"Warum würden Sie den Tesla
nicht kaufen?" Diese Frage bei der Vereinbarung der Probefahrt hatte mich etwas verwundert. Nachdenklich gehe ich nun zu meinem Wagen mit der Überlegung: "Warum fahre ich eigentlich noch Verbrennungsmotor?" Ich steige ein, drücke den Knopf und: "Brumm!"
"Brumm" macht beim Tesla nichts. "Ist er schon an", frage ich den neben mir sitzenden Verkäufer. "Sobald Sie die Bremse treten, ist er an". Ich suche den Ganghebel. Im Innenraum sind fast keine Knöpfe oder Hebel zu sehen, nur ein großes Display in der Mittelkonsole, über welches man alle Funktionen zu steuern scheint. Der Sales Advisor deutet auf einen kleinen Hebel rechts am Lenkrad: "Das ist so wie damals beim E65" (ein Vorgängermodell des aktuellen BMW 7er). Stimmt, nur dass der Hebel nicht verchromt ist.
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Tesla Model S 85 - funktionaler Innenraum mit Touchscreen in der Mittelkonsole |
Eigentlich hatte das Verkaufsteam den Allrad-Wagen mit 772 PS für diese Probefahrt vorgesehen. Das war mir doch etwas zu üppig, so dass ich mich spontan für einen Model S 85 mit alltagstauglichen 378 PS und Heckantrieb entschieden hatte.
Sehr, sehr vorsichtig gebe ich Gas - öhm - Strom. Die Entfaltung der Energie auf das Rad soll ja gigantisch sein. Der Wagen rollt geschmeidig an. Keine Schaltgeräusche. Am Ende der Straße will ich bremsen, stelle jedoch fest, dass der Wagen bereits erheblich an Fahrt verliert, sobald ich vom Beschleunigungspedal - so die offizielle Bezeichnung des Gaspedals im Tesla - gehe. Das scheint etwas gewöhnungsbedürftig. Nach der dritten Ampel ist diese besondere Art des Bremsens per Elektromotor statt mit Bremspedal bereits ins Fahrgefühl übergegangen. Bei Annäherung an weitere Hindernisse wie Kreisverkehre oder Ortseingangsschilder fließt es nun automatisch in die unterbewusste Tesla-Bedienung ein.
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Tesla Model S 85 - souveräner Fahrbahnkontakt auch bei strömendem Regen - wo sind die Endrohre? |
In einem Kreisverkehr versuche ich das heckgetriebene Fahrzeug in einen Drift zu lenken. Es klappt nicht. Das Fahrwerk und dessen elektronische Regelsysteme sind so ausgewogen, dass sich der Wagen zwar agil fahren lässt, aber dennoch souverän auf die Herausforderungen der Traktion reagiert. Es folgen einige Tests mit Anfahrt und Beschleunigung aus dem Stand. Von Null auf Hundert in weniger als sechs Sekunden soll es bereits das Einsteigermodell von Tesla schaffen. Bei tief durchgedrücktem Gaspedal fährt der Tesla seicht an und beschleunigt dann erheblich. Wir werden in die Sitze gedrückt und haben schnell die 100 km/h überschritten. Die Intelligenz in diesem Fahrzeug beeindruckt. Ein Ampelstart mit durchdrehenden und qualmenden Reifen ist so gut wie ausgeschlossen. Dennoch hängt der Tesla nach wenigen Metern jeden Kontrahenten an der Kreuzung ab.
Auf der Landstraße ist nur das Abrollgeräusch der Reifen zu hören. Regen peitscht gegen die Windschutzscheibe. Da, wieder ein Geräusch: der Scheibenwischer. Und keine Schaltgeräusche des Getriebes. Der Tesla hat nur einen Gang.
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Tesla Model S 85 - Ladekabel für Supercharger und andere Ladestationen |
Auch wenn besonders ambitionierte Tesla-Fahrer gerne von ihren ladefreien Fahrten über 600 km berichten, so kann man realistisch von 450 km pro Vollaufladung ausgehen. Zudem kann der Tesla an sämtlichen in Deutschland installierten Ladesäulen mit frischem Saft versorgt werden, obwohl Wirtschaftsminister Gabriel über die angebliche Normüberschreitung beim Ladestandard klagt. Die "Betankung" an den Tesla eigenen Superchargern ist sogar kostenlos.
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Tesla Model S 85 - Supercharger-Netz in Deutschland und weltweit |
Überhaupt fallen beim Tesla einige Kosten gar nicht an oder relativieren den hohen Neupreis durch niedrigere Folgeausgaben. Kraftstoffkosten gibt es nicht, es sei denn man nutzt Ladesäulen von Drittanbietern oder den heimischen Starkstromanschluss. Steuern werden ebenfalls auf Null subventioniert. Die Versicherung kostet etwa nur die Hälfte bis 2/3 eines vergleichbaren Fahrzeuges der oberen Mittelklasse. Diese Kostenvorteile werden auch werbewirksam bei der
Fahrzeugkonfiguration auf der Webseite dargestellt.
Auf der IAA sollen sich über 5.000 Interessenten für Probefahrten angemeldet haben. Interessenten, die sich für die Technik dieses Autos begeistern lassen. Man könnte fast schon von einem Apple unter den Autos reden: innovativ, intuitiv, sportlich, trendy und mit
runden Ecken. Die Bedienung erfolgt nach dem Ein-Button-Prinzip und ist damit für alle Fahrerprofile von der 17-Jährigen in Begleitung ihrer Mama, über den Ampelheizer vom Ku'damm, den sparsamen Familienvater
bis zum Gelegenheitsfahrer aus dem Seniorenheim problemlos zu bewegen
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Tesla - Kofferraum vorne und hinten - wo ist nur der Motor? |
Im Fond ist genug Platz für Mitreisende. Ihnen stehen drei Buttons zur Verfügung: die Türöffnung, der elektronische Fensterheber und die Leselampe.
Beeindruckend, wie es der Tesla energietechnisch bewerkstelligt, Licht, Standheizung und ähnliche Stromfresser so zu managen, dass noch genügend Saft zum Fahren verfügbar ist.
Auf den Akku gebe es eine Garantie von acht Jahren. Deshalb sei die Kilometerleistung innerhalb eines Leasingzeitraums eher sekundär und fällt beim Spiel mit den Konfigurationseinstellungen tatsächlich kaum ins Gewicht.
Das große Interesse am Tesla wird leider etwas durch die hohen Anschaffungskosten gedämpft. So bleibt er mit einem Einstiegspreis von mehr als 75.000 Euro bzw. einer Einstiegsleasingrate von knapp 700 Euro einer Klientel vorbehalten, die ihre Mobilitätsausgaben oberhalb des normalen Konsumentensegmentes gestalten kann. Einen typischen Käufer gebe es jedoch nicht. Zu den
"Happy Tesla Drivers" gehören gut verdienende Ökoaktivisten aus der 68er-Generation genauso wie Technik verliebte IT-Geschäftsführer aus der Startup-Szene.
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Tesla Model S 85 - Schlüssel als Miniatur-Tesla |
Tesla ist ein Auto, das begeistert. Mit Tesla kann man sich schmücken. Mit Tesla ist man im Gespräch. Mit Tesla kann man beim Kunden vorfahren und wirkt seriös, innovativ und nachhaltig.
Warum nur fahre ich noch einen Wagen mit Verbrennungsmotor?
Autor: Matthias Baumann