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Freitag, 18. Dezember 2020

Bundeswehr will bis 2027 auf 203.000 Soldaten und knapp 70.000 zivile Mitarbeiter anwachsen

Wer möchte nicht während Corona ein gesichertes Einkommen haben? Ärzte, Pfleger, Telefonanbieter und Beschäftigte im Öffentlichen Dienst genießen diese Sicherheit. Besonders innovativ wirbt die Bundeswehr um beruflichen Nachwuchs. Deren Social-Media-Kanäle stellen alle anderen Behördenkanäle in den Schatten. Es gibt Kampagnen wie DIE REKRUTINNEN oder andere Maßnahmen wie die freie Fahrt per Bahn - vorausgesetzt man trägt seine werbewirksame Uniform. Nach eigenen Angaben gilt die Bundeswehr bei Schülern als einer der beliebtesten Arbeitgeber.

In ihrer Mittelfristigen Personalplanung (MPP) hat sich die Bundeswehr nun auf eine Zahl von 203.000 Soldaten bis 2027 festgelegt. Das sind 10% mehr als jetzt. Das zivile Personal soll um etwa 2.000 Stellen auf knapp 70.000 anwachsen. Damit sollen ehemalige Einrichtungen wiederbelebt, ein Militärrabbinat etabliert, der Militärische Abschirmdienst (MAD) ausgebaut und die Kommandostruktur der NATO gestärkt werden.

Bundeswehr will bis 2027 auf 203.000 Soldaten und knapp 70.000 zivile Mitarbeiter anwachsen
Bundeswehr will bis 2027 auf 203.000 Soldaten und knapp 70.000 zivile Mitarbeiter anwachsen

Fachkräfte aus der freien Wirtschaft beklagen, dass die Einstiegstests nicht auf Berufserfahrene angepasst seien. So werde in den Tests Abiturwissen abgefragt, das schon lange als redundant aus dem Langzeitgedächtnis gestrichen wurde. Das schafft Raum für Schulabgänger, die dann von Grund auf bei der Bundeswehr ausgebildet werden. Die hartnäckig verbreitete Erzählung vom Fachkräftemangel offenbart sich auch bei anderen Behörden als weniger dringlich. Hat sich nämlich eine Fachkraft entschieden, den Gewinn von Sicherheit mit einem finanziellen Abstieg zu bezahlen, ist da noch die Hürde des Scheins. Der Nachweis über eine theoretische Befähigung spielt in der Regel eine größere Rolle als Berufserfahrung und Führungsqualität. Länder wie Griechenland zeigen ohnehin, dass eine zu hohe Anzahl Beschäftigter im öffentlichen Dienst zu einer finanzpolitischen Schieflage führt.

Personalstärke ist nicht alles. Vieles kann heute automatisiert werden - auch bei der Bundeswehr. Eine Reaktivierung der Wehrpflicht ist nicht geplant. Die MPP 2027 geht wohl außerdem von einer gleichbleibenden Bedrohungslage nach Corona aus. Experten aus sicherheitspolitischen Denkfabriken sehen das anders. Die Pandemie hat jetzt schon Weichen gestellt. Fragt sich nur, wie weitsichtig, schnell und flexibel der Bundestag mit seinem letzten Wort darauf reagieren kann und will.

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 15. Dezember 2020

Indo-Pazifik-Leitlinien: Japan als 3. Station der virtuellen Asienreise von AKK

Es gehe nicht darum, sich gegen jemanden zu positionieren, war eine der ersten Aussagen der Ministerin bei ihrem heutigen virtuellen Besuch in Japan. Man trete für Wohlstand und eine regelbasierte Ordnung ein. Nicht das Recht des Stärkeren solle dabei zur Geltung kommen, sondern friedliche, regelbasierte, diplomatische Lösungen. Was aber, wenn nicht alle bei diesen Spielregeln mitmachen? So sei inzwischen eine "Konkurrenz zu spüren".

Indo-Pazifik-Leitlinien: Japan als 3. Station der virtuellen Asienreise von AKK
Japan als 3. Station der virtuellen Asienreise von AKK zu den Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung - Japans Verteidigungsminister Nobuo Kishi hatte sein Büro mit einem stilechten Buddy-Bären dekoriert. Sein Staatssekretär hatte ein T-Shirt des FC Augsburg und ein Plakat zur "Sendung mit der Maus" im Hintergrund aufgehängt.

Auch Japan zeigte sich in der heutigen Videokonferenz sehr erfreut über die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung, setzt aber auch hohe Erwartungen in deren Umsetzung. Insbesondere die Ankündigung "maritimer Präsenz" weckt große Hoffnungen bei Japans Verteidigungsminister Nobuo Kishi. So begrüßte er die angekündigte Entsendung deutscher Marineschiffe in die Region. Welche Art Schiffe in welcher Anzahl das sein werden, ist allerdings noch offen. In der Videokonferenz mit Singapurs Verteidigungsminister war die Rede von einer Entsendung in 2021. Als Dämpfung der Euphorie könnte gewertet werden, dass AKK heute nur von Marineoffizieren redete, die bei Partnern in der Region mitfahren. Auch könne Deutschland nur ein "Zeichen der Verbundenheit" geben. Immerhin habe man noch verschiedene andere Verpflichtungen im Rahmen der NATO zu erfüllen.

Zurzeit schauen viele Regionen der Erde auf Europa und warten sehnsüchtig darauf, dass Deutschland endlich seine Führungsrolle übernimmt. Das "Zeichen der Verbundenheit" könnte wieder zur Enttäuschung für Partner werden. Deutschland wird zunehmend Unentschlossenheit und ein weites Zurückbleiben hinter seinem Potenzial attestiert. AKK sprach von dem Spagat, den Deutschland machen müsse, um mit China einerseits als strategischem Partner und andererseits als systemischem Rivalen umgehen zu müssen. Die bisherige Strategie deutscher Außen- und Sicherheitspolitik war eher von Harmoniebedürfnis geprägt - eine Strategie von "guter Bulle" und "schlechter Bulle". Mit robusten Aufgaben konnten sich die Briten, Franzosen oder Amerikaner unbeliebt machen, während Deutschland dann als Aufbauender mit viel Geld hinterherkam. Zur Entlastung sei gesagt, dass Briten, Franzosen und Amerikaner ganz andere Entscheidungswege haben: Wenn dort der Präsident oder Premierminister etwas entscheidet, wird es eben umgesetzt. In Deutschland muss es erst einmal durch den Bundestag und kommt letztlich als weichgespülte Kompromisslösung zur Anwendung.

Indo-Pazifik-Leitlinien: Japan als 3. Station der virtuellen Asienreise von AKK
Japan als 3. Station der virtuellen Asienreise von AKK zu den Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung - In Deutschland war die Videokonferenz um 9 Uhr gestartet. In Japan war es in demselben Moment bereits 17 Uhr. Diese Videokonferenzen haben den Vorteil, dass die Reisekosten entfallen und dass mehr Personen daran teilnehmen können.

Japan hatte auch sehr genau die NATO-Übung US Defender im Frühjahr 2020 beobachtet. Man wollte sehen, wie die Interaktion zwischen US-Streitkräften und Europäern funktioniert. US Defender hatte durch Corona ein jähes Ende erfahren. Das Manöver hatte jedoch so gut funktioniert, dass diverse Übungseinheiten komplett abgeschlossen werden konnten. Kürzlich hatte Japan sein eigenes multinationales Manöver - das Seemanöver Malabar unter Beteiligung von Indien, Australien, der USA und Japan. Indien ist mit seinen 1,45 Millionen Militärangehörigen ein wichtiger sicherheitspolitischer Player in der Region. Es verfügt über einen Flugzeugträger, 17 U-Boote, 13 Zerstörer, 13 Fregatten und 66.100 Marinesoldaten. Die Malabar-Übung fand weitestgehend außerhalb der Beachtung deutscher Medien statt. Die Berichterstattung wurde deshalb vom russischen Kreativjournalismus übernommen.

Damit wären wir auch schon bei den weiteren Schwerpunkten japanischer Sicherheitspolitik: Desinformation, Cyber, Radarstörungen und Weltraum. Bezüglich Desinformation wird auch China eine hohe Kompetenz nachgesagt. Allerdings kann es sich derzeit noch gut hinter Russland verstecken. In Sachen Radar, Cyber und Weltraum hat China die Nase vorn und ist schon jetzt ein ernst zu nehmender Wettbewerber des Westens. Das Zittern vor Chinas Quantentechnologie ist schon seit einiger Zeit zu spüren. Diese würde sämtliche bisherigen Verschlüsselungs- und Zugriffsmechanismen in die Historie der Informationstechnik katapultieren. Ein Problem, das sich bis zur Oma durchschleift, die während Corona gelernt hat, virtuell mit dem Enkel zu kommunizieren.

Weil Außen- und Sicherheitspolitik eng miteinander verknüpft sind, wurde am Ende der Videokonferenz vorgeschlagen, so bald wie möglich ein Präsenztreffen der Außen- und Verteidigungsminister zu veranstalten. Frau Kramp-Karrenbauer nahm diesen Vorschlag gerne an und wird das an ihren Kollegen vom Auswärtigen Amt weitergeben.

Autor: Matthias Baumann

Freitag, 4. Dezember 2020

IISS Manama Dialogue in Bahrain #IISSMD20

Heute begann in Bahrain der dreitägige Manama Dialog des IISS (International Institute for Strategic Studies). Das IISS mit seinem Hauptsitz in London ist ähnlich gut vernetzt wie die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) und bringt entsprechend wichtige Entscheidungsträger aufs Podium. Das IISS bringt seit vielen Jahren die Military Balance heraus, ein Buch mit inzwischen über 500 Seiten und detaillierten Informationen zur militärischen Stärke von über 170 Staaten der Welt. Die Zahlen im Buch gelten in Sicherheitskreisen als zuverlässig.

Der Manama Dialog ist der wichtigste sicherheitspolitische Gipfel im Nahen und Mittleren Osten. Deshalb sind neben dem britischen Generalstabschef und dem Generalsekretär des GCC (Gulf Cooperation Council) eine beachtliche Zahl von Außenministern persönlich nach Bahrain gereist. Die Eröffnungsrede hielt der noch amtierend Außenminister der USA, Mike Pompeo - virtuell. Virtuell waren auch die israelische Außenministerin Gabi Ashkenazi und der kanadische Verteidigungsminister Hajrit Sajjan dabei.

#IISSMD20 IISS Manama Dialogue in Bahrain
#IISSMD20 IISS Manama Dialogue in Bahrain - viele Außenminister vor Ort - hohe Hygienestandards wegen Corona - Liveübertragung für virtuelle Teilnehmer

Mike Pompeo hatte drei Hauptthemen auf seiner Agenda: Iran, China und Israel. Das größte Problem in der Region stelle nicht der israelisch-palästinensische Konflikt dar, sondern der Iran mit seinen vielfältigen Bedrohungsmustern. Das Atom-Programm sei nur ein Teil davon. Es gehe weiter mit konventionellen Raketen und der Vernetzung iranischer Kräfte im gesamten Nahen Osten. Letztere beeinflussen, untergraben und destabilisieren ganze Staaten der Region. Wenn die Staaten dann komplett am Boden liegen, überlassen sie deren Bevölkerung ihrem Schicksal. Bezüglich Israel referenzierte Mike Pompeo mehrfach auf die Bibel und führte die positive Entwicklung im Zusammenhang mit den Abraham Accords an. Das sind kürzlich abgeschlossene Friedensverträge zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie zwischen Israel und Bahrain. "Let's keep pressing Iran", war das, was er dem Nahen Osten zum Ende seiner Amtszeit noch mitgeben wollte. Auf Deutsch: "Lasst uns weiter Druck machen gegen den Iran."

In Blick auf China ging der Außenminister noch einmal auf die eigene Fehleinschätzung ein, dass eine Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation (WTO) automatisch zu einer Demokratisierung der Gesellschaft führe. Es gehe nicht um einen Konflikt zwischen USA und China, sondern um "Freiheit versus Tyrannei". Dann erläuterte er noch, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei Corona versagt habe und dass die USA gerne an einer weltweiten Pandemiebekämpfung teilnehmen würden - ohne das "politisierte" Instrument der WHO. Sehr deutliche Worte fand er auch bei "America's security first". Das mache jede Nation so. Ohne das im Detail auszuführen, war das eine starke Botschaft in Richtung NATO-Partner, die sich nach wie vor auf den Fähigkeiten der USA ausruhen - auch in der Golf-Region.

