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Donnerstag, 14. Mai 2020

200 Jahre Schrippenfest - Ausfall wegen #COVID19

Die Einladung zum diesjährigen Schrippenfest war am 11. März eingetroffen. Einen Tag bevor der Dominoeffekt der Terminabsagen angestoßen wurde. Den Reigen der Absagen begann am Nachmittag des 12. März standesgemäß der Bundespräsident. Es folgte die Kanzlerin und wenige Tage später die ILA. Ein befreundetes Paar hatte das Schloss Friedrichsfelde für ihre Hochzeit im April gebucht und musste wegen Corona auf das schimmlige Standesamt Hohenschönhausen ausweichen. Die Flugreise zu unserer Silberhochzeit im Mai wurde ebenfalls storniert.

Heute hätte das Schrippenfest des Wachbataillons stattgefunden. Aber wegen Corona wurde es abgesagt. Ausgerechnet zum 200. Jubiläum.

1819 war in Potsdam ein Infanterie-Lehrbataillon gegründet worden, welches dem Ersten Garderegiment zu Fuß (EGRzF) unterstellt wurde. Das Infanterie-Lehrbataillon war Garde und Experimentiereinheit zugleich. Es sollte sich um den Schutz des Dienstherrn kümmern, aber auch neue Waffen und Taktiken ausprobieren. Was bei der Garde funktionierte, wurde dann flächendeckend in der preußischen Armee eingeführt.

Schrippenfest 2020 Wachbataillon 1. Garderegiment zu Fuß
200. Jubiläum des Schrippenfestes fällt 2020 aus. Vor dem Neuen Palais in Potsdam fand 1820 das erste Schrippenfest des Infanterie-Lehrbataillons unter Schirmherrschaft von Friedrich Wilhelm III. statt. Das Infanterie-Lehrbataillon war Teil des 1. Garderegiments zu Fuß.
1820 - also vor 200 Jahren - fand das erste Schrippenfest statt. Das Schrippenfest hatte mehrere soziale Zielsetzungen: Das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Truppe sollte gestärkt werden. Die Soldaten und deren Familien sollten sich mal richtig satt essen und auch die Kinder des Potsdamer Militärwaisenhauses waren an diesem Tag gern gesehene Gäste. Letzteres hatte auch strategische Gründe: Die Waisenkinder bildeten ab einem bestimmten Alter den Nachwuchs.

Wegen der Aufgabenstellung des Lehrbataillons war die Anwesenheit des Königs wichtig. Wenn er keine Zeit hatte, fand das Schrippenfest nicht statt. Weil das gesamte Lehrbataillon feiern sollte, stellte das EGRzF die Bewachung der Communs, der Kaserne des Lehrbataillons. Das erste Schrippenfest fand am 2. Mai 1820 statt, dem Groß-Görschen-Tag. In den folgenden Jahren wurde es immer am ersten Pfingstwochenende gefeiert und entwickelte sich zu einem Potsdamer Volksfest.

Das Schrippenfest heißt Schrippenfest, weil neben 1 Quart Erbsensuppe, ¼ Pfund Speck, ¾ Quart dicken Milchreis, ½ Pfund Schmorfleisch, 1 Quart Bier, 1/8 Schnaps und 1 Pfund Weißbrot in Form einer Riesenschrippe von der Hof-Bäckerei Rabie gereicht wurde. Eine Schrippe ist das, was außerhalb Berlins als Brötchen bekannt ist.

In den folgenden 140 Jahren gab es einige historische Umbrüche mit Umgliederung, Umbenennung, Zerschlagung und Neuaufstellung dieser Spezialeinheit, so dass mit der Zeit auch das Schrippenfest in Vergessenheit geriet. Nach Aufstellung des Wachbataillons 1957 in Siegburg wurde ein Gartenfest eingeführt. Mit Umzug des Bataillons nach Berlin sollte das Gartenfest mitgenommen werden. Nur, dass es in der Julius-Leber-Kaserne eher Wald und Wiese, statt eines Gartens gibt. Zudem sollte das Gartenfest in Berlin auf einem Parkplatz stattfinden. Parkplatzfest? Wie langweilig! Ernst Schüßling, der heutige Geschäftsführer des von Rohdich'schen Legatenfonds, kramte auf Geheiß des damaligen Bataillons-Kommandeurs Peter Utsch in der Historie und stieß auf das Schrippenfest.

So wurde 2002 endlich wieder ein Schrippenfest in der wahren Heimat der Schrippe veranstaltet. Kommandeur Kai Beinke hat auch heute noch das Ziel, die Verbundenheit in der Truppe zu fördern und "nach 364 Tagen Strammstehen", auch mal einen Tag selbst mit den Soldaten zu feiern. Schrippenfeste sind ein geeigneter Anlass für Beförderungen oder Auszeichnungen. Unter den externen Gästen finden sich Regionalpolitiker, Unterstützer des Wachbataillons, Ehemalige sowie diplomatische und ministerielle Bezugspersonen.

Das heutige Wachbataillon ist keine Experimentiereinheit mehr, hat aber vergleichbare repräsentative und sichernde Aufgaben. Vier Kompanien kümmern sich vorrangig um die Durchführung der protokollarischen Aufgaben bei Staatsbesuchen, Anlässen des Diplomatischen Korps oder Gedenkfeiern. Die anderen Kompanien stehen für Sicherungsaufgaben bereit. Es ist allerdings so, dass alle Kompanien alles können müssen, insbesondere dann, wenn in der Urlaubszeit plötzlich ein Großer Zapfenstreich durchzuführen ist oder während Corona das Bundeswehrkrankenhaus gesichert werden soll.

Wer gerade ein Bier, eine Schrippe und ein Steak zur Hand hat, kann in der häuslichen Corona-Abgeschiedenheit des 200. Jahrestages des Schrippenfestes und der Soldaten des Wachbataillons gedenken, die 364 Tage im Jahr stramm stehen und heute eigentlich gefeiert hätten.

Video:
Zum 1. Schrippenfest 1820 in Potsdam

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 12. Mai 2020

Kriminalstatistik 2019 zur sexuellen Gewalt an Kindern vorgestellt

Die Täter stammen aus allen sozialen Schichten und sind zu 85% männlich. Es gibt also auch weibliche Täter. Allerdings ist deren Profil wenig erforscht, weil man Frauen solche Handlungen bislang nicht zugetraut hatte. Sie können die Taten elegant als mütterliche Fürsorge verschleiern. Täter sind ledig, verheiratet, heterosexuell oder LGBTQ-zugehörig. Es gibt kein geeignetes Raster, nach dem man eine Präventivfahndung durchführen könnte. Eines haben jedoch alle gemein: "Den Wunsch, Macht auszuüben und durch die Tat das Gefühl von Überlegenheit zu erleben."

Bundespressekonferenz: Kriminalstatistik 2019 zur sexuellen Gewalt an Kindern
Bundespressekonferenz: Kriminalstatistik 2019 zur sexuellen Gewalt an Kindern vorgestellt - Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA)
25% der Gewalt an Kindern findet im direkten familiären Umfeld statt. Weitere 50% erfolgen im sozialen Nahbereich: Verwandte, Nachbarn, Bekannte, Jugendeinrichtungen, Sportvereine, Schule. Somit entfallen 75% der Taten auf Personen, die ein Vertrauensverhältnis zu den Kindern hatten. Vorschussvertrauen oder erschlichenes Vertrauen werden von engsten Bezugspersonen zum Missbrauch benutzt. Dadurch erleiden Betroffene in der Regel einen lebenslangen Schaden in Bezug auf soziale Nähe und das Vertrauen in andere Menschen. In der gestrigen Pressekonferenz wurde explizit darauf hingewiesen, dass Fremdtäter eine Ausnahme darstellen.

Das Internet stellt dem Missbrauch neue Aktionsräume zur Verfügung. Die Tatgelegenheiten steigen, die Verbreitung visueller Tatbestände geht deutlich schneller und die Kontrollmöglichkeiten im sozialen Umfeld sinken. Zunehmend werden Chats in Online-Spielen zur Kontaktanbahnung mit Kindern genutzt. Durch die übliche Du-Ansprache wird der Unbekannte aus dem Netz schnell zum Freund. Täter und Opfer wähnen sich anonym.

Bundespressekonferenz: Kriminalstatistik 2019 zur sexuellen Gewalt an Kindern
Bundespressekonferenz: Kriminalstatistik 2019 zur sexuellen Gewalt an Kindern vorgestellt - Johannes-Wilhelm Rörig, Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs
Die Anonymität hat jedoch Grenzen. Der amerikanische Dienst NCMEC (National Center for Missing and Exploited Children) arbeitet eng mit dem Bundeskriminalamt (BKA) zusammen. 2019 gingen beim BKA 62.000 Hinweise mit Deutschlandbezug ein. BKA-Präsident Münch machte in der Pressekonferenz deutlich, dass die Verfolgung von Kindesmissbrauch Priorität habe: "Wir nehmen das Thema sehr ernst." So sei die Reaktionszeit auf Meldungen des NCMEC extrem kurz. Innerhalb weniger Stunden werde die angezeigte IP nachverfolgt und zeitnah an der Wohnungstür des mutmaßlichen Täters geklingelt.

Momentan stellen die Speicherzeiten von Verbindungsdaten eine gewisse Hürde dar. Jeder Provider habe seine eigenen Vorstellungen, wie lange die temporäre IP seiner Kunden nachvollziehbar sein solle. Wozu Verbindungsdaten speichern, wenn es nur noch Flatrates gibt? Ein weiteres Argument ist die vor zwei Jahren eingeführte DSGVO. Deshalb ist Gefahr im Verzug und das BKA muss schnell handeln. Die aktuellen Aufbewahrungszeiten liegen zwischen 24 Stunden und 7 Tagen. Deshalb können etwa 10% der auffällig gewordenen IPs nicht mehr bis zum Endpunkt verfolgt werden. Nach einem ersten Verdachtsfall können die Provider jedoch dazu verpflichtet werden, die Verbindungsdaten bis zu 10 Wochen aufzubewahren. Diese Zeit ist für die Ermittlungen ausreichend.

Bundespressekonferenz: Kriminalstatistik 2019 zur sexuellen Gewalt an Kindern
Bundespressekonferenz: Kriminalstatistik 2019 zur sexuellen Gewalt an Kindern vorgestellt - Rainer Becker, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe - Die ständige Kindervertretung e.V.
Durch die Ermittlungserfolge in Zusammenarbeit mit dem NCMEC wurde die Fallzahl deutlich nach oben korrigiert. Das sieht zwar in der Statistik nicht so gut aus, ist aber Ausdruck dessen, dass damit ein erheblicher Teil der Dunkelziffer ins Licht gezerrt wurde. Gerade wegen des vertrauensvollen Rahmens der Tatorte, der Peinlichkeit des Geschehens und der demografischen Ohnmacht der Opfer bleibt vieles im Dunkeln und wird aktiv von Eltern, Verwandten und Aufsichtspflichtigen vertuscht.

