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Freitag, 13. November 2020

AKK forciert die Umsetzung der Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung

Dass ein Politiker kaum in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, heißt nicht, dass er nichts tut. So war über die neue Wehrbeauftragte Eva Högl zu erfahren, dass bisher jeder ihrer Truppenbesuche seitens der Soldaten äußerst positiv aufgenommen wurde. Auch Annegret Kramp-Karrenbauer zieht konsequent ihre Agenda durch - in der häuslichen Quarantäne oder im Ministerinnenbüro. Der Teil-Lockdown verkürzt die Reisezeiten und ermöglicht eine Vergrößerung der Teilnehmerzahlen - per Webkonferenz.

Während die Sichtbarmachung der Bundeswehr durch mehr und größere Gelöbnisse, das Bahnfahren in Uniform und virale Werbekampagnen auf dem "Parallelgleis" durch das Land rauscht, betreibt AKK Multitasking und trifft sich virtuell mit ihren Kollegen aus dem Indo-Pazifik-Raum. Heute stand Dr. Ng Eng Hen aus Singapur in ihrem Terminkalender. Das Treffen war von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und der S. Rajaratnam School of International Studies (RSiS) organisiert worden.

Indo-Pazifik-Leitlinien Verteidigungsminister AKK Ng Eng Hen Singapur KAS RSiS
Singapurs Verteidigungsminister Ng Eng Hen (oben links) und seine Kollegin Annegret Kramp-Karrenbauer #AKK (oben rechts) diskutieren die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung in einer Webkonferenz der KAS und der RSiS

Der Berliner würde sagen: Singapur ist klein, aber Oho! Singapur hat nur sechs Millionen Einwohner und eine Grundfläche, die kleiner als Berlin ist. Singapur liegt aber an einer Stelle, die das Südchinesische Meer mit dem Indischen Ozean verbindet. Das macht diesen Stadtstaat seit vielen Jahren sehr reich. Pro Kopf erwirtschaftet Singapur etwa 64.000 USD pro Jahr und liegt damit fast auf dem Niveau von Katar.

Singapur gilt als das militärisch am besten ausgestattete Land der Region. Über 4% des BIP werden in die Verteidigung investiert. Besonderes Augenmerkt gilt der Luft- und Seeverteidigung. Singapur besitzt 4 U-Boote, 6 Fregatten, 11 Korvetten und 105 Kampfflugzeuge. Letztere zum Großteil aus amerikanischer Produktion. Die Anschaffung weiterer F-35-Maschinen ist geplant. Fragt sich, wo dieses ganze Gerät auf dem kleinen Territorium untergebracht wird?

So wie Deutschland ist auch Singapur an offenen Seewegen interessiert. Beim regelbasierten Welthandel decken sich ebenfalls die Interessen. Minister Ng Eng Hen besucht seit 2012 die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) und traf dort im Februar 2020 erstmalig seine Kollegin Kramp-Karrenbauer. Der Minister betonte mehrfach, dass Deutschland endlich eine sichtbare Verantwortung für den Erhalt der globalen Ordnung einnehmen solle. Deutschland und die EU sollten Gestalter der Weltordnung sein. Er drückte es in Neudeutsch mit "shapen the global order" aus. Denn nur wer mit am Tisch sitze, habe auch Einfluss auf die Speisekarte. Während innerhalb Deutschlands regelmäßig über die Regierung hergezogen wird, blicken viele Staaten von außen auf die Bundesrepublik und erwarten, dass sie endlich ihre Leitungsrolle wahrnimmt.

Wie Theorie in Praxis umgesetzt wird, zeigten die Antworten von AKK: Deutschland wolle nicht mehr reden, sondern praktische Präsenz zeigen. Zur "maritimen Präsenz" in den Indo-Pazifik-Leitlinien sagte die Ministerin, dass im nächsten Jahr Schiffe in die Region entsandt werden und sich deutsche Soldaten an Übungen und Einsätzen beteiligen werden. Sie klang entschlossen, den Bundestag für entsprechende Mandate zu gewinnen.

Die Indo-Pazifik-Leitlinien haben noch einen anderen Nutzen. Da sich die USA auch unter Joe Biden auf Asien fokussieren, könnte der Indo-Pazifik nun zur gemeinsamen Schnittmenge werden. Die Beziehung zu den USA wird dann also über die andere Himmelsrichtung aufgezogen: nicht mehr atlantisch, sondern indo-pazifisch.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 5. November 2020

Australien zeigt sich begeistert über die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung

Bei Staatsbesuchen aus Afrika kommt zuweilen die Frage auf, warum der Gast noch seinen Pyjama trägt. Dem heutigen Gipfeltreffen zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer und ihrer Amtskollegin Linda Reynolds konnten Zuschauer dank Corona auch im Schlafanzug beiwohnen. Linda Reynolds saß in Canberra und freute sich wohl schon auf das Abendessen, während AKK vermutlich gerade erst gefrühstückt hatte. Zehn Stunden Zeitunterschied und 16.000 Kilometer Distanz liegen zwischen Deutschland und Australien.

Indo-Pazifik-Leitlinien Australien Verteidigungsministerinnen Linda Reynolds und #AKK Annegret Kramp-Karrenbauer
Videokonferenz der Verteidigungsministerinnen von Australien und Deutschland, Linda Reynolds (oben) und Annegret Kramp-Karrenbauer #AKK (unten rechts), über die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung

In den Gründungspapieren der Bundeswehr wurde festgeschrieben, dass Verteidigungsminister in der Hauptsache Politiker sein sollen. Ihre Aufgabe bestehe in der Verbindung zwischen Bundeswehr und dem Parlament. Für die militärische Expertise seien Staatssekretäre und der Generalinspekteur zuständig. Diese Kombination begegnet uns in vielen Ländern wie beispielsweise Indien, Norwegen oder Frankreich. Die Niederlande oder Australien bilden eine Ausnahme. Linda Reynolds blickt auf eine 30-jährige militärische Vergangenheit zurück und war die erste Frau Australiens, die zum Brigadegeneral befördert wurde. Sie ist seit Mai 2019 im Amt und traf ihre Kollegin erstmals im Februar 2020 auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Damals hatte Frau Kramp-Karrenbauer einen regelrechten Minister-Marathon in den Nebengelassen des Bayerischen Hofs hingelegt. Einen Monat später waren Treffen von Angesicht zu Angesicht wegen Corona nicht mehr möglich.

Auch das heutige Treffen hätte normalerweise persönlich stattfinden sollen. Annegret Kramp-Karrenbauer hält sich jedoch in präventiver Quarantäne zu Hause auf. Deshalb hatten das ASPI (Australian Strategic Policy Intitute) und die KAS (Konrad Adenauer Stiftung) ein virtuelles Treffen organisiert. Es sollte um die neuen Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung gehen. Mehrfach betonte Linda Reynolds, dass die Leitlinien von den Australiern "very much warmly welcomed" seien. Auf Deutsch heißt das, dass die Australier die Leitlinien überaus herzlich begrüßen. Es wirkte nicht wie die Floskel politischer Korrektheit.

Australien ist neben Neuseeland das Land in der Region, das am stärksten unsere Werte, Interessen und Regeln teilt. Aber es ist auch direkt von den rapiden Entwicklungen in Südostasien betroffen. Für die USA und für Europa stellt Australien die Südostflanke unserer westlichen Wertegemeinschaft dar. Mit Sorge betrachtet man die chinesischen Aktivitäten im Südchinesischen Meer. China baut dort Inseln aus und richtet Militärbasen ein - für Raketen, Schiffe, Truppen und Abhöreinrichtungen. Da China offen über seine Ziele redet, nämlich 2049 wieder Kriege gewinnen zu können, fühlen sich Vietnam, die Philippinen, Japan und andere Staaten direkt bedroht. Von Australien ist das zwar viele Kilometer entfernt, ein Abschneiden der Seewege durch das Südchinesische Meer würde jedoch die gesamte Weltwirtschaft treffen. Deshalb zeigen die USA dort Präsenz. Auch in den Indo-Pazifik-Leitlinien ist von "maritimer Präsenz" die Rede. Diese wird sich für Deutschland aber vermutlich auf ein paar Soldaten beschränken, die auf Schiffen der regionalen Partner mitfahren.

Indo-Pazifik-Leitlinien Australien Verteidigungsministerinnen Linda Reynolds und #AKK Annegret Kramp-Karrenbauer
Videokonferenz der Verteidigungsministerinnen von Australien und Deutschland, Linda Reynolds (unten rechts) und Annegret Kramp-Karrenbauer #AKK (oben), über die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung

Stellt sich also die Frage, ob die australische Euphorie über die Leitlinien begründet ist? Immerhin wurde auch das Weißbuch zur deutschen Sicherheitspolitik von 2016 im Ausland mit Begeisterung aufgenommen, während es im Inland eher als Makulatur betrachtet wird - vorausgesetzt, es wird überhaupt betrachtet.

Sicherheit und freie Seewege waren für Deutschland bisher immer billig zu haben: Amerika macht schon. Die Franzosen machen das schon. Die Briten machen das schon. Wir schauen erstmal, diskutieren das im Bundestag und helfen dann beim Aufbau. Die Zeit der billigen Sicherheit ist vorbei. Amerika lässt sich nicht mehr ausnutzen und hat seinen Fokus direkt auf China gelenkt - weg von Europa. Deutschland und Europa müssen nun selbst sehen, wie sie mit dem Problem in Südostasien umgehen. Ganz abgesehen von den europäischen Problemen an der Nord-, der Ost-, der Südost- und der Südflanke. Der deutschen Verteidigungsministerin ist bewusst, dass moderne Konflikte auf sämtlichen Ebenen von konventionell, über atomar bis hin zu hybrid ausgetragen werden. Man müsse daher die eigenen Fähigkeiten auf diese Bedrohungslage anpassen. Das geht aber nur, wenn sie ihre Parlamentskollegen davon überzeugen kann.

Bezüglich China steckt Deutschland in einem Dilemma: Einerseits gibt es starke wirtschaftliche Abhängigkeiten. Andererseits stellt China eine "systemische Herausforderung" dar. Die USA hatten China damals in die WTO (Welthandelsorganisation) verholfen, weil man davon ausgegangen war, dass westliche Werte durch eine Integration in die WTO automatisch auf China übergreifen werden. Diese Rechnung ging nicht auf. China hat die Vorteile der WTO optimal ausgereizt und dabei seine Machtposition aufgebaut. China nimmt keine Rücksicht auf anerkannte Spielregeln oder Dritte. Die USA fühlen sich durch die Chinesen ausgenutzt und reagieren wohl deshalb so empfindlich. Inzwischen ist China so stark und technologisch innovativ, dass es die Weltpolitik mitbestimmen kann. Etwas praxisfern wirkte deshalb, als AKK in der Webkonferenz davon sprach, dass Firmen, die in 5G involviert sind, entsprechende Sicherheitsstandards und Regeln einhalten sollen. Um gegen chinesisches Mitlesen resistent zu sein, entwickeln einige Nationen bereits Alternativen zu 5G.

