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Dienstag, 27. Oktober 2020

Auf dem Weg zur islamischen Militärseelsorge

Als im Dezember 2019 der Staatsvertrag zur jüdischen Militärseelsorge unterschrieben wurde, kam auch die Frage nach einer islamischen Militärseelsorge auf. Militär-Imame gibt es zwar in einigen westlichen Armeen, allerdings ohne den Wirkungsbereich der Seelsorge. Wenn ein Imam in eine "außergewöhnliche Situation" von Leid oder Verlust gerufen wird, hat er bisher nur einen Trost dabei: "Allah wollte das so." Das harmoniert nicht mit dem, was man sich bei der Bundeswehr unter Seelsorge vorstellt.

Islamkolleg Deutschland IKD gegründet islamische Militärseelsorge
Islamkolleg Deutschland e.V. (IKD) gegründet - Foto: Archiv 10/2014

Im November 2019 wurde der Islamkolleg Deutschland e.V. (IKD) gegründet. Das Innenministerium (BMI) stellt Fördergelder für die nächsten fünf Jahre bereit, redet aber inhaltlich nicht herein, so Prof. Dr. Bülent Ucar, der wissenschaftliche Direktor des Kollegs. Offensichtlich ist das BMI vom Konzept der neuen Bildungsstätte überzeugt: Es werde nur auf Deutsch gelehrt und die Ausbildungsinhalte seien konform zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) gestaltet. Der Stundenplan bediene sieben Themenkomplexe inklusive Religionspädagogik und Seelsorge. Wer nach zwei Jahren das IKD verlasse, könne als Imam, Religionspädagoge oder Seelsorger arbeiten. Der Vorsitzende, Dr. Esnaf Begic, betonte in der heutigen Pressekonferenz die weibliche Berufsbezeichnung. Man bilde auch Frauen aus, gehe aber von möglichen Schwierigkeiten bei der anschließenden Jobfindung aus. Hinzu komme der Umstand, dass die Bezahlung von Imamen "miserabel" sei.

Frauen, FDGO, deutsche Sprache und Seelsorge treffen in islamischen Kreisen auf deutliche Skepsis. Kein Wunder also, dass die von der Türkei aus gesteuerten Dachverbände das Projekt nicht unterstützen. Das IKD wirkt wie eine emanzipierte Gruppe Gläubiger, die um der Alltagsrelevanz willen die große Muttergemeinschaft verlassen - ähnlich der Reformation um 1500 in Deutschland. Dr. Esnaf Begic ist selbst Imam und stammt aus Bosnien. In Deutschland hatte er ein Schlüsselerlebnis: Sein Sohn kam aus einer Freitagspredigt und meinte zu ihm, dass er gar nichts verstanden habe. Deshalb fing man in einigen Moscheen an, auf Deutsch zu predigen.

Der Innovationen nicht genug, stellte Dr. Esnaf Begic selbstkritisch fest, dass ein "Allah wollte es so" nur bedingt hilfreich für Betroffene ist. So schaute er sich die christliche Seelsorge an und nahm sie als Vorbild für die Konzeption einer islamischen Seelsorge. Das Christentum sei hier "meilenweit voraus". Letztlich gehe es auch nicht um einen Sonderweg zur Linderung von Schmerz, sondern um eine vergleichbare Wirkung in einem anderen "theologischen Kontext". Mit ausgebildeten Religionspädagogen und Seelsorgern sowie dem Bekenntnis zur FDGO sind wichtige Schritte in Richtung islamischer Militärseelsorge getan. Jetzt fehlt es noch an einem zentralen und allseits akzeptierten Dachverband, mit dem der Militärseelsorge-Staatsvertrag abgeschlossen werden könnte.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 21. Oktober 2020

BSI stellt den Lagebericht 2020 zur IT-Sicherheit in Deutschland vor

Wenn die NATO über den Verteidigungsfall nach Artikel 5 redet, werden Cyber-Angriffe bisher noch ausgenommen. Der Grund dafür ist, dass sich diese bisher weitestgehend unterhalb kritischer Schwellen bewegt haben. Das könnte sich in naher Zukunft ändern. Während Corona wurden qualifizierte Angriffe auf Krankenhäuser durchgeführt. In deren Folge musste beispielsweise eine Notaufnahme in Düsseldorf geschlossen werden. Der Preis solcher Aktionen können Menschenleben sein. Laut Lagebericht 2020 des BSI (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik) sind sämtliche Gerätschaften der Intensivstationen potenziell gefährdet. Diese sind über Schnittstellen mit der Außenwelt verbunden, so dass sie neben gesunden Updates auch Schadsoftware empfangen können.

2019 gab es ein Szenario, bei dem eine fünfstellige Anzahl von Patientendatensätzen inklusive der dazugehörigen Bilddaten veröffentlicht wurde. Dass diese Angriffe ihre Wirkung entfalten können, liegt an Fehlkonfigurationen der Server, an Lücken = Qualitätsmängeln in der Zielsoftware und an sozialen Einfallstoren wie schwache Passwörter oder unbedachte Klicks auf gefährliche Links. Daran zeigt sich, dass Sicherheit im Gesundheitswesen bislang keine hohe Priorität hatte. Als Konsequenz sollen nun 15% des IT-Budgets des Gesundheitsministeriums in IT-Sicherheit investiert werden.

BSI stellt den Lagebericht 2020 zur IT-Sicherheit in Deutschland vor
BSI stellt den Lagebericht 2020 zur IT-Sicherheit in Deutschland vor

"Antworten Sie so, wie Sie denken", ermutigte Innenminister Horst Seehofer seinen BSI-Präsidenten Arne Schönbohm in der gestrigen Pressekonferenz zu einer ehrlichen Antwort auf die Frage, wie er die Sicherheitslage auch für die Zukunft sieht: "besorgt". Besorgnis ist beim BSI ein Dauerzustand. Das liegt daran, dass täglich über 300.000 neue Varianten von Schadprogrammen in Umlauf gebracht werden. Täglich werden 20.000 BOT-Infektionen deutscher Systeme registriert. Drei von vier E-Mails an den Bund sind Spam-Mails und 1.000 an den Bund gerichtete E-Mails pro Tag enthalten Schadsoftware.

Corona hat die Kreativität krimineller Akteure befeuert. Diese reagieren gewohnt schnell und flexibel auf medienwirksame Entwicklungen. So wurden täuschend echt wirkende Webseiten zur Beantragung von Corona-Zuschüssen aufgesetzt und professionell beworben. Auf diesem Wege wurden von übereilt handelnden Betroffenen sensible Firmendaten abgegriffen und zur Umlenkung der Zuschüsse genutzt. Aber auch sonst ließen sich die Verunsicherung des Lockdowns und der Umzug ins Homeoffice effizient für Angriffe ausnutzen. Erst langsam werden Sicherheitslücken bei Videokonferenz-Anbietern geschlossen und Mitarbeiter im Homeoffice auf Sicherheitsaspekte sensibilisiert.

Virenscanner, Firewalls, lange Passwörter und verschlüsselte Verbindungen bieten einen gewissen Grundschutz, der längst nicht flächendeckend genutzt wird. Laut einer Risikomatrix stellen die Menschen vor dem Bildschirm immer noch das größte Gefahrenpotenzial dar: leichtfertiges Klicken auf Links, gedankenloses Installieren von Schadsoftware, unbefugter Zugriff am Endgerät oder säumiges Einspielen von Systemupdates. Letzteres lässt sich normalerweise auf Automatik einstellen. Das BSI strebt an, dass Parameter wie automatische Updates per "default" - also per Voreinstellung - in Softwareprodukten eingestellt sind. Auswertungen haben ergeben, dass viele Nutzer die Software installieren und dann gar nichts mehr an deren Grundeinstellungen ändern. Zukünftig soll der Nutzer nur noch sichere Software ausgeliefert bekommen, deren Restriktionen er dann manuell lockern muss.

Für den Server-Betrieb empfiehlt das BSI den Einsatz eines Minimalsystems. Dieses soll nur die wirklich benötigten Komponenten enthalten. Das verringert die Angriffsfläche. Interessant an der Risikomatrix ist auch, dass eine Manipulation eingehender Datenströme als "sehr unwahrscheinlich" eingestuft wird. Das widerspricht dem Hype um das verschlüsselnde HTTPS-Protokoll. War HTTPS früher nur seriösen Webanwendungen vorbehalten, wird dieses inzwischen zu über 60% auch von gefälschten Webseiten zum Ausspähen sensibler Daten (Phishing) genutzt.

Cyber-Angriffe fallen in den Fachbereich "Hybride Bedrohungen". Zuständig ist Staatssekretär Dr. Markus Kerber. Täglich um 11 Uhr trifft sich dazu eine Arbeitsgruppe aus sämtlichen Sicherheitsbehörden wie dem BND (Bundesnachrichtendienst), dem MAD (Militärischer Abschirmdienst), dem Verfassungsschutz (BfV), der Bundespolizei, dem Kommando CIR (Cyber-Informationsraum) und dem BBK (Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe). Diese Plattform nennt sich Nationales Cyber-Abwehrzentrum (Cyber-AZ).

Das BSI hat alle Hände voll zu tun und wird kontinuierlich personell erweitert. Im sächsischen Freital wird derzeit ein zweiter Standort des BSI mit 200 neuen Mitarbeitern geschaffen. Diese Mitarbeiter werden hauptsächlich in der Region rekrutiert. Darüber hinaus kümmert sich das BSI auch um gesetzliche Rahmenbedingungen. Diese müssen wegen der technischen Entwicklung ständig angepasst werden. So wurde 2015 das erste IT-Sicherheitsgesetz verabschiedet. Kurz darauf wurde das zweite IT-Sicherheitsgesetz in die Bearbeitung gegeben. Dann kamen 5G und Huawei ins Gespräch und der Text musste schon wieder nachjustiert werden. Dabei geht der Gesetzentwurf durch ein größeres Gremium von Technik-Experten und eine 5er-Gruppe, die aus Verfassungsschutz (BfV), Innenministerium (BMI), Wirtschaftsministerium (BMWi), BSI und Auswärtigem Amt besteht. Erst wenn ein allgemeiner Konsens erzielt wurde, geht der Text in die nächste Instanz. Wenn allerdings das "Sicherheitsinteresse Deutschlands" durch eine neue Technologie oder deren Anbieter tangiert wird, gibt es eine "politische Versagensmöglichkeit". Einen Zeitpunkt für das Inkrafttreten des zweiten IT-Sicherheitsgesetzes wollte in der Pressekonferenz niemand bekannt geben. Es hieß nur: "in Kürze" oder "bald".

In der Zwischenzeit kann der geneigte Leser überlegen, welche Passwörter noch zu optimieren sind, ob er mal wieder einen Virenscan laufen lässt, wie lange seine letzte Datensicherung her ist und ob die Datensicherung physisch und geografisch getrennt aufbewahrt wird.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 14. Oktober 2020

26 Millionen Impfdosen für den Grippeschutz während #COVID19

Was es bedeutet, neben Corona auch noch weitere Probleme am Hals zu haben, erlebt gerade Großbritannien. Dessen wirtschaftlicher Schaden wegen Corona hat sich durch den nahenden Brexit verdoppelt. Wer in Deutschland neben der Gefahr einer Corona-Infektion nicht auch noch eine Grippe im Hals haben möchte, sollte sich unbedingt eine Grippeschutzimpfung holen.

Die Nordhalbkugel profitiert seit vielen Jahren von den Grippekranken der Südhalbkugel. Während nämlich im Norden die Sommerferien genossen werden, wütet im Süden schon die neue Grippe. Die Labore sammeln dann die Erreger aus Neuseeland, Australien, Südafrika und Südamerika ein und bauen daraus einen Impfstoff für den Norden zusammen. Bereits im Juni wusste ein Oberstarzt der Bundeswehr zu berichten, dass es in diesem Jahr schwierig werde mit den Grippepionieren aus dem Süden. Durch die AHA-Regeln und die Reisebeschränkungen könne sich die Grippe gar nicht im gewohnten Umfang ausbreiten. Dass er Recht hatte, wurde in der heutigen Pressekonferenz bestätigt.

