Dienstag, 30. September 2014

BND und die Wahrnehmung von Konflikten

Sucht man bei Google nach Ernst Uhrlau, wird einem zunächst "Urlaub" vorgeschlagen. Bunte Bilder aus aller Welt schmücken die Ergebnisseite. Erst wenn man die Suche um ein Leerzeichen und die Buchstabenfolge "bnd" ergänzt, erscheint der ehemalige BND-Chef Ernst Uhrlau. Vor vierzig Jahren begann Ernst Uhrlau als Lehrkraft an der Landespolizeischule Hamburg und erreichte den Höhepunkt seines beruflichen Werdeganges Ende 2005 als Präsident des Bundesnachrichtendienstes.

Ernst Uhrlau ist ein Sicherheitsexperte, der sein Handwerk von der Pike auf gelernt hat und den Teilnehmern des heutigen Unternehmerfrühstücks der Preußischen Gesellschaft im Hilton einige interessante Zusammenhänge erläutern konnte. Da er seit 2012 außer Dienst ist, habe er nun auch mehr Freiheiten in der Argumentation.

Viele Konflikte nehme man hier in Europa gar nicht wahr, was auch darin begründet sei, dass die Medien gar keinen Platz mehr dafür zur Verfügung hätten. Deshalb konzentriere man sich dort nur auf ausgewählte Krisenherde.

BND Präsident a.D. Ernst Uhrlau
BND-Präsident a.D. Ernst Uhrlau mit Michael Kayser und Volker Tschapke (vlnr.)
In Fernost sei inzwischen ein Machtkampf um Inseln entbrannt, deren Zugehörigkeit nie so recht definiert war. Nach erfolgreichen Probebohrungen setze China nun die Macht des Stärkeren ein, um sich Rohstoffe und Fischereipotenziale zu sichern.

Priorisiert werden von der deutschen Presse eher die näheren Konflikte wie Ukraine und Nahost. Dadurch könnten in Teilen der Erde Entwicklungen stattfinden, deren Folgen uns in den nächsten Jahren zunehmend beschäftigen werden. Was niemand wusste ist, dass Nigeria inzwischen die Wirtschaftsführung des Kontinentes vor Südafrika eingenommen hat. Die allgemeine Unwissenheit bedingt, dass die dortigen Probleme inklusive Boko Haram nicht in den Griff zu bekommen sind.

Russland koppele sich zunehmend von Europa ab und richte seine Aufmerksamkeit auf China und Fernost. Wichtig dabei sei, dass die Partnerstaaten es nicht so genau mit den Freiheiten der Bevölkerung nehmen. In Russland habe Putin jedoch die Führungsriege und das Volk hinter sich, da er als Inbegriff von Stabilität und Berechenbarkeit angesehen werde.

Dass Unwissenheit vor Strafe nicht schützt, haben die USA insbesondere beim aktuellen IS-Thema erleben müssen. Sie seien plötzlich aufgewacht als die erste amerikanische Geisel enthauptet wurde. Plötzlich habe man erkannt, das ehemalige Verbündete zu Feinden geworden sind. Plötzlich habe man gesehen, dass die Gegner über gut ausgebildete Militärkräfte, moderne Waffensysteme und durch Frustration motivierte Bevölkerungsgruppen verfügen. "Es wäre mir peinlich gewesen, wenn ich die Verantwortung gehabt hätte und mir diese Entwicklungen entgangen wären", kommentierte Ernst Uhrlau dieses plötzliche Erwachen der USA. Ein Nachrichtendienst müsse die Lage durch vielfältige Informationen, durch "read the lips" und die rote Linie der Handlungsweisen von Spitzenpolitikern beurteilen.

Dabei wurde dieser Konflikt schon lange Zeit vorher angeheizt. Es gab Unterstützung der Moslembrüder durch die Türkei, um die Kräfteverhältnisse in bestimmte Richtungen zu verlagern. Es gab die Ausrüstung der irakischen Streitkräfte, die nun vom IS "gekauft" wurden. Und zwischendrin immer wieder die tsunamigerechte Einstellung "guckt mal, das Wasser geht gerade wieder zurück", bevor die eigentliche Welle über das Land fegt. Der zweifelhaft agierende Türke Erdogan sieht sich nun selbst in einer ungeplanten Lage, da die IS einen Keil zwischen die kurdischen Kantone getrieben habe und Grenzsicherungen und Flüchtlingsströme nicht mehr kalkulierbar seien.

"Erst mitzündeln und dann bei der Feuerwehr dabei sein", war Uhrlaus lakonische Zusammenfassung dieser politischen Spiele.

Zu den Luftschlägen sagte Ernst Uhrlau, dass diese nur mit genauer Kenntnis erfolgreich seien. Ohne Bodentruppen könne man diesen Konflikt nicht lösen. Da die Zielbestimmung zu ungenau sei und zwischen Abflug und Beschuss wieder ganz andere Konstellationen am Boden herrschen können. Man müsse die Gegner an ihren empfindlichen Stellen wie beispielsweise den Finanzströmen treffen, zumal die flüchtenden Streitkräfte nicht nur moderne Waffen, sondern auch weitere notwendige Ressourcen hinterlassen hatten.

Interessant waren auch die Ausführungen über den Terror-Tourismus aus Europa. Dieser gestalte sich mengenmäßig sehr unterschiedlich, da es in den EU-Staaten unterschiedliche islamistische Migrantenstrukturen gebe, die nicht unbedingt mit dem IS harmonieren. Ernst Uhrlau betonte, dass es sich in jedem Fall um einen "religiösen Split" handele, in den nicht nur die Region, sondern auch Europa und die USA mit Langzeitwirkung verwoben sein werden.

Anschließend unterhielten wir uns noch über die möglichen Manipulationsszenarien bei Bildern und Videos, die Echtheit und Aktualität von Pressefotos sowie die ambivalente Verwertbarkeit von Satellitenaufnahmen.

Autor: Matthias Baumann