wahlkampf zwischen Jefferson und Adams um 1800 seien bewusst Lügen lanciert worden. Damals ließen die sich zwar nicht so schnell verbreiten, aber auch die Korrektur brauchte viel mehr Zeit.

Bei dieser "Einebnung der Informationshierarchien" sei es umso wichtiger, in Bildung und Medienkompetenz zu investieren. Demokratie braucht mündige Bürger und "Inseln der Verlässlichkeit" bezüglich faktisch wahrer Informationen. Wegen der neuen Gegebenheiten sollten Medien einen öffentlichen Raum schaffen, wo kontroverse Meinungen respektvoll diskutiert werden können. Vom Frontalmedium zu Sozialen Netzwerk.

Chefredakteur Ulf Poschardt freute sich sogar über die digitalen Möglichkeiten: "Noch nie wurde man, wenn man gerne schreibt, so viel gelesen".

Autor: Matthias Baumann