26 Millionen Impfdosen zum Grippeschutz während #COVID19
26 Millionen Impfdosen zum Grippeschutz während #COVID19 - AHA ist gut. Impfen ist besser.

Einige Betroffene muss es dann aber trotzdem gegeben haben. Für die neue Grippe-Saison konnten deshalb 26 Millionen Impfdosen bereitgestellt werden. Die Krankenkassen rechnen mit Kosten von 300 Millionen Euro für den Impfstoff plus 200 weiteren Millionen Euro für die Dienstleistung der Ärzte. Rechnet man das auf die einzelne Impfung um, kostet die Ampulle 11,54 Euro und der Stich in den Oberarm 7,69 Euro. Sollte es irgendwann einen Impfstoff gegen Corona geben, wird sich dieser übrigens am Preisniveau der Grippeschutzimpfung orientieren. Wenn die 26 Millionen Impfdosen im Januar oder Februar schon aufgebraucht wären, "wäre ich ein sehr glücklicher Gesundheitsminister", sagte Jens Spahn in der Pressekonferenz.

Da die Impfdosen nach und nach in wöchentlichen Chargen an die Ärzte ausgeliefert werden, sollten zunächst die Risikopatienten zum Hausarzt gehen. Gemäß der saisonalen Sterberaten betrifft das Personen ab 45 Jahren. Für die Impfung sind normalerweise die Haus- und Betriebsärzte zuständig. Zusätzliche Impfzentren für Grippeschutz soll es nicht geben. Laut Minister Spahn seien die Abläufe so gut integriert, dass zusätzliche Kapazitäten nicht gebraucht werden. Dennoch gibt es Pilotversuche mit Apotheken, in denen man sich gegen Grippe impfen lassen kann.

Auf die Frage, ob es eine Impfpflicht in Deutschland geben wird, gab der Minister eine klare Antwort: Nein! Die Bundesregierung sorge zwar für ein Impfangebot, lehne aber eine Impfpflicht ab.

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 6. Oktober 2020

Kein strukturelles Problem: Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden

Bei Umfragen zur Vertrauenswürdigkeit von Berufsgruppen belegen Soldaten und Polizisten sehr gute Plätze - weit vor Journalisten, Geistlichen oder Politikern. Diese Vertrauenswürdigkeit wird in letzter Zeit stark hinterfragt, weil Soldaten oder Polizeibeamte durch Handlungsweisen aufgefallen sind, die als extremistisch bezeichnet werden könnten. Da in Deutschland seit vielen Jahren nur noch ein geringer Bezug zu sicherheitspolitischen Themen besteht, wird aus wenigen Fällen gleich ein strukturelles Problem gemacht.

Deshalb war es durchaus sinnvoll, schnell zu reagieren und eine erste Übersicht zu Verdachtsfällen anfertigen zu lassen. Die Federführung hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz. Abgefragt wurden die Fallzahlen beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), dem Militärischen Abschirmdienst (MAD), dem Bundeskriminalamt (BKA), dem Bundesnachrichtendienst (BND), der Bundespolizei, der Zollverwaltung und der Polizei beim Deutschen Bundestag. Darüber hinaus mussten die Landesbehörden des Verfassungsschutzes, die Landeskriminalämter und die Landespolizeibehörden ihre Zahlen liefern. Betrachtet wurde ein Zeitraum von Januar 2017 bis März 2020 - also mehr als drei Jahre.

Pressekonferenz Lagebericht zum Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden Haldenwang BfV Seehofer BMI Münch BKA Romann Bundespolizei
Pressekonferenz zum "Lagebericht - Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden" mit Innenminister Horst Seehofer

Schon beim flüchtigen Durchblättern des 100-seitigen Lageberichtes fallen die einstelligen und zweistelligen Verdachtszahlen auf. Gemessen an der Gesamtstärke der jeweiligen Behörden liegen die Vorkommnisse tief im Promillebereich. So hat beispielsweise die Bundespolizei 51.000 Kollegen, die in Deutschland und über 80 Staaten im Einsatz sind. Auf diese Kollegen entfallen 44 Verfahren wegen rechtsextremistischer Verdachtsfälle. Das entspricht 0,9 Promille. 31 dieser Fälle wurden intern angezeigt. Um Befangenheit wegen Korpsgeist auszuschließen, werden die Ermittlungen generell an Referenzbehörden wie die Landespolizei übergeben. BKA-Präsident Holger Münch bestätigte, dass auch das BKA keine internen Fälle ermittelt, sondern ebenfalls das LKA damit beauftragt. Interne Anzeigen seien kein Denunziantentum, so es um den Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) gehe. Die Bundespolizei sieht sich als "Familie" und hat eine Vertrauensstelle eingerichtet, bei der verschiedene Anliegen inklusive toxischer Leitung vorgetragen werden können. Wenn dort von Extremismus innerhalb der eigenen Reihen berichtet werde, lande das direkt auf dem Tisch des Bundespolizei-Präsidenten Dr. Dieter Romann.

Um das Thema ressortübergreifend bearbeiten zu können, wurde beim BfV eine zentrale Koordinierungsstelle eingerichtet. Dort laufen die Fäden zusammen. Diese Zentralstelle hat auch die Aufgabe, problematische Vernetzungen transparent zu machen. Die Sicherheitsüberprüfungen für Bewerber bei Polizei und Bundeswehr wurden intensiviert. Zudem wurden Schulungsformate entwickelt, die für eine Früherkennung extremistischer Denk- und Verhaltensmuster sensibilisieren.

Pressekonferenz Lagebericht zum Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden Haldenwang BfV Seehofer BMI Münch BKA Romann Bundespolizei
Pressekonferenz zum "Lagebericht - Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden" mit Verfassungsdienst-Chef Thomas Haldenwang

Das BfV arbeitet eng mit dem MAD zusammen. Der MAD ist für das Verteidigungsministerium und die Bundeswehr zuständig. Bei Reservisten wechseln je nach dessen Status die Zuständigkeiten zwischen BfV und MAD. Reservisten mit extremistischen Ambitionen geben der Statistik einen gravierenden Ausschlag. So hat der MAD im Auswertungszeitraum insgesamt 1.064 Verdachtsfälle ermittelt, von denen etwa 800 auf Reservisten entfallen.

Die Statistik zu den Landesbehörden wurde nach Bundesländern unterteilt. Hessen ist Spitzenreiter mit 59 Fällen, die 0,29% des Personals betreffen. Gemessen an der geringen Mitarbeiterzahl ist die Quote der Verdachtsfälle in Mecklenburg-Vorpommern mit 0,26% sehr hoch. Berlin folgt mit 53 Fällen, die 0,2% des Personals betreffen. Vorzeigebeispiel ist das Saarland mit null Fällen auf 3.200 Mitarbeiter. Im Saarland wird schon seit längerer Zeit die ergänzende Sicherheitsabfrage beim BfV vorgenommen. Bestandspersonal wird dort regelmäßig geschult und Negativerfahrungen im Dienstalltag möglichst professionell aufgearbeitet, damit sich daraus keine extremistischen Haltungen bei den Kollegen entwickeln.

Innenminister Horst Seehofer meinte in der heutigen Pressekonferenz zum "Lagebericht - Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden", dass er "null Komma null auf den Bericht Einfluss genommen" habe und "trotzdem ist er gut geworden". Verfassungsdienst-Chef Thomas Haldenwang freute dieses Lob. Durch die Abfragen in den einzelnen Behörden waren diese gezwungen, sich mit den eigenen Fallzahlen, Präventionsmaßnahmen, Detektionen (Erkennung) und Reaktionen zu beschäftigen. Der Lagebericht soll fortgeschrieben werden und durch Vergleichszahlen zukünftig entsprechende Trends aufzeigen.

Autor: Matthias Baumann

Samstag, 3. Oktober 2020

Missbrauch findet täglich, überall und mitten unter uns statt.

Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs - kurz UBSKM - hat sich gut auf die bevorstehende Debatte im Bundestag vorbereitet. Gestern präsentierte Johannes-Wilhelm Rörig ein achtseitiges Positionspapier mit jeder Menge Forderungen an das Parlament und die Gesellschaft. Wegen einiger spektakulärer Fälle sei der Fokus zurzeit auf ein höheres Strafmaß verengt. Diesen Blick wolle er bewusst weiten, da das Strafmaß nur einen Teil der Lösung des Problems darstelle.

Es gehe vielmehr um eine breit angelegte Aufklärungsarbeit. Bezugspersonen wie Lehrer, Eltern, Trainer, Mitschüler, Erzieher - möglichst Alle - sollen sensibilisiert werden für Signale, die missbrauchte Kinder an ihre Umwelt aussenden. Auf diesem Wege steige das Entdeckungsrisiko für die Täter. Die Täter setzen sich aus sämtlichen demografischen und sozialen Struktur zusammen. Ihnen ist aber gemein, dass sie ihre Befriedigung aus dem Gefühl der Macht über Schwächere ziehen. Wer solche Ambitionen hegt, will nicht erkannt werden. Öffentlichkeit ist für diese Person schlimmer als eine langjährige Haftstrafe. Das gilt übrigens auch für sämtliche andere Erscheinungsformen des Vertrauens- und Machtmissbrauchs.

Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) Johannes-Wilhelm Rörig stellt das Positionspapier 2020 in der Bundespressekonferenz vor
Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) Johannes-Wilhelm Rörig stellt das Positionspapier 2020 in der Bundespressekonferenz vor (Foto: Archiv 05/2020).

Die internationale Vernetzung von Ermittlern treibt Täter neuerdings stark in die Enge. Das amerikanische System NCMEC (National Center for Missing and Exploited Children) liefert IP-Adressen und andere strafrechtlich verwertbare Daten an Partnerbehörden. Dadurch ist die Aufklärungsrate in Deutschland sprunghaft angestiegen. Das Risiko, entdeckt zu werden, ist also inzwischen sehr hoch.

Die nachhaltigen Folgen des Missbrauchs liegen hauptsächlich im psychischen Bereich: "Viele Betroffene leiden ihr Leben lang unter den Folgen der traumatisierenden Erlebnisse." Das wiederum ziehe Depressionen, Beziehungsunfähigkeit, finanzielle Probleme und andere die Biografie bestimmende Faktoren nach sich. Dessen sind sich vermutlich viele Täter nicht bewusst oder sie ignorieren es einfach.

Als kleines Trostpflaster wurde das Soziale Entschädigungsrecht (SER) eingeführt. Das greife jedoch zu kurz. Deshalb solle das flankierende Ergänzende Hilfesystem (EHS) neu aufgesetzt werden. Wer diese Angebote in Anspruch nehme, sei bereits von komplexen Trauma-Folgestörungen betroffen. Um dem zu begegnen, müsse die psychotherapeutische Versorgung verbessert werden. Auch Trauma-Ambulanzen seien notwendig.

Beratungs- und Hilfsangebote werden bisher generell stiefmütterlich behandelt. Sie verfügen kaum über die finanziellen Mittel, in Kampagnen, Räume und Fachpersonal zu investieren. Dabei geht der UBSKM davon aus, dass den wenigen angezeigten Fällen eine viel größere Dunkelziffer gegenübersteht. Die medienwirksam als "Einzelfall" aufgerollten Vorkommnisse seien nur die Spitze des Eisberges. Der Missbrauch finde "täglich, überall und mitten unter uns" statt. Man müsse ihn nur eben mit einem sensibilisierten Blick erkennen.