Am Samstag diskutieren unter anderem die Außenminister von Saudi Arabien, Südkorea, Oman, Bahrain, Jordanien und Irak in verschiedenen Panels über die Sicherheit im Nahen Osten im globalen Kontext, globale Führungsrollen im Angesicht von Corona und mögliche Lösungen für den Konflikt im Nahen Osten. Wer daran denkt, dass die Uhren in Bahrain schon zwei Stunden weiter sind als in Deutschland, kann online dabei sein. Die Zeitverschiebung trifft den kanadischen Verteidigungsminister Harjit Singh Sajjan besonders hart: Sein Statement steht zwischen 3 und 5 Uhr in der Nacht auf dem Programm.

Das Königreich Bahrain ist ein Inselstaat im Persischen Golf und wesentlich kleiner als Rügen. Eine etwa zehn Kilometer lange Brücke verbindet die Insel mit dem saudischen Festland. Bahrain wird "Bachrejn" ausgesprochen und die Hauptstadt heißt Manama. Bahrain hat 1,4 Millionen Einwohner und ein geostrategisches Problem. Es liegt nämlich zwischen den Kontrahenten Saudi-Arabien und Iran. Das Königreich wird von Saudi-Arabien und den USA unterstützt. Im Gegenzug beherbergt es das Hauptquartier der 5. U.S.-Flotte. Seit 2018 sind auch wieder britische Soldaten auf der Insel stationiert. Die Streitkräfte Bahrains umfassen nur 8.200 Berufssoldaten. Diese gelten aber als gut trainiert und haben ihre Kompetenz bereits in verschiedenen Kommandoaktionen und bei der Abwehr von Piraten unter Beweis gestellt. Diese Leistungsfähigkeit hat ihnen auch entsprechende Führungsrollen verschafft. Bahrain ist Mitglied des GCC.

Wegen des hohen Interesses an der Sicherheit in der Region arbeitet das Land schon seit vielen Jahren konstruktiv mit dem IISS zusammen. Die dreitägige IISS-Konferenz erfreut sich deshalb einer großzügigen Unterstützung des Königshauses. Da Sicherheit auch die persönliche Gesundheit betrifft, wurden umfangreiche Hygienemaßnahmen vor Ort ergriffen und virtuelle Räume für ferngebliebene Teilnehmer geschaffen.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 3. Dezember 2020

Weihnachtsgeschenke für die Bundeswehr: Wie sieht es mit der Compliance aus?

Kurz vor dem 1. Advent traf eine Mail der Pressestelle der Gebirgsjägerbrigade 23 ein. Es war ein Foto dabei, um dessen Veröffentlichung gebeten wurde. Das Foto stellt Landrat Bernhard Kern dar, der einen Präsentkorb an den Kommandeur der Brigade, Oberst Maik Keller, überreicht. Eine freundliche Geste! Die Pralinen und geräucherten Schinkenstücke sollten zeitnah zu den Gebirgsjägern nach Gao in Mali weitergeleitet werden.

Im familiären Umfeld oder in der freien Wirtschaft sind Weihnachtsgeschenke ganz normal. Besonders ambitionierte Einkäufer gehen auch mal mit zum Kofferraum des Handelsvertreters, falls dieser nicht so viel ins Büro des Kunden tragen konnte. Deshalb erzeugte gleich der erste Blick auf das Foto die Frage: Wie sieht es eigentlich mit der Compliance bei der Bundeswehr aus? Wer darf wem in welchem Umfang ein Geschenk machen? Werden Landräte anders bewertet als Unternehmer? Immerhin geht das Geschenk dort ja von einer Behörde zur nächsten.

Weihnachtsgeschenke für die Bundeswehr: Landrat überreicht einen Geschenkkorb an den Brigadekommandeur.
Weihnachtsgeschenke für die Bundeswehr: Landrat Bernhard Kern überreicht einen Geschenkkorb an Brigadekommandeur Oberst Maik Keller. Foto: Bundeswehr / Gebirgsjägerbrigade 23

Ein Handelsvertreter kann Geschenke im Wert von 35 Euro pro Kunde pro Jahr als Kosten von der Steuer absetzen. Haben die Geschenke einen höheren Wert, verfällt der steuerliche Vorteil komplett und der Schenkende bleibt auf den Kosten sitzen - sehr unpraktisch. Wer kreativ ist, kann aber auch schon mit 35 Euro eine positive Stimmung erzeugen und sich damit einen nächsten Auftrag sichern. Bei Behörden wie der Bundeswehr gelten andere Regeln. Wer will schon in den Ruf der Bestechlichkeit geraten?

Der Umgang mit Belohnungen und Geschenke ist in der ZDV A-2100/2 geregelt. Belohnungen und Geschenke sind demnach Zuwendungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht und die dem Beschenkten einen materiellen oder immateriellen Vorteil verschaffen. Die Vorschrift ist so eng gefasst, dass auch Angehörige, Bekannte oder der Sportverein des Beschenkten in diesen Vorteil eingeschlossen sind. Als geringfügig gelten Zuwendungen bis 25 Euro Verkehrswert. Wenn beispielsweise ein Einzelhändler einen Präsentkorb verschenkt, der ihn selbst nur 20 Euro gekostet hat, überschreitet er dennoch die Grenze der Geringfügigkeit, wenn der Präsentkorb im Laden normalerweise für 39 Euro angeboten wird. Es gilt also immer der reguläre Verkaufspreis.

Es ist auch egal, wer das Geschenk macht: Landrat, Dienstleister, die Oma eines Rekruten. Die Annahme aller Geschenke ab 10 Euro ist anzuzeigen. Die Anzeigepflicht entfällt nur dann, wenn die Aufmerksamkeit den Wert von 10 Euro nicht überschreitet. Der Schenkende kann sich allerdings eines Tricks bedienen: Nehmen wir an, es soll ein eleganter Dresdner Stollen im Verkaufswert von 35 Euro verschenkt werden. Diesen könnte ein Unternehmer gerade noch so als Kosten von der Steuer absetzen. Wenn er diesen Stollen an den Chef einer Kompanie mit 100 Soldaten übergibt, wird der Wert des Stollens durch die Anzahl der Beschenkten geteilt. Damit erhält jeder der Soldaten eine Zuwendung im Wert von 0,35 Euro und kann sich den Stollen schmecken lassen, ohne dass die Aufmerksamkeit angezeigt werden muss. Genau dieses Prinzip kam auch beim Geschenkkorb des Landrates zur Anwendung.

Autor: Matthias Baumann

Freitag, 27. November 2020

Haushaltsgesetz 2021 und die Frage nach dem einen Haushalt für 3 Ressorts im Umfang von 3% des BIP

Vier Stunden mit Maske in der Bundespressekonferenz zu sitzen, ist schon herausfordernd. Das ist aber gar nichts gegenüber dem, was die Vertreter der Bundestagsfraktionen geleistet haben: Mehr als 17 Stunden lang hatten sie von gestern 11:08 Uhr bis heute 4:37 Uhr um die finale Fassung des Haushaltsgesetzes 2021 gerungen. Nach einer kurzen Verschnaufpause saßen sie der Presse gegenüber. Dafür sahen die Damen und Herren aber noch erstaunlich frisch aus.

Corona ist wohl der größte Einflussfaktor für das Haushaltsgesetz 2021. Selbst die Opposition kommt zu dem Ergebnis, dass eine Aufstockung des Haushalts dafür richtig sei. Sie bemängelt lediglich die Art der Finanzierung und wirft Olaf Scholz vor, einen "Wahlkampfhaushalt" zusammengebaut zu haben. Und dann kommen auch schon die Differenzen innerhalb der Nichtregierungsparteien: Die Linke will die Schuldenbremse abschaffen und die FDP möchte diese strikter anwenden. Die Linke spricht sich für einen Lastenausgleich in Form von Sonderabgaben für Vermögende aus, während die FDP genau diese Personengruppe entlasten möchte, um ein gutes Investitionsklima zu schaffen. Die Grünen fordern ökologische Auflagen für bezuschusste Großunternehmen und die AfD möchte die Asylrücklagen zugunsten der Refinanzierung auflösen. AfD (459) und FDP (527) hatten mehr als die Hälfte der über 1.800 Änderungsanträge in die Bereinigungssitzung eingebracht.

#MSC #MSR Haushaltsgesetz 2021 und die Frage nach dem einen Haushalt für 3 Ressorts im Umfang von 3% des BIP
Haushaltsgesetz 2021 und die Frage nach dem einen Haushalt für drei Ressorts (Verteidigung, Diplomatie und Entwicklung) im Umfang von 3% des BIP

Nach der Opposition durften sich auch die Regierungsparteien zum Haushaltsgesetz 2021 äußern. Die CDU/CSU beklagte sich darüber, dass sich die Länder auf Kosten des Bundes ausruhten, obwohl diese nach aktuellen Erkenntnissen ähnliche Einnahmen wie 2019 hätten. Anders sehe das beim Bund aus. Die Union plädiert wie die AfD für die Auflösung von "Ausgaberesten". Es habe sich eine Mentalität des Ansparens etabliert, die vorhandene Gelder blockiere. Die SPD erläuterte die 35 Mrd. Euro für Corona: 15 Mrd. Euro seien verplant und 20 Mrd. Euro stehen als Reserve bereit, sind aber zu diesem Zweck vorerst gesperrt. Es war auch die SPD, die auf den weiter gewachsenen Verteidigungshaushalt in Höhe von 46,93 Mrd. Euro einging. In Relation zum gesunkenen BIP ist der Haushalt den 1,5% sehr nahe und steuert damit weiter auf die 2%-Verpflichtung gegenüber der NATO zu.

Da heute die haushaltspolitischen Sprecher sämtlicher Fraktionen zugegen waren, bot sich die Frage an, was sie denn vom jüngsten haushaltspolitischen Vorschlag der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) halten. Deren Vorsitzender, Wolfgang Ischinger, hatte vor wenigen Tagen in einer Videokonferenz noch einmal Folgendes bekräftigt: Das Ressort Verteidigung (BMVg), Diplomatie (Auswärtiges Amt) und Entwicklung (BMZ) sollten einen gemeinsamen Haushalt bekommen. Dieser solle einen Umfang von 3% des BIP haben. Das entspricht etwa 100 Mrd. Euro. Ziel sei es, die außen- und sicherheitspolitischen Aktivitäten der Bundesregierung optimal aufeinander abzustimmen und ressortübergreifende Konzepte umzusetzen. Komplexe geopolitische Entwicklungen erfordern ein konzertiertes Handeln.

Die AfD hatte von diesem Vorschlag noch nichts gehört. Es sei undenkbar, dass man so starke Ministerien unter einen Hut bringen könne. Überhaupt seien 3% des BIP viel zu hoch. Man bedenke zudem den bürokratischen Aufwand bei der Zusammenlegung der Ressorts.

Grüne und Linke haben eine sehr ähnliche Meinung zu diesem Thema: Militärisches und Ziviles müssten getrennt sein. Die 2%-Verpflichtung gegenüber der NATO sei völlig falsch. Die Grünen können sich allerdings eine inländische Krisenprävention in Zusammenarbeit mit Innenministerium (BMI) und BMVg vorstellen. Auf ihrer Delegiertenkonferenz hatten sich die Grünen vor wenigen Tagen auf ihre Linie bei der Außen- und Verteidigungspolitik festgelegt: Abrüstung, Rüstungskontrolle, Verbot von ABC-Waffen, Ende der nuklearen Teilhabe und eine Einbeziehung von China in die Abrüstungsbemühungen. Das würde funktionieren, wenn alle mitmachen. Das sieht "da draußen" aber seit mindestens sechs Jahren ganz anders aus.