Wenn die Eltern Täter sind, wechseln sie häufig die Ärzte. Das nennt sich Doctor-Hopping. Dadurch wird die Historie des Missbrauchs verschleiert. Deshalb fordern die Ärzte des RISKID e.V. Gesetzesänderungen, die einen Austausch der Ärzte über eine zentrale Missbrauchsdatenbank ermöglicht. Man könne dort verdächtige Diagnosen hinterlegen, die einem neuen Kollegen ebenfalls zur Verfügung stehen. Daraus ließe sich dann trotz häufiger Arztwechsel eine Linie der Gewalt im häuslichen Umfeld nachweisen.

Bundespressekonferenz: Kriminalstatistik 2019 zur sexuellen Gewalt an Kindern
Bundespressekonferenz: Kriminalstatistik 2019 zur sexuellen Gewalt an Kindern vorgestellt - Dr. Ralf Kownatzki, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Vorsitzender des RISKID e.V.
Es kam die Frage nach der Wirkung von Corona auf. Dazu gebe es bisher keine aussagekräftigen Zahlen. Corona wirke ambivalent auf das Thema: Einerseits schaffe die räumliche Nähe neue Tatgelegenheiten. Andererseits reden Kinder nun häufiger mit ihren Eltern und teilen ihnen ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung in der Schule oder dem Sportverein mit.

Auch wenn eine erschreckend hohe Zahl behinderter Kinder betroffen ist, gibt es keinen pauschalen Opfertyp. Je nach sozialer Konstellation kann es jeden treffen. Deshalb ist eine frühzeitige Prävention notwendig. Bereits im Kindergarten sollten die Kinder auf gesunde Grenzen trainiert werden. Das betrifft die eigenen Grenzen und die Akzeptanz der Grenzen anderer. Ergänzend sind die Schulen gefordert, mit Medienpädagogik bei den Kindern eine solide Medienkompetenz zu entwickeln. Dazu gehören auch Grundsatzfragen der Ethik. Letztlich stehen aber auch die Eltern in der Verantwortung. Sie sollen "Kein Kind alleine lassen", wie der Slogan einer aktuellen Initiative des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs lautet.

Autor: Matthias Baumann

Freitag, 8. Mai 2020

75 Jahre Kriegsende und die hohe Wertschätzung über den Gräbern

Durch gemeinsames Gedenken seien neue Beziehungen entstanden - auch über die Grenzen politischer Bündnisse hinweg. So drückte sich der scheidende Evangelische Militärbischof, Sigurd Rink, heute am Rande einer Kranzniederlegung auf dem Commonwealth Friedhof an der Heerstraße aus. Er hatte schon mehrfach von seinen Erfahrungen bei der Auffindung und Umbettung deutscher Soldaten in den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion berichtet. Es finde "Versöhnung über den Gräbern" statt.

75 Jahre Kriegsende Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge
75 Jahre Kriegsende - Kranzniederlegungen an Kriegsgräberstätten durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge - Commonwealth Soldatenfriedhof an der Heerstraße
Der Tod macht alle Menschen gleich. Beim ersten Blick über den Soldatenfriedhof kommt das sehr wirkungsvoll zum Ausdruck. Es ist kein Unterschied zu erkennen. Handelt es sich um einen Zeugen Jehovas, einen Katholiken, einen Juden oder einen Atheisten? Auch die Dienstgrade spielen in einem Feld von gleichförmigen weißen Steinen eine untergeordnete Rolle. Erst bei näherer Betrachtung erkennt der noch Lebende einige Details zur Person unterhalb des Steins: Geburtsdatum, Sterbedatum, Religionszugehörigkeit und den Dienstgrad.

75 Jahre Kriegsende Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge
75 Jahre Kriegsende - Kranzniederlegungen an Kriegsgräberstätten durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge - Waldfriedhof am Olympiastadion - Evangelischer Militärbischof Dr. Sigurd Rink (links) und Volksbund-Präsident General a.D. Wolfgang Schneiderhan
Bischof Rink ist nachhaltig beeindruckt von der Wertschätzung, die ehemalige Feinde den deutschen Soldaten entgegenbringen. Deshalb engagiert er sich gerne für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Der Volksbund betreut über 830 Kriegsgräberstätten im Ausland. Bis heute werden Umbettungen vorgenommen. Allein in den Jahren 2018 und 2019 wurden über 20.000 Soldaten nach Deutschland überführt und fanden hier eine neue Ruhestätte.

Angehörige suchen nach wie vor nach vermissten Verwandten. Jedes Jahr gehen um die 30.000 solcher Anfragen beim Volksbund ein. Dann ist Forschungsarbeit gefragt, Archive und Datenbanken werden nach möglichen Übereinstimmungen durchforstet. Durch den Klimawandel schmelzen Gletscher und Schneemassen ab. Auf diesem Wege werden die sterblichen Überreste deutscher Soldaten in unwegsamen Bergregionen fernab der Heimat sichtbar und geborgen. Idealerweise tragen sie noch eine Erkennungsmarke. Dann können die Angehörigen relativ schnell informiert werden.

75 Jahre Kriegsende Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge
75 Jahre Kriegsende - Kranzniederlegungen an Kriegsgräberstätten durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge - Jüdischer Friedhof an der Heerstraße - von links nach rechts: Evangelischer Militärbischof Sigurd Rink, Volksbund-Landesgeschäftsführer Martin Bayer, Volksbund Präsident Wolfgang Schneiderhan, Britischer Botschafter Sebastian Wood KCMG
Während an der Neuen Wache die offizielle Kranzniederlegung der Bundesregierung stattfand, absolvierte der Volksbund heute einen wahren Marathon durch Berlin. Es begann mit einer Gedenkveranstaltung auf dem Commonwealth Soldatenfriedhof, ging weiter auf dem danebenliegenden jüdischen Friedhof, wurde fortgesetzt auf dem Waldfriedhof am Olympiastadion und endete am Nachmittag auf dem Friedhof Lilienstraße in Berlin-Neukölln. Es gibt allein in Berlin 172 Kriegsgräberstätten.

Videos:

Autor: Matthias Baumann

Montag, 23. März 2020

US Defender: eine Chronologie und die Vermengung mit Corona

Mit 61,6 Milliarden USD hat Russland den viertgrößten Verteidigungshaushalt der Welt. Das entspricht etwa einem Drittel der chinesischen Ausgaben (181,1 Mrd.) und etwa 9% des US-Budgets. Deutschland, Frankreich und Großbritannien kommen gemeinsam auf 155,6 Milliarden USD. Auch wenn in Westeuropa gerne der Begriff des Kaputtsparens strapaziert wird.

Russlands modernisierte Fähigkeiten

Diese Zahlen sind kaum beunruhigend. Beunruhigender sind die Fähigkeiten, die dahinter stecken. Diese sind nicht 1:1 miteinander vergleichbar. Während der Westen bei Flugzeugen, Drohnen, Helikoptern und Schiffen die Nase vorn hat, glänzt Russland mit Personalstärke, der Anzahl von Panzern und modernisierten Raketensystemen. Letztere haben eine deutlich höhere Reichweite als westliche Systeme und erreichen bemerkenswerte Geschwindigkeiten bis Mach 6 - so wie die 3M22 Zircon Rakete, die gegen Schiffe und U-Boote zum Einsatz gebracht werden kann.

Durch die Annexion der Krim konnte Russland die Reichweite seiner Raketen deutlich verbessern. Der Einstieg in den Syrien-Konflikt bot eine ideale Grundlage zum Test der neuen Waffensysteme. Inzwischen stagniert die Weiterentwicklung, weil der Rubel schwächelt und die Rüstungsindustrie bisher hauptsächlich auf Pump gebaut hatte. Die Gesamtschulden belaufen sich bereits auf 2 Trilliarden Rubel = 30 Milliarden USD. Die Regierung zahlt erst lange nach Auslieferung.

US Defender Europe 20 #DEF20 #DefenderEurope
US Defender Europe 20 #DEF20 #DefenderEurope - Der Inspekteur der Streitkräftebasis #SKB, Generalleutnant Martin Schelleis, nahm an fast allen Presseterminen dabei. Die Journalisten konnten bei vielen Gelegenheiten direkt mit ihm ins Gespräch kommen.
Schnelle Verlegung großer Truppenverbände

Eine weitere Fähigkeit Russlands bereitet der NATO schon seit einigen Jahren Sorgen: die extrem schnelle Verlegung großer Truppenverbände. Das hatte die NATO letztmalig vor dem Fall der Mauer geübt und dann völlig aus dem Fokus verloren. Mit US Defender Europe 20 sollte das mal wieder geübt werden. Wichtigstes Transitland sollte Deutschland darstellen. Fahrzeuge und Gerätschaften der US-Streitkräfte sollten per Schiff in Europa eintreffen und die US-Soldaten per Flugzeug. Dann sollten die Fahrzeuge und Soldaten durch Deutschland reisen und letztlich in Polen eine Abschlussübung absolvieren. Eine kleinere Übung mit etwa 5.000 Soldaten war für die Region Bergen geplant.

10. Oktober 2019

Die Zahl der Beteiligten sollte im Verlauf der Übung auf 37.000 ansteigen und auf polnischem Territorium ihren Höhepunkt erreichen. Da es sich vorrangig um eine logistische Übung handelte, war auf deutscher Seite die Streitkräftebasis SKB dafür zuständig. Der Inspekteur der SKB, Generalleutnant Martin Schelleis, äußerte sich bereits Mitte Oktober 2019 begeistert über die Möglichkeit dieser Übung. Deutschland werde als Host Nation für die Anlandung und den Transit nach Polen dienen. Von Corona war damals noch keine Rede.

31. Dezember 2019

Am Silvestertag 2019 informierte China die Weltgesundheitsorganisation WHO über das Corona-Virus. Bis zur Münchner Sicherheitskonferenz MSC Mitte Februar 2020 schien das Virus nur China zu betreffen. Deren Außenminister Wang Yi sang damals Lobhymnen auf das "überlegene System" Chinas, das das Corona-Problem so heldenhaft in den Griff bekommen habe.

14. Januar 2020

Am 14. Januar 2020 gab es in Berlin eine größere Pressekonferenz zu US Defender. Die Medien interessierten sich hauptsächlich für die Auswirkungen auf den Straßenverkehr. Die Generale Schelleis und Rohling beantworteten alle mehr oder weniger wichtigen Fragen mit Kompetenz und Geduld. Nur eine Frage konnte nicht beantwortet werden: Was kostet die Übung?

Den Generalen war wichtig, dass eine möglichst hohe Transparenz gewahrt wird. So wurden explizit auch Medien der gegnerischen Kräfte eingeladen. Zudem wurden sämtliche Schwellenwerte des Wiener Dokumentes von 2011 (OSZE) unterschritten. Insbesondere in den Punkten 67.1 und 67.2 sind die Übungsintervalle und Personalstärken nachzulesen. 

US Defender Europe 20 #DEF20 #DefenderEurope
US Defender Europe 20 #DEF20 #DefenderEurope - Eine Übung zum Anfassen und Mitfahren: Die Streitkräftebasis #SKB legte Wert auf Transparenz.
23. Januar 2020

Zu den Presseterminen im Rahmen von US Defender konnten sich neben Berufsjournalisten auch Betreiber kleinerer YouTube- und Social-Media-Kanäle anmelden. Vor Ort herrschte Chancengleichheit. Jeder durfte mit dem Inspekteur der SKB reden und seine Fragen loswerden. Auf Wunsch wurden sogar Sonderprogramme mit Journalisten durchgeführt.