Die Bekämpfung des Kindesmissbrauchs sei eine ressortübergreifende Aufgabe, die immer wieder ins Bewusstsein des Parlaments und der Gesellschafft gezerrt werden müsse. Ein passendes Instrument dafür könnte die Berichtspflicht darstellen. Bisher unterliegt der UBSKM keiner wirklichen Kontrolle. Hat er eine Berichtspflicht zu erfüllen, dient das der Selbstreflexion und - viel wichtiger noch - der ständigen Erinnerung der Abgeordneten an dieses virulente Thema.

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 29. September 2020

BER: Es gibt keine Party. Wir machen einfach auf.

Normalerweise benötigt Satire eine kurze Geschichte, die einen  Spannungsbogen aufbaut, mit einer unerwarteten Wendung endet und damit einen humoristischen Effekt erzielt. Der neue Flughafen für Berlin und Brandenburg braucht das nicht mehr. Die gleiche Wirkung wird durch drei Buchstaben erzeugt: B_E_R. Erst jüngst bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung ging es um lachende Chinesen beim Anflug auf Berlin. Bei der anschließenden Nennung der drei Buchstaben BER lachte auch der Saal.

So war es den Fotografen nicht zu verdenken, dass sie seit dem Betreten der Bundespressekonferenz um die lustigsten Sprüche zum BER wetteiferten. Dass BER zu einer "Lachnummer" geworden ist, griff auch Engelbert Lütke Daldrup in seinem Eingangsstatement auf. Engelbert Lütke Daldrup ist Professor, Doktor und Vorsitzender der Geschäftsführung der Flughafen Berlin-Brandenburg GmbH (FBB). Lütke Daldrup wird zudem ohne Bindestrich geschrieben und das lang gesprochene A bei Daldrup nicht mit einem H ergänzt. Welche Initialen er nutzt, war nicht Gegenstand der heutigen Pressekonferenz. Diese könnten aber ELD lauten.

Prof. Dr. Engelbert Lütke Daldrup Bundespressekonferenz Eröffnung BER 31. Oktober 2020
Prof. Dr. Engelbert Lütke Daldrup - Pressekonferenz zur Eröffnung des BER am 31. Oktober 2020

Der BER langweilt die Presse offensichtlich mit gleicher Intensität wie das inhaltliche Siechtum um den Brexit. So hatten sich nur ganze vier Wortjournalisten aus den Federn gequält, um zu hören, ob BER tatsächlich am 31. Oktober eröffnet. Da im Vorfeld mehrfach die Frage aufkam, um welches Jahr es sich dabei handele, legte ELD in seiner Einführung eine Kunstpause mit anschließender Betonung ein: "31. Oktober - Pause - 2020!"

Der BER besteht aus drei Terminals, von denen Terminal 1 das Herzstück bildet. Unter Terminal 1 befindet sich ein Bahnhof mit sechs Gleisen. Dieser sei an sämtliche Regionalbahnen und die S-Bahn angebunden. Die Infrastruktur gäbe auch eine Verbindung zum ICE her. Allerdings müsse die Bahn ihren ICE-Fahrplan entsprechend auf den BER anpassen. Lütke Daldrup rechnet damit, dass zwei Drittel der Passagiere die Bahn nutzen werden. Für alle anderen wurden insgesamt 13.000 Stellplätze für Privatfahrzeuge, Taxis und Busse bereitgestellt. Der BER-Chef bezeichnete den BER als "Flughafen der kurzen Wege".

"Der Weg zur Eröffnung, meine Damen und Herren, war kein leichter." Neben der regelmäßigen Verschiebung des Eröffnungstermins hatten sich auch die Kosten mehr als verdoppelt. Geplant waren 2,7 Milliarden Euro, die sich inzwischen auf 5,96 Milliarden Euro hochgeschaukelt haben. Davon entfallen 770 Millionen Euro auf durchgeführte und geplante Lärmschutzmaßnahmen für die Anwohner. Etwa 200 Millionen Euro müssen für das Regierungsterminal abgezogen werden. Dieses werde über Subventionen gegenfinanziert. Bleiben also noch 5 Milliarden Euro, von denen 3,5 Milliarden durch Kredite abgedeckt werden. Das Geld ist zudem in 40 Gebäude, Start-Landebahnen sowie den unterirdischen Bahnhof geflossen.

Prof. Dr. Engelbert Lütke Daldrup Bundespressekonferenz Eröffnung BER 31. Oktober 2020
Prof. Dr. Engelbert Lütke Daldrup - Pressekonferenz zur Eröffnung des BER am 31. Oktober 2020 - Berlin nimmt mit #DankeTXL Abschied von Tegel

BER ist skalierbar. Das heißt, er kann nach Süden erweitert und bei Bedarf auf eine Kapazität von 55 Millionen Fluggästen pro Jahr ausgebaut werden. Derzeit kann er 35 Millionen Passagiere verkraften. Vorausgesetzt, Corona ist irgendwann vorbei. Während Corona beläuft sich die Zahl auf etwa 10 Millionen Personen. Berlin ist nicht sonderlich gut an das Langstreckenflugnetz angebunden. Nur sieben Direktlinien gibt es bisher. Besonders schwach sind die Verbindungen nach Asien. Chinesen fliegen deshalb beispielsweise nach Prag und fahren von dort aus mit dem Bus nach Berlin und Potsdam. Dabei will jeder vierte ausländische Tourist nach Berlin oder Potsdam.

Um internationale Landerechte zu bekommen, müssen bilaterale Verhandlungen geführt werden. Man kann dafür auch Mandate an die EU vergeben. Die Erfahrungen zeigen jedoch, dass die Mandate wegen Untätigkeit in Brüssel irgendwann wieder an Deutschland zurückfallen und dann vom Verkehrsministerium verhandelt werden müssen. Sollte es am 31. Oktober 2020 tatsächlich zur Eröffnung des BER kommen, wäre Minister Scheuer für die Steigerung der internationalen Attraktivität des BER zuständig.

Die Äußerung "Es gibt keine Party. Wir machen einfach auf." täuscht ein wenig über die doch recht zahlreichen Begleitverantaltungen zum Wechsel der Flughäfen Tegel (TXL) zu BER hinweg. Ab dem 3. Oktober 2020 wird die Besucherterrasse in TXL für verschiedene Aktionen geöffnet. Mitte Oktober wird der Bahnhof unter Terminal 1 in Betrieb genommen. Am 31. Oktober 2020 werden gegen 14 Uhr Maschinen von Easyjet und der Lufthansa in Schönefeld landen. Am 1. November wird Easyjet mit bisher unbekanntem Ziel vom BER aus starten. Am 8. November 2020 startet um 15 Uhr der letzte Flug von Tegel. Passend zu seiner damaligen Einweihung 1960 wird das eine Maschine der Air France sein.

Am 31. Oktober wird es einen Empfang des Gewerbevereins Schönefeld geben. Endlich können die Sektkorken der Gewerbetreibenden knallen, so sie denn Corona und die lange Wartezeit auf die Eröffnung überlebt haben. Die Gemeinde Schönefeld wird bald eine der reichsten Gemeinden Brandenburgs sein. Fließen doch Gewerbesteuer und Umsatzsteuer in die Region.

Prof. Dr. Engelbert Lütke Daldrup Bundespressekonferenz Eröffnung BER 31. Oktober 2020
Prof. Dr. Engelbert Lütke Daldrup - Pressekonferenz zur Eröffnung des BER am 31. Oktober 2020 - Auch das Terminal der Bundesregierung zieht nach Schönefeld um.

Etwas bitter wird es wohl für die Bundesregierung. Das Wachbataillon konnte bisher fast zu Fuß zum militärischen Teil des Flughafens Tegel gelangen. Jetzt muss es einmal diametral durch Berlin reisen. Der Weg zwischen TXL und Regierungsviertel hatte nur 20 bis 30 Minuten gedauert. Von Schönefeld aus geht das nicht so schnell. Zudem gibt es auf der Strecke einige sicherheitsrelevante Fallen wie Autobahntunnel. VIP-Konvois umfahren diese normalerweise. Das Regierungsterminal wurde bereits 2018 nach 18-monatiger Bauzeit fertiggestellt. Am 21. Oktober 2020 soll es in Betrieb gehen mit allem Drum und Dran. Auf dem militärischen Teil von TXL sollen dann nur noch ein paar Hubschrauber stationiert bleiben - wenn überhaupt. Die neue "Ramp 1" in Schönefeld bietet jedenfalls Platz für fünf große Maschinen. Das wird insbesondere den türkischen Präsidenten Erdogan freuen, der immer mit mehreren Flugzeugen anreist.

Die heutige Pressekonferenz gestaltete sich also mehr informativ als lustig. Sollte es bei der Eröffnung am 31. Oktober 2020 keine Panne geben, enden auch die BER-Witze. Deshalb hier eine Alternative: "Geht ein Cowboy zum Friseur. Kommt er raus: Ist sein Pony weg."

Autor: Matthias Baumann

Montag, 28. September 2020

Polizeiliche Kriminalprävention: Vorstellung des Digitalbarometers 2020

Das BSI (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik) und die ProPK (Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes) haben eine repräsentative Menge an Internetnutzern zwischen 14 und 65 Jahren befragt. Der Schwerpunkt lag auf der Betroffenheit durch kriminelle Vorgänge wie Cyberstalking, Cybermobbing, Datendiebstahl, Account-Übernahme, Betrug beim Online-Shopping und so weiter.

Der mit Abstand höchste Prozentsatz (44%) entfällt auf Betrug beim Online-Shopping. So gab jeder dritte Befragte an, finanziellen Schaden erlitten zu haben. Das BSI wundert sich, dass die jeweiligen Beträge relativ gering waren. Es gab nur einen Ausreißer mit 50.000 Euro. Das BSI ist auch erstaunt darüber, dass es während Corona keine signifikante Steigerung der kriminellen Cybervorfälle gab. Man hatte mit deutlich mehr gerechnet. So wie Offline-Diebstähle sorgen auch Cyberdiebstähle für emotionalen Schaden. 25% der Befragten fühlen sich nach dem Shoppingbetrug oder dem Knacken von Accounts stark verunsichert. Unbefugtes Eindringen in die Privatsphäre wirkt fast immer emotional nach.

Polizeiliche Kriminalprävention: Vorstellung des Digitalbarometers 2020
Polizeiliche Kriminalprävention: Vorstellung des Digitalbarometers 2020 - Die meistgenutzten Passwörter sind immer noch "12345", "123456" oder "qwertz".

Die Umfrage zeigt auch, dass es noch eine erhebliche Lücke zwischen "Wissen zum Handeln" gibt. So setzen zwei Drittel ein aktuelles Antivirenprogramm ein. Das ist gut, aber noch zu wenig. Etwa die Hälfte der Befragten nutzen bereits sichere Passwörter. Hier könnte eine leistungsfähige Passwortverwaltungssoftware zum Einsatz gebracht werden. Andernfalls machen sich lange Passwörter sehr gut. Hier kann beispielsweise ein Satz aus dem Lieblingsbuch zitiert und die Leerzeichen mit Sonderzeichen ersetzt werden. Erschreckend fand das BSI die Antworten zu automatischen Updates. Viele Nutzer stoßen immer noch ihre Updates manuell an, so sie denn daran denken.

Da IT-Experten teuer und selten sind, setzen BSI und Polizei auf Selbsthilfe der Internetnutzer. Sie unterstützen das mit verschiedenen Aufklärungskampagnen an Schulen, in Firmen oder in Behörden. In der heutigen Pressekonferenz wurde auch deutlich, dass die Polizei gerne öfter kontaktiert werden würde, wenn es um problematische Inhalte wie Kinderpornografie geht. Durch internationale Zusammenarbeit und Systeme wie NCMEC hat sich die Aufklärungsrate inklusive Nachverfolgung von IP-Adressen bis zum finalen Täter signifikant verbessert. Zwischen Bundeskriminalamt (BKA) und den Landeskriminalämtern (LKA) findet dazu ein reger Datenaustausch statt.