Die FDP freute sich über die Frage und warf ein, dass sie ja diese Idee gehabt habe. Es gehe um die 3D: Defense, Diplomacy und Developement - also Verteidigung, Diplomatie und Entwicklung. Die FDP findet eine Kombination dieser Ressorts und damit den Vorschlag der MSC sehr sinnvoll.

Die CDU/CSU zuckte bei den 3% zusammen. Eckehardt Rehberg rechnete auf die Schnelle die Eurobeträge aus. Derzeit stehen für die 3D 64 Mrd. Euro zur Verfügung. 3% des BIP wären mit Dämpfungsfaktor Corona gut 100 Mrd. Euro. Nein, das sei "keine gute Idee". Es sei "nicht realistisch" und die mit einer Ressortkombination einhergehende "Bürokratie zu hoch".

Die SPD setzte auf der Argumentation von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer auf und bemerkte, dass das BIP zu variabel sei, als dass man es mit Prozentwerten auf den Haushalt adaptieren könne. SPD-Sprecher Dennis Rohde plädierte für einen Haushalt, der in einem sinnvollen Umfang die notwendigen Mittel für den Aufbau und den Erhalt der Fähigkeiten bereitstelle. Eine Kombination der Ressorts konnte er sich auch nicht vorstellen.

So bleibt festzuhalten, dass die FDP die höchste Zustimmung zu dem einen Haushalt für drei Ressorts mitbringt und offensichtlich den höheren Sinn hinter dieser Idee erkannt hat. Linke, Grüne und AfD stehen dem skeptisch und ablehnend gegenüber, während die beiden Regierungsparteien SPD und CDU/CSU weiter ihre Agenda durchziehen und erst einmal so langsam das 2%-Ziel der NATO anpeilen.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 19. November 2020

Poly-Pandemie: MSC analysiert die Folgeerscheinungen von Corona

Mit globaler Gesundheit unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten beschäftigt sich die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) schon seit 2017. Bis März 2020 wurde das weder wahr- noch ernstgenommen. Im Februar fanden zwar einige Side-Events zu Corona und Gesundheit statt, diese wurden aber nur von wenigen Teilnehmern besucht. Das Problem hatte Asien noch nicht verlassen.

Auch wenn mit Corona zahlreiche Anbieter für vereinfachte Weltmodelle auf den Plan getreten sind, hat doch die Pandemie ein komplexes Lagebild produziert. Dieses Lagebild zeige "schonungslos die Versäumnisse der Vergangenheit" auf. Man könne schon fast von einem "multilateralen Organversagen" mit "Langzeitschäden" reden - so die Hauptautorin des Reports, Sophie Eisentraut. Deshalb redet die MSC auch von einer Poly-Pandemie, die mehrschichtig abläuft und fünf Hauptbereiche tangiert:

#MSC MSR Special Edition Polypandemic
#MSC Münchner Sicherheitskonferenz Report #MSR Special Edition Polypandemic - Foto: MSC / Kuhlmann

1) Hunger und Unterernährung wurden mindestens verdoppelt. Hochrechnungen haben ergeben, dass Ende 2020 bis zu 828 Millionen Menschen davon betroffen sein könnten. Das entspricht dem 10-fachen der Einwohnerzahl Deutschlands.

2) Die Schere der Ungleichheit geht weiter auf. Das beginnt bei den Corona-Tests, geht über die Ärzte je Einwohner und endet bei der Todesrate im Vergleich von farbigen zu weißen Bürgern insbesondere in den USA. Das Verhältnis liegt dort bei 30% zu 9%.

3) Seit 30 Jahren hat sich weltweit erstmals wieder die Armut erhöht. So wurden knapp 500 Millionen Vollzeitstellen gestrichen und das durchschnittliche Einkommen sank um 20%.

4) Der Autoritarismus erlebt eine Renaissance: staatliche Restriktionen, Einschränkung der Pressefreiheit und brutales Vorgehen gegen demokratische Kräfte. Der Ruf nach dem einen starken Führer wird lauter. Verschwörungstheorien demontieren bestehende Regierungskonzepte.

5) Der Migrationsdruck wächst. Gescheiterte Staaten brechen vollends zusammen und versinken im Chaos. Die Radikalisierung steigt. 21.000 Menschen kamen während der ersten Pandemie-Monate in bewaffneten Konflikten ums Leben. Terroristische Aktivitäten nahmen um 21% zu.

Hinzu kommen noch die Auswirkungen auf globale Entscheidungsprozesse. Bei Ebola wurde innerhalb eines Tages reagiert. Bei Corona nimmt man sich 3 Monate Zeit. 91% aller Schüler und Studenten weltweit sind von Schließungen ihrer Lehreinrichtungen betroffen. 1,6 Milliarden Kinder mussten im April 2020 zu Hause bleiben. Die MSC beziffert zwei Millionen Tote, die nicht an Corona gestorben sind, aber ohne das Freihalten der Kapazitäten hätten intensivmedizinisch behandelt werden können.

Afrika spürt bisher hauptsächlich die globalen Folgen der Pandemie: Hunger, Armut, Ungleichheit, Radikalisierung und Flucht. Mit Corona selbst können die Afrikaner nach Ebola sehr gut umgehen. Während Ebola wurden Hygienekonzepte entwickelt und Behandlungseinrichtungen geschaffen. Diese wurden jetzt einfach reaktiviert.

Corona bietet aber auch diplomatische Chancen. So sieht MSC-Chef Wolfgang Ischinger hier eine der wenigen Schnittmengen, wieder mit Russland konstruktiv ins Gespräch zu kommen. Ähnliches gilt für China. Sein Traum ist es, Russland, China und die USA bei der MSC im Februar 2021 zusammen auf die Bühne zu holen. Ob dieser Traum Wirklichkeit wird, entscheidet unter anderem die Pandemie.

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 17. November 2020

2. Grundsatzrede von AKK: Bekenntnis zu NATO, USA und Eigenverantwortung

Während sich die Bevölkerung in Deutschland uneins darüber ist, ob es Corona überhaupt gibt, verschiebt sich außerhalb des Schengen-Raums bereits das Machtgefüge. Diesem ist es egal, was hierzulande diskutiert und geglaubt wird. Es passiert einfach. Wenigstens hat die Verteidigungsministerin noch einen Blick für die "strategische Gesamtlage". Diesen Blick teilen im Bundestag nur wenige Kollegen mit ihr.

So bemerkte sie in ihrer heutigen zweiten Grundsatzrede, dass sich das Parlament wegen der Historie befangen fühle und deshalb so zaghaft auf die weltweit geforderte deutsche Führungsrolle blicke. Das wirke sich auch auf die Geschwindigkeit von Entscheidungsprozessen aus. Deutschland trete deshalb schnell als Unterstützer auf, scheue sich aber vor Robustheit. Robustheit bedeutet: Kampfeinsätze mit direktem Feindkontakt. Auch Soldaten beklagen, dass sie als Kämpfer in die Bundeswehr eingestiegen waren, in der Öffentlichkeit aber immer nur als Brunnenbohrer und Helfer im Gesundheitsamt wahrgenommen werden. Wenn es nach AKK ginge, würde sich das ändern. Das letzte Wort hat jedoch der demokratische Diskurs.

2. Grundsatzrede von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer #AKK vor Studenten der Universität der Bundeswehr in Hamburg
2. Grundsatzrede von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer #AKK vor Studenten der Universität der Bundeswehr in Hamburg - Die Rede wurde über den Twitter-Account des BMVg übertragen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was sie bis zur nächsten Wahl noch bewegen kann. Ihre 3-Punkte-Agenda bietet jede Menge Ansatzpunkte zur parlamentarischen Auseinandersetzung. Erstens möchte sie die Fähigkeiten bei der Verteidigung ausbauen und weitere Finanzen trotz Corona akquirieren. Zweitens bekennt sie sich klar zur NATO und den durch Deutschland unterzeichneten Verpflichtungen. Drittens sieht sie die EU an der Seite der USA, wenn es um die China-Politik geht. Gerade das ist eine Gratwanderung, weil sich Deutschland gegenüber China nicht so weit aus dem Fenster lehnen kann.

Taktisch setzt die Ministerin auf "Verteidigungsdiplomatie" und darauf, Flagge zu zeigen für unsere Werte, Interessen und Partner. Die Interessen sind relativ neu im Sprachgebrauch unserer Spitzenpolitiker, aber ein wichtiger Schritt in Richtung Führungsrolle. Da die USA offensichtlich nicht mehr führen wollen - auch unter Joe Biden nicht - möchte AKK die Eigenverantwortung stärken und vom "hilfsbedürftigen Schützling" der USA zu deren Partner werden. Sie sieht darin keinen Widerspruch zur herben Kritik des französischen Präsidenten Macron. Dieser hat schon eine starke europäische Armee vor Augen, während AKK die nüchterne Bilanz zieht, dass für einen Verzicht auf die USA einige Jahrzehnte und sehr viel mehr Geld investiert werden müssten. Hier scheidet sich wohl der Optimist Macron von der Realistin Kramp-Karrenbauer.

Zur Untermauerung zählte die Ministerin dann noch die Fähigkeiten der US-Streitkräfte auf, die wir bislang so selbstverständlich mitbenutzen: 70% der "strategic enabler" (strategische Möglichmacher) wie Aufklärung, Hubschrauber, Luftbetankung und Satellitenkommunikation. Sie stellen fast 100% der Abwehr gegenüber ballistischen Raketen sowie einen Großteil der nuklearen Abschreckung. Hinzu kommen 76.000 US-Soldaten in Europa und eine enorme Zahl von Reservekräften. Damit realisieren die USA etwa 75% der gesamten NATO-Fähigkeiten.

Was die Fähigkeiten der Bundeswehr betrifft, wird die Ministerin keine Großprojekte mehr genehmigen, wenn nicht gleichzeitig die Grundausstattung der Soldaten gesichert ist. Mit diesem Thema war schon ihre Vorgängerin bei Truppenbesuchen konfrontiert worden. AKK obliegt es nun, das auch umzusetzen.

Autor: Matthias Baumann

Freitag, 13. November 2020

AKK forciert die Umsetzung der Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung

Dass ein Politiker kaum in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, heißt nicht, dass er nichts tut. So war über die neue Wehrbeauftragte Eva Högl zu erfahren, dass bisher jeder ihrer Truppenbesuche seitens der Soldaten äußerst positiv aufgenommen wurde. Auch Annegret Kramp-Karrenbauer zieht konsequent ihre Agenda durch - in der häuslichen Quarantäne oder im Ministerinnenbüro. Der Teil-Lockdown verkürzt die Reisezeiten und ermöglicht eine Vergrößerung der Teilnehmerzahlen - per Webkonferenz.

Während die Sichtbarmachung der Bundeswehr durch mehr und größere Gelöbnisse, das Bahnfahren in Uniform und virale Werbekampagnen auf dem "Parallelgleis" durch das Land rauscht, betreibt AKK Multitasking und trifft sich virtuell mit ihren Kollegen aus dem Indo-Pazifik-Raum. Heute stand Dr. Ng Eng Hen aus Singapur in ihrem Terminkalender. Das Treffen war von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und der S. Rajaratnam School of International Studies (RSiS) organisiert worden.

Indo-Pazifik-Leitlinien Verteidigungsminister AKK Ng Eng Hen Singapur KAS RSiS
Singapurs Verteidigungsminister Ng Eng Hen (oben links) und seine Kollegin Annegret Kramp-Karrenbauer #AKK (oben rechts) diskutieren die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung in einer Webkonferenz der KAS und der RSiS

Der Berliner würde sagen: Singapur ist klein, aber Oho! Singapur hat nur sechs Millionen Einwohner und eine Grundfläche, die kleiner als Berlin ist. Singapur liegt aber an einer Stelle, die das Südchinesische Meer mit dem Indischen Ozean verbindet. Das macht diesen Stadtstaat seit vielen Jahren sehr reich. Pro Kopf erwirtschaftet Singapur etwa 64.000 USD pro Jahr und liegt damit fast auf dem Niveau von Katar.

Singapur gilt als das militärisch am besten ausgestattete Land der Region. Über 4% des BIP werden in die Verteidigung investiert. Besonderes Augenmerkt gilt der Luft- und Seeverteidigung. Singapur besitzt 4 U-Boote, 6 Fregatten, 11 Korvetten und 105 Kampfflugzeuge. Letztere zum Großteil aus amerikanischer Produktion. Die Anschaffung weiterer F-35-Maschinen ist geplant. Fragt sich, wo dieses ganze Gerät auf dem kleinen Territorium untergebracht wird?

So wie Deutschland ist auch Singapur an offenen Seewegen interessiert. Beim regelbasierten Welthandel decken sich ebenfalls die Interessen. Minister Ng Eng Hen besucht seit 2012 die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) und traf dort im Februar 2020 erstmalig seine Kollegin Kramp-Karrenbauer. Der Minister betonte mehrfach, dass Deutschland endlich eine sichtbare Verantwortung für den Erhalt der globalen Ordnung einnehmen solle. Deutschland und die EU sollten Gestalter der Weltordnung sein. Er drückte es in Neudeutsch mit "shapen the global order" aus. Denn nur wer mit am Tisch sitze, habe auch Einfluss auf die Speisekarte. Während innerhalb Deutschlands regelmäßig über die Regierung hergezogen wird, blicken viele Staaten von außen auf die Bundesrepublik und erwarten, dass sie endlich ihre Leitungsrolle wahrnimmt.

Wie Theorie in Praxis umgesetzt wird, zeigten die Antworten von AKK: Deutschland wolle nicht mehr reden, sondern praktische Präsenz zeigen. Zur "maritimen Präsenz" in den Indo-Pazifik-Leitlinien sagte die Ministerin, dass im nächsten Jahr Schiffe in die Region entsandt werden und sich deutsche Soldaten an Übungen und Einsätzen beteiligen werden. Sie klang entschlossen, den Bundestag für entsprechende Mandate zu gewinnen.

Die Indo-Pazifik-Leitlinien haben noch einen anderen Nutzen. Da sich die USA auch unter Joe Biden auf Asien fokussieren, könnte der Indo-Pazifik nun zur gemeinsamen Schnittmenge werden. Die Beziehung zu den USA wird dann also über die andere Himmelsrichtung aufgezogen: nicht mehr atlantisch, sondern indo-pazifisch.

Autor: Matthias Baumann

Montag, 9. November 2020

#NATO2030 Young Leaders Summit

Die NATO gibt sich jung und zukunftsorientiert. Jens Stoltenberg ohne Krawatte. Jens Stoltenberg am Videomischpult. Videos mit schnellen Schnitten und modernen Beats. Sicherheitspolitischer Nachwuchs ist gefragt bei der NATO. Dieser kommt aus sämtlichen Mitgliedsstaaten: Kanada, Estland, Deutschland, Spanien, Großbritannien, USA und weiteren. Was bewegt eine Generation, die im Jahr 2030 zu den Entscheidungsträgern gehören wird?

Um das zu erfahren, wurden in die heutige Webkonferenz mehrere Umfragen eingebaut. Die Ergebnisse waren durchaus interessant. So betrachten etwa die Hälfte der jungen Leiter (Young Leaders) die NATO als eine Gemeinschaft, deren Zweck der Erhalt demokratischer Werte und Strukturen sei. Die Mitgliedsstaaten umfassen etwa eine Milliarde Menschen. Die NATO will diese unter einen Hut bringen. Jens Stoltenberg stellte deshalb die Einheit heraus. Wenn es Meinungsverschiedenheiten gebe, könne man sich kraft dieser Einheit hinsetzen und die Themen ausdiskutieren, bis ein für alle faires Ergebnis erreicht sei. Ein Teilnehmer sagte, dass er die NATO weniger als Organisation sehe, sondern mehr als eine Community (Gemeinschaft). Eine Organisation versinke in ihrem administrativen Selbstzweck, während eine Community ein lebendiger Organismus sei, der tatsächlich etwas bewege.

Dass die NATO mehr als eine militärische Allianz ist, wurde mehrfach bestätigt: Werte, Demokratie, gemeinsame Verteidigung, Resilienz, gleiche Herausforderungen, Umgang mit der Pandemie und wirtschaftliche Beziehungen verflechten die NATO-Staaten miteinander. Das Netzt erstreckt sich von den USA über Europa bis nach Japan und Australien.

#NATO2030 Young Leaders Summit
#NATO2030 Young Leaders Summit - virtuelle Konferenz mit jungen Leitern aus verschiedenen NATO-Mitgliedsstaaten - oganisiert von NATO und der Münchner Sicherheitskonferenz #MSC2021

Ältere Leiter fokussieren sich derzeit auf China, Russland, den IS oder Corona. Die jungen Leiter von #NATO2030 sehen ganz andere Schwerpunkte. Sie betrachten weder die USA, noch China, noch Russland als fähig, im Jahr 2030 die Weltpolitik zu polarisieren. Sie gehen mehrheitlich davon aus, dass es Szenarien des Kalten Krieges geben wird. Ein kalter Krieg, der von sämtlichen Akteuren mit Desinformation und weiteren Cyber-Aktivitäten gestaltet wird.

Deshalb drehten sich viele der Wortbeiträge um den Cyber-Informationsraum. Hier müsse die NATO zwei primäre Aufgaben erfüllen: Erstens die Gesellschaften in der Resilienz gegenüber Desinformation trainieren. Zweitens mehr Sichtbarkeit und Einfluss in den Sozialen Netzwerken aufbauen. Bei der Resilienz ist Estland ganz weit vorne. Estland sah sich schon sehr früh mit medialer Einflussnahme durch einen seiner Nachbarn konfrontiert und betreibt nun das Cybersecurity Centre of Excellence der NATO. Es gebe zwar auch in anderen Mitgliedsstaaten Cyber-Security-Einheiten. Diese haben aber bisher kaum Mittel für Teams, die sich mit der Abwehr von Desinformation beschäftigen. Bevor die harte Abwehr einsetzt, wäre der Aufbau von Resilienz in der Bevölkerung sinnvoll. Dazu müsste diese für die zersetzende Gefahr von Desinformation sensibilisiert werden und Antennen zur Erkennung falscher Informationen entwickeln. Nutzer sollten im Bewusstsein für Wahrheit und Fake News geschult werden und darin, wie sie beispielsweise mit Trollen umgehen.

Die britische Firma Factmata hat schon vor einigen Jahren Programme entwickelt, die automatisch falsche Informationen aufspürt. Dabei werden Narrative (Erzählungen), Häufigkeit von Begriffen und Art der Verbreitung analysiert und anhand dessen Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt von Botschaften gezogen. Diese Firma setzt sich dafür ein, Gegen-Narrative zu entwickeln. Die Europäische Union hat die Kampagne EUvsDisinfo aufgesetzt und deckt schonungslos die Machenschaften eurasischer Medienakteure auf.

Neben Cyber wird 2030 aber auch der Space eine Rolle spielen, also nicht nur der Cyberspace, sondern der echte Space - auch als Weltraum bekannt. Angriffe auf Satelliten oder durch Satelliten werden dann zum Standard gehören. Satelliten sind zwar weit weg, aber in Bezug auf Fernsehen, Kommunikation oder Navigation kaum noch aus unserem Alltag wegzudenken. China hatte bereits 2007 erfolgreich die Zerstörung eines Satelliten mit einer umgebauten Mittelstreckenrakete getestet.

Die Erderwärmung ist zwar auch ein Thema, das junge Leiter tangiert. Allerdings können sie das noch nicht so recht mit der Sicherheitspolitik verknüpfen. Dabei würde das Überschreiten gewisser Grenzwerte zu einer Massenflucht aus der Äquatorgegend führen. Brasilien und die Sahel-Zone wären dann nämlich einfach nicht mehr bewohnbar. Ganz abgesehen von Inseln wie den Malediven, die dann bei Tauchexpeditionen erkundet werden können.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 5. November 2020

Australien zeigt sich begeistert über die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung

Bei Staatsbesuchen aus Afrika kommt zuweilen die Frage auf, warum der Gast noch seinen Pyjama trägt. Dem heutigen Gipfeltreffen zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer und ihrer Amtskollegin Linda Reynolds konnten Zuschauer dank Corona auch im Schlafanzug beiwohnen. Linda Reynolds saß in Canberra und freute sich wohl schon auf das Abendessen, während AKK vermutlich gerade erst gefrühstückt hatte. Zehn Stunden Zeitunterschied und 16.000 Kilometer Distanz liegen zwischen Deutschland und Australien.

Indo-Pazifik-Leitlinien Australien Verteidigungsministerinnen Linda Reynolds und #AKK Annegret Kramp-Karrenbauer
Videokonferenz der Verteidigungsministerinnen von Australien und Deutschland, Linda Reynolds (oben) und Annegret Kramp-Karrenbauer #AKK (unten rechts), über die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung

In den Gründungspapieren der Bundeswehr wurde festgeschrieben, dass Verteidigungsminister in der Hauptsache Politiker sein sollen. Ihre Aufgabe bestehe in der Verbindung zwischen Bundeswehr und dem Parlament. Für die militärische Expertise seien Staatssekretäre und der Generalinspekteur zuständig. Diese Kombination begegnet uns in vielen Ländern wie beispielsweise Indien, Norwegen oder Frankreich. Die Niederlande oder Australien bilden eine Ausnahme. Linda Reynolds blickt auf eine 30-jährige militärische Vergangenheit zurück und war die erste Frau Australiens, die zum Brigadegeneral befördert wurde. Sie ist seit Mai 2019 im Amt und traf ihre Kollegin erstmals im Februar 2020 auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Damals hatte Frau Kramp-Karrenbauer einen regelrechten Minister-Marathon in den Nebengelassen des Bayerischen Hofs hingelegt. Einen Monat später waren Treffen von Angesicht zu Angesicht wegen Corona nicht mehr möglich.

Auch das heutige Treffen hätte normalerweise persönlich stattfinden sollen. Annegret Kramp-Karrenbauer hält sich jedoch in präventiver Quarantäne zu Hause auf. Deshalb hatten das ASPI (Australian Strategic Policy Intitute) und die KAS (Konrad Adenauer Stiftung) ein virtuelles Treffen organisiert. Es sollte um die neuen Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung gehen. Mehrfach betonte Linda Reynolds, dass die Leitlinien von den Australiern "very much warmly welcomed" seien. Auf Deutsch heißt das, dass die Australier die Leitlinien überaus herzlich begrüßen. Es wirkte nicht wie die Floskel politischer Korrektheit.

Australien ist neben Neuseeland das Land in der Region, das am stärksten unsere Werte, Interessen und Regeln teilt. Aber es ist auch direkt von den rapiden Entwicklungen in Südostasien betroffen. Für die USA und für Europa stellt Australien die Südostflanke unserer westlichen Wertegemeinschaft dar. Mit Sorge betrachtet man die chinesischen Aktivitäten im Südchinesischen Meer. China baut dort Inseln aus und richtet Militärbasen ein - für Raketen, Schiffe, Truppen und Abhöreinrichtungen. Da China offen über seine Ziele redet, nämlich 2049 wieder Kriege gewinnen zu können, fühlen sich Vietnam, die Philippinen, Japan und andere Staaten direkt bedroht. Von Australien ist das zwar viele Kilometer entfernt, ein Abschneiden der Seewege durch das Südchinesische Meer würde jedoch die gesamte Weltwirtschaft treffen. Deshalb zeigen die USA dort Präsenz. Auch in den Indo-Pazifik-Leitlinien ist von "maritimer Präsenz" die Rede. Diese wird sich für Deutschland aber vermutlich auf ein paar Soldaten beschränken, die auf Schiffen der regionalen Partner mitfahren.

Indo-Pazifik-Leitlinien Australien Verteidigungsministerinnen Linda Reynolds und #AKK Annegret Kramp-Karrenbauer
Videokonferenz der Verteidigungsministerinnen von Australien und Deutschland, Linda Reynolds (unten rechts) und Annegret Kramp-Karrenbauer #AKK (oben), über die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung

Stellt sich also die Frage, ob die australische Euphorie über die Leitlinien begründet ist? Immerhin wurde auch das Weißbuch zur deutschen Sicherheitspolitik von 2016 im Ausland mit Begeisterung aufgenommen, während es im Inland eher als Makulatur betrachtet wird - vorausgesetzt, es wird überhaupt betrachtet.

Sicherheit und freie Seewege waren für Deutschland bisher immer billig zu haben: Amerika macht schon. Die Franzosen machen das schon. Die Briten machen das schon. Wir schauen erstmal, diskutieren das im Bundestag und helfen dann beim Aufbau. Die Zeit der billigen Sicherheit ist vorbei. Amerika lässt sich nicht mehr ausnutzen und hat seinen Fokus direkt auf China gelenkt - weg von Europa. Deutschland und Europa müssen nun selbst sehen, wie sie mit dem Problem in Südostasien umgehen. Ganz abgesehen von den europäischen Problemen an der Nord-, der Ost-, der Südost- und der Südflanke. Der deutschen Verteidigungsministerin ist bewusst, dass moderne Konflikte auf sämtlichen Ebenen von konventionell, über atomar bis hin zu hybrid ausgetragen werden. Man müsse daher die eigenen Fähigkeiten auf diese Bedrohungslage anpassen. Das geht aber nur, wenn sie ihre Parlamentskollegen davon überzeugen kann.

Bezüglich China steckt Deutschland in einem Dilemma: Einerseits gibt es starke wirtschaftliche Abhängigkeiten. Andererseits stellt China eine "systemische Herausforderung" dar. Die USA hatten China damals in die WTO (Welthandelsorganisation) verholfen, weil man davon ausgegangen war, dass westliche Werte durch eine Integration in die WTO automatisch auf China übergreifen werden. Diese Rechnung ging nicht auf. China hat die Vorteile der WTO optimal ausgereizt und dabei seine Machtposition aufgebaut. China nimmt keine Rücksicht auf anerkannte Spielregeln oder Dritte. Die USA fühlen sich durch die Chinesen ausgenutzt und reagieren wohl deshalb so empfindlich. Inzwischen ist China so stark und technologisch innovativ, dass es die Weltpolitik mitbestimmen kann. Etwas praxisfern wirkte deshalb, als AKK in der Webkonferenz davon sprach, dass Firmen, die in 5G involviert sind, entsprechende Sicherheitsstandards und Regeln einhalten sollen. Um gegen chinesisches Mitlesen resistent zu sein, entwickeln einige Nationen bereits Alternativen zu 5G.

Der Idealfall wäre eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit China. Diese müsse aber regelbasiert sein und einen fairen Wettbewerb ermöglichen. Australien hält an dieser Sicht fest. Deutschland auch. China akzeptiert diese Sicht, macht aber klar, dass es nach eigenen Regeln agiert. Ein Konsens ist also nicht zu erwarten. Deshalb sehen sich Deutschland und Australien in einer Partnerschaft der "geteilten Herausforderungen". Man müsse Lieferketten verkürzen - so sich das bei 16.000 Kilometern machen lässt - und man müsse Resilienz aufbauen. Resilienz und Sustainability waren dann auch die zusammenfassenden Schlagworte des virtuellen Treffens. Sustainability bedeutet Nachhaltigkeit - also eine Partnerschaft, die Werte von Bestand schafft und für das Überleben westlicher Werte sorgt. Resilienz ist die Fähigkeit der natürlichen Abwehr destruktiver Einflüsse und des souveränen Bestehens in kritischen Situationen.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 29. Oktober 2020

Kommandowechsel an der Logistikschule der Bundeswehr in Garlstedt

Mit einer Kutsche verließ Brigadegeneral André Denk den Paradeplatz der Logistikschule in Garlstedt. Die Mitarbeiter der Schule denken sich zum Abschied immer etwas Besonderes aus. Diesmal betraf es das Hobby der Familie Denk: Pferde. Da starke Männer oft auch eine starke Frau hinter sich haben, wurde nicht etwa nur ein Pferd herbeigeschafft, sondern eine Kutsche, in der für das Ehepaar Platz war. Schon fast aristokratisch wirkte das anschließende Abfahren der Paradeaufstellung. Mit der Hand am Barett drückte der scheidende Schulkommandeur noch einmal seine Wertschätzung gegenüber den Menschen aus, die ihn in den letzten 22 Monaten begleitet hatten.

#LogSBw Kommandowechsel an der Logistikschule der Bundeswehr in Garlstedt von Brigadegeneral André Denk zu Brigadegeneral Boris Nannt
Kommandowechsel an der Logistikschule der Bundeswehr in Garlstedt von Brigadegeneral André Denk zu Brigadegeneral Boris Nannt - Ehepaar Denk wird mit einer Kutsche vom Paradeplatz gefahren.

Wertschätzung war das Attribut, das die Reden und den gesamten Übergabeappell bestimmt hat. Bemerkenswert war die Abschiedsrede von General Denk. In der Regel werden die Zuhörer zu Beginn so lange mit Gästeaufzählungen ermüdet, dass sie den eigentlichen Inhalt nur noch peripher wahrnehmen. André Denk wählte ein anderes Stilmittel. Er bettete die zu erwähnenden Personen Segment für Segment in seine Rede ein, wechselte auf Englisch und dann wieder auf Deutsch. Für jede der erwähnten Personen hatte er ein persönliches Wort der Anerkennung und Erinnerung.

Obwohl er nur 22 Monate, nämlich vom 10. Januar 2019 bis 29. Oktober 2020, an der Logistikschule gewirkt hatte, war in dieser Zeit viel passiert: Besuch des Bundespräsidenten, mehrere Besuche des Generalinspekteurs, 2.000 US-Soldaten während US Defender Europe und vieles mehr. Allein unser Redaktionsteam war seit Januar 2019 sechs Mal in Garlstedt. Bei seinen Mitarbeitern war André Denk sehr beliebt. Er konnte sich auf ein motiviertes Team verlassen. Vor seinem Büro hing ein großes Foto mit seinen engsten Stabsmitarbeitern. Modernes Führen durch Freisetzen, Fördern, Wertschätzung und Nahbarkeit.

Wenn André Denk nun als Director Logistics an den EU-Militärstab in Brüssel geht, nimmt er diese entspannte und professionelle Art mit. Auch Ursula von der Leyen wollte ihn schon in ihr Team einbinden. Das harmonierte aber nicht mit den beruflichen Vorstellungen des Brigadegenerals. Durch die geänderten Prioritäten der USA wird die EU-eigene Verteidigung immer wichtiger. Deshalb ist es gut, wenn fähige Kräfte entscheidende Positionen besetzen. Er soll Konzepte erstellen, logistische Einsätze planen, den Militärstab um General Claudio Graziano unterstützen und für das Personalwesen verantwortlich zeichnen. Sein bisheriger Chef, Generalmajor Thomas, ist überzeugt davon, dass die Stelle in Brüssel passend besetzt wird.

#LogSBw Kommandowechsel an der Logistikschule der Bundeswehr in Garlstedt von Brigadegeneral André Denk zu Brigadegeneral Boris Nannt
Kommandowechsel an der Logistikschule der Bundeswehr in Garlstedt von Brigadegeneral André Denk (links) zu Brigadegeneral Boris Nannt (rechts) - mittig mit Fahne: Generalmajor Thomas, Kommandeur des Logistikkommandos

Sein Nachfolger an der Logistikschule wurde Brigadegeneral Boris Nannt. Boris Nannt hat jede Menge Schulerfahrung. Seit 2017 war er Direktor an der Führungsakademie in Hamburg. Davor hatte er dort seinen Generalstabslehrgang absolviert und drei Jahre lang im Fachbereich Führungslehre gearbeitet. Laut seinem neuen Chef, Generalmajor Thomas, liegt ihm das "moderne Führen". Er hat auch einschlägige Presseerfahrung: Als Teil des Presse- und Infostabes am BMVg musste er sich mehrere Jahre den kritischen Fragen der Hauptstadtpresse stellen. Ein undankbarer Job, bei dem ein unbedachtes Wort oder eine mehrdeutige Geste ungewollte Wellen gegen die Bundeswehr schlagen kann.

Nun stand er hier auf dem Paradeplatz und übernahm mit fester Befehlsstimme das Kommando über die Logistikschule. General Thomas überreichte ihm die Truppenfahne, die inzwischen reich mit Fahnenbändern dekoriert ist. Es könnten während seiner Zeit noch weitere Fahnenbänder hinzukommen. Beispielsweise während der Austragung des NATO-Manövers "Steadfast Jupiter Jackal". Es wird also nicht langweilig in Garlstedt - trotz Corona.

Ach ja, Corona: Bis zum letzten Tag war nicht mit Sicherheit zu sagen, wie denn der Übergabeappell stattfinden werde. Letztlich musste auf Elemente wie den Einmarsch der Paradeaufstellung und der Ehrenformation verzichtet werden. Alle trugen eine Maske. Bei der Nationalhymne durfte nicht mitgesungen werden. Die Gästezahl war stark reduziert und es gab auch keinen Empfang. So konnte General Denk gleich von der Kutsche aus ins Auto umsteigen und nach Hause fahren. Ab Montag geht es für ihn bereits in Brüssel los.

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 27. Oktober 2020

Auf dem Weg zur islamischen Militärseelsorge

Als im Dezember 2019 der Staatsvertrag zur jüdischen Militärseelsorge unterschrieben wurde, kam auch die Frage nach einer islamischen Militärseelsorge auf. Militär-Imame gibt es zwar in einigen westlichen Armeen, allerdings ohne den Wirkungsbereich der Seelsorge. Wenn ein Imam in eine "außergewöhnliche Situation" von Leid oder Verlust gerufen wird, hat er bisher nur einen Trost dabei: "Allah wollte das so." Das harmoniert nicht mit dem, was man sich bei der Bundeswehr unter Seelsorge vorstellt.

Islamkolleg Deutschland IKD gegründet islamische Militärseelsorge
Islamkolleg Deutschland e.V. (IKD) gegründet - Foto: Archiv 10/2014

Im November 2019 wurde der Islamkolleg Deutschland e.V. (IKD) gegründet. Das Innenministerium (BMI) stellt Fördergelder für die nächsten fünf Jahre bereit, redet aber inhaltlich nicht herein, so Prof. Dr. Bülent Ucar, der wissenschaftliche Direktor des Kollegs. Offensichtlich ist das BMI vom Konzept der neuen Bildungsstätte überzeugt: Es werde nur auf Deutsch gelehrt und die Ausbildungsinhalte seien konform zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) gestaltet. Der Stundenplan bediene sieben Themenkomplexe inklusive Religionspädagogik und Seelsorge. Wer nach zwei Jahren das IKD verlasse, könne als Imam, Religionspädagoge oder Seelsorger arbeiten. Der Vorsitzende, Dr. Esnaf Begic, betonte in der heutigen Pressekonferenz die weibliche Berufsbezeichnung. Man bilde auch Frauen aus, gehe aber von möglichen Schwierigkeiten bei der anschließenden Jobfindung aus. Hinzu komme der Umstand, dass die Bezahlung von Imamen "miserabel" sei.

Frauen, FDGO, deutsche Sprache und Seelsorge treffen in islamischen Kreisen auf deutliche Skepsis. Kein Wunder also, dass die von der Türkei aus gesteuerten Dachverbände das Projekt nicht unterstützen. Das IKD wirkt wie eine emanzipierte Gruppe Gläubiger, die um der Alltagsrelevanz willen die große Muttergemeinschaft verlassen - ähnlich der Reformation um 1500 in Deutschland. Dr. Esnaf Begic ist selbst Imam und stammt aus Bosnien. In Deutschland hatte er ein Schlüsselerlebnis: Sein Sohn kam aus einer Freitagspredigt und meinte zu ihm, dass er gar nichts verstanden habe. Deshalb fing man in einigen Moscheen an, auf Deutsch zu predigen.

Der Innovationen nicht genug, stellte Dr. Esnaf Begic selbstkritisch fest, dass ein "Allah wollte es so" nur bedingt hilfreich für Betroffene ist. So schaute er sich die christliche Seelsorge an und nahm sie als Vorbild für die Konzeption einer islamischen Seelsorge. Das Christentum sei hier "meilenweit voraus". Letztlich gehe es auch nicht um einen Sonderweg zur Linderung von Schmerz, sondern um eine vergleichbare Wirkung in einem anderen "theologischen Kontext". Mit ausgebildeten Religionspädagogen und Seelsorgern sowie dem Bekenntnis zur FDGO sind wichtige Schritte in Richtung islamischer Militärseelsorge getan. Jetzt fehlt es noch an einem zentralen und allseits akzeptierten Dachverband, mit dem der Militärseelsorge-Staatsvertrag abgeschlossen werden könnte.

Autor: Matthias Baumann

Mittwoch, 21. Oktober 2020

BSI stellt den Lagebericht 2020 zur IT-Sicherheit in Deutschland vor

Wenn die NATO über den Verteidigungsfall nach Artikel 5 redet, werden Cyber-Angriffe bisher noch ausgenommen. Der Grund dafür ist, dass sich diese bisher weitestgehend unterhalb kritischer Schwellen bewegt haben. Das könnte sich in naher Zukunft ändern. Während Corona wurden qualifizierte Angriffe auf Krankenhäuser durchgeführt. In deren Folge musste beispielsweise eine Notaufnahme in Düsseldorf geschlossen werden. Der Preis solcher Aktionen können Menschenleben sein. Laut Lagebericht 2020 des BSI (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik) sind sämtliche Gerätschaften der Intensivstationen potenziell gefährdet. Diese sind über Schnittstellen mit der Außenwelt verbunden, so dass sie neben gesunden Updates auch Schadsoftware empfangen können.

2019 gab es ein Szenario, bei dem eine fünfstellige Anzahl von Patientendatensätzen inklusive der dazugehörigen Bilddaten veröffentlicht wurde. Dass diese Angriffe ihre Wirkung entfalten können, liegt an Fehlkonfigurationen der Server, an Lücken = Qualitätsmängeln in der Zielsoftware und an sozialen Einfallstoren wie schwache Passwörter oder unbedachte Klicks auf gefährliche Links. Daran zeigt sich, dass Sicherheit im Gesundheitswesen bislang keine hohe Priorität hatte. Als Konsequenz sollen nun 15% des IT-Budgets des Gesundheitsministeriums in IT-Sicherheit investiert werden.

BSI stellt den Lagebericht 2020 zur IT-Sicherheit in Deutschland vor
BSI stellt den Lagebericht 2020 zur IT-Sicherheit in Deutschland vor

"Antworten Sie so, wie Sie denken", ermutigte Innenminister Horst Seehofer seinen BSI-Präsidenten Arne Schönbohm in der gestrigen Pressekonferenz zu einer ehrlichen Antwort auf die Frage, wie er die Sicherheitslage auch für die Zukunft sieht: "besorgt". Besorgnis ist beim BSI ein Dauerzustand. Das liegt daran, dass täglich über 300.000 neue Varianten von Schadprogrammen in Umlauf gebracht werden. Täglich werden 20.000 BOT-Infektionen deutscher Systeme registriert. Drei von vier E-Mails an den Bund sind Spam-Mails und 1.000 an den Bund gerichtete E-Mails pro Tag enthalten Schadsoftware.

Corona hat die Kreativität krimineller Akteure befeuert. Diese reagieren gewohnt schnell und flexibel auf medienwirksame Entwicklungen. So wurden täuschend echt wirkende Webseiten zur Beantragung von Corona-Zuschüssen aufgesetzt und professionell beworben. Auf diesem Wege wurden von übereilt handelnden Betroffenen sensible Firmendaten abgegriffen und zur Umlenkung der Zuschüsse genutzt. Aber auch sonst ließen sich die Verunsicherung des Lockdowns und der Umzug ins Homeoffice effizient für Angriffe ausnutzen. Erst langsam werden Sicherheitslücken bei Videokonferenz-Anbietern geschlossen und Mitarbeiter im Homeoffice auf Sicherheitsaspekte sensibilisiert.

Virenscanner, Firewalls, lange Passwörter und verschlüsselte Verbindungen bieten einen gewissen Grundschutz, der längst nicht flächendeckend genutzt wird. Laut einer Risikomatrix stellen die Menschen vor dem Bildschirm immer noch das größte Gefahrenpotenzial dar: leichtfertiges Klicken auf Links, gedankenloses Installieren von Schadsoftware, unbefugter Zugriff am Endgerät oder säumiges Einspielen von Systemupdates. Letzteres lässt sich normalerweise auf Automatik einstellen. Das BSI strebt an, dass Parameter wie automatische Updates per "default" - also per Voreinstellung - in Softwareprodukten eingestellt sind. Auswertungen haben ergeben, dass viele Nutzer die Software installieren und dann gar nichts mehr an deren Grundeinstellungen ändern. Zukünftig soll der Nutzer nur noch sichere Software ausgeliefert bekommen, deren Restriktionen er dann manuell lockern muss.

Für den Server-Betrieb empfiehlt das BSI den Einsatz eines Minimalsystems. Dieses soll nur die wirklich benötigten Komponenten enthalten. Das verringert die Angriffsfläche. Interessant an der Risikomatrix ist auch, dass eine Manipulation eingehender Datenströme als "sehr unwahrscheinlich" eingestuft wird. Das widerspricht dem Hype um das verschlüsselnde HTTPS-Protokoll. War HTTPS früher nur seriösen Webanwendungen vorbehalten, wird dieses inzwischen zu über 60% auch von gefälschten Webseiten zum Ausspähen sensibler Daten (Phishing) genutzt.

Cyber-Angriffe fallen in den Fachbereich "Hybride Bedrohungen". Zuständig ist Staatssekretär Dr. Markus Kerber. Täglich um 11 Uhr trifft sich dazu eine Arbeitsgruppe aus sämtlichen Sicherheitsbehörden wie dem BND (Bundesnachrichtendienst), dem MAD (Militärischer Abschirmdienst), dem Verfassungsschutz (BfV), der Bundespolizei, dem Kommando CIR (Cyber-Informationsraum) und dem BBK (Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe). Diese Plattform nennt sich Nationales Cyber-Abwehrzentrum (Cyber-AZ).

Das BSI hat alle Hände voll zu tun und wird kontinuierlich personell erweitert. Im sächsischen Freital wird derzeit ein zweiter Standort des BSI mit 200 neuen Mitarbeitern geschaffen. Diese Mitarbeiter werden hauptsächlich in der Region rekrutiert. Darüber hinaus kümmert sich das BSI auch um gesetzliche Rahmenbedingungen. Diese müssen wegen der technischen Entwicklung ständig angepasst werden. So wurde 2015 das erste IT-Sicherheitsgesetz verabschiedet. Kurz darauf wurde das zweite IT-Sicherheitsgesetz in die Bearbeitung gegeben. Dann kamen 5G und Huawei ins Gespräch und der Text musste schon wieder nachjustiert werden. Dabei geht der Gesetzentwurf durch ein größeres Gremium von Technik-Experten und eine 5er-Gruppe, die aus Verfassungsschutz (BfV), Innenministerium (BMI), Wirtschaftsministerium (BMWi), BSI und Auswärtigem Amt besteht. Erst wenn ein allgemeiner Konsens erzielt wurde, geht der Text in die nächste Instanz. Wenn allerdings das "Sicherheitsinteresse Deutschlands" durch eine neue Technologie oder deren Anbieter tangiert wird, gibt es eine "politische Versagensmöglichkeit". Einen Zeitpunkt für das Inkrafttreten des zweiten IT-Sicherheitsgesetzes wollte in der Pressekonferenz niemand bekannt geben. Es hieß nur: "in Kürze" oder "bald".

In der Zwischenzeit kann der geneigte Leser überlegen, welche Passwörter noch zu optimieren sind, ob er mal wieder einen Virenscan laufen lässt, wie lange seine letzte Datensicherung her ist und ob die Datensicherung physisch und geografisch getrennt aufbewahrt wird.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 15. Oktober 2020

Berlin bekommt sein eigenes Landeskommando

Berlin macht mal wieder das Schlusslicht. So auch bei der Aufstellung der Landeskommandos. Während Bayern, Bremen, Brandenburg und alle anderen Bundesländer schon viele Jahre über Landeskommandos verfügen, wurde ein solches erst heute für Berlin aufgestellt. Die Landeskommandos sind dem Kommando Territoriale Aufgaben (KdoTA) unterstellt. Dieses wurde 2013 gegründet und sitzt seitdem in Berlin. Grund genug, sich das Landeskommando Berlin zu sparen. Dessen Aufgaben wurden einfach vom KdoTA miterledigt.

Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne
Aufstellungsappell für das Landeskommando Berlin in der Julius-Leber-Kaserne - v.r.n.l. Brigadegeneral Jürgen Karl Uchtmann (Kommandeur des Landeskommandos Berlin), Generalmajor Carsten Breuer (Kommandeur des Kommandos Territoriale Aufgaben), Brigadegeneral Andreas Henne (stellvertretender Kommandeur des Kommandos Territoriale Aufgaben)

Da wir gerade bei Hierarchien sind: Das KdoTA untersteht der Streitkräftebasis (SKB). Die Streitkräftebasis wurde 2012 ins Leben gerufen und sitzt in Bonn. Die SKB ist ein Sammelbecken für sämtliche Bereiche der Bundeswehr, die nicht eindeutig dem Heer, der Luftwaffe oder der Marine zugeordnet werden können. Das betrifft beispielsweise die Logistik, die Feldjäger, die Bildung, die zivil-militärische Vernetzung oder das Wachbataillon. Der Inspekteur der Streitkräftebasis ist gleichzeitig der Nationale Territoriale Befehlshaber in Deutschland. Wenn die NATO in Deutschland eine Übung wie US Defender Europe 2020 abhalten möchte, ist der Inspekteur SKB für eine gute Betreuung in der "Host Nation" (Gastgeberland) zuständig.

Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne
Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne - Rede von Generalmajor Carsten Breuer - im Hintergrund links Brigadegeneral Andreas Henne und rechts Oberst Christian von Blumröder

Corona hat gezeigt, wie Landeskommandos im nationalen Rahmen ausgelastet werden können. Zu deren Aufgaben gehören nämlich auch Amts- und Katastrophenhilfe. Hier ist nicht nur Personal gefragt, sondern auch taktisches Geschick bei der Koordination der Hilfsmaßnahmen. Landeskommandos übernehmen zudem Presse- und Informationsaufgaben und haben ein Auge auf den Umweltschutz bei militärischen Übungen in ihrem Bundesland. Ganz zu schweigen von der Eingliederung regionaler Reservisten. Um dieses Aufgabenpaket wurde nun das KdoTA für Berlin entlastet.

Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne
Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne - An Brigadegeneral Jürgen Karl Uchtmann wurde heute das Kommando des Landeskommandos Berlin übergeben

Neues Kommando, neue Personalien: Der bisherige General Standortaufgaben, Brigadegeneral Andreas Henne, wurde für 34 Minuten der erste Komandeur des Landeskommandos Berlin. Damit er sich jedoch aktiv als stellvertretender Kommandeur des Kommandos TA einbringen kann, wurde ein weiterer Brigadegeneral in die Bundeshauptstadt geholt: Jürgen Karl Uchtmann. Noch in demselben Appell wurde das Landeskommando Berlin an ihn übergeben. Jürgen Karl Uchtmann ist 60 Jahre alt und seit 41 Jahren bei der Bundeswehr. Er ist ausgebildeter Panzeraufklärer und verfügt über eine spannende Auslandskarriere an den Botschaften in London und Peking. Im Attachéstab einer dieser Staaten zu arbeiten, ist eine hohe Auszeichnung. Nur in fünf Auslandsvertretungen sind diese Dienststellen mit Brigadegeneralen besetzt: USA, Großbritannien, Frankreich, China und Russland. Jürgen Karl Uchtmann bringt also einschlägige Hauptstadt-Erfahrungen mit und kann sich auf dem diplomatischen Parkett bewegen.

Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne
Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne - Das Wappen des Landeskommandos Berlin bezieht sich auf das am 10. März 1813 gestiftete Eiserne Kreuz, das bis heute als Symbol der Bundeswehr dient. Es unterscheidet sich nur durch den mittig eingesetzten Berliner Bären vom Original. Im Hintergrund ist das Schild am Eingang des Landeskommandos Berlin zu sehen. Die Wappen im Vordergrund zieren einen Buddy-Bären.

Das Wappen des Landeskommandos Berlin referenziert auf das erste Eiserne Kreuz, welches am 10. März 1813 durch Friedrich Wilhelm III. gestiftet worden war. Friedrich Wilhelm III. ist der preußische König, dessen überdimensioniertes Reitergemälde das Treppenhaus von Schloss Bellevue ziert und der 1819 das Erste Garderegiment zu Fuß aufgestellt hatte. Dieses Garderegiment könnte als Urahne des heutigen Wachbataillons bezeichnet werden. 1813 war darüber hinaus als Start der Befreiungskriege gegen Napoleon von Bedeutung. Damals wurde die Bevölkerung aktiv in den Befreiungsprozess eingebunden, was sich deutlich auf deren Motivation auswirkte.

Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne
Aufstellungsappell Landeskommando Berlin Julius-Leber-Kaserne - Regierende Bürgermeister sind möglicherweise immun gegen Corona. Deshalb war Michael Müller die einzige Person auf dem Areal ohne Mundschutz. Nach seiner Rede setzte er jedoch einen auf. Im Hintergrund Oberstleutnant Kai Beinke - Kommandeur des Wachbataillons.

Zivilgesellschaft und Bundeswehr wurden auch beim heutigen Aufstellungsappell kombiniert. Der Regierende Bürgermeister Berlins, Michael Müller, hielt eine Ansprache. Wegen Corona war der Aufstellungsappell kurzfristig von der Zitadelle Spandau in die Julius-Leber-Kaserne verlegt worden. Das reduzierte die Zuhörerschaft. Die Akteure waren also weitestgehend unter sich.

Autor: Matthias Baumann

Video: Appell zur Aufstellung und Übergabe des Landeskommandos Berlin in der Julius-Leber-Kaserne

Montag, 12. Oktober 2020

Viel Wind um das Sturmgewehr G36

2010 fand in Afghanistan das legendäre Karfreitagsgefecht statt. Damals waren deutsche Fallschirmjäger in einen Hinterhalt der Taliban geraten und mit einer Verkettung ungünstiger Umstände konfrontiert worden. Das Gefecht dauerte mehr als acht Stunden und kostete drei Soldaten das Leben. Im Laufe des Gefechtes wurden um die 25.000 Schuss abgegeben. Das entspricht 52 Schuss pro Minute. Neben wenigen Maschinengewehren (MG3) kamen hauptsächlich die Sturmgewehre G36 aus dem Hause Heckler & Koch zum Einsatz.

Das G36 kann mit Einzelfeuer, Feuerstoß oder Dauerfeuer geschossen werden. Das übliche Magazin fasst 30 Patronen. Hollywood erweckt den Eindruck, ein Sturmgewehr werde immer im Dauerfeuer genutzt. Das ist nicht richtig. Wird ein G36 mit Dauerfeuer betrieben, müsste schon nach drei Sekunden das Magazin gewechselt werden. Das ist sehr lästig und hat auch mit "Feuerzucht" nichts zu tun. Feuerzucht ist der Begriff für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen - also den Patronen - insbesondere, wenn man in einem Hinterhalt nicht damit rechnen kann, Nachschub an Munition zu bekommen.

Deshalb wird Dauerfeuer nur kurzzeitig genutzt, beispielsweise um den Gegner während des eigenen Positionswechsels in dessen Deckung zu zwingen. Bevorzugt wird für diesen Zweck ein Maschinengewehr eingesetzt, so eines vorhanden ist. Maschinengewehre wie MG3, MG4 oder MG5 können gar nicht per Einzelfeuer geschossen werden. Die Alternative beim MG ist der Feuerstoß mit einer Folge von etwa drei Schüssen. Dadurch lassen sich konkrete Ziele bekämpfen, während das Dauerfeuer eher eine Streuung erzeugt, die ohne langes und präzises Zielen in Richtung Gegner abgesetzt wird. Feuerstöße und Dauerfeuer werden auch im Ortskampf eingesetzt, wenn beispielsweise ein Gebäude gestürmt wird oder wenn Personen aus dem Gebäude die nahende Übermacht der Angreifer aufhalten möchten.

G36 MG3 Dauerfeuer
Das MG3 (oben) ist für Dauerfeuer konzipiert und dient dem Niederhalten des Gegners. Das G36 (unten liegend) ist eher zur Bekämpfung präziser Ziele per Feuerstoß oder Einzelschuss vorgesehen. Foto: Archiv 03/2019

Der geübte G36-Nutzer kann aber auch im E-Modus (Einzelschuss) schnelle Schussfolgen abgeben, ohne insgesamt zu viel Munition zu verbrauchen. Wie Auswertungen der Helmkameras zeigen, wurde wohl am Karfreitag 2010 mit den G36 hauptsächlich Dauerfeuer geschossen. Dadurch kam es zu einer Überhitzung der Rohre. Das wirkte sich auf die Treffsicherheit aus. MGs haben trotz ihrer Konzeption für Dauerfeuer ebenfalls mit überhitzten Rohren zu tun. Dafür ist jedem MG ein Ersatzrohr beigelegt. Das wird beispielsweise nach 150 Schuss gewechselt. Nach den nächsten 150 Schuss ist das erste Rohr abgekühlt und kann wieder gewechselt werden. Beim G36 geht das nicht. Es ist nämlich gar nicht für solch eine Dauerbelastung konzipiert.

Letzteres war auch das Ergebnis des anschließenden Streites zwischen BMVg und Hersteller Heckler & Koch. Heckler & Koch konnte nachweisen, dass das G36 genau den Anforderungen der damaligen Bestellung entsprach. Mitte 1995 gab es den Zuschlag für die Lieferung und Ende 1997 waren die ersten Exemplare übergeben worden. Niemand ahnte zu der Zeit, dass sich nur vier Jahre später die Anforderungen dramatisch ändern würden. Man war - wenn überhaupt - von einem konventionellen Konflikt in heimischen Gefilden ausgegangen. Ein Einsatz bei über 40°C oder im Sandsturm bewegte sich fernab jeglicher Vorstellungskraft.

Viele Teile des G36 bestehen aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Dadurch wiegt es sogar mit Magazin weniger als vier Kilogramm. Die Hitze des Mittleren Ostens und Kunststoff vertragen sich nicht so gut. Kommt dann noch eine Dauerbelastung durch Deckungsfeuer hinzu, kann das Gewehr möglicherweise seinen Dienst quittieren. Das liegt aber nicht daran, dass das Gewehr fehlerhaft ist, sondern daran, dass dessen Konzeption der damaligen geopolitischen Lage angepasst war.

HK G36 versus Haenel MK556
Das G36 ist auch für ungeübte Schützen so leicht zu bedienen, dass diese auf 100 bis 250 Meter Trefferquoten von über 90% erzielen. Foto: Logistikschule der Bundeswehr / Reiter

In der Truppe wird das G36 bis heute geschätzt. Es ist leicht, treffsicher und einfach zu handhaben. Im Tragegriff ist ein Zielfernrohr mit Fadenkreuz integriert und darüber eine weitere Optik mit rotem Punkt. Diese erlaubt es, während des Zielens beide Augen offen zu halten. Der rote Punkt ist dann an der Stelle im Gelände sichtbar, wohin das Gewehr gerade zielt. Als "Kampfwertsteigerung" wünschen sich Soldaten ein Holosight Visier. Dieses würde den roten Punkt nicht nur im Auge des Schützen darstellen, sondern auch direkt auf dem Ziel. Bei aller Zufriedenheit sollte bemerkt werden, dass das G36 nun doch schon 25 Jahre alt ist. Zeit für einen Generationswechsel.

Der Medienrummel um das G36 konzentrierte sich auf die Schwächen beim Karfreitagsgefecht. Die taktischen Ursachen für diese Schwächen wurden kaum erwähnt. Hatte man doch endlich wieder eine Panne bei der Bundeswehr entdeckt, die man bei Bedarf aus der Schublade holen konnte. Neben Befragungen zum Einsatz von Beratern, Engpässen bei der Ausrüstung und der Dauerbaustelle Gorch Fock wollte man beim BMVg deshalb auch das leidige Thema G36 vom Tisch bekommen.

So wurden neue Anforderungen für das Sturmgewehr definiert und ein Vergabeverfahren eingeleitet. Am 15. September 2020 wurde der Sieger der Ausschreibung verkündet: die Firma C.G. Haenel GmbH aus Suhl. Es ist wohl eine Ironie des Schicksals, dass die Firma Haenel zur Merkel-Gruppe gehört und einen Geschäftsführer hat, der Olaf Sauer heißt. Der Nachfolger des G36 sollte das MK556 werden. Das MK556 hat bei weniger Kunststoff ein ähnliches Gewicht wie das G36.

Aber aus dem Deal wurde nichts: Am 30. September ging ein Nachprüfungsantrag von Heckler & Koch beim Bundeskartellamt ein. Demnach konnte "erstmalig nachprüfbar von einer möglichen Patentrechtsverletzung" gesprochen werden. Konkret geht es dabei um ein Patent für die Verschlusstechnik des G36. Diese ermöglicht eine Nutzung des Gewehrs auch nach dem Untertauchen im Wasser. Am 9. Oktober informierte das BMVg darüber, dass der Zuschlag an Haenel aufgehoben wurde. Nun müssen die vorliegenden Angebote neu gesichtet werden. Das Auftragsvolumen beläuft sich auf 120.000 Stück zu insgesamt 250 Millionen Euro. Ab einer Investitionssumme von 25 Millionen Euro muss der Bundestag gefragt werden. Liegt also irgendwann eine neue Entscheidung zum G36-Nachfolger vor, muss diese noch vom Parlament bestätigt werden.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 8. Oktober 2020

#MSC2021 Zeitenwende und Münchner Konsens

Was bitte ist nun schon wieder der "Münchner Konsens"? Der "Münchner Konsens" geht auf das Frühjahr 2014 zurück. Auf der damaligen Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) hatten der damalige Bundespräsident Joachim Gauck, der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier und die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen drei bemerkenswerte Reden gehalten. Diese Reden hatten einen gemeinsamen Nenner, der später als "Münchner Konsens" bezeichnet wurde:

Deutschland solle "früher, entschiedener und substanzieller" handeln.

Und das aus dem Munde des ehemaligen Pfarrers Joachim Gauck, des friedliebenden Frank-Walter Steinmeier und einer Verteidigungsministerin, die bis heute als "Ungediente" verspottet wird. Die drei haben sich in den letzten sechs Jahren weiterentwickelt: Joachim Gauck genießt jetzt den Ruhestand, Frank-Walter Steinmeier das Amt des Bundespräsidenten und Ursula von der Leyen ihren Spitzenposten bei der EU. Nur Deutschland zeigt sich als "eine Gestaltungsmacht im Wartestand".

#MSC2021 MSR Munich Security Report, Zeitenwende | Wendezeiten, Münchner Konsens
Munich Security Report MSR "Zeitenwende | Wendezeiten" und der "Münchner Konsens"

Dieser "Wartestand" gefällt unseren potenziellen Partnern gar nicht. Einige bezeichnen Deutschland bereits als "Drückeberger oder Trittbrettfahrer". Deutschland wolle von der internationalen Ordnung profitieren, sich jedoch "nicht selbst die Hände schmutzig" machen. Die Diplomaten des Auswärtigen Amtes sind in der Welt sehr geschätzt, aber deren Expertise im friedlichen Dialog sei zu wenig mit militärischer Stärke untermauert. Hier geht es mehr um Abschreckung, also ein "Show of Force" - ein Zeigen, dass man könnte, wenn man müsste. Als Schritt in die richtige Richtung wird deshalb die deutsche Führungsverantwortung in den diversen NATO-Projekten an der Ostflanke gewertet. In den letzten Jahren ist die Bundeswehr verschiedene europäische Kooperationen eingegangen und hat Verbände mit Soldaten aus Polen, den Niederlanden oder Frankreich gegründet. Kritiker sind dennoch der Meinung, dass Deutschland weit "hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt".

"Münchner Konsens" oder "Anhängsel Eurasiens"

Die Initiativen wurden weitestgehend vom Verteidigungsministerium vorangetrieben. Im Bundestag fehlt es an einer konstruktiven Auseinandersetzung mit der möglichen Abkehr der USA von Europa und der NATO. Es ist nämlich nicht nur die militärische Stärke, sondern auch die nachrichtendienstliche Kompetenz der USA, auf die man sich bisher verlassen hatte. Um einen Wegfall amerikanischer Fähigkeiten zu kompensieren, bräuchte Europa etwa 20 Jahre und sehr viel mehr Geld. Momentan sei Europa ohne die Amerikaner "blind, taub und stumm". Deshalb bleiben die "transatlantischen Beziehungen der Plan A" für Deutschland. Einen "realistischen Plan B" gibt es derzeit nicht. Dieser muss noch gemeinsam mit den europäischen Nachbarn entwickelt werden.

Wird der "Münchner Konsens" also weiterhin nur von wenigen Akteuren umgesetzt, könnte Deutschland sehr bald von der "Zeitenwende" überholt werden. Deutschland muss sich spätestens jetzt überlegen, ob es diese Zeitenwende als "enabling power" (Möglich-Macher-Macht) mitgestalten oder sich zukünftig als "Anhängsel Eurasiens" der Dominanz des Ostens unterordnen möchte. Die Durchsetzung dieser Dominanz erfolgt - entgegen dem "deutschen Mantra" allseits friedlicher Lösungen zum Trotz - bei Bedarf auch militärisch. Der amerikanische Verteidigungsexperte Eldridge Colby wird den Eindruck nicht los, dass viele Deutsche ein "instinktives Unbehagen" empfinden, sobald auch nur der "Beigeschmack von Realpolitik" auftrete.

Dabei haben Umfragen ergeben, dass sich weit mehr Bürger für Sicherheitspolitik interessieren, als landläufig angenommen. Es gebe sogar breite Zustimmung für Bundeswehreinsätze, die der Solidarität gegenüber Bündnispartnern dienen - Kameradschaft. Während CDU und CSU traditionell für militärische Lösungen aufgeschlossen sind, wechseln vermehrt auch Grüne auf diese Seite. Wähler des roten Parteienspektrums und der AfD lehnen einen konsequenten Umgang mit Staaten wie Russland ab.

Wirtschaftskraft und Führungskompetenz

Deutschland hat die wirtschaftliche Kraft und den Einfluss in der Welt. Es muss aber endlich das Selbstbewusstsein zum Ausleben des "Münchner Konsenses" aufbringen. Ausländische Diplomaten attestieren Deutschland einen sehr professionellen und honorigen Umgang mit der eigenen Geschichte. Kaum eine andere Nation kenne solch eine selbstkritische Auseinandersetzung. Das verleihe Deutschland eine ehrliche und reife Führungskompetenz. Wenn Staaten an der Peripherie der EU in nichtdemokratische Ambitionen abgleiten, kann das auch an der zögerlichen Wahrnehmung der Leitungsrolle Deutschlands liegen. Die Sehnsucht nach Führung treibt diese Staaten dann lieber in Richtung Russland oder China, wo es zumindest bezüglich der Leitung klare Verhältnisse gibt. Dass jemand, der seine Freiheit zugunsten von Sicherheit aufgibt, letztlich beides verliert, spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

Beim Zerbröckeln der EU wäre Deutschland der "größte Nettoverlierer". Wie kein anderer Mitgliedsstaat profitieren wir von Binnenmarkt, Zollunion, Schengen-Abkommen und dem Euro. Laut IfW (Institut für Weltwirtschaft) würde bei einem Zerfall der EU das deutsche BIP um 173 Milliarden Euro abstürzen. Irgendwann folgen Frankreich mit 87 und die Niederlande mit 85 Milliarden Euro. Visegrád-Staaten wie Polen, Ungarn oder Tschechien würden herbe Verluste bei Subventionen und eben auch dem Binnenmarkt einfahren. Deutschland ist also auf seine europäischen Partner angewiesen. Würde es selbstbewusster mit Russland umgehen, könnte es auch die Videgrád-Staaten gewinnen. Die ehemalige spanische Außenministerin Ana Palacio unterstreicht die Führungsqualitäten Deutschlands. Halte sich Deutschland aber irgendwo zurück, erzeuge das "eine ausgeprägte Richtungslosigkeit".

Die 3% und der Bundessicherheitsrat

Die Münchner Sicherheitskonferenz fordert neben der beherzten Umsetzung des "Münchner Konsenses" und dem Mut zur Führung zwei weitere kurzfristig umsetzbare Dinge: Da wäre erstens die Einführung des Bundessicherheitsrates (BSR). Der BSR solle ähnlich des aktuellen Corona-Kabinetts aufgestellt sein. Das Corona-Kabinett zeichnet sich durch seine personelle Schlankheit sowie die "flachen Hierarchien und schnellen Eskalationsstufen" aus. Der BSR sollte ressortübergreifend strukturiert sein, so dass die Wege zwischen Verteidigungsministerium (BMVg), Innenministerium (BMI), Auswärtigem Amt und Entwicklungsministerium (BMZ) sehr kurz gehalten werden. In Großbritannien wird das bereits erfolgreich praktiziert. Dort gibt es den Nationalen Sicherheitsrat (National Security Council - NSC), der sich wöchentlich unter rotierendem Vorsitz trifft. Der BSR soll dann auch als "strategischer Impulsgeber" für Bundestag und Bundesregierung fungieren.

Der zweite Punkt ist eine Zusammenfassung der Haushalte für Verteidigung, Diplomatie und Entwicklungshilfe. Dieser 3er-Haushalt soll 3% des BIP entsprechen. Um eine gut koordinierte geostrategische Arbeit leisten zu können, sollten zunächst 2% in die Verteidigung fließen, 0,3% ans Auswärtige Amt und 0,7% ans BMZ. Das wären jährlich über 100 Milliarden Euro für diesen Außen- und Sicherheitskomplex. Die 3% wären auch eine geeignete Argumentationshilfe gegenüber den USA und unseren regionalen Partnern.

Auf Nachfrage in der gestrigen Regierungspressekonferenz wurde bestätigt, dass der Munich Security Report "Zeitenwende | Wendezeiten" bereits auf dem Schreibtisch der Bundesregierung liege, aber noch nicht im Detail ausgewertet wurde. Auch das Auswärtige Amt hatte sich bis gestern noch keine offizielle Meinung dazu gebildet.

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 6. Oktober 2020

Kein strukturelles Problem: Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden

Bei Umfragen zur Vertrauenswürdigkeit von Berufsgruppen belegen Soldaten und Polizisten sehr gute Plätze - weit vor Journalisten, Geistlichen oder Politikern. Diese Vertrauenswürdigkeit wird in letzter Zeit stark hinterfragt, weil Soldaten oder Polizeibeamte durch Handlungsweisen aufgefallen sind, die als extremistisch bezeichnet werden könnten. Da in Deutschland seit vielen Jahren nur noch ein geringer Bezug zu sicherheitspolitischen Themen besteht, wird aus wenigen Fällen gleich ein strukturelles Problem gemacht.

Deshalb war es durchaus sinnvoll, schnell zu reagieren und eine erste Übersicht zu Verdachtsfällen anfertigen zu lassen. Die Federführung hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz. Abgefragt wurden die Fallzahlen beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), dem Militärischen Abschirmdienst (MAD), dem Bundeskriminalamt (BKA), dem Bundesnachrichtendienst (BND), der Bundespolizei, der Zollverwaltung und der Polizei beim Deutschen Bundestag. Darüber hinaus mussten die Landesbehörden des Verfassungsschutzes, die Landeskriminalämter und die Landespolizeibehörden ihre Zahlen liefern. Betrachtet wurde ein Zeitraum von Januar 2017 bis März 2020 - also mehr als drei Jahre.

Pressekonferenz Lagebericht zum Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden Haldenwang BfV Seehofer BMI Münch BKA Romann Bundespolizei
Pressekonferenz zum "Lagebericht - Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden" mit Innenminister Horst Seehofer

Schon beim flüchtigen Durchblättern des 100-seitigen Lageberichtes fallen die einstelligen und zweistelligen Verdachtszahlen auf. Gemessen an der Gesamtstärke der jeweiligen Behörden liegen die Vorkommnisse tief im Promillebereich. So hat beispielsweise die Bundespolizei 51.000 Kollegen, die in Deutschland und über 80 Staaten im Einsatz sind. Auf diese Kollegen entfallen 44 Verfahren wegen rechtsextremistischer Verdachtsfälle. Das entspricht 0,9 Promille. 31 dieser Fälle wurden intern angezeigt. Um Befangenheit wegen Korpsgeist auszuschließen, werden die Ermittlungen generell an Referenzbehörden wie die Landespolizei übergeben. BKA-Präsident Holger Münch bestätigte, dass auch das BKA keine internen Fälle ermittelt, sondern ebenfalls das LKA damit beauftragt. Interne Anzeigen seien kein Denunziantentum, so es um den Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) gehe. Die Bundespolizei sieht sich als "Familie" und hat eine Vertrauensstelle eingerichtet, bei der verschiedene Anliegen inklusive toxischer Leitung vorgetragen werden können. Wenn dort von Extremismus innerhalb der eigenen Reihen berichtet werde, lande das direkt auf dem Tisch des Bundespolizei-Präsidenten Dr. Dieter Romann.

Um das Thema ressortübergreifend bearbeiten zu können, wurde beim BfV eine zentrale Koordinierungsstelle eingerichtet. Dort laufen die Fäden zusammen. Diese Zentralstelle hat auch die Aufgabe, problematische Vernetzungen transparent zu machen. Die Sicherheitsüberprüfungen für Bewerber bei Polizei und Bundeswehr wurden intensiviert. Zudem wurden Schulungsformate entwickelt, die für eine Früherkennung extremistischer Denk- und Verhaltensmuster sensibilisieren.

Pressekonferenz Lagebericht zum Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden Haldenwang BfV Seehofer BMI Münch BKA Romann Bundespolizei
Pressekonferenz zum "Lagebericht - Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden" mit Verfassungsdienst-Chef Thomas Haldenwang

Das BfV arbeitet eng mit dem MAD zusammen. Der MAD ist für das Verteidigungsministerium und die Bundeswehr zuständig. Bei Reservisten wechseln je nach dessen Status die Zuständigkeiten zwischen BfV und MAD. Reservisten mit extremistischen Ambitionen geben der Statistik einen gravierenden Ausschlag. So hat der MAD im Auswertungszeitraum insgesamt 1.064 Verdachtsfälle ermittelt, von denen etwa 800 auf Reservisten entfallen.

Die Statistik zu den Landesbehörden wurde nach Bundesländern unterteilt. Hessen ist Spitzenreiter mit 59 Fällen, die 0,29% des Personals betreffen. Gemessen an der geringen Mitarbeiterzahl ist die Quote der Verdachtsfälle in Mecklenburg-Vorpommern mit 0,26% sehr hoch. Berlin folgt mit 53 Fällen, die 0,2% des Personals betreffen. Vorzeigebeispiel ist das Saarland mit null Fällen auf 3.200 Mitarbeiter. Im Saarland wird schon seit längerer Zeit die ergänzende Sicherheitsabfrage beim BfV vorgenommen. Bestandspersonal wird dort regelmäßig geschult und Negativerfahrungen im Dienstalltag möglichst professionell aufgearbeitet, damit sich daraus keine extremistischen Haltungen bei den Kollegen entwickeln.

Innenminister Horst Seehofer meinte in der heutigen Pressekonferenz zum "Lagebericht - Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden", dass er "null Komma null auf den Bericht Einfluss genommen" habe und "trotzdem ist er gut geworden". Verfassungsdienst-Chef Thomas Haldenwang freute dieses Lob. Durch die Abfragen in den einzelnen Behörden waren diese gezwungen, sich mit den eigenen Fallzahlen, Präventionsmaßnahmen, Detektionen (Erkennung) und Reaktionen zu beschäftigen. Der Lagebericht soll fortgeschrieben werden und durch Vergleichszahlen zukünftig entsprechende Trends aufzeigen.

Autor: Matthias Baumann