Freitag, 25. Februar 2022

Ukraine: Regierungspressekonferenz mit den Schwerpunkten Sanktionen, Flucht und Bundeswehr

Der russische Einmarsch in die Ukraine bestimmte die gesamte Regierungspressekonferenz. Damit war das wohl die erste Pressebegegnung mit der Bundesregierung seit zwei Jahren, in der das Wort "Corona" nicht ein einziges Mal vorkam. Die Dauermahner Wieler und Lauterbach hatten 20 Minuten zuvor den Saal verlassen.

Nur ein Thema: Ukraine

Nach Ankündigung einiger Termine des Kanzlers ging es sofort in den Fragenteil über. Die Presse interessierte sich für drei Schwerpunkte im Zusammenhang mit der Ukraine: Sanktionen gegen Russland, Umgang mit Geflüchteten aus der Ukraine und die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr.

Sanktionspaket mit Eskalationsstufen

Laut Regierungssprecher Steffen Hebestreit habe man schon länger ein breites Sanktionspaket in der Schublade. Dieses könne in verschiedenen Eskalationsstufen kurzfristig zum Einsatz gebracht werden. Allein beim Abschalten des russischen Zahlungsverkehrs tun sich Deutschland, Frankreich und andere EU-Staaten etwas schwer, da davon auch eigene Zahlungsflüsse betroffen seien. Hier seien die Zahlungsverpflichtungen für Energielieferungen genannt.

Flucht aus der Ukraine

Mehrere Fragen bezogen sich auf die Menschen, die gerade aus der Ukraine fliehen. Es gebe gesetzliche Möglichkeiten, deren Aufenthaltsstatus in Deutschland so zu gestalten, dass sie über einen längeren Zeitraum hier bleiben können. Die zuständigen Ministerien sprachen sich für eine gerechte Verteilung auf die EU-Staaten aus. Das hatte bisher nur bedingt funktioniert.

Bundeswehr

Der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, hatte sich nach der russischen Invasion zur völlig unzureichenden Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr geäußert. Der Bundeswehr fehlen insbesondere Luftabwehrfähigkeiten, wie es sie vor einigen Jahren noch mit dem Waffensystem Gepard gab. Bei Nachfragen zu dieser Fähigkeitslücke zucken Angehörige der Bundeswehr regelmäßig zusammen. Auf die Lücken in der Ausstattung des Heeres geht auch die aktuelle Military Balance des IISS ein: Deutschland müsse in Einsatzbereitschaft und Vollausstattung der Einheiten investieren, nachdem für mehrere Jahre mit "rotierender Ausrüstung" für Truppen in Training und Einsatz "experimentiert" worden sei.

Fairerweise muss erwähnt werden, dass das Verteidigungsbudget Deutschlands seit 2015 kontinuierlich gestiegen ist - und zwar um 30% beziehungsweise 10,7 Milliarden USD. Deutschland ist in der Lage, Waffensysteme für sämtliche Teilstreitkräfte selbst zu bauen. Unterstützt wird das durch Kooperationen mit Partnern in Europa. Das Stichwort Kooperation ist auch wichtig für die Frage der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands. Im Falle eines Angriffs wird vermutlich der Artikel 5 des NATO-Vertrages aktiviert, der alle 30 NATO-Staaten zur Mitwirkung verpflichtet. Das heißt, dass die 284 Kampfpanzer der Bundeswehr durch die 1.228 griechischen, die 797 polnischen und die 2.378 türkischen Kampfpanzer ergänzt werden können. Russland verfügt nur über 2.927 Kampfpanzer. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Deutschland 674 Schützenpanzer besitzt - davon 350 der modernen Puma.

Momentan geht vieles sehr schnell. Die Zeiträume zur Bereitstellung von Kampfeinheiten werden verkürzt, 13.000 Soldaten warten auf ihre Verlegung innerhalb der nächsten sieben bis 30 Tage. Einige Schiffe verlassen ihre Heimathäfen in Richtung Nordflanke der NATO. Ob und wann PATRIOT-Luftabwehrsysteme nach Osteuropa gebracht werden, ist derzeit noch in Klärung. Luftabwehr ist insofern wichtig, weil Russland seit mehreren Jahren sein Raketenarsenal ausbaut, die Raketen nahe seiner Westgrenze stationiert und über Systeme verfügt, die 2.000 und mehr Kilometer überwinden können. Putin könnte möglicherweise diese Langstreckenraketen gemeint haben, als er dem Westen mit direktem Blick in die Kamera ein Szenario androhte, das man bisher so noch nicht erlebt habe. Mit der Besetzung der Ukraine hat Russland die Reichweite seiner Raketen noch einmal deutlich erhöht.

Der mutige Mann

Zum Ende der Pressekonferenz ging es um den Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj. Regierungssprecher Hebestreit bezeichnete ihn als "mutigen Mann", der unter Gefahr in Kiev lebe. In den Sozialen Medien wurde dieses Verhalten mit Begeisterung quittiert. Zumal es in Sicht auf andere Beispiele der jüngsten Vergangenheit nicht selbstverständlich ist.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 24. Februar 2022

BMVg löst nationale Alarmmaßnahmen aus

Presseerklärung 10/2022 des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) vom 24.02.2022, 15:25 Uhr, zur Auslösung der nationalen Alarmmaßnahmen - Zitat:

Angriff Russlands auf die Ukraine - Bundesministerium der Verteidigung löst nationale Alarmmaßnahmen aus

Angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Ukraine hat die Bundesministerin der Verteidigung Christine Lambrecht betont:
„Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist ein drastischer Bruch des Völkerrechts und mit nichts in der jüngeren Geschichte vergleichbar. Präsident Putin hat ohne jeden Grund einen Krieg mitten in Europa vom Zaun gebrochen, er allein ist verantwortlich für das furchtbare Leid, das damit verbunden ist. Er hat mit der Anerkennung der beiden sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk das Völkerrecht mit Füßen getreten. Er hat das Minsker Abkommen zertrümmert. Die Ukraine ist und bleibt ein souveräner und freier Staat. Das Völkerrecht ist nicht verhandelbar. Russland muss sich nun auf beispiellose und sehr sehr harte Sanktionen einstellen. Ich appelliere an Präsident Putin: ziehen sie sofort ihre Truppen zurück.“

Die NATO hat aufgrund der aktuellen Ereignisse die Mitgliedstaaten aufgefordert, weitere Krisenreaktionsmaßnahmen auszulösen, die sogenannten „Crisis Response Measures“, ein Maßnahmenkatalog der NATO für den Krisenfall. Deutschland steht fest an der Seite seiner Bündnispartner und hatte gemeinsam mit den Alliierten der zugrundeliegenden Vorgehensweise im NATO-Rat, dem höchsten Entscheidungsgremium der NATO, zugestimmt.

Das Bundesministerium der Verteidigung hat nunmehr, basierend auf der NATO-Entscheidung zur Auslösung der Krisenreaktionsmaßnahmen, sogenannte nationale Alarmmaßnahmen ausgelöst. Die Bundeswehr wird bis in die einzelne Dienststelle vorbereitende Maßnahmen für den Fall einer Verlegung der sogenannten NATO Response Force treffen.

Die Bundeswehr ist vorbereitet und erhöht derzeit weiter ihre Bereitschaft. Das bedeutet auch, dass die Bevölkerung gegebenenfalls in den nächsten Tagen mehr militärische Bewegungen im öffentlichen Raum wahrnehmen kann. Es kann auch zu Einschränkungen im Verkehrsbereich kommen, da Transportkapazitäten zu Lande, zu Wasser und in der Luft für militärische Zwecke vorgehalten werden müssen.

Zu der Entwicklung der Lage werden wir weiter berichten, auch auf unseren Webseiten: bmvg.de und bundeswehr.de

Samstag, 19. Februar 2022

Weißes Haus veröffentlicht die amerikanische Indo-Pazifik-Strategie

Vor wenigen Tagen veröffentlichte das Weiße Haus seine neue Indo-Pazifik-Strategie. Den USA liegt die Region schon lange am Herzen. In diesem Zusammenhang wird die Rhetorik gegenüber China, dem Gegenpol im Indio-Pazifik, von Jahr zu Jahr schärfer. Längst geht es nicht mehr um die Befindlichkeiten bezüglich der chinesischen Ausnutzung seines WTO-Status, sondern um einen gefährlichen Wettbewerber in Sachen Technologie, politischer Einfluss und militärische Stärke.