Wer in Berlin eine Polizeidirektion betritt, muss schon sehr viel Phantasie aufbringen, um der Landespolizei technische Fähigkeiten zuzugestehen: Dicke vergilbte Bildschirme stehen auf den Schreibtischen. Gelegentlich wird der Bürger Zeuge eines Internetausfalls, der die Erfassung der Anzeige verhindert. Beamte notieren Aussagen auf Schmierzetteln, die irgendwo in einer Plastikablage landen. Dass an solche Dienststellen keine Cyberkriminalität gemeldet wird, versteht sich von selbst. Baden-Württemberg tut etwas gegen dieses Image: Die Polizei dort hat ein 3-Jahres-Leasing für Computertechnik eingeführt. Dadurch wird die Technik alle drei Jahre durch neueste Geräte ersetzt. Der Abstand zum Vorsprung des Täters wird also geringer.

Ein Thema hatte das Digitalbarometer jedoch nicht auf dem Radar: Konfrontation und Umgang mit Desinformation. Das BSI will das in die nächste Umfrage aufnehmen.

Autor: Matthias Baumann

Weiterführende Links: [BSI-Tipps zur Infektionsbeseitigung] [Entschlüsselung nach Ransom-Angriff] [Anzeige aufgeben] [BSI-Infos zu Schadprogrammen] [Polizei-Beratung zu Cyberkriminalität]

Mittwoch, 23. September 2020

Olaf Scholz stellt den Bundeshaushalt 2021 vor

Zwei dünne A4-Blätter wurden den Anwesenden in die Hand gedrückt: eine Zusammenfassung des Bundeshaushalts für 2021. Der Haushalt beläuft sich auf 413,4 Milliarden Euro und umfasst in der vollständigen Textversion 3.295 Seiten. Darin geht es ans Eingemachte und so stark ins Detail, dass eine mundgerechte Kürzung auf zwei Seiten tatsächlich sinnvoll ist. Wer wissen will, welche Beträge für Dienstreisen, Büromaterial, Insolvenzausgleich Thomas Cook, selbst verschuldete Kfz-Schäden und so weiter vorgesehen sind, muss sich in die 3.295 Seiten vertiefen und idealerweise die Suchfunktion seiner PDF-Software nutzen.

Finanzminister Scholz stellte sich in der heutigen Pressekonferenz immer wieder als Kanzlerkandidat der SPD dar. Sämtliche Fragen beantwortete er mit einem ergänzenden Hinweis auf die Sozialpolitik seiner Partei. Die beste Formulierung präsentierte er auf die Frage, wer denn das alles bezahlen solle: Demnach werde sich ein SPD-geführtes Finanzressort dafür einsetzen, dass es "Mehreinnahmen durch die Bekämpfung von Steuervermeidungsstrategien" geben werde. Klarer wollte er es nicht ausdrücken.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz stellt den Bundeshaushalt 2021 in der Bundespressekonferenz vor
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (Dritter von links) stellt den Bundeshaushalt 2021 in der Bundespressekonferenz vor.

Das erinnert an das Gesetz zum Lastenausgleich von 1952. Damals wurden Personen mit besonders hohen Vermögenswerten wie Immobilien, Hypothekengewinnen oder Kapitalmarktgewinnen zur Abgabe von bis zu 50% ihres Vermögens verpflichtet. Damit "die Kuh, die man melkt, nicht gleich geschlachtet wird", wurden diese 50% in 120 Raten auf 30 Jahre verteilt. Wer also zum Stichtag (21.06.1948) beispielsweise ein Vermögen von 240 Millionen D-Mark besaß, musste ab 1952 jeweils eine Million im Vierteljahr ans Finanzamt überweisen. Nach 30 Jahren waren dann die 120 Millionen weg. Auf diese Weise kamen bis 1982 rund 115 Milliarden D-Mark zusammen. Das entspricht umgerechnet etwa 60 Milliarden Euro.

Der Minister machte auch deutlich, dass die Füllhörner des Konjunkturpaketes nicht zum Ansparen und späteren Investieren gedacht seien, sondern zum sofortigen Ausgeben. Wer also längerfristig plant, dürfe sich nicht wundern, wenn er später nichts mehr bekommt. Das Konjunkturpaket soll einen schnellen aber nachhaltigen "Wumms" erzeugen. Eine leistungsfähige Volkswirtschaft mit einer leistungsfähigen Infrastruktur könnten die Belastung durch Corona schnell wieder ausgleichen. Der "Wumms" ist übrigens auch in den SPD-Wahlkampf eingeflossen. Nutzt man dieses Wort im Gespräch mit Bekannten und Verwandten, blickt man in fragende Gesichter: "Wumms? Noch nie gehört."

Die 413,4 Milliarden Euro des Bundeshaushalts sind auf die verschiedenen Ressorts aufgeteilt. Der Verteidigungshaushalt wurde wieder leicht angehoben und rangiert nun bei 45,6 Milliarden Euro. Olaf Scholz bezeichnete den Finanzplan als Untergrenze, die jedes Mal durch die Realitäten nach oben korrigiert würde. So ist jetzt schon von 1,2 Milliarden Euro aus dem Konjunkturprogramm und 3,7 Milliarden Euro für vorgezogene Investitionen die Rede. Auch stehe die Bundesregierung finanziell hinter den Auslandseinsätzen der Bundeswehr und den Verpflichtungen gegenüber der NATO. Man wolle die "verabredeten Fähigkeitsziele erreichen", die innereuropäische Rüstungskooperation stärken und neues Gerät anschaffen.

Der Haushalt stellt aber auch üppige Beträge für die nationale Wasserstoffstrategie, innovativen Fahrzeugbau, Kommunikationstechnologien als Gegenpart zu 5G, Künstliche Intelligenz, Quantentechnologie oder den Krankenhaus-Zukunftsfonds bereit. 19 Milliarden Euro gehen in internationale Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit und 5 Milliarden Euro in den Gesundheitsfonds unter der Überschrift "Stärkung des sozialen Zusammenhalts".

Zur Finanzierung des Haushaltes werden neben "Mehreinnahmen durch die Bekämpfung von Steuervermeidungsstrategien" auch andere altbewährte Einnahmequellen angezapft: Autofahrer und industrielle Verbraucher unterliegen ab 2021 einer erhöhten CO2-Bepreisung. Wie sich die steuerlichen Vorstellungen und Maßnahmen von Olaf Scholz in Wählerstimmen umsetzen lassen, wird der September 2021 zeigen.

Autor: Matthias Baumann

Alles positiv: die Entwicklung der Corona Warn App

"Wo haben Sie die denn her?", fragte Steffen Seibert einen Journalisten am Fuß der Treppe zum großen Saal der Bundespressekonferenz. Der Gefragte trug eine weiße Maske mit dem Logo der CWA (Corona Warn App). Er habe sie in einem Supermarkt für 14,95 Euro gekauft. Oben im Saal war es voll. Und nicht nur das - die Zeit wurde so stark überzogen, dass Ministeriumssprecher und Redakteure schon einmal ihre Fragen im bilateralen Geplauder klären konnten.

Im Saal saßen unter anderem Gesundheitsminister Jens Spahn, Digitalministerin Dorothee Bär, Tim Höttges von der Telekom und Jürgen Müller von SAP. Es waren wieder die Großen der IT-Branche, die mit der Entwicklung der CWA betraut worden waren. SAP als Softwarefirma und die Telekom als Infrastrukturgeber.

#COVID19 CWA Corona Warn App
#COVID19 - Statistiken zur CWA Corona Warn App in einer Pressekonferenz vorgestellt

Die Statistiken zeigen, dass es sich auf der ganzen Linie positiv entwickelt: die Downloads der App, die übermittelten Testergebnisse, die gemeldeten Corona-Fälle und die positiv Getesteten. Die App wurde über 18 Millionen Mal heruntergeladen. Damit nutzt zurzeit jeder vierte Bundesbürger die CAW. Seit Mitte August gibt es eine erhebliche Steigerung der gemeldeten Fälle. Das könnte einerseits an den Urlaubsheimkehrern liegen, aber auch an der breiten Akzeptanz und Nutzung der App.

90% der Labore haben sich aktiv in die Fütterung der Datenbank eingeklinkt: Von 6,6 Millionen Tests wurden schon eine Million Ergebnisse in die App eingespeist. Labore in die Datenerhebung einzubinden ist clever, immerhin sehen sie die Ergebnisse zuerst und können die Meldungen in ihre täglichen Arbeitsabläufe integrieren.

Die Weiterleitung der Testergebnisse erfolgt über QR-Codes oder TeleTANs. Dabei erfreuen sich die QR-Codes einer so geringen Beliebtheit, dass sie nur 29% Rücklauf erzeugen. Die TeleTAN jedoch motiviert zu einer Mitteilungsrate von 93%. Mehr als die Hälfte (57%) der positiv Getesteten teilen ihren Status mit der Community und lösen damit Warnungen aus.

Die Anzahl der Warnungen kann nicht ermittelt werden. Das liegt an der dezentralen Speicherung der Daten. Dass letztlich eine dezentrale Speicherung umgesetzt wurde, liegt wohl auch an den penetranten Nachfragen von Journalisten in der Regierungspressekonferenz.

Autor: Matthias Baumann

Samstag, 12. September 2020

Indo-Pazifik-Leitlinien und die maritime Präsenz Deutschlands in Südostasien

Mitte Juli führte das IISS (International Institute for Strategic Studies) eine Webkonferenz mit dem amerikanischen Verteidigungsminister Mark T. Esper durch. Interessierte Teilnehmer konnten Fragen stellen und sich über die neuesten sicherheitspolitischen Vorhaben der USA im indo-pazifischen Raum informieren. Mark T. Esper und sein Kollege Pompeo (Außenminister) haben seit vielen Monaten ein zentrales Thema: China. Das Feindbild China treibt zuweilen so viel Adrenalin in die amerikanische Politik, dass der damit verbundene Tunnelblick regelmäßig alte Partner und andere Weltregionen ausblendet. Die Webkonferenz fand jedoch in einer entspannten Atmosphäre statt, so dass die gesamte Region des Indo-Pazifik wahrgenommen wurde. Der Minister skizzierte drei Säulen als Grundlage amerikanischer Indo-Pazifik-Politik:

  • Vorbereitet sein
  • Partnerschaften ausbauen
  • Partner miteinander vernetzen

Vorbereitet sind die USA bereits durch ein massives Aufkommen von Kriegsschiffen in der Nähe des Südchinesischen Meeres. Diese nehmen regelmäßig an Übungen teil und zeigen Präsenz. "Show of Force" (Gewalt zeigen) nennt sich solch eine Präsenz, die eher zur Abschreckung als zum eigentlichen Eingriff dienen soll. Die Aktivitäten Chinas im Südchinesischen Meer beunruhigen Staaten wie Vietnam, die Philippinen, Malaysia, Indonesien, Taiwan und auch Japan. China baut dort konsequent Inseln zu Militärstützpunkten aus. Damit erhöht es die Reichweite seiner Waffensysteme und die Präsenz in Gewässern, die auch von anderen Nationen zu Fischereizwecken genutzt werden.

Indo-Pazifik-Leitlinien und die maritime Präsenz Deutschlands in Südostasien
Indo-Pazifik-Leitlinien durch das Bundeskabinett verabschiedet - Es geht um offene Seewege, offene Märkte und Freihandel. Wer fängt wen im Indo-Pazifik?

China redet offen über seine Ziele. Man muss nur zuhören. So will China spätestens 2049 wieder Kriege gewinnen. Damit wird China zu einem Problem, das nicht nur die USA betrifft. Deshalb war die Liste der möglichen Partner Amerikas sehr lang. Mark T. Esper wurde gar nicht mehr fertig mit seiner Aufzählung, die von Japan bis Singapur reichte. Um bilaterale Beziehungen zwischen den USA und diesen Partnern auch als tragfähiges Netz zu etablieren, werden auch die Verflechtungen untereinander gefördert. Im Interesse gegenüber China verschwinden dabei Grenzen von Religionen und Wirtschaftssystemen. Plötzlich sitzen Buddhisten, Hinduisten, Moslems, Christen, Kommunisten, Sozialisten und westlich geprägte Demokratien in einem Boot.