Der Idealfall wäre eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit China. Diese müsse aber regelbasiert sein und einen fairen Wettbewerb ermöglichen. Australien hält an dieser Sicht fest. Deutschland auch. China akzeptiert diese Sicht, macht aber klar, dass es nach eigenen Regeln agiert. Ein Konsens ist also nicht zu erwarten. Deshalb sehen sich Deutschland und Australien in einer Partnerschaft der "geteilten Herausforderungen". Man müsse Lieferketten verkürzen - so sich das bei 16.000 Kilometern machen lässt - und man müsse Resilienz aufbauen. Resilienz und Sustainability waren dann auch die zusammenfassenden Schlagworte des virtuellen Treffens. Sustainability bedeutet Nachhaltigkeit - also eine Partnerschaft, die Werte von Bestand schafft und für das Überleben westlicher Werte sorgt. Resilienz ist die Fähigkeit der natürlichen Abwehr destruktiver Einflüsse und des souveränen Bestehens in kritischen Situationen.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 29. Oktober 2020

Kommandowechsel an der Logistikschule der Bundeswehr in Garlstedt

Mit einer Kutsche verließ Brigadegeneral André Denk den Paradeplatz der Logistikschule in Garlstedt. Die Mitarbeiter der Schule denken sich zum Abschied immer etwas Besonderes aus. Diesmal betraf es das Hobby der Familie Denk: Pferde. Da starke Männer oft auch eine starke Frau hinter sich haben, wurde nicht etwa nur ein Pferd herbeigeschafft, sondern eine Kutsche, in der für das Ehepaar Platz war. Schon fast aristokratisch wirkte das anschließende Abfahren der Paradeaufstellung. Mit der Hand am Barett drückte der scheidende Schulkommandeur noch einmal seine Wertschätzung gegenüber den Menschen aus, die ihn in den letzten 22 Monaten begleitet hatten.

#LogSBw Kommandowechsel an der Logistikschule der Bundeswehr in Garlstedt von Brigadegeneral André Denk zu Brigadegeneral Boris Nannt
Kommandowechsel an der Logistikschule der Bundeswehr in Garlstedt von Brigadegeneral André Denk zu Brigadegeneral Boris Nannt - Ehepaar Denk wird mit einer Kutsche vom Paradeplatz gefahren.

Wertschätzung war das Attribut, das die Reden und den gesamten Übergabeappell bestimmt hat. Bemerkenswert war die Abschiedsrede von General Denk. In der Regel werden die Zuhörer zu Beginn so lange mit Gästeaufzählungen ermüdet, dass sie den eigentlichen Inhalt nur noch peripher wahrnehmen. André Denk wählte ein anderes Stilmittel. Er bettete die zu erwähnenden Personen Segment für Segment in seine Rede ein, wechselte auf Englisch und dann wieder auf Deutsch. Für jede der erwähnten Personen hatte er ein persönliches Wort der Anerkennung und Erinnerung.

Obwohl er nur 22 Monate, nämlich vom 10. Januar 2019 bis 29. Oktober 2020, an der Logistikschule gewirkt hatte, war in dieser Zeit viel passiert: Besuch des Bundespräsidenten, mehrere Besuche des Generalinspekteurs, 2.000 US-Soldaten während US Defender Europe und vieles mehr. Allein unser Redaktionsteam war seit Januar 2019 sechs Mal in Garlstedt. Bei seinen Mitarbeitern war André Denk sehr beliebt. Er konnte sich auf ein motiviertes Team verlassen. Vor seinem Büro hing ein großes Foto mit seinen engsten Stabsmitarbeitern. Modernes Führen durch Freisetzen, Fördern, Wertschätzung und Nahbarkeit.

Wenn André Denk nun als Director Logistics an den EU-Militärstab in Brüssel geht, nimmt er diese entspannte und professionelle Art mit. Auch Ursula von der Leyen wollte ihn schon in ihr Team einbinden. Das harmonierte aber nicht mit den beruflichen Vorstellungen des Brigadegenerals. Durch die geänderten Prioritäten der USA wird die EU-eigene Verteidigung immer wichtiger. Deshalb ist es gut, wenn fähige Kräfte entscheidende Positionen besetzen. Er soll Konzepte erstellen, logistische Einsätze planen, den Militärstab um General Claudio Graziano unterstützen und für das Personalwesen verantwortlich zeichnen. Sein bisheriger Chef, Generalmajor Thomas, ist überzeugt davon, dass die Stelle in Brüssel passend besetzt wird.

#LogSBw Kommandowechsel an der Logistikschule der Bundeswehr in Garlstedt von Brigadegeneral André Denk zu Brigadegeneral Boris Nannt
Kommandowechsel an der Logistikschule der Bundeswehr in Garlstedt von Brigadegeneral André Denk (links) zu Brigadegeneral Boris Nannt (rechts) - mittig mit Fahne: Generalmajor Thomas, Kommandeur des Logistikkommandos

Sein Nachfolger an der Logistikschule wurde Brigadegeneral Boris Nannt. Boris Nannt hat jede Menge Schulerfahrung. Seit 2017 war er Direktor an der Führungsakademie in Hamburg. Davor hatte er dort seinen Generalstabslehrgang absolviert und drei Jahre lang im Fachbereich Führungslehre gearbeitet. Laut seinem neuen Chef, Generalmajor Thomas, liegt ihm das "moderne Führen". Er hat auch einschlägige Presseerfahrung: Als Teil des Presse- und Infostabes am BMVg musste er sich mehrere Jahre den kritischen Fragen der Hauptstadtpresse stellen. Ein undankbarer Job, bei dem ein unbedachtes Wort oder eine mehrdeutige Geste ungewollte Wellen gegen die Bundeswehr schlagen kann.

Nun stand er hier auf dem Paradeplatz und übernahm mit fester Befehlsstimme das Kommando über die Logistikschule. General Thomas überreichte ihm die Truppenfahne, die inzwischen reich mit Fahnenbändern dekoriert ist. Es könnten während seiner Zeit noch weitere Fahnenbänder hinzukommen. Beispielsweise während der Austragung des NATO-Manövers "Steadfast Jupiter Jackal". Es wird also nicht langweilig in Garlstedt - trotz Corona.

Ach ja, Corona: Bis zum letzten Tag war nicht mit Sicherheit zu sagen, wie denn der Übergabeappell stattfinden werde. Letztlich musste auf Elemente wie den Einmarsch der Paradeaufstellung und der Ehrenformation verzichtet werden. Alle trugen eine Maske. Bei der Nationalhymne durfte nicht mitgesungen werden. Die Gästezahl war stark reduziert und es gab auch keinen Empfang. So konnte General Denk gleich von der Kutsche aus ins Auto umsteigen und nach Hause fahren. Ab Montag geht es für ihn bereits in Brüssel los.

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 27. Oktober 2020

Auf dem Weg zur islamischen Militärseelsorge

Als im Dezember 2019 der Staatsvertrag zur jüdischen Militärseelsorge unterschrieben wurde, kam auch die Frage nach einer islamischen Militärseelsorge auf. Militär-Imame gibt es zwar in einigen westlichen Armeen, allerdings ohne den Wirkungsbereich der Seelsorge. Wenn ein Imam in eine "außergewöhnliche Situation" von Leid oder Verlust gerufen wird, hat er bisher nur einen Trost dabei: "Allah wollte das so." Das harmoniert nicht mit dem, was man sich bei der Bundeswehr unter Seelsorge vorstellt.

Islamkolleg Deutschland IKD gegründet islamische Militärseelsorge
Islamkolleg Deutschland e.V. (IKD) gegründet - Foto: Archiv 10/2014

Im November 2019 wurde der Islamkolleg Deutschland e.V. (IKD) gegründet. Das Innenministerium (BMI) stellt Fördergelder für die nächsten fünf Jahre bereit, redet aber inhaltlich nicht herein, so Prof. Dr. Bülent Ucar, der wissenschaftliche Direktor des Kollegs. Offensichtlich ist das BMI vom Konzept der neuen Bildungsstätte überzeugt: Es werde nur auf Deutsch gelehrt und die Ausbildungsinhalte seien konform zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) gestaltet. Der Stundenplan bediene sieben Themenkomplexe inklusive Religionspädagogik und Seelsorge. Wer nach zwei Jahren das IKD verlasse, könne als Imam, Religionspädagoge oder Seelsorger arbeiten. Der Vorsitzende, Dr. Esnaf Begic, betonte in der heutigen Pressekonferenz die weibliche Berufsbezeichnung. Man bilde auch Frauen aus, gehe aber von möglichen Schwierigkeiten bei der anschließenden Jobfindung aus. Hinzu komme der Umstand, dass die Bezahlung von Imamen "miserabel" sei.

Frauen, FDGO, deutsche Sprache und Seelsorge treffen in islamischen Kreisen auf deutliche Skepsis. Kein Wunder also, dass die von der Türkei aus gesteuerten Dachverbände das Projekt nicht unterstützen. Das IKD wirkt wie eine emanzipierte Gruppe Gläubiger, die um der Alltagsrelevanz willen die große Muttergemeinschaft verlassen - ähnlich der Reformation um 1500 in Deutschland. Dr. Esnaf Begic ist selbst Imam und stammt aus Bosnien. In Deutschland hatte er ein Schlüsselerlebnis: Sein Sohn kam aus einer Freitagspredigt und meinte zu ihm, dass er gar nichts verstanden habe. Deshalb fing man in einigen Moscheen an, auf Deutsch zu predigen.

Der Innovationen nicht genug, stellte Dr. Esnaf Begic selbstkritisch fest, dass ein "Allah wollte es so" nur bedingt hilfreich für Betroffene ist. So schaute er sich die christliche Seelsorge an und nahm sie als Vorbild für die Konzeption einer islamischen Seelsorge. Das Christentum sei hier "meilenweit voraus". Letztlich gehe es auch nicht um einen Sonderweg zur Linderung von Schmerz, sondern um eine vergleichbare Wirkung in einem anderen "theologischen Kontext". Mit ausgebildeten Religionspädagogen und Seelsorgern sowie dem Bekenntnis zur FDGO sind wichtige Schritte in Richtung islamischer Militärseelsorge getan. Jetzt fehlt es noch an einem zentralen und allseits akzeptierten Dachverband, mit dem der Militärseelsorge-Staatsvertrag abgeschlossen werden könnte.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 22. Oktober 2020

Erste offizielle Landung und eine Nachtschicht am Regierungsterminal des BER

Stellen Sie sich vor, Sie stehen während Corona nach Toilettenpapier an und es drängelt sich einfach jemand vor. So in etwa könnte man die Situation bei der Einweihung des Regierungsterminals am BER beschreiben. Nach dem Abflug des irakischen Ministerpräsidenten Mustafa al-Kadhimi hatte der militärische Teil des Flughafens Tegel am Dienstag Abend seinen Betrieb eingestellt. Am Mittwoch bestätigte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes, dass der BER ab sofort für Regierungsflüge und Staatsbesuche genutzt werde. Der scharfe Betrieb hat tatsächlich begonnen. Aber nicht wie geplant:

BER Regierungsterminal StS Thomas Silberhorn BMVg Flugbereitschaft
BER Regierungsterminal - Staatssekretär Thomas Silberhorn landet am 22. Oktober 2020 um 2:45 Uhr mit einer Bombardier Global 6000 der Flugbereitschaft BMVg am BER und wird anschließend für ein Statement verkabelt.

In der Nacht von Mittwoch zu Donnerstag sollte Staatssekretär Thomas Silberhorn offiziell einfliegen und unter dem Blitzlichtgewitter der Hauptstadtpresse ein Statement zur Eröffnung des Regierungsterminals abgeben. So der Plan der für die Flugbereitschaft des BMVg zuständigen Luftwaffe.