Offene Seewege - Vernetzung - Wohlstand

Die Indo-Pazifik-Strategie enthält keine wirklich neuen Erkenntnisse. Ziel ist ein Offenhalten der Seewege für freien und fairen Handel. Immerhin wohnen dort 58% der Weltbevölkerung. 60% des globalen Bruttoinlandsproduktes werden dort erzeugt und es ist ein erhebliches wirtschaftliches Wachstum zu verzeichnen. Um sich einen Teil des "Kuchens" zu sichern, streben die USA eine starke Vernetzung mit gleichgesinnten Staaten an. So gibt es bereits viele Querverbindungen über Wirtschaftsverbände wie ASEAN (Association of Southeast Asian Nations), APEC (Asia-Pacific Economic Cooperation), PIF (Pacific Leaders Forum) oder YSEALI (Young Southeast Asian Leaders Initiative). Flankiert wird das durch Kooperationsangebote seitens der NATO, der EU und der G7.

Australien, Indien, Japan, Südkorea und andere Staaten sehen sich durch China insbesondere militärisch bedroht. Deshalb nehmen sie jedes Kooperationsangebot des Westens gerne an. Es wird sie freuen, dass die USA auf sämtlichen Gebieten ihr Engagement zu intensivieren planen: Investitionen, Expertise, Partnerprogramme, Militärübungen. Erfahrungen aus der Geschichte zeigen, dass wachsender Wohlstand die Gesellschaften den westlichen Wertesystemen zuführt. Bei China hatte das zwar gar nicht geklappt, aber warum gleich aufgeben? Das Indo-Pazifik-Papier stellt einen so engen Schulterschluss (shoulder-to-shoulder) mit den regionalen Partnern in Aussicht, dass der "systemische Rivale" China auch bei 5G und anderen Themen überrannt werden kann. Das betrifft die ersten drei Punkte des Papiers.

Sicherheit und Resilienz

In Punkt 4 geht es um den Ausbau der Sicherheitsstruktur im Indo-Pazifik. Das Weiße Haus spricht dabei von "asymmetrischer Stärke". Die asymmetrischen Konflikte der letzten 12 Jahre haben wohl auch ein Umdenken staatlicher Akteure bewirkt, die Asymmetrie nun in den eigenen Werkzeugkasten aufnehmen. Es sollen Partner gestärkt, ausgebildet und zur Selbstverteidigung befähigt werden. Reiserouten von Terroristen sollen unterbrochen, Cybersicherheit gewährleistet, Naturkatastrophen abgewendet, Pandemien behandelt, Korruption ausgerottet (root out corruption) und gesamtgesellschaftliche Resilienz aufgebaut werden. So beschäftigt sich der fünfte und letzte Punkt mit Resilienz gegenüber einer bunten Palette von Bedrohungen. Dazu wolle man mit sämtlichen relevanten Kräften zusammenarbeiten: Regierungen, Organisationen, Journalisten und Aktivisten der Zivilgesellschaft.

Die USA finden klare Worte, wenn sie in der Zusammenfassung des Papiers sagen, dass sie die eigenen und die Interessen ihrer Partner verteidigen werden - auch die von Taiwan. Die Entschlossenheit zur "Abwehr von militärischer Aggression" ist unmissverständlich formuliert. Dazu dienen eine Wahrnehmung der Leitungsrolle, der Ausbau verschiedener Infrastrukturen und die maritime Präsenz in der Region.

Deutschland und die maritime Präsenz

Maritime Präsenz hatte auch Deutschland in den vergangenen sechseinhalb Monaten im Indo-Pazifik gezeigt. Im Sommer 2020 waren die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung veröffentlicht worden. Federführend war das Auswärtige Amt. Aufgegriffen wurden die Leitlinien jedoch nur von der damaligen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK), die recht zügig in die Umsetzung gegangen war. Wegen Corona nahm sie zunächst per Videokonferenz Kontakt zu ihren Amtskollegen in Australien, Singapur, Japan und anderen Staaten des Indo-Pazifik auf. Die Gesprächspartner freuten sich sehr darüber, dass Deutschland mit der Entsendung einer Fregatte seine maritime Präsenz zeigen wolle. Im August 2021 wurde die Fregatte "Bayern" mit einem großen Medienaufkommen durch AKK in Wilhelmshaven verabschiedet. Gestern lief sie weitestgehend unbeachtet wieder in ihrem Heimathafen ein. Die neue Ministerin, Christine Lambrecht, weilte währenddessen bei der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC). Überhaupt überlagert das Problem Russland derzeit das zarte deutsche Engagement im Indo-Pazifik und spielt damit China in die Hände.

Autor: Matthias Baumann

Montag, 14. Februar 2022

#MSC2022 und die kultivierte Hilflosigkeit

Die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) versteht sich als ein Format, bei dem unterschiedliche Meinungen und Sichtweisen offen diskutiert werden können und sollen. So suchen die Veranstalter regelmäßig nach Überschriften, die einerseits den aktuellen Umgang mit Sicherheitspolitik auf den Punkt bringen und andererseits so provokativ sind, dass sie zu einem konstruktiven Diskurs anregen. Dabei kommen gelegentlich sogar Wortschöpfungen wie "Westlessness" (Ohne den Westen) heraus. "Westlessness" war vorgestern. Inzwischen sind wir bei "Helplessness" (Hilflosigkeit) gelandet.

Die Facetten der Hilflosigkeit

So fielen in der heutigen Pressekonferenz zur bevorstehenden MSC Wortgruppen wie "wachsende Hilflosigkeit", "kollektive Hilflosigkeit", "erlernte Hilflosigkeit", "Gefühl der Gestaltungsunfähigkeit" oder "gefühlter Kontrollverlust". Mit dem vollen Titel "Turning the Tide - Unlearning Helplessness" (Die Welle brechen - Hilflosigkeit verlernen) greift die MSC diesmal eine Redewendung aus der Psychologie auf. Denn auch in der Psychologie stehen Selbstwahrnehmung und Realität zuweilen in einem Missverhältnis. Die Hilflosigkeit zielt wohl auch auf die unklare Rolle Deutschlands, die bereits von IISS-Direktor Giegerich treffend beschrieben worden war und sich unter dem neuen Kanzler nicht zum Besseren gewandelt hat.

Russland und andere Themen

Fast alle Nachfragen drehten sich um Russland und die Situation an der Grenze zur Ukraine. Wolfgang Ischinger wollte nicht bestätigen, dass am kommenden Wochenende die Ostukraine bereits von Russland besetzt ist. Als Vollblutdiplomat sieht er nach wie vor diplomatische Möglichkeiten. Verschiedene russische Spitzenpolitiker wurden zur MSC eingeladen, halten sich aber mit Zusagen zurück. Auch hier spielt die Psychologie eine Rolle: Wer möchte schon allein in einem Kreis von Gegnern sitzen und über sicherheitspolitische Themen reden? Gemeint ist hier das, was der Journalist unter "grillen" versteht. Wolfgang Ischinger betonte jedoch, dass er sich keiner Seite verpflichtet fühle und als pensionierter Diplomat zu seiner aus Erfahrung gespeisten Meinung stehe. Er ist jedenfalls nicht "hilflos", sondern stellt sich bewusst den unterschiedlichen Ansichten.

Neben Russland, das erfolgreich seine Rolle als Störer auf die Tagesordnung katapultieren konnte, sollte erwähnt werden, dass es bei der MSC auch um andere virulente Themen gehen wird: JCPOE (Joint Comprehensive Plan of Action), China und das Südchinesische Meer, Nordafrika, die Sahelregion, die globale Gesundheit, Innovationen und das Klima.