Am 2. September 2020 - also eineinhalb Monate später - verabschiedete das Bundeskabinett seine eigenen Indo-Pazifik-Leitlinien. Diese ähneln den amerikanischen Anliegen durchaus. Mit China geht man allerding in der Formulierung etwas gemäßigter um. Dennoch zeigt sich die Bundesregierung besorgt über die Wahrung deutscher Interessen in der Region. Zu nennen wären hier: Frieden, Sicherheit, offene Seewege, offene Märkte, Freihandel und Umweltschutz. Diese Interessen sollen unter Beachtung folgender Regeln durchgesetzt werden: Handeln im Verbund der EU, Multilateralismus, regelbasierte Ordnung, Menschenrechte, Einbeziehung regionaler Akteure sowie Partnerschaft auf Augenhöhe.

Die regionalen Partner entsprechen in etwa der Aufzählung von Mark T. Esper. Dennoch wolle die Bundesregierung gemäß eines Sprechers des Auswärtigen Amtes mit allen Partnern gleichermaßen kooperieren. Das beziehe zwar die USA als Pazifikstaat ein, gewähre ihr jedoch keine bestimmende Rolle.

Indo-Pazifik-Leitlinien und die maritime Präsenz Deutschlands in Südostasien
Indo-Pazifik-Leitlinien durch das Bundeskabinett verabschiedet - Deutschlands Marine auf dem Weg nach Asien?

Interessant ist in den Indo-Pazifik-Leitlinien das mehrfache Vorkommen der "maritimen Präsenz". Die "maritime Präsenz" ist militärisch zu verstehen. Sie soll bei der Bekämpfung der Piraterie, beim Abschneiden von Bewegungsrouten des internationalen Terrorismus, zur Sicherung offener Seewege und für Seemanöver dienen. Dass der Indo-Pazifik für das Verteidigungsministerium ein ernstes Thema ist, zeigt sich daran, dass sich die Ministerin am Donnerstag mit Botschaftern der ASEAN-Staaten getroffen hat. Dabei betonte sie den maßgeblichen Einfluss ihres Ministeriums auf die Verfassung der Indo-Pazifik-Leitlinien.

Das sportliche Anbieten maritimer Präsenz veranlasste zur Nachfrage, bis wann denn die Marine in der Lage wäre, solch eine Aufgabe personell und materiell zu leisten. Die Marine ist mit ihren knapp 16.000 Soldaten immerhin die kleinste Teilstreitkraft in Deutschland. Die Marine verfügte 2019 über sechs U-Boote, sieben Fregatten und acht Zerstörer. Wenn Frankreich als Partner mitzieht, würden 35.000 Soldaten, neun U-Boote, ein Flugzeugträger, elf Zerstörer und elf Fregatten dazukommen. Das sind Zahlen, deren Vergleich mit China der Volksmund mit dem Attribut "nett" belegen könnte. China hat 250.000 Marinesoldaten, 59 U-Boote, einen Flugzeugträger, 28 Zerstörer und 52 Fregatten.

Man kann also gespannt sein, wie sich das gegenseitige "Show of Force" noch entwickelt. Dass deutsche Schiffe so bald ins Südchinesische Meer aufbrechen, sei laut Verteidigungsministerium nicht zu erwarten. Bis dahin könne man in Ruhe die notwendigen Fähigkeiten aufbauen. Letztlich müsse die Mandatierung eines solchen Einsatzes trotz der verabschiedeten Leitlinien noch durch die parlamentarischen Instanzen laufen.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 9. September 2020

Anwälte des Bürgers: Petitionsausschuss legt Bericht für 2019 vor

Die Mitglieder des Petitionsausschusses verstehen sich als Anwälte des Bürgers. Die Mitgliedschaft im Ausschuss geht quer durch die Parteienlandschaft: Schwarz, Grün, Gelb, Blau und verschiedene Rottöne sind in einer ausgewogenen Anzahl vertreten. Die Zusammenarbeit im Team kann als konstruktiv und engagiert beschrieben werden. Auch wenn sie vom Parlament eingesetzt sind, fühlen sie sich doch eher dem Bürger als den Kollegen verpflichtet.

Dass Anwälte nicht immer gern gesehen sind, zeigt sich schon darin, dass der Petitionsausschuss keinen eigenen Raum hat. Er muss sich immer vor neun Uhr in einem der Ausschussräume treffen - bevor die anderen Ausschüsse ihre stundenlangen Sitzungen abhalten. Davon lässt sich der Petitionsausschuss nicht entmutigen. Während des Lockdowns hat er lediglich eine Sitzung ausfallen lassen.

Petitionsausschuss des Bundestages legt Bericht für 2019 vor
Petitionsausschuss des Bundestages legt seinen Bericht für 2019 vor.
Das Arbeitspensum ist hoch: 2019 wurden 13.529 Petitionen eingereicht. Davon wurden 2.055 Petitionen (15%) aussortiert, weil sie keinen Absender enthielten, zur reinen Meinungsäußerung dienten oder beleidigend abgefasst waren. 4.304 Petitionen konnten auf kurzem Wege durch Beratung oder Weitergabe an regionale Stellen geklärt werden. Die übrigen Petitionen fanden ihren Weg in den Bundestag, das EU-Parlament oder andere zuständige Einrichtungen.

Im Zeitalter der Digitalisierung sollte man kaum glauben, dass ein Großteil der Anliegen per handgeschriebenem Brief übermittelt werden. Nur 36% wurden über das Online-Formular eingereicht. Mehr als die Hälfte der Themen war sehr persönlich: Stress mit dem Jobcenter, Familienzusammenführung, Visaangelegenheiten, Bearbeitungszeit von Anträgen und ähnliches. Spitzenreiter der Zuständigkeit waren das Innenministerium, das Ministerium für Arbeit und Soziales, das Gesundheitsministerium und das Justizministerium.2/3 der Antragsteller waren männlich. 25% waren Frauen und der Rest teilt sich auf Organisationen, Unternehmen, Parteien und sonstige Sammelpetitionen auf.

Auch wenn der Ausschuss immer wieder entsprechende Experten, Staatssekretäre und Mitglieder des Bundestages an einen Tisch bekommt, gibt es noch Luft nach oben. So wurde in der heutigen Pressekonferenz beklagt, dass sich die Zusammenarbeit mit Ministerien zuweilen schwierig gestaltet. Es geht dabei um die üblichen Dämpfungsfaktoren: Zuständigkeit, Bearbeitungszeit und Desinteresse.

Es ist übrigens ein Irrtum, dass nur gut finanzierte und mit vielen Unterschriften versehene Petitionen den Weg in den Bundestag und die Gesetzgebung schaffen. Der Petitionsausschuss nimmt jedes eingereichte Anliegen ernst. Wie zum Beispiel den Wunsch, das Teamspiel "Lasertag" für Kinder und Jugendliche zu öffnen. "Lasertag" ist die schmerzlose Variante von "Paintball". Es gab aber auch wieder diverse Themen von allgemeinem Interesse, so wie den Dauerbrenner Tempo 130 auf Autobahnen, die Abschaffung der Zeitumstellung oder der Wunsch nach härterem Vorgehen gegen straffällige Migranten und kriminelle Clans.

Ein weiterer Mythos rankt sich um die Veröffentlichung von Petitionen. Dafür gibt es gewisse Regeln. Wenn also ein Anliegen bereits parlamentarisch beraten wird, der Datenschutz eine wichtige Rolle spielt oder eine gleiche Petition vorliegt, kann von einer Veröffentlichung abgesehen werden. Ob eine Veröffentlichung stattfindet oder nicht, spielt für die inhaltliche Bearbeitung und die Gleichbehandlung keine Rolle.

Der Ausschuss hält sich zudem an eine Regel, die schon vor 2.000 Jahren in der Bibel fixiert wurde (Matthäus 7, 7), dass nämlich Vielschreiber durch ihr Vielschreiben kein gesteigertes Gehör finden. Vielschreiber sind Personen, die regelmäßig seitenlange Ausführungen einreichen. Mit diesem Wust an Schreiben wird ganz einfach umgegangen: Er wird in eine Petition zusammengefasst.

Das Recht auf Petitionen ist im Artikel 17 des Grundgesetzes geregelt. Über eine Petition kann demnach jeder Bürger in direkten Kontakt mit der Regierung treten. Der Petitionsausschuss ist so begeistert von seiner Funktion, dass er das auch als "missionarischen" Auftrag zur Stärkung anderer Demokratien ansieht. Deshalb werden regelmäßig Reisen ins Ausland durchgeführt. 2019 standen Libanon, Türkei, Tunesien, Marokko, Äthiopien und Ruanda auf dem Programm. Durch solche Reisen konnte erreicht werden, dass auch Großbritannien und die Mongolei einen Petitionsausschuss eingerichtet haben. Sie dienen aber auch zum Erfahrungsaustausch und der Beratung mit internationalen Partnern. Einige Regierungen haben Angst vor Petitionen. Die Ausschussmitglieder helfen, diese Angst zu zerstreuen.

Mehrfach wurde in der Pressekonferenz der Wunsch geäußert, dass Bürger mutig und zahlreich Gebrauch von ihrem Recht auf Petition machen sollten. Am besten jedoch per Online-Formular, weil das die Bearbeitungsprozesse deutlich beschleunigt.

Autor: Matthias Baumann

Montag, 7. September 2020

Bundesregierung hält einen Deal zum Brexit noch für möglich

Heute gehen die Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien über die Modalitäten des Brexit in eine neue Runde. Boris Johnson lässt keinen Zweifel daran, dass ihm ein No-Deal-Brexit sehr gelegen käme. Würde er doch damit ein Feindbild inszenieren können, dass ihm bei der Erklärung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Niedergangs seines Landes hilft. Neben einer lautstarken Bewerbung des No Deal setzte er der EU für Mitte Oktober ein Ultimatum. Länger wolle er nicht verhandeln.

Bundesregierung hält einen Deal zum #Brexit noch für möglich
Bundesregierung hält einen Deal zum Brexit noch für möglich
In der heutigen Regierungspressekonferenz zeigte sich Steffen Seibert, Sprecher der Bundesregierung, überzeugt davon, dass man trotz der kurzen Zeit noch ein sinnvolles Verhandlungsergebnis erzielen könne. Die Bundesregierung messe diesen Verhandlungen eine hohe Priorität bei. Auch wenn die EU von einem Ausstieg Großbritanniens profitieren könnte, ist man doch daran interessiert, nicht zu viel Porzellan zu zerschlagen. Es komme aber auf die Kooperation der Briten an. Wenn sich diese weiterhin quer stellen, wird es zum No-Deal-Brexit kommen.

Autor: Matthias Baumann

Samstag, 5. September 2020

Corona, Querdenker und fremde Mächte

Am letzten Samstag fanden in der City von Berlin wieder Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen statt. Organisiert wurde das maßgeblich von der Initiative "Querdenken 711" aus Stuttgart. Pressekollegen aus Berlin hatten den Anlass gemieden und den Samstag lieber auf der heimischen Terrasse, im Umland oder auf dem Balkon verbracht. Freunde und Bekannte wollten sich auch nicht in das Getümmel stürzen und verbrachten den Tag an der urbanen Peripherie.

Umso präsenter stellte sich die gesellschaftliche Peripherie in der City dar. Nach G20 in Hamburg war kaum noch etwas los in Deutschland. Endlich wieder Randale und das möglichst in einer Stadt, zu der man selbst keine Beziehung hat. Im Fahrwasser der schwäbischen Demo tummelte sich eine wahre "Melange" (Mischung) verfassungsrechtlich bedenklicher Akteure. Je nach inhaltlichem Schwerpunkt des Betrachters fielen diesem schwarz-weiß-rote Reichsfahnen, eine Fahne der Türkei oder zwei Fahnen der USA auf. An den Spitzen der Fahnen waren oftmals noch aufblasbare oder aus Pappe gebastelte Buchstaben "Q" zu sehen. Q wie Q-Anon oder Querdenken 711.