Deshalb staunte man nicht schlecht, als am Mittwoch gegen 9 Uhr plötzlich eine kleine Maschine mit Bundesministerin Julia Klöckner in Schönefeld eintraf. Sie hatte das Ende ihres Meetings am Dienstag überzogen und durfte wegen des Nachtflugverbotes in Tegel nicht mehr landen. So verschob sie den Flug auf Mittwoch und war damit die erste - aber ungeplante - Regierungsangehörige, die am BER landete. In Ermangelung der Presse machte einer ihrer mitreisenden Mitarbeiter das historische Foto: gelber Mantel, schwarze Maske. Drei Stunden später saß sie in der Bundespressekonferenz und berichtete über die Ergebnisse des EU-Agrarrates in Luxemburg. Dessen Timing hatte ihr die ungeplante Ehre der ersten Landung eingebracht.

BER Regierungsterminal StS Thomas Silberhorn BMVg Flugbereitschaft
BER Regierungsterminal - Der Bundesadler wurde wenige Stunden zuvor enthüllt.

Das Auswärtige Amt informierte in der darauf folgenden Pressekonferenz lediglich über den Umstand, dass Frau Klöckner die Erste gewesen sei. Dann übernahm der Sprecher des BMVg und suchte die Hauptstadtpresse für den nächtlichen Anflug seines Staatssekretärs Silberhorn zu begeistern. Um ein Uhr lande dieser am BER und man habe ein Presseprogramm vorgesehen. Wie müde regionale Journalisten auf den BER reagieren, hatte sich kürzlich bei der Begegnung mit BER-Chef Lütke Daldrup gezeigt. So gipfelte auch der Termin mit Thomas Silberhorn in einer Exklusivberichterstattung.

BER Regierungsterminal StS Thomas Silberhorn BMVg Flugbereitschaft
BER Regierungsterminal - Blick nach Westen: rechts das Regierungsterminal und links die Bombardier Global 6000 der Flugbereitschaft BMVg kurz vor dem Weiterflug nach Köln/Bonn

Die Ankunft wurde zunächst von ein Uhr auf 3:50 Uhr verlegt und dann noch einmal auf 2:35 Uhr korrigiert. Letztendlich setzten die Räder seiner Bombardier Global 6000 um 2:45 Uhr in Schönefeld auf. Der Staatssekretär hatte in drei Tagen drei Länder der Sahel-Zone bereist: Mali, Burkina Faso und Mauretanien. Neben militärischen Ansprechpartnern hatte er auch die Präsidenten dieser Länder getroffen. Bei den deutschen Soldaten hatte er sich auf die Kontingentführer konzentriert. Er wollte die mühsam eingehaltenen Corona-Regeln der Isolation nicht einfach so durch einen spontanen Truppenbesuch aushebeln. Der Rückflug in der neuen Global 6000 sei "exzellent" und "ausgesprochen angenehm" gewesen. Er wirkte entspannt und gab zu nächtlicher Stunde gerne noch ein kurzes Statement zum Regierungsterminal. Dann rauschte er mit einem BMW 7er in Tansanitblau II metallic davon.

BER Regierungsterminal StS Thomas Silberhorn BMVg Flugbereitschaft
BER Regierungsterminal - Auch wer mit der Flugbereitschaft BMVg unterwegs ist, muss durch die Sicherheitskontrolle - hier mit neuester Personenscanner-Technik.

Am Regierungsterminal sind noch kleinere kosmetische Arbeiten zu erledigen. Konferenzräume müssen fertig eingerichtet, Schranktüren angeschraubt oder Kleiderständer und Tischlampen in die Aufenthaltsräume verteilt werden. Ansonsten ist das Terminal komplett einsatzfähig. Besonders elegant der jüngst enthüllte Bundesadler neben dem Eingang zum metallisch wirkenden Haus. Das Terminal hat einen schlichten, funktionalen Charme und ist definitiv geräumiger als der Flachbau auf dem militärischen Teil des Flughafens Tegel. Es sollen noch weitere Gebäude hinzukommen. Sobald diese stehen, werden wohl auch die in Köln/Bonn geparkten Regierungsflugzeuge und die Hubschrauber aus Tegel zum BER umziehen.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 15. Oktober 2020

Berlin bekommt sein eigenes Landeskommando

Berlin macht mal wieder das Schlusslicht. So auch bei der Aufstellung der Landeskommandos. Während Bayern, Bremen, Brandenburg und alle anderen Bundesländer schon viele Jahre über Landeskommandos verfügen, wurde ein solches erst heute für Berlin aufgestellt. Die Landeskommandos sind dem Kommando Territoriale Aufgaben (KdoTA) unterstellt. Dieses wurde 2013 gegründet und sitzt seitdem in Berlin. Grund genug, sich das Landeskommando Berlin zu sparen. Dessen Aufgaben wurden einfach vom KdoTA miterledigt.

Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne
Aufstellungsappell für das Landeskommando Berlin in der Julius-Leber-Kaserne - v.r.n.l. Brigadegeneral Jürgen Karl Uchtmann (Kommandeur des Landeskommandos Berlin), Generalmajor Carsten Breuer (Kommandeur des Kommandos Territoriale Aufgaben), Brigadegeneral Andreas Henne (stellvertretender Kommandeur des Kommandos Territoriale Aufgaben)

Da wir gerade bei Hierarchien sind: Das KdoTA untersteht der Streitkräftebasis (SKB). Die Streitkräftebasis wurde 2012 ins Leben gerufen und sitzt in Bonn. Die SKB ist ein Sammelbecken für sämtliche Bereiche der Bundeswehr, die nicht eindeutig dem Heer, der Luftwaffe oder der Marine zugeordnet werden können. Das betrifft beispielsweise die Logistik, die Feldjäger, die Bildung, die zivil-militärische Vernetzung oder das Wachbataillon. Der Inspekteur der Streitkräftebasis ist gleichzeitig der Nationale Territoriale Befehlshaber in Deutschland. Wenn die NATO in Deutschland eine Übung wie US Defender Europe 2020 abhalten möchte, ist der Inspekteur SKB für eine gute Betreuung in der "Host Nation" (Gastgeberland) zuständig.

Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne
Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne - Rede von Generalmajor Carsten Breuer - im Hintergrund links Brigadegeneral Andreas Henne und rechts Oberst Christian von Blumröder

Corona hat gezeigt, wie Landeskommandos im nationalen Rahmen ausgelastet werden können. Zu deren Aufgaben gehören nämlich auch Amts- und Katastrophenhilfe. Hier ist nicht nur Personal gefragt, sondern auch taktisches Geschick bei der Koordination der Hilfsmaßnahmen. Landeskommandos übernehmen zudem Presse- und Informationsaufgaben und haben ein Auge auf den Umweltschutz bei militärischen Übungen in ihrem Bundesland. Ganz zu schweigen von der Eingliederung regionaler Reservisten. Um dieses Aufgabenpaket wurde nun das KdoTA für Berlin entlastet.

Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne
Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne - An Brigadegeneral Jürgen Karl Uchtmann wurde heute das Kommando des Landeskommandos Berlin übergeben

Neues Kommando, neue Personalien: Der bisherige General Standortaufgaben, Brigadegeneral Andreas Henne, wurde für 34 Minuten der erste Komandeur des Landeskommandos Berlin. Damit er sich jedoch aktiv als stellvertretender Kommandeur des Kommandos TA einbringen kann, wurde ein weiterer Brigadegeneral in die Bundeshauptstadt geholt: Jürgen Karl Uchtmann. Noch in demselben Appell wurde das Landeskommando Berlin an ihn übergeben. Jürgen Karl Uchtmann ist 60 Jahre alt und seit 41 Jahren bei der Bundeswehr. Er ist ausgebildeter Panzeraufklärer und verfügt über eine spannende Auslandskarriere an den Botschaften in London und Peking. Im Attachéstab einer dieser Staaten zu arbeiten, ist eine hohe Auszeichnung. Nur in fünf Auslandsvertretungen sind diese Dienststellen mit Brigadegeneralen besetzt: USA, Großbritannien, Frankreich, China und Russland. Jürgen Karl Uchtmann bringt also einschlägige Hauptstadt-Erfahrungen mit und kann sich auf dem diplomatischen Parkett bewegen.

Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne
Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne - Das Wappen des Landeskommandos Berlin bezieht sich auf das am 10. März 1813 gestiftete Eiserne Kreuz, das bis heute als Symbol der Bundeswehr dient. Es unterscheidet sich nur durch den mittig eingesetzten Berliner Bären vom Original. Im Hintergrund ist das Schild am Eingang des Landeskommandos Berlin zu sehen. Die Wappen im Vordergrund zieren einen Buddy-Bären.

Das Wappen des Landeskommandos Berlin referenziert auf das erste Eiserne Kreuz, welches am 10. März 1813 durch Friedrich Wilhelm III. gestiftet worden war. Friedrich Wilhelm III. ist der preußische König, dessen überdimensioniertes Reitergemälde das Treppenhaus von Schloss Bellevue ziert und der 1819 das Erste Garderegiment zu Fuß aufgestellt hatte. Dieses Garderegiment könnte als Urahne des heutigen Wachbataillons bezeichnet werden. 1813 war darüber hinaus als Start der Befreiungskriege gegen Napoleon von Bedeutung. Damals wurde die Bevölkerung aktiv in den Befreiungsprozess eingebunden, was sich deutlich auf deren Motivation auswirkte.

Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne
Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne - Regierende Bürgermeister sind möglicherweise immun gegen Corona. Deshalb war Michael Müller die einzige Person auf dem Areal ohne Mundschutz. Nach seiner Rede setzte er jedoch einen auf. Im Hintergrund Oberstleutnant Kai Beinke - Kommandeur des Wachbataillons.

Zivilgesellschaft und Bundeswehr wurden auch beim heutigen Aufstellungsappell kombiniert. Der Regierende Bürgermeister Berlins, Michael Müller, hielt eine Ansprache. Wegen Corona war der Aufstellungsappell kurzfristig von der Zitadelle Spandau in die Julius-Leber-Kaserne verlegt worden. Das reduzierte die Zuhörerschaft. Die Akteure waren also weitestgehend unter sich.

Autor: Matthias Baumann

Video: Appell zur Aufstellung und Übergabe des Landeskommandos Berlin in der Julius-Leber-Kaserne

Montag, 12. Oktober 2020

Viel Wind um das Sturmgewehr G36

2010 fand in Afghanistan das legendäre Karfreitagsgefecht statt. Damals waren deutsche Fallschirmjäger in einen Hinterhalt der Taliban geraten und mit einer Verkettung ungünstiger Umstände konfrontiert worden. Das Gefecht dauerte mehr als acht Stunden und kostete drei Soldaten das Leben. Im Laufe des Gefechtes wurden um die 25.000 Schuss abgegeben. Das entspricht 52 Schuss pro Minute. Neben wenigen Maschinengewehren (MG3) kamen hauptsächlich die Sturmgewehre G36 aus dem Hause Heckler & Koch zum Einsatz.

Das G36 kann mit Einzelfeuer, Feuerstoß oder Dauerfeuer geschossen werden. Das übliche Magazin fasst 30 Patronen. Hollywood erweckt den Eindruck, ein Sturmgewehr werde immer im Dauerfeuer genutzt. Das ist nicht richtig. Wird ein G36 mit Dauerfeuer betrieben, müsste schon nach drei Sekunden das Magazin gewechselt werden. Das ist sehr lästig und hat auch mit "Feuerzucht" nichts zu tun. Feuerzucht ist der Begriff für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen - also den Patronen - insbesondere, wenn man in einem Hinterhalt nicht damit rechnen kann, Nachschub an Munition zu bekommen.