Am 23. Januar 2020 wurde unter den Augen der Presse eine Zeltstadt in Garlstedt bei Bremen aufgebaut. Die Arbeit der Spezialpioniere konnte begutachtet werden und die verantwortlichen Offiziere standen für Fragen zur Verfügung.

1. Februar 2020

Die Luftwaffe holte am Wochenende um den 1. Februar 2020 etwa 100 Deutsche aus dem Corona-Gebiet in China zurück. Die Initiative hatte das Auswärtige Amt übernommen und die Bundeswehr um Hilfe gebeten. Der mattgraue A310 mit der Kennung 10+23 fliegt normalerweise VIPs oder das Wachbataillon zu ihren Zielorten.

12. Februar 2020

Am 12. Februar 2020 fand der zweite Pressetermin im eigentlichen Geschehen statt. Die Schiffe aus den USA waren noch nicht eingetroffen. Deshalb wurden in Bergen bei Celle Fahrzeuge auf Schwerlasttransporter verladen, die die Amerikaner ohnehin in Europa gelagert hatten. Eine Zugladung voll Humwees und eine Zugladung voll Panzer und Haubitzen wurde an diesem Tag bewegt. Zudem wurde der Aufbau eines Tanklagers gezeigt.

21. Februar 2020

Am 21. Februar 2020 gab es zwei weitere Pressetermine. In Bremerhaven traf das erste Schiff aus Amerika ein. Es enthielt viele sandfarbene Panzer. Auch hier war der Inspekteur SKB anwesend und konnte ohne vorherige Abstimmung der Fragen konsultiert werden. Bereits am Morgen waren in Hamburg US-Soldaten eingeflogen worden. Für den gemeinen Hauptstadtjournalisten wäre Viertel nach sechs viel zu früh gewesen. Von den regionalen Pressekollegen wurde der Termin aber gerne genutzt.

US Defender Europe 20 #DEF20 #DefenderEurope
US Defender Europe 20 #DEF20 #DefenderEurope - Sandfarbene US-Fahrzeuge als Übungsmaterial für das Logistikmanöver US Defender.
26. Februar 2020

Am 26. Februar 2020 war das zweite Schiff aus den USA in Bremerhaven eingetroffen. Dieses enthielt fast nur unbewaffnete LKWs und Humwees. Sandfarbene Fahrzeuge soweit das Auge reichte. In Ausstattung, Lackierung und Zustand waren die Fahrzeuge kaum für die Austragung eines konventionellen Konfliktes geeignet. Ein wichtiger Beweis dafür, dass es sich bei US Defender vorrangig um eine logistische Übung handelte. An jenem Abend wurden vier Konvois zusammengestellt und Richtung Hagenow geleitet. Verkehrstechnisch lief das völlig reibungslos ab.

10. März 2020

Anfang März kündigte Frank-Walter Steinmeier über die Presseabteilung der SKB seinen Besuch bei US Defender in Bergen an. Das Programm sollte in etwa dem vom 12. Februar 2020 entsprechen. Dem Bundespräsidenten wird regelmäßig unterstellt, dass er sich nicht für die Bundeswehr interessiere. Das entspricht nur bedingt den Tatsachen. Wer Zugriff auf die Flugbereitschaft des BMVg hat, ist mit dem Hubschrauber (Cougar) nur eine Stunde zwischen Berlin und Bergen unterwegs.

12. März 2020

Am Nachmittag des 12. März 2020 wurde der Besuch des Bundespräsidenten für den 17. März 2020 in Bergen abgesagt. Grund: Corona-Virus. Eine halbe Stunde später traf ein weiteres Mail ein, worin die Entscheidung des US-Hauptquartiers USAREUR mitgeteilt wurde, dass die an US Defender beteiligten US-Soldaten wegen Corona reduziert werden. Zur deutschen Beteiligung an der Übung gab es zu dem Zeitpunkt noch keine weitere Entscheidung.

US Defender Europe 20 #DEF20 #DefenderEurope
US Defender Europe 20 #DEF20 #DefenderEurope - Der Inspekteur der Streitkräftebasis #SKB, Generalleutnant Martin Schelleis, nahm an fast allen Presseterminen dabei. Die Journalisten konnten bei vielen Gelegenheiten direkt mit ihm ins Gespräch kommen.
13. März 2020

Am 13. März 2020 wurden "alle US-Truppenbewegungen faktisch ausgesetzt". In einer Pressemitteilung der SKB hieß es weiter: "Es werden absehbar keine weiteren Schiffe in Belgien und den Niederlanden entladen, noch weitere Soldaten auf deutschen Flughäfen eingeflogen." Die meisten Truppenteile hätten ohnehin schon ihre Zielorte erreicht. Am Abend desselben Tages kam die Info, dass die Bundeswehr ihre Beteiligung an der Übung in Bergen-Munster abgesagt habe. Diese Übung hätte mit insgesamt 5.000 Soldaten zwischen dem 16. und 30. April 2020 dort stattfinden sollen. Das war eine einseitige Entscheidung der Bundeswehr. Die NATO-Partner hatten sich noch nicht dazu geäußert.

16. März 2020

Am 16. März 2020 wurden die Übungsanteile von US Defender in Deutschland beendet. Laut Presseabteilung der SKB waren die "mit der Verlegung umfangreicher alliierter Kräfte verbundenen Ausbildungsziele" bereits erreicht worden. Die weiteren Übungsanteile auf Truppenübungsplätzen wie Bergen "entfallen". Damit war US Defender in Deutschland offiziell vorbei.

20. März 2020

Durch die vorzeitige Beendigung von US Defender waren die Kräfte der SKB wieder frei für andere Aufgaben. Als Logistikprofis werden sie in der näheren Zukunft für die Koordination der Maßnahmen gegen Corona gebraucht und haben dazu auch schon diverse "Hilfeleistungsanträge" bekommen.

Russland erklärt die Welt

Eine letzte große Fähigkeit Russlands besteht in der Produktion von Desinformationen und Fake News. Das beginnt beim inländischen Umgang mit Corona: In Russland gibt es offiziell gar kein Corona. Die Leute sterben dort höchstens an Lungenentzündungen. Sollte Corona irgendwann nicht mehr zu vertuschen sein, stehen die Schuldigen schon fest: USA, NATO, EU und US Defender. Je nach Zielgruppe bedient sich Russland unterschiedlicher Narrative (Erzählungen). Der Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt.

US Defender Europe 20 #DEF20 #DefenderEurope
US Defender Europe 20 #DEF20 #DefenderEurope - Logo der Übung mit flammendem Schwert in Anlehnung an das Wappen der U.S. Army Europe
Wer die USA mag, aber die Bundesregierung hasst, bekommt das Narrativ, dass während US Defender die amerikanischen Soldaten nach Berlin marschieren und Deutschland von der Bundesregierung befreien. Wer die USA nicht mag, bekommt das Narrativ, dass Corona durch den Westen inszeniert sei, um heimlich weitere US-Truppen in Europa zu stationieren. Diese sollen dann einen Bürgerkrieg niederschlagen. Vermengt wird das Ganze noch mit pseudoreligiösen Theorien über den Erzengel Michael mit seinem flammenden Schwert. Letzteres wurde ihm erst in der Kirchengeschichte angedichtet und hat keine biblische Grundlage. In Zeiten der Politikverdrossenheit, vieler verbaler und thematischer Tabus seitens der politischen Korrektheit und des sonstigen ideologischen Vakuums finden diese Geschichten in Mitteleuropa viele offene Ohren. Russland hat also freie Bahn, die freiheitlich-demokratische Grundordnung effektiv von innen zu zersetzen.

Das strategische Ziel Russlands ist ein Keil zwischen Europa und den USA, ein Keil innerhalb der NATO sowie eine Zersplitterung der Länder und Gesellschaften Europas. Nur so kann sich Russland als potenter Player auf der geostrategischen Bühne zurückmelden. Dass die USA Russland nur als kleinen nervenden Störer im Primärkonflikt mit China ansehen, wurde auf der MSC sehr deutlich. In den Reden der amerikanischen Spitzenpolitiker wurde Russland nur in Nebensätzen erwähnt.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 26. Februar 2020

US Defender: Feldjäger und Konvois

Das Whiskyglas schlittert über den Tresen. "Der Fremde ist in der Stadt", spricht eine rauchige Stimme in den ebenso rauchigen Raum. Kurz darauf poltern Barstühle zu Boden. Revolver werden entsichert. Typischerweise folgt eine von unten gefilmte Szene auf dem staubigen Vorplatz des Saloons. Breitbeinig positioniert sich der Verteidiger seines Reviers. Revolvergurt - die Hände bereit zum Ziehen: Showdown im Wilden Westen.

Die Feldjäger der Bundeswehr sind recht selten in der Öffentlichkeit zu sehen. Aber wenn sie zu sehen sind, dann fallen sie durch ihre besondere Optik auf: starke Motorräder aus dem Hause BMW, breite Schultern in grauen Lederkombis mit weißen Gürteln. Zu Fuß bewegen sie sich wie typische Nahkämpfer. Sie tragen Handschellen und Pistolen an der Seite und dazu die markante schwarze Armbinde mit dem Schriftzug MP - Militärpolizei. Feldjäger bewegen sich aber auch in VW-Bussen wie dem T6 oder dem geländegängigen Widder. Ab und zu ist auch ein Nissan Pathfinder oder ein Spezialumbau der Mercedes G-Klasse dabei.

US Defender #DefenderEurope #DEF20 Feldjäger Konvois US Fahrzeuge
US Defender #DefenderEurope #DEF20 - Feldjäger warten auf den Marschbefehl für den ersten Konvoi.
Die beeindruckende Optik ist jedoch nicht die Kernaufgabe der Feldjäger. Die Militärpolizei hat polizeiliche Aufgaben innerhalb der Bundeswehr zu erfüllen und ist nach Anlegen der schwarzen Armbinde auch weisungsberechtigt gegenüber höherrangigen Soldaten. Nur selten taucht ein Feldjäger ab Leutnant (ein Silberstern ohne Laub) im öffentlichen Geschehen auf. Zumeist sieht man spezialisierte Unteroffiziere. Da gibt es Personenschützer, Spurensicherer, Kriminalermittler, Eskortenfahrer, Hundeführer, Gefahrgutermittler und Festnahmeeinheiten.

Wegen der Zuständigkeit für die gesamte Bundeswehr sind die Feldjäger deutschlandweit verteilt und untergliedern sich in drei Regimenter. Für die Unterstützung der Verlegung amerikanischer Fahrzeuge von Bremerhaven nach Hagenow im Rahmen der Großübung US Defender Europe 20 war die 4. Kompanie des 2. Feldjägerregimentes aus Wilhelmshaven angefordert worden. Wilhelmshaven liegt zwar auf der Landkarte direkt neben Bremerhaven, wird aber durch den Jadebusen und die Weser getrennt. Das heißt: Umweg von zwei Stunden über Bremen.