Teilnehmer - Hygiene - Budget - Team

Wenig "hilflos" wirkt die Ausgestaltung der diesjährigen MSC: Es werden etwa 100 Minister, über 30 Staats- und Regierungschefs sowie die Leiter wichtiger Organisationen wie der WHO, der NATO oder der EU erwartet. Es wird bei einer Preisverleihung einen symbolischen Schulterschluss von EU und NATO geben.

Mit besonderer Konsequenz werde das umfangreiche Hygienekonzept umgesetzt, auf das auch das Land Bayern einen großen Einfluss hatte. Wer mit einem Impfstoff behandelt wurde, der in Deutschland nicht zugelassen ist, darf nicht in Präsenz teilnehmen. Das gilt zum Beispiel für Personen mit Sputnik-V-Impfung. Das Staatsbankett fällt aus, jeder Teilnehmer wird täglich einem PCR-Test unterzogen, die Teilnehmerzahl ist um mehr als die Hälfte reduziert und der gesamte Hygieneaufwand beläuft sich auf einen siebenstelligen Eurobetrag, was bei einem Jahresbudget von 10 Millionen Euro mehr als 10% entspricht. Wolfgang Ischinger dankte deshalb ausdrücklich allen Sponsoren, zu denen auch der deutsche Verteidigungshaushalt gehört. Er dankte auch seinem Team, das ihn so kompetent unterstützt. So sprach er sich am Ende der zeitlich weit überzogenen Pressekonferenz für eine "totale Transparenz" aus und erklärte, dass er im Prinzip mehr privates Geld in die MSC investiere, als dieses für sich aus der Veranstaltung herauszuholen.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 27. Januar 2022

Neuregelung des § 217 StGB zur Suizid-Beihilfe

Fünf Vertreter verschiedener Parteien waren heute Mittag in der Bundespressekonferenz erschienen. Das zeugte von großem Konsens bei der Umgestaltung des Strafrechtsparagraphen 217. In § 217 StGB geht es um die Beihilfe zum Selbstmord. Ein Thema, das gerne in der Tabu-Zone belassen und nur ungerne öffentlich diskutiert wird. Entsprechend unprofessionell und unkontrollierbar sah bisher die Landschaft bei der Suizidhilfe aus.

Missbrauch verhindern

Der Laie denkt bei Suizid-Beihilfe wohl in erster Linie an eine Unterstützung bei der diskreten und schmerzlosen Durchführung. Die Gesetzesänderung soll aber genau das Gegenteil bewirken. Laut der fünf Parteienvertreter sei es gerade ein Mittel zur Suizid-Prävention. Die Hilfe zum Selbstmord sei demnach weiterhin strafbar, wenn die gesetzlichen Regelungen nicht eingehalten werden. Missbrauch solle verhindert werden. In der Neufassung sind zwei unabhängige ärztliche Gutachten zur Bestätigung der "Freiverantwortlichkeit" des Betroffenen vorgesehen. Ferner muss ein Beratungsprozess durchlaufen worden sein, in dem noch einmal die Gründe für den Selbstmord abgeklopft und idealerweise behandelt werden.

Der Schrei nach Beratung und Hilfe

Diskussionen mit Experten hätten ergeben, dass nur 10% der Suizidversuche tödlich enden. Wer seinen Suizid ankündige, verweise letztlich auf seine Ohnmacht, aus einer unerträglichen Lebenssituation aussteigen zu können. Es sei der Schrei nach einer Zäsur, die aber nicht zwangsläufig tödlich enden soll. Deshalb soll parallel das Beratungs- und Hilfsangebot ausgebaut werden, um gesunde Lebensperspektiven für die Zeit nach der Zäsur zu eröffnen. Wie das in der Praxis aussehen soll, ist noch unklar, da die relevanten Anlaufstellen während Corona weiter unter Druck geraten sind. Therapeutische Kapazitäten werden zurzeit wie Goldstaub gehandelt.

Hauptzielgruppe für Suizid sind Kinder und Jugendliche. Diese werden im Gesetzentwurf jedoch bewusst ausgeklammert. Für sie soll "assistierter Suizid" gar nicht gestattet sein, da ihnen die Zeitdimension des dann nicht mehr verfügbaren Lebens nicht vermittelbar sei. Auch hier gilt der Aufbau des Beratungsangebotes zur Klärung der unerträglichen Lebenssituationen - also ein klarer Ansatz von Suizid-Prävention.

Demnächst wird der Gesetzentwurf dem Bundestag vorgestellt. Es gilt als sicher, dass dieser eine entsprechende Zustimmung bekommt.

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 14. Dezember 2021

Botschafter von Malawi, Armenien und Algerien akkreditiert

Kurz vor dem Jahreswechsel wurden heute noch drei Botschafter akkreditiert. Das ist wichtig, damit sie sich bei den bevorstehenden Neujahrsempfängen in der protokollarisch vorgeschriebenen Reihenfolge zum Defilee anstellen können. Bereits vor einer Woche wurden die fünf Botschafter der Staaten Ecuador, Mongolei, Indien, Simbabwe und Kosovo akkreditiert. Heute fuhren folgende Exzellenzen im Halbstundentakt beim Schloss Bellevue vor:

Botschafter der Republik Malawi, Joseph Mpinganjira,
Botschafter der Republik Armenien, Viktor Yengibaryan,
Botschafter der Demokratischen Volksrepublik Algerien, Smail Allaoua.

Botschafter der Republik Malawi, Joseph Mpinganjira, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert
Botschafter der Republik Malawi, Joseph Mpinganjira, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert

Wo liegt eigentlich Malawi? Malawi ist ein Binnenstaat im südlichen Zentralafrika. Es ist umschlossen von Tansania, Sambia und Mosambik. Im Osten grenzt der Staat an den Malawi-See, der beachtliche 580 Kilometer lang ist. Das entspricht in etwa der Strecke zwischen Berlin und München. Das Land hat eine sehr schmale Ost-West-Ausdehnung, kompensiert das aber durch die Länge von Nord nach Süd - vergleichbar mit Chile. Malawi hat 21 Millionen Einwohner, deren durchschnittliches Einkommen bei 399 USD pro Jahr liegt. Das Land wird traditionell durch Großbritannien unterstützt und bringt sich selbst bei UN-Missionen wie MONUSCO ein.

Botschafter der Republik Malawi, Joseph Mpinganjira, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert
Botschafter der Republik Malawi, Joseph Mpinganjira, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert - Flagge von Malawi

Botschafter Joseph Mpinganjire hat eine pastorale Vergangenheit und maßgeblich dazu beigetragen, dass Malawi in die Wahrnehmung der deutschen Öffentlichkeit gebracht wird. Als Ergebnis wurde der Verein "Hilfe für Malawi" gegründet, der übermorgen seinen 20. Geburtstag feiert. Gemessen an der Länge der heutigen Unterredung mit dem Bundespräsidenten kann davon ausgegangen werden, dass er die Gelegenheit zur Platzierung seiner Botschaften genutzt hat. Frank-Walter Steinmeier zeigt sich generell offen für die Anliegen von Hilfsorganisationen.

Botschafter der Republik Armenien, Viktor Yengibaryan, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert
Botschafter der Republik Armenien, Viktor Yengibaryan, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert

Als nächstes traf der neue Botschafter aus Armenien ein. Armenien war jüngst durch seinen Konflikt mit Aserbaidschan in die Schlagzeilen geraten. Die Gemengelage ist diffus und jeder beschuldigt jeden, die Eskalation begonnen zu haben. Zudem bieten sich Armenien versus Aserbaidschan als Parteien im Stellvertreterkonflikt zwischen Russland und der Türkei an. Neu war der exzessive Einsatz von Drohnen, der in der kampfentscheidenden Wirkung allerdings als überbewertet gilt.