Deshalb wird Dauerfeuer nur kurzzeitig genutzt, beispielsweise um den Gegner während des eigenen Positionswechsels in dessen Deckung zu zwingen. Bevorzugt wird für diesen Zweck ein Maschinengewehr eingesetzt, so eines vorhanden ist. Maschinengewehre wie MG3, MG4 oder MG5 können gar nicht per Einzelfeuer geschossen werden. Die Alternative beim MG ist der Feuerstoß mit einer Folge von etwa drei Schüssen. Dadurch lassen sich konkrete Ziele bekämpfen, während das Dauerfeuer eher eine Streuung erzeugt, die ohne langes und präzises Zielen in Richtung Gegner abgesetzt wird. Feuerstöße und Dauerfeuer werden auch im Ortskampf eingesetzt, wenn beispielsweise ein Gebäude gestürmt wird oder wenn Personen aus dem Gebäude die nahende Übermacht der Angreifer aufhalten möchten.

G36 MG3 Dauerfeuer
Das MG3 (oben) ist für Dauerfeuer konzipiert und dient dem Niederhalten des Gegners. Das G36 (unten liegend) ist eher zur Bekämpfung präziser Ziele per Feuerstoß oder Einzelschuss vorgesehen. Foto: Archiv 03/2019

Der geübte G36-Nutzer kann aber auch im E-Modus (Einzelschuss) schnelle Schussfolgen abgeben, ohne insgesamt zu viel Munition zu verbrauchen. Wie Auswertungen der Helmkameras zeigen, wurde wohl am Karfreitag 2010 mit den G36 hauptsächlich Dauerfeuer geschossen. Dadurch kam es zu einer Überhitzung der Rohre. Das wirkte sich auf die Treffsicherheit aus. MGs haben trotz ihrer Konzeption für Dauerfeuer ebenfalls mit überhitzten Rohren zu tun. Dafür ist jedem MG ein Ersatzrohr beigelegt. Das wird beispielsweise nach 150 Schuss gewechselt. Nach den nächsten 150 Schuss ist das erste Rohr abgekühlt und kann wieder gewechselt werden. Beim G36 geht das nicht. Es ist nämlich gar nicht für solch eine Dauerbelastung konzipiert.

Letzteres war auch das Ergebnis des anschließenden Streites zwischen BMVg und Hersteller Heckler & Koch. Heckler & Koch konnte nachweisen, dass das G36 genau den Anforderungen der damaligen Bestellung entsprach. Mitte 1995 gab es den Zuschlag für die Lieferung und Ende 1997 waren die ersten Exemplare übergeben worden. Niemand ahnte zu der Zeit, dass sich nur vier Jahre später die Anforderungen dramatisch ändern würden. Man war - wenn überhaupt - von einem konventionellen Konflikt in heimischen Gefilden ausgegangen. Ein Einsatz bei über 40°C oder im Sandsturm bewegte sich fernab jeglicher Vorstellungskraft.

Viele Teile des G36 bestehen aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Dadurch wiegt es sogar mit Magazin weniger als vier Kilogramm. Die Hitze des Mittleren Ostens und Kunststoff vertragen sich nicht so gut. Kommt dann noch eine Dauerbelastung durch Deckungsfeuer hinzu, kann das Gewehr möglicherweise seinen Dienst quittieren. Das liegt aber nicht daran, dass das Gewehr fehlerhaft ist, sondern daran, dass dessen Konzeption der damaligen geopolitischen Lage angepasst war.

HK G36 versus Haenel MK556
Das G36 ist auch für ungeübte Schützen so leicht zu bedienen, dass diese auf 100 bis 250 Meter Trefferquoten von über 90% erzielen. Foto: Logistikschule der Bundeswehr / Reiter

In der Truppe wird das G36 bis heute geschätzt. Es ist leicht, treffsicher und einfach zu handhaben. Im Tragegriff ist ein Zielfernrohr mit Fadenkreuz integriert und darüber eine weitere Optik mit rotem Punkt. Diese erlaubt es, während des Zielens beide Augen offen zu halten. Der rote Punkt ist dann an der Stelle im Gelände sichtbar, wohin das Gewehr gerade zielt. Als "Kampfwertsteigerung" wünschen sich Soldaten ein Holosight Visier. Dieses würde den roten Punkt nicht nur im Auge des Schützen darstellen, sondern auch direkt auf dem Ziel. Bei aller Zufriedenheit sollte bemerkt werden, dass das G36 nun doch schon 25 Jahre alt ist. Zeit für einen Generationswechsel.

Der Medienrummel um das G36 konzentrierte sich auf die Schwächen beim Karfreitagsgefecht. Die taktischen Ursachen für diese Schwächen wurden kaum erwähnt. Hatte man doch endlich wieder eine Panne bei der Bundeswehr entdeckt, die man bei Bedarf aus der Schublade holen konnte. Neben Befragungen zum Einsatz von Beratern, Engpässen bei der Ausrüstung und der Dauerbaustelle Gorch Fock wollte man beim BMVg deshalb auch das leidige Thema G36 vom Tisch bekommen.

So wurden neue Anforderungen für das Sturmgewehr definiert und ein Vergabeverfahren eingeleitet. Am 15. September 2020 wurde der Sieger der Ausschreibung verkündet: die Firma C.G. Haenel GmbH aus Suhl. Es ist wohl eine Ironie des Schicksals, dass die Firma Haenel zur Merkel-Gruppe gehört und einen Geschäftsführer hat, der Olaf Sauer heißt. Der Nachfolger des G36 sollte das MK556 werden. Das MK556 hat bei weniger Kunststoff ein ähnliches Gewicht wie das G36.

Aber aus dem Deal wurde nichts: Am 30. September ging ein Nachprüfungsantrag von Heckler & Koch beim Bundeskartellamt ein. Demnach konnte "erstmalig nachprüfbar von einer möglichen Patentrechtsverletzung" gesprochen werden. Konkret geht es dabei um ein Patent für die Verschlusstechnik des G36. Diese ermöglicht eine Nutzung des Gewehrs auch nach dem Untertauchen im Wasser. Am 9. Oktober informierte das BMVg darüber, dass der Zuschlag an Haenel aufgehoben wurde. Nun müssen die vorliegenden Angebote neu gesichtet werden. Das Auftragsvolumen beläuft sich auf 120.000 Stück zu insgesamt 250 Millionen Euro. Ab einer Investitionssumme von 25 Millionen Euro muss der Bundestag gefragt werden. Liegt also irgendwann eine neue Entscheidung zum G36-Nachfolger vor, muss diese noch vom Parlament bestätigt werden.

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 6. Oktober 2020

Kein strukturelles Problem: Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden

Bei Umfragen zur Vertrauenswürdigkeit von Berufsgruppen belegen Soldaten und Polizisten sehr gute Plätze - weit vor Journalisten, Geistlichen oder Politikern. Diese Vertrauenswürdigkeit wird in letzter Zeit stark hinterfragt, weil Soldaten oder Polizeibeamte durch Handlungsweisen aufgefallen sind, die als extremistisch bezeichnet werden könnten. Da in Deutschland seit vielen Jahren nur noch ein geringer Bezug zu sicherheitspolitischen Themen besteht, wird aus wenigen Fällen gleich ein strukturelles Problem gemacht.

Deshalb war es durchaus sinnvoll, schnell zu reagieren und eine erste Übersicht zu Verdachtsfällen anfertigen zu lassen. Die Federführung hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz. Abgefragt wurden die Fallzahlen beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), dem Militärischen Abschirmdienst (MAD), dem Bundeskriminalamt (BKA), dem Bundesnachrichtendienst (BND), der Bundespolizei, der Zollverwaltung und der Polizei beim Deutschen Bundestag. Darüber hinaus mussten die Landesbehörden des Verfassungsschutzes, die Landeskriminalämter und die Landespolizeibehörden ihre Zahlen liefern. Betrachtet wurde ein Zeitraum von Januar 2017 bis März 2020 - also mehr als drei Jahre.

Pressekonferenz Lagebericht zum Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden Haldenwang BfV Seehofer BMI Münch BKA Romann Bundespolizei
Pressekonferenz zum "Lagebericht - Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden" mit Innenminister Horst Seehofer

Schon beim flüchtigen Durchblättern des 100-seitigen Lageberichtes fallen die einstelligen und zweistelligen Verdachtszahlen auf. Gemessen an der Gesamtstärke der jeweiligen Behörden liegen die Vorkommnisse tief im Promillebereich. So hat beispielsweise die Bundespolizei 51.000 Kollegen, die in Deutschland und über 80 Staaten im Einsatz sind. Auf diese Kollegen entfallen 44 Verfahren wegen rechtsextremistischer Verdachtsfälle. Das entspricht 0,9 Promille. 31 dieser Fälle wurden intern angezeigt. Um Befangenheit wegen Korpsgeist auszuschließen, werden die Ermittlungen generell an Referenzbehörden wie die Landespolizei übergeben. BKA-Präsident Holger Münch bestätigte, dass auch das BKA keine internen Fälle ermittelt, sondern ebenfalls das LKA damit beauftragt. Interne Anzeigen seien kein Denunziantentum, so es um den Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) gehe. Die Bundespolizei sieht sich als "Familie" und hat eine Vertrauensstelle eingerichtet, bei der verschiedene Anliegen inklusive toxischer Leitung vorgetragen werden können. Wenn dort von Extremismus innerhalb der eigenen Reihen berichtet werde, lande das direkt auf dem Tisch des Bundespolizei-Präsidenten Dr. Dieter Romann.

Um das Thema ressortübergreifend bearbeiten zu können, wurde beim BfV eine zentrale Koordinierungsstelle eingerichtet. Dort laufen die Fäden zusammen. Diese Zentralstelle hat auch die Aufgabe, problematische Vernetzungen transparent zu machen. Die Sicherheitsüberprüfungen für Bewerber bei Polizei und Bundeswehr wurden intensiviert. Zudem wurden Schulungsformate entwickelt, die für eine Früherkennung extremistischer Denk- und Verhaltensmuster sensibilisieren.

Pressekonferenz Lagebericht zum Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden Haldenwang BfV Seehofer BMI Münch BKA Romann Bundespolizei
Pressekonferenz zum "Lagebericht - Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden" mit Verfassungsdienst-Chef Thomas Haldenwang

Das BfV arbeitet eng mit dem MAD zusammen. Der MAD ist für das Verteidigungsministerium und die Bundeswehr zuständig. Bei Reservisten wechseln je nach dessen Status die Zuständigkeiten zwischen BfV und MAD. Reservisten mit extremistischen Ambitionen geben der Statistik einen gravierenden Ausschlag. So hat der MAD im Auswertungszeitraum insgesamt 1.064 Verdachtsfälle ermittelt, von denen etwa 800 auf Reservisten entfallen.