US Defender #DefenderEurope #DEF20 Feldjäger Konvois US Fahrzeuge
US Defender #DefenderEurope #DEF20 - Feldjäger positionieren sich für die folgenden Aufgaben.
Der Arbeitstag der 4. Kompanie begann um 14 Uhr. Es sollten heute vier amerikanische Konvois zu je 20 Fahrzeugen aus dem Hafengelände geleitet und sicher auf die A1 Richtung Hamburg gebracht werden. Das Ziel der Etappe war Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern - eine Strecke von etwa 260 Kilometern. Bei einer so langen Strecke ist es wichtig, dass alle regionalen und übergeordneten Zuständigkeiten geklärt sind. Die 4. Kompanie war nur für die Begleitung und Sicherung bis zur A1 zuständig und ab dort wurde an die nächsten Feldjäger und Polizisten übergeben. Feldjäger und die zivile Polizei arbeiten hier Hand in Hand, wobei die Landespolizei auf den öffentlichen Verkehrswegen deutlich höhere Befugnisse hat. Das ist aber weitestgehend unbekannt, so dass die Feldjäger das durch ihre reine Erscheinung kompensieren können.

Beim Eintreffen in Bremerhaven wurden gerade die letzten Vorbereitungen für den ersten Konvoi getroffen. Die US-Armee hatte mit dem zweiten Schiff - GREEN BAY - fast nur in Wüstenfarbe lackierte Autos angeliefert. Es waren keine Bewaffnungen zu sehen und der Zustand der Fahrzeuge wurde auch rege bei den Feldjägern diskutiert. Jedenfalls lieferte dieser Fuhrpark einen klaren Beweis dafür, dass es bei US Defender tatsächlich nur um das Üben logistischer Vorgänge geht.

US Defender #DefenderEurope #DEF20 Feldjäger Konvois US Fahrzeuge
US Defender #DefenderEurope #DEF20 - Militärpolizei der US-Streitkräfte während der Einweisung am Sandkasten.
Wenn man etwas bei der Bundeswehr lernt, dann ist es Geduld. Pünktliches Erscheinen und Warten auf die nächste Aktion gehen dem Bundeswehrsoldaten schon in den ersten Tagen ins Unterbewusstsein über. So waren die Kameraden schon kurz nach drei vor Ort und konnten so ganz langsam die Einweisung um 17 Uhr vorbereiten. Diese sollte am Sandkasten stattfinden.

Der T6 setzte sich entsprechend pünktlich in Bewegung, fuhr vorbei an den unzähligen amerikanische Wüstenfahrzeugen und bog dann in eine flache, aber riesige Halle ein. Ganz hinten sah man einen Container und daneben den Sandkasten. Neonröhren erleuchteten die Halle. Jetzt wäre der Moment, wo der Verbrecher mit seinem Sportwagen in die Halle einfährt und das Feuer eröffnet. Eine wilde Verfolgungsjagd beginnt und endet am Sandkasten - soweit das Drehbuch zum Actionfilm. In der Realität erreichte der T6 den Sandkasten ohne Zwischenfälle.

US Defender #DefenderEurope #DEF20 Feldjäger Konvois US Fahrzeuge
US Defender #DefenderEurope #DEF20 - Feldjäger weisen die Beteiligten am Sandkasten ein.
Der Sandkasten war gar kein Sandkasten. Der Asphalt war mit Kreidestrichen bemalt. Die Parkmarkierungen dienten als Grenzen zwischen den Bundesländern sowie Polen. Holzklötzer markierten Städte und Haltepunkte. Farbige Geschenkbänder kennzeichneten den Streckenverlauf. Sehr einfach, aber für den Zweck völlig ausreichend. Abwechselnd traten die Lenker der kolonneninternen Leitfahrzeuge und die am Geschehen beteiligten Militärpolizisten herzu. Den Amerikanern wurden auch noch einige deutsche Verkehrsregeln erläutert. Die Fahrer hatten die Herausforderung, die Meilen im Tacho auf km/h umzurechnen. 80 km/h entsprechen 49,71 Meilen pro Stunde.

Um den normalen Verkehr nicht zu stören, wurde bereits vor Beginn der Großübung festgelegt, dass die Konvois nachts rollen. Die Nacht in Norddeutschland begann heute um 18 Uhr. Die erste Kolonne startete und musste noch durch einen Zollpunkt fahren. Hier wurden rein formal die Zollpapiere geprüft. Dann ging es weiter durch die Innenstadt von Bremerhaven und relativ schnell auf die Autobahn A 27. Dort konnte auf 80 km/h beschleunigt und der A1 entgegengefahren werden. Das Tempo bestimmen die regionalen Begleitfahrzeuge. So lange sie für die Strecke zuständig sind, fahren sie voraus und verlassen die Kolonne, sobald sie an den nächsten Zuständigkeitsabschnitt übergeben haben. Die Übergabe erfolgt normalerweise nahtlos an einer passenden Ausfahrt.

US Defender #DefenderEurope #DEF20 Feldjäger Konvois US Fahrzeuge
US Defender #DefenderEurope #DEF20 - Der vierte Konvoi ist bereit für die Abfahrt. Die Konvois haben eigene Fahrzeuge am Anfang und am Ende. Davor und dahinter fahren die regional zuständigen Polizisten oder Feldjäger.
Beim zweiten Konvoi gab es eine Panne. Besser gesagt, der Fahrer des drittletzten Fahrzeuges war eingeschlafen und hatte die Abfahrt seiner Gruppe verpasst. Die Abfahrt erfolgte immer im Halbstundentakt. Nun war das Situationsmanagement der Feldjäger gefragt. "Leben in der Lage" heißt das bei der Bundeswehr. Nach dem Erwachen des Fahrers wurden die drei Hinterbliebenen an eine wichtige Kreuzung in Bremerhaven geleitet und dann vom Zugführer höchst persönlich in Empfang genommen. Er fuhr nun mit seinem T6 und Blaulicht vorne weg. Als Zugführer konnte er auch das Tempo der Kolonne bestimmen: Sie sollten auf 50 reduzieren. In diesem Falle waren Kilometer pro Stunde gemeint. Das reichte jedoch nicht. 40 km/h! Mit ihren 40 km/h zwang die Kolonne sämtliche LKWs auf die Mittelspur. So war irgendwann das Ende des Konvois frei und die drei Nachzügler konnten hinten angeschlossen werden. Der Teilauftrag war erledigt. Runter von der Autobahn und wieder zum Hafen.

Im Hafen machte sich gerade die vierte Kolonne fertig zum Abmarsch. Marsch ist im Verständnis der Bundeswehr nicht nur die Bewegung zu Fuß. So weit lief alles nach Plan. Nur noch ein sandfarbener Abschleppwagen der US-Armee hatte eine kurze Panne. Aber auch das wurde schnell geklärt, so dass er ebenfalls nach Hagenow rollen konnte.

US Defender #DefenderEurope #DEF20 Feldjäger Konvois US Fahrzeuge
US Defender #DefenderEurope #DEF20 - Feldjäger stimmen sich ab. Im Hintergrund ein VW-Bus T6 und im Vordergrund ein Nissan Pathfinder. Die Autos sind teilweise schon mit den neuen Taschen für das G36 ausgerüstet. Diese sind deutlich praktischer als die alten Halterungen in der Mitte.
Die Feldjäger trafen sich anschließend auf der Polizeidirektion in Bremerhaven. Hier mischten sich Flecktarn und schwarze Polizeiuniformen. Man hatte sehr viel Kaffee gekocht. Bis auf die Nachzügler und den Abschleppwagen war kaum etwas auszuwerten. Die Zusammenarbeit der Polizei mit den Feldjägern war hervorragend - ebenso die Stimmung. Gegen 21:30 Uhr waren die Feldjäger wieder in der Kaserne von Garlstedt zurück und konnten dort noch ihre eigene kurze Auswertungsrunde machen. Dann ploppten zwei Kronkorken und der Arbeitstag war zu Ende.

Video:
US Defender - Feldjäger und 4 Konvois

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 18. Februar 2020

#MSC2020 - IISS stellt die neue Military Balance 2020 vor

Die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) ist der geeignete Rahmen, die neue Military Balance vorzustellen.

Die Military Balance des Internationalen Institutes für Strategische Studien - kurz IISS, gesprochen Dabbl Ei Dabbl Es - erscheint jährlich und gilt in Fachkreisen als das Nachschlagewerk zur Einschätzung der militärischen Fähigkeiten von Partnern und Gegnern. Wer sich auf einen Konflikt vorbereitet, schaut in die Military Balance und gleicht die Daten mit den Informationen seiner Nachrichtendienste ab. In der Regel stimmen die Angaben überein und können als Grundlage für die weiteren Entscheidungen genutzt werden.

Das IISS sammelt die Informationen aus diversen Quellen. Ein Großteil davon ist sogar frei im Internet verfügbar. Nur muss man diese Quellen auch finden. Darauf sind die Recherche-Experten trainiert. Die Ironie des Schicksals will es so, das besonders geheimnisumwobene Länder gerne auf Paraden mit ihrem Kriegsgerät prahlen. Dann werden einfach die Videos analysiert, die Gerätschaften durchgezählt und mit den Ergebnissen der Vorjahre verglichen: "Huch, da fehlen ja drei Panzer." - "Oh, eine neue Haubitze." - "Interessant: Geborgte Fahrzeuge in fremder Lackierung."

#MSC2020 - IISS stellt die neue Military Balance 2020 vor #MSC Münchner Sicherheitskonferenz
IISS stellt die Military Balance 2020 vor - Generaldirektor Dr. John Chipman (links) und der Leiter Verteidigung und militärische Analysen, Dr. Bastian Giegerich, orientieren sich auf dem Balance Chart zu Land-Attack Cruise Missiles.
Das Buch zur Military Balance umfasst inzwischen 536 Seiten und ist auch als Online-Tool verfügbar. Immer wieder werden neue Themenbereiche wie Cyber ergänzt und dazu entsprechendes Fachpersonal durch das IISS rekrutiert - wie beispielsweise James Hackett, dessen Name fast wie der branchenübliche Hacker ausgesprochen wird. Das IISS hat weltweit vier Standorte: Bahrain, London, Singapur und Washington D.C. Damit kann innerhalb einer Region auch offline recherchiert und das wichtige Quellennetzwerk ausgebaut werden.

Die Military Balance 2020 enthält wieder jede Menge Analysen von Trends in der globalen Rüstungslandschaft. Was die Ausgaben betrifft, rangieren die USA, China, Saudi Arabien und Russland auf den ersten vier Plätzen. Die USA und China haben jedoch gegenüber dem Vorjahr massiv zugelegt: USA von 643 auf 684 und China von 168 auf 181 Milliarden USD. Saudi Arabien und Russland hingegen haben ihre Ausgaben reduziert: von 82,9 auf 78,4 beziehungsweise 63,1 auf 61,6 Milliarden USD. Russland gibt also gerade mal 13,1 Milliarden USD mehr als Deutschland aus. Diese Differenz entspricht in etwa der Nettozahlung Deutschlands an die EU.

Bei der Vorstellung des neuen Buches wurde kurz die aktuelle Situation umrissen. Demnach steuere der Westen auf ein Personalproblem zu. Dieses kann derzeit nur durch Technik kompensiert werden. Deshalb gehen die Trends zu unbemannten Waffensystemen, Künstlicher Intelligenz und Robotern. Selbstlernende Systeme sind zwar für den Ingenieur ein spannendes Betätigungsfeld. Die Kriegsführung wird dadurch jedoch in eine ganz neue Dimension katapultiert. Eine Dimension, die eventuell auch durch deren Macher nicht mehr kontrollierbar sein könnte. Russen, Amerikaner, Franzosen, Briten, Deutsche und Chinesen forschen und entwickeln auf diesem Gebiet. Als machpolitische Kontrahenten liefern sie sich dabei einen erbitterten Wettbewerb.