Verschwörungsgeschichten

Q-Anon ist nur eine von vielen Verschwörungsgeschichten, die derzeit unser Land überschwemmen. Demokratische Prozesse, Entscheidungsverantwortung und Meinungspluralität sind den Bürgern wohl zu anstrengend geworden, so dass diktatorische Zustände und in sich geschlossene Deutungssysteme wieder attraktiv erscheinen. Deren Anhänger zeigen bereits religiöse Anwandlungen und einen entsprechenden Fanatismus bei der Verteidigung ihrer elitären Erkenntnisse - und seien sie noch so abstrus.

Der Phantasie der Erfinder von Verschwörungstheorien sind keine Grenzen gesetzt. Hauptsache, die Story ist in sich schlüssig. Zielpublikum gibt es genug. Deshalb lassen sich Verschwörungsgeschichten auch gut als Geschäftsmodell aufziehen. Es muss lediglich auf vorhandene Missstände hingewiesen und dazu ein Schuldiger definiert werden. Ob der benannte Schuldige tatsächlich verantwortlich ist, spielt keine Rolle. Durch die Jagd auf diesen Einen wird von den ursprünglichen Problemen abgelenkt, ein gutes Gefühl des "Wir tun etwas" erzeugt und die initialen Missstände nicht gelöst. Wie simpel diese Theorien gestrickt sind, wird schon dadurch deutlich, dass bis heute "der Jude" den Platzhalter des Schuldigen ausfüllt. Die Dynamik entwickelt sich fast von selbst und am Ende will keiner die Verantwortung für die nicht erfolgte Lösung der Probleme und den Zusammenbruch des verqueren Denkgebildes tragen.

Ich sehe was, was du nicht siehst.

Während die Bundesregierung auf breiter Front erschüttert über die Fahnen des Deutschen Reiches war, relativierten das andere Beobachter mit den ein bis drei Fahnen der Türkei und der USA. Blind schienen jedoch die meisten gegenüber der überproportional hohen Anzahl russischer Fahnen zu sein: weiß-blau-rot als Fahne, weiß-blau-rot mit Adler, weiß-blau-rot am Rucksack, weiß-blau-rot kombiniert mit Querdenken-Fahne. Was haben so viele Russland-Fahnen auf einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen zu tun?

In sämtlichen sicherheitspolitischen Publikationen über den Cyber-Informationsraum (CIR) ist zu lesen, dass Russland hochentwickelte Fähigkeiten auf diesem Gebiet hat und diese auch konsequent und aggressiv einsetzt. Die baltischen Staaten arbeiten schon seit vielen Jahren an ihrer Resilienz gegenüber der Einflussnahme "fremder Mächte" in ihre Innenpolitik. Russland geht dabei sehr kreativ vor. Es beschäftigt behördliche und externe Kräfte mit der Beeinflussung von Diskussionen in sozialen Netzwerken sowie dem Verbreiten von Fake News und Halbwahrheiten. Russland unterfüttert medial und finanziell antidemokratische Kräfte in der EU und versucht damit den politischen Gegenpol an seiner Westflanke zu schwächen.

Die Frage nach der Zuständigkeit

Laut Aussage eines Sprechers des Innenministeriums habe man die Desinformationskampagnen zwar auf dem Radar, man solle sie aber nicht überbewerten. Die Bundesregierung sieht den Aufbau einer entsprechenden Resilienz in Deutschland als Querschnittsaufgabe. Wie bei Querschnittsaufgaben üblich, versanden diese, falls nicht jemand die Initiative zu deren Koordinierung ergreift. Dass in Deutschland tatsächlich kaum etwas in dieser Richtung getan wird, zeigen die Indizien und der jüngste Bericht der SWP (Stiftung Wissenschaft und Politik) über militärische Cyber-Operationen. Gerne wird auf die Geheimhaltung verwiesen. Dennoch entfalten auch geheime Aktionen zumeist sichtbare Wirkungen. Die Bundeswehr mit ihrem Kommando CIR darf in Bezug auf Desinformation gar nicht aktiv werden. Zuvor müssten die verfassungsrechtlichen und ethischen Grundlagen im Bundestag diskutiert werden. Kostbare Zeit, die angesichts der aktiven Einflussnahme russischer Akteure nicht zur Verfügung steht.

Apropos Verfassaung: Die wenigen Polizisten, die am Samstag den Eintritt der Demonstranten in den Bundestag verhindert haben, können von Glück reden, dass das eine unorganisierte und spontane Aktion war. Die beiden Polizisten mit ihren Stöcken hätten für trainierte Kampfsportler nur eine bedingte Hürde dargestellt. Jetzt werden sie als Helden gefeiert und durften am Montag sogar den Bundespräsidenten besuchen.

In Sicht auf die überforderte Bundespolizei kam die Frage auf, unter welchen Bedingungen das Wachbataillon zur Unterstützung am Reichstag eingesetzt werden könne. Immerhin ist der Schutz des Regierungssitzes Bestandteil von dessen Auftrag. Während des Corona-Lockdowns hatten Soldaten des Wachbataillons verschiedene Unterstützungsleistungen erbracht: Hilfsmitteltransporte, Objektschutz am Bundeswehrkrankenhaus und ähnliches. Warum dann nicht auch Präsenz zeigen am Reichstag? Es muss ja nicht gleich mit dem Transportpanzer Fuchs und auflafettierter Granatmaschinenwaffe vorgefahren werden. Dazu die Antwort eines Sprechers der Bundeswehr: "Eine Unterstützung durch das Wachbataillon für den Schutz des Regierungssitzes unter Inanspruchnahme hoheitlicher Zwangs- und Eingriffsbefugnisse müsste verfassungsrechtlich ausdrücklich zugelassen sein. Außerhalb eines Inneren Notstandes, des Spannungs- oder Verteidigungsfalles oder eines besonders schweren Unglücksfalles katastrophischen Ausmaßes ist dies nicht zulässig."

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 3. September 2020

Brexit und Corona verdoppeln die Rezession in Großbritannien

Der Termin war clever gelegt: Eine Stunde vor der Regierungspressekonferenz wollten gestern die BCCG (British Chamber of Commerce in Germany) und KPMG über die Auswirkungen der Corona-Krise und des Brexit auf Unternehmen mit Bezug zu Großbritannien informieren. Es sollten auch Forderungen gegenüber der Bundesregierung vorgetragen werden. Trotz der eleganten Terminkombination und mehrfacher Ankündigungen spiegelte die Zahl der anwesenden Journalisten, dass der Brexit inzwischen als ein ähnlich langweiliges Thema wie die ständig verschobene Eröffnung des BER gewertet wird.

Medialer Schwung kommt dann wohl erst wieder zum Jahresende auf. Dabei hat der bevorstehende Brexit bereits jetzt für eine Verdoppelung der Corona-Rezension in Großbritannien gesorgt. Während das BIP anderer EU-Staaten jeweils um etwa 10% eingebrochen ist, liegt das Minus von Großbritannien bei über 20%. Wie hart der Brexit wird, weiß vermutlich nicht einmal Boris Johnson. Bisher hatte er auf Zeit gespielt und kurz vor Ultimo seine Rosinenpicker-Forderungen gestellt. Darauf wird sich die EU wohl nicht mehr einlassen, zumal sie selbst mit Corona-Themen und sicherheitspolitischen Herausforderungen an der Ostflanke beschäftigt ist.

BCCG KPMG COVID19 Brexit
BCCG und KPMG informieren über die wirtschaftlichen Auswirkungen von Brexit und COVID19 auf Unternehmen mit Beziehungen zu Großbritannien. London in der Abendsonne - Brexit und der Niedergang eines Wirtschaftsstandortes.
Die EU hat wegen des Brexit eher wirtschaftliche Bedenken. Der britische Fokus hingegen liegt auf der gesellschaftlichen Komponente des Ausstiegs. Diese Sicht wird sich in vier Monaten rächen, wenn wichtige Lieferketten von und zur Insel unterbrochen oder zumindest empfindlich verzögert werden. Ab 2021 gilt Großbritannien als Drittstaat, mit dem nach allgemeinen WTO-Regeln gehandelt wird. Mehr als 20 Unternehmen aus dem Finanzsektor waren bereits vor zwei Jahren abgewandert und agieren nun von Frankfurt am Main aus. Industriebetriebe haben ihre Produktionsstätten auf das Festland der EU verlagert. Wer im Vereinigten Königreich bleibt, wird seine Waren mit einem gewissen Preisaufschlag anbieten müssen. Das betrifft auch die exportierende Automobilindustrie.

Die EU kann schon fast als Profiteur dieses wirtschaftlichen Niedergangs betrachtet werden. Sie gewinnt durch die Standortverlagerungen. Sie gewinnt durch britische Auslandsinvestitionen und sie gewinnt wertvolle Direktkontakte zu den USA, Japan und China. Bisher galt das United Kingdom nämlich als "Tor nach Europa". Aber nicht nur das BIP ist um über 20% eingebrochen. Zeitgleich stieg die Inflation um 10%. Wie Großbritannien unter diesen Umständen den Traum einer neuen Steueroase im Norden Europas träumen kann, ist schleierhaft.

Andreas Glunz von der KPMG ging auch auf die wirtschaftlichen Folgen von Corona ein. So sehen 50% befragter Unternehmen gar keine Auswirkungen. Die wenigsten Befragten befürchten eine Insolvenz. Es werde zwar signifikante Umsatzeinbußen geben, die jedoch mit längst überfälligen Maßnahmen zur Kostensenkung abgefangen werden. Das heißt in der Regel Mitarbeiterabbau und Digitalisierung. Letzteres kostet zwar Geld, lässt sich aber zurzeit gut über die Füllhörner des Konjunkturpaketes kompensieren.

So bezogen sich auch die Forderungen der BCCG an die Bundesregierung auf zwei wesentliche Punkte: Abbau von Bürokratie und Förderung der digitalen Infrastruktur. Oder wie es Günther Oettinger formulieren würde: "Lieber Schlaglöcher als Funklöcher".

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 27. August 2020

FDP-Fraktion reicht Verfassungsklage gegen den Solidaritätszuschlag ein

Am Montag reichte die FDP-Fraktion eine Klageschrift gegen den Soli beim Bundesverfassungsgericht ein. Nach Artikel 106 Absatz 1 Punkt 6 darf der Bund Ergänzungsabgaben zur Einkommenssteuer und der Körperschaftssteuer erheben. Einkommenssteuer zahlen etwa die Hälfte aller Bundesbürger und Körperschaftsteuer betrifft Kapitalgesellschaften wie GmbHs.

FDP-Fraktion reicht Verfassungsklage gegen den Solidaritätszuschlag ein - Dr. Florian Toncar
FDP-Fraktion reicht Verfassungsklage gegen den Solidaritätszuschlag ein - Dr. Florian Toncar in der Bundespressekonferenz
Auf diesen Absatz des Grundgesetzes stützte sich das Gesetz zur Erhebung des Solidaritätszuschlages - kurz und liebevoll "Soli" genannt. Der Zweck war damals der "Solidarpakt Ost". Inzwischen zeigt sich Strukturschwäche aber nicht mehr eindeutig an der Himmelsrichtung, sondern an Bedürftigkeiten quer durch die Bundesrepublik. Deshalb ist der Zweck nicht mehr gegeben. Zudem war das Gestz Ende 2019 ausgelaufen. Das interessierte die Große Koalition aber wenig, so dass ein entsprechendes Änderungsgesetz auf den Weg gebracht worden war, das erst ab 2021 eine Entlastung von 90% der Soli-Zahler vorsieht. Allerdings bringen die verbleibenden 10% trotzdem noch um die 50% des bisherigen Betrages auf. Das bedeutet, dass in diesem Jahr 20 Milliarden Euro erwartet werden und in 2021 immer noch 10 Milliarden Euro.