Botschafter der Republik Armenien, Viktor Yengibaryan, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert
Botschafter der Republik Armenien, Viktor Yengibaryan, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert - Flagge von Armenien

Armenien hat drei Millionen Einwohner und ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 4.315 USD pro Kopf. Auch wenn Armenien enge militärische Beziehungen zu Russland unterhält und dessen militärische Denkweise adaptiert hat, tendiert es doch immer wieder auch zu einer NATO-Partnerschaft. Vor dem Angriff durch aserbaidschanische Drohnen hatte Armenien 108 Kampfpanzer russischer Herkunft. Die Bedrohungslage erscheint dem Land so hoch, dass es 44.800 aktive Soldaten und eine Reserve von 210.000 Personen unterhält.

Botschafter Viktor Yengibaryan ist 40 Jahre alt und hat in Bochum ein Wirtschaftsstudium mit Masterabschluss absolviert. Danach hat er sich an weiteren Universitäten in Deutschland, Großbritannien und den USA in diplomatischen Themen weitergebildet. Seine Karriere in Armenien begann 2004 mit dem Einstieg ins Verteidigungsministerium. Es folgten weitere Stationen, die immer wieder einen starken Fokus auf die EU und Deutschland legten. Von daher ist er wohl ein sehr geeigneter Mann für die Position des armenischen Botschafters in Berlin.

Botschafter der Demokratischen Volksrepublik Algerien, Smail Allaoua, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert
Botschafter der Demokratischen Volksrepublik Algerien, Smail Allaoua, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert

Zum Abschluss der heutigen Akkreditierungsfolge traf Smail Allaoua aus Algerien ein. Algerien hat knapp 43 Millionen Einwohner mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 3.331 USD. Algerien hat traditionell gute Beziehungen zu Russland und China, öffnet sich aber so langsam auch dem Westen. Das Land ist in Konfliktherde eingebettet: Mali, Westsahara, Libyen und weitere. Deshalb ist es kaum verwunderlich, dass Algerien einen Verteidigungshaushalt von 6,75% des BIP, aktive Streitkräfte mit 130.000 Soldaten, 187.200 Paramilitärs und 150.000 Reservisten unterhält. Es besitzt 1.495 Kampfpanzer russischer Bauart, 6 U-Boote und 5 Fregatten.

Botschafter der Demokratischen Volksrepublik Algerien, Smail Allaoua, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert
Botschafter der Demokratischen Volksrepublik Algerien, Smail Allaoua, bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue akkreditiert - Flagge von Algerien

Botschafter Smail Allaoua war zuvor in Moskau eingesetzt und soll nun die Beziehungen zwischen Deutschland und Algerien stärken. Ein Anknüpfungspunkt könnten die Rüstungsexporte von Rheinmetall sein. Die Botschaft von Algerien befindet sich in einem stattlichen Gebäude im Bezirk Pankow. Dieser Standort im ehemaligen Ost-Berlin ist ebenfalls Ausdruck der guten Beziehungen Algeriens zu Russland.

Kurz nach 12 Uhr waren die Akkreditierungen vorbei. Nach Maßgabe der Corona-Auflagen könnten sich die drei Botschafter in drei Wochen bei den verschiedenen Neujahrsempfängen zum Händeschütteln - pardon Faustschlagen oder Ellenbogentreffen - begegnen.

Autor: Matthias Baumann

Freitag, 26. November 2021

Berlin Security Conference 2021 diskutiert Europas Verteidigungsfähigkeit

"War der Fotograf schon hier?", fragte ein Mitarbeiter der Berlin Security Conference (BSC), nachdem er die Szenerie im Saal oberhalb des Konferenzgeschehens betrachtet hatte: Alte weiße Männer saßen in Uniformen und dunklen Anzügen an separaten Tischen und rührten mit langen Stäbchen in ihren Nasen herum. Schnelltests zur Erfüllung der 2G+-Regel. Nachdem die Konferenz im letzten Jahr virtuell durchgeführt worden war, fand sie diesmal wieder in Präsenz statt. Allerdings unter verschärften Sicherheitsmaßnahmen - die Gesundheit betreffend. Das Plus war eigentlich ein Doppelplus. Denn zum tagesaktuellen Schnelltest gesellte sich noch die FFP2-Maske.

Das Thema der BSC lautete in diesem Jahr "Europe - Developing Capabilities for a credible Defence" oder auf Deutsch "Europa - Entwicklung von Fähigkeiten für eine glaubwürdige Verteidigung". Wegen des internationalen Fachpublikums wurden sämtliche Reden, Diskussionsrunden und Workshops auf Englisch abgehalten. Selbst dann, wenn fast nur Deutsche auf der Bühne saßen. Englisch ist eben Welt- und NATO-Sprache.

Berlin Security Conference 2021 #BSC2021 Letter of Intent Deutschland Niederlande
Berlin Security Conference 2021 #BSC2021 - Unterzeichnung eines Letter of Intent zwischen Deutschland und den Niederlanden zur Kooperation bei Luftlandeplattformen - v.l.n.r.: Vizeadmiral Carsten Stawitzki (Abteilungsleiter Ausrüstung im BMVg), Generalleutnant Alfons Mais (Inspekteur des Heeres), General Martin Wijnen (Commander of the Royal Netherlands Army), Admiral Arie Jan de Waard (Directeur Defensie Material Organisatie)

General Jörg Vollmer hatte sich bei seinem Abschied vom Kommando Heer kurz vor dem ersten Lockdown für eine glaubwürdige Verteidigungsfähigkeit Europas ausgesprochen. Das machte er auch auf dieser BSC 2021 deutlich. Der ehemalige Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels leitete eine hochkarätig besetzte Diskussionsrunde damit ein, dass Verteidigung immer noch das am wenigsten beachtete Thema europäischer Politik sei. Dabei könne Europa auf eine sehr komfortable Ausgangsposition blicken: Die Länder der EU haben eine sehr hohe Schnittmenge mit den Ländern der NATO. Man könne schon fast von EU ist gleich NATO sprechen. Apropos Komfort: Jörg Vollmer zeigte auf, dass Deutschland "von Freunden umgeben" sei. Es solle aber nicht vergessen, dass diese Freunde fast alle an gegnerische Länder grenzen. Diese fungieren für Deutschland als Pufferzonen von Norden, über Osten bis nach Südwesten.

Fasst man die Verteidigungsbudgets von Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien zusammen, übersteigt das den Betrag, den China aufwendet, um knapp vier Milliarden USD. Allein Großbritannien gibt eine Milliarde USD mehr aus als Russland. Europa hat also entsprechendes Potenzial. Jedoch steht sich Europa mit seinen Regularien oft selbst im Weg. So sprach Vizeadmiral Carsten Stawitzki in einem sehr emotionalen Statement von "toxischen Beschaffungsregeln" innerhalb der EU. Man müsse zum Kauf eines simplen Sturmgewehrs erst einmal jahrelange Wettbewerbsprozesse durchlaufen, um dann irgendwann ein neues Gewehr einzuführen. Bei den Amerikanern gehe das alles viel schneller und effizienter. Diese komplizierten Prozesse wirkten sich auch sehr negativ auf Interoperabilität und die flexible Reaktion auf neue Lagebilder aus. Der Admiral räumte auch mit dem Mythos der Beschaffung von der Stange auf. Militärisches Gerät lasse sich nicht im zivilen Supermarkt beschaffen, sondern habe spezielle Grundanforderungen zu erfüllen.

Die Vertreter der Industrie fielen bei der BSC eher durch Blässe auf. Sie nutzten ihre Diskussionsbeiträge prioritiv zur Eigenwerbung oder die ausführliche Reklamation ihrer kurzen Redezeit. Die Zuhörer quittierten das mit einem Gang zur Kaffeetheke. Denn gerade am Rande der Konferenz könnten neue Kontakte geknüpft oder bestehende Kontakte aufgefrischt werden. Letzteres wurde seitens der Teilnehmer immer wieder als einer der wichtigsten Teile einer solchen Konferenz bestätigt.

Bestätigt wurden auf der BSC - egal von welchem Protagonisten - zusammenfassend drei Punkte: Europa hat Verteidigungspotenzial, Europa muss dringend an seinen kontraproduktiven Regelwerken arbeiten und Europa braucht die eng verzahnte Kooperation mit den USA.