Es fiel auch der Begriff "Age of Missiles" (Zeitalter der Raketen). Raketen werden immer kleiner, schneller und treffsicherer. Russland ist hier Vorreiter. Die guten Beziehungen zu Assad machen es möglich, dass sie die neuen Waffensysteme auch gleich an der syrischen Zivilbevölkerung testen können. Bereits 2015 wurden von russischen Schiffen aus, die am Kaspischen Meer stationiert waren, Raketen nach Syrien abgeschossen. Übrigens war auch die Annexion der Krim nicht nur durch die Urlaubswünsche der russischen Bevölkerung getrieben, sondern ein wichtiger geostrategischer Schachzug. Die Krim ist vollgepflastert mit Militärbasen und erhöht den Trefferradius der neuen Raketensysteme erheblich - insbesondere Richtung Südeuropa, Türkei und den Nahen Osten.

Laut IISS brauche man wieder Abkommen zur Regulierung der Raketen, ganz besonders der Raketen mit Atomsprengköpfen. Dass gerade sämtliche Verträge gekündigt werden, könnte dem "Age of Missiles" aktiv in die Hände spielen.

Autor: Matthias Baumann

Montag, 17. Februar 2020

#MSC2020 - Bewegung auf dem Balkan

Vor einem Jahr hatte es zarte Versuche eines Gespräches zwischen den Präsidenten von Serbien und Kosovo gegeben. Wolfgang Ischinger höchst persönlich hatte moderiert und zwischen die Kontrahenten Aleksandar Vučić (Serbien) und Hashim Thaçi (Kosovo) einen EU-Kommissar gesetzt. Man kann ja nie wissen, wie ein Dialog eskaliert, wenn die Fragen vorher nicht abgestimmt wurden.

#MSC2020 MSC Münchner Sicherheitskonferenz Serbien Kosovo
#MSC2020 Münchner Sicherheitskonferenz - Unterzeichnung eines Eisenbahn- und Autobahnabkommens zwischen Serbien (Präsident Aleksandar Vučić hinten rechts) und Kosovo (Präsident Hashim Thaçi in der Mitte) unter der Leitung des US-Botschafters Richard Grenell (hinten links)
Nahezu unbemerkt von der Presse trafen sich die beiden Präsidenten am Freitag Morgen am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz. Die MSC war noch gar nicht offiziell eröffnet worden. Unter den Augen des US-Botschafters Richard Grenell unterzeichneten sie ein Eisenbahn- und Autobahnabkommen. Die Veranstaltung dauerte keine 20 Minuten.

Man könnte hier von einer gelungenen Hinterzimmerdiplomatie sprechen. Diese Art der Diplomatie wird ja gerne als unseriös hingestellt. Allerdings lassen sich viele Konflikte ohne diese Methode gar nicht lösen. Wer in die Atmosphäre der Münchner Sicherheitskonferenz eintaucht, erlebt hautnah, dass viele Verhandlungen genau auf diesem Wege geführt werden. Es werden Wege geebnet, Denkweisen nachjustiert und ab und zu ein Vertrag unterzeichnet. Letzteres kann aber auch in einem anderen Rahmen erfolgen, damit dem jeweiligen Spitzenpolitiker nicht die Lorbeeren entgehen.

Autor: Matthias Baumann

Sonntag, 16. Februar 2020

#MSC2020 - Pelosi, Palaishalle und Palästinenser

Nach einem hektischen MSC-Samstag brach heute ein entspannter Sonntag an. Die Glocken läuteten. Die Straßen waren frei. Auf dem Odeonsplatz durfte wieder geparkt werden. Viele Sperren waren abgebaut. Im Pressezelt war auch deutlich weniger Betrieb. Dennoch war es ratsam, die neuesten Termininfos zu verfolgen. Zwei Anlässe stachen dabei heraus - ausgerechnet parallel: Pressekonferenz mit Nancy Pelosi und Townhall on Palestine mit dem palästinensischen Ministerpräsidenten Mohammed Schtaje.

Da Nancy Pelosi regelmäßig durch ihre Konfrontationen mit Donald Trump auffällt, ist sie in Europa sehr beliebt. Entsprechend berechenbar war ihre Argumentation in der Pressekonferenz. Die USA, China und der Iran hatten ja gestern ihre Befindlichkeiten herausgelassen und hatten dabei ein wenig den Pfad der Professionalität verlassen. Frau Pelosi verspätete sich um eine Viertelstunde. Das wurde sehr knapp. Ihre ersten Worte waren die wichtigsten: Der Kongress stehe zum transatlantischen Bündnis und zur NATO. Um das auch optisch zu verdeutlichen, hatten sich einige Kongressabgeordnete hinter Nancy Pelosi aufgestellt. Bei dem hohen innenpolitischen Druck tat ihr die herzliche Aufnahme bei der Münchner Sicherheitskonferenz sehr gut.

#MSC2020 MSC Münchner Sicherheitskonferenz
#MSC2020 Münchner Sicherheitskonferenz - Nancy Pelosi und Kongresskollegen aus der US-Delegation
Kurz nach diesem Statement begann auch schon das Format Townhall im Palaissaal. Dieses Format war insofern interessant, weil sich einige Protagonisten in der Mitte des Raumes auf einem stilechten MSC-Teppich trafen und über ein vorgegebenes Thema sprachen. Das Publikum bestand aus interessierten Teilnehmern der Sicherheitskonferenz und einigen Pressevertretern. Gelegentlich wurde es gefährlich: Wer sich zum falschen Zeitpunkt meldete, hatte plötzlich das Mikrofon vor der Nase und musste auf Englisch ein Statement abgeben. Zwei bis vier präparierte Personen saßen im Publikum und wurden zu gegebener Zeit für einen vorbereiteten Input aktiviert.

Während also Frau Pelosi und ihre Kongresskollegen die Pressekonferenz fortsetzten, quirlten Bodyguards und der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Schtaje in die Palaishalle. Auch die Botschafterin aus Berlin war dabei. Die Begrüßung war überaus herzlich. Etwas im Schatten des Palästinensers betraten auch der Außenminister Jordaniens, Ayman Safadi, und der Generalsekretär der Arabischen Liga, Ahmed Abdoul Gheit, den Raum. Mohammed Schtaje begann mit einer Rede und forderte eine internationale Palästina-Konferenz.

Anschließend setzten sich die drei Herren in die Mitte. Der westliche Moderator hegte offenbar tiefe Sympathien für die Palästinenser. Das beeinflusste die Steuerung der Gesamtdiskussion. Mohammed Schtaje konnte ausführlich auf die neuerlichen Aktionen von Donald Trump eingehen. Benjamin Netanjahu und Donald Trump hätten noch nie konstruktiv auf palästinensische Vorschläge zur Befriedung der Region reagiert. Besonders verärgert zeigte er sich, dass in den Vorgaben der Amerikaner stehe, dass die Palästinenser Israel als Staat akzeptieren sollen. Man habe sich verbündet, um diese Pläne zu verwerfen. Überhaupt hätten sich ganz viele Verbündete gefunden, die diese Pläne auch ablehnen: "Trump hat keine Freunde."

#MSC2020 MSC Münchner Sicherheitskonferenz
#MSC2020 Münchner Sicherheitskonferenz - Townhall on Palestine - Palästinensischer Ministerpräsident Mohammed Schtaje (vorne rechts) und der jordanische Außenminister Ayman Safadi
Ahmed Abdoul Gheit von der Arabischen Liga wurde gefragt, ob die Palästinenser nicht mehr auf der Agenda stehen. Dazu bemerkte er, dass das Kernthema im Nahen Osten nach wie vor das "Palästinenserproblem" sei. Das sei aber derzeit nicht Priorität Eins der Liga. Da in der arabischen Welt die Abstammung eine große Rolle spielt, sei hier erwähnt, dass die Palsätinenser ursprünglich aus Kreta kamen. Deshalb gehören sie nicht wirklich dazu und werden von sämtlichen Kräften der Region als williges Werkzeug für Stellvertreterkonflikte genutzt. Frei nach dem chinesischen Sprichwort: "Mit dem Dolch eines anderen morden".

"Wir sind ein Stabilitätsfaktor in der Region", warf der Ministerpräsident ein. Dass dieser Stabilitätsfaktor die Hamas in Gaza nicht im Griff hat, liege nicht etwa an ihnen selbst, sondern an den Anderen. Man habe vier Verträge mit der Hamas geschlossen. Aber die halten sich einfach nicht daran. Hätte Israel nicht ein Machtvakuum in Gaza erzeugt, wäre es dort gar nicht zu diesem Problem gekommen.

Während Mohammed Schtaje unentwegt mit den Schwarze-Peter-Karten, Netanjahu und Trump, hantierte, ging der jordanische Außenminister Ayman Safadi etwas differenzierter an die Sache heran. Es gebe in der Region keine Gewinner und keine Verlierer. Entweder gewinnen Alle oder es verlieren Alle. Es solle akzeptiert werden, dass man Seite an Seite leben könne und nur dadurch Frieden möglich sei.

Aus dem Publikum meldete sich eine Knesset-Abgeordnete und ging auf einige Punkte des Ministerpräsidenten ein. Er hatte die passende Antwort parat: Die Frau solle sich bitte nicht so sehr von der Netanjahu-Propaganda beeinflussen lassen. Immerhin befinde sich dieser aktuell im Wahlkampf. Warum einige Leute den Raum verließen, konnte nicht zweifelsfrei geklärt werden.

Nach diesem Einblick in die aktuelle Situation im Nahen Osten ging auch schon fast die Münchner Sicherheitskonferenz zu Ende. Die Straßen von München waren inzwischen gut mit Passanten gefüllt. In den Cafés gab es kaum noch Sitzplätze und die Sonne tauchte den Odeonsplatz in ein angenehmes Licht.

Autor: Matthias Baumann

Samstag, 15. Februar 2020

#MSC2020 - Die schwere Entscheidung zwischen Zuckerberg und Golfkrise

Der gemeine Hauptstadtjournalist ist normalerweise erst nach mehreren Tassen Kaffee und bei Terminen ab zehn Uhr einsatzfähig. Die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) forderte Teilnehmer und Presse auf ihre sehr spezielle Weise heraus. Denn schon um halb acht beginnen die ersten Gesprächsrunden - Breakfast genannt. Da sich der Terminplan sehr kurzfristig ändern oder erweitern kann, tut man gut daran, auch schon um diese Zeit vor Ort zu sein und den verschlafenen Blick auf den Ticker an den Großleinwänden zu werfen. Profis haben neben der Kaffeetasse sogar noch das druckfrische Programmheftchen des Tages zu liegen.

Unter permanentem Abgleich von Ticker und Programmheft läuft der Rest des Tages nur bedingt planbar ab. Flexibilität und schnelle Entscheidungen sind gefordert. Nachdem das Kreuzchen bei den Reden von AKK und Sergey Lavrov in der Conference Hall gesetzt sind, blättert man auf die nächste Seite und sieht einen Paralleltermin im Königssaal. Was ist jetzt wichtiger? Passt das mit den Anschlussterminen? Anhören im Pressezelt oder Dabeisein im Königssaal? Wann ist Pooling und wie lang sind die Wege zwischen den Terminen? Darf schreibende Presse bleiben oder muss sie mit der Bildpresse nach fünf Minuten den Raum verlassen?