Wie zu erwarten war, wurde der Soli nicht 1:1 in den Aufbau Ost gesteckt. Er floss in den großen Topf des Bundeshaushaltes ein. Sicher kam auch ein Teil davon zweckgebunden an, aber nicht alles. Solch eine Ergänzungsabgabe ist attraktiv für den Bund. Kann doch aktuell damit die Corona-Krise gegenfinanziert werden. Eine Umwidmung ist formaljuristisch nicht möglich. Für Corona müsste eine separate Ergänzungsabgabe erhoben werden.

Bezüglich des Timings wollte sich Dr. Florian Toncar, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, nicht festlegen. Es dauere so lange, wie es eben beim Verfassungsgericht dauere. Man habe die Klageschrift am Montag eingereicht. Als nächstes werde es noch einige Schriftwechsel mit dem Gericht geben. Besonders erfreut wäre die FDP-Fraktion über eine persönliche Anhörung. Dass die Kläger ihr Anliegen wortgewandt vortragen können, haben sie heute in der Bundespressekonferenz bewiesen. Florian Toncar wurde unterstützt von Christian Dürr, dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der FDP.

FDP-Fraktion reicht Verfassungsklage gegen den Solidaritätszuschlag ein - Christian Dürr
FDP-Fraktion reicht Verfassungsklage gegen den Solidaritätszuschlag ein - Christian Dürr in der Bundespressekonferenz
Seitens der FDP erwartet man zwei mögliche Urteile: Das Wunschurteil wäre, dass das Änderungsgesetz ab Januar 2020 für Nichtig erklärt wird und der Bund den Soli rückwirkend zum 1. Januar an die Steuerzahler erstattet. Das zweite vorstellbare Ergebnis wäre, dass das Verfassungsgericht dem Bund eine Frist zur Nachbesserung setzt. Das wäre zumindest ein Teilerfolg. Mit einer Ablehnung sei nicht zu rechnen. Die FDP-Fraktion setzt mit dem Verfassungsgericht alles auf eine Karte: Wegen der Zuständigkeit für das Grundgesetz konnten sie sich gar nicht durch die Instanzen der Finanzgerichte klagen, sondern mussten sich direkt an Karlsruhe wenden. Sollte das Unterfangen wider Erwarten scheitern, erscheint eine Weitergabe an den Europäischen Gerichtshof wenig sinnvoll.

Es bleibt die Spannung, wann das Urteil vorliegt und wieviel Euro tatsächlich zurückerstattet werden. Die Finanzbehörden drücken bereits in den jährlichen Einkommensbescheiden ihre Zweifel an der "Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995" aus und deklarieren dessen Festsetzung "gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO" als "vorläufig".

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 26. August 2020

Lieber tot als vermisst: Schicksalsklärung Zweiter Weltkrieg des DRK-Suchdienstes bis 2025 verlängert

Am 1. Juni 2009 endete der Air-France-Flug 447 von Rio de Janeiro nach Paris im Atlantik. Alle 228 Insassen kamen dabei ums Leben. An ihrem Tod bestand kein Zweifel. Allerdings wusste zunächst niemand, wo genau der Absturz stattgefunden hatte. Die trauernden Angehörigen konnten den Tod an keinem Ort festmachen, so dass ihnen ein wichtiger Schritt im Trauerprozess verwehrt war.

Erst 6 Tage nach dem Absturz fand man die ersten Wrackteile und Leichen. Doch keine Spur vom Flugschreiber und dem Rest des Airbus A330-203. Nach knapp zwei Jahren - bei der inzwischen vierten Suchaktion - wurde auf 4.000 Metern Tiefe ein Trümmerfeld mit Teilen des Flugzeuges entdeckt. Es folgte eine weitere Aktion, bei der der Flugschreiber und dessen Speichermodul geborgen werden konnten. Am 3. Juni 2011 hatte das Warten der Angehörigen ein Ende. Die Ursache war geklärt und es gab einen konkreten Ort. Jetzt konnten sich Angehörige auf den Weg machen und am Ort des Absturzes Abschied von ihren Verwandten und Freunden nehmen.

Pressekonferenz DRK-Suchdienst Gerda Hasselfeldt
Pressekonferenz zum DRK-Suchdienst mit Gerda Hasselfeldt, Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes
Der Zweite Weltkrieg hat ein Vielfaches solcher Schicksale produziert. Bis 1950 wurden 14 Millionen Suchanfragen gestellt und knapp 9 Millionen davon geklärt. Das betraf nicht nur Soldaten, sondern auch Zivilisten. Die Suche nach Soldaten gestaltete sich etwas einfacher. Diese hatten Erkennungsmarken aus Metall, waren in ihren Einheiten registriert worden, wurden in den Karteien der Lazarette inklusive ihres Krankheitsbildes erfasst und mussten Eingangspapiere in Gefangenenlagern unterzeichnen. Deutsche Soldaten wurden in Russland akribisch katalogisiert, was jedoch nicht bedeutete, dass sie gut behandelt wurden. Viele Kriegsgefangene starben in russischen Lagern an Unterernährung.

Da es noch keine Computer gab, wurde die Registrierung auf Karteikarten vorgenommen. Wenn also jemand eine Suchanfrage an das DRK oder den Volksbund stellte, mussten diese analogen Daten erst einmal mühsam verknüpft werden. Hinzu kamen der "Eiserne Vorhang" und der "Kalte Krieg". Man habe dennoch sehr konstruktiv mit den Unterabteilungen des Roten Kreuzes zusammengearbeitet und konnte viele der Anfragen beantworten. Wichtig dabei war, dass sich Suchende und Gesuchte beim DRK meldeten. Alles noch analog per Brief.

Pressekonferenz DRK-Suchdienst BMI Staatssekretär Dr. Markus Kerber
Pressekonferenz zum DRK-Suchdienst mit Staatssekretär Dr. Markus Kerber, Bundesministerium des Innern
Mit der Auflösung der Sowjetunion wurden auch die Archive geöffnet und zum Vorschein kamen Berge von Karteikarten. Da diese jedoch in Russland verbleiben sollten, schreitet deren Digitalisierung nur langsam voran. Man ist auf die Zuarbeit der russischen Stellen angewiesen. In Deutschland arbeiten 98 Mitarbeiter für den DRK-Suchdienst. 25 Mitarbeiter davon sitzen in München und beschäftigen sich ausschließlich mit Suchanfragen zum Zweiten Weltkrieg: Zivilisten und Soldaten - ganz selten betrifft es Personen aus Skandinavien oder Russland.

Für 2020 erwartet das DRK 11.000 Anfragen zu Vermissten des Zweiten Weltkriegs. Die Erfolgsquote liegt bei 20%. Mit fortschreitender Digitalisierung kann diese Quote sicher noch gesteigert werden. Es lohnt sich also, nach einer gewissen Zeit wieder anzufragen, falls frühere Gesuche ins Leere gelaufen waren. Sinnvoll ist auch eine Anfrage bei anderen Organisationen wie dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Wenn nämlich die Datenpools noch nicht abgeglichen wurden, kann es sein, dass längst Informationen über das Schicksal des Angehörigen vorliegen, nur eben an einer anderen Stelle.

Pressekonferenz DRK-Suchdienst Prof. Dr. Magnus Brechtken Institut für Zeitgeschichte
Pressekonferenz zum DRK-Suchdienst mit Prof. Dr. Magnus Brechtken, Stellvertretendet Direktor Institut für Zeitgeschichte - Forschungsvorhaben "Suchende und Gesuchte des Zweiten Weltkriegs"
Bei der heutigen Pressekonferenz waren auch zwei Suchende zugegen, die Ende 2019 zu Findenden geworden waren. Sie hatten letztendlich dicke Briefumschläge mit sämtlichen Unterlagen zu den letzten Lebensmonaten ihrer Väter bekommen. Es brauchte einige Tage, bis sie die neuen Erkenntnisse verdaut hatten. Dann stellte sich aber innerer Frieden bei ihnen ein. Die Unterlagen enthielten neben Todesort und Ursache sogar Informationen zur Position der Grabstätte. Die beiden Angehörigen sind nun um die 80 Jahre alt. Wenn sie sich rüstig genug fühlen und Corona eine Verschnaufpause macht, könnten sie nach Russland reisen und direkt am Grab Abschied nehmen. Der Volksbund bietet sogar Umbettungen nach Deutschland an.

Per Bundestagsbeschluss von 1953 fördert das Bundesinnenministerium (BMI) die Arbeit des DRK-Suchdienstes. Die Rubrik Zweiter Weltkrieg sollte eigentlich 2023 geschlossen werden. Wegen des nach wie vor hohen Interesses am Verbleib von Verwandten, wurde dieser Zeitraum nun auf 2025 verlängert. Inzwischen fragen nämlich nicht nur Ehepartner und Kinder, sondern auch Enkel an. Nicht abgeschlossene Trauerprozesse können Familien und deren Folgegenerationen belasten. Deshalb fühlt sich das BMI als "Heimatministerium" der "psychischen Stabilität" in der Heimat verpflichtet.

Ergänzend sei erwähnt, dass der DRK-Suchdienst seine Aufgaben über das Thema Zweiter Weltkrieg hinaus sieht. In Zusammenarbeit mit weltweiten Rot-Kreuz- und Rot-Halbmond-Stellen findet es Personen aus aktuellen Krisenregionen, stellt per Internet oder Telefon Kontakte zwischen Suchenden und Gesuchten her und sieht seinen Auftrag erfüllt, wenn sich die Personen endlich wieder physisch in den Armen liegen. Diese Arbeit wird auch nach 2025 weitergehen.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 5. August 2020

Libanon: Die Explosion tangiert auch deutsche Staatsbürger und Immobilien

Heute um zehn nahm der Krisenstab der Bundesregierung zur Großexplosion im Libanon seine Arbeit auf. Es trafen sich Vertreter des BMI, des BMZ, des Auswärtigen Amtes und des BMVg. Die Lage ist noch sehr unübersichtlich.

Bekannt ist derzeit nur, dass das Gebäude der Botschaft und das Goethe-Institut stark beschädigt sind. Es gibt auch schon einige Meldungen zu verletzten Deutschen. Genaue Zahlen wollte das Auswärtige Amt gegen halb zwölf aber noch nicht herausgeben, weil die Daten erst einmal gesammelt und geordnet werden.

Insgesamt 250.000 Einwohner Beiruts sollen jetzt ohne Wohnraum dastehen. Darunter auch viele Deutsche, die für diverse Hilfsorganisationen arbeiten. Deutschland engagiert sich schon länger in dem krisengeschüttelten Land: Bildungsprojekte, Wirtschaftsförderung und nicht zuletzt bei UNIFIL.

Die Soldaten der UNIFIL waren auf dem Meer unterwegs, so dass sie nur insofern betroffen sind, dass sie möglicherweise in den nächsten Tagen für Hilfeleistungen eingesetzt werden. Ein weiteres UNIFIL-Schiff ist von Zypern aus in die Region aufgebrochen. Die Luftwaffe hält ihre medizinisch nutzbare A400M-Flotte ebenfalls für einen Einsatz bereit. Diese wurde aber noch nicht angefordert. Das Innenministerium erklärte seine Bereitschaft zur Entsendung von Forensikern, falls diese erbeten werden.

Auf jeden Fall fliegen heute Abend 47 Experten des THW (Technisches Hilfswerk) in den Libanon. Das THW unterhält eine Spezialeinheit "Bergung Ausland". Das Team wird von einem Hochbaustatiker begleitet, der die statische Sicherheit des Botschaftsgebäudes prüfen soll. Da das Auswärtige Amt eine weitere Liegenschaft im Libanon unterhält, kann der Botschaftsbetrieb nach einer kurzen Umzugsphase am alternativen Standort weitergeführt werden.