Die Statistik zu den Landesbehörden wurde nach Bundesländern unterteilt. Hessen ist Spitzenreiter mit 59 Fällen, die 0,29% des Personals betreffen. Gemessen an der geringen Mitarbeiterzahl ist die Quote der Verdachtsfälle in Mecklenburg-Vorpommern mit 0,26% sehr hoch. Berlin folgt mit 53 Fällen, die 0,2% des Personals betreffen. Vorzeigebeispiel ist das Saarland mit null Fällen auf 3.200 Mitarbeiter. Im Saarland wird schon seit längerer Zeit die ergänzende Sicherheitsabfrage beim BfV vorgenommen. Bestandspersonal wird dort regelmäßig geschult und Negativerfahrungen im Dienstalltag möglichst professionell aufgearbeitet, damit sich daraus keine extremistischen Haltungen bei den Kollegen entwickeln.

Innenminister Horst Seehofer meinte in der heutigen Pressekonferenz zum "Lagebericht - Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden", dass er "null Komma null auf den Bericht Einfluss genommen" habe und "trotzdem ist er gut geworden". Verfassungsdienst-Chef Thomas Haldenwang freute dieses Lob. Durch die Abfragen in den einzelnen Behörden waren diese gezwungen, sich mit den eigenen Fallzahlen, Präventionsmaßnahmen, Detektionen (Erkennung) und Reaktionen zu beschäftigen. Der Lagebericht soll fortgeschrieben werden und durch Vergleichszahlen zukünftig entsprechende Trends aufzeigen.

Autor: Matthias Baumann

Montag, 5. Oktober 2020

Das Protokoll testet den BER

Bei bestem Fotowetter hatten sich heute sämtliche Akteure protokollarischer Anlässe in Schönefeld eingefunden. Der BER verfügt über ein eigenes Regierungsterminal, das in zwei Wochen den Bereich für Staatsempfänge in Tegel ablösen soll. Auf dem militärischen Teil des Flughafens Tegel werden dann nur noch einige Hubschrauber beheimatet sein, die per Sondergenehmigung von und nach Tegel fliegen dürfen. In Schönefeld werden in der Anfangsphase 60 Soldaten als Stammpersonal eingesetzt. Sobald der Regierungsbereich komplett ausgebaut ist, ziehen die Hubschrauber und die Flugzeuge der Flugbereitschaft BMVg nach Schönefeld um. Momentan werden die Flugzeuge in Köln/Bonn geparkt.

Heute jedenfalls waren das Protokoll des Auswärtigen Amtes, das Protokoll BMVg, Personenschützer des BKA, eine Motorradeskorte der Berliner Polizei und zwei Kompanien des Wachbataillons am BER und übten sämtliche Abläufe. Das protokollarische Drumherum beim Eintreffen und Abfliegen von Staatsgästen kann schon sehr komplex sein.

Protokoll Wachbataillon Test BER Regierungsterminal Flugbereitschaft BMVg
Die 4. Kompanie des Wachbataillons übt die Aufstellung des Ehrenspaliers am Regierungsterminal. - Foto: Bundeswehr / Zeichenstelle WachBtl BMVg

Deshalb gab es mehrere Start- und Landeszenarien mit einem simulierten Königspaar, der gedoubelten Kanzlerin sowie einer unechten Verteidigungsministerin. Bei Staatsbesuchen in der Vollversion - also den Anlässen, die mehrere Tage dauern und auch eine Kranzniederlegung an der Neuen Wache und ein Staatsbankett beinhalten - wird die Maschine des Gastes an der Staatsgrenze mit zwei Eurofightern eskortiert. Auch das wurde geübt - inklusive des lautstarken Überflugs nach der Landung.

Jede Landung ist eine Zitterpartie für den Teppichdienstleister. Wird die Tür des Flugzeugs genau an der Stelle stehen bleiben, wo der schwere Ballen mit dem roten Teppich liegt? Sobald die Maschine steht, wird der Teppich ausgerollt und die Treppe positioniert. Bei Erstbesuchen von Präsidenten und Monarchen ist noch ein Salutschießen vorgesehen. Traditionell werden 21 Schüsse abgefeuert. Das war früher in den Häfen auch so. Mit 20 Schüssen zeigte ein ankommendes Schiff, dass seine Bordkanonen leer sind und ein Schuss diente der Quittierung durch den Hafen. Diese 21 Schüsse absolvierte das Wachbataillon nun beim BER-Test. Dafür ist der Salutzug der 1. Kompanie zuständig.

Die 4. Kompanie des Wachbataillons ist die kleine, aber protokollarisch versierte Marinekompanie. Zur Feier des Tages hatte sie die Heeresuniform angezogen. Zum Aus- und Einsteigen sämtlicher Staatsgäste vom Monarchen bis zum Premierminister ist ein Ehrenspalier vorgesehen. Dieses besteht aus 2 x 13 Soldaten mit Karabiner und einem Kommandierenden. Es kann durchaus vorkommen, das Staatsgäste am Fahrzeug in längere Gespräche verwickelt werden und die Soldaten minutenlang im "Augen rechts" stehen müssen. "Rechts" bedeutet dabei, dass sie den Gast anschauen, egal ob er oben, unten, rechts oder links steht. Augen und Köpfe wandern mit. Das Anschauen des Gastes ist dabei wohl die geringere Herausforderung. Es geht eher um ein zitterfreies Halten des Gewehrs oder der Hand am Barett.

Protokoll Wachbataillon Test BER Regierungsterminal Flugbereitschaft BMVg
Die 4. Kompanie des Wachbataillons übt den Abmarsch des Ehrenspaliers am Regierungsterminal. - Foto: Bundeswehr / Zeichenstelle WachBtl BMVg

Die Motorräder der Landespolizei und der Konvoi mit den Fahrzeugen mussten die Wege von Ankunft und Abfahrt sowie die ideale Positionierung beim Halten trainieren. Auch da schleichen sich gerne mal Pannen ein. Ist der Gast Richtung City unterwegs oder hat sich die Tür des Flugzeugs hinter ihm geschlossen, marschiert das Ehrenspalier weg. Harte Arbeit für sämtliche Beteiligte stellen multilaterale Konferenzen dar. Es kommt dann vor, dass die eintreffenden Maschinen bewusst auf eine längere Anfahrtsstrecke auf dem Rollfeld geschickt werden. Das dient dazu, dass sich das Ehrenspalier und die Fahrzeug-Kolonnen neu positionieren können. Nicht selten muss das Ehrenspalier einen Sprint zum Wechsel einlegen. Das längere Rollen wird vom Gast aber eher in Kauf genommen, als ein zähes Warten am Haltepunkt.

Teilnehmer der heutigen Übung zeigten sich durchweg beeindruckt von den guten Ergebnissen. Vieles habe auf Anhieb geklappt. So könne man dem ersten scharfen Einsatz ruhigen Gewissens entgegensehen. Während deutsche Spitzenpolitiker bereits ab 21. Oktober 2020 von BER aus fliegen, wird der erste größere Staatsbesuch für Mitte November erwartet: Prinz Charles und Camilla. Ein würdiger Auftakt - diesmal mit einem echten Monarchen. Schade nur, dass die 5. Kompanie des Wachbataillons (Luftwaffe) beim Testlauf nicht dabei sein konnte. Sie trainieren gerade irgendwo im Grünen ihre infanteristischen Fähigkeiten.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 1. Oktober 2020

#MSC2021 "Zeitenwende | Wendezeiten" Munich Security Report in Berlin vorgestellt

Unter schweren Sicherheitsvorkehrungen fand heute die Präsentation des Munich Security Reports "Zeitenwende | Wendezeiten" statt. Die Sicherheitsvorkehrungen konzentrierten sich hauptsächlich auf die Anzahl der Teilnehmer, die Abstände der Sitzplätze und das liebevoll gestaltete Ambiente an den Plätzen. So war ein Aufstehen und Herumlaufen während der Veranstaltung nicht nötig: "Händewende | Wendehände" Desinfektion, ein Karton mit dem Lunch zum "Launch of the MSR Special Edition", Notizhefte, Kugelschreiber, Wasserflaschen, Kopfhörer und die Zettel mit Tischnummer und Adressfeld waren in greifbarer Nähe. Die MSC-Mitarbeiter liefen mit Gesichtsmasken und Handschuhen durch den Saal und desinfizierten regelmäßig die Mikrofone und das Rednerpult.

Das war die erste Präsenzveranstaltung der MSC (Münchner Sicherheitskonferenz) seit Corona. Wenige Wochen nach der #MSC2020 in München war der Lockdown durchgesetzt worden. Mitte Februar war in mäßig besuchten Side Events noch über das asiatische Problem Corona gesprochen worden. Kurz darauf hatten wir es selbst.

#MSC2021 - #MSR Munich Security Report "Zeitenwende | Wendezeiten" in Berlin vorgestellt
#MSC2021 - Munich Security Report MSR "Zeitenwende | Wendezeiten" im Deutschen Historischen Museum im Herzen Berlins vorgestellt. Auch wenn die Geschichte in den letzten sechs Jahren eine überhöhte Geschwindigkeit aufgenommen hat, referenzieren der Veranstaltungsort und der Titel des Reports auf 30 Jahre Deutsche Einheit.

Wie schnell sich weltpolitische Tatsachen ändern, zeigte dann auch das Eingangsstatement Wolfgang Ischingers. Er nahm die MSC im Februar 2014 als Markierung und skizzierte, was man damals noch nicht wusste: dass Russland die Krim annektiert, dass 2016 Donald Trump gewählt wird, dass Russland aktiv in Syrien eingreift, dass es den Brexit geben wird, dass Xi Jinping den chinesischen Kommunismus restauriert, dass 2015 die Flüchtlingskrise beginnt. 2014 ist gerade einmal sechs Jahre her. Die Weltpolitik entwickelt sich schneller, als so manch ein Staat inklusive Deutschland damit Schritt halten könnte.

Man müsse sich schnell und konsequent von den bisherigen "Lebenslügen" trennen. Davon, dass die USA schon auf uns aufpassen werden, dass die EU innenpolitisch die gleichen demokratischen Werte vertrete oder dass die westliche Kultur eine dauerhafte Leitkultur sei. Laut einer Umfrage habe es die Bevölkerung schon verstanden, dass wir uns in einem dramatischen Transformationsprozess befinden. Allein die Bundespolitik in Berlin sei noch in einem Stadium der Selbstverliebtheit gegenüber althergebrachten Arbeitsmethoden. Der Bericht "Zeitenwende | Wendezeiten" will die Politik aufrütteln und in eine Phase der Selbstreflexion schicken. Bisher leiste sich die Bundesregierung noch den Luxus eines "unsystematischen und unkoordinierten" Herangehens an globale Herausforderungen.

Diese Punkte wurden auch in der anschließenden Diskussionsrunde bestätigt. Im Zentrum stand weiterhin die Rolle Deutschlands in der Weltpolitik. Robin Niblett, Chef des Chatham House in London, lobte Deutschland für sein Engagement: Wenn Deutschland gebraucht werde, liefert es. Wenn Geld gebraucht werde, zahlt Deutschland. Auch wenn es Flüchtlingsströme zu bewältigen gebe, macht Deutschland einfach. Genau das sei "Leadership". Während Großbritannien durch den Brexit eher mit sich selbst beschäftigt ist, übernehme Deutschland als "Soft Power" Verantwortung.

Diese "Soft Power" gefällt Staaten aus dem Baltikum nur bedingt. So warf Kadri Liik aus Estland ein, dass softe Ansprache mit harter Power untermauert sein müsse. Der softe Umgang mit Russland spiele lediglich Putin in die Hände und mache die mögliche Stärke Europas unglaubwürdig. Estland datiert den Wendepunkt in der Russlandpolitik auf 2011 zurück. Damals war der Umbau auf eine Langzeitregierung Putins eingeleitet worden.