#MSC2020 MSC Münchner Sicherheitskonferenz
#MSC2020 Münchner Sicherheitskonferenz - Informationsmaterial zur Planung des Tagesablaufs
Es gibt viele Abstufungen in der Zutrittsberechtigung. In diesem Jahr ist die Presse Gelb. Dann gibt es noch Gelb mit Blau und Gelb mit doppelt Blau. Je mehr blaue Streifen, umso weiter der Bewegungsradius. Es gibt Grün und Blau und Grau. Da die Badges Fotos und einen Transponder enthalten, kann beim Durchlaufen eines Eingangs immer gesehen werden, ob das Badge zur herzutretenden Person passt. Auf einem Display erscheint ein riesiges Passfoto nebst Namen. Die namentliche Begrüßung der Herzutretenden muss relativ frühzeitig ausgesetzt worden sein.

Samstag ist der Powertag bei der MSC: Präsidenten, Verteidigungsminister, Außenminister und andere wichtige Personen geben sich die Klinke in die Hand. Mitarbeiter des Hotels stürzen mit Bergen von Tischdecken, Gläsern und Stühlen durch die Gänge. Es gibt eine gefühlte 1:1-Betreuung durch Sicherheitspersonal im zarten Jugendalter. Generale und Staatssekretäre drängen sich an wartenden Delegationen vorbei. Präsidenten, die kürzlich noch auf dem roten Podest im Kanzleramt standen, wühlen sich mit ihren Personenschützern durch die Massen. Handschlag? Selfie? Kein Problem.

In dieser geballten Form kommen wohl nur noch in Davos die Spitzenpolitiker zusammen. Die MSC ist jedoch kein Wirtschaftsforum, sondern betrachtet sämtliche Themen aus dem Blickwinkel der Sicherheitspolitik. Das betrifft auch Corona, Big Data, Social Media oder den Klimawandel. Zu letzterem Thema durfte diesmal Jennifer Morgan von Greenpeace eine Einleitungsrede halten. Für das Fachpublikum war diese jedoch nicht annähernd so spannend und überzeugend, wie die wissenschaftlichen Hochrechnungen von Prof. Schellnhuber auf der MSC 2019.

#MSC2020 MSC Münchner Sicherheitskonferenz
#MSC2020 Münchner Sicherheitskonferenz - Kasachstans Präsident Kassym-Jomart Tokayev
Der Vorteil an diesem Umstand war, dass ad hoc auf eine Parallelveranstaltung im Königssaal umdisponiert werden konnte. Nämlich die Geografie in Asien - eine Diskussionsrunde mit den Präsidenten Kasachstans und Afghanistans. Kassym-Jomart Tokayev hatte Ende des letzten Jahres die Kanzlerin auflaufen lassen, indem er demonstrativ zur eigenen Nationalhymne aufgestanden war und sogar die Hand aufs Herz gelegt hatte. Auch in dieser Runde gab er sich konsequent loyal gegenüber Russland und China. Die Sandwich-Position seines Landes sei ein Segen, da es von Russland und China profitiere. Afghanistan zeigte sich hingegen loyal gegenüber den USA und der NATO. Da sich die Drogenproduktion für Afghanistan lohne, werde kaum etwas dagegen unternommen. Das tangiert auch den Nachbarn Kasachstan. Kasachstan dient schon lange als Transitland und hat inzwischen eine steigende Zahl an Konsumenten. Mit One Belt One Raod (OBOR) werden die chinesischen Partner sicher für eine weitere Vereinfachung der Drogenlogistik sorgen.

Vor dem Königssaal gab es das übliche dichte Gedränge. Der Leiter Protokoll BMVg bahnte sich einen Weg. Es war zu erfahren, dass Annegret Kramp-Karrenbauer wie am Fließband bilaterale Gespräche mit Amtskollegen führe. Nur die Bundeswehrredaktion war für die Auftaktbilder zugelassen.

Klimawandel und asiatische Geografie waren nicht die einzigen Herausforderungen des Tages: "Zuckerberg oder Golfkrise?", war die Frage. Wer möchte ihn nicht einmal live sehen, den berühmten Mark Zuckerberg von Facebook? Gemäß der Altersstruktur der MSC-Teilnehmer konnte die Prognose gewagt werden, dass die Conference Hall voll ist. Deshalb fiel die Entscheidung leicht, sich dem Thema "Deeskalation in der Golf-Region" zuzuwenden. Und dazu wurde im Königssaal alles aufgefahren, was in der Region Rang und Namen hat: Mohammad Javad Zarif (Außenminister des Iran), Sheikh Mohammed bin Abdulrahman Al Thani (Außenminister von Katar), Sheikh Ahmed Nasser Al-Mohammed Al-Sebah (Außenminister von Kuwait), Mevlüt Cavesoglu (Außenminister der Türkei), Yusuf bin Alawi bin Abdulla (Außenminister von Oman), Prince Faisal bin Farhan Al Saud (Außenminister von Saudi Arabien) und der in dieser Runde eher unspektakulär wirkende US-Senator Christopher Murphy.

#MSC2020 MSC Münchner Sicherheitskonferenz
#MSC2020 Münchner Sicherheitskonferenz - Afghanistans Präsident Mohammad Ashraf Ghani (rechts) im Gespräch mit dem Moderator Richard N. Haas
Achtung! Hier endet die Aufzählung der Namen. Die Liste deutet jedoch an, wie wichtig diesen Spitzenpolitikern der Dialog bei der Münchner Sicherheitskonferenz ist. Ja es ist sogar so, dass sie sich auf eine Moderatorin wie die BBC-Korrespondentin Lyse Doucet einlassen. Da kann man nie wissen, welche Fragen sie stellen wird und wie sie in ihrer unerbittlichen Art das Gespräch auf den Kern zurückführt. Mohammad Javad Zarif aus dem Iran sah das gelassen. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und ließ den Dialog selbstsicher und entspannt über sich ergehen.

Bei den Ausführungen des Mannes aus dem Iran kam zum Ausdruck, dass man sich von den USA nicht "austrocknen" lasse. Überhaupt sehe man nicht ein, warum man den USA entgegenkommen solle, wenn diese ihrerseits keine Zugeständnisse machen. Der türkische Außenminister setzte noch einen drauf, indem er den momentanen Feind Nummer Eins - China - als "ein Glück" für die Türkei bezeichnete. Die Türkei sei schließlich das Zentrum der neuen Seidenstraße OBOR.

Etwas moderater argumentierten die Scheichs aus Katar und Kuweit. Auch für ihre Länder stehe viel auf dem Spiel, wenn der Iran den Seeweg abschneidet. Deshalb sei man sehr an einer Deeskalation und einer dauerhaften Lösung des Problems interessiert. Die Region brauche den Handel und die Abnahme ihres Öls. Nachdem Prince Faisal bin Farhan Al Saud sehr direkt mit dem jüngsten Journalistenmord konfrontiert worden war, sprach er sich für eine weitere gute Zusammenarbeit mit der Trump-Administration aus. Auch das Jemen-Problem wolle man friedlich lösen. Der Erfolg sei aber auch von anderen Playern abhängig.

Apropos Trump: Die Eröffnungsstatements dieses Samstags wurde von Mike Pompeo (Außenminister der USA) und Mark Esper (Verteidigungsminister der USA) gehalten. Für die USA gibt es demnach momentan nur eine Priorität: China. China ist eine Diktatur, China verbreitet einen Virus, China rüstet auf, China überholt den Westen technologisch, China ist ein Risiko für die Werte des Westens. Man habe sich in China getäuscht. Vor 20 Jahren war China in die WTO aufgenommen worden, um das Land sukzessive in eine Demokratie umzufunktionieren. Stattdessen sei China wirtschaftlich erstarkt und tue heute so, als sei ihr kommunistisches System den westlichen Demokratien überlegen. Man habe sich verkalkuliert. Während die Europäer Russland als Hauptbedrohung ausgemacht haben, spielt Russland in der Betrachtung der USA nur eine weit untergeordnete Rolle. Mike Pompeo erwähnte zwar die erfolgreichen "Russian Desinformation Campaigns", wechselte dann aber gleich wieder das Thema und wiederholte in gut dosierten Abständen: "The West is winning!" - "The West is winning!" (Der Westen gewinnt!)

Das China-Bashing zeigte sehr deutlich, dass amerikanische und europäische Interessen auseinanderdriften. Ein Umstand, der nicht ungefährlich ist, wenn man die anschließenden Ausführungen von Emmanuel Macron reflektiert. Seine Worte schlugen wie ein Gewitter in das für Europa typische politisch korrekte Wischiwaschi ein. Keine Floskeln, sondern ein klar formuliertes Lagebild. Noch Stunden später war ein NDR-Kollege erschüttert von der Aussage, dass Europa "keine Antikörper mehr zum Schutz unserer Demokratie" hätte. Wir seien inzwischen "sehr, sehr verletzlich".

#MSC2020 MSC Münchner Sicherheitskonferenz
#MSC2020 Münchner Sicherheitskonferenz - Conference Hall - Der Inspekteur der Streitkräftebasis, Generalleutnant Martin Schelleis, schaut sich im Publikum um.
Laut Macron habe es China richtig gemacht. China habe in seine Zukunft investiert, während in Europa durch eine verfehlte Finanzpolitik - das war ja schon immer sein Thema - der Mittelstand geschwächt und nahezu abgeschafft worden sei. Und was der Mittelstand noch gehabt habe, hätte er an die Chinesen verkauft. Im Gegensatz zu seinen amerikanischen Vorrednern, ging Macron auf Russland ein. Russland sei per se schwach und könne auf längere Sicht keinen heißen Konflikt - wie einen Krieg - mit Europa austragen. Russland nutze daher schamlos die europäische Verletzlichkeit aus und befeuere sehr professionell das Thema Desinformation. Deshalb müsse Europa weiterhin misstrauisch gegenüber Russland sein sowie "brutal", "konsequent" und "glaubwürdig" auftreten. Ein Tenor, der sich vor zwei Tagen auch durch die Rede von Generalleutnant Jörg Vollmer gezogen hatte. Macron gab Donald Trump Recht, dass dieser mehr Eigenverantwortung bei der Selbstverteidigung Europas einfordert. Im Verteidigungsbündnis Europas spiele auch der Brexit keine Rolle.

Der Reiz der MSC besteht darin, dass auch Kontrahenten zu Wort kommen. So trat dann auch der Außenminister Chinas, Wang Yi, auf. In einer überaus blumigen Sprache lobte er die Weisheit und Stärke der Führung von Xi Jing Ping. Man führe derzeit einen "Krieg ohne Rauch" gegen den Corona-Virus. Man kämpfe und schütze jeden in der Bevölkerung vor dem Virus. Die Größe und Effizienz der Maßnahmen sei bewundernswert und zeigten die Vorteile des chinesischen Systems. Am Kampf seien ganz viele Arbeiterinnen und Arbeiter beteiligt, die als Helden bezeichnet werden. "Der Morgen naht und wir sehen das Licht", war der optimistische Ausblick zum Sieg über den Virus. "Wir sind eine dankbare Nation", wurde eine Aufzählung in einer interessanten Reihenfolge eingeleitet: Republik Korea, Weißrussland, Russland ... Grußkarten, Telegramme ... Italien, Großbritannien, Frankreich. Überhaupt habe China schon immer Völker in ihrem gerechten Kampf unterstütz, wie zum Beispiel die Palästinenser.