Zur Ursache der Explosion liegen der Bundesregierung bislang keine Erkenntnisse vor.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 16. Juli 2020

400 Seiten Verfassungsschutzbericht 2019

Die fast 400 Seiten des Verfassungsschutzberichtes eignen sich gut als Urlaubslektüre. Neben einigen kürzeren Kapiteln dominieren die Themenbereiche Rechtsextremismus, Linksextremismus, Islamismus, extremistische Ausländer ohne Islamismus und Aktivitäten fremder Mächte. Letzteres bezieht sich auf Spionage, Sabotage, Cyberangriffe, politische Einflussnahme und Anwerbung deutscher Staatsbürger durch staatliche Akteure anderer Länder.

Rechtsextremismus

Das Bundesamt für Verfassungsschutz untersteht dem Bundesinnenministerium. Deshalb waren vor einer Woche auch Horst Seehofer und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang zur Vorstellung des Berichtes in der Bundespressekonferenz erschienen. Wie Horst Seehofer regelmäßig betont, stellt der Rechtsextremismus momentan die höchste Gefahr dar. Es gibt viele Anhänger mit einer erheblichen Gewaltbereitschaft. So wurden 2019 über 21.000 Straftaten in diesem Motivationssegment registriert.

Verfassungsschutzbericht 2019 Bundespressekonferenz Horst Seehofer Thomas Haldenwang
Verfassungsschutzbericht 2019 in der Bundespressekonferenz durch Innenminister Horst Seehofer vorgestellt
Eine hohe Konzentration rechter Aktivitäten ist in Sachsen und Thüringen zu verzeichnen, aber auch in Nordrhein-Westfalen und Berlin. Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften ergibt sich ein Personenpotenzial von 33.430 Rechtsextremisten in Deutschland. Davon gelten 13.000 als gewaltorientiert.

Interessant sind die Ausführungen über "Reichsbürger" und "Selbstverwalter". Nur bei 5% der "Reichsbürger" gibt es Überschneidungen mit dem Rechtsextremismus. Sie haben nämlich ihre sehr eigenen Vorstellungen, die oftmals auf Verschwörungstheorien basieren. Während sich "Reichsbürger" auf ein irgendwie geartetes Deutsches Reich berufen, nehmen "Selbstverwalter" eine UN-Resolution zur Grundlage ihrer Ansichten. Diese gebe ihnen das Recht auf den Eintritt in eine Selbstverwaltung ohne das administrative Drumherum der Bundesrepublik.

Linksextremismus

Linksextremismus verzeichnet in Deutschland signifikante Zuwachsraten. So halten sich zurzeit 33.500 bekannte Linksextreme mit den Rechtsextremen die Waage. 9.200 Linksextremisten gelten als gewaltorientiert. 2019 wurden etwa 9.849 Straftaten registriert.

Die Taktik der Szene hat sich geändert. Früher war es üblich, sich in Demonstrationen zu mischen und diese in ein gewalttätiges Chaos zu kippen. In Ermangelung von Großereignissen ist man dazu übergegangen, verdeckte und gezielte Aktionen durchzuführen. Beispielsweise werden "Hausbesuche" bei Personen abgestattet, die man als rechtsextrem deklariert hat. Die Definition einer rechtsextremen Zielperson folgt keiner objektiven Logik und erstreckt sich vom bekennenden Nazi über den AfD-Politiker bis zur Mitarbeiterin einer Immobilienfirma.

Die Wortwahl bei der Bezeichnung politischer Gegner ist nur bedingt diplomatisch, wird aber politisch korrekt gegendert: "Rassist*innen", "Rechte", "Reaktionäre", "Nazis", "Bullen" oder "Repressionsorgane". Die Themen sind durchweg "Anti": "antisoziale Strukturen", "Antigentrifizierung" und "Antifaschismus". Die Gentrifizierung ist besonders den Autonomen unter den Linken ein Dorn im Auge. Bedeutet es doch die Aufwertung eines Stadtteils durch Sanierungen und die damit verbundene Verteuerung der Mieten. Zur Gewinnung neuer Anhänger nutzt die Szene populäre Themen wie Umweltschutz oder die Wohnsituation. Ferner ist sie im Umfeld von Fußballspielen und Kampfsportvereinen aktiv, um dadurch die "revolutionäre" Schlagkraft zu erhöhen.

Verfassungsschutzbericht 2019 Bundespressekonferenz Horst Seehofer Thomas Haldenwang
Verfassungsschutzbericht 2019 in der Bundespressekonferenz durch Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang vorgestellt
Innerhalb des linken Spektrums gibt es Unterschiede. Ein bemerkenswerter Teil glaubt nach dem Scheitern sämtlicher sozialistischer Staaten immer noch an einen Sieg der Arbeiterklasse und die klassenlose Gesellschaft des Kommunismus. Viele nehmen dafür den Zwischenschritt über eine sozialistische Gesellschaft in Kauf. Eine friedliche Entwicklung ist dabei nicht vorgesehen.

Autonome zählen zwar auch zum Linksextremismus, möchten sich aber nicht von einer sozialistischen Zwangsbeglückung gängeln lassen. Sie möchten ihr eigenes Ding machen und einfach nur frei und ohne Verantwortung leben.

Die Partei DIE LINKE eignet sich hervorragend zur Unterwanderung mit extremistischem Gedankengut. Von daher ist es kein Wunder, dass gleich mehrere Untergruppierungen durch den Verfassungsschutz beobachtet werden. Dazu gehören die "Sozialistische Alternative" (SAV), die "Kommunistische Plattform" (KPF), die "Sozialistische Linke" (SL) oder die "Antikapitalistische Linke" (AKL).

Soweit zu den einheimischen Themen. Darüber hinaus gibt es noch den Islamismus, ausländischen Extremismus und andere Eingriffe fremder Staaten.

Islamismus

Auch wenn der Islamismus in letzter Zeit etwas aus den Schlagzeilen geraten ist, ist das kein Grund für eine Entwarnung. Sehr aufmerksam werden Organisationen wie der IS, die HAMAS, al-Qaida, Al-Shabab, die Hizb Allah und die Muslimbruderschaft beobachtet. Fernab der öffentlichen Wahrnehmung regt der Verfassungsschutz Maßnahmen der Polizei an, die entsprechende Anschläge in Deutschland verhindert.

Wenn die islamistische Organisation nicht gerade ein weltweites Kalifat zum Ziel hat, nutzt sie Deutschland zur Rekrutierung neuer Kräfte und als Rückzugsgebiet. Corona hatte zunächst für einen Stillstand islamistischer Aktivitäten gesorgt. Diese wurden aber bald nach der ersten Starre ins Internet verlagert: Kontaktanbahnung und Propaganda über Soziale Netzwerke.

Ausländischer Extremismus

Ausländische Extremisten ohne direkten Bezug zum Islamismus lassen sich weitestgehend auf den Konflikt zwischen Türken und Kurden reduzieren. Dreh- und Angelpunkt ist die seit 1993 verbotene "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und deren Sympathieorganisationen. Als aktiver türkischer Gegenpol wäre die Ülkücü-Bewegung mit ihren fünfstelligen Mitgliederzahlen zu nennen. Ülkücü strebt ein neues Osmanisches Großreich unter Herrschaft der türkischen Ethnie an. Das Zusammentreffen von Ülkücü-Anhängern und Kurden in deutschen Städten hat eine besondere Brisanz. Ülkücü wird aber auch deshalb vom Verfassungsschutz beobachtet, weil es synonym für eine "desintegrative Wirkung" und die "Bildung einer Parallelgesellschaft" steht.

Spionage und Einflussnahme fremder Mächte

Das letzte große Kapitel des Berichtes befasst sich mit "Spionage, Cyberangriffen und sonstigen sicherheitsgefährdenden ... Aktivitäten für eine fremde Macht". Hier werden vier besonders aktive Staaten genannt: Russland, China, Iran und Türkei.

Russland fällt in verschiedenen Bereichen auf: Mit seinen Medien RT Deutsch und Sputnik nimmt es aktiv Einfluss auf die öffentliche Meinung. Wenn jemand Desinformation beherrscht, dann Russland. Russland kann aber auch "Cyber" und setzt diese Fähigkeit konsequent zum Ausforschen verschiedener Ziele in Deutschland ein. Darunter befinden sich Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Behörden und Medienunternehmen. Russland ist darin so gut, dass die Angriffe oft gar nicht bemerkt werden und langfristig virtuelle Türen für die russischen Geheimdienste offen stehen.

Russische Geheimdienste haben noch einen anderen Trumpf: der hohe Anteil Spätaussiedler in Deutschland. In einem Bundeswehr-Seminar wurde vermittelt, dass Russland langfristig arbeitet: Eigene Leute werden eingeschleust, leben ein normales Alltagsleben, besetzen wichtige Posten und zum festgesetzten Zeitpunkt wird einfach der Schalter umgelegt.

China konzentriert sich nach Maßgabe seiner Belt Road Initiative (BRI) auf wirtschaftliche Einflussnahme und das Ausspähen strategisch verwertbarer Informationen. Selbst kooperative Unternehmen oder Behörden werden gnadenlos angezapft. Eine besonders niedrige Schwelle zur Preisgabe sensibler Daten bieten chinesische Bezahlsysteme oder Mobilitätsangebote. Hier sollte der deutsche Nutzer wissen, dass Unternehmen in China zur uneingeschränkten Zusammenarbeit mit dem Staat - also der einen Partei - verpflichtet sind. Datenschutz gilt dort nichts, so dass auf Wunsch alle sensiblen Daten bei staatlichen Stellen landen.

China ist schon längst kein Kopierland mehr. China hat sich - unter den Augen westlicher Hybris - eine Marktführerschaft in verschiedenen Hochtechnologiebereichen erarbeitet. Die Investitionen in Deutschland sind zwar nominell rückläufig. Dafür ist die Qualität der Aufkäufe deutscher Firmen alarmierend. So pickt sich China besonders innovative Firmen heraus und zieht auf diesem Wege ganz legal das Know-how ab. Auch Agenten werden nicht mehr nur aus eigenen Staatsbürgern rekrutiert, sondern gezielt aus anderen Nationen angeworben. Die Details dazu würden hier den Rahmen sprengen.

Dem Iran geht es vorrangig um die Verfolgung der im Ausland lebenden Opposition. Ferner sucht er nach Wegen, an nuklear verwertbare Technologien heranzukommen. Die Türkei forscht die PKK und oppositionelle Strömungen aus. Wie Russland profitiert auch die Türkei bei der Beschaffung von Informationen von der hohen Zahl türkischstämmiger Personen in Deutschland.

Geistige Brandstifter und Täter

Thomas Haldenwang betonte in der Pressekonferenz, dass es nicht nur um die finalen Täter gehe, sondern auch um die "geistigen Brandstifter". Man habe in den letzten Jahren gelernt, dass immer eine "geistige Brandstiftung" der Radikalisierung und anschließenden Tat vorausgehe. Deshalb messe der Innenminister dem Thema Desinformation eine hohe Bedeutung bei. Das Thema werde durch die "Einheit hybride Bedrohungen" bearbeitet. Auch stimme man sich intensiv mit dem Verteidigungsministerium und dem Kanzleramt ab.

Zum Luxus einer Demokratie gehört es, dass ausführende und gesetzgebende Instanzen die nüchternen Erkenntnisse eines solchen Berichtes ignorieren. So kommt es regelmäßig zu Unstimmigkeiten zwischen dem Verfassungsschutz und wichtigen Entscheidungsträgern. Praktisch, wenn wenigstens der Innenminister seinem nachgeordneten Bundesamt den Rücken stärkt.

Video:
Mitschnitt der Pressekonferenz auf Phoenix

Autor: Matthias Baumann