Autor: Matthias Baumann

Freitag, 1. Oktober 2021

Vorsitzender des Präsidialrates des Staates Libyen, Mohammad Younes Mnefi, in Berlin empfangen

Nach dem gewaltsamen Tod von Muammar al-Gaddafi vor zehn Jahren hatte sich ein Machtvakuum in Libyen aufgetan, das schnell von neuen Akteure gefüllt wurde. Inzwischen stehen sich zwei maßgebliche Lager gegenüber: die "Regierung der nationalen Einheit" (GNA Government of National Accord) und die Truppen der Libyschen Nationalarmee (LNA Libyan National Army) unter Feldmarschall Khalifa Haftar. Der heutige Gast, Mohammad Younes Mnefi, gehört zur erstgenannten Gruppe.

Vorsitzender des Präsidialrates des Staates Libyen, Mohammad Younes Mnefi, im Schloss Bellevue von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfangen
Vorsitzender des Präsidialrates des Staates Libyen, Mohammad Younes Mnefi, im Schloss Bellevue von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfangen

Bis zur internationalen Anerkennung der GNA im Jahr 2015 hatte der Bürgerkrieg nur auf Sparflamme gekocht. Dann aber fühlten sich verschiedene Konfliktparteien und Staaten wie Russland oder die Türkei provoziert und antworteten mit diplomatischem und wirtschaftlichem Druck. Auch militärisch griffen sie ein. Russland schlug sich dabei auf die Seite von Feldmarschall Haftar und die Türkei auf die Seite der Regierungstruppen, der Libyschen Streitkräfte (LAF Libyan Armed Forces). Wenn es passte, wurden auch die verschiedenen regionalen Milizen instrumentalisiert. Dieser russisch-türkische Stellvertreterkonflikt neigte sich zugunsten der Regierungstruppen, so dass schließlich auch Ägypten ein Machtwort sprechen musste. Das Nachbarland im Osten hatte General Haftar unterstützt, weil dieser konsequent und erfolgreich gegen verschiedene Islamistengruppen gekämpft hatte. So zog Ägypten eine "rote Linie" auf der Landkarte, bei deren Überschreiten es selbst eingreifen wolle. Parallel gab es fünf Resolutionen des UN-Sicherheitsrates und ein Waffenstillstandsabkommen im Rahmen von UNSMIL (UN Support Mission to Libya).

Auffällig ist, dass die beiden großen Kontrahenten über erhebliche Fähigkeiten in der dritten Dimension (Luft) verfügen. Das beginnt bei Drohnen aus China und endet bei der Luftunterstützung durch Ägypten. Erwähnt werden muss auch die russische Sicherheitsfirma Wagner Group. Die Wagner Group ist eine Proxy-Armee, die ohne internationale Legitimation weltweit in Kampfhandlungen eingreift oder verdeckte Operationen durchführt. Damit behält Russland seine weiße Weste, während die verschiedenen "Drecksarbeiten" durch diese kostengünstige privatwirtschaftliche Truppe erledigt werden. In Libyen sollen 3.000 "Angestellte" plus 2.000 syrische Söldner unter dem Dach der Wagner Group "arbeiten". Sie sind als Scharfschützen, Militärberater oder Anti-Drohnen-Experten tätig. Ihre Anwesenheit in Libyen wurde erstmals 2018 registriert. Auch wenn offizielle Stellen in Russland so tun, als hätten sie noch nie etwas von der Wagner Group gehört, wird diese doch aktiv vom russischen Militär unterstützt: IL-76 für die Luftfracht, gepanzerte Fahrzeuge, SA-22-Luftabwehrsysteme, Kraftstoff, Munition und andere Materialien. Im Mai letzten Jahres wurden 14 MiG-29 und SU-24 von Russland aus über Syrien nach Libyen geflogen - von Wagner-Piloten. Der Charme einer Firma besteht auch darin, dass sie international gebucht werden kann und dann auch mal Luftschläge und "andere Missionen" im Auftrag von Drittstaaten wie den Vereinigten Arabischen Emiraten ausführt.

Auf der Seite der libyschen Regierung agiert die türkische Beratungsfirma SADAT International Defense Consultancy. Zudem waren türkische Drohnen sehr erfolgreich bei der Vernichtung russischer Pantsir S1-Luftabwehrsysteme. Konflikte wie in Syrien oder Libyen werden ohnehin gerne genutzt, um neue Waffensysteme zu testen.

Der aktuelle Präsidialrat ist seit Februar 2021 im Amt. Am 24. Dezember 2021 soll es Wahlen geben. Das wird herausfordernd, weil die Zivilbevölkerung besonders unter dem fremdbestimmten Bürgerkrieg leidet. Ohne echten Waffenstillstand wird das Volk wohl kaum zur Ruhe kommen. Etwa 400.000 Libyer sind im eigenen Land auf der Flucht. Regionale Milizen verschärfen die Lage. Besonders gefährlich lebt medizinisches Personal, weil es gezielt zur Schwächung des Gegners angegriffen wird. Die wirtschaftliche Lage wird verschärft durch die unrentable Entwicklung des Ölpreises und die Ölblockade zum Austrocknen der Geldquellen von General Haftar. Zusätzlich muss das Land mit den Flüchtlingsströmen aus dem Süden umgehen, die an der libyschen Mittelmeerküste ausgebremst werden.

Apropos Mittelmeer: Mit der EU kommt eine weitere Partei ins Spiel. Mit EUNAVFOR will die EU den Waffentransport nach Libyen unterbinden. Das kollidiert aber mit den Interessen der Türkei. Die Türkei interessiert sich für libysches Öl und tangiert damit wiederum die Interessen anderer Staaten des östlichen Mittelmeers. Die IRINI-Mission der EUNAVFOR wird inzwischen durch Lufttransporte und Waffenlieferungen über den Landweg umgangen. Das fördert die Kluft innerhalb der NATO.

Ob das Gespräch zwischen Mohammad Younes Mnefi und Frank-Walter Steinmeier all diese komplexen Themen behandeln konnte, bleibt ungewiss. Eines ist jedoch klar: Der deutsche Bundespräsident hat den leichteren Job.

Autor: Matthias Baumann


Donnerstag, 30. September 2021

Erste deutsch-britische Militäreinheit in Minden aufgestellt

Bei bestem Fotowetter wurde heute in Minden die erste deutsch-britische Einheit aufgestellt. Das neue DEU/GBR Pionierbrückenbataillon 130 besteht aus sechs Kompanien mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten. Die entsprechenden Fahrzeuge und Ausrüstungsgegenstände konnten die Gäste vor dem Umgliederungsappell bestaunen. Auch der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, und sein britischer Amtskollege, General Sir Mark Carleton-Smith.

Umgliederungsappell Deutsch/Britisches Pionierbrückenbataillon 130 DEU/GBR PiBrBtl 130 Weser in Minden Amphibie M3
Umgliederungsappell Deutsch/Britisches Pionierbrückenbataillon 130 - DEU/GBR PiBrBtl 130 - an der Weser in Minden

Während Wirtschaft, Kultur und Justiz jahrelang mit bangem oder gar keinem Erwarten den zähen Verhandlungen und Machtspielchen zur Vorbereitung des Brexits zuschauten, war man in Militärkreisen recht entspannt. Wusste man sich doch über die Vertrags- und Wertegemeinschaft der NATO verbunden. So war es ein besonderes Zeichen der Wertschätzung, dass Sir Carleton-Smith seine Rede auf Deutsch hielt und sich auf ein deutsches Bier beim anschließenden Empfang freute.

Umgliederungsappell Deutsch/Britisches Pionierbrückenbataillon 130 DEU/GBR PiBrBtl 130 Weser in Minden Amphibie M3
Umgliederungsappell Deutsch/Britisches Pionierbrückenbataillon 130 - DEU/GBR PiBrBtl 130 - Zusammenlegung einer deutsch-britischen Brücke (Amphibie M3) an der Weser in Minden

Entsprechend bunt wirkte die angetretene Truppe aus deutschem und britischen Flecktarn sowie preußisch wirkenden Uniformen des Mindener Bürgerbataillons. Letztere hätten bei einem Appell in der Bundeshauptstadt wohl keinen Einsatzbefehl oder anschließend richtig viel Ärger bekommen. Im traditionsbewussten Westfalen ist das etwas anders. So wurde die deutsche Nationalhymne auch mit Blick auf das Wilhelmsdenkmal gespielt.

Umgliederungsappell Deutsch/Britisches Pionierbrückenbataillon 130 DEU/GBR PiBrBtl 130 Weser in Minden Amphibie M3
Umgliederungsappell Deutsch/Britisches Pionierbrückenbataillon 130 - DEU/GBR PiBrBtl 130 - Ausmarsch der Paradeaufstellung über die deutsch-britische Brücke (Amphibie M3) an der Weser in Minden

Zum Erschrecken von Fachexperten kam dann noch hinzu, dass eine Schwimmbrücke aus britischen und deutschen Teilen zusammengesetzt und dann im Gleichschritt passiert wurde. Auch die Römer wussten schon, dass das gefährlich sein konnte und stellten deshalb bewusst die Architekten der Brücken unter selbige. Das war Motivation genug, eine saubere Statik zu konzipieren.

Das DE/GBR PiBrBtl 130 war keine Neuaufstellung, sondern eine Umgliederung aus britischen und deutschen Einheiten wie der 23 Amphibious Engineer Squadron und dem Panzerpionierbataillon 130. Das verbindende technische Element ist die Schwimmbrücke M3. Es gibt bereits andere binationale Unterstellungen wie das Deutsch-Niederländische Korps und die Deutsch-Französische Brigade. Binationale Partnerschaften bahnen sich über einen längeren Zeitraum hinweg an. Sie starten mit einer sogenannten Absichtserklärung und enden idealerweise mit einem Umstellungsappell.

Autor: Matthias Baumann

Dienstag, 7. September 2021

IISS eröffnet sein Europa-Büro in Berlin

"Halten Sie den Gegenwind aus, der Ihnen schon bald entgegenwehen wird", waren die abschließenden Worte der Rede von Annegret Kramp-Karrenbauer im AXICA am Pariser Platz. Der Anlass war die offizelle Eröffnung des Büros des IISS Europe. IISS steht für International Institute for Strategic Studies. Das Institut hat fünf Niederlassungen: London, Washington D.C., Singapur, Bahrain und jetzt auch Berlin.

Das IISS-Büro in der Nummer 6 liegt gegenüber der imposanten Event-Location AXICA am Pariser Platz. AXICA trägt die Nummer 3 und gehörte bis zur Enteignung durch die DDR dem von Rohdich'schen Legatenfonds. Vor sechs Wochen befand sich das IISS-Büro noch im Einzugsmodus: leere Räume, Umzugskisten, einige provisorisch verkabelte Arbeitsplätze und viel Raum für die 19 Mitarbeiter am Standort Berlin. Das IISS sammelt immer wieder Experten für verschiedene Fachgebiete um sich und hat weltweit etwa 150 Mitarbeiter. Neben Recherchen in öffentlich zugänglichen Quellen führt das Institut auch Themen-Konferenzen durch und kooperiert mit der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC).

IISS Europe eröffnet sein Büro in Berlin, International Institute for Strategic Studies, Ben Schreer
IISS Europe in Berlin - Dr. Benjamin Schreer ist Executive Director des IISS-Europe

Das 1958 in London gegründete IISS versteht sich als unabhängige Einrichtung zur Analyse und Beratung in sicherheitspolitischen Themen. Der bei der Eröffnungsveranstaltung an die Wand geworfene Slogan "Fakten, Analysen, Einfluss" drückt wohl am besten aus, was das IISS macht und welche Ziele es verfolgt. Berlin wurde bewusst als Europa-Standort gewählt, weil Deutschland einen maßgeblichen Einfluss auf die sicherheitspolitische Agenda Europas hat. Flankiert wird das durch ein leidenschaftliches Buch des IISS-Direktors Bastian Giegerich, der Deutschland zu einem Wechsel der strategischen Kultur aufruft.

Veränderung und Vorankommen mahnte auch die Ministerin in ihrer Rede an. Auch ihr schlägt seit Amtsantritt der Gegenwind ins Gesicht. Dieser reicht von plumpen frauenfeindlichen Einlassungen bis zur Unterstellung von Alleingängen in ihrem Ressort. Viele Maßnahmen wie die Entsendung der Fregatte "Bayern" zur Erfüllung der Indo-Pazifik-Leitlinien oder ihr Einsatz für eine fortschreitende Erhöhung des Verteidigungsbudgets stoßen im Bundestag nicht auf Gegenliebe. Wer genauer hinschaut, wird feststellen, dass sie eine Macherin ist, die ihre Themen konsequent durchzieht und nebenbei noch einen sehr guten Draht zur Truppe aufbaut.

Sehr klar spricht sie immer wieder über ihre Ziele und das aktuelle Lagebild. So plädiert sie für ein stellvertretendes Vorangehen der Willigen und Fähigen nach Art. 44 des EU-Vertrages. Dabei solle flexibel und schnell auf neue Situationen reagiert werden und erst anschließend die Institutionalisierung erfolgen. Bisher wurde in der EU zuerst institutionalisiert und dann gehandelt. Deutlich benannte sie Russland als Aggressor im Osten und führte mit Blick auf die geopolitische Lage aus, dass die Bedrohungen real seien und man eine Truppe brauche, die aus dem Stand heraus einsatzfähig sei. Um Konflikte gar nicht erst in die heiße Phase gelangen zu lassen, favorisiert sie das Mittel der Abschreckung. Die atomare Teilhabe benannte sie als die kostengünstigste Antwort auf die Herausforderung der Entwicklung neuer konventioneller Waffensysteme.

Da sie im politischen Berlin mit ihren Anliegen oft allein auf weiter Flur steht, begrüßt sie die Eröffnung des IISS-Büros sehr. Das Büro wird über die nächsten Jahre maßgeblich durch die Bundesregierung unterstützt. So freuen sich die Ministerin und IISS-Europa-Chef, Dr. Benjamin Schreer, auf das Befeuern der sicherheitspolitischen Debatte. Im divergent besetzten Verteidigungsausschuss herrsche mehr Konsens als im Plenarsaal des Bundestages. Man sei sich auch darüber einig, dass die finanzielle Unterstützung des neuen IISS-Büros gut investiertes Geld ist.

Autor: Matthias Baumann

Montag, 23. August 2021

Österreichs lange Tradition bei Auslandseinsätzen

Zum Abschlussabend einer internationalen Konferenz in New York City sollten Vertreter der jeweiligen Delegationen die Fahne ihres Landes in den Saal tragen. Der deutschen Delegation hatte sich eine Frau aus Österreich angeschlossen. In einem langen Ständer warteten die Fahnen auf die Abholung. Die Deutschlandfahne war auf den ersten Blick zu erkennen. Die Frau aus Österreich machte ihrem Unmut Luft, dass man immer bei Deutschland mitlaufen müsse und nie als eigenständiges Land gewürdigt werde. Ich half ihr beim Suchen der Fahne und fand sie dann schließlich auch. Stolz stellten wir uns mit den Fahnen zusammen und verteidigten unsere Position gemeinsam gegen vordrängende Afrikaner und Asiaten.

Diese Situation ist wohl symptomatisch für die Wahrnehmung des Engagements Österreichs in der Welt. Als neutraler Staat ist es nur selten an "robusten" Einsätzen beteiligt und agiert daher eher in den Bereichen, die nicht so medienwirksam ausgeschlachtet werden können.


Bereits das kaiserliche und königliche (k.u.k.) Infanterie-Regiment Nr. 87 setzte sich ab 1883 für die Trennung von Konfliktparteien in Albanien und auf Zypern ein. Nach dem Ersten Weltkrieg 1918 löste sich das Regiment auf. Es gab dann verschiedene innenpolitische Umbrüche in Österreich, so dass die internationalen Aktivitäten erst 1960 wieder aufgenommen wurden. Bis heute sind österreichische Kräfte an unzähligen UN-Missionen beteiligt. Das sind Missionen, von denen man in Deutschland kaum etwas gehört hat: ONUC, UNYOM, UNFICYP, UNTSO, UNEF, UNTAG, UNOVEN und viele weitere. Das könnte auch daran liegen, dass man bis 1990 in Deutschland mit dem Kalten Krieg und anderen Themen beschäftigt war.

Wer das Buch "Going International in the Service of Peace" (ISBN 978-3-85333-329-7) von Erwin A. Schmidl, einem Militärhistoriker aus Wien, liest, bekommt einen Eindruck von der Menge der UN-Einsätze weltweit. Am roten Faden des österreichischen Engagements erfährt der Leser, wo das Eingreifen oder die bloße Anwesenheit der Staatengemeinschaft etwas Positives bewirken konnte, wo sie versagt hat und wo sie sich optimiert hat. Der größte Bremsklotz ist das Machtspiel der Vetomächte im Sicherheitsrat. Ansonsten könnte noch viel mehr geholfen und befriedet werden. Dennoch wurde viel mehr geleistet, als allgemein wahrgenommen.

Die Neutralität schafft dem österreichischen Personal eine besondere Stellung. So werden sie oft für Polizeiaufgaben, im Justizvollzug oder als Ausbilder nachgefragt. Auch Führungsaufgaben stehen ihnen offen. Selbst dann, wenn bisher gar keine Beteiligung ihres Landes an einer Mission stattgefunden hatte. Inklusive der neueren EU-Missionen wie EUTM (Mali), EUFOR Tchad oder EUAM Ukraine war und ist Österreich in 74 Auslandseinsätze involviert. Durch ein spezielles Entsendegesetz darf es auch Kampftruppen entsenden und hält dafür ein Bataillon mit einer Maximalstärke von 2.500 Soldaten bereit.

Da die Soldaten des Bundesheeres deutlich weniger Geld verdienen als ihre deutschen Kameraden, sind Auslandseinsätze wegen der finanziellen Zuschüsse interessant. In der Anfangszeit der Auslandseinsätze wurden die Mitreisenden noch händeringend gesucht, weil teilweise Urlaub dafür genommen werden musste und als Hauptmotivation die christliche Nächstenliebe galt. Zudem wurden die Freiwilligen als Erholungssuchende diffamiert. Das notorisch unterfinanzierte Bundesheer musste vor Ort nicht selten improvisieren, um beispielsweise ein funktionstüchtiges Zeltkrankenhaus betreiben zu können. Not macht bekanntlich erfinderisch, und so bauten die Österreicher eine bemerkenswerte Resilienz im Umgang mit widrigen Umständen vor Ort auf - ohne ihre professionelle Arbeitsweise darunter leiden zu lassen. Wegen der internationalen Mischung der Einsatzkontingente kam es sogar zu Situationen, in denen sich Österreicher mit Iren auf Suaheli unterhielten, weil das ihre ehemals gemeinsame Sprache beim Kongo-Einsatz gewesen war.

Bei der Betrachtung der Einsätze fällt auf, dass die UNO zwar weiterhin agiert, aber mehr und mehr durch EU- und NATO-Aktivitäten abgelöst wird. EU und NATO haben auch deutlich "robustere" Mandate und können dadurch schneller entsprechende Ergebnisse herbeiführen. Deutlich wird aber auch, dass sich in den letzten 70 Jahren - ausgehend von Afrika und dem Nahen Osten - die sicherheitspolitische Schlinge immer enger um Europa zusammenzieht. Den ersten Schreck gab es beim Zerfall Jugoslawiens und den damit verbundenen kriegerischen Auseinandersetzungen direkt an der Südostgrenze Österreichs. Österreich befindet sich zurzeit in einem Dilemma zwischen EU-Mitgliedschaft und militärischer Neutralität. Mit dem Status "Partnership for Peace" (Partnerschaft für den Frieden) hat das Land einen guten Kompromiss gefunden und war in diesem Konstrukt sogar bei KFOR im Kosovo und bei ISAF in Afghanistan eingesetzt.

Wer das oben erwähnte Buch mit dem festen Einband, den über 200 A4-Seiten und den weitestgehend unattraktiven, aber aussagekräftigen Pressefotos zuklappt, wird erstaunt sein über den Umfang dieses Themas. Auslandseinsätze werden in Deutschland gerne auf die jeweils aktuellen etwa 15 Einsätze reduziert. Mit "Going International" taucht der Leser in eine Geschichte humanitärer Hilfe, Befriedung und den Weg zu einer sinnvoll agierenden Weltgemeinschaft ein.

Autor: Matthias Baumann

Donnerstag, 19. August 2021

Abschiedsreise der Transall C-160

Der Abschied von der Transall C-160 ist für die Truppe ähnlich emotional wie der jüngste Abschied von der UH-1D alias Huey oder Teppichklopfer. Seit 53 Jahren stand die Transall im Dienst der Bundeswehr und fast jeder Soldat hat seine eigene Geschichte mit diesem Flugzeug - seien es die engen Sitze, das fehlende WC, Turbulenzen beim Flug, die sagenhaften Start- und Landeeigenschaften oder das Propellergeräusch. Wenn die C-160 über den Baumwipfeln erschien, wusste man: Es gibt Nachschub, Verpflegung oder Heimreise.

Transall C-160 Goodbye Tour Lufttransportgeschwader 63 LTG 63 Fliegerhorst Holzdorf
Transall C-160 Goodbye Tour des Lufttransportgeschwaders 63 (LTG 63) - Landung und Betankung auf dem Fliegerhorst Holzdorf - Viele Erinnerungen, Emotionen und reges Interesse an Transall-Souvenieren

Zwischenzeitlich ist die Flotte der Nachfolger angewachsen. Im November 2020 gab es noch 17 aktive Transall in der Bundeswehr. Zum Jahresende 2021 wird der letzte Transall-Verband, das Lufttransportgeschwader 63 (LTG 63), aufgelöst. Aus diesem Grunde bekam eine der Maschinen eine Sonderlackierung und flog über sämtliche Bundeswehrstandorte Deutschlands. Gestern landete sie auf dem Fliegerhorst Holzdorf und wurde dort betankt. Die zivilen und militärischen Mitarbeiter aus Holzdorf begrüßten das Flugzeug, indem sie am Boden ein "BYE" formten. Nach der Landung wurden Souveniers und Bildbände verkauft, deren Erlöse an verschiedene Hilfswerke der Bundeswehr gehen.

Transall C-160 Goodbye Tour Lufttransportgeschwader 63 LTG 63 Fliegerhorst Holzdorf
Transall C-160 Goodbye Tour des Lufttransportgeschwaders 63 (LTG 63) - "Retro-Brummel" beim Zwischenstopp auf dem Fliegerhorst Holzdorf

Neben Maschinen vom Typ C-130J Hercules sollen auch A400M die ausgediente Transall ersetzen. Ende letzten Jahres verfügte die Bundeswehr über 34 Stück der 4-motorigen A400M. C-130J Hercules besitzt Deutschland noch nicht. Ersatzweise unterhalten die US-Streitkräfte derzeit 14 C-130J-30 Hercules in Ramstein. Einen Besuch in Ramstein hatte AKK für Dienstag geplant. Allerdings sind wegen der Situation in Afghanistan sämtliche Termine der Ministerin verschoben oder abgesagt worden.

Autor: Matthias Baumann

Transall C-160 Goodbye Tour Lufttransportgeschwader 63 LTG 63 Fliegerhorst Holzdorf
Transall C-160 Goodbye Tour des Lufttransportgeschwaders 63 (LTG 63) - Start und Weiterflug nach Schwielowsee (Überflug beim Einsatzführungskommando) mit dem Ziel LTG 63 in Hohn bei Rendsburg


Freitag, 13. August 2021

AKK besucht die Truppe quer durch Deutschland

Nach drei Tagen standen 1.333 Kilometer mehr im Fahrtenbuch. Bis Montag hatte nur ein Termin im Kalender gestanden: am Dienstag Sanitätsregiment 1 in Weißenfels. Dann ging es Schlag auf Schlag. Am Mittwoch wollte die Ministerin das Panzerbataillon 203 in Augustdorf besuchen und am Donnerstag die Marineunteroffizierschule Plön sowie das Aufklärungsbataillon 6 in Eutin.

AKK besucht die Truppe - Panzerbataillon 203 Augustdorf
AKK besucht die Truppe - Panzerbataillon 203 Augustdorf - Vorbereitung auf die Fahrt mit dem Leopard 2

Wer in etwa weiß, wo diese Orte in Deutschland verteilt sind, kann das Reisepensum von AKK nachvollziehen. Sie hat jedoch den logistischen Vorteil der Luftverlegung, so dass der Zeitgewinn für Gespräche vor Ort genutzt werden kann. Sie traf fast immer früher als geplant ein. Für das Protokoll ist das der Worst Case. Das interessiert sie aber nicht, da es ihr offensichtlich mehr um die Personen als um die Etikette geht. Letzteres wird an vielen Details deutlich: die wetterfeste und geländefähige Kleidung, die Frisur und die Ausblendung der Presse außerhalb des offiziellen Statements.

AKK besucht die Truppe - Panzerbataillon 203 Augustdorf
AKK besucht die Truppe - Panzerbataillon 203 Augustdorf - Fragen und Antworten zu Optik, Bewaffnung und Aktivpanzerung

AKK hatte Abgeordnete und Politiker sämtlicher Parteien im Schlepptau. Die begleitenden Landes- und Bundespolitiker waren weniger zweckmäßig gekleidet und mussten dann mit ihrem Parlamentsschuhwerk durch den Matsch stapfen. Hauptsache, die Krawatte saß. Immerhin wollte jeder dieser Zivilisten die beste Position auf den Bildern mit der Ministerin ergattern. Immer wieder tauchten grauhaarige Unbekannte mit Krawatte vor der Linse auf und mussten im Nachgang aus dem Film geschnitten werden.

Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin hat AKK keinerlei Berührungsängste mit der Technik und der Truppe. In Augustdorf kam sie mit einem GTK Boxer vorgefahren, sprang in die tiefen Sandfurchen und lief mit dem Kommandeur plaudernd an der Presse vorbei. Anschließend fuhr sie mit dem Leopard 2 ab. In Eutin wurde sie mit einem Fennek ins Gelände gefahren und überzeugte sich kurz darauf im Unterholz davon, wie gut sich Aufklärer tarnen können. In Weißenfels lehnte sie den Schirm eines Parlamentariers ab und setzte ihre Kapuze auf. Als der Regen vorbei war, setzte sie die Kapuze ab, strich durchs Haar und ließ sich weiter die Vorteile und Schwachstellen eines ferngesteuerten Gabelstaplers erklären.

AKK besucht die Truppe - Sanitätsregiment 1 Weißenfels
AKK besucht die Truppe - Sanitätsregiment 1 in Weißenfels - Die Ministerin lässt sich den gepanzerten Liebherr Bergekran G-BKF erklären.

Viel Zeit nimmt sie sich für die Gespräche mit der Truppe und weicht dann auch gerne mal vom vorgefertigten Text beim Statement ab. Ein sicheres Zeichen dafür, dass sie die Anliegen nicht nur erfragt, sondern auch hört und versteht. In einem der Statements sagte sie, sie habe nicht nur viele Eindrücke mitgenommen, sondern auch jede Menge Hausaufgaben. Besonders erfreut zeigte sie sich über die Verbundenheit der jeweiligen Landkreise mit den Bundeswehrstandorten. Wenn die Bürger von "ihrer Bundeswehr" reden, steht die Zusammenarbeit auf einem soliden Fundament.

Am Mittwoch traf dann die nächste Termininfo ein: Die Ministerin besucht am Freitag die Logistiker in Ingolstadt. Das war mir dann aber von Eutin aus doch zu weit.

Autor: Matthias Baumann

Montag, 2. August 2021

AKK setzt mit Entsendung der Fregatte "Bayern" die Indo-Pazifik-Leitlinien um

Auch interne Quellen zeigen sich erstaunt über die Geschwindigkeit, mit der die Ministerin ihre Vorhaben umsetzt. Normalerweise befindet sich die Bundesregierung kurz vor der Wahl in einer Art Schockstarre, die sämtliche Entscheidungsprozesse und erst recht deren Durchführung lähmt. Nicht so im Verteidigungsministerium. Erst im September 2020 waren im Kabinett die Indo-Pazifik-Leitlinien verabschiedet worden. Bereits ab November fanden per Videokonferenz Gespräche mit den Verteidigungsministern von Australien, Singapur und Japan statt. Weitere Gespräche folgten - zuletzt auch mit dem Amtskollegen aus China. Dieser verantwortet die Spannungen im Südchinesischen Meer, hat der Fregatte "Bayern" aber zumindest die Durchfahrt gestattet.

Fregatte "Bayern" durch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer von Wilhelmshaven aus in den Indo-Pazifik entsendet
Fregatte "Bayern" durch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in Wilhelmshaven zur Fahrt in den Indo-Pazifik verabschiedet

Überhaupt scheint Annegret Kramp-Karenbauer die einzige deutsche Spitzenpolitikerin zu sein, die sich offen zum regelbasierten Welthandel und gegen die Gebietsambitionen Chinas stellt. Sie scheut sich nicht, pikante Themen wie die Uiguren anzusprechen, während die Kanzlerin lieber ausweicht. Zu schwierig ist der Spagat zwischen wirtschaftlichen Interessen und sicherheitspolitischem Handlungsbedarf.

In den Videokonferenzen zu den Indo-Pazifik-Leitlinien kam sehr schnell die im Papier fixierte "maritime Präsenz" zur Sprache. Zunächst stellte die Ministerin auf eine Ausbildungsmission mit der Entsendung von Personal ab. Die Freude und Erwartungshaltung der asiatischen Partner waren aber so groß, dass sie bald von einer Fregatte sprach. Wegen der zweiten und dritten Corona-Welle verzögerte sich das allerdings, so dass als finaler Termin der August 2021 festgelegt wurde. Und tatsächlich: Heute, am 2. August 2021, wurde in Wilhelmshaven die Fregatte "Bayern" verabschiedet.

Fregatte "Bayern" durch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer von Wilhelmshaven aus in den Indo-Pazifik entsendet
Fregatte "Bayern" verlässt den Hafen von Wilhelmshaven in Richtung Indo-Pazifik

Die Deklaration der Mission ist etwas ambivalent. Es soll eine Art Freundschaftsfahrt werden, bei der die Fregatte Partnerhäfen in der Region anläuft und idealerweise auch einen friedlichen Besuch in Shanghai absolviert. Noch liegt die Genehmigung nicht vor. Die Fregatte "Bayern" soll Flagge zeigen für den regelbasierten Welthandel und offene Seewege. Es wurde also bewusst ein älteres Modell der F123-Klasse verwendet. Da es sich um eine Präsenz- und Ausbildungsfahrt handelt, ist kein Mandat des Bundestages für die Reise notwendig.

Fregatte "Bayern" durch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer von Wilhelmshaven aus in den Indo-Pazifik entsendet
Passend zur Verabschiedung der Fregatte "Bayern" in den Indo-Pazifik wurde ein neues Vorlesebuch für Bundeswehr-Familien vorgestellt.

Pünktlich zum Auslaufen der "Bayern" wurde das Vorlesebuch "Geschichten verbinden" für Soldatenfamilien fertiggestellt. Der Elternteil im Auslandseinsatz nimmt das dünne und leichte Exemplar mit und die Kinder zu Hause behalten das dicke Buch mit dem festen Einband. Der Text ist der gleiche. So können die Eltern abwechselnd zu Hause oder per Videoschaltung den Kindern eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen. Die "Bayern" wird sieben Monate unterwegs sein und damit eine erhebliche Herausforderung für die Familien darstellen.

Autor: Matthias Baumann