Da vor dieser Rede viel auf China eingeprügelt worden war, plädierte Wolfgang Ischinger, der Leiter der MSC, dafür, auch endlich einmal Worte der Ermutigung für China zu finden. Immerhin hätten sie gerade mit dem Virus erhebliche Herausforderungen zu meistern. Wang Yi knüpfte an diesem Punkt an und sagte, dass die "Schmierenkampagnen" der US-Repräsentanten "alles Lügen, keine Tatsachen" seien. Wenn man das umdrehe und auf die USA anwende, werden "aus Lügen Tatsachen". Der Außenminister sprach sich für eine engere Zusammenarbeit mit der EU aus und legte damit einen gefährlichen Köder zur Abspaltung gegenüber der USA. China kennt die Befindlichkeiten der Europäer und nutzt diese konsequent für eigene Zwecke aus. Die neue Seidenstraße soll schließlich auch durch Europa gehen.

Wer es geschafft hat, bis zu dieser Stelle zu lesen, dem sei gesagt, dass es sich hier um das Pensum nur eines Tages der Münchner Sicherheitskonferenz handelt. Es liefen noch diverse Parallelveranstaltungen wie "Politik und Big Date" oder "Ein Update zu Nagorny-Karabach", ganz abgesehen von den vielen bilateralen Unterredungen, die kaum jemand mitbekommen hat, die aber die Geschichte in einigen Regionen der Welt in eine positive Richtung lenken. Der Wert dieser Konferenz kann nicht mit Geld aufgewogen werden, da hier in kleinen und größeren Formaten lebenswichtige Entscheidungen getroffen und auch Konflikte beigelegt werden.

Video:
#MSC2020 - Impressionen von der Münchner Sicherheitskonferenz

Autor: Matthias Baumann

Freitag, 14. Februar 2020

#MSC2020 - Westlessness und Desinformation

"Ich habe es an Sergej geschickt", bemerkte ein Mann im Pressezelt. "Ja, wir müssen noch auf die Antwort aus Moskau warten", bestätigte sein Kollege auf Sächsisch. Besonders erheitert waren die beiden über das Thema der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz "Westlessness". Das werde wieder alles nur auf die übliche "Desinformation" hinauslaufen und das Gejammer über den "armen Westen". Missgelaunt richteten sie ihren Arbeitsplatz ein. In einem anderen Bereich des großen Zeltes bereitete sich der russische Sender RT auf die ersten Interviews und Kommentare vor.

Der speziell für die MSC entwickelte Begriff der Westlessness könnte mit "Westlosigkeit" oder "ohne den Westen" übersetzt werden. Ein deutscher Buchautor würde es eventuell so formulieren: "Der Westen schafft sich ab". Diese Entwicklung wird zwar aktiv von außen befeuert. Allerdings hat auch der Westen selbst erheblich dazu beigetragen.

#MSC2020 MSC Münchner Sicherheitskonferenz Westlessness
#MSC2020 Münchner Sicherheitskonferenz - Information, Desinformation, Halbinformation, Tendenzinformation: Wie demontieren wir eine Spitzenpolitikerin?
Beginnen wir mit dem Stichwort Arroganz: Die USA und ihre europäischen Partner waren es gewohnt, irgendwo aufzutauchen und die Regeln vorzugeben. Idealerweise sollten diese Regeln die westlichen Werte in die entsprechenden Regionen transportieren und dort etablieren. So war es auch mit der Aufnahme Chinas in die Welthandelsorganisation (WTO) geplant. China hat das Potenzial erkannt, die Chance genutzt, die Wirtschaft aufleben lassen und dann einfach die eigenen Regeln und Werte gefestigt. Einer der ersten Diskussionsteilnehmer auf der MSC-Bühne ergänzte dazu: "China versteht unsere Prinzipien gar nicht" - eine Erkenntnis, die in Europa Seltenheitswert hat.

Aber es tut sich etwas. Bei den jüngeren Verantwortungsträgern wie Sebastian Kurz oder Emmanuel Macron ist die Angst vor der fortschreitenden Westlessness angekommen. Die Westlessness muss als mehrschichtiges Thema betrachtet werden.

Auch hier bietet China eine gute Vorlage. Durch die Erstarkung Chinas in wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht fühlen sich die USA plötzlich einem ernst zu nehmenden Wettbewerber gegenüber. China und die USA haben ihre Militärausgaben im letzten Jahr noch einmal deutlich nach oben korrigiert, während Saudi Arabien und Russland auf den Plätzen 3 und 4 ihr Budget reduziert haben. China hat eine erhebliche Staatsverschuldung. das ist auch den USA bekannt. Deshalb versuchen sie mit Sanktionen das Land "auszutrocknen". Das "Austrocknen" ist eine amerikanische Taktik, die auch im Nahen und Mittleren Osten und sonstigen Gegnern zum Einsatz kommt. Irgendwann werde der fragile Staat schon zusammenbrechen und das gewünschte Vakuum entstehen.

Das geschaffene Vakuum ist den USA und ihren Partnern in letzter Zeit mehrfach auf die Füße gefallen. Der britische Chilcot-Report geht in 13 dicken Bänden auf die Fehleinschätzungen des Westens und deren Folgen ein. Er gibt aber auch Handlungsempfehlungen, um diese aus kultureller Arroganz entstandenen Fehler nicht noch einmal zu begehen. Das Wort "austrocknen" nahm auch der Iran auf der Konferenz in den Mund und stellte seine Entschlossenheit dar, sich das nicht gefallen zu lassen.

Die USA sehen derzeit in China ihre Herausforderung Nummer Eins. Russland und andere Länder spielen in ihrer momentanen Betrachtung kaum eine Rolle. Zu viel Energie muss gegen den roten Feind im Westen aufgewendet werden. Oder liegt China für die USA im Osten? Jedenfalls fokussiert sich die USA in Richtung Westen nach China und hat kaum noch einen Blick nach Osten zu seinen westlichen Verbündeten in Europa. Diese Partner hatten es sich bisher recht leicht gemacht. Die USA machen schon, wenn es ein Problem gibt. Die USA zahlen schon für unsere Sicherheit. Seit Donald Trump ist damit Schluss. Europa sieht sich plötzlich mit Eigenverantwortung konfrontiert. Europa ist nun auf Donald Trump so sauer wie ein Mittvierziger, der aus der elterlichen Wohnung ausziehen soll.

Es gibt Kinder, die ziehen rechtzeitig aus und können sich in der freien Wildbahn behaupten. Ein Mittvierziger kann sich nur noch schwer vom elterlichen Kühlschrank und seinem geliebten Kinderzimmer trennen. Deshalb wird der Prozess auch deutlich schmerzhafter verlaufen. Geschwächt vom Stress mit Mama und Papa ist der Mittvierziger eine leichte Beute für falsche Freunde. Hier kommt die weitere Schicht der Westlessness ins Spiel. Die vermeintlichen Freunde nähren den Hass auf die gemeinen Eltern und treiben einen Keil in die Familie. Diese Art des Trostes wird gerne angenommen. Russland, China und andere Staaten nutzen diesen Abstand zum Papa in Amerika geschickt aus, um ihre eigenen Akzente zu setzen.

#MSC2020 MSC Münchner Sicherheitskonferenz Westlessness
#MSC2020 Münchner Sicherheitskonferenz - Suchbild: Wer findet den Bundespräsidenten?
Auch Frank-Walter Steinmeier beschwerte sich in seiner Rede über den Abstand der USA, während seine Parteigenossen wichtige Maßnahmen der Eigenverantwortung im Bereich der Landesverteidigung blockieren. Das Westbündnis zwischen Europa und den USA hatte in der Vergangenheit mehrere Höhen und Tiefen erlebt. 1945 war es am Tiefpunkt, schwang sich bis 1960 in die Höhe und stürzte bis 1970 wieder ab. 1989 erreichten die Beziehungen einen neuen Höhepunkt und wurden danach wieder konsequent abgebaut.

Sebastian Kurz aus Österreich wandte sich gegen die vielen Kompromisse, die Europa schon bezüglich seiner Grundprinzipien gemacht hat. "Meinungsfreiheit, Medienfreiheit, Rechtstaatlichkeit sind nicht verhandelbar". Diese und weitere Werte des Westens gelte es zu verteidigen und zwar nicht nur militärisch. Laut Sebastian Kurz färbten die Gesellschaften auf andere Regionen der Welt ab, die erfolgreich seien. Solange der Westen wirtschaftlich erfolgreich ist, bewegten sich die Flüchtlingsströme Richtung Westen und andere Staaten versuchten das Erfolgsmodell zu kopieren. Erfolg muss aber ständig neu erarbeitet werden, so dass der Wettbewerb aus Fernost durchaus beachtet werden sollte.

Eine Chinesin fragte, ob denn der Westen im Zuge von Huawei und 5G Angst habe. Immerhin zeige doch 5G die technologische Überlegenheit der chinesischen Gesellschaftsordnung. In der Tat kann 5G über die Nachfrage am Markt einiges umkrempeln und den Westen bei der Steuerung seiner Datenströme empfindlich verletzlich machen. Dass technische Innovationen gleichzeitig auf die Attraktivität der chinesischen Gesellschaftsform zurückschließen lasse, wurde im Publikum bezweifelt. Ein Journalist der Deutschen Welle fragte, wann denn in China die Deutsche Welle, Twitter und andere Dienste erreichbar wären. Damit hatte sich dieser Diskussionspunkt erledigt.

Sebastian Kurz wandte sich gegen das Selbstmitleid. man habe viel in Europa erreicht und vieles laufe wirklich gut. Ein neues Selbstbewusstsein müsse her. Europa habe allen Grund dazu. In Europa läuft wohl vieles in der Metaebene ab. Das Denken, die Meinung, die Wahrnehmung, das Fühlen entscheiden die Stimmung und die nachgelagerten Handlungsweisen. Dankbarkeit für Erreichtes, Selbstbewusstsein und ein optimistisches Herangehen an die nächsten Herausforderungen täten Europa als Bestandteil des Westens gut.