Auch Polen schaut auf Deutschland. Slowomir Debski vom Polnischen Institut für Internationale Angelegenheiten wirkte schon fast wie ein Kaninchen, das der Schlange begegnet, als er vom Abzug der amerikanische Truppen aus Europa redete. Polen braucht einen Ersatzpartner, der nach ihm schaut. Warum Polen dann immer wieder mit verschiedenen Sticheleien gegen Deutschland aufwartet und auch seine 800 neuen Panzer lieber in Südkorea als bei Krauss-Maffei Wegmann in München kaufen möchte, ist angesichts dieser Situation unklar.

Nathalie Tocci aus Rom forderte mehrfach zum Handeln auf. Deutschland übernehme zwar gerne die Kosten, scheue sich aber vor jeglicher Art des Risikos. Es werde über die wichtigen Themen nachgedacht, darüber geredet oder geschrieben. Aber es werde viel zu wenig getan. Deutschland müsse endlich aus seinem Schlaf erwachen. Ja, es gehe nach dem Aufrütteln durch "Zeitenwende | Wendezeiten" darum, dass Deutschland nicht wieder einschläft: "How to avoid falling back to sleep?"

Es ist nun an den etwa 70 Teilnehmern der heutigen Präsentation, diese Gedanken in ihren Netzwerken zu multiplizieren. Das Auswärtige Amt, Gesellschaften für Sicherheits- und Außenpolitik, Botschafter, Analysten, Greenpeace oder die Bundeswehr-Redaktion waren vor Ort und haben jede Menge Denkanstöße sowie Exemplare des 226-seitigen Munich Security Reportes mitgenommen.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 30. September 2020

Serenade zur Verabschiedung des ehemaligen Wehrbeauftragten Dr. Hans-Peter Bartels

Die Verabschiedung des Wehrbeauftragten Dr. Hans-Peter Bartels fand gestern Abend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dabei waren der Präsident des Bundestages, die Ministerin, sämtliche Staatssekretäre und die komplette militärische Führung zur Serenade im Bendlerblock erschienen. Während sich die Gäste auf dem Paradeplatz drängten, waren die Hauptstadtmedien mit Hinweis auf Corona und eine Feier im kleinen Kreise ausgeladen worden.

Serenade zur Verabschiedung des Wehrbeauftragten Bartels
Ellenbogen-Begrüßung zur Verabschiedung des Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels (links) - Foto: Bundeswehr / BMVg

So konnte die Presse nachempfinden, wie sich Hans-Peter Bartels gefühlt haben musste, als er von der eigenen Partei (SPD) gegen eine unerfahrene Frau ausgetauscht wurde. Der Volksmund redet von "abgesägt". Der ebenfalls durch eigene Leute der EKD "abgesägte" Militärbischof hatte Hans-Peter Bartels noch zu seinem Abschiedsgottesdienst in die Julius-Leber-Kaserne eingeladen. Dort bekam er von der Ministerin und den Anwesenden den Applaus, den ihm die eigene Partei verwehrt hatte. Hans-Peter Bartels war beliebt und geschätzt bei der Truppe und der Generalität. Er hatte Missstände in der Bundeswehr ungeschminkt und sachlich in seinen Berichten dargelegt.

Der Generalinspekteur schätzte diese Ehrlichkeit sehr, auch wenn sie gelegentlich geschmerzt hatte. Ehrlichkeit zeichnet ein realistisches Lagebild, welches mit geeigneten Maßnahmen "bereinigt" werden kann. So ermutigt der Generalinspekteur auch immer wieder Rekruten, Teilnehmer der Generalsstabslehrgänge und andere zu Authentizität und Ehrlichkeit. Es ist jedoch zu beobachten, dass je höher die Dienstgrade, umso vorsichtiger der Umgang mit der eigenen Meinung - auch wenn diese durch fachliche Expertise unterfüttert ist. 2018 war beispielsweise der Inspekteur der Luftwaffe, Karl Müllner, vorzeitig in den Ruhestand entlassen worden, weil er sich für den amerikanische F-35 statt für den Eurofighter eingesetzt hatte.

Serenade zur Verabschiedung des Wehrbeauftragten Bartels
Serenade zur Verabschiedung des ehemaligen Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels auf dem Paradeplatz des Bendlerblocks - Foto: Bundeswehr / BMVg

Hans-Peter Bartels ist 59 Jahre alt. Der gebürtige Düsseldorfer absolvierte sein Studium in Kiel und wurde ein Wahl-Schleswig-Holsteiner. Das gipfelte letztlich in einer Heirat der Kieler Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke. Kein Wunder also, dass als erstes Wunschstück der Serenade "Gruß an Kiel" von Friedrich Spohr auf dem Programm stand. Passend zum Ort seines Wirkens als Wehrbeauftragter wurde anschließend "Berliner Luft" von Paul Lincke gespielt. Er bleib geografisch, so dass als drittes Stück die Europahymne erklang.

Das Stabsmusikkorps war als Protokollaufstellung mit Spielmannszug erschienen. Dieser konnte die "Berliner Luft" mit einer "Locke" einleiten. Die Musiker hatten diesmal auch keine Notenpulte im Einsatz, sondern höchstens Marschgabeln, falls jemand die Stücke nicht auswendig spielen konnte. Flankiert wurde das Musikkorps durch 30 Fackelträger des Wachbataillons. Eine würdige Veranstaltung zum Abschied von einem kompetenten und ehrlichen Freund der Bundeswehr.

Autor: Matthias Baumann

Freitag, 25. September 2020

AKK auf Truppenbesuch bei den Heeresfliegern in Faßberg

Truppenbesuche mit Annegret Kramp-Karrenbauer haben den Charme, dass auch Action dabei ist. Bei ihrer Vorgängerin konnte man kilometerweit durch das Land reisen, um letztlich nur eine statische Vorführung vor die Linse zu bekommen. Statische Vorführung heißt, dass eine Kanone, ein Panzer, ein Container, ein Zelt, ein Bildschirm irgendwo hingestellt werden und die Protagonisten des Termins das erklärt bekommen. Alles ohne Knall und Peng. Auch in diesem Bereich setzt AKK neue Akzente. Im Programm für den Truppenbesuch in Faßberg stand "Vorstellung Waffensystem NH90" - wie langweilig, wenn es denn als Static Display (statische Vorführung) stattgefunden hätte. Vor Ort erfuhren wir, dass tatsächlich ein Szenario mit fliegenden Hubschraubern vorbereitet worden war.

AKK Truppenbesuch Heeresflieger Transporthubschrauberregiment 10 Fliegerhorst Faßberg
AKK zum Truppenbesuch bei den Heeresfliegern: Transporthubschrauberregiment 10 auf dem Fliegerhorst Faßberg - Sicherungshubschrauber mit Besatzung

Stichwort "fliegende Hubschrauber": Bereits im letzten Jahr war eine groß angelegte Hubschrauber-Übung (Green Griffin) im Großraum Uelzen durchgeführt worden - ganz in der Nähe des heutigen Schauplatzes. Über die zwei Wochen Green Griffin gab es so gut wie keine Ausfälle. Auch die Interaktion zwischen deutschen und niederländischen Soldaten hatte hervorragend funktioniert. "Luftbewegliche Truppen" wie Fallschirmjäger gehören nicht etwa zur Luftwaffe, sondern zum Heer. Ihre Besonderheit besteht in der Art, wie sie einen Weg von A nach B zurücklegen. Deshalb unterhält auch das Heer eigene Flugzeuge und Hubschrauber. Heeresflieger sind gelegentlich dem Neid und Spott ihrer bodenbehafteten Kameraden ausgesetzt. Das stört auf dem Fliegerhorst Faßberg aber niemanden. Dort leben sie in konstruktiver Gemeinschaft mit einem Ausbildungszentrum der Luftwaffe zusammen.

In Faßberg ist ein komplettes Regiment der Heeresflieger stationiert: das Transporthubschrauberregiment 10 - kurz TrspHubschrRgt 10. Ein Regiment gleicht von der Mannschaftsstärke und der Aufteilung in Kompanien durchaus einem Bataillon. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass ein Regiment alle Fähigkeiten besitzt, um selbständig und ohne externe Kräfte agieren zu können. Ein Bataillon ist immer noch auf externe Ergänzungen angewiesen.

AKK Truppenbesuch Heeresflieger Transporthubschrauberregiment 10 Fliegerhorst Faßberg
AKK zum Truppenbesuch bei den Heeresfliegern: Transporthubschrauberregiment 10 auf dem Fliegerhorst Faßberg - Die Ministerin blickt durch einen NH90 - im Vordergrund eines der beiden Maschinengewehre 12,7 mm

Die Ministerin kam heute nicht mit dem üblichen Hubschrauber Cougar, sondern mit einer kleinen Düsenmaschine aus der Global-Baureihe von Bombardier eingeflogen. Auf dem Rollfeld wurde sie von den zuständigen Offizieren und einigen Politikern begrüßt. Der Kontakt zu regionalen Entscheidungsträgern ist wichtig für das Klima zwischen Bundeswehr und Anwohnern.

Nach einem kurzen Gespräch mit dem stellvertretenden Kommandeur des Regimentes ging es auch schon los: Zwei Hubschrauber NH90 donnerten über das Rollfeld. Der erste Hubschrauber sicherte das Areal aus der dritten Dimension (Luft) mit Präsenz und zwei schweren Bordmaschinengewehren 12,7 mm. Der zweite NH90 war für die Aufnahme eines Verletzten zuständig. Er landete und wurde am Boden von Besatzungsmitgliedern mit G36 gesichert. Nach 40 Sekunden schloss sich die Klappe hinter dem Verletzten und der NH90 konnte wieder abheben. Flankiert durch den Sicherungshubschrauber flog er zu einer geeigneten Stelle, an der er den Patienten an den Sanitätsdienst übergeben konnte. Dieses Szenario wird oft geübt, weil es dem Alltag in Mali und Afghanistan entspricht.

AKK Truppenbesuch Heeresflieger Transporthubschrauberregiment 10 Fliegerhorst Faßberg
AKK zum Truppenbesuch bei den Heeresfliegern: Transporthubschrauberregiment 10 auf dem Fliegerhorst Faßberg - Statement zum Truppenbesuch vor einem NH90

So interessierte sich die Ministerin in den anschließenden Gesprächen sehr für die persönliche Betroffenheit der Soldaten im Auslandseinsatz. Auch fragte sie nach der Zufriedenheit mit Material und Flugstunden. Sie bekam darauf ehrliche Antworten und das Hausaufgabenheft füllte sich. In ihrem Statement dankte sie den Soldaten und freute sich über gewisse Teilerfolge, die bei der Ausrüstung schon erzielt wurden. Auch für 2021 konnte der Verteidigungshaushalt nominell gesteigert werden. Der NH90 wird in der Kabinettsvorlage explizit erwähnt - allerdings als Marinehubschrauber. Im Fokus des neuen Haushaltes stehen Rüstungsbeschaffung und Digitalisierung. Annegret Kramp-Karrenbauer wird nicht müde, dieses Thema ins Bewusstsein ihrer Politikkollegen zu bringen.

Autor: Matthias Baumann

Video: Truppenbesuch beim TrspHubschrRgt 10 (Heeresflieger) auf dem Fliegerhorst Faßberg

Donnerstag, 24. September 2020

Serenade für die Generale Markus Kneip, Ludwig Leinhos und Erhard Bühler

Heute Abend findet auf der Hardthöhe in Bonn eine Serenade zur Verabschiedung von drei Generalen statt. Besonders Generalleutnant a.D. Bühler sollte das freuen. War er doch nach 44 Dienstjahren im Mai ohne Sang und Klang in den Ruhestand verabschiedet worden. Corona hatte seinen Großen Zapfenstreich im Bendlerblock verhindert. Seit der Panne mit der medienwirksamen Lieferung von 10 Millionen Schutzmasken ist die Bundeswehr sehr vorsichtig, was Hygieneregeln angeht. Das setzte sich bis zum traditionellen Gelöbnis am 20. Juli fort. Auch dieses fand als mikroskopische Version im Stauffenberg-Saal des Ministeriums statt.

Corona-Zapfenstreich

Inzwischen ist der Umgang mit der Pandemie zum Alltag geworden, man arrangiert sich mit den Regeln und entwickelt neue Formate. "Leben in der Lage" sozusagen. Die neuen Formate enthalten bewährte Teile und nehmen auf die Hygiene Rücksicht. So marschieren die Formationen entweder in einem sicheren Abstand ein und aus oder tragen während des Marsches eine Mund-Nasen-Bedeckung. Dann "fächern sie sich auf" und stehen in bis zu zwei Metern Abstand.

Serenade für die Generale Markus Kneip, Ludwig Leinhos und Erhard Bühler
Serenade für die Generale Markus Kneip, Ludwig Leinhos und Erhard Bühler (Foto: Archiv 09/2019)

Auch die heutige Serenade in Bonn ist keine der gewohnten Serenaden. Sie ist ein Mix aus Großem Zapfenstreich und Serenade. Das Wachbataillon reist dazu mit 70 Fackelträgern an und veranstaltet den ersten Life-Test für den Corona-Zapfenstreich. Es gibt aber noch weitere Besonderheiten: Diesmal werden drei liebevoll gebastelte Urkunden übergeben - für jeden General eine. Zudem werden acht Wunschstücke gespielt. Die drei mal drei Wünsche hatten sich wohl überschnitten.

General Markus Kneip

General Markus Kneip ist einer der wenigen Generale, die mit vier Sternen auf der Schulter verabschiedet werden. Wer ihn persönlich kennt, beschreibt ihn als sportlichen und zähen Kameraden. 2011 wurde in Afghanistan ein Sprengstoffattentat auf ihn verübt. Sein Personenschützer Tobias Langenstein wurde dabei getötet und Markus Kneip schwer verletzt. Der drahtige Mann erholte sich innerhalb eines Jahres und ging wieder nach Afghanistan. Mit dieser Einstellung wurde er ein Vorbild für viele Bundeswehrangehörige. Tobias Langenstein gehörte zu einem Feldjägerkommando aus Bremen. Seit 2018 trägt eine Kaserne in Hannover seinen Namen. Die letzte dienstliche Station brachte Markus Kneip als Chef des Stabes des Allied Command Operations der NATO zum Supreme Headquarters Allied Powers Europe nach Mons/Belgien. Solch ein Dienstposten ist dann auch einen vierten Stern wert.

Generalleutnant Ludwig Leinhos

Seine beiden Kameraden Leinhos und Bühler hatten es nur zu drei Sternen geschafft: Generalleutnant. Ludwig Leinhos und Erhard Bühler hatten mehrere NATO-Posten inne, was ein geeignetes Sprungbrett in höhere Dienstgrade darstellt. Ludwig Leinhos kam schon recht früh mit Fernmeldewesen und IT in Berührung. Deshalb war er prädestiniert für den Aufbau des Kommandos Cyber-Informationsraum (CIR). Dieses ging 2017 als eigenständiger Organisationsbereich an den Start. Es gibt übrigens einen Unterschied zwischen Teilstreitkraft und Organisationsbereich: Teilstreitkräfte (TSK) sind Heer, Luftwaffe und Marine. Organisationsbereiche sind die Streitkräftebasis, der Sanitätsdienst und neuerdings auch CIR. Ludwig Leinhos war sozusagen Architekt, Erbauer und erster Inspekteur des Organisationsbereiches CIR.

Generalleutnant Erhard Bühler

Erhard Bühler hatte bei der Panzertruppe und in Auslandseinsätzen seine Erfahrungen gesammelt. 2017 stand er hoch im Kurs als Chef des EU-Militärausschusses. Das wusste Frankreich zu verhindern. Die Grande Nation wollte lieber einen Vertreter ihres Landes auf diesem Platz sehen. Deshalb präsentierten sie General Denis Mercier. Letztlich landete der Italiener Claudio Graziano auf diesem Platz - ein sehr umgänglicher 4-Sterne-General. Erhard Bühler ging dann als Befehlshaber des Allied Joint Force Command (JFC) ins belgische Brunssum. Im April wurde er dort durch Generalleutnant Jörg Vollmer, den ehemaligen Inspekteur des Heeres, abgelöst und anschließend in den Ruhestand verabschiedet.

Autor: Matthias Baumann

Video: Serenade für die Generale Kneip, leinhos und Bühler auf der Hardthöhe in Bonn

Samstag, 12. September 2020

Indo-Pazifik-Leitlinien und die maritime Präsenz Deutschlands in Südostasien

Mitte Juli führte das IISS (International Institute for Strategic Studies) eine Webkonferenz mit dem amerikanischen Verteidigungsminister Mark T. Esper durch. Interessierte Teilnehmer konnten Fragen stellen und sich über die neuesten sicherheitspolitischen Vorhaben der USA im indo-pazifischen Raum informieren. Mark T. Esper und sein Kollege Pompeo (Außenminister) haben seit vielen Monaten ein zentrales Thema: China. Das Feindbild China treibt zuweilen so viel Adrenalin in die amerikanische Politik, dass der damit verbundene Tunnelblick regelmäßig alte Partner und andere Weltregionen ausblendet. Die Webkonferenz fand jedoch in einer entspannten Atmosphäre statt, so dass die gesamte Region des Indo-Pazifik wahrgenommen wurde. Der Minister skizzierte drei Säulen als Grundlage amerikanischer Indo-Pazifik-Politik:

  • Vorbereitet sein
  • Partnerschaften ausbauen
  • Partner miteinander vernetzen

Vorbereitet sind die USA bereits durch ein massives Aufkommen von Kriegsschiffen in der Nähe des Südchinesischen Meeres. Diese nehmen regelmäßig an Übungen teil und zeigen Präsenz. "Show of Force" (Gewalt zeigen) nennt sich solch eine Präsenz, die eher zur Abschreckung als zum eigentlichen Eingriff dienen soll. Die Aktivitäten Chinas im Südchinesischen Meer beunruhigen Staaten wie Vietnam, die Philippinen, Malaysia, Indonesien, Taiwan und auch Japan. China baut dort konsequent Inseln zu Militärstützpunkten aus. Damit erhöht es die Reichweite seiner Waffensysteme und die Präsenz in Gewässern, die auch von anderen Nationen zu Fischereizwecken genutzt werden.

Indo-Pazifik-Leitlinien und die maritime Präsenz Deutschlands in Südostasien
Indo-Pazifik-Leitlinien durch das Bundeskabinett verabschiedet - Es geht um offene Seewege, offene Märkte und Freihandel. Wer fängt wen im Indo-Pazifik?

China redet offen über seine Ziele. Man muss nur zuhören. So will China spätestens 2049 wieder Kriege gewinnen. Damit wird China zu einem Problem, das nicht nur die USA betrifft. Deshalb war die Liste der möglichen Partner Amerikas sehr lang. Mark T. Esper wurde gar nicht mehr fertig mit seiner Aufzählung, die von Japan bis Singapur reichte. Um bilaterale Beziehungen zwischen den USA und diesen Partnern auch als tragfähiges Netz zu etablieren, werden auch die Verflechtungen untereinander gefördert. Im Interesse gegenüber China verschwinden dabei Grenzen von Religionen und Wirtschaftssystemen. Plötzlich sitzen Buddhisten, Hinduisten, Moslems, Christen, Kommunisten, Sozialisten und westlich geprägte Demokratien in einem Boot.

Am 2. September 2020 - also eineinhalb Monate später - verabschiedete das Bundeskabinett seine eigenen Indo-Pazifik-Leitlinien. Diese ähneln den amerikanischen Anliegen durchaus. Mit China geht man allerding in der Formulierung etwas gemäßigter um. Dennoch zeigt sich die Bundesregierung besorgt über die Wahrung deutscher Interessen in der Region. Zu nennen wären hier: Frieden, Sicherheit, offene Seewege, offene Märkte, Freihandel und Umweltschutz. Diese Interessen sollen unter Beachtung folgender Regeln durchgesetzt werden: Handeln im Verbund der EU, Multilateralismus, regelbasierte Ordnung, Menschenrechte, Einbeziehung regionaler Akteure sowie Partnerschaft auf Augenhöhe.

Die regionalen Partner entsprechen in etwa der Aufzählung von Mark T. Esper. Dennoch wolle die Bundesregierung gemäß eines Sprechers des Auswärtigen Amtes mit allen Partnern gleichermaßen kooperieren. Das beziehe zwar die USA als Pazifikstaat ein, gewähre ihr jedoch keine bestimmende Rolle.

Indo-Pazifik-Leitlinien und die maritime Präsenz Deutschlands in Südostasien
Indo-Pazifik-Leitlinien durch das Bundeskabinett verabschiedet - Deutschlands Marine auf dem Weg nach Asien?

Interessant ist in den Indo-Pazifik-Leitlinien das mehrfache Vorkommen der "maritimen Präsenz". Die "maritime Präsenz" ist militärisch zu verstehen. Sie soll bei der Bekämpfung der Piraterie, beim Abschneiden von Bewegungsrouten des internationalen Terrorismus, zur Sicherung offener Seewege und für Seemanöver dienen. Dass der Indo-Pazifik für das Verteidigungsministerium ein ernstes Thema ist, zeigt sich daran, dass sich die Ministerin am Donnerstag mit Botschaftern der ASEAN-Staaten getroffen hat. Dabei betonte sie den maßgeblichen Einfluss ihres Ministeriums auf die Verfassung der Indo-Pazifik-Leitlinien.

Das sportliche Anbieten maritimer Präsenz veranlasste zur Nachfrage, bis wann denn die Marine in der Lage wäre, solch eine Aufgabe personell und materiell zu leisten. Die Marine ist mit ihren knapp 16.000 Soldaten immerhin die kleinste Teilstreitkraft in Deutschland. Die Marine verfügte 2019 über sechs U-Boote, sieben Fregatten und acht Zerstörer. Wenn Frankreich als Partner mitzieht, würden 35.000 Soldaten, neun U-Boote, ein Flugzeugträger, elf Zerstörer und elf Fregatten dazukommen. Das sind Zahlen, deren Vergleich mit China der Volksmund mit dem Attribut "nett" belegen könnte. China hat 250.000 Marinesoldaten, 59 U-Boote, einen Flugzeugträger, 28 Zerstörer und 52 Fregatten.

Man kann also gespannt sein, wie sich das gegenseitige "Show of Force" noch entwickelt. Dass deutsche Schiffe so bald ins Südchinesische Meer aufbrechen, sei laut Verteidigungsministerium nicht zu erwarten. Bis dahin könne man in Ruhe die notwendigen Fähigkeiten aufbauen. Letztlich müsse die Mandatierung eines solchen Einsatzes trotz der verabschiedeten Leitlinien noch durch die parlamentarischen Instanzen laufen.

Autor: Matthias Baumann

Samstag, 5. September 2020

Corona, Querdenker und fremde Mächte

Am letzten Samstag fanden in der City von Berlin wieder Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen statt. Organisiert wurde das maßgeblich von der Initiative "Querdenken 711" aus Stuttgart. Pressekollegen aus Berlin hatten den Anlass gemieden und den Samstag lieber auf der heimischen Terrasse, im Umland oder auf dem Balkon verbracht. Freunde und Bekannte wollten sich auch nicht in das Getümmel stürzen und verbrachten den Tag an der urbanen Peripherie.

Umso präsenter stellte sich die gesellschaftliche Peripherie in der City dar. Nach G20 in Hamburg war kaum noch etwas los in Deutschland. Endlich wieder Randale und das möglichst in einer Stadt, zu der man selbst keine Beziehung hat. Im Fahrwasser der schwäbischen Demo tummelte sich eine wahre "Melange" (Mischung) verfassungsrechtlich bedenklicher Akteure. Je nach inhaltlichem Schwerpunkt des Betrachters fielen diesem schwarz-weiß-rote Reichsfahnen, eine Fahne der Türkei oder zwei Fahnen der USA auf. An den Spitzen der Fahnen waren oftmals noch aufblasbare oder aus Pappe gebastelte Buchstaben "Q" zu sehen. Q wie Q-Anon oder Querdenken 711.

Verschwörungsgeschichten

Q-Anon ist nur eine von vielen Verschwörungsgeschichten, die derzeit unser Land überschwemmen. Demokratische Prozesse, Entscheidungsverantwortung und Meinungspluralität sind den Bürgern wohl zu anstrengend geworden, so dass diktatorische Zustände und in sich geschlossene Deutungssysteme wieder attraktiv erscheinen. Deren Anhänger zeigen bereits religiöse Anwandlungen und einen entsprechenden Fanatismus bei der Verteidigung ihrer elitären Erkenntnisse - und seien sie noch so abstrus.

Der Phantasie der Erfinder von Verschwörungstheorien sind keine Grenzen gesetzt. Hauptsache, die Story ist in sich schlüssig. Zielpublikum gibt es genug. Deshalb lassen sich Verschwörungsgeschichten auch gut als Geschäftsmodell aufziehen. Es muss lediglich auf vorhandene Missstände hingewiesen und dazu ein Schuldiger definiert werden. Ob der benannte Schuldige tatsächlich verantwortlich ist, spielt keine Rolle. Durch die Jagd auf diesen Einen wird von den ursprünglichen Problemen abgelenkt, ein gutes Gefühl des "Wir tun etwas" erzeugt und die initialen Missstände nicht gelöst. Wie simpel diese Theorien gestrickt sind, wird schon dadurch deutlich, dass bis heute "der Jude" den Platzhalter des Schuldigen ausfüllt. Die Dynamik entwickelt sich fast von selbst und am Ende will keiner die Verantwortung für die nicht erfolgte Lösung der Probleme und den Zusammenbruch des verqueren Denkgebildes tragen.

Ich sehe was, was du nicht siehst.

Während die Bundesregierung auf breiter Front erschüttert über die Fahnen des Deutschen Reiches war, relativierten das andere Beobachter mit den ein bis drei Fahnen der Türkei und der USA. Blind schienen jedoch die meisten gegenüber der überproportional hohen Anzahl russischer Fahnen zu sein: weiß-blau-rot als Fahne, weiß-blau-rot mit Adler, weiß-blau-rot am Rucksack, weiß-blau-rot kombiniert mit Querdenken-Fahne. Was haben so viele Russland-Fahnen auf einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen zu tun?

In sämtlichen sicherheitspolitischen Publikationen über den Cyber-Informationsraum (CIR) ist zu lesen, dass Russland hochentwickelte Fähigkeiten auf diesem Gebiet hat und diese auch konsequent und aggressiv einsetzt. Die baltischen Staaten arbeiten schon seit vielen Jahren an ihrer Resilienz gegenüber der Einflussnahme "fremder Mächte" in ihre Innenpolitik. Russland geht dabei sehr kreativ vor. Es beschäftigt behördliche und externe Kräfte mit der Beeinflussung von Diskussionen in sozialen Netzwerken sowie dem Verbreiten von Fake News und Halbwahrheiten. Russland unterfüttert medial und finanziell antidemokratische Kräfte in der EU und versucht damit den politischen Gegenpol an seiner Westflanke zu schwächen.

Die Frage nach der Zuständigkeit

Laut Aussage eines Sprechers des Innenministeriums habe man die Desinformationskampagnen zwar auf dem Radar, man solle sie aber nicht überbewerten. Die Bundesregierung sieht den Aufbau einer entsprechenden Resilienz in Deutschland als Querschnittsaufgabe. Wie bei Querschnittsaufgaben üblich, versanden diese, falls nicht jemand die Initiative zu deren Koordinierung ergreift. Dass in Deutschland tatsächlich kaum etwas in dieser Richtung getan wird, zeigen die Indizien und der jüngste Bericht der SWP (Stiftung Wissenschaft und Politik) über militärische Cyber-Operationen. Gerne wird auf die Geheimhaltung verwiesen. Dennoch entfalten auch geheime Aktionen zumeist sichtbare Wirkungen. Die Bundeswehr mit ihrem Kommando CIR darf in Bezug auf Desinformation gar nicht aktiv werden. Zuvor müssten die verfassungsrechtlichen und ethischen Grundlagen im Bundestag diskutiert werden. Kostbare Zeit, die angesichts der aktiven Einflussnahme russischer Akteure nicht zur Verfügung steht.

Apropos Verfassaung: Die wenigen Polizisten, die am Samstag den Eintritt der Demonstranten in den Bundestag verhindert haben, können von Glück reden, dass das eine unorganisierte und spontane Aktion war. Die beiden Polizisten mit ihren Stöcken hätten für trainierte Kampfsportler nur eine bedingte Hürde dargestellt. Jetzt werden sie als Helden gefeiert und durften am Montag sogar den Bundespräsidenten besuchen.

In Sicht auf die überforderte Bundespolizei kam die Frage auf, unter welchen Bedingungen das Wachbataillon zur Unterstützung am Reichstag eingesetzt werden könne. Immerhin ist der Schutz des Regierungssitzes Bestandteil von dessen Auftrag. Während des Corona-Lockdowns hatten Soldaten des Wachbataillons verschiedene Unterstützungsleistungen erbracht: Hilfsmitteltransporte, Objektschutz am Bundeswehrkrankenhaus und ähnliches. Warum dann nicht auch Präsenz zeigen am Reichstag? Es muss ja nicht gleich mit dem Transportpanzer Fuchs und auflafettierter Granatmaschinenwaffe vorgefahren werden. Dazu die Antwort eines Sprechers der Bundeswehr: "Eine Unterstützung durch das Wachbataillon für den Schutz des Regierungssitzes unter Inanspruchnahme hoheitlicher Zwangs- und Eingriffsbefugnisse müsste verfassungsrechtlich ausdrücklich zugelassen sein. Außerhalb eines Inneren Notstandes, des Spannungs- oder Verteidigungsfalles oder eines besonders schweren Unglücksfalles katastrophischen Ausmaßes ist dies nicht zulässig."

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 2. September 2020

Peter Tauber besucht die Logistikschule in Garlstedt

Jedes Jahr durchlaufen etwa 13.000 Teilnehmer über 220 Trainingstypen an der Logistikschule der Bundeswehr im niedersächsischen Garlstedt. Wie diese Ausbildung auch unter Corona-Hygienemaßnahmen funktioniert, darüber machte sich heute der parlamentarische Staatssekretär Dr. Peter Tauber ein Bild vor Ort.

Nachdem er vom Kommandeur der Logistikschule, Brigadegeneral André Denk begrüßt und in den Auftrag der Schule eingewiesen worden war, ging es zur ersten Besichtigungsstation, dem logistischen Übungszentrum. Hier zeigte der stellvertretende Leiter dieses Bereichs, Oberstleutnant Christoph Schladt, dem Besucher die einsatznahe Ausbildung von Soldatinnen und Soldaten, die in Kürze ihren Dienst im Auslandseinsatz - beispielsweise in Mali - versehen werden.

Bei dieser Station stellte Dr. Tauber fest, dass die Ausbildungsansprüche an die Truppe in den letzten Jahren deutlich gestiegen seien. Die Bundeswehr von heute muss sich neben der Ausbildung der Einsatzkontingente für Auslandseinsätze auch vermehrt der gewachsenen Herausforderung der Bündnis- und Landesverteidigung stellen.

Peter Tauber besucht die Logistikschule LogSBw in Garlstedt
Peter Tauber besucht die Logistikschule der Bundeswehr (LogSBw) in Garlstedt - hier beim Funktionstest eines Bergepanzers - Foto: Andreas Plaggenmeier
Danach ging es in den technischen Bereich, also den Ort der Schulgeländes, an dem das schwere Gerät und die Fahrzeuge untergebracht sind. Dort wurde der Gast von Oberst Klaus-Dieter Betz, Leiter Bereich Lehre und Ausbildung sowie stellvertretender Kommandeur der Logistikschule, umfangreich eingewiesen. Das hierzu eingesetzte Fahrzeug, ein Schwerlasttransporter, veranschaulichte die Schwere der Aufgabe, der sich alle Beteiligten stellen.

Einen Einblick in die praktische Ausbildung erhielt der Staatssekretär dann an in den folgenden Stationen. Als erstes wurde die Ausbildung am Containerstapler ORION präsentiert, ein geländegängiges Fahrzeug, welches sowohl als Gabelstapler als auch als Containerumschlagfahrzeug genutzt werden kann. Hier fragte Dr. Tauber beim  Ausbildungsleiter nach, ob man mit dem Gerät zufrieden sei: Ja! Die Herausforderungen beim Umgang lägen unter anderem in den motorischen Fähigkeiten des Bedienungspersonals.

Ein deutlich schwereres Fahrzeug wurde dann an der nächsten Station präsentiert. Der Bergepanzer 3 ist ein Kettenfahrzeug, das unter Gefechtsbedingungen ausgefallene Panzer bergen kann. Hier ließ es sich Dr. Tauber nicht nehmen, den 12-Zylinder-Motor aus dem Leopard 2 einem Funktionstest zu unterziehen. Nach Einweisung durch Fachpersonal natürlich.

Ein schönes Beispiel für ein gelungenes Rüstungsprojekt konnte dann an der letzten Station besichtigt werden. Im Jahr 2017 bestellte das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr insgesamt 33 Bergekranfahrzeuge G-BKF, deren Auslieferung vor kurzem zeit- und budgetgerecht begann. Die Logistikschule der Bundeswehr bildet nun die Soldaten aus, die später in der Truppe die eigentlichen Besatzungen der Fahrzeuge schulen.  Auch hier ließ es sich Dr. Tauber nicht nehmen, das neue Fahrzeug einem ausführlichen Funktionstest zu unterziehen.

Video:
Dr. Peter Tauber an der LogSBw in Garlstedt

Gastbeitrag: Andreas Plaggenmeier