Damit das Selbstbewusstsein nicht zu stark wird und gar nicht erst Mut zum konstruktiven Angehen der Herausforderungen aufkommt, gibt es noch das Stilmittel der Desinformation. Eine besondere Expertise auf diesem Gebiet wird den Nachbarn Estlands nachgesagt. Damit sind wohl nicht die Finnen gemeint. Diese estnischen Nachbarn hatten deshalb auch nicht am Personal gespart und viele ihrer Experten zur MSC entsandt. Bereits am ersten Abend gab es in der Palaishalle des Bayerischen Hofs eine Diskussionsrunde zur "Zukunft der Desinformation". Die Veranstaltung lief "Off the Record" und enthielt keine bahnbrechenden Neuigkeiten. Lediglich die Wahrnehmung, dass deutsche Zuständigkeiten das Thema Desinformation nicht als virulent ansehen.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 13. Februar 2020

Kommandowechsel beim Deutschen Heer von Jörg Vollmer zu Alfons Mais

Heute übergab Generalinspekteur Eberhard Zorn das Kommando über das Deutsche Heer an Generalleutnant Alfons Mais. Sein Vorgänger, Jörg Vollmer, hatte das Heer seit 2015 geleitet und diverse Innovationen auf den Weg gebracht. Das Heer ist mit 60.000 Soldaten die größte Teilstreitkraft. Jede der fünf Teilstreitkräfte - Heer, Luftwaffe, Marine, Cyber-Informationsraum und Sanitätsdienst - hat einen sogenannten Inspekteur an der Spitze. Inspekteure haben als Generalleutnant oder Generaloberstabsarzt (GOSA) drei goldene Sterne auf der Schulter oder sie sind im vergleichbaren Dienstgrad eines Vizeadmirals. Letzterer ist durch besonders dicke Streifen am Ärmel zu erkennen.

Kommandowechsel beim Deutschen Heer von Jörg Vollmann zu Alfons Mais
Kommandowechsel beim Deutschen Heer von Jörg Vollmer zu Alfons Mais - v.l.n.r.: Generalinspekteur Eberhard Zorn, Generalleutnant Jörg Vollmer, Generalleutnant Alfons Mais, Generalleutnant Johann Langenegger
Der vierte Stern ist für viele Dreisterner unerreichbar. Dazu müssen sie entweder Generalinspekteur werden oder zur NATO gehen. Jörg Vollmer wird im Sommer Befehlshaber des Allied Joint Forces Command der NATO in Brunssum. Generale werden im BMVg befördert. Durch politisch bedingte Faktoren kann sich eine Beförderung vom Oberst zum Brigadegeneral verzögern oder erheblich beschleunigen. Leider finden diese Anlässe immer unspektakulär im kleinen Kreise statt.

Kommandowechsel beim Deutschen Heer von Jörg Vollmann zu Alfons Mais
Kommandowechsel beim Deutschen Heer von Jörg Vollmer zu Alfons Mais - Jörg Vollmer (2. von rechts) übergibt die Truppenfahne an Generalinspkteur Eberhard Zorn
Wann immer man Jörg Vollmer traf, wirkte er ruhig und ausgeglichen. Er konnte jedoch auf energisch umschalten und hatte seine Truppe im Griff. Jörg Vollmer ist Praktiker. Das kam auch bei seiner Rede an den neuen Generalstabslehrgang auf der ILÜ 2019 zum Ausdruck. Bei einer längeren Fahrt von Bonn nach Koblenz setzte er sich zu den wenigen VIPs in den Reisebus und ließ seine Limousine hinterherfahren. Vom Bus aus telefonierte und telefonierte er und steuerte seinen Aufgabenbereich bis - ja bis - ihm das Handy zwischen die Sitze fiel. Aber auch das klärte er gelassen.

Kommandowechsel beim Deutschen Heer von Jörg Vollmann zu Alfons Mais
Kommandowechsel beim Deutschen Heer von Jörg Vollmer (rechts) zu Alfons Mais (links), Mitte: Generalinspekteur Eberhard Zorn
Jörg Vollmer ist Bremer und 62 Jahre alt. 1978 trat er in die Bundeswehr ein und steht nun kurz vor der Pensionierung. Der Gang nach Brunssum wird wohl seine letzte Etappe im militärischen Berufsleben sein. Danach warten die Familie und die Clausewitz Gesellschaft mit Vortragsanfragen auf ihn. Wenn er nicht gerade im BMVg tätig war oder Studiengänge und Weiterbildungen absolvierte, konzentrierte er sich auf Verwendungen bei den Panzergrenadieren oder den Fallschirmjägern. Er hatte also immer etwas mit Infanterie, Staub und Schlamm zu tun. Entsprechend sahen auch seine Dienstfahrzeuge aus.

Seine Abschiedsrede war sehr deutlich und wich gelegentlich vom Manuskript ab. Wenn er von seinen ausländischen Kollegen nach dem allgemein vermittelten Zustand der Bundeswehr gefragt werde, antworte er mit Stolz: "Wir sind das Heer, verlässlich und da, wenn man uns braucht." Einen Großteil der Schlussfolgerungen des Wehrbeauftragten empfand er als hart, aber zutreffend. Glaubwürdige Abschreckung und die Demonstration der Fähigkeit zur Kriegsführung waren ihm wichtig. Auch wenn das Wort Russland nicht fiel, war doch klar, welche konkrete Gefahr er ansprach. Jörg Vollmer war überzeugt davon, dass die Soldaten des Heeres ohne Zögern zu den Waffen greifen werden, um Bündnisinteressen zu wahren und zu schützen.

Deshalb formulierte er gegenüber den politischen Entscheidungsträgern den "Anspruch auf überlegenes Wehrmaterial im Interesse des Wohles der Soldatinnen und Soldaten". Hier komme es insbesondere auf das Verhandlungsgeschick der Staatssekretäre und der Ministerin an. Auch diese müssten sich "gegen den Widerstand eines allzu bequemen und realitätsfernen Zeitgeistes behaupten".

Kommandowechsel beim Deutschen Heer von Jörg Vollmann zu Alfons Mais
Kommandowechsel beim Deutschen Heer von Jörg Vollmer zu Alfons Mais - Truppenfahnen in der Ehrenformation
Sein Nachfolger in Strausberg, Alfons Mais, ist 57 Jahre alt und trat 1981 in die Bundeswehr ein. Auch er studierte - wie Jörg Vollmer - Wirtschafts- und Organisationswissenschaften in Hamburg. Alfons Mais stammt allerdings aus Koblenz, wo der Inspekteur des Sanitätsdienstes sitzt. Statt jedoch Sanitäter zu werden, ließ er sich als Heeresflieger ausbilden. Luftbewegung bestimmte immer wieder sein Berufsleben. Seit Mitte 2019 fungierte er als Kommandeur des 1. Deutsch-Niederländischen Korps.

Angesichts der neuerlichen Rivalitäten zwischen den Größmächten und einer fragiler werdenden nordatlantischen Verbindung haben die beiden Generale eventuell noch einen spannenden Lebensabschnitt vor sich. Alfons Mais für etwa sieben Jahre und Jörg Vollmer für zwei.

Rede Generalleutnant Jörg Vollmer mit freundlicher Genehmigung des PIZ Heer - Das gesprochene Wort wich nur geringfügig von diesem Manuskript ab.

Video:
Kommandowechsel Inspekteur Deutsches Heer - Jörg Vollmer zu Alfons Mais

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 12. Februar 2020

US Defender - Verladung amerikanischer Fahrzeuge von der Schiene auf die Straße

"Straßentankwagen" warf Martin Schelleis spontan ein, als der Kompaniechef der 8./SpezPiRgt164 mit den bundeswehrüblichen Abkürzungen hantierte. "STW" hatte er gesagt. Seit November 2019 sind die Inspekteure auf Twitter unterwegs und haben sich darauf eingestellt, dass die zivile Zielgruppe in einer verständlichen Sprache angeredet werden möchte.

US Defender - Verladung amerikanischer Fahrzeuge von der Schiene auf die Straße #DEF20 #DefenderEurope
US Defender Europe 2020 #DEF20 #DefenderEurope - Einweisung des Fahrers einer amerikanischen Panzerhaubitze zur Auffahrt auf einen Schwerlasttransporter SLT Mammut
Martin Schelleis ist Generalleutnant und Inspekteur des Streitkräftebasis (SKB). Die Streitkräftebasis fasst sämtliche Bereiche der Bundeswehr zusammen, die nicht eindeutig dem Heer, der Luftwaffe oder der Marine zuzuordnen sind. Dazu gehören auch die Spezialpioniere und der gesamte Bereich Logistik.

US Defender - Verladung amerikanischer Fahrzeuge von der Schiene auf die Straße #DEF20 #DefenderEurope
US Defender Europe 2020 #DEF20 #DefenderEurope - Amerikanische Fahrzeuge an der Verladerampe
Da die Schiffe aus Amerika noch nicht in Bremerhaven eingetroffen sind, wurden heute in Bergen bei Celle amerikanische Bestandsfahrzeuge von der Schiene auf Schwerlasttransporter (SLT) Mammut verladen. Die Bundeswehr verfügt über drei Arten von Schwerlasttransportern: Elefant, Franziska und Mammut. Normalerweise haben die Fahrzeuge der Bundeswehr Tiernamen. Franziska tanzt dabei aus der Rolle. Die Legende erzählt, dass der Entwickler des Fahrzeuges auf den Namen seiner Tochter bestanden habe. Solch ein SLT schafft locker 80 km/h und verbraucht einen Liter Diesel - auf einen Kilometer.

US Defender - Verladung amerikanischer Fahrzeuge von der Schiene auf die Straße #DEF20 #DefenderEurope
US Defender Europe 2020 #DEF20 #DefenderEurope - Gut verzurrt für den Schwerlasttransport per SLT Mammut über die Straße
Amerikanische Fahrzeuge sind wohl recht flexibel bezüglich der Betankung. Sie können wahlweise mit Diesel oder Kerosin fahren. Das erklärt auch die überproportional hohe Menge Kerosin, die im neuen Tanklager in der Nähe von Bergen eingelagert werden soll. Zusammen mit Martin Schelleis schaute sich die Presse heute nicht nur den professionellen Ablauf der Fahrzeugverladung an, sondern konnte auch sehen, dass beim Bau eines temporären Tanklagers jeder Handgriff sitzt.

US Defender - Bau eines Tanklagers #DEF20 #DefenderEurope
US Defender Europe 2020 #DEF20 #DefenderEurope - Bau eines Tanklagers - Teamwork ist gefragt.
Es gibt übrigens nur eine Kompanie, die solche Tanklager bauen darf und kann. Das ist die oben erwähnte 8. Kompanie des Spezialpionierregiments 164 (8./SpezPiRgt164). Entsprechend hoch ist deren nationale und internationale Auslastung. Gleiches gilt für die Mammutfahrer. Gerade bei diesen Einheiten zeigt sich, dass der Trend weg vom Mannschaftsdienstgrad und hin zum Feldwebel (Unteroffiziersgrad) geht. Neben 300 Mannschaftssoldaten gibt es bei den Spezialpionieren knapp 1.100 Unteroffiziere.

US Defender - Bau eines Tanklagers #DEF20 #DefenderEurope
US Defender Europe 2020 #DEF20 #DefenderEurope - Bau eines Tanklagers -Jeder Handgriff sitzt.
Der hier gelagerte Sprit kommt aus einem NATO-Depot und sollte den Qualitätsstandards entsprechen. Im Auslandseinsatz sieht das anders aus. Regionale Lieferanten nutzen ihre unkonventionellen Transportmittel, so dass sich Wasser oder Schmutzpartikel im Tank befinden. Um das zu ermitteln, gehen immer Proben in ein mobiles Labor. Anschließend wird entschieden, ob Additive beigefügt werden, eine Filterung stattfindet oder der Lieferant seine Tankladung wieder mitnehmen kann.

Videos:
Verladung amerikanischer Fahrzeuge von der Schiene auf die Straße
Aufbau eines Tanklagers

Autor: Matthias